Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2017

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Text: Claire Singer

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung von folgendem Bildmaterial: solominviktor, Ivan Negin, Marinka Alisen / Shutterstock.com

Umsetzung eBook: Zeilenwert GmbH

ISBN eBook 978-3-8458-2395-9

ISBN Printausgabe 978-3-8458-1529-9

www.arsedition.de

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Für meinen Sohn, der aus Recherchegründen

im Sommer gebrannte Mandeln essen musste

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Freitag, 30. November

Samstag, 1. Dezember

Sonntag, 2. Dezember

Montag, 3. Dezember

Dienstag, 4. Dezember

Mittwoch, 5. Dezember

Donnerstag, 6. Dezember

Freitag, 7. Dezember

Samstag, 8. Dezember

Sonntag, 9. Dezember

Montag, 10. Dezember

Dienstag, 11. Dezember

Mittwoch, 12. Dezember

Donnerstag, 13. Dezember

Freitag, 14. Dezember

Samstag, 15. Dezember

Sonntag, 16. Dezember

Montag, 17 .Dezember

Dienstag, 18. Dezember

Mittwoch, 19. Dezember

Donnerstag, 20. Dezember

Freitag, 21. Dezember

Samstag, 22. Dezember

Sonntag, 23. Dezember

Montag, 24. Dezember

Weitere Titel

Leseprobe zu "Almost Famous"

Freitag, 30. November

Maja zieht den Schal fester um Hals und Mund. Gar nicht so einfach, denn es ist ein Witz von einem Schal, dünn und mit einem Muster aus Löchern. Ein eisiger Wind fegt in die Ecken des Schulhofs, in die sich kleine Grüppchen Schülerinnen drücken und die Köpfe zusammenstecken. Nur Maja hat eine Ecke für sich. Eigentlich völlig klar, Maja wundert sich auch längst nicht mehr und zieht noch ein wenig fester an den Schalfransen, die schon bessere Zeiten gesehen haben.

Diese Situation hat ihr Cleo eingebrockt. Cleo, die Schöne. Cleo, die Anführerin. Cleo, die »Ich reiß die Klappe so weit auf, dass alle sehen, dass ich keine Zahnspange tragen muss«. Cleo aus Reichtumshausen. Cleo, die Beliebte. Die Daumen-rauf/Daumen-runter-Institution.

In Majas Fall ist das Mobben für sie eine eher einfache Aufgabe. Denn Maja ist zwei Köpfe kleiner als Cleo, unscheinbar, dünn, mit einem blassen Gesicht. Maja hängt nachmittags auch nicht an den üblichen In-Treffs ab. Maja kann keine Nachrichten schreiben, denn sie hat kein eigenes Smartphone. Maja schreibt bessere Noten als Cleo, obwohl sie weniger Zeit hat. Denn Maja muss ihrer Mam helfen. Bald jeden Tag, und das nicht in einer Edelboutique oder in einem schicken Lokal, sondern auf dem Künstlerweihnachtsmarkt, der morgen eröffnet wird. Was heißt, dass Maja die nächsten 24 Tage nach der Schule gebrannte Mandeln und Postkarten verkaufen wird. Von 14 bis 20 Uhr. Bei Wind und Wetter. Vor Englischarbeiten. Nach anstrengenden Sportstunden. Während andere bei Adventsfeiern sitzen, Plätzchen backen und in Ruhe ihre Geschenke basteln, wird Maja ranklotzen müssen, sonst können sie und ihre Mam einpacken. Licht aus, Hartz IV beantragen. Der jährliche Künstlerweihnachtsmarkt ist die Haupteinnahmequelle. Köstlicher als Mams Mandeln sind keine anderen. Schöner verpackt auch nicht, denn Majas Mam lässt sich immer wunderschöne Tütenmuster einfallen. Mal mit altmodischen Miniblumen, andere mit leuchtenden Punkten und Schnörkelschrift, wieder andere mit Rentieren darauf oder mit bunten Schneemännern. Keines wie das andere, denn Mam bedruckt kleine weiße Papiertüten mit Stempeltechnik. Dazu schnitzt sie aus dicken Riesenradiergummis die Motive, färbt die Stempelflächen mit Acrylfarbe und verziert so die Tütchen. Die haben Sammlerwert, und das ist das Geheimnis von Mams Mandelstand: Manche Kunden kommen jeden Tag und kaufen so viele Mandeln, als wollten sie selbst damit handeln. Alles nur wegen der hübschen Verpackung. Meistens nehmen sie dann auch noch einige Postkarten mit, die Mam in derselben Technik mit Weihnachtsmotiven bedruckt. Denn Majas Mam ist eigentlich Illustratorin. Aber leider hat es nie gereicht, um damit genug Geld zu verdienen. Und dann kam der Tag, als sie von ihrem Onkel einen Karamellisierofen geerbt hat. So einen großen Kupferkessel, in dem Wasser, geschmolzener Zucker und Vanille jene honigfarbene Mischung ergeben, in die man feinste Mandeln aus Ägypten rührt und so lange dreht und wendet, bis sie einen hauchzarten Knackmantel aus Zucker bekommen. Dann kommt Majas Lieblingsarbeit. Die dampfenden Mandeln mit einer Kelle aus dem Topf holen und in eine der zierlichen Künstlertütchen füllen. 100 Gramm für drei Euro. Maja hat schon oft geholfen, allerdings immer nur ausnahmsweise, wenn Mam sie nach langem Anbetteln gelassen hat oder Mams Freund Jan keine Zeit hatte.

Dieses Jahr ist alles anders. Denn Majas Mam ist schwanger. Und Jan ist weg. »Wegen Panik«, »einer anderen«, »zu viel Verantwortung«, »noch nicht reif für ein Kind«, »so viel Veränderung«, »können wir uns nicht leisten«, »wie soll das gehen« oder von allem etwas, hat Mam gesagt, nachdem sie drei Tage geheult hat wie ein Schlosshund und schließlich Jans Siebensachen in einen kackbraunen Müllsack gesteckt hat. Das war vor acht Monaten, und das Würmchen in Mams Bauch hatte damals noch die Größe einer Erdnuss. Heute spricht Mam von ihrem Elefantenbaby, wenn sie sich über den Bauch streicht, der sich tatsächlich mächtig unter dem dicken Wollmantel wölbt. Dass der Bauch total unpraktisch beim Mandelnkaramellisieren ist, ist ja logisch. Deswegen hat Majas Mam eine hölzerne Riesenkelle gekauft und einen Elefantenlöffel, mit dem man über den Bauch hinweg im tiefen Topf die Mandelmasse rühren kann. Sie muss, wenn sie daran denkt, hinter ihrem Schal ein wenig glucksen. Bei dem ganzen Haufen Kummer, den Mam in den letzten Monaten hatte, ist anscheinend passend zum Bauch auch ihr Humor gewachsen. Sehr praktisch, vor allem für Maja, die in der Schule wenig zu lachen hat.

Maja lässt die fransigen Schalenden los und beschließt, wieder ins Schulhaus zu gehen. Zu eisig ist die Luft, von der sie in den nächsten dreieinhalb Wochen noch genug haben wird, denn der kleine Mandelstand bietet keinen guten Schutz gegen die Kälte. Und für neue Winterstiefel hat es auch nicht gereicht.

Maja bemerkt aus dem Augenwinkel, dass ihre spezielle Freundin Cleo mit einem kleinen Fantrupp über den Schulhof schlendert. Nicht allzu schnell, aber zielgerichtet, genau auf Maja zu.

»Na, bald Zimtparty, Maja? Pass auf, dass du dich in deinem Kupferkessel nicht verläufst. Und nasch nicht so viel, siehste ja, was das mit der Figur macht, wenn du deine Mutter anschaust!« Ein waschechter Cleo-Kommentar, bei dem sie sich sicher sein kann, dass alle ihre Freundinnen sie nun bewundern. Cleos Witze sind billig und entsprechend nervig. Maja hat seit einiger Zeit eine gute Strategie entwickelt, um die Bosheiten abtropfen zu lassen. Ihre Mam nennt es das Teflonprogramm, aber heute gelingt ihr das nicht ganz. Vielleicht weil der Witz auf Kosten ihrer Mam ging, die nun wirklich die absolute Pechkarte gezogen hat. So viel Pech, wie es sich die reiche, behütete Cleo wohl nicht vorstellen kann, ganz abgesehen davon, dass Maja Cleos Verstand auf Mandelgröße einstuft. Aber das wäre unfair den Mandeln gegenüber.

»Ach Cleo, wenn du schon deine lächerlich kleine Witzkiste öffnest, dann schütte sie doch nur über Anwesende aus. Und jetzt lass mich durch, mir ist kalt!« Maja versucht zwischen Cleo und ihren vier Bewunderinnen durchzuwischen, die sich wie ein Sichtschutz aufgestellt haben und an ihren Fingernägeln knabbern.

»Ach, ich dachte, du stehst auf Polarjobs?« Cleos Blick ist zwischen Pitbull und Zuckerwatte angesiedelt und erwischt Maja genau in dem Augenblick, in dem sie sich durch die Viererkette Mädels durchdrängeln will.

»Danke Cleo, du hast einfach Einfühlungsvermögen und bringst es wie immer auf den Punkt!« Auch wenn Majas Stimme noch ein bisschen dünn klingt, hat sie sich wieder gefangen. Sie registriert den abschätzigen Blick Cleos, der sie nicht beeindruckt, auch nicht ihre spöttisch verzogenen Mundwinkel und schon gar nicht die Eisblicke der Cleo-Crew. Eisig ist es ohnehin, da hilft nur eins: Schal hoch bis zu den Augen und durch. Leider übersieht Maja bei der Aktion die vorwitzigen Stiefelspitzen Cleos und legt sich einmal lang.

Nur nicht aufregen. Maja rappelt sich wieder hoch und geht, ohne sich noch einmal umzudrehen, ins Schulhaus. Als Cleo noch ruft: »Pass auf, dass du keine Mandelaugen bekommst!«, perlen die Worte schon wieder an der bewährten Teflonschicht ab. Bis heute Nachmittag wird der Vorfall nur noch eine müde Erinnerung sein. Dann wird sie mit ihrer Mam die letzten Vorbereitungen am Weihnachtsmarkt treffen, und Cleo kann ihr wahlweise am Nord- oder Südpol begegnen.

Ein Weihnachtsmarkt am Tag vor der Eröffnung ist nicht wirklich romantisch, und man kann sich kaum vorstellen, wie daraus ein »Winterzauberglück« werden soll. So wird der Künstlerweihnachtsmarkt nämlich dieses Jahr heißen. Wer auch immer sich diesen Titel ausgedacht hat, war noch nie mit dem Aufbau des Weihnachtsmarkts beschäftigt. Überall liegen leere Kisten herum. Schachteln wehen durch die Budenstraße wie Heuballen in einer Westernstadt. Hellgelbe Sägespäne haften an allem, was man anhat. Zwischen Bretterböden und künstlichen Zäunen stapeln sich die Müllsäcke. An allen Büdchen werden noch Restdekorationen angebracht. Tannenzweige hängen wie Unkraut von den Budendächern und noch hat sich niemand beim Verlegen der Kabel so rechte Mühe gegeben. Alle 24 Buden bilden einen Ring um ein kleines Podium, auf dem jeden Nachmittag Musik oder kleine Theaterstücke vorgespielt werden sollen, und über allem thront eine Tanne, die über und über mit sehr bunten Sternen geschmückt ist. Toni, der Sohn vom Filz-Josef aus dem Bayerischen Wald, der in diesem Jahr zum ersten Mal den Nachbarstand betreibt und dort Filzschuhe verkauft, hat da in der letzten Woche kräftig mitgearbeitet und lief dabei wie zufällig immer wieder Maja über den Weg, die ihrer Mutter beim Aufstellen des Verkaufsstandes und der Kochgeräte geholfen hat. Toni ist zwölfeinhalb und Maja damit um ein halbes Jahr überlegen, aber im Umgang mit dem diesjährigen Weihnachtsmann leider auch keine Hilfe. Denn der für diesen Künstlerweihnachtsmarkt zuständige Weihnachtsmann, der eigentlich erst nach dem 6. Dezember seine großen Auftritte hat, übt seine erzieherische Rolle im Vorfeld schon ausgiebig ein.

»Das gibt ein kräftiges Minusstrichlein in meinem großen Buch, Maja, wenn du weiterhin mit diesem Toni rumhängst, anstatt deiner armen Mutter zu helfen, die ja wohl noch so ein Teil wie dich in die Welt setzen muss!«

Das ist nur einer von vielen gleich klingenden Sätzen, die der dicke Typ, der den Weihnachtsmann spielt, in den letzten Tagen losgelassen hat. Und während Toni knallrot vor Wut wird, lässt Maja die Bosheiten souverän abgleiten. Was trotz Übung gar nicht so einfach ist, denn der Dicke streicht sich bei seinen Kommentaren immer ausladend über seinen echten Bauch, zieht an seinem echten Bart und grinst so schief, dass man seine von zu vielen Zigarren gelb gefärbten Zähne sieht. Echt appetitlich. Maja schüttelt sich, wenn sie daran denkt, dass der Dicke, der schon Tage vor der Eröffnung des Markts seinen roten Umhang trägt, alle naselang auftaucht, um Gift zu verspritzen. Wer den für den Job engagiert hat, hat noch nie was von Tolkiens Briefen vom Weihnachtsmann gehört, geschweige denn gelesen. Majas absolutes Lieblingsbuch in der Vorweihnachtszeit. Entstanden ist es, weil Tolkien über Jahre hinweg seinen vielen Kindern vor Weihnachten Briefe geschrieben hat. Briefe vom Weihnachtsmann, der am Nordpol haust und zusammen mit seinem gutherzigen, aber leider völlig verpeilten Helfer von einem Missgeschick ins nächste stolpert. So wie Majas eigener Vater, der gestorben ist, als Maja fünf war. Auch ein Künstler und zu gut für diese Welt. Leider eben auch zu schwach. Und zu arm, aber das rutscht Majas Mam nur ganz selten raus, wenn sie mal wieder am Monatsende alle Pfandflaschen zusammensuchen, um einen Minieinkauf hinzubekommen, bevor Paps’ Minirente eintrudelt. Bei diesen Gedanken bekommt Majas Seelenteflon immer kleine Risse und sie muss ganz schön schlucken. Jetzt nur nicht losheulen, das fehlt noch, genügt schon, wenn einem die Kälte Tränen in die Augen treibt. Gleich nach der Schule läuft Maja zum Weihnachtsmarkt. Mit einem kleinen Hungerloch im Bauch und einem Schulranzen, der sich wie eine Ladung Betonklötze anfühlt.

Für heute Nachmittag scheint sich der gemeine Gelbzahnweihnachtsmann oder die Rotbauchkröte, wie ihn hier alle nennen, was ganz Besonderes ausgedacht zu haben. Maja bemerkt es schon, bevor sie auf das Gelände des Markts kommt. Majas Mam steht mit in den Rücken gestemmten Händen vor ihrem Stand und unterhält sich mit dem Filz-Josef, der mit seinen Riesenpranken weite Bewegungen macht. Als Maja näher kommt, verstummen beide, und Maja umarmt ihre Mam, der sie die Aufregung an den hektischen Flecken ansieht. Das kann natürlich auch an dem stattlichen Filz-Josef liegen, der auffällig oft zu ihrem Stand hinschaut und Mam den einen oder anderen heißen Tee rüberbringt. Wenn man ehrlich ist, sind es solche Mengen an Tee, dass kein einzelner Mensch sie trinken kann, auch wenn er ein Elefantenbaby mit sich herumschleppt. Das alles hat Maja in den letzten Tagen natürlich auch gesehen und sich ein bisschen für ihre Mam gefreut, die mit der ganzen Aufmerksamkeit kaum umgehen kann. Geht mir nicht so, denkt Maja, als der Toni angeschlendert kommt, ihr eine Tüte Maroni reicht und scheinbar platzt vor Neuigkeiten.

»Die Gelbzahnkröte hat alle Budenbesitzer beim Organisator verpetzt, dass sie nicht rechtzeitig fertig werden, das Ganze ein Saustall wäre und wir Künstler eh nichts vom Geschäft verstehen würden. Glaubst du das? Dieser Fleischberg in Rot, dieser Riesenfliegenpilz traut sich das? Hat selbst nichts zu erledigen hier, als ab dem 6. Dezember Bonbons zu verteilen, ein Goldenes Buch herumzuschleppen und mit seinem Nikolausstab zu wedeln. Ich könnt platzen. Und mein Paps auch und deine Mam auch, oh entschuldige, ich wollte nicht …« Der Toni verschluckt sich fast an seiner Maroni, weil er die Doppeldeutigkeit in dem Augenblick kapiert, in dem er sie ausspricht. Maja muss lachen, auch wenn sie jetzt Mams hektische Flecken verstehen kann. Denn sie kann sich noch genau an den Paragrafen im Vertrag erinnern, den hier alle unterschreiben mussten, wenn sie einen Stellplatz für ihren Stand mieten wollten: »Wer seinen Stand nicht rechtzeitig in ordnungsgemäßem Zustand gemäß § 2 der Marktordnung fertigstellt, muss eine Konventionalstrafe von 500 Euro bezahlen.« Mam wollte deswegen den Vertrag damals fast nicht unterschreiben, aber natürlich sind eben genau diese 24 Tage vor Weihnachten die wichtigste Einnahmequelle des Jahres. Ganz abgesehen davon, dass es eine Ehre ist, auf diesem Weihnachtsmarkt einen Platz zu haben. Nur künstlerisch Wertvolles darf hier verkauft werden, und es gibt jede Menge Neider, die finden, dass hübsch gestaltete Mandeltüten und Sammlerpostkarten nun kein Vergleich sind mit ihren Keramikzwergen oder Schnitzbrettchen.

Jedes Jahr ist die Aufnahme in die Liste der 24 eine Zitterpartie, und bisher hat es immer geklappt. Wenn nun aber ein übereifriger Weihnachtsmann Polizist spielt, haben sie alle ein Problem. Der Filz-Josef hat es dieses Jahr mit seinem Sohn das erste Mal geschafft. Auch die beiden Kerzenzieher aus dem Erzgebirge und der Schnitzer mit seinen modernen Krippenfiguren, die so kunstvoll einfach gestaltet sind, dass sie auch als Einzelfigur ein Schmuckstück sind und das ganze Jahr aufgestellt werden können, sind zum ersten Mal dabei. Eigentlich sind die 24 Standl-Besitzer, wie man sie hier nennt, eine Art Familie. Keiner ist darunter, der nicht reinpasst, obwohl alle ein wenig wunderlich sind. Die äthiopische Strickerin mit ihren originellen Hundemäntelchen kommt seit Jahren, auch der Glaskünstler, der Seifenmann, die Hutmacherin. Kein Wunder, dass sich der blöde Weihnachtsmann unbeliebt macht.

»Trinkt erst amal einen Tee, ist eine Mischung aus Ringelblüten und Ingwer mit ein bissl Kardamom und g’scheit viel Honig!« Der Filz-Josef ist ein praktischer Mann, den nichts so leicht umwirft, aber wenn Majas Mam hektische Flecken kriegt, scheint ihn das nicht kaltzulassen. Maja verbrüht sich gleich mal die Zungenspitze an dem heißen Gebräu, das wie geschmolzenes Weihnachtszauberglück schmeckt, auch wenn hier zunächst nichts nach Glück und Zauber aussieht, sondern nach mächtig Ärger und noch viel Arbeit. Und was noch viel schlimmer ist, Mam scheint heute keine Kraft mehr zu haben. Das geht ja schon gut los. Wie soll das nur in den nächsten vier Wochen werden?

Immer mehr der Budenbesitzer versammeln sich vor Mams kleinem Stand, bewundern die schönen, neuen Tütchen und den Ständer mit den ausgesucht schönen Postkarten. Kein Motiv wie das andere. Die Arbeit eines Jahres. Und Mam ist am Ende. Das Elefantenbaby, der verschwundene Vater dazu, das fehlende Geld. Wenn Maja und ihre Mam eines bräuchten, dann wäre es ein Weihnachtswunder.

Samstag, 1. Dezember

Und dann ist gestern doch tatsächlich noch ein großes Wunder geschehen. Maja kriegt Gänsehaut, wenn sie daran denkt. Sie konnte ihrer Mutter die Sorgen und, was noch viel schlimmer war, die Kraftlosigkeit ansehen. Und nachdem Maja noch die Geschichte mit dem dämlichen Weihnachtsmann gehört hatte, war ihr klar, dass Mams Reserven langsam aufgebraucht waren.

Als Mam so schwach auf ihrem Stühlchen in ihrem Stand saß und selbst Josefs Wundertee nicht geholfen hat, sind nach und nach alle Standbesitzer zusammengekommen. Aifa, die Äthiopierin mit ihren Stricknadeln, der Glasbläser-Willi, Mereth, die Königin der Strohsterne, Max, der Kerzenkünstler, Kiki, die Lebkuchen in selbst bemalten Blechdosen verkauft, Schorsch mit den entzückenden Kissen aus Schaffellen, der Kirschkern-Rudi mit seinen Wärmekissen, Lina, die über und über mit ihrem eigenen Schmuck behängt ist, die Malerin Selma, Kira und Mike mit den selbst gemachten, herrlich schrägen Sockentieren, die Handschuh-Emma, der Kugel-Joscha, der Rosenkugeln und Weihnachtskugeln fertigt, Leila mit den Duftpotpourries aus ihrem eigenen Garten, der Glühwein-Sandro, der eine Art warmen Sangria mit und ohne Alkohol herstellt, Samira und ihre Zauberplätzchen in den zierlichen Spanschachteln, Essig-Esra, Seifen-Merlin, ein lustiger Freak, dem die wohlriechendsten Seifen gelingen, die Pfannkuchen-Brüder Kiko und Miko, Xavi und seine Holzfiguren, die Trockenobst-Senta, die die besten Apfelringe der Welt verkauft, und die Hut-Wilma mit ihren eigenwilligen Kopfbedeckungen. Und schließlich kommt auch noch der Werner vom Kinderkarussell, der mit seiner altmodischen Uniform wie ein Zirkusdirektor wirkt.

Sie alle standen zunächst samt dem Filz-Josef und dem besorgt guckenden Toni um den halb fertigen Mandelstand herum und dann haben alle schließlich mitgeholfen. Im Nu sah der Stand aus wie eine Eins, und Mam hat die hektischen Flecken gegen eine fröhliche Röte getauscht. Der Filz-Josef bezog das auf seinen Tee und brachte gleich noch eine Tasse. Und schließlich ist ihm noch der blendende Einfall gekommen, dass immer einer der übrigen 23 Standbesitzer am Nachmittag bei Mam aushelfen könnte, stattdessen solle Maja dann in den anderen Ständen beim Verkaufen helfen. Damit wäre für Abwechslung gesorgt, und Mam müsse nur mittags zum Mandelbraten und die Abendstunden von 17.00 bis 19.30 Uhr am Stand sitzen. Die Idee musste noch ein wenig diskutiert werden, weil nicht alle gleich verstanden hatten, dass das in der Zeit bis Weihnachten für jeden nur einen Nachmittag bedeuten würde. Doch nachdem der Filz-Josef gleich mal die Reihenfolge festgelegt hatte, war alles klar.

Und das Prinzip »Wir bauen die Stände zusammen auf« hat dann auch bei allen anderen blendend funktioniert. Um 20 Uhr sah der Markt tipptopp aus. Genau rechtzeitig, bevor der selbst ernannte Nikolauspolizist seine Runde drehte, überall an den Verkleidungen herummeckerte und mit spitzen Fingern Papierreste aufhob. Toni erspähte ihn als Erster, als er mit schmatzenden Schritten um die Ecke bog, um sich unter der Weihnachtstanne eine Zigarre anzuzünden, die dann wie ein schmauchender Schornstein aus seinem Bartgestrüpp ragte. Bis dahin hatte beste Stimmung am Markt geherrscht und Maja hatte sogar so etwas wie Lampenfieber bekommen. Was für eine coole Idee, in den verschiedenen Buden auszuhelfen. Das wird nicht nur Spaß machen, sondern vermutlich auch noch richtig spannend sein, vielleicht lernt sie dann auch Pfannkuchen zu backen und Lebkuchen herzustellen, vom Glasblasen und Schnitzen ganz zu schweigen. Maja schwebte auf einer Wolke, in der sie sich schon als Meisterin aller Handwerkskünste sah. Kurz bevor sie sich völlig in ihren Träumen verlor, posaunte der Weihnachtsmann dazwischen.

»Geht ja wohl nicht mit rechten Dingen zu hier, alles nur zum Schein ordentlich, seh ich doch, nichts hält richtig, lasst mal den ersten Schnee kommen, dann fliegen euch die Tannenzweige und Sterne um die Ohren. Künstler, von wegen …« Maja hätte dem Typ am liebsten die Barthaare einzeln zu Rastalocken gedreht. Toni hatte die Fäuste in den Taschen geballt, und der Filz-Josef machte den Eindruck, als wollte er den Typ mit heißem Tee übergießen. Nur Mam hatte ihre Fassung wiedergefunden.

»Herr Weihnachtsmann, wir schaffen das ganz gut alleine hier. Vielleicht üben sie schon mal ein wenig für ihre Aufgabe in den nächsten Wochen: »Gütig sein« und »den Menschen Freude schenken« sind ja nicht so Ihre Stärken, da müssen Sie noch ein bisschen feilen an der Rolle!« Mams Worte klangen wie Samt und der rauchende Bart keuchte. Einige der Budenbesitzer rückten näher zusammen und ein Stück auf den Weihnachtsmann zu, der im Gegenzug zurückwich. Fast wäre er über seine Stiefel gefallen, die mindestens vier Zentimeter dicke Sohlen hatten und mit Schnürsenkeln zugebunden waren, mit denen man früher Schiffe vertäut hätte. So wie der auftritt, ist er tatsächlich angezogen, dachte Maja gestern. Ein Trampel, dem jedes Feingefühl abgeht.

Nur langsam hatte die Gruppe sich dann aufgelöst und der Filz-Josef samt seinem Sohn ist ein bisschen wehmütig nach Hause gegangen. Also das, was man Zuhause nennen kann, denn die beiden leben während der Zeit des Weihnachtsmarkts in einem Wohnmobil. Maja hatte das Gefühl, dass er nach einer Runde Tee auch gerne noch ein paar Worte mit Mam gewechselt hätte. Irgendwie rührend, wie der Mann mit seinen Riesenpranken die kleinen Hände von Mam genommen und so etwas wie einen Handkuss angedeutet hat. Toni hielt es mit der Verabschiedung ein wenig zeitgemäßer und klatschte Majas Hand ab. Anschließend hat Maja ihrer Mam geholfen, die letzten Tüten zu verstauen und den Stand für die Nacht zu verriegeln, also Fensterläden zu, Gitter davor, abschließen. Das klingt zwar einfach, ist es aber nicht, weil die Gitter und die Läden sperrig sind und die Sicherheitskette schwerer als der ganze Stand zu sein scheint. Jedenfalls schwitzte Maja ziemlich, als sie in ihrem Rücken eine wohlvertraute Stimme hörte:

»Wusste gar nicht, dass Mandelbraten Schwerstarbeit ist. Zu blöd, dass euch der Mann weggelaufen ist, der euch helfen könnte.« Eindeutig ein echter »Cleo«-Kommentar, den konnte Maja nach diesem Tag noch brauchen. Sie drehte sich um. Cleo war in weißen Plüsch gekleidet und hatte Stiefel an wie aus einem Theaterstück. Pelzbesatz, farbige Bommel und Stickereien. Der Unterschied hätte nicht größer sein können: Maja in ihrer Arbeitskluft, in der sich Tannennadeln und Sägespäne verfangen hatten, wirr verklebte Haare und Rußspuren im Gesicht. Giftspritze Cleo dagegen im Eisrevue-Look.

»Ach Cleo, mach dir nichts draus, dass du diesen Sport nicht ausüben kannst, aber Mandel-Jogging ist einfach nichts für Sensibelchen und du willst dir auch bestimmt deine Klamotten nicht schmutzig machen!«

Ein bisschen stolz war Maja schon auf ihre schlagfertige Antwort, aber Cleos Gegenkommentar wollte sie dann doch nicht mehr abwarten. Sie hatte ihr das Victory-Zeichen gezeigt und ihre Mam, die noch beim Filz-Josef stand, mit sich gezogen.

Man muss Tage nicht überstrapazieren. Für den gestrigen Tag waren es eindeutig genug Kicks. Schließlich ist die Vorweihnachtszeit doch die Zeit des Friedens. Bis jetzt hat Maja davon nichts bemerken können, aber heute wird alles anders werden. Heute wird der Markt eröffnet werden, und wenn alles gut geht, werden sie ein ordentliches Geldpolster fürs nächste Jahr anlegen, schließlich brauchen kleine Elefantenbabys neben viel Liebe jede Menge Windeln.

In der Nacht konnte Maja dann kaum schlafen. Was für ein Glück, dass der 1. Dezember in diesem Jahr auf einen Samstag fällt. Maja und ihre Mam starten mit einem echten Weihnachtsfrühstück in den ersten Tag auf dem Weihnachtsmarkt. Zimtpfannkuchen, Obstsalat und Vanilletee. Heute schon geht der Adventsmarathon los.

Maja zieht die wärmste Unterwäsche an, die sie finden kann. Flauschige Leggings mit kleinen Schneesternen drauf. Das ist zwar ein bisschen peinlich und wäre für Cleo ein gefundenes Fressen, aber die Chance, dass Cleo erfährt, wie Majas Winterwäsche aussieht, ist ja eher gering. Schließlich kommen über die flauschigen Schneesternchen noch eine Thermohose, ein selbst gestrickter Norwegerpulli und ein Anorak mit Kapuze. Mam zieht sich und dem Elefantenbaby eine ähnlich reizvolle Kombination an. Als beide zum Frühstück in ihrer winzigen Küche zusammentreffen, sieht es aus wie die Jahreskonferenz der Michelin-Männchen, und Maja und ihre Mam vergessen über der komischen Situation fast, die Milch rechtzeitig vom Herd zu nehmen. In der Wohnung ist alles furchtbar klein, aber das verstärkt noch ein wenig mehr den Eindruck der Puppenstube. Mam hat alle Wände mit ihrer Stempeltechnik verziert.

»Früher konnten sich nur die reichen Menschen eine Tapete leisten, bei den anderen wurden die Wände bemalt oder eben bestempelt«, erzählt Mam, wenn man sie danach fragt, denn sie hat auch einmal Innenarchitektur studiert, und das sieht man der Wohnung auch an. Trotz Platzmangel ist alles an seinem Platz, mal in die Höhe gebaut, mal hinter Bildern versteckt. Alles in leuchtend pastelligen Farben wie in der Karibik, wo Mam mit Majas Vater mal eine Zeit lang gelebt hat, als sie noch sehr jung und sehr idealistisch waren und dachten, von Sonne, Liebe und Kokosnüssen leben zu können.

Majas Mam, die am Markt alle Mandel-Maria nennen, stellt die Zimtpfannkuchen, Stollen und Kakao auf den Tisch, dazu Obstsalat und Joghurt.

»Für den ersten Tag auf dem Weihnachtsmarkt, der noch dazu auf das erste Adventswochenende fällt, muss man eine Grundlage im Bauch haben«, sagt Mam und streicht mit der einen Hand ihrem Baby im Bauch scheinbar über den Kopf, mit der anderen Maja die Haare zurück, die sich heute einfach nicht zu einem Pferdeschwanz binden lassen, nachdem Maja sie gewaschen und geföhnt hat. Majas Haare sind fein und dünn und laden sich im Winter durch Mützen, Kälte und Heizungsluft gerne auf. Wenn andere Mädchen mal von einem »Bad Hair Day« sprechen, könnte Maja von einer ganzen »Bad Hair Season« reden, so genervt ist sie manchmal von dem fliegenden Feenhaar auf ihrem Kopf. Ihre Mam nennt sie dann liebevoll »mein Seidenäffchen«, und Maja witzelt weiter, dass Mam bald einen eigenen kleinen Zoo hat, wenn das Elefantenbaby erst einmal da ist.

Doch heute früh ist für solche Fantasien kein Platz, denn beide sind ziemlich aufgeregt. Noch dazu hat das Baby Mam nachts ordentliche Boxstöße verpasst, und Mam ist somit unausgeschlafen, der Kakao ist leicht angebrannt und Maja kriegt von den Köstlichkeiten auf dem Tisch fast nichts runter. Der Druck ist zu groß, dass dieser Weihnachtsmarkt ein finanzieller Erfolg wird, und Mam, die eine große Träumerin ist und eigentlich die Welt nur in den leuchtendsten Farben sehen möchte, ist von diesem komplett unromantischen Ziel total genervt. Als Maja sie ein bisschen aufheitern möchte, sagt sie nur »Ach Maja« und lässt sich auf einen bunten Korbstuhl plumpsen. Um 12 fängt der Weihnachtsmarkt an, und es ist 11 und beide sitzen in Skiunterwäsche in der Küche und schwanken zwischen Lampenfieber, Erwartungsdruck und einem mulmigen Gefühl, das Weihnachtsgeschäft heißt. Eine Wortkombination, von der Majas Paps immer gesagt hat, dass sie auf die Liste der Hasswörter gehört. Maja knabbert an einem kleinen Stück Stollen, als ihr einfällt, wie sie Mam aufheitern könnte. Sie holt aus ihrem Zimmer eine Schnur, an der 24 Streichholzschachteln aufgereiht sind. In jeder ist ein Gutschein drin, zum Beispiel für 1 x Abspülen, 1 x Einkaufen, 1 x Vorlesen. Mit diesem Adventskalender kommt sie in die Küche zurück, genau in dem Augenblick, in dem ihre Mam einen Adventskalender aufhängt: 24 Streichholzschachteln an einer Schnur.

»Das gibt’s doch nicht, Mam, wir hatten beide dieselbe Idee!« Maja drückt ihre Mam vorsichtig und packt gleichzeitig ihre erste Streichholzschachtel aus: zwei entzückende Glasperlen. Nach 24 Schachteln wird sie 48 Stück davon haben, daraus kann man eine kleine Kette oder ein großes Armband machen.

»Hurra, einmal Abspülen, danke, Seidenäffchen, dann mal los!« Mam, die ihre erste Schachtel ebenfalls ausgepackt hat, freut sich über den Haushaltsdienst, den Maja gleich einlösen darf. Denn jetzt müssen sie sich beeilen. Bevor um 12 Uhr eine Akkordeon-Truppe mit Schunkelmusik den Weihnachtsmarkt eröffnet, muss der Karamellisierofen noch aufheizen.

Als Maja und ihre Mam auf dem Markt ankommen, ist dort schon richtig viel los, nur der Filz-Josef ist heute merkwürdig verschlossen und griesgrämig. Vielleicht hat er auch Lampenfieber, meint Majas Mam und versucht ihn mit einem Glas Tee aus ihrer Thermoskanne aufzuheitern:

»Josef, hier, für dich, ist selbst gekaufter Teebeuteltee mit fremdgepflückter Pfefferminze und viereckigen Zuckerstücken!« Aber der Filz-Josef scheint heute keinen Humor zu haben, selbst Toni winkt ab und sagt, dass mit seinem Pa heute nichts anzufangen wäre.

»Der brummt heut wie a Bär, den ma aus ’m Winterschlaf g’rissen hat!« Dabei macht der Toni ein Geräusch, das entfernt an einen Getriebeschaden erinnert, und schwankt breitbeinig im Kreis. Maja findet’s komisch, Tonis Pa weniger und lädt dem Toni eine Fuhre Filzwolle auf den Arm, mit der er die Auslagefläche an ihrem Stand bedecken soll. Toni rollt mit den Augen und Maja verabschiedet sich. Ihre Mam wird jetzt die erste Fuhre Mandeln anrösten, gerade so viel, dass es für den Nachmittag reicht und Aifa, die Äthiopierin, für zwei Stunden ihren Stand hüten kann, während Mam sich zu Hause noch einmal ausruht. Aifa hat sich als eine der Ersten zum Hilfsdienst gemeldet, und Maja macht sich bei ihr am Stand jetzt gleich schlau, wie das mit den Stricksachen so ist.

Aifa steht vor ihrem Stand, als Maja ankommt, in der Hand je fünf Hundepullover in allen Größen. Gestrickt in dicken Zopfmustern oder kariert, mit Streifen oder bunten Flecken. Die Äthiopierin hat eine tiefe, rauchige Stimme, ist schmal und ziemlich groß und sieht mit ihren hoch aufgetürmten schwarzen Locken, dem bunten rostroten Tuch darum und ihrem ebenfalls selbst gestrickten gelbbraunen Pullover ein wenig aus wie eine Giraffe.

»Säähhrr gut, dass du kommst, Maja, du kannst gleich all die Pulloverrrrrchen aufhängen und diese Prrrrreiszettelchen anbrrringen. Damit alles seine Orrrdnung hat!« Aifa gurrt die R immer wie ein Pürierstab, schnell und gleichmäßig. 100 R in einer Sekunde, nennt Maja das und freut sich über den Singsang. Außerdem findet sie Aifas Hundepullöverchen total süß. Und weil Aifa ja nicht doof ist und weiß, dass nur die Hälfte aller Weihnachtsmarktbesucher einen Hund hat und davon nur die Hälfte einem Hund ein Pullöverchen anziehen würde und davon wiederum nur die Hälfte einen Pullover tatsächlich kaufen würde, hat sie auch noch Stulpen, Kinderpullover und Strickminiröcke, die man einfach als Wickel über die Jeans zieht, im Angebot. An die nestelt Maja nun kleine Preisschildchen, während sie dem gebrummelten Akzent Aifas zuhört.

»Orrrrdnung ist die halbe Leben. Aberrrr, sage mir, Maja, was ist die andere Hälfte? Oder müssen wir unsärrrrren Wachhund von eine Weihnachtsmann frrragen? Wo ist därrrr übärrrrhaupt? Hast du diese, wie sagst du immärrrr, Gelbzahnkrrröte heute schon gesehen? Ich nicht. Aber ich värrrmisse ihn auch nicht. Diese Petzi. Das ist eine wundärrrbare Worrrt in Deutsch!«

»Es heißt Petze, Aifa, P E T Z E!« Maja könnte sich kringeln, wenn sie Deutschunterricht mit Aifa spielen darf, ein Spiel, das schon seit Jahren gut funktioniert. Aifa nennt viele Wörter deshalb Weihnachtsmarktwörter, weil sie sie dort gelernt hat.

Nachdem Aifa fünfmal das Wort Petze wiederholt, dabei immer lauter wird, hören beide, wie das Eröffnungskonzert beginnt. Sieben Akkordeons können einen ganz schönen Lärm machen und dabei ordentlich für Stimmung sorgen. Im Nu ist der Platz zwischen den Buden voller Leute. Maja kann kaum mehr zum Mandelstand hinüberschauen. Die Akkordeons kriegen sich gerade gar nicht wieder ein, irgendein Sinti-Roma-Traditional mit ungeheurem Tempo.

»Da wirrrrd unsärrrr Weihnachtsmann-Spion einen Hörsturrrrz krrrrriegen. Muss errrr sich gleich beschwärrren!« Aifa ist immer noch bei ihrem Lieblingsthema, dem Vollhonk von Weihnachtsmann. »Hässlicherrrrr Gelbe-Zähne-Mann, därrrr!« Aifa hat sich in Rage geredet und wedelt mit ihren langen Armen, die von gelben Tütenärmeln mit braunem Camouflagemuster bedeckt sind. So wütend hat Maja Aifa noch nie erlebt. Der Weihnachtsmann muss ihr mächtig auf die Nerven gegangen sein. Okay, ihnen allen, aber jetzt könnte Aifa mal wieder Ruhe geben. Gut, dass sie jetzt zum Mandelstand verschwinden muss, um Mam abzulösen.

Der Rest des Nachmittags vergeht in Majas Augen wie im Flug. Toni kommt zweimal vorbei, jedes Mal, wenn Maja gerade ein Hundepullöverchen verkauft. Voller Bewunderung ist er, denn sein Paps mit seiner Stinklaune bringt heute nichts an den Mann oder an die Frau. Aifa huscht einmal schnell herüber, um zu sehen, ob Maja zurechtkommt, und freut sich über das erste Geld in der Kasse.

»Lass die Piepen rrrrrollllään, Maja, strrrickä doch nicht, damit die Krrrrrram liegen bleibt!« Piepen ist auch so ein typisches Weihnachtsmarktwort, das Aifa in der letzten Saison gelernt hat und nun bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit anwendet. Kurz bevor Maja wieder zum Mandelstand zurückkehren will, um ihrer Mam bei der Schlussschicht Gesellschaft zu leisten, hört Maja nur allzu vertraute Laute.

»Oh, wie cool ist das denn, schaut mal, unsere Maja ist unter die Hundemodeschöpfer gegangen.« Cleo hält sich ein Hundemäntelchen vor die Brust und flötet: »Steht mir das, Kinder?«

Ihre »Kinder«, wie sie ihre Groupies nennt, nicken kichernd. Eigentlich klar, Cleo könnte auch sagen, dass Hundewürstchen gegrillt am besten schmecken, und sie würde für diesen Nicht-Witz bewundert werden.

»Kannst du das wieder hinhängen, es wird sonst dreckig!« Maja hat heute keine Teflonmethode parat.

»Na, wenn die Sachen irgend so eine Töle trägt, werden sie doch auch dreckig!« Cleo ist in Kampfstimmung und Majas Stimmung ist im Keller. Sind denn heute alle auf Krawall gebürstet? Der sonst so friedliche Filz-Josef vergrault sich die Kunden mit Brummeligkeit, Aifa hetzt gegen den Weihnachtsmann, und Cleo hat wahrscheinlich einen Adventskalender, der mit Reißnägeln gefüllt ist und ihr die nötige Kratzbürstigkeit verleiht.

»Komm Cleo, lass die gute Seite in dir zum Klingen kommen und zieh Leine, außerdem steht dir die Farbe von dem Hundepullover eh nicht. Dazu ist deine Haut zu leichenfarben!« Autsch, solche Kommentare wird Maja büßen müssen, gar nicht gut, wo ist denn nur ihre Teflonschicht abgeblieben?

Cleo und ihr Begleitschutz beziehen auch gleich Stellung. Zwei rechts, zwei links von Cleo. Bei zwei rechts, zwei links muss Maja lachen, die stellen sich doch glatt als Strickmuster auf.