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Kurzbeschreibung:

"Das Lied des Paradiesvogels - Die Polynesien Saga" 

Hamburg, 1890. Die Zwillinge Thea und Daniel sind unzertrennlich. Als Daniel vom Vater auf eine Expedition in die deutschen Südseegebiete geschickt werden soll, erscheint allein der Gedanke an Trennung den Geschwistern kaum vorstellbar. Sie fassen einen Entschluss: Wenn sie gehen, dann nur gemeinsam und so schmieden sie einen gefährlichen Plan ... 

Auch der junge Hamburger Reeder Leopold Saarner macht sich mit dem Schiff auf den Weg nach Polynesien. Er muss auf der fernen Insel seinen unehelichen Halbbruder finden und zu seinem Vater bringen. Aber er hat eigentlich kein Interesse daran, sein Erbe zu teilen .. Der in Richtung Südsee fahrende Dreimaster beherbergt die Hoffnungen, Wünsche und Ängste der Hamburger - es beginnt eine lange Fahrt in eine ungewisse Zukunft.

Rebecca Maly

Das Lied des Paradiesvogels V

Die Polynesien - Saga 



Edel Elements

KAPITEL 18

Thea lag eng an Baptiste gekuschelt. Der Vollmond schien durch die Zweige des Großvaterbaums zu ihnen herab, sodass sie sein Lächeln sehen konnte, obwohl es längst Nacht geworden war. Sie lagen auf einem Bett aus Moos mitten im Dschungel, doch die Wildnis machte Thea keine Angst, nicht an seiner Seite.

Sie hatten gesündigt, aber es fühlte sich nicht so an. Der erste kurze Schmerz war längst vergessen, danach war es nur noch schön gewesen. Sie waren einander so nahegekommen wie nie zuvor. Wie ein Wesen mit zwei Herzen.

Nie wieder wollte Thea von hier fort. Ihr würde es reichen, hier mit Baptiste in diesem Wald zu leben und sich wieder und wieder zu lieben. Ihr Bruder, Hamburg, ja, die ganze Welt konnte ihr gestohlen bleiben. Hier konnte sie einfach nur sie sein, niemand verbot ihr, was sie tat oder fühlte.

Papua-Neuguinea war wirklich das Paradies, zumindest für Thea.

Sie ließ ihre Hand über Baptistes flachen Bauch gleiten, kreiste mit dem Finger um seinen Nabel, bis er leise aufkeuchte und die Muskeln anspannte.

Sie hielt in der Bewegung inne und stützte sich auf, damit sie ihm ins Gesicht blicken konnte. Im Licht des Vollmondes waren seine Augen so dunkelgrün wie der Wald.

„Baptiste“, sagte sie. Selbst sein Name war wie ein Schatz für sie.

„Hmm?“ Sein Mund umspielte ein Lächeln.

„Was wünschst du dir am meisten?“

„Lass mich überlegen.“ Er dachte überraschend lange nach. „Ich möchte, dass du mich mit nach Hamburg nimmst.“

„Was?“ Thea hatte alles erwartet – dass er sie wieder lieben wollte, sie einfach nur an sich zog oder vielleicht eine Liebeserklärung, die auf eine gemeinsame Zukunft hoffen ließ – nur das nicht.

„Meinst du das ernst?“, fragte sie enttäuscht. „Das ist dein größter Wunsch?“

„Ja“, sagte er. „Seit ich denken kann, bestimmt ein Fremder mein Leben. Und das nur, weil er meine Mutter unglücklich gemacht hat. Er ist schuld, dass ich weder das eine noch das andere bin. Aus der Ferne diktiert er, dass ich werden soll wie er, aber das kann ich nicht. Früher habe ich ihn geliebt, ohne ihn zu kennen, aber heute ... Ich will ihm ins Gesicht sehen und verstehen, was für ein Mensch er ist, damit ich weiß, welchen Weg ich einschlagen soll. Vorher finde ich keine Ruhe.“ Er berührte ihre Wange. „Ich weiß, dass du etwas anderes hören wolltest, meine liebe Thea, aber das ist die Wahrheit.“

Sie atmete tief durch. Warum sollte sie ihm böse sein, wenn er ihr eine ehrliche Antwort auf eine Frage gab, die sie selbst gestellt hatte? Dennoch sollte er wissen, wie es um sie stand. „Ich möchte nicht mehr nach Hamburg zurück. Ich möchte hierbleiben, hier bei dir. Wenn ich mit dir zusammen bin, bin ich einfach glücklich. Ich würde sogar die Fotografie für dich aufgeben.“

Er wirkte regelrecht bestürzt. „Thea, ich möchte nicht, dass du irgendetwas für mich aufgibst! Das würde ich niemals von dir erwarten. Niemand sollte etwas für einen anderen aufgeben oder um hohe Erwartungen zu erfüllen, hörst du?“

Baptiste sah sie beschwörend an. Sie nickte langsam.

„Sonst wärst du doch nicht mehr meine Thea“, fügte er sanft hinzu und küsste sie auf den Mund. Sie erwiderte den Kuss erst nur zögernd, dann schloss sie ihn in die Arme.

Er zog sie auf seinen Schoß, und dann liebten sie sich noch einmal, und es war noch intensiver und schöner als beim ersten Mal.

Hin und wieder hielt Baptiste sie an den Hüften fest, dann hielten sie inne, ganz eng aneinander gepresst. Zu einem einzigen Wesen verschmolzen.

Thea grub die Hände ins Moos, fühlte die weiche, federnde Erde unter sich, und über ihnen schirmte sie der Großvaterbaum, alt wie die Zeit selbst. Sich hier zu lieben war mehr als nur Lust. Sie gingen einen Bund miteinander und mit dem Wald ein. Thea liebte nicht nur Baptiste, sondern auch sein Land. Nie wieder wollte sie fort.

***

Ein einheimischer Führer ging voran. Acht Matrosen, mit Äxten und Haken bewaffnet, folgten ihm. Leopold und Daniel bildeten hoch zu Ross den Schluss. Fackeln erhellten die Nacht, doch auch ohne ihren flackernden Schein konnten sie weit sehen. Der Vollmond sandte bläuliches Licht über das Land.

Leopold wusste noch immer nicht so recht, was er von dieser Unternehmung halten sollte. Es war nur zwei Stunden her, da waren er und Klawitt gleichzeitig bei der Nordstern eingetroffen. Der junge Fotograf war völlig außer sich gewesen. In abgehackten Sätzen hatte er berichtet, dass seine Schwester zwar lebte, nun aber von einem unverbesserlichen Heiden entführt worden sei, der nach ihrer Unschuld trachtete. Wenn sie die beiden nicht schnell genug fänden, wäre Theas Seelenheil ein für alle Mal dahin.

„Was will dieser Kerl mit ihr?“, hatte er gefragt.

„Zu einem Hexenort will er sie bringen, einem Baum des Teufels! Dort will er Unzucht mit ihr treiben oder sie opfern oder beides!“

Das klang in Leopolds Ohren etwas arg übertrieben, aber nachdem er den Namen des Entführers erfahren hatte, war er sofort bereit gewesen, einen Suchtrupp zusammenzustellen. Sie hatten die kräftigsten Matrosen mitgenommen, Männer, die vor keiner Schlägerei zurückschreckten. Wenn es tatsächlich sein Bastardbruder Adam Baptiste war, der das Mädchen entführt hatte, dann würde er sein Problem womöglich auf elegante Art lösen können. Nur hoffentlich war Thea nichts geschehen. Nicht auszuhalten, wenn dieser Mistkerl ihr Gewalt antäte.

In Leopold brodelte es. So wie die gesamte Reise bislang verlaufen war, würde es wieder keine einfache Lösung geben. Ohne ihm je begegnet zu sein, entpuppte sich der Bastard zu seiner Nemesis. Jetzt versuchte er auch noch, ihm das Mädchen wegzunehmen. Aber da hatte er sich geschnitten.

Thea war sein. Sie wären längst verlobt, wenn ihre Krankheit nicht dazwischengekommen wäre.

Der Führer gab den Matrosen ein Zeichen. Einer nach dem anderen löschten sie nun ihre Fackeln. Leopold sprang aus dem Sattel, und Klawitt tat es ihm nach. Ein Mann würde mit den Pferden und einer Laterne zurückbleiben, die anderen gingen langsam weiter, nachdem der Führer ihnen mit brennendem Eifer im Blick den Weg gewiesen hatte.

Leopold wandte sich an Klawitt. „Der Papua, warum macht er das? Warum verrät er einen von sich?“

„Bruder Bernhard, der Mönchsvorsteher, hat ihm versprochen, dass er nach dem Tod direkt in das Himmelreich der Weißen auffährt, wenn es ihm gelingt, Thea zu retten und diesen Teufelsbaum zu vernichten.“

„Dann hat er es wohl sehr eilig mit dem Himmelreich“, erwiderte Leopold und musste ein Stück rennen, um mit den Matrosen und dem Führer Schritt zu halten.

Sie befanden sich mittlerweile im tiefsten Dschungel. Auf dem Trampelpfad vor ihnen zeichneten sich die Hufabdrücke mehrerer Pferde ab. Angeblich hatte der Entführer drei Tiere dabei. Die Trittsiegel im schlammigen Grund waren frisch, also waren sie auf der richtigen Fährte.

Leopolds Herz begann zu hämmern. Ein abwechselnd heißes und kaltes Kribbeln wurde in seinem Nacken spürbar. Das war das Fieber der Jagd. Mittlerweile bereute er, den Kapitän nicht doch um ein Gewehr gebeten zu haben oder wenigstens eine Axt in der Hand zu halten.

Der Suchtrupp kam zum Stehen. Vor ihnen war eine Lichtung, auf der drei Pferde grasten. Nervös sahen sie den Männern entgegen, dann senkten sie eines nach dem anderen wieder den Kopf.

Sie schlichen weiter. Daniel überholte die Männer plötzlich und blieb neben einem Unterstand stehen. „Das sind Theas Sachen, sie war hier.“

Der einheimische Führer bekreuzigte sich mit grotesk überzogener Geste. „Sie sind bei dem Baum, dort! Teufelsbaum. Mitkommen.“

Sie folgten ihm auf einen Pfad. Klawitt und er liefen nun direkt hinter dem bekehrten Papua. Leopold starrte auf den Boden, sorgsam darauf bedacht, jedes Hindernis zu umgehen, um nicht zu stolpern und die Unternehmung so zu gefährden.

Auf ein Zeichen hin blieben sie stehen und schwärmten zu beiden Seiten aus.

Ein Stöhnen war zu hören, doch es war keiner von ihnen. Thea! Was tat dieser Mistkerl ihr nur an?

Wind kam auf und verwehte den Klang unvorsichtiger Schritte, während sie näher heranschlichen. In Leopold waren jede Faser und jeder Muskel wie zum Zerreißen gespannt. Ein Baumstamm versperrte ihm die Sicht, er schlich an ihm entlang, und dann sah er sie. Halb hinter Farn verborgen, trieben es zwei miteinander. Er konnte den bloßen Rücken des Kerls sehen und seinen Hintern, der sich stetig auf und ab bewegte.

Unter ihm musste Thea liegen. Sie schrie nicht, warum auch? Gab es hier doch niemanden, der ihr zur Hilfe eilen konnte. Sie musste die Hoffnung aufgegeben und sich in ihr Schicksal ergeben haben. Plötzlich erinnerte er sich wieder an ihr Gespräch auf dem Schiff. Er solle sich nicht verantwortlich für sie fühlen, nur weil sie mit ihm reiste, hatte sie gesagt. Und dass es ihn ja auch nicht gekümmert hätte, wenn sie an einen miesen Ehemann geriete. Doch da hatte sie sich geirrt. Ganz gewaltig!

Mein Gott, sie musste kaum noch am Leben sein! Wollten die anderen denn nicht endlich einschreiten? Oder hatten sie ihre Positionen noch nicht erreicht?

Leopold ballte die Fäuste so sehr, dass seine Arme bis zu den Schultern hinauf zitterten.

Der Bastard hielt ermattet inne und rutschte von ihr herunter. Thea konnte er noch immer nicht sehen, dafür aber den Teufelsbaum, gewaltig wie kein anderer, den er je erblickt hatte. Der Stamm teilte sich in mehrere Klüfte, die in Wurzeln übergingen. Zwischen zweien von ihnen lag der Entführer mit seinem Opfer, und es sah aus, als spreize der Stamm hinter ihnen die Beine. Ja, wenn ein Gewächs des Teufels war, dann dieses.

Leopold sah zur Seite und entdeckte einen Matrosen, der von dem Schauspiel eher fasziniert als abgestoßen war. Dem lüsternen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hätte er kein Problem damit, die Rettungsmission fahren zu lassen und einfach die Stelle des Bastards einzunehmen. Ihn kümmerte es nicht, ob eine Frau ihn wollte oder nicht.

Der Entführer sagte etwas. Hatte er sie bemerkt?

***

Baptiste bedeckte Theas Wangen und dann ihre Kehle mit Küssen. Als er sich schließlich neben sie legte, lächelte sie ihn an. In ihren Augen blitzte verklingende Lust. Dieses Mal hatte sie es so viel mehr genossen als beim ersten Mal, genau wie er.

Sie flüsterte seinen Namen und drückte sich an ihn, als ein kühler Wind aufkam. „Von den Bergen zieht Regen her, wir sollten zum Unterstand gehen“, sagte er leise.

„Schade, ich wäre gern die ganze Nacht hiergeblieben“, erwiderte sie, und er wusste, dass sie darunter mehr verstand, als nebeneinander einzuschlafen. Er fasste nach seiner kurzen Hose, die er meist statt des Schurzes trug, wenn er mit Thea zusammen war oder über die Plantage ritt, und zog sie über. Thea hatte ihren Rock gefunden und suchte nun im Liegen nach dem Mieder. Baptiste setzte sich auf, zog es von einem Wust aus Lianen und hielt dann inne. „Schhh.“