cover

IGNAZ HOLD

TODESEILAND

Buch

Eine herrenlose Pistole, ein unerklärlicher Geruch im Speisesaal, geheimnisvolle Hotelgäste und zwei Leichenfunde stellen commissaire Jean-Luc Papperin während seines Sommerurlaubs auf der Provence-Insel Porquerolles vor ein Rätsel. Hinzu kommen Informationen vom Geheimdienst, die die Anti-Mafia-Behörde in Paris in Alarmbereitschaft versetzen.

Bereits nach wenigen romantischen Ferientagen, die er zusammen mit seiner Freundin Nia verbringt – mit Schwimmen im tiefblauen Mittelmeer, mit Wanderungen durch die mediterrane Insellandschaft und mit dem Genuss der Sterneküche des vielgerühmten Gourmethotels – holt ihn die Pflicht ein. So traumhaft sein Urlaub begonnen hatte, so abrupt endet er wieder. Papperin wird von höchster Stelle beauftragt, das Zentrum des Verbrecherkartells zu zerschlagen, das auf seiner Urlaubsinsel vermutet wird.

Er trifft auf ein Geflecht von dunklen kriminellen Verwicklungen, bei deren Entwirrung seine langjährige Freundin unter Mordverdacht gerät, und seine engste Mitarbeiterin in Todesgefahr.

Autor

Ignaz Hold ist ein Pseudonym. Der Autor, ein reiselustiger Wissenschaftler, hat seit einem Vierteljahrhundert in der Provence eine zweite Heimat gefunden und kennt diesen Fleck Europas wie seine Westentasche. Er erholt sich, wann immer sein Beruf es ihm erlaubt, vom Stress des Universitätsalltags in seinem Haus in der Haute Provence. Dorthin, in die ländliche Idylle eines provenzalischen Dorfes, zieht er sich zurück, um zu schreiben. Neben nüchternen Fachbüchern entstehen dort seine Provencekrimis, in denen er den ganzen provenzalischen Mikrokosmos mit all seinen Problemen, Charakteren, landschaftlichen und kulinarischen Reizen einfängt und in spannende Krimis einfließen lässt.

 

 

 

Ignaz Hold

TODESEILAND

Commissaire Papperins dritter Fall

Ein Provencekrimi

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„…et là-bas, à l’horizon, une île s’étalait paresseusement au milieu de la surface irisée, avec des collines très vertes, des rochers rouges et jaunes.“

 

„… und dort hinten, am Horizont, erhob sich gemächlich, mitten aus der schillernden Meeresfläche, eine langgestreckte Insel mit sattgrünen Hügeln, mit roten und gelben Felsen.“

 

Georges Simenon über die Insel Porquerolles

In: Mon ami Maigret, Paris 1949

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Ein seltsamer Fund

Donnerstag, 13. August

„Das darf niemand finden! Wo kann ich es nur verstecken?“, grübelte Amélie Perronet. Sie blickte auf das Tagebuch, dem sie gerade ihre Gefühle anvertraut hatte, las ihre pathetisch-kindlichen Formulierungen wieder und wieder. In ihrem Kopf erlebte sie das heimliche Treffen mit Simon, dem hübschen Hotelpagen, aufs Neue. Das war gestern Nacht. Ihre Eltern hatten sich mit einem Urlauberehepaar angefreundet und in der Hotelbar die neue Bekanntschaft gefeiert und ausgiebig mit Champagner begossen, während sie Amélie in ihrer Suite friedlich schlafend gewähnt hatten. Wenn die wüssten!

Immer noch schwebte Amélie in einer anderen Sphäre, weit über allen prosaischen Alltagsproblemen. Diese hatten sie aber schnell wieder eingeholt und fest im Griff. Eine Katastrophe, wenn ihre Eltern das Tagebuch fänden. Sie musste ein Versteck finden, wo es absolut sicher war – vor allem vor ihrer Mutter.

Die zwölfjährige Amélie bewohnte mit ihren Eltern ein Ferienappartement im Luxushotel L’Étoile de l’Île auf der Insel Porquerolles. Sie schaute sich in der Hotelsuite um, suchte nach einem geeigneten Platz. Ihr Blick wanderte von ihrem kleinen Arbeitstischchen zur Sitzgruppe mit den bequemen Sofas und Sesseln. Sollte sie das Buch unter einem der dicken Polster verstecken? Nein, die Gefahr, dass es dort entdeckt wurde, war zu groß. Sie suchte weiter. „Vielleicht auf dem Balkon?“, rätselte sie. Vor der schmiedeeisernen Brüstung stand seitlich rechts und links je ein riesiger länglicher Trog aus weißem Marmor, auf dem mehrere dichte Oleanderbüsche Sichtschutz vor neugierigen Menschen auf den Nachbarbalkons boten. Nach vorne fiel der Blick kaum behindert durch das Balkongitter hinab auf den Strand. Nein, auch hier war kein Versteck. Oder sollte sie das Tagebuch in der Erde neben den Büschen vergraben? Aber das war ihr zu schmutzig. Und außerdem – wenn es regnete, dann würde alles kaputt gehen. Sie suchte weiter. Das Bad? Nein, dort war alles glatt, weiß gefliest, ohne geheime Nischen, in die man das flache Büchlein zwängen könnte. Im Schlafzimmer ihrer Eltern wollte sie das Buch nicht verstecken. Da käme sie nachts nicht daran, genau in der Zeit, in der sie ungestört mit ihren Aufzeichnungen Zwiesprache halten konnte. Heute war ein Ausnahmetag. Ihre Eltern hatten mit den neuen Freunden einen Ausflug aufs Festland nach Toulon gemacht und würden erst abends mit dem letzten Schiff zurückkommen. Es hatte sie viel Betteln und Flehen gekostet, im Hotel bleiben zu dürfen. Schließlich hatten ihre Eltern nachgegeben. Sie durfte bleiben. Es wurde ihr aber streng verboten, das Hotelareal zu verlassen. Vor allem durfte sie keine Spaziergänge machen, weder in das etwa eine halbe Stunde entfernte Dorf Porquerolles, noch an den Strand, und schon gar nicht auf die crêtes, die steilen Klippen, über die die Insel nach Süden ins Meer abstürzte. Vor allem ihre Mama war überängstlich. Was konnte ihrem kleinen Mädchen nicht alles passieren – sie könnte von den Felsen abstürzen, oder beim Schwimmen ertrinken, oder von Kriminellen entführt werden. Amélie hatte hoch und heilig versprochen, sich strikt an alle Verbote zu halten. Dies war ihr überhaupt nicht schwer gefallen, denn sie wollte gar nicht weg, sondern im Hotel bleiben und sich mit Simon treffen, wann immer sein Dienst als Page ihm dies erlaubte.

Amélie ging suchend in der großen, aus zwei Schlaf-, einem Wohnzimmer, einem Bad und einem Vorraum bestehenden Suite umher. Der Heizkörper in der Eingangsdiele zog ihren Blick an. Unter einem weißen Marmorsims und hinter einer Verkleidung aus dunkel-rötlichen Mahagonilamellen schimmerten grau die Rippen des Radiators. Sie schob das daumendicke Büchlein zwischen die Lamellen. Doch das war nichts, man konnte es von außen sehen. Als sie es wieder herauszog, merkte sie, dass das Mahagonigitter sich bewegte. Sie rüttelte daran und plötzlich fiel es ihr entgegen.

„Ein cooles Versteck!“, murmelte sie und schob ihr Tagebuch von oben hinter den kalten Heizkörper. Doch es ließ sich nicht weit genug hinunterschieben. Irgendetwas war im Weg. Sie nahm ihr Buch wieder heraus und griff hinein. Nur wenige Zentimeter unter der Oberkante spürte sie ein Hindernis. Sie betastete es mit den Fingerspitzen. Es fühlte sich wie weicher Stoff an. Aber dahinter war etwas Festes – hart und lang, deutlich mehr als ihre Handspanne. Sie nahm ihre zweite Hand zu Hilfe und schob es langsam hoch. Es rutschte oben über den Heizkörper und fiel mit lautem Knall auf den Steinfußboden. Amélie schreckte zurück. Vor ihr lag matt-schwarz glänzend und hart mit dem weißen Marmor kontrastierend, eine Pistole. Ein braunes flauschiges Tuch glitt langsam über die Lamellen und landete sanft auf dem Boden.

Ängstlich nahm sie die Waffe, hob sie mit zitternden Fingern hoch, trug sie ins Wohnzimmer und legte sie vorsichtig auf den Couchtisch. Was sollte sie jetzt tun? Simon holen? Aber der müsste das der Direktion melden. Die würden ihn dann fragen, was er in ihrer Suite zu suchen hatte. Nein, ihn wollte sie nicht hineinziehen. Wer weiß, was er für Probleme mit der Hotelleitung bekäme. Die Rezeption anrufen? Die Polizei?

„Nein, ich warte auf maman und papa! Die wissen bestimmt, was zu tun ist!“, überlegte sie laut. Sie wollten mit dem letzten Schiff um 19.00 Uhr zurückkommen. Bis sie dann mit der navette de l’hotel, dem kleinen Minibus, mit dem das L’Étoile de l’Île die Hotelgäste vom Hafen abholte, bei ihr wären, würde es halb acht sein. Amélie beschloss, auf der Couch im Wohnzimmer sitzen zu bleiben und die Pistole zu bewachen, bis ihre Eltern zurück waren.

„Mein Tagebuch!“ Erschrocken blickte sie sich um. Es lag noch vor dem Heizkörper. Sie trug es in ihr Zimmer und versteckte es unter der Matratze ihres Bettes. Jetzt hatte sie keine Nerven, nach einem besseren Versteck zu suchen.

***

Chérie, es war wunderschön. Schade, dass du nicht mitkommen wolltest!“ Mit lautem Gepolter stürmte Frau Perronnet in das Appartement. Sie stoppte abrupt, als sie ihre Tochter bewegungslos vor dem Couchtisch sitzen sah. Das Kind wirkte irgendwie verstört. Sein Blick war auf den Tisch vor ihm gerichtet.

„Mein Schatz, geht es dir nicht gut? Fehlt dir etwas?“

Sie machte ein paar Schritte in das Zimmer, dicht gefolgt von ihrem Mann. Ginette Perronnet schaute ihrer Tochter besorgt in die Augen.

„Da, das hab ich gefunden!“

Jetzt erst sah die Mutter die Waffe auf dem Glastisch. Zuerst glaubte sie, Amélie hatte eine Spielzeugpistole gefunden, die Kinder früherer Hotelgäste vergessen hatten. Sie merkte ihren Irrtum jedoch sofort, als sie das Ding aufhob. Schwer und kalt lag es in ihrer Hand.

„Claude, die ist echt!“, rief sie erschrocken zu ihrem Mann. Neugierig nahm Perronnet seiner Frau die Waffe aus der Hand und betrachtete sie voller Interesse, während die Mutter sich neben Amélie auf die Couch setzte und ihr Kind beschützend in die Arme nahm.

„Wo hast du die her?“

Claude Perronnet, immer noch fasziniert von dem Fund, denn er hatte noch nie eine echte Pistole in der Hand gehabt, schaute seine Tochter fragend an.

Amélie deutete auf den Vorraum.

„Da, hinter dem Holzgitter.“

Aller Augen richteten sich auf den Durchgang zur kleinen Diele und auf die rotbraune Mahagoniverkleidung des Heizkörpers. Amélie hatte es nicht geschafft, sie wieder richtig in der Wandnische zu befestigen. Das hölzerne Gitter war schräg gegen den Radiator gelehnt.

„Aber was hast du dort zu suchen gehabt?“

Was sollte sie darauf antworten. Sie konnte doch unmöglich sagen, dass sie nach einem Versteck für ihr Tagebuch gesucht hatte.

„I… i… ich bi… bin gestolpert und dagegen gefallen. Da ist das Ding rausgegangen und die Pi… Pistole ist mir entgegengefallen.“

Gott sei Dank war ihr diese Notlüge gerade noch rechtzeitig eingefallen.

„Mein armer Liebling! Hast du dir wehgetan? Dich verletzt?“

Besorgt drückte Ginette ihre Tochter fester an sich.

Claude Perronnet hatte inzwischen die Inspektion des Fundes abgeschlossen. Gerne hätte er weiter daran herum manipuliert, den Schlitten bewegt und den Abzug berührt. Aber das traute er sich nicht. Was, wenn sich ein Schuss gelöst hätte? Eine innere Unruhe erfasste ihn. Wie kam diese Waffe in ihre Hotelsuite? Hatten hier vorher Gangster gewohnt? Womöglich kamen die wieder, um die Pistole zu holen. Vielleicht waren sie in Gefahr – Ginette, Amélie und er. Noch nie war er in einer derartigen Situation gewesen – weder privat, noch in seiner Funktion als stellvertretender Bürgermeister von Bordeaux, obwohl er dort weiß Gott viel erlebt hatte. Er wurde zusehends nervöser. Aber das konnte er sich doch nicht anmerken lassen. Deshalb verkündete er mit gespielter Souveränität:

„Darum soll sich das Hotel kümmern. Ich rufe den concièrge an.“

Wenige Minuten später klopfte es. Der Empfangschef und der Hoteldirektor standen vor der Türe. Claude Perronnet bat die beiden herein. Dann überreichte er die in das braune Tuch gehüllte Pistole dem Hotelchef.

„Das ist meiner Tochter entgegengefallen, als sie im Vorraum gestolpert und gegen das Heizungsgitter gefallen ist. Nehmen Sie das Ding und machen Sie damit, was Sie für richtig halten. Aber sorgen Sie dafür, dass wir damit nicht belästigt werden. Schließlich wollen wir uns hier in Ruhe erholen.“

Bien sûr monsieur le maire! Selbstverständlich werden wir alles tun, damit Sie und Ihre Familie einen angenehmen, ungestörten und erholsamen Urlaub in unserem Haus genießen können.“

Nach diesen Worten verließen die beiden Hotelmanager die Suite.

„Ich werde wohl die Gendarmerie informieren müssen.“, meinte der Empfangschef im Aufzug.

„Nein, auf keinen Fall. Mitten in der Hochsaison! Das bringt nur Unruhe und schädigt den Ruf unseres Hauses.“

Er reckte die Hand zu seinem Untergebenen:

„Geben Sie mir die Pistole! Ich werde sie, zusammen mit einer Aktennotiz über die Umstände des Fundes in einem versiegelten Couvert im Hotelsafe verwahren.“

Commissaire Papperin macht Urlaub!

Samstag, 15. August

Tiefblauer Himmel wölbte sich über dem windgepeitschten und mit Schaumkronen übersäten Mittelmeer. Keine Wolke hinderte die mittägliche Sonne daran, ihre gleißenden Strahlen zur Erde zu schleudern.

Die amour des îles stampfte unruhig durch die bewegte See. Der starke Mistral schob unablässig hohe Wellen auf das Fährboot zu. Immer wieder hob sich der Bug, glitt über den Wellenkamm, krachte mit lautem Dröhnen zurück in das tiefblaue Meer und teilte das Wasser in zwei meterhohe Gischtschwalle, die rechts und links emporschossen, um sofort wieder mit ohrenbetäubendem Prasseln und Zischen ins Meer zurück zu fallen.

Jean-Luc Papperin stand ganz vorne im Bug. Er hatte seinen rechten Arm um die Frau gelegt, die sich neben ihm mühsam auf den Beinen zu halten versuchte. Er zog sie fest an sich. Sie lachten beide. Es schien ihnen Spaß zu machen, immer wieder von Schaumspritzern begossen zu werden. Papperins weißes Polohemd klebte nass an seinem muskulösen Oberkörper. Die Frau neben ihm blickte ihn glücklich an. Auch ihr hellblaues Sommerkleid, das vorher fröhlich im Wind geflattert hatte, hatte schon etliche Spritzer abbekommen und schmiegte sich jetzt eng um ihre schlanke Figur. Die beiden waren die einzigen Passagiere vorne im Bug, im Freien. Alle anderen Fahrgäste waren lieber in der riesigen Passagierkabine im Trockenen geblieben. Dort sah es aus wie in einem überfüllten Flugzeug. Links und rechts Reihen mit je sechs dunkelgrünen Plastiksitzen, in der Mitte ein großer Block mit gut hundert Sitzen, ebenfalls aus dunkelgrünem Kunststoff. Die meisten Plätze waren von laut palavernden Touristen besetzt. Bunte Strandtaschen, Sonnenschirme, Plastikeimerchen und -schäufelchen der Kinder wiesen sie als Badetouristen aus, die auf der Insel Porquerolles einen Tag an einem der feinsandigen Strände verbringen wollten. Ein paar Reisende planten offensichtlich länger auf der Insel zu bleiben. Das mitgeführte Gepäck – Rollenkoffer, Reisetaschen und große Rucksäcke, teure Designerstücke neben billiger Supermarktware – ließ erahnen, in welchen Hotelkategorien ihre Besitzer absteigen würden.

„Komm, gehen wir rein. Langsam wird es mir zu nass.“

Papperin zog die Frau hinter sich her zur Glasschiebetür, die das offene Vorderschiff vom abgeschlossenen Passagierraum trennte. Sie betraten das Passagierdeck und kämpften sich zu ihren Sitzplätzen durch.

„Dein Kollege Maigret hatte sicher eine deutlich ruhigere Überfahrt.“ Papperins Begleiterin spielte auf das Buch an, dass er sich als Urlaubslektüre gekauft hatte.

„Ja, die hatten ganz ruhiges Wasser. Simenon schreibt, dass Maigret und sein schottischer Kollege bei ihrer Überfahrt bis auf den Meeresgrund sehen konnten“, meinte Papperin und zog aus der Seitentasche seiner weißen Leinenhose das kleine blaue Büchlein – Mon ami Maigret. Er hatte es bei einem Antiquar in Aix entdeckt und ein bisschen darin geblättert – zunächst ohne größeres Interesse. Als er aber merkte, dass darin sein berühmter literarischer Kollege auf der provenzalischen Insel Porquerolles ermittelte, auf eben der Insel, wo er und Nia ihren Sommerurlaub verbringen wollten, hatte er es sofort gekauft. Es war alt und bereits stark abgegriffen; im Impressum stand: Paris 1949. Vielleicht war es sogar eine Erstausgabe. Sie hatten bereits vor ihrer Abreise etwas darin geschmökert und sich als Urlaubsvergnügen vorgenommen, die Orte und Stellen zu suchen, an denen Maigret vor mehr als einem halben Jahrhundert recherchiert hatte. Sie hielten es für sehr wahrscheinlich, dass die Schauplätze des Krimis authentisch waren. Schließlich hatte der Maigret-Erfinder Simenon lange Zeit auf Porquerolles gelebt.

Das Schiffshorn stieß ein dunkles und lautes „Tuuuut“ aus. Dann bog die amour des îles mit gedrosselten Maschinen um das Leuchtfeuer am Ende der langgeschwungenen Hafenmole und glitt, vorbei an hunderten größeren und kleineren Motor- und Segelyachten, die die Hafenbucht von Porquerolles füllten, langsam auf den Landesteg zu. Die Passagiere drängelten an der Reling, von wo sie durch eine schmale Tür und über eine kurze Gangway auf den betonierten Kai gelangten. Papperin und Nia hatten keine Eile. Sie wussten, sie würden vom Hotelbus am Schiff abgeholt werden. Erst als sich bereits alle Touristen durch die enge Öffnung in der Reling gezwängt und das Schiff verlassen hatten, nahm Papperin Nias dezent-elegante Reisetasche, stellte sie auf seinen abgewetzten schwarzen Rollenkoffer, hängte sich seine Laptoptasche um den Hals und steuerte, den Rollenkoffer in der linken und Nias Beautycase in der rechten Hand, zum Ausgang. Die Aufschrift Hotel L’Étoile de l’Île auf einem von rotbraunem Sand bestäubten weißen Minibus, der nicht weit vom Schiff vor der capitainerie du port wartete, wies ihnen den Weg. Der Fahrer, dem Aussehen nach aus dem nördlichen Afrika stammend, saß rauchend in der weit geöffneten Bustüre. Als er die ankommenden Gäste erblickte, sprang er auf und nahm Papperin das Gepäck ab. Während er die Koffer und Taschen verlud, blickten sich die beiden interessiert um. An zahllosen Alumasten flatterten Fahnen im Mistral. Im Hafen lagen nur wenige Fischerboote. Alle Molen und Stege waren von den meist blendend weißen Motor- und Segelbooten der Urlauber und Ferienhausbesitzer belegt. Dahinter, sanft den Hügel emporsteigend, erhob sich der Ort Porquerolles. Die beige und rosa verputzten Häuser schmiegten sich anheimelnd in die grüne Pinienlandschaft. Außer dem Minibus des Hotels und zwei in die Jahre gekommenen Geländewagen waren keine Autos zu sehen.

Wie schön, dachte Papperin. Eine Insel fast ohne Autos. Da konnten sie herrliche Wanderungen unternehmen, ohne von Abgasen und aufgewirbelten Staubwolken belästigt zu werden.

„He, schmeiß unseren Koffer nicht so brutal in deinen Bus!“

Eine laute, nörgelnde Stimme riss Papperin aus seinen angenehmen Urlaubsgedanken. Ein etwa vierzigjähriger Mann hatte den freundlichen Busfahrer angeraunzt, als dieser das umfangreiche Gepäck etwas unsanft unter der Heckklappe des Busses verstaute.

„Renzo, sieh mal, wie grob der mit meinem Beauty-Case umgeht. Sag doch was!“

„Wenn etwas kaputtgegangen ist, dann kannst du blechen, das wird nicht billig!“ Zu seiner Begleiterin gewandt meinte er: „Die hier im Süden können sich wohl kein anständiges Personal mehr leisten. Lauter Araber! Schließlich haben wir ein Luxushotel gebucht. Ich werde mich beschweren, sobald wir dort sind.“

Jean-Luc Papperin und Nia kletterten in den Bus. Ganz hinten saß schon jemand, ein Mann, etwa dreißig, mit kahl geschorenem Kopf und dunklem Drei-Tage-Bart. Schwarze Jeans, schwarzes ärmelloses T-Shirt, das seinen durchtrainierten Oberkörper provozierend betonte. Zu Maigrets Zeiten wäre der Mann völlig aus dem Rahmen gefallen, damals, in den fünfziger Jahren. Vielleicht hätte man ihn für einen Gangster gehalten. Heute dagegen war sein Aussehen ganz normal. Im Gegenteil, wenn er ein Ganove war, dann wäre das ein unauffälliges Outfit. Er war in sein Smartphone vertieft und nahm von den neuen Fahrgästen keine Notiz. Auf dem Sitz neben ihm lag eine Sporttasche von Adidas, offensichtlich eine Sonderanfertigung für seine Tennisausrüstung. Genauso gut könnte auch eine Maschinenpistole oder eine Pumpgun darin verborgen sein, dachte sich Papperin.

Nachdem auch das nörgelnde Paar Platz genommen hatte, startete der Fahrer. Zuerst ging es auf dem knapp dreihundert Meter langen Betondamm Richtung Dorf. Der Bus kam nur im Schritttempo voran. Die zahllosen Passagiere der Fähre, die zu Fuß auf den Ort zuwanderten, ließen ein schnelleres Fahren nicht zu. Dann zockelte der Bus an den vollbesetzten Terrassen der Bars und Bistrots vorbei, die sich in dichter Reihe am Kai um das Hafenrund drängten. Endlich hatten sie die Ansiedlung hinter sich gelassen. Der Bus holperte über eine steinige Piste. Gelegentlich musste er fast stehen bleiben, weil Wanderer oder Radfahrer die enge Fahrspur für sich beanspruchten. Das Hotel L’Étoile de l’Île lag weit ab vom Dorf Porquerolles, dem einzigen Ort der Insel. Schließlich, nach fast zwanzig Minuten holpriger Fahrt auf knochentrockenen und staubigen Pisten erreichten sie das Hotel. Es lag versteckt hinter einem Schirmpinienhain auf einer Anhöhe direkt über der baie de l’étoile, einer kleinen Meeresbucht mit wunderbar feinem glitzerndem Sandstrand, der – laut Hotelhomepage – ausschließlich den Hotelgästen vorbehalten war. Da sie die letzten Minuten durch dichten Wald gefahren waren, sahen sie das Haus erst, als der Bus auf den hellweiß gekiesten Vorplatz vor dem ausladenden Gebäudekomplex fuhr. Schlagartig hatte sich die Umgebung geändert. Statt des dichten Gestrüpps aus stacheligen Büschen und hoch darüber hinausragenden Schirmpinien standen hier Palmen. Und Beete mit Strelitzien, deren Blüten wie bunte, orange-blaue Papageien aus dem buschigen Grün emporragten, schwammen wie kleine runde Inseln auf dem hellen Kiesplatz. Der Bus hielt direkt vor dem elegant geschwungenen Eingangsportal aus rotem Marmor und Glas. Papperin öffnete die Autotüre und sprang hinaus. Eine Wand wie aus heißem Schaumgummi stoppte ihn abrupt, und ohrenbetäubendes Geschrei drohte seine Trommelfelle zu zerfetzen. Verstört blickte er um sich. Nicht Gummi, heiße Luft war es, und der Lärm kam von den Zikaden. Der Temperaturunterschied zwischen dem angenehm klimatisierten Businneren und der brüllenden Hitze draußen traf ihn völlig unvorbereitet. Der Vorplatz des in Form eines großen V gebauten Hotels lag geschützt im Windschatten des Gebäudes zwischen den beiden Schenkeln des V. Hier war vom Mistral nichts zu spüren, so konnte die Mittagssonne den hellen Kies und die Steinmauern des Anwesens ungehindert aufheizen.

Der Fahrer, schon wieder eine Zigarette im Mundwinkel, lud das Gepäck aus und stellte es neben den Bus. Zwei livrierte Pagen in khakifarbenen Uniformen kamen mit dem Hotelgepäckwagen herbeigeeilt. Eine schlanke junge Frau in einem eleganten blauen Kostüm und einem kleinen goldenen Namensschild am Revers – Christine Padelle war darauf zu lesen – nahm die neuen Gäste in Empfang.

Bon jour monsieur le président, ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Überfahrt“, begrüßte sie zuerst den Nörgler.

„Viel zu unruhig, uns ist fast schlecht geworden, so hat das Schiff geschaukelt.“

Papperin und Nia blickten sich an. Ihre Augen schienen zu fragen, was das wohl für ein président war. Kein Politiker, dazu war sein Benehmen zu ungehobelt. Wahrscheinlich ein Unternehmenschef – Président Directeur Général, wie das in der Wirtschaftswelt hieß.

„Die können sich hier wohl nicht den Einbau von elektronischen Stabilisatoren leisten, so wie bei unseren Fährschiffen in der Bretagne?“, fuhr der Mann mit herablassend verächtlichem Tonfall fort.

„Gewerkschaftsboss? Vielleicht sogar der Chef von einem kriminellen Syndikat?“, flüsterte Papperin seiner Begleiterin zu. „Eher Bürgermeister einer Kleinstadt“, wisperte sie zurück, „so kleinkariert wie der sich benimmt. Oder Präfekt eines ländlichen Départements?“

„Übrigens, Ihr Fahrer geht mit unserem Gepäck mehr als ruppig um! So geht das nicht! Sagen Sie ihm das! Schließlich zahlen wir ein halbes Vermögen für unseren Aufenthalt hier“, raunzte dieser schon wieder.

„Bitte entschuldigen Sie! Das soll nicht wieder vorkommen.“

Mit gerunzelter Stirn blickte sie auf den Busfahrer. Papperin konnte förmlich fühlen, dass sich ihr Unmut eigentlich nicht gegen den Angestellten richtete, sondern gegen das harsche Auftreten des Gastes. Aber natürlich durfte sie sich das nicht anmerken lassen. Mit freudestrahlenden Augen wandte sie sich an die Begleiterin des Mannes.

Mademoiselle Dupart wird Sie zu Ihrer Suite führen. Dort können Sie sich von den Strapazen der Anreise bei einem Glas Dom Pérignon erholen. Alles ist für Ihren Aufenthalt vorbereitet. Ich hoffe, nein ich bin sicher, Sie werden sich in unserem Hause wohlfühlen.“

Mit diesen Worten übergab Sie die beiden Gäste einer herbeigeeilten jungen Frau, die das gleiche blaue Kostüm trug.

Der sportliche Mann von der letzten Sitzreihe kam mit einem großen Satz aus der hinteren Bustüre gesprungen und drängte sich an Papperin und Nia vorbei. Er riss die Empfangsdame, die sich gerade den beiden zugewandt hatte und Nia die Hand zur Begrüßung hinstreckte, fast brutal zu sich herum und hielt sie mit beiden Händen an den Oberarmen fest. Er blickte ihr ernst in die Augen.

„Marcel, du schon wieder hier? Hast du etwas vergessen?“

Papperin schaute den beiden erstaunt zu. Er spürte, dass sie sich nicht wohl fühlte in seinem harten Griff. Zuerst versuchte sie, sich ihm zu entziehen. Schließlich, als sie das Aussichtslose dieses Versuchs einsah, umarmte sie ihn widerstrebend und hielt ihm das Gesicht für die üblichen beiden Begrüßungsküsschen auf die Wangen hin. Stattdessen nahm er sie fest in den Arm, presste sie an sich und küsste sie auf den Mund. Sie entwand sich seinem Griff und flüsterte „Marcel, nicht, die direction!“

„Scheiß auf die Direktion! Ich kann dich küssen, wann ich will!“ Nach einer kurzen Weile, in der er um sich blickte: „Warum ist Chloé nicht da, die macht doch sonst immer den Empfang?“

„Weiß ich nicht. Sie ist weg. Seit ein paar Tagen schon. Der Chef ist total sauer.“

Nach einer langen Pause, in der sein Blick immer mehr an Härte verlor, strich er liebevoll über ihr glänzendes schwarzes Haar.

„Hauptsache du bist noch hier. Chérie, kann ich meine alte Suite wieder haben?“

„Marcel, das geht nicht, wir sind ausgebucht.“

„Du wirst schon was finden!“

Abrupt wandte er sich ab, ließ sie los und ging auf das Portal zu.

„Ich bin in der Bar. Bring mir dann den Schlüssel dahin!“

Die Empfangsdame warf mit einer ruckartigen Kopfbewegung ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht. Sie wandte sich den neuen Gästen zu und plötzlich war wieder ein freundliches Lächeln in ihren Augen.

„Sie müssen der berühmte Kommissar Papperin aus Aix sein?“

Als Papperin geschmeichelt nickte, fuhr sie mit berufsmäßiger Höflichkeit fort:

„Kommen Sie bitte mit zur Rezeption, dort bekommen Sie Ihre Keycards. Anschließend darf ich Sie im Namen der Direktion zu einem Begrüßungschampagner in der Lounge einladen.“

Papperin erinnerte sich, Nia und er hatten auf der Homepage des Hotels gelesen, dass alle neuen Gäste mit einem Glas Champagner empfangen würden. Während er den beiden Frauen durch die Glastüre in das herrlich kühle Foyer folgte, lud der Fahrer ihr Gepäck auf den Hotelwagen.

Papperin, der keine Lust auf Smalltalk mit der Hotelangestellten hatte und statt des Champagners viel lieber ein großes kaltes Bier trinken würde, sagte etwas barsch:

„Ich habe Durst. Champagner mag ich jetzt nicht. Komm Nia, wir gehen auf die Terrasse und lassen uns aus der Bar zwei Bier bringen.“ Seine Begleiterin warf ihm mit gerunzelter Stirn einen missbilligenden Blick zu.

War das zu unhöflich, fragte er sich und wandte sich mit einem entwaffnenden Lächeln der Empfangsdame zu:

„Oh, entschuldigen Sie, das war gerade nicht sehr freundlich von mir. Aber bitte verstehen Sie, die Hitze, der Staub und immer noch der Salzgeschmack von der Gischt auf dem Schiffsdeck im Mund. Da hilft nur ein großes Heineken. Oder haben Sie auch Jupiler?“

„Was Sie wünschen. Unser Barkeeper hat mindestens zwei Dutzend verschiedene Biere für Sie. Zwei Jupiler pression?“

Als Papperin und Nia begeistert nickten, gab sie die Bestellung an einen Pagen weiter, mit dem Auftrag, das Bier zu einem schattigen Tisch auf der Terrasse zu bringen. Dann ging sie zur Rezeption um die magnetischen Schlüsselkarten für die beiden Neuankömmlinge zu holen.

Als Papperin und Nia auf die Veranda kamen, leuchteten ihnen von einem kleinen runden Marmortisch bereits zwei matt beschlagene und mit goldgelbem Gerstensaft gefüllte Gläser verführerisch entgegen. Mit einem zufriedenen Seufzer ließen sich beide in die Sessel fallen. Sie prosteten sich zu und Papperin leerte sein Glas mit einem einzigen langen Zug. Er deutete dem Barkeeper mit beredten Gesten an, dass er ein weiteres Bier bräuchte, aber diesmal ein größeres. Dann schaute er Nia in die Augen.

„Schön hier“, meinte er.

Sie waren die einzigen auf der Terrasse, wohl weil hier auf der Westseite des Gebäudes der Mistral heftig wehte, kaum gebremst von den hohen Schirmpinien, die vom Hotel bis zum Strand hinunter reichten. Es roch angenehm nach Harz und Piniennadeln. Das Rauschen des Windes wurde noch übertönt vom Gekreisch der Zikaden, die in Heerscharen, aber unsichtbar, von den Baumstämmen und Ästen ihr Lied hinaus schrien.

Die Empfangsdame kam wieder. Sie legte zwei Plastikkärtchen vor Papperin auf den Tisch, die sofort vom Mistral wieder fortgeblasen wurden. Papperin sprang auf, hob die Karten auf und steckte sie ein.

„Darf ich Ihnen kurz einige Informationen geben?“ Nachdem Nia zustimmend genickt und die Hotelangestellte mit einer einladenden Handbewegung aufgefordert hatte, sich zu ihnen zu setzen, begann diese mit ihren Erläuterungen. Dass sich ihre Suite im Neubau in der ersten Etage befinde, nach Süden mit Balkon und Blick auf die kleine Badebucht. Dass sie sowohl im Zimmer frühstücken könnten, als auch auf der Terrasse oder im Frühstücksraum dort in dem gläsernen Anbau. Selbstverständlich könnten sie sich jederzeit durch den Zimmerservice alles, was sie sich wünschten, in ihrer Suite servieren lassen, Champagner, Austern. Auch Bier, fügte sie mit einem Blick auf Papperins schon wieder fast leeres Glas hinzu.

„Zum dîner stehen Ihnen unsere beiden Restaurants zur Verfügung. Bitte geben Sie bis spätestens mittags bekannt, in welchem Restaurant Sie abends speisen möchten. Im Le Mimosa verwöhnt sie unser Chefkoch Pierre Canaroux mit exquisiter internationaler Küche. Es ist mittags und abends geöffnet. Im anderen Restaurant, Le Pin Parasol, finden zur Zeit unsere provenzalischen Wochen statt. Jeden Abend gibt es dort wechselnde Menus mit typischen Spezialitäten aus der Region. Hierzu haben wir Köchinnen und Köche von den in der Bevölkerung beliebtesten Landgasthäusern gewinnen können. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Köche rechtzeitig wissen müssen, wie viele Gäste jeweils das Provencemenu genießen wollen. Bitte lassen Sie uns das bis spätestens am Mittag wissen. Jeweils ab dem Vorabend können Sie sich über die Menus des nächsten Tages informieren. Die Speisekarten hängen an der Bar und im Foyer aus. Selbstverständlich können Sie sie auch in unserem Haus-TV-Programm in Ihrer Suite ansehen.“

Sie erläuterte noch weiter, dass es auf der Insel keine Autos gebe. Eine der wenigen Ausnahmen sei der Minibus des Hotels, mit dem sie vom Hafen hierher gebracht worden seien. Er fahre stündlich ins Dorf und zum Hafen. Der erste Bus starte am Hotel um 6.30 Uhr. Der letzte fahre jetzt in der Urlaubszeit um ein Uhr früh vom Hafen ab. Nach etlichen weiteren Informationen zum Strand, den Liegen und Sonnenschirmen dort – Papperin begann sich zunehmend zu langweilen – schien sie langsam zu einem Ende zu kommen.

„Die Direktion hofft, dass Sie bei uns einen erholsamen Urlaub erleben, weit weg von den Sorgen des beruflichen Alltags, ganz ohne Stress und ohne Kriminelle.“ Und nach einer kurzen Pause:

„Aber hier auf der Insel werden Sie ganz ungestört sein. Hier ist alles ruhig und friedlich, hier gibt es keine Verbrechen.“

Hotelleben

Sonntag, 16. August

Jean-Luc Papperin lehnte sich über die gemauerte Balkonbrüstung und genoss die morgendlichen Sonnenstrahlen. Er war schon für den Strand gekleidet mit bunt gemusterten Bermudashorts und einem dunkelblauen T-Shirt darüber. Seine bloßen Füße steckten in blauen Flip-Flops. An seinem noch blassen Armen und Beinen sah man, dass er in diesem Sommer noch nicht viel Zeit zum Sonnenbaden gehabt hatte. Nur sein Gesicht unter dem wuscheligen schwarzen Kraushaar war sonnengebräunt.

„Sollen wir auf unserem Balkon oder unten auf der Terrasse frühstücken?“

Es war Papperins Miene anzusehen, dass er lieber alleine mit seiner Freundin auf dem Balkon ihrer Suite mit der großartigen Aussicht bleiben wollte, statt sich unter die zahlreichen Hotelgäste zu begeben. Nia aber wollte es anders.

„Aber was sollen wir uns hierher bestellen? Wir wissen doch gar nicht, was es alles gibt. Komm, Jean-Luc, lass uns hinuntergehen. Ich habe Hunger und ich bin neugierig.“

„Ich mag mich aber nicht umziehen, bloß um in diesem Nobelschuppen einen guten Eindruck zu machen. Sieh doch runter, wie die alle rausgeputzt sind. Lass uns hier oben frühstücken!“

Doch Nia nahm ihn bei der Hand und zog ihn aus der Türe und zum Aufzug.

Kurz darauf wurden sie von einem der Angestellten durch die dicht gedrängten Sitzgruppen unter einem nach allen Seiten offenen weißen Zeltpavillon zu einem kleinen Tisch geführt. Nia gefiel das nicht. Sie deutete auf einen runden Marmortisch weit ab vom Zeltdach am äußersten Ende der Terrasse, direkt an der schmiedeeisernen Brüstung, die die Veranda von dem bis zum Strand hinunterreichenden Pinienhain abgrenzte. Dort wollte sie sitzen. Es war nicht so eng und wesentlich ruhiger. Der Blick war phantastisch. Durch die braunroten Stämme der Schirmpinien blitzte und glitzerte das silbrig-blaue Meer zu ihnen herauf. Die roten Felsen der kleinen Bucht leuchteten im noch milden Sonnenlicht. Es war noch früh am Tag, so dass die Sonne zwar wärmte, aber noch nicht ihre unerträglich heiße Glut verbreitete.

Sie bedienten sich am Büffet, das unter dem weißen Partyzelt aufgebaut war und von den verlockendsten Speisen überquoll. Unterschiedlichste Brotsorten, Viennoiserien, Schinken, Wurst, Fisch, Fleisch, eine fast unüberschaubare Vielfalt an Pasteten und Aufstrichen, Marmeladen, Honig, Müslis, Joghurts, Obst und Obstsalate präsentierten sich den frühstückshungrigen Hotelgästen. Es gab warme und kalte Speisen. Papperin steuerte zielstrebig auf die Fisch- und Meeresfrüchtetheke zu. Dutzende verschiedener Fischfilets, geräuchert, mariniert, in Aspik boten sich ihm an. Er konzentrierte sich auf die Meeresfrüchte. Dort lagen Langusten, Krabben, Gambas, Austern, Seeigel, Bulots und etliche Muschel- und Schneckenarten, die nicht einmal Papperin kannte, obwohl er sich etwas zu Gute hielt auf seine Kochkünste und Gourmetkenntnisse. Nach einer kurzen Diskussion mit einem der Bediensteten über die Herkunft der Austern – sie kamen aus Cancale an der Baie du Mont Saint Michel in der Bretagne – und den Unterschied zwischen den huîtres creuses und den huîtres plates bat er den Kellner, ihm zwölf creuses der Größe No. deux sowie zwölf oursins an den Tisch zu bringen. Wenn schon alles im Halbpensionspreis inbegriffen war, sagte er sich, dann wollte er sich nur vom Feinsten nehmen. Zusätzlich bestellte er eine halbe Flasche Crémant de Loire. Dann stellte er sich bei einem der Toaster an, um die Schwarzbrotscheiben zu rösten, die er, mit Salzbutter bestrichen, zu den Austern und Seeigeln essen wollte. Auf den Zuruf von einem der nahegelegenen Tische „Antoine, mach etwas schneller. Du weißt, ich hasse es, warten zu müssen“, wurde Papperin von einem breitschultrigen, glatzköpfigen Mann mit Nasenpiercing und tätowierten Unterarmen zur Seite gedrängt, der sich vor ihm an den Toaster schob. Auf sein missmutiges „Hey, so geht das aber nicht!“, reagierte der Mann überhaupt nicht, sondern schob seelenruhig zwei Scheiben Weißbrot in das Gerät. Nach seinem Aussehen könnte er frisch aus Les Baumettes, der berüchtigten Marseiller Strafanstalt, entlassen oder ausgebrochen sein, dachte Papperin. Der Drängler brachte den Toast an den Tisch zu einem besser gekleideten Herrn, nach seinem Aussehen und dem Aktenköfferchen offensichtlich ein Geschäftsmann.

Boss und Bodyguard, dachte Papperin. Was die hier verloren haben?, fragte er sich. Strandurlaub machen die sicher nicht. Haben vielleicht irgendwelche krummen Dinge vor. Aber was geht das mich an, ich habe Ferien!

Nia saß schon am Tisch und wartete auf ihn. Vor sich eine Platte mit verschiedenen pâtés und terrines, mehreren Scheiben von rohem und gekochtem Schinken und einem beträchtlichem Berg aus dottergelber, mit schwarzen Einsprengseln durchsetzter brouillade aux truffes – getrüffeltem Rührei.

„Wie du das nur schaffst? So viele Kalorien und dennoch eine Traumfigur wie ein Mannequin!“, bewunderte Papperin seine Lebensgefährtin.

„Aber du weißt schon“, fuhr er mit oberlehrerhaftem Ton fort „Sommertrüffel reichen bei weitem nicht an den tuber melanosporum, den schwarzen Wintertrüffel, heran. Und schon gar nicht an den weißen Trüffel aus Alba.“

„Ich weiß, aber im Winter haben die hier geschlossen. Und wo ich doch so gerne Trüffel mag.“

Da ein Kellner gerade Papperins Austern- und Seeigelplatte brachte, nutzte dieser die Gelegenheit und fragte nach der Herkunft der Trüffel.

Je suis désolé! Das kann ich nicht beantworten, da müssen Sie schon unseren Küchenchef fragen. Einen Moment, ich rufe ihn.“

Noch ehe Papperin sagen konnte, dass das nicht nötig sei, weil er lieber ungestört und alleine mit Nia frühstücken wollte, war der Kellner schon verschwunden. Deshalb mussten sie kurz darauf eine Lektion über provenzalische Trüffel über sich ergehen lassen. Der Küchenchef war in voller Montur mit weißer Haube auf dem Kopf an ihren Tisch gekommen. Vermutlich hatte ihn der Kellner bei den Vorbereitungen für die Mittags- und Abendmenus gestört. Natürlich, so der maître de cuisine, seien die weißen Albatrüffel unschlagbar im Geschmack. Aber auch die schwarzen aus der Gegend von Aups in der Haute Provence seien hervorragend. Papperin könne ihm glauben, er kenne sich damit aus, die seien mindestens so gut wie die schwarzen Perigordtrüffel. Aber leider seien das alles Wintertrüffel, und da man diese nicht konservieren könne, bleibe ihm nichts anderes übrig, als jetzt im August den tuber aestivum zu verwenden. Wenn man eine großzügige Menge davon nehme und die Trüffel lange genug zusammen mit den Eiern lagere – wie bei seiner brouillade aux truffes, dann gebe es trotzdem eine ganz hervorragende Speise.

„Sie stimmen mir sicher zu“, wandte er sich Lob heischend an Nia. In diesem Moment brachte ein Kellner die bestellte Flasche Crémant de Loire.

„Jean-Luc, wieso hast du nur Sekt bestellt. Heute ist doch unser erster gemeinsamer Urlaubstag. Den müssen wir würdig begehen. Mit Champagner!“

Zum Kellner gewandt fragte sie: „Haben Sie Dom Pérignon? Eine halbe Flasche?“ Der Ober bedauerte, Dom Pérignon hätten sie nur in 750 Milliliter-Flaschen.

„Das schaffen wir nicht. Dann eben eine 375-er Flasche Veuve Clicquot“, bestellte Nia.

Natürlich war auch Jean-Luc Champagner lieber als Sekt. Aber wenn er an sein Gehalt als commissaire der Police judiciaire dachte, dann war ein Crémant schon fast Luxus. Eigentlich konnte er sich auch das sündhaft teure Hotel L’Étoile de l’Île nicht leisten. Aber erstens wollte er Nia etwas Besonderes bieten. Schließlich galt es, ihre Versöhnung zu feiern. Und da war das Beste gerade gut genug. Das Haus hier genoss einen sagenhaften Ruf und zählte zu den allerersten Adressen in Frankreich. Und zweitens war Nia Luxus gewöhnt. Da musste es schon mehr als ein üblicher Hotelurlaub sein. Als erfolgreiche Wirtschaftsprüferin und Partnerin einer international renommierten Prüfungs- und Beratungsgesellschaft bewegte sich ihr Gehalt in Dimensionen, von denen Papperin nicht einmal zu träumen wagte.

Nia und er kannten sich seit dem Studium in Paris. Dort hatten sie sich verliebt, hatten mitten im Quartier Latin in einer geräumigen Wohnung im vierten Stock eines Stadthauses aus dem neunzehnten Jahrhundert gewohnt. Seit Papperins Versetzung nach Aix en Provence als Leiter der dortigen Mordkommission mussten sie getrennt leben, von den wenigen gemeinsamen Tagen in Paris oder Aix abgesehen, die ihre prall gefüllten Terminkalender selten genug zuließen. Diese Trennung hatte Spuren hinterlassen und ihr Leben auf harte Bewährungsproben gestellt. Doch jetzt könnte sich alles zum Guten wenden. Die ECI-Enterprise-Consultant-International, Nias Unternehmen, plante das Frankreichgeschäft aufzuspalten und in Marseille oder Aix eine für den Süden zuständige Tochtergesellschaft zu gründen. Wenn sich Nia nur dazu entschließen könnte, sich für die Stelle als Geschäftsführerin der neuen Gesellschaft zu bewerben. Umgekehrt stand für Papperin fest: Nach Paris würde er nicht zurückgehen. Da konnte ihm der Justizminister noch so verlockende Angebote machen. Er war in der Provence, in dem kleinen idyllischen Ort Cabanosque in der Nähe von Aix geboren. Er hatte dort seine Kindheit verbracht. Nach dem Studium hatte er als kleiner brigadier bei der Police judiciaire in Aix angefangen – an derselben Dienststelle, die ihm als leitendem Kommissar jetzt unterstand. Zugegeben, er hatte sich auch in Paris wohlgefühlt, hatte das Studium der Juristerei an der Sorbonne genossen, hatte dort als Kommissar große berufliche Erfolge erzielt und seine Heimat schon fast vergessen, als ihn das Schicksal zurück nach Aix geschickt hatte. Und jetzt fühlte er sich in der Provence zuhause, war hier fest verwurzelt. Er liebte das Land und seine Bewohner mit ihrer bedächtigen, lauten aber herzlichen Art, die keine Hast und keine Hektik kannten. Papperin war sich voll im Klaren: Er war der egoistische Teil ihrer Partnerschaft, weil er es kategorisch ablehnte, sich wieder nach Paris zu bewerben. Aber von Nia erwartete er, dass sie zu ihm in den Süden zog.

Ein lautes Rauschen, ein Klirren und ein heftiger Aufschrei rissen ihn aus seinen Gedanken. Im Aufblicken sah er gerade noch, wie ein riesiger weiß-brauner Vogel über das Geländer hinwegschoss und in den tiefblauen Himmel emporschwebte. Nia war vor Schreck aufgesprungen. Ein großer roter Fleck breitete sich auf ihrem weißen Seidenkleid aus.

Blut! Nia ist verletzt!, dachte Papperin als erstes. Dann sah er die umgestürzte Karaffe, die eben noch voll Tomatensaft gewesen war. Zwei Kellnerinnen stürzten herbei.

„Madame, sind Sie verletzt?“

Die Hotelangestellten bemühten sich eifrig, den Schaden zu begrenzen. Mit frischen weißen Servietten versuchten sie den roten Saft weg zu tupfen. Neue Teller, Gläser, Bestecke und ein frisches Tischtuch wurden gebracht.

Maman, Maman, schau! Die Frau da hat einen dicken Blutfleck auf ihrem Kleid. So wie du neulich. Erinnerst du dich? Aber der hier ist viel schöner und größer.“

„Schrei nicht so, Amélie. Das ist Tomatensaft. Du siehst doch, dass sie das Glas umgeworfen hat.“

„Das sieht aber lustig aus. Das Kleid gefällt mir jetzt viel besser als vorher. Schade, sie wird den Fleck sicher rausmachen lassen. Dann ist es wieder langweilig weiß. Ich geh hin und sag ihr, dass sie ihn drauflassen soll“, plapperte das Mädchen unbekümmert drauf los.

„Amélie, jetzt gib endlich Ruhe. Das geht dich überhaupt nichts an. Komm, iss dein Müsli!“

Mit einem Blick zum Unglückstisch und zu Nia meinte sie mit einer resignierenden Geste:

„Entschuldigen Sie bitte vielmals. Meine Tochter ist aber auch zu peinlich. Sie ist an sich ein sehr liebes Mädchen, aber manchmal etwas aufdringlich.“

Zwei Frauen vom anderen Nebentisch redeten tröstend auf Nia ein.

Mademoiselle, beruhigen Sie sich. Das ist uns auch schon passiert. Es sind die Möwen. Die großen goélands, die haben es auf den gekochten Schinken abgesehen. Oh, Ihr wunderschönes Kleid. Reine Seide. Das geht nicht mehr raus. Wie traurig!“

Der Oberkellner eilte herbei, hinter ihm folgte, vom Tumult alarmiert, der Geschäftsführer.

Madame, ich bin untröstlich. Darf ich Ihnen ein Glas Armagnac gegen den Schreck bringen lassen?“

„Danke nein! Mein Champagner genügt mir!“

Der Hotelchef schnippte mit den Fingern und schon hatte man ihm eine frische Champagnerflöte in die Hand gedrückt. Eigenhändig schenkte er sie voll Veuve Clicqot und reichte sie Nia.

„Wir sind machtlos! Diese Vögel sind zu intelligent. Mit allen möglichen Mitteln haben wir schon versucht, sie zu vertreiben. Sie segeln über das Dach, gleiten lautlos zu den Tischen herab, stürzen sich auf einen Teller mit jambon à l’os und verschwinden mit einem kräftigen Flügelschlag, ihre Beute in den Fängen. Das passiert fast täglich. Das einzige, was dagegen hilft, ist, sich unter das Zeltdach zu setzen. Aber das wollen viele Gäste nicht.“

Jetzt fiel sein Blick auf den roten Fleck auf Nia Seidenkleid auf. Sein zunächst besorgter Gesichtsausdruck wurde plötzlich heiter. Schmunzelnd meinte er:

„Sieht eigentlich ganz künstlerisch aus. Wie ein Designerkleid.“

„Das ist ein Designerkleid! Von Gucci!“ Nia war leicht indigniert.

„Ja, aber jetzt ist es ein Kunstwerk – könnte von Kandinsky sein.“

Nun musste auch Nia lachen, als sie auf ihr neu erschaffenes weiß-rotes Kunstwerk herabblickte.

„Jetzt im Ernst“, fuhr der Hotelchef fort. „Selbstverständlich werden wir für den Schaden aufkommen. Chloé wird sich um Ihr Kleid kümmern. Wo ist Chloé?“

„Nicht da, Chef!“ Der Oberkellner druckste verlegen herum. „Die fehlt schon seit zwei Tagen.“

Plötzlich explodierte der Vorgesetzte:

„Und wieso weiß ich das nicht? Sacrément! Es ist eure verdammte Pflicht mir so etwas zu sagen. Jetzt, mitten in der Hochsaison brauchen wir jeden Mann … äh … und jede Frau. Also, was ist mit Chloé? Warum ist sie weg? Wann kommt sie wieder?“

Der Wutausbruch ihres Chefs hatte zu einem kleinen Menschenauflauf geführt. Nicht nur Hotelgäste, auch viele Bedienstete waren herbeigeeilt und umringten den Tisch.

„Chef, wir haben Ihnen das noch nicht gesagt, weil … weil wir dachten, sie kommt bald wieder ehe Sie … ehe es … Pro …Probleme gibt.“ Christine Padelle, die Empfangsdame, war vorgetreten und versuchte etwas unbeholfen, ihre Kollegin in Schutz zu nehmen. Nach kurzem Nachdenken und schon wesentlich fester im Ton fuhr sie fort:

„Chloé macht zurzeit viel durch, sie hat Probleme, irgendetwas bedrückt sie. Wir wollten nicht, dass sie auch noch mit der Direktion Zoff bekommt. Und wir haben es doch ganz gut hingekriegt. Es funktioniert alles. Niemand hat etwas gemerkt, keiner hat sich beschwert.“

„Und Sie glauben alle, dass ich das nicht wissen muss?“ Mit strengem Blick fixierte er seine Angestellten.

„Das hat ein Nachspiel, messieurs-dames!“

Plötzlich knipste er ein Lächeln an und wandte sich an die umstehenden Frühstücksgäste:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte nehmen Sie doch wieder Platz. Ich entschuldige mich im Namen unseres Hauses für die Unannehmlichkeiten und möchte Ihnen zum Ausgleich ein Glas Champagner anbieten. Pierre!“, wandte er sich an den Oberkellner „Kümmern Sie sich bitte darum!“

Mit einem freundlichen Nicken in alle Richtungen verschwand er im Haus.

Typisch, dachte Papperin und flüsterte seiner Freundin zu: „Ich kann es nicht ausstehen, dieses autokratische Obrigkeitsdenken, das in unseren Unternehmen immer noch herrscht. Da kann kein Vertrauen aufkommen.“

***

Die kleine Bucht mit dem feinsandigen Hotelstrand lag voll in der Vormittagssonne, die inzwischen an Strahlkraft deutlich zugenommen hatte. Hellblau und weiß gestreifte Sonnenschirme und Strandliegen, deren Matratzen mit dem gleichen Stoff bezogen waren, säumten in lockerer Reihe den Uferverlauf, allerdings in gebührendem Abstand zum Meer. Wie überall an Frankreichs Küsten durfte auch hier der private Grundbesitz nicht bis ans Wasser reichen. Ein schmaler Landstreifen dazwischen befand sich in Staatseigentum und war grundsätzlich für die Allgemeinheit zugänglich. Da die Bucht aber weitab vom Ort Porquerolles und von den großen Badestränden der Insel lag – der Fußweg hierher dauerte mehr als eine Stunde – kamen nur höchst selten Wanderer bis an diese entlegene Stelle der Insel. Etwas Anderes war es mit den Booten. Im gesetzlichen Mindestabstand von der Küste hatten bereits jetzt am Vormittag etliche Freizeitkapitäne mit ihren weißen Yachten Anker geworfen und waren mit ihren Begleitungen in Schlauchbooten ans Ufer gerudert.

Nia und Jean-Luc hatten es sich im Schatten ihres Hotelschirms auf zwei Liegen bequem gemacht und sahen dem Treiben am Strand und den immer zahlreicher ankommenden Schiffen zu.

„Von wo die Boote wohl überall herkommen?“, fragte sich Nia halblaut.

„Von den Yachthäfen in der Nähe – aus Toulon, Saint Tropez, Fréjus, vielleicht auch von weiter weg aus Cannes oder Sanary. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten.“

„Glaubst du, dass auch welche aus Übersee dabei sind. Aus der Karibik? Oder aus Afrika?“

„Glaub ich nicht. Diese Freizeitschiffe sind nicht für den rauen Seegang auf dem Atlantik gebaut. Vielleicht aus Afrika oder dem Nahen Osten.“