9783492977487.jpg

Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.piper.de

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Henriette Zeltner

Deutsche Erstausgabe
ISBN 978-3-492-97748-7
Juli 2017
© Jamie McGuire 2015
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Something Beautifull«, CreateSpace Independent
Publishing Platform, 2015
© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH,
München 2017
Covergestaltung: Mona Kashani-Far
Covermotiv: photomaster/shutterstock (Taube); il67/shutterstock (Glaskugel); ilolab/shutterstock (Hintergrund)
Datenkonvertierung: Uhl+Massopust, Aalen

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Für meine liebe Freundin,
Megan Davis.
Danke, dass du bist, wie du bist.

Prolog

Shepley

»Sei nicht so eine Pussy«, sagte Travis und boxte gegen meinen Arm.

Stirnrunzelnd blickte ich mich um, weil ich wissen wollte, wer das gehört hatte. Die meisten meiner Kommilitonen im ersten Jahr befanden sich in Hörweite, weil sie gerade auf dem Weg zur Einführungsveranstaltung in der Cafeteria der Eastern State University waren. Ich erkannte ein paar Gesichter von der Eakins High School, aber es gab deutlich mehr, die ich nicht kannte. Etwa die beiden Mädchen, die anscheinend zusammengehörten – eine mit hellbraunem geflochtenem Haar in einer Strickjacke und die andere mit goldblonden Beach Waves und ziemlich kurzen Shorts. Letztere warf eine halbe Sekunde lang einen Blick in meine Richtung und ging dann weiter, als wäre ich bloß ein lebloses Objekt.

Travis hob die Hände. Am linken Handgelenk trug er ein breites schwarzes Lederarmband. Das hätte ich ihm am liebsten heruntergerissen und um die Ohren geschlagen.

»Sorry, Shepley Maddox!«, rief er jetzt und schaute sich ebenfalls um. Dabei klang er irgendwie nach einem Roboter oder einem richtig miesen Schauspieler. Dann beugte er sich zu mir und flüsterte: »Hab vergessen, dass ich dich nicht mehr so nennen soll – zumindest nicht auf dem Campus.«

»Nirgendwo, du Penner. Warum bist du überhaupt hergekommen, wenn du dich so aufführst?«, fragte ich.

Travis schob den Schirm meiner Baseballcap mit den Fingerknöcheln so weit hoch, dass ich sie gerade noch festhalten konnte, bevor sie herunterfiel. »Ich erinnere mich noch genau an die Einführung für die Freshmen. Kann gar nicht glauben, dass das schon ein Jahr her ist. Verdammt seltsam.« Damit packte er ein Feuerzeug aus, zündete sich eine Zigarette an und blies grauen Rauch aus.

Ein paar Mädchen, die in der Nähe abhingen, fingen an zu schwärmen. Ich hatte Mühe, mich nicht zu übergeben.

»Du bist verdammt seltsam. Danke, dass du mir gezeigt hast, wo ich hinmuss. Aber jetzt verzieh dich.«

»Hey, Travis«, rief ein Mädchen, das noch ein Stück entfernt war.

Travis nickte ihr zu und stieß mich dann heftig mit dem Ellbogen an. »Bis später, Cousin. Während du dir langweiligen Scheiß anhörst, werde ich mich mal bis zum Anschlag in diese Brünette vertiefen.«

Travis begrüßte das Mädchen, wer auch immer sie sein mochte. Ich hatte sie im Vorjahr schon ein paarmal in den Kellern der Universität gesehen, wenn ich Travis zu seinen Kämpfen für The Circle begleitete, aber ich wusste nicht, wie sie hieß. Wenn ich so zusah, was zwischen ihr und Travis abging, konnte ich alles lernen, was man wissen muss. Sie war jedenfalls längst erobert.

Travis’ wöchentliche Bilanz hatte sich seit seinem Freshman-Jahr leicht verringert, aber nicht allzu sehr. Zwar hatte er es nicht laut gesagt, aber ich merkte ihm an, dass die fehlende Herausforderung des gemeinsamen Sportunterrichts ihn langweilte. Ich persönlich freute mich darauf, endlich mal ein Mädchen kennenzulernen, das er noch nicht auf unserer Couch flachgelegt hatte.

Die schwere Tür zur Cafeteria musste man regelrecht aufstemmen. Als ich eintrat, spürte ich sofort die angenehme Aircondition. Rechteckige Tische standen in fünf Reihen zusammengeschoben. Dazwischen war Platz zum Durchgehen und für den Zugang, um sich an der Theke und für die Salatbar anzustellen. In einer Ecke stand ein runder Tisch. Genau dort saßen die Blonde mit ihrer Freundin und einem auffallenden Typen mit wasserstoffblondem Faux Hawk, der aussah, als wüchse ihm direkt aus dem Haaransatz eine Wand.

Am Ende der Tischreihen, nahe genug zum runden Tisch, saß Darius Washington. Also wartete ich, bis er mich entdeckte. Sobald er hergeschaut hatte, winkte er mir auch schon wie erhofft zu, und ich gesellte mich zu ihm. Keine zehn Schritte von dem blonden Mädchen entfernt zu sein machte mich schon superglücklich, aber ich sah nicht zu ihr hin. Travis war zwar die meiste Zeit über ein arroganter Mistkerl, aber in seinem Umfeld lernte man nur zu gut, wie sich die Aufmerksamkeit eines Mädchens gewinnen lässt.

Lektion Nr. 1: Dranbleiben, aber nicht drängeln.

Darius winkte der Gruppe am runden Tisch zu.

Ich deutete mit dem Kopf. »Kennst du die?«

Er schüttelte den Kopf. »Nur Finch. Den hab ich gestern kennengelernt, als wir ins Wohnheim eingezogen sind. Er ist total witzig.«

»Und die Mädchen?«

»Nein, aber sie sind echt scharf. Alle beide.«

»Ich brauche jemanden, der mich der Blonden vorstellt.«

»Finch scheint mit ihnen befreundet zu sein. Die reden schon die ganze Zeit. Ich werde mal sehen, was ich tun kann.«

Ich legte ihm meine Hand schwer auf die Schulter und spähte hinüber. Unsere Blicke trafen sich, sie lächelte und schaute auch gleich wieder weg.

Cool bleiben, Shep. Verbock es nicht.

Die Warterei auf etwas so extrem Langweiliges wie den Einführungsvortrag wurde noch schlimmer durch meine Vorfreude darauf, dieses Mädchen endlich kennenzulernen. Hin und wieder hörte ich sie kichern. Ich nahm mir das Versprechen ab, mich nicht umzudrehen, aber ich brach es mehrmals. Sie war umwerfend. Mit riesengroßen grünen Augen und lockigem, langem Haar, das aussah, als hätte sie eben erst im Meer gebadet und es danach in der Sonne trocknen lassen. Je angestrengter ich ihrer Stimme lauschte, desto lächerlicher kam ich mir vor. Trotzdem hatte sie irgendetwas an sich, das mich dazu brachte, fieberhaft darüber nachzudenken, wie ich sie beeindrucken oder zum Lachen bringen konnte. Ich hätte alles getan, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und wenn es nur für fünf Minuten gewesen wäre.

Nachdem wir unsere Unterlagen bekommen hatten, mit einer Karte vom Campus und dem Menüplan, und nachdem die Regeln zum hundertsten Mal aufgezählt worden waren, entließ uns Mr Johnson, der Dekan, endlich.

»Warte, bis wir draußen sind«, sagte ich.

Darius nickte. »Keine Sorge. Hab schon verstanden. Wie in alten Zeiten.«

»In den alten Zeiten waren wir hinter Highschool-Girls her. Sie hier ist definitiv kein Highschool-Girl. Das war sie wahrscheinlich nicht mal zu der Zeit, als sie tatsächlich an der Highschool war«, sagte ich und folgte Darius nach draußen. »Sie ist selbstbewusst. Und sie sieht auch irgendwie erfahren aus.«

»Nee, Mann. Auf mich wirkt sie wie ein anständiges Mädchen.«

»Ich habe doch nicht die Art von Erfahrung gemeint«, zischte ich.

Darius kicherte. »Beruhig dich mal wieder. Du hast sie doch noch gar nicht kennengelernt. Und sei vorsichtig. Weißt du noch, mit Anya? Das war dermaßen durcheinander mit ihr, dass wir echt dachten, du würdest dabei draufgehen.«

»Hey, Scheißer«, meinte Travis, der etwa hundert Meter vom Eingang entfernt an einem Baum lehnte. Er blies einen letzten Zug aus, warf dann die Kippe auf den Boden und trat sie mit dem Stiefelabsatz aus. Er hatte das zufriedene Grinsen eines Mannes nach dem Orgasmus im Gesicht.

»Wie das denn?«, fragte ich ungläubig.

»Ihr Wohnheim ist gleich da drüben«, sagte er und deutete mit dem Kopf Richtung Morgan Hall.

»Darius wird mich gleich einem Mädchen vorstellen«, sagte ich. »Und du … hältst einfach die Klappe.«

Travis zog eine Augenbraue hoch und nickte einmal. »Klar, Schätzchen.«

»Das meine ich ernst«, sagte ich und sah ihn scharf an. Dann schob ich die Hände in die Taschen meiner Jeans und holte tief Luft, während ich Darius beim Small Talk mit Finch beobachtete.

Die Brünette war schon gegangen, aber zum Glück schien ihre Freundin es nicht eilig zu haben.

»Hör auf, so herumzuzappeln«, sagte Travis. »Du siehst aus, als würdest du dir gleich in die Hose pissen.«

»Halt die Klappe«, fauchte ich.

Darius zeigte in meine Richtung, woraufhin Finch und die Blonde zu Travis und mir schauten.

»Verdammt«, sagte ich und sah meinen Cousin an. »Red mit mir, sonst sehen wir wie Stalker aus.«

»Du bist ein Träumer«, stellte Travis fest. »Das wird Liebe auf den ersten Blick.«

»Kommen … kommen sie rüber?«, fragte ich. Mein Herz fühlte sich an, als wollte es jeden Moment meinen Brustkorb sprengen. Plötzlich verspürte ich das dringende Bedürfnis, Travis für seine flapsige Art eine runterzuhauen,

Lässig ließ er den Blick schweifen. »Yeah.«

»Yeah?«, wiederholte ich und bemühte mich, ein Grinsen zu unterdrücken. Ich merkte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat, und wischte ihn rasch weg.

Travis schüttelte den Kopf. »Man möchte dir am liebsten in die Eier treten! Du flippst jetzt schon wegen des Mädchens aus, dabei hast du sie noch gar nicht kennengelernt.«

»Hey«, sagte Darius.

Ich drehte mich um und vollführte mit der Hand, die er mir hinstreckte, eine Mischung aus High-Five und Handschlag.

»Das ist Finch«, erklärte Darius. »Er wohnt direkt neben mir.«

»Hi«, sagte Finch und schüttelte meine Hand mit einem Lächeln, das nach Flirten aussah.

»Ich bin America«, sagte die Blonde und hielt mir ebenfalls ihre Hand hin. »Die Einführung war ja echt brutal. Gott sei Dank ist man nur einmal Freshman.«

Aus der Nähe betrachtet war sie sogar noch hübscher. Ihre Augen glitzerten, ihr Haar schimmerte im Sonnenlicht, und die langen Beine sahen in den ausgefransten weißen Shorts geradezu himmlisch aus. Sie war sogar in Sandalen fast so groß wie ich. Ihren Mund mit den vollen Lippen fand ich schon beim Reden total sexy.

Ich ergriff ihre Hand und schüttelte sie. »America?«

Sie schmunzelte. »Nur zu. Reiß einen Witz. Ich hab sie alle schon mal gehört.«

»Kennst du ›Lass uns vögeln, Lady Liberty‹?«, fragte Travis.

Ich stieß ihn mit dem Ellbogen an und bemühte mich, nicht zu grinsen.

America bemerkte meine Geste. »Ja, in der Tat.«

»Dann … nimmst du mein Angebot an?«, scherzte Travis.

»Nein«, sagte America ohne Zögern.

Ja. Sie ist perfekt.

»Und wie wär’s mit meinem Cousin?«, fragte Travis und gab mir einen derart heftigen Stoß, dass ich einen Schritt zur Seite taumelte.

»Ach«, sagte ich fast flehend zu America, »du musst ihm verzeihen. Wir lassen ihn nicht oft raus.«

»Ich kann mir vorstellen, warum. Ist er echt dein Cousin?«

»Ich versuche, es nicht an die große Glocke zu hängen, aber ja.«

Sie musterte Travis kurz und richtete dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Möchtest du mir deinen Namen nicht verraten?«

»Shepley. Maddox«, fügte ich noch hinzu.

»Was machst du heute zum Abendessen, Shepley?«

»Was mache ich heute zum Abendessen?«, echote ich.

Travis stieß mich wieder an.

Ich schüttelte ihn ab. »Lass mich!«

America kicherte. »Ja, du. Denn deinem Cousin werde ich definitiv kein Date vorschlagen.«

»Warum denn nicht?«, fragte Travis gespielt gekränkt.

»Weil ich mich nicht mit Kleinkindern verabrede.«

Darius lachte dreckig, während Travis unbeeindruckt lächelte. Er machte absichtlich einen auf Großmaul, damit ich als Prince Charming dastand. Der perfekte Flügelmann.

»Hast du ein Auto?«, fragte sie.

»Hab ich«, sagte ich.

»Dann hol mich um sechs vor der Morgan Hall ab.«

»Klar … klar. Kann ich machen. Also bis dann«, sagte ich.

Sie verabschiedete sich schon von Finch und ging.

»Holy Shit«, flüsterte ich. »Ich glaube, ich bin verliebt.«

Travis seufzte und packte mich im Nacken. »Na klar bist du das. Und jetzt lass uns abhauen.«

America

Frisch gemähter Rasen, Asphalt in der Sonne und ein bisschen Autoabgase – diese Mischung würde mich für immer an den Moment erinnern, als Shepley Maddox aus seinem Vintage-Charger stieg und die Stufen der Morgan Hall hinauflief, wo ich stand.

Sein Blick glitt über mein blassblaues Maxikleid, und er lächelte. »Du siehst toll aus. Nein, besser als toll. Du siehst aus, als hätte ich mich mal lieber in Schale geworfen.«

»Du siehst durchschnittlich aus«, sagte ich mit Blick auf sein Poloshirt und seine wahrscheinlich beste Jeans. Dann beugte ich mich vor. »Aber du riechst super.«

Seine Wangen wurden so rot, dass man es trotz seiner bronzefarbenen Haut genau sah, und er lächelte wissend. »Dass ich durchschnittlich aussehe, hat man mir schon gesagt. Es wird mich trotzdem nicht davon abhalten, mit dir zu Abend zu essen.«

»Hat man dir das schon gesagt?«

Er nickte.

»Dann war es gelogen. Genau wie bei mir.« Ich ging an ihm vorbei die Stufen herunter.

Shepley überholte mich eilig und erreichte so den Griff der Beifahrertür vor mir. Mit einer fließenden Bewegung riss er sie auf.

»Danke«, sagte ich und stieg ein.

Das Leder fühlte sich auf meiner nackten Haut kühl an. Der Innenraum des Wagens wirkte frisch gesaugt und poliert. Es roch sogar nach einem dieser Lufterfrischer.

Kaum saß er auch, drehte er sich zu mir, was mich automatisch zum Lächeln brachte. Seine Begeisterung war so süß. Die Jungs in Kansas waren nicht so … bemüht.

Wegen seines goldfarbenen Teints und der kräftigen Armmuskeln, die sich bei jeder Bewegung wölbten, kam ich zu dem Schluss, dass er den ganzen Sommer über im Freien gearbeitet haben musste – vielleicht mit Heuballen oder beim Verladen von irgendetwas Schwerem. Seine grün-braunen Augen glühten fast, und das dunkle Haar – nicht ganz so kurz wie das seines Cousins Travis – war von der Sonne aufgehellt, sodass es mich an Abbys warmen Karamellton erinnerte.

»Eigentlich wollte ich dich zum Italiener ausführen, aber es ist ja inzwischen draußen kühl genug, um … ich … ich wollte mit dir Zeit verbringen und dich kennenlernen, aber nicht dauernd von einem Kellner gestört werden. Deshalb habe ich das vorbereitet«, sagte er und deutete mit dem Kopf zum Rücksitz. »Ich hoffe, das ist okay.«

Ich spürte Anspannung und drehte mich langsam um, weil ich sehen wollte, was er meinte. In der Mitte der Rückbank und mit dem Sicherheitsgurt festgeschnallt, stand ein zugedeckter Weidenkorb auf einer ordentlich zusammengefalteten Decke.

»Ein Picknick?«, fragte ich und konnte dabei das Staunen und die Freude in meiner Stimme nicht verbergen.

Er atmete erleichtert auf. »Genau. Ist das okay?«

Ich drehte mich wieder nach vorn, rutschte auf meinem Sitz hin und her und schaute dann stur geradeaus. »Das werden wir ja sehen.«

Shepley fuhr zu einem Privatgrundstück im Süden der Stadt. Er hielt kurz auf einer Schotterzufahrt und stieg aus, um das Tor aufzuschließen und zu öffnen. Der Motor des Dodge Charger brummte laut, während wir auf zwei Streifen nackter Erde über eine Riesenfläche mit hohem Gras rollten.

»Stammt der Weg hier von deinen Reifen?«

»Das Grundstück gehört meinen Großeltern. Weiter unten gibt es noch einen Teich, an dem Travis und ich früher immer geangelt haben.«

»Früher?«

Er zuckte mit den Achseln. »Wir sind die jüngsten Enkelkinder. Bis zur Middle School waren all unsere Großeltern auf beiden Seiten schon gestorben. Abgesehen davon, dass wir eh ziemlich beschäftigt waren mit Sport und Unterricht an der Highschool, fühlte es sich einfach nicht richtig an, hier ohne Grandpa zu fischen.«

»Das tut mir leid«, sagte ich. Ich hatte noch all meine Großeltern und kann mir nicht vorstellen, auch nur einen von ihnen zu verlieren. »Auf beiden Seiten? Du meinst auf drei Seiten, oder?«, fragte ich nach. »O Gott, tut mir leid. Das war ziemlich ungeschickt von mir.«

»Nein, nein … das ist eine berechtigte Frage. Die höre ich öfter. Wir sind in doppelter Hinsicht Cousins. Unsere Dads sind Brüder und unsere Moms Schwestern. Seltsam, was?«

»Nein, das ist doch toll.«

Hinter einem kleinen Hügel parkte Shepley den Dodge Charger unter einem schattigen Baum, ein paar Schritte von einem gar nicht so kleinen See entfernt. Das warme Wetter hatte die Rohrkolben und Seerosen wachsen lassen. Das Wasser sah herrlich aus und kräuselte sich in der leichten Brise.

Shepley öffnete meine Tür, und ich trat auf ein frisch gemähtes Stück Wiese. Während ich mich noch umblickte, holte er den Picknickkorb und einen Quilt aus dem Wagen. Auf den Armen hatte er im Gegensatz zu seinem schwer tätowierten Cousin kein einziges Tattoo. Ich fragte mich, ob unter seinem Shirt wohl welche sein mochten. Sofort verspürte ich das dringende Bedürfnis, ihn auszuziehen und nachzusehen.

Mit einer geschickten Bewegung breitete er die bunte Decke perfekt am Boden aus.

»Was?«, fragte er. »Ist es …«

»Nein, es ist herrlich. Ich bin nur … dieser Quilt ist so wunderschön. Ich möchte mich gar nicht draufsetzen. Er sieht nagelneu aus.« Der Stoff war noch steif, und man sah die Falten, wo er eben noch zusammengelegt gewesen war.

Shepley richtete sich stolz auf. »Den hat meine Mom gemacht. Sie hat schon Dutzende genäht. Den hier hat sie mir zum Schulabschluss gemacht. Er ist eine Kopie.« Seine Wangen röteten sich.

Holy Shit

Ich zog ihn enger an mich. Er drückte sich steinhart gegen mich, und ich summte, als ich den Stoff seiner Jeans und den Reißverschluss an meinen Fingerspitzen spürte, bevor ich ihm die Jeans aufknöpfte.

Als ich dann auch noch hineingriff, erstarrte Shepley. »Ich habe kein … Damit habe ich nicht gerechnet. Kein bisschen.«

Mit meiner freien Hand zog ich ein kleines Päckchen aus dem trägerlosen BH. »Fehlt dir so was?«

Shepley schaute auf die quadratische Verpackung in meiner Hand, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er schob sich nach hinten auf seine Knie und betrachtete mich. Ich stützte mich auf meine Ellbogen auf.

»Lass mich raten«, sagte ich und registrierte selbst meinen schneidenden Ton. »Wir haben uns gerade erst kennengelernt. Ich bin sexuell aufgeschlossen und habe ein Kondom mitgebracht. Das muss wohl bedeuten, dass ich eine Nutte bin und damit für dich total uninteressant.«

Er runzelte die Stirn.

»Sag schon. Sag, was du denkst«, drängte ich ihn. »Ich würde es gern in Echtzeit hören. Das halte ich schon aus.«

»Dieses Mädchen kann reden, ist witzig und sehr wahrscheinlich das schönste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Wie in Gottes Namen habe ich es geschafft, diesen Moment hier mit ihr zu erleben?« Halb verwirrt, halb ehrfürchtig beugte er sich vor. »Und ich bin mir nicht sicher, ob das hier ein Test ist.« Er schaute genau auf meine Lippen. »Denn glaub mir, falls es das ist, will ich ihn bestehen.«

Ich lächelte und zog ihn für einen weiteren Kuss zu mir. Er neigte den Kopf und kam mir bereitwillig entgegen.

Ich hielt ihn noch ein Stückchen auf Distanz, nur wenige Zentimeter von meinen Lippen entfernt. »Ich bin zwar schnell, aber ich mag es, langsam geküsst zu werden.«

»Das kriege ich hin.«

Shepleys Lippen waren voll und weich. Insgesamt wirkte er nervös und unerfahren, aber seine Art zu küssen erzählte eine andere Geschichte. Erst drückte er einen flüchtigen Kuss auf meine Lippen, ließ seinen Mund kurz auf meinem liegen, löste sich dann von mir, nur um mich dann erneut zu küssen.

»Stimmt es«, flüsterte er, »dass Mädchen, die es eilig haben, meist nicht lange bleiben?«

»Das ist eben die Sache am Schnellsein. Man weiß erst, was man tut, wenn man es ausprobiert.«

Er seufzte. »Tu mir nur einen einzigen Gefallen«, sagte er zwischen zwei Küssen. »Wenn du so weit bist, dass du mich fallen lassen willst, versuch es auf die sanfte Art.«

»Du zuerst«, flüsterte ich.

Damit drückte er mich auf die Decke zurück und vollendete, was wir begonnen hatten.