Amerikanische Originalausgabe:

THE BETRAYAL OF THE

AMERICAN RIGHT

© 2007 Ludwig von Mises Institute

LICHTSCHLAG 41

© Natalia Lichtschlag Buchverlag Grevenbroich 2017

Alle Rechte vorbehalten.

Übersetzt ins Deutsche von Axel B.C. Krauss

Umschlag: Lichtschlag Medien Düsseldorf

ISBN: 978-3-939562-66-5

Mit einer aktuellen Einführung

zur deutschen Übersetzung

von Robert Grözinger (2017)

und einer Einführung

zur amerikanischen Originalausgabe

von Thomas E. Woods, Jr. (2007)

Inhaltsverzeichnis

  1. Zwei Rechte, alt und neu
  2. Ursprünge der Alten Rechten I: Früher Individualismus
  3. Ursprünge der Alten Rechten II: Der Tory-Anarchismus von Mencken und Nock
  4. Der New Deal und der Auftritt der Alten Rechten
  5. Isolationismus und der ausländische New Deal
  6. Zweiter Weltkrieg: Der Tiefpunkt
  7. Die Renaissance der Nachkriegszeit I: Libertarismus
  8. Die Renaissance der Nachkriegszeit II: Politik und Außenpolitik
  9. Die Renaissance der Nachkriegszeit III: Libertäre und Außenpolitik
  10. Die Renaissance der Nachkriegszeit IV: Schwanengesang der Alten Rechten
  11. Abstieg der Alten Rechten
  12. Die „National Review“ und der Triumph der Neuen Rechten
  13. Die frühen 1960er: Von rechts nach links
  14. Die späteren 1960er: Die Neue Linke

In Erinnerung an

Howard Homan Buffett,

Frank Chodorov

und die Alte Rechte

Einführung 2017

Das vorliegende Werk ist für den politisch wachen, heutigen deutschen Leser in zweierlei Hinsicht ein hochinteressantes Dokument. Zum einen füllt es eine weitverbreitete Wissenslücke über die jüngere Geschichte der USA, insbesondere im Hinblick auf die Antikriegsbewegung der 1930er bis 1960er Jahre. Zum anderen erkennt man in den hier beschriebenen damaligen Konfliktlinien in Amerika ein Vorgeplänkel der heutigen politischen Zerrüttung jenseits des Atlantiks: Die versprengte kleine Truppe von „Isolationisten“ und „Nichtinterventionisten“, deren Geschichte der Autor, Murray N. Rothbard (1926-1995) hier nachzeichnet, war ein nicht unwesentlicher geistiger Vorläufer und Wegbereiter der vielschichtigen Bewegung, die im Jahr 2016 Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA kürte.

Zum ersten Punkt: In Deutschland sieht man die USA des Zweiten Weltkriegs weitgehend ziemlich unkritisch allein als Erlöser von der Nazi-Diktatur. Was ausgeblendet wird, sind die in den USA damals wie heute herrschenden Interessen von Großunternehmen und der staatlichen Bürokratie, die beide im Krieg eine Chance sahen, und weidlich nutzten, ihren Einfluss und ihre Macht auszuweiten. Rothbard beleuchtet hier diese dunkle Seite amerikanischer Kriegspolitik.

Der Trend zur Machtausweitung von Staat und Großunternehmen hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg begonnen. Mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898, in dessen Verlauf die USA die Philippinen besetzten, setzte die bis heute bestehende außenpolitische interventionistische Phase der US-amerikanischen Geschichte ein, die einen bereits bestehenden innenpoltischen Interventionismus verstärkte. Nach dem Ersten Weltkrieg beschleunigte sich der Trend. Zunehmende staatliche Eingriffe in die US-Wirtschaft führten zu einer präzedenzlosen Störung ihres dynamischen Gleichgewichts. Sie befeuerten in den 1920er Jahren einen völlig aus dem Ruder laufenden Aufschwung. In der auf den Börsenkrach 1929 folgenden tiefen Krise intensivierten die Präsidenten Hoover und Roosevelt staatliche Interventionen noch weiter, wodurch eine Erholung behindert wurde. Das Ergebnis war eine „sehr vornehme, niedliche und angenehme Form des Faschismus“, wie Rothbard das System ironisch beschreibt.

Gegen diesen Trend zur Machtausweitung im Inneren und zur Hegemonie nach außen wirkte eine kleine, lautstarke, aber schwächer werdende Minderheit. Sie nannten sich „Isolationisten“ und beriefen sich auf die Verfassung sowie die eindringliche Empfehlung der US-Gründerväter George Washington und Thomas Jefferson, Verwicklungen mit ausländischen Mächten zu meiden und stattdessen „Frieden, Handel und ehrliche Freundschaft“ anzustreben. Die Mitglieder dieser Minderheit empfanden sich als „rechts“, weil der linke Isolationismus, der noch im Ersten Weltkrieg aktiv war, mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sich in Luft auflöste und auch lange nach 1945 nicht wieder sichtbar war. Erst als Studenten während des Vietnamkrieges aufgrund der Wehrpflicht persönlich betroffen waren, regte sich in ihren Reihen wieder ein linker Antikriegsprotest.

In der Zwischenzeit protestierte nur die schwindende Truppe der „Alten Rechten“ gegen den wuchernden „militärischindustriellen Komplex“ und dessen politische Anfeuerer der „Neuen Rechten“. Trotz ihrer zahlenmäßigen Bedeutungslosigkeit schienen die Isolationisten dem Staat und seiner Klientel immer noch gefährlich genug. Sie wurden aus einem Medium nach dem anderen ausgeschlossen, bis sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der politischen Debatte verschwanden – vor dem Internetzeitalter war das noch möglich. Stattdessen wurde mit der „National Review“ ein neues Zentralorgan des angeblichen Konservatismus aus der Taufe gehoben, der diese „neue“ Rechte auf Militarismus, Interventionismus und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft einschwören sollte. Wie Rothbard überzeugend darstellte, stand mit hoher Wahrscheinlichkeit die CIA hinter diesem Blatt. Er distanzierte sich fortan von den „Rechten“ und versuchte, ein Bündnis mit dem in den 60er Jahren entstehenden antimilitaristischen Flügel der Linken aufzubauen. Dieser Versuch scheiterte, weil auch die Linke, wie die Neue Rechte, im Zweifel immer ein Freund eines starken, interventionistischen Staates ist.

Schon vor diesem Annäherungsversuch an die Linken wurde Rothbard, die wichtigste Gründerpersönlichkeit des modernen Libertarismus weltweit, von den Neurechten oft als Kommunistenfreund beschimpft. Tatsächlich ging seine Antikriegsposition so weit, der Sowjetunion jegliche Expansionsgelüste abzusprechen; ein Standpunkt, der in Deutschland, der alten Nahtstelle des Ost-West-Konflikts, vielleicht gewöhnungsbedürftig ist. Nachvollziehbar wird diese Position, wenn man bedenkt, dass „Mr. Libertarian“ ein Schüler von Ludwig von Mises war. Der 1940 aus Europa in die USA geflohene Ökonom der Österreichischen Denkschule hatte bereits 1920 dargestellt, dass der Sozialismus zwingend scheitern muss. Die Begründung: Der Sozialismus lässt keine freie Preisbildung zu, den zentralen Planern fehlen somit die zur Realisierung ihrer phantasmagorischen Projekte notwendigen Informationen. Daher wird Rothbard schon früh überzeugt gewesen sein, dass es gar nicht notwendig war, die Sowjetunion totzurüsten, da sie ohnehin irgendwann zusammenbrechen musste oder vorher den Sozialismus aufgeben würde. Dass das rote Reich erst 74 Jahre nach der Oktoberrevolution kollabierte und nicht viel früher, lag daran, dass der Westen den Osten immer wieder wirtschaftlich stützte. Die Qual der Menschen im Osten wurde verlängert, aber die Rüstungsindustrie im Westen gedieh.

Und nun zum zweiten Punkt, dem Bezug zur heutigen Zeit: Der historische Überblick in diesem Buch endet Anfang der 70er Jahre. Genau zu diesem Zeitpunkt fing ein neues Kapitel in der Geschichte der amerikanischen Libertären und Anti-Interventionisten an. Als 1971 Richard Nixon die Golddeckung des Dollars aufhob, empörte sich ein Frauenarzt in Texas darüber so sehr, dass er beschloss, in die Politik zu gehen. Sein Name war Ron Paul; er war zu dem Zeitpunkt bereits mit den Gedanken von Mises und Rothbard vertraut. Fünf Jahre später wurde er erstmals Abgeordneter der Republikaner im Repräsentantenhaus in Washington. In dieser Funktion diente er, mit Unterbrechungen, insgesamt knapp 23 Jahre, und erwarb sich dabei den Ruf höchster Integrität. Er hielt sich bei Abstimmungen immer strikt an die Verfassung. Das bedeutete, dass er fast alle neuen Gesetze ablehnte. Er war lange Zeit der einzige echte Anti-Interventionist im Kapitol. Im Verlauf seiner Versuche von 2008 und 2012, Präsidentschaftskandidat seiner Partei zu werden, gelang es ihm, die Idee des innen- wie außenpolitischen Nichtinterventionismus, der freien Marktwirtschaft und des freien Handels auf Basis einer goldgedeckten Währung in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt und populär zu machen. Als intellektuelle Basis diente ihm das 1982 gegründete amerikanische Mises Institute, dessen Vizepräsident Rothbard bis zu seinem Tod war.

Der Libertäre Paul war es, der den Frust der Amerikaner über den Irakkrieg und die Finanzkrise am deutlichsten und konsistentesten zur Sprache brachte. Anhänger Pauls veranstalteten anlässlich seiner Kandidatur 2008 einen ersten Tea-Party-Protest in Erinnerung an den Auslöser des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1773. Ab 2010 war die Tea-Party-Bewegung ein Machtfaktor, wenn auch nicht mehr so einwandfrei libertär wie Paul. Einige Kongresskandidaten, die sich zu sicher im Sattel gefühlt hatten, wurden gestürzt. Andere siegten mit Hilfe der Tea Party überraschend – wie Rand Paul, Sohn von Ron und seit 2011 Senator in Washington.

Zweifellos der größte Überraschungssieger der jüngsten Zeit aber ist Donald Trump. Seinen Sieg im Präsidentschaftswahlkampf 2016 verdankt er unter anderem einer von den Erfolgen der Tea Party ermutigten Wählerschaft, die sich nicht länger von einer als arrogant und abgehoben empfundenen herrschenden Klasse indoktrinieren und ins Leben hineinpfuschen lassen will. Denn die Rezepte und somit der Ruf der Elite haben mit der – von Ron Paul und anderen Mises-Anhängern vorhergesagten – Finanzkrise von 2008 einen irreparablen Schaden erlitten. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, wie Trump im Wahlkampf stellenweise Ron Paul imitierte: Er bezeichnete den Irakkrieg als Fehler, und er kritisierte seinen Vorvorgänger George W. Bush dafür, den Terrorangriff vom 11. September 2001 nicht verhindert zu haben. Nun, nach seiner Wahl, strebt er Entspannung und Verständigung mit Russland an – sehr zur offenkundigen Bestürzung der immer noch herrschenden Klasse der USA.

Einer der ersten und konstantesten – wenn auch nur medialen – Unterstützer Trumps nach Verkündigung seiner Kandidatur war Llewellyn H. Rockwell Jr., der Gründer und Präsident des erwähnten Mises Institute, das das englische Original des vorliegenden Buches herausgab. Rockwell wird Trump auch deswegen unterstützt haben, weil sein Mentor Rothbard höchstwahrscheinlich genauso gehandelt hätte.

Rothbard war zwar ein Anarchist, oder besser gesagt Anarchokapitalist. Er war sich aber immer der absoluten Minderheitenposition bewusst, in der er und seine ideologischen Wegbegleiter sich befanden. Daher suchte er ständig nach Verbündeten, auch in der Politik, mit denen seine Vorstellung einer besseren Welt ein Stück weit realisiert werden könnte. Das vorliegende Buch erzählt einen großen Teil seiner diesbezüglichen Aktivitäten. Erfolge blieben zunächst aus. Auch heute kann man noch nicht wirklich von Erfolgen reden. Der moderne Staat findet immer mehr „Aufgaben“, die angeblich nur er bewältigen kann; und Großunternehmen sind nur allzu bereit, ihm dabei, gegen Steuergeld selbstverständlich, zu helfen. Aber immerhin wurde mit Trump erstmals seit weit über 100 Jahren ein Präsident gewählt, nicht obwohl, sondern gerade weil er sich einigermaßen „isolationistisch“ gab – und immerhin außenpolitisch weniger interventionistisch zu sein versprach als sämtliche seiner Vorgänger mindestens seit dem Zweiten Weltkrieg.

In Deutschland, das derzeit mitten in multiplen und sich intensivierenden politischen Krisen steckt, keimt der Nichtinterventionismus interessanterweise sowohl rechts als auch links im politischen Spektrum auf. Allerdings bei den Linken, wenn überhaupt, nur außenpolitisch; innenpolitisch sehen sie alle in verstärkter Umverteilung und Zwangs-Multikultur das Heil. Sie werden in Rothbard, der stets und unverrückbar für Voluntarismus warb, nie einen der ihren sehen. Auf der Rechten sieht man nicht nur internationale Eingriffe, sondern auch „Verwicklungen“, wie mit der EU, zunehmend kritisch. Man will den Superstaat nicht. Stattdessen will man die Rolle der Nation stärken, die immerhin eine kleinere politische Einheit ist. Außerdem gibt es rechts Strömungen, die auch innen- und wirtschaftspolitisch für Rothbards Gedanken zumindest ein offenes Ohr haben. Ihre Berufung dürfte es sein, jene Kräfte zu stärken, die intellektuell und zahlenmäßig am ehesten in der Lage sind, einen spürbaren Rückbau staatlicher Aufgaben zu vollziehen.

Trotz der vielen im folgenden beschriebenen Rückschläge blieb Rothbard immer optimistisch, dass seine anti-interventionistischen Ideen eines Tages breiteres Gehör fänden. Dass sie heute anfangen, eine spürbare Wirkung zu entfalten, nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern, auch in Deutschland, ist eine Genugtuung für seine Anhänger weltweit. Und ein Ansporn, sein Erbe aufzugreifen und ihm beim prinzipienfesten, „starken, langsamen Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ (Max Weber über Politik) nachzueifern. Möge ihnen dabei „Der Verrat an der amerikanischen Rechten“ Inspiration und Leitfaden zugleich sein.

Robert Grözinger

Bath, England, Januar 2017

Einführung 2007

Ein publizistisches Klischee besagt, ein Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch einmal aufgelegtes Buch sei wichtiger denn je. Es fällt allerdings schwer, sich vorzustellen, wie der „Betrug an der amerikanischen Rechten“ anders beschrieben werden könnte. Murray N. Rothbard zeichnet darin die Chronik des Aufkommens einer amerikanischen Rechten, die sich mit Lippenbekenntnissen für freimarktwirtschaftliche Prinzipien und limitierte Regierungsmacht einsetzte, deren oberste Priorität, für die sie alles andere zu opfern bereit war, allerdings in militärischem Interventionismus rund um den Globus bestand. Das klingt sicher vertraut, aber wie Rothbard zeigt, ist es weder neu noch unnormal. Es reicht zurück zu den Anfängen der organisierten konservativen Bewegung in den 1950ern.

Da dieses Buch wahrscheinlich über Rothbards traditionelle Leserschaft hinausreicht, sind einige einleitende Worte über den Autor angebracht. Murray N. Rothbard war ein Wissenschaftler und Universalgelehrter von beinahe unglaublich erscheinender, außerordentlicher Produktivität. Sein „Man, Economy and State“, eine 1.000-seitige Abhandlung über ökonomische Prinzipien, war einer der großen Beiträge zur sogenannten Österreichischen Schule der Nationalökonomie. „Für eine neue Freiheit“ wurde zum maßgebenden libertären Manifest. In „Die Ethik der Freiheit“ behandelte Rothbard die philosophischen Implikationen der Idee des Selbsteigentums. Er erzählte die Geschichte des kolonialen Amerika in seinem vierbändigen „Conceived in Liberty“. Sein „America‘s Great Depression“, mittlerweile in fünfter Auflage, nutzte das mächtige Erklärungsinstrumentarium der Österreichischen Theorie der Konjunkturzyklen, um zu zeigen, dass monetärer Interventionismus, nicht „Kapitalismus“, zu dieser Katastrophe führte. Er schrieb außerdem viele bahnbrechende Artikel. Um nur zwei zu nennen: „Toward a Reconstruction of Utility and Welfare Economics“ („Für eine Rekonstruktion der Versorgungs- und Wohlfahrtsökonomie“, Anm. d. Ü.) ging mit dezidiert „österreichischem“ Ansatz an das umstrittene Gebiet der Wohlfahrtsökonomie heran, und „Law, Property Rights and Air Pollution“ („Gesetz, Eigentumsrechte und Luftverschmutzung“, Anm. d. Ü.) ist der wohl beste österreichische Beitrag zur Untersuchung von Recht und Ökonomie in Kurzform. Zusätzlich zu seinen 25 Büchern und 3.000 Artikeln, die mehrere Fachrichtungen umspannten, lehrte Rothbard außerdem Ökonomie, gab zwei akademische Fachzeitschriften heraus und mehrere beliebte Periodika, schrieb Filmkritiken und führte bergeweise Korrespondenz mit einem breiten Spektrum amerikanischer Intellektueller.

Selbst dieser Überblick kann seiner legendären Produktivität nicht gerecht werden. Wir können aber eine Menge über Murray N. Rothbard aus dem simplen Umstand lernen, dass seit seinem Tod mehr Bücher aus seiner Feder erschienen, als die meisten College-Professoren in ihrem ganzen Leben veröffentlichen. Zwei Bände von „An Austrian Perspective on the History of Economic Thought“ („Die Geschichte ökonomischen Denkens aus österreichischer Perspektive“, Anm. d Ü.), an denen Rothbard kurz vor seinem Tod gearbeitet hatte, wurden 1995 publiziert. „The Logic of Action“ („Die Logik des Handelns“, Anm. d. Ü.) bestand aus 1.000 Seiten wissenschaftlicher Artikel Rothbards, die nun der Öffentlichkeit bequem zugänglich sind. „A History of Money and Banking in the United States“ („Eine Geschichte des Geldes und Bankwesens in den Vereinigten Staaten“, Anm. d. Ü.), erschienen 2002, versammelte viele wichtige Arbeiten Rothbards über die Geschichte des Geldes, die davor nur in Fachzeitschriften oder in Kapiteln von Büchern erhältlich waren, die schon lange nicht mehr aufgelegt wurden. Es hätte ebensogut ein brandneues Rothbard-Buch sein können.

Es war nicht nur Rothbards wissenschaftliche Arbeit, die in Form handlicher Ausgaben dem allgemeinen Bedarf zugänglich gemacht wurde; auch seine populären Schriften erschienen nun in gesammelter Form. „Making Economic Sense“ („Ökonomisch sinnvoll argumentieren“) von 1995 vereinigte 100 von Rothbards kürzeren Artikeln über Ökonomie in einem Buch, das sowohl Einsteiger als auch Spezialisten zu instruieren und unterhalten weiß. Ein Artikel aus 20.000 Worten, den Rothbard für einen Investment-Newsletter kleinerer Auflage geschrieben hatte, wurde 1995 zur Monographie „Wall Street, Banks, and American Foreign Policy“ für das Center for Libertarian Studies. „The Irrepressible Rothbard“ (2000) versammelte einige von Rothbards Beiträgen zum Rothbard-Rockwell-Report aus den 1990er Jahren, in denen wir den Meister in seinen witzigsten und teilweise vernichtendsten Momenten erleben.

Das vorliegende Buch hingegen besteht aus Material, das der Öffentlichkeit zum ersten Mal zugänglich gemacht wird. Das Manuskript wurde, worauf Rothbard im Vorwort hinweist, in den 1970ern geschrieben und unterlief periodische Bearbeitungen sowie Erweiterungen über die Jahre, in denen sich Gelegenheiten zur Veröffentlichung ergaben. Jedes Mal traten allerdings unvorhersehbare Umstände ein, die eine Publikation des Buches verhinderten, und so erscheint es erst heute, verlegt vom Mises-Institut.

Zur Klarstellung sei erwähnt, dass von Rothbard verfasste Artikel zur „Alten Rechten“ bereits veröffentlicht wurden: in der Zeitschrift „Journal of Libertarian Studies, Continuum“, dem Rothbard-Rockwell-Report sowie andernorts. Aber hier erzählt er die ganze Geschichte – aus der Perspektive eines Menschen, der nicht nur Zeuge dieser Ereignisse war, sondern auch wichtiger Teilnehmer.

Aber was war diese „Alte Rechte“ eigentlich? Rothbard beschreibt sie als eine breit gefächerte Gruppe von Gegnern des „New Deal“ daheim sowie des Interventionismus in Übersee. Mehr eine lose Koalition als eine selbstbewusste „Bewegung“, zog die Alte Rechte Inspiration von Kalibern wie H.L. Menkken und Albert Jay Nock und bestand aus Autoren, Denkern und Journalisten wie Isabel Paterson, Rose Wilder Lane, John T. Flynn, Garet Garrett, Felix Morley und Colone Robert McCormick von der „Chicago Tribune“. Sie beschrieben und dachten sich selbst nicht als Konservative: Sie wollten widerrufen und umstürzen, nicht bewahren.

Eine 1992 erschienene Retrospektive Rothbards bezüglich der Alten Rechten skizzierte ihre Prinzipien:

„Da wir nun wissen, wogegen die Alte Rechte war, wofür war sie dann? Allgemein gesprochen setzte sie sich für eine Wiederherstellung der Freiheit der alten Republik ein, für eine Regierung, die sich strikt auf die Verteidigung der Rechte des Privateigentums beschränkt. Wie bei jeder breiten Koalition üblich, gab es im Konkreten Meinungsverschiedenheiten innerhalb des allgemeineren Rahmens. Wir können diese Differenzen aber auf folgende Frage eindampfen: Wieviel von der bereits bestehenden Regierung würden Sie ablehnen? Wie weit würden Sie sie zurückschneiden?

Das Minimum, auf das sich fast alle „Old Rightists“ einigten und was die Alte Rechte buchstäblich ausmachte, war die völlige Abschaffung des New Deal, den ganzen wohlfahrtsstaatlichen Kram, den Wagner Act, das Sozialversicherungsgesetz, die Jagd auf Gold 1933 und den ganzen Rest. Dahinter bestanden charmante Unstimmigkeiten. Einige wollten vor dem New Deal haltmachen. Andere wiederum wollten darauf drängen, bis hin zur Abschaffung von Woodrow Wilsons New Freedom, inklusive des Federal-Reserve-Systems und besonders dieses mächtigen tyrannischen Werkzeugs der Einkommenssteuer sowie der Einkommenssteuerbehörde. Wieder andere, darunter auch Extremisten wie meine Wenigkeit, wollten nicht locker lassen, bis wir den Federal Judiciary Act von 1789 demontiert hätten, ja, vielleicht würden wir sogar das Undenkbare wagen und die guten alten Artikel der Konföderation wieder in Kraft setzen.“1

Dieses Buch ist aber nicht nur eine geschichtliche Abhandlung über die Alte Rechte, sondern zugleich das einer Autobiographie am nächsten kommende Zeugnis dieses außergewöhnlichen Mannes, das Leser erwarten können. Es zeichnet nicht nur die Geschichte der Alten Rechten oder der anti-interventionistischen Tradition Amerikas. Es ist die Geschichte – zumindest teilweise – von Rothbards eigener politischer und intellektueller Entwicklung: die Bücher, die er las, die Leute, die er traf, die Freunde, die er sich machte, die Organisationen, denen er beitrat und so vieles mehr.

Rothbards Diskussion seiner intellektuellen Evolution beginnt mit den Tagen, als er ein kleiner Junge war, bis hin zu seiner Zeit am New Yorker Seminar des Ludwig-von-Mises-Instituts (dem so viele wichtige libertäre Denker entspringen sollten), seiner frühen Karriere als Autor und seinem libertären Aktivismus – den ganzen Weg bis zu seinen Interaktionen mit der Neuen Linken in den 1960ern. Wir begleiten Rothbard, wenn er entdeckt, dass er nicht mehr minimalstaatlicher Libertärer beziehungsweise Minarchist sein kann, und wir erfahren in allen Einzelheiten, was ihn zum Anarchismus brachte. Er beschreibt seine Herleitung von Frieden und Noninterventionismus als libertäre Prinzipien (basierend auf dem Nichtaggressions-Prinzip), die im Lichte seines resoluten Noninterventionismus entstehenden politischen Allianzen in den 1950ern sowie seine Hingezogenheit zum verbotenen Thema einer revisionistischen Betrachtung des Kalten Krieges.

Doch können wir die Wichtigkeit dieses Buches als historische Arbeit nicht übersehen oder unterschätzen. Rothbard schließt eine entscheidene Lücke sowohl in der Geschichte amerikanischer Außenpolitik als auch des US-Konservatismus und Libertarismus. Wir können sogar noch weiter gehen: „Der Betrug an der amerikanischen Rechten“ ist ein wichtiges, fehlendes Kapitel in der allgemein rezipierten Geschichte Amerikas. Es ist von Bedeutung, dass längst vergessene Denker, Autoren und Aktivisten auf diesen Seiten wieder zum Leben erwachen. Jede beliebige Zahl wissenschaftlicher Arbeiten und sogar ausgewachsener Bücher könnte den Themen entspringen, die Rothbard hier anspricht.

Man darf getrost behaupten, dass nur sehr wenige Amerikaner inklusive Konservativer – ja, vor allem Konservative – wissen, dass einige der konsequentesten und entschiedensten Gegner von Harry Trumans frühen Maßnahmen im Rahmen des Kalten Krieges budgetbewusste Republikaner waren, die internationalen Kreuzzügen aus ideologischen Gründen ablehnend gegenüberstanden. So war zum Beispiel Senator Robert A. Taft einer der prominentesten, wenn auch vielleicht am wenigsten konsequenten der republikanischen Non-Interventionisten, der Harry Trumans früher Politik im Kalten Krieg mit Skepsis begegnete. Taft sah die Truman-Doktrin, den Marshall-Plan und die NATO kritisch, die er als entweder unnötig provokant oder ruinös teuer betrachtete. Zusammen mit weniger bekannten Köpfen aus dem Repräsentantenhaus sowie dem Senat wie George Bender, Howard Buffett und Kenneth Wherry bildete Taft den politischen Arm der Alten Rechten.

Im Gegensatz zum falschen Eindruck vom Linksliberalismus als anti-kriegerisch und friedensliebend, übernahmen Stimmen des Mainstream-Liberalismus die übliche interventionistische Linie gegenüber dem „isolationistischen“ Häretiker: Taft, schrieb der bekannte liberale Kolumnist Richard Rowere, sei für das Jahr 1948 als Präsidentschaftskandidat ungeeignet, da der nächste Präsident ein „Führer der menschlichen Rasse sein sollte ... der mutig die Freiheit favorisieren wird, vor der Welt und für die Welt ... wozu Taft schlicht unfähig wäre“. In ähnlicher Weise nannte „The Nation“ Taft und seine Verbündeten im Kongress „Super-Appeaser“, deren Politik „im Kreml die Glocken läuten lassen dürfte“.2

Natürlich wurde auch Rothbard selbst wegen seiner Bemühungen von Mitgliedern der Rechten hin und wieder der rote Haken verpasst. Dass seine anti-kommunistischen Referenzen so kugelsicher waren wie nur irgend vorstellbar, schien keine Rolle zu spielen: Er widersprach dem globalen anti-kommunistischen Kreuzzug, und allein das war schon genug. Ironischerweise war es gerade Rothbards Verachtung für den Kommunismus, die ihn davon überzeugte, eine dauerhafte militärische Kampagne gegen ihn, eine, die gewiss schreckliche kurz- und langfristige Konsequenzen für die amerikanische Gesellschaft und Regierung zeitigen würde (ganz zu schweigen von den dadurch in Übersee entstehenden Missstimmungen), sei eigentlich unnötig: Ludwig von Mises hatte bereits die unüberwindlichen Hindernisse aufgezeigt, vor denen echte sozialistische Ökonomien stehen; und die sowjetische Aneignung einer Reihe von Satellitenstaaten, deren jeder wirtschaftlich ein hoffnungsloser, subventionierungsbedürftiger Fall war, erschien nicht als sonderlich bedrohliche imperialistische Strategie.

Mitglieder der Alten Rechten im Kongress wie Howard Buffett argumentierten zu Rothbards Gunsten, die Sache der Freiheit in der Welt sollte durch die Kraft des amerikanischen Beispiels gefördert werden statt durch Waffengewalt, und dass amerikanischer Interventionismus der sowjetischen Propaganda in die Hände spielen würde, die Amerika als nur an sich selbst interessierten Imperialismus darstellte statt als neutralen Fürsprecher der Menschheit. Dies war die traditionelle libertäre Position, den größten Staatsmännern des 19. Jahrhunderts entlehnt, der Ära des klassischen Liberalismus. Dementsprechend sagte einst Richard Cobden, der große britische klassische Liberale:

„Indem England seine ungeteilte Aufmerksamkeit in besonnener Weise der Reinigung seiner eigenen internen Institutionen widmet, um seinen Handel voranzutreiben ... würde es, so wie es bisher als Leuchtfeuer für andere Nationen diente, die Sache des politischen Fortschritts auf dem gesamten Kontinent effektiver befördern als durch Verstrickung in europäische Kriege.“3

Ebenso fasste Henry Clay, selbst kein klassischer Liberaler, die praktisch einhellige Meinung Amerikas in der Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen:

„Durch die Politik, an die wir uns seit den Tagen Washingtons hielten ... haben wir für die Sache der Freiheit mehr getan, als Waffen es jemals vermöchten; wir haben anderen Nationen den Weg zu Größe und Glück aufgezeigt ... es ist für uns weitaus besser, auch für Ungarn und die Sache der Freiheit, wenn wir durch Treue zu unserem pazifistischen System sowie Vermeidung der entfernten Kriege in Europa unser Licht an dieser westlichen Küste weiterbrennen lassen, als Licht für alle Länder, statt seine völlige Auslöschung zwischen den Ruinen gefallener und fallender europäischer Republiken zu riskieren.“4

Das war das Prinzip, an das Rothbard auch weiter glaubte.

Was wir heute lachhafterweise als „konservative Bewegung“ bezeichnen, dürfte Menschen nur sehr schwach an die Interventionismus-Skeptiker unter den konservativen Republikanern der Truman-Ära erinnern. Auf den Seiten dieses Buches führt Rothbard den überzeugenden Nachweis, dass die Position des globalen Interventionismus, wie sie von der Rechten eingenommen wurde, nicht unausweichlich war, sondern das Resultat zufälliger Faktoren: des Todes von Schlüsselfiguren der Alten Rechten zu ungünstigen Zeiten, der organisatorischen Fähigkeiten der Opposition sowie interner Probleme in den Institutionen der Alten Rechten.

Es ist aber nicht nur der moderne Konservatismus, der Schuld am Verschwinden der Alten Rechten in einem Orwellschen Erinnerungsloch trägt. Auch Libertäre müssen das in einigen Fällen auf ihre Kappe nehmen. In den späten 1970ern war Rothbard persönlich verantwortlich für die Einführung der non-interventionistischen Planke in das Schiff der Libertären Partei – zu einer Zeit, da – zu seiner Verwunderung – Außenpolitik unter Libertären nur relativ wenig Interesse zu wecken schien. Der Irakkrieg von 2003 wurde legitimiert auf Basis einer Propaganda, die der alten „Prawda“ würdig gewesen wäre; dass Menschen, die diese Hülse der Regierung geschluckt haben – obwohl doch gerade von ihnen erwartet wird, einen geschärften Blick für Regierungspropaganda zu haben – sich libertär nennen, lässt erahnen, dass dieses Problem nicht gänzlich verschwunden ist. (Man kann nur erahnen, was Mencken, einer von Rothbards Helden, zu diesem Krieg wohl zu sagen gehabt hätte, zu seinen Architekten sowie einer amerikanischen Bevölkerung, die weiterhin an die widerlegten Behauptungen über die Massenvernichtungswaffen auch dann noch glaubte, als alle, auf jeder Seite, ihre Falschheit übereinstimmend anerkannt hatten.)

Rothbards Kooperation mit der Neuen Linken in den 1960ern hat viel Interesse und einige Kritik geweckt. Da die non-interventionistische Rechte im Prinzip ausgestorben war und kein institutioneller oder publizistischer Arm existierte, der Interesse an Non-Interventionismus und Laissez-faire hatte, begann Rothbard, sich anderswo nach Verbündeten für den Kampf gegen den Krieg umzusehen, der als fundamentalster aller Streitpunkte in sein Blickfeld rückte. („Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass die Frage von Krieg und Frieden den Schlüssel der gesamten libertären Sache darstellt“, notierte Rothbard 1956 privat.5) Der Mainstream-Liberalismus kam natürlich nicht in Frage, da er schon lange die Konturen des Interventionismus des Kalten Krieges angenommen hatte; es waren Liberale, die, wie wir gesehen haben, den konservativen Taft für seine Skepsis gegenüber Auslandseinsätzen verdammten. In diesem Augenblick intellektueller Isolation blickte Rothbard interessiert und mit Sympathie auf das Erscheinen der Neuen Linken und die libertären Instinkte, die er dort vorfand – besonders ihr Interesse an Dezentralisierung und freier Meinungsäußerung – und von denen er hoffte, dass sie genährt werden könnten.

Rothbard lernte die Arbeit William Appleman Williams‘, eines Historikers der Neuen Linken, zu schätzen, und freundete sich mit einigen seiner Studenten an (darunter auch Ronald Radosh, mit dem Rothbard später „A New History of Leviathan“ herausgab, eine wichtige Sammlung von Essays über den korporatistischen Staat). Bei Williams fand Rothbard nicht nur kongeniale Analysen von Außenpolitik vor, sondern auch wichtige Hinweise für eine Opposition gegen einen Zentralstaat bezüglich innerer Angelegenheiten. „Die radikalen Kernideen und -werte von Gemeinschaft, Gleichheit, Demokratie und Menschlichkeit“, so Rothbard, Williams zitierend,

„können in Zukunft nicht verwirklicht und aufrecht erhalten werden – und das sollten sie auch nicht – durch zunehmende Zentralisierung und Konsolidierung. Diesen radikalen Werten lässt sich durch Dezentralisierung sowie durch die Schaffung vieler wahrhaft menschlicher Gemeinschaften am nächsten kommen. Sollte jemand das Bedürfnis verspüren, auf Ahnentauchgang in die amerikanische Geschichte zu gehen und eine Tradition hochzuhalten, die für unser gegenwärtiges Dilemma von Relevanz ist, findet sich der Hauptgewinn in den Konföderationsartikeln.“6

Obwohl sie selbst isoliert und vielleicht entmutigt sind, gibt es heute noch einige Stimmen in der Linken, die daran erinnern, was Rothbard in der Neuen Linken zu kultivieren versuchte. Kirkpatrick Sales Worte aus dem Jahre 2006 könnten ebenso gut als Postskriptum der Worte William Appleman Williams‘ über die Konföderationsartikel fungieren:

„Ich bin, ob Sie es glauben oder nicht, davon überzeugt, dass Sezession – entweder staatenweise dort, wo der Staat eine Einheit bildet (das Modell liefert Vermont, wo die sezessionistische Bewegung die Zweite Republik von Vermont darstellt), oder regional dort, wo das mehr Sinn macht (Südkalifornien oder Cascadia wären hier als Vorbilder zu nennen) – die fruchtbarste Aufgabe unserer politischen Zukunft ist. Friedliche, geordnete, volkstümliche, demokratische und legale Sezession würde eine große Bandbreite an Regierungen ermöglichen, empfänglich für alle Schattierungen des antiautoritären Spektrums, etablierbar in einem modernen politischen Kontext. Solch eine Bandbreite, dass Sie, so wie ich das sehe, immer einen Ort finden könnten, an dem Sie sich wohl fühlen, falls Ihr bisheriger Ihnen nicht mehr gefällt.“7

Eine Zeitlang wurde Rothbards Optimismus für die Allianz erwidert. „In gutem Sinne sind die Alte Rechte und die Neue Linke moralisch und politisch aufeinander abgestimmt“, schrieb Carl Oglesby der Vereinigung „Students for a Democratic Society“, SDS [„Studenten für eine demokratische Gesellschaft“, Anm. d. Ü.] im Jahre 1967.8 Was dabei schiefging – der Zusammenbruch der SDS und Rothbards Bruch mit der gesamten Bewegung – ist Thema des letzten Kapitels dieses Buches.

Hier begegnet uns ein weiterer liebenswerter Aspekt des „Betruges an der amerikanischen Rechten“: Rothbards Bereitschaft, Fehler zuzugeben, oder Fälle, wenn Dinge unglückliche Wendungen nahmen, die er nicht vorhersah – Seltenheiten im Genre der Memoiren. „Zurückblickend auf das Experiment der Allianz mit der Neuen Linken“, erinnerte sich Rothbard,

„wurde auch klar, dass die Folgen für Libertäre in vielen Fällen desaströs waren; denn zusätzlich zur Isoliertheit und Verstreutheit dieser jungen Libertären sollten sich die Clarks und die Milchmans sowie einige aus der Glaser-Kansas-Gruppe bald zu echten Linken entwickeln, vor allem zu solchen, die ihre Zuneigung zum Individualismus, zu Eigentumsrechten und zur freien Marktwirtschaft fallen ließen, die sie überhaupt erst zum Libertarismus und zur Allianz der Neuen Linken gebracht hatte.“9

Er beschließt damit,

„dass ein unorganisierter Kader ohne nachhaltiges Programm ‚interner Erziehung‘ und Verstärkung in Laufe der Arbeit mit viel stärkeren Verbündeten abzufallen und dahinzuschmelzen droht.“10

Dieser Kader wurde bereits vor langer Zeit errichtet – zum großen Teil auch dank Rothbards eigenen Taten.

In der Einführung zu seinem Buch spricht Rothbard von einem letzten Kapitel des Manuskripts, das die Erzählung bis zum Ende des Kalten Krieges und den intellektuellen und strategischen Neuausrichtungen fortführte, die von dieser günstigen Gelegenheit ermöglicht wurden. Dieses Kapitel wurde unglücklicherweise nicht gefunden, weshalb die Geschichte, die Rothbard hier erzählt, bis zu einem bestimmten Grad unvollständig bleiben muss. Mit dem Wiederauftauchen einer non-interventionistischen Rechten nach dem Ende des Kalten Krieges spiegelte die Rhetorik Rothbards dieser Zeit ein unübersehbares Gefühl der Heimkehr. Mit der Verwitterung alter Frontlinien begannen sich mehr Gelegenheiten als jemals zuvor für ideologisch übergreifende Kooperationen zwischen Kriegsgegnern zu bieten. Fragen, die in einigen intellektuellen Quartieren seit Jahrzehnten nicht gestellt wurden – zur angemessenen Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt sowie moralischen und materiellen Gefahren von Auslandseinsätzen – wurden wieder hörbar, und einige der vernichtendsten Angriffe auf die US-Außenpolitik kamen von altmodischen Konservativen. „Die Alte Rechte ist plötzlich zurück!“, erklärte ein darob erfreuter Rothbard im Jahre 1992.

Die Früchte dieser Zusammenarbeit erwiesen sich letztendlich als enttäuschend, auch wenn Rothbard einige wertvolle und gefeierte Freundschaften mit vielen Leuten schmiedete, die ihn auch heute noch bewundern und von ihm lernen. Heutzutage scheinen formelle Allianzen dieser Art, auch wenn sie nach wie vor strategisch nützlich sind, noch weniger wichtig zu sein als noch vor 15 Jahren. Wenn es nur eine Handvoll Publikationen und Plattformen gibt, die Sympathien für libertäre Ideen hegen, gibt es ein natürliches Bedürfnis, ein Bündnis zwischen Libertären und solchen Kanälen herstellen zu wollen. Aber im Zeitalter des Internet, in dem eine Vielzahl an Organen existiert, in denen jemand publizieren und sehr viele Menschen erreichen, ja, in dem jeder seine eigene Webseite und seinen eigenen Blog betreiben kann, können Libertäre ihren Stimmen großes Gewicht verschaffen, ohne irgendwelche Allianzen mit anderen Gruppen bilden zu müssen.

Auf gewisse Art mag es Zufall sein, dass „Der Betrug an der amerikanischen Rechten“ erst jetzt erscheint statt vor 20 Jahren. Die Torheit des Irakkrieges und die Propagandakampagne, die ihn vom Stapel ließ, lassen selbst Leute, die in dieser Hinsicht in ihren Ansichten festgelegt waren, innehalten und nachdenken. Angesichts der Propaganda der Bush-Regierung können sie nicht anders, als sich zu wundern, ob sie sich während des Kalten Krieges genauso anhörten. Und selbst wenn sie Rothbards Analysen des Kalten Krieges nicht teilen, werden viele Menschen von heute, die mit Schrecken die endlosen US-Kriege vorausahnen, die sich für die Zukunft anzukündigen scheinen, vielleicht bereit sein, wenigstens ein wichtiges Argument gegen den Interventionismus des Kalten Krieges zu bedenken: Er nährte einen vom Zweiten Weltkrieg geborenen militärisch-industriellen Komplex, der augenscheinlich nie wieder abgebaut werden kann. Milton Friedmans Diktum, es gebe nichts Dauerhafteres als ein „vorübergehendes“ Regierungsprogramm, wurde nie treffender bestätigt als im amerikanischen „Verteidigungs“-Sektor, der immer eine Begründung für höhere Rüstungsausgaben und mehr Interventionismus zu finden scheint.

Kurz, mehr Menschen als je zuvor sind bezüglich offizieller Darstellungen der Regierung wozu auch immer skeptisch und alten Fragen gegenüber offen. Wie üblich ist Rothbard bereit, solche Fragen zu stellen – und den Antworten zu folgen, wohin sie ihn auch führen.

Thomas E. Woods, Jr.

Auburn, Alabama

Mai 2007

Vorwort zur überarbeiteten Fassung von 1991

Der größte Teil des Manuskripts dieses Buches, „Der Betrug an der amerikanischen Rechten“, wurde 1971 verfasst und 1973 überarbeitet. An diesem Originaltext wurde hier nur wenig geändert. In einem tiefgründigen Sinn ist es heute zeitgemäßer als zum Zeitpunkt seiner ersten Niederschrift. Das Buch war ein Schrei in der Wildnis gegen etwas, das ich als Betrug an der von mir hier so genannten „Alten Rechten“ betrachtete. Wir nennen sie auch – um die Verwirrung hinsichtlich der vielen „Alten“ und „Neuen“ etwas zu mildern – die „Originäre Rechte“. Die Alte Rechte entstand während der 1930er Jahre als Reaktion auf den „Großen Sprung vorwärts“ (oder rückwärts) in den Kollektivismus, den der New Deal darstellte. Diese Alte Rechte blühte auf während der 1940er und dauerte bis ungefähr zur Mitte der 1950er. Die Alte Rechte opponierte standhaft gegen „Big Government“ und den New Deal daheim und in Übersee: also gegen beide Facetten des Wohlfahrts-Kriegsfahrts-Staates. Sie kämpfte gegen US-Einmischungen in die Angelegenheiten anderer sowie Kriege im Ausland ebenso leidenschaftlich wie gegen Interventionismus daheim.

Gegenwärtig müssen viele Konservative feststellen, dass der alte, angriffslustige anti-etatistische Geist der Konservativen abgeschliffen und irgendwie in sein etatistisches Gegenteil umgewandelt wurde. Es ist verführerisch und, soweit man das sagen kann, sicher auch korrekt, die Schuld dafür dem Anschluss der Rechten an die Truman-Humphrey-Liberalen des Kalten Krieges in den 1970ern zu geben, die sich selbst „Neokonservative“ nannten, und dass sie diesen Ex-Trotzkisten und Ex-Menschewiki nicht nur Einlass gewährte, sondern auch erlaubte, die Show zu übernehmen. Aber die These dieses Buches lautet, dass diejenigen, die sich darüber wundern, was der guten, alten Sache widerfuhr, nicht bei den Neocons haltmachen dürfen: Der Fäulnisprozess begann viel früher mit Gründung des Magazins „National Review“ im Jahre 1955 und seinem schnellen Aufstieg zur Dominanz über die konservative Bewegung. Es war die „National Review“, die ganz gezielt und clever die Substanz der Alten Rechten in etwas Gegenteiliges verkehrte, während sie die alten Formen und Rituale beibehielt, wie zum Beispiel Lippenbekenntnisse für den freien Markt und die Verfassung der Vereinigten Staaten. Es war, wie der große Garet Garrett über den New Deal im amerikanischen Staatswesen sagte, eine „Revolution innerhalb der Form“. Wie dieses Buch zeigt, war die Rechte zu diesem Zeitpunkt anfällig für Übernahmen; die alten Anführer waren kürzlich verstorben oder pensioniert. Auch wenn diese Aussage jüngere oder Yuppie-Konservative verwirren dürfte, waren die guten alten Tage der Alten Rechten in der Politik nicht die der Goldwater-Kampagne, sondern derjenigen Robert A. Tafts.

Dieses Buch beschäftigt sich mit der Alten Rechten, beschreibt im Detail die Übernahme durch die „National Review“ und behandelt die Odysee meiner Wenigkeit sowie geistesverwandter Libertärer aus unserer ehemals honorigen Position als „extremer“ Flügel der Alten Rechten, die mit dem Konservatismus der „National Review“ brachen und danach trachteten, ein Zuhause für libertäre Ideen und Aktivitäten ausfindig zu machen. Das Buch wurde nach Beendigung unserer Allianz mit der Neuen Linken geschrieben, die zu Beginn und Mitte der 1960er Jahre vielversprechend begann, aber in der ebenso verrückten wie kurzen Orgie von Gewalt und Zerstörung gegen Ende der Dekade aufhörte. Das Manuskript endet mit dem Aufkommen der libertären Bewegung als separate, selbstbewusste ideologische und auch politische Entität in den Vereinigten Staaten, darauf zielend, eine eigenständige oder dritte Kraft in Amerika zu sein, die sich aus wesensverwandten Elementen sowohl der Linken als auch der Rechten speiste.

Der letzte Abschnitt, Kapitel 14, der gegenwärtig geschrieben wird, erläutert die Geschichte der libertären Bewegung sowie der Rechten der letzten zwei Jahrzehnte und erklärt, wie brandneue Umstände, vor allem der erstaunliche Tod des Kalten Krieges in Kombination mit dem Kollaps der konservativen Bewegung sowie Veränderungen unter Libertären, für diese neue Herausforderungen und fruchtbare Allianzen gebaren.11

Die Inspiration für dieses Manuskript kam von Bob Kephart, damals Herausgeber der „Libertarian Review“, der beabsichtigte, Bücher im „Libertarian Review Press“-Verlag zu veröffentlichen. Zu dieser Zeit veröffentlichte der Verlag eine Sammlung meiner Essays.12 Ramparts Press packte einen Werbezettel für dieses Buch in ihren Katalog von 1971, jedoch verlangten sie umfangreiche Änderungen, die ich ablehnte.13 Seit den frühen 60er Jahren hatte ich versucht, meine Geschichte des Betrugs an der Alten Rechten in Druck zu geben, aber kein Periodikum hatte ein offenes Ohr für diese Botschaft. Besonders erzürnt von der Goldwater-Kampagne 1964, die erste, die von der Rechten der „National Review“ beherrscht wurde, konnte ich meinen Ansichten nur in der einzigen existierenden libertären Zeitschrift Luft machen, einem Newsletter aus Los Angeles namens „The Innovator“; nach einem Outlet für einen längeren Beitrag suchend, konnte ich nur das obskure, quartalsweise erscheinende friedenskatholische „Continuum“ finden.14

Danach erschienen meine politischen Sichtweisen hauptsächlich in meinen eigenen Periodika: „Left and Right“, 19651968, herausgegeben von Leonard Liggio und mir selbst, einem Vehikel für eine Allianz mit der Neuen Linken; dem wöchentlich, später monatlich erscheinenden „Libertarian Forum“, 1969-1984, Ausdruck einer selbstbewussten libertären Bewegung; sowie, für etwas wissenschaftlichere Artikel, dem „Journal of Libertarian Studies“, gegründet 1977 als publizistischer Arm des Center for Libertarian Studies, das heute noch existiert. Ein Teil der Analyse des vorliegenden Manuskripts erschien als mein „The Foreign Policy of the Old Right“ („Die Außenpolitik der Alten Rechten“, Anm. d. Ü.).15

Um dieselbe Zeit, da der „Betrug“ verfasst wurde, erschien auch ein meisterhafter Essay mit ähnlichem Inhalt aus der Feder des jungen libertären Historikers Joseph R. Stromberg.16 Unter den seitdem erschienenen akademischen Arbeiten ist die Studie Charles Hamiltons über Frank Chodorov eine der wertvollsten zur Alten Rechten.17 Auch sehr wertvoll ist Justus Doeneckes Studie18 über die Reaktion von Isolationisten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf den Beginn des Kalten Krieges bis 1954, sowie Felix Morleys Autobiographie, vor allem die letzten beiden Kapitel, die seine Erfahrungen mit „Human Events“ beschreiben.19

Seit den 1970ern schlummerte „Der Betrug der amerikanischen Rechten“ vor sich hin, obwohl Kopien, einige kaum leserlich, auf Samisdat-Art unter jungen libertären Gelehrten zirkulierten.

Schließlich weckte der dramatische Zusammenbruch des Kommunismus und des Kalten Krieges im Jahre 1989 sowie das darauffolgende Umdenken unter Konservativen und Libertären neues Interesse am „Betrug“. Nachforschungen Tom Flemings, Herausgeber der „Chronicles“, über die Alte Rechte brachten mich dazu, das Manuskript hervorzuholen; der enthusiastische Vorschlag Justin Raimondos, Herausgeber des „Libertarian Republican“, inspirierte mich, den „Betrug“ zu aktualisieren und führte zur vorliegenden Publikation. Wie immer bin ich Burt Blumert und Lew Rockwell für ihre Begeisterung und ihre Hilfe über die Jahre sowie für diese Veröffentlichung äußerst dankbar.

Murray N. Rothbard

Las Vegas, 1991

1. Zwei Rechte, alt und neu

Im Frühling des Jahres 1971 brach ein neuer politischer Begriff – „Die Schutzhelme“ [„The Hard Hats“, Anm. d. Ü.] – ins amerikanische Bewusstsein. Als die behelmten Bauarbeiter sich ihren Weg um das Gebiet der Wall Street bahnten, College-Schüler und Friedensdemonstranten verprügelten und dafür die Bewunderung des rechten Flügels ernteten sowie eine Erwähnung von Präsident Nixon, fasste eines der Banner, die sie in die Luft hielten, in einer einzigen Phrase zusammen, wie auffallend sich der rechte Flügel über die letzten zwei Jahrzehnte gewandelt hatte. Denn auf dem Transparent stand lediglich: „Gott schütze das Establishment“. Mit dieser einzelnen Formulierung, die so typisch ist für den gegenwärtigen rechten Flügel, drückten die „Schutzhelme“ die uralte politische Philosophie des Konservatismus aus, diejenige Philosophie, die den inneren Kern des „Konservatismus“ im Europa des frühen 19. Jahrhunderts formte. Tatsächlich ist es diejenige Philosophie, die genuin konservatives Denken unabhängig von der Etikettierung auszeichnet – und das seit den uralten Tagen des orientalischen Despotismus: eine allumfassende Verehrung von „Thron und Altar“, für jeden auf welche Weise auch immer göttlich sanktionierten Staatsapparat, der gerade existierte. In der einen oder anderen Form standen Rufe wie „Gott schütze das Establishment“ schon immer im Dienste staatlicher Macht.

Aber wievielen Amerikanern ist eigentlich bewusst, dass noch vor gar nicht allzu langer Zeit der rechte Flügel Amerikas beinahe das genaue Gegenteil dessen war, als was wir ihn heute kennen? Ja, wieviele wissen eigentlich, dass der Begriff „Establishment“ selbst, der heute fast ausschließlich als eine Schimpfvokabel von der Linken verwendet wird, nicht von C. Wright Mills oder anderen linken Soziologen in Amerika eingeführt wurde, sondern von einem Theoretiker der „National Review“ namens Frank S. Meyer – und zwar in den frühen Tagen dieses Zentralorgans der amerikanischen Rechten? Mitte der 50er Jahre nahm Meyer einen Begriff, der zuvor ausschließlich – und eher in schmeichelnder Weise – zur Beschreibung der herrschenden Institutionen Großbritanniens verwendet wurde, um ihn dann mit angemessener Säuernis auf die amerikanische Bühne zu holen. Breiter und subtiler als „herrschende Klasse“, dauerhafter und normativer als eine „Machtelite“, wurde „Das Establishment“ ein geflügeltes Wort. Aber der ironische und entscheidende Punkt ist, dass Meyer und die „National Review“ den Begriff zu dieser Zeit als bitterböse Kritik verstanden wissen wollten: der Geist des rechten Flügels lief damals und vor allem davor eher auf ein „Gott verdamme“ als „Gott beschütze“ des Establishments hinaus.20 Der Unterschied zwischen den beiden rechten Flügeln – „alt“ und „neu“ – und wie der eine in den anderen verwandelt wurde, ist das Kernthema dieses Buches.