Der Bergpfarrer – 157 – Halt dein Glück mit beiden Händen fest!

Der Bergpfarrer
– 157–

Halt dein Glück mit beiden Händen fest!

Hör' nicht auf die bösen Zungen!

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-060-9

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»Grüß Gott und herzlich willkommen«, begrüßte Ria Stubler die junge Frau, die gerade angekommen war. »Frau Hofmeister, net wahr?«

»Ja!« Die Studentin nickte. »Ich habe für eine Woche reserviert.«

»Genau. Das Zimmer ist hergerichtet. Ich zeig’s Ihnen gleich.«

Die Wirtin führte ihren neuen Gast in das erste Stockwerk. Dort lagen die Einzelzimmer der Pension Stubler. Sie waren vor einigen Jahren modernisiert worden und verfügten seither über ein eigenes Bad. Es gab Fernsehen, Telefon und Internetanschluß. Ria war der Meinung gewesen, man müsse den Gästen etwas bieten, und die Investition hatte sich ausgezahlt. In der Saison war das Haus regelmäßig ausgebucht, und es mußte schon ein großer Zufall sein, wenn ein Zimmer wirklich mal länger als zwei Tage leer stand.

»So, da sind wir schon«, sagte Ria und schloß auf.

Sonja Hofmeister trat gespannt ein und stieß einen Jauchzer des Entzückens aus, als sie die liebevolle Einrichtung sah. Bett und Schrank waren mit bäuerlichen Motiven bemalt, an den Wänden hingen gerahmte Bilder, die das Leben der Bergbauern darstellten.

»Ach, ist das schön hier«, rief sie. »Da werde ich mich bestimmt wohlfühlen!«

»Ich freu’ mich, daß es Ihnen gefällt. Frühstücken können S’ ab sieben Uhr, es sei denn, Sie wollen eine Bergtour unternehmen. Dann sagen S’ mir am Abend vorher Bescheid, damit ich Ihnen was herrichten kann«, erklärte die Wirtin.

Sie wünschte Sonja einen schönen Aufenthalt und verließ das Zimmer. Die Studentin ging zu der großen Glastür und öffnete sie. Auf dem umlaufenden Balkon standen bequeme Möbel und luden zum Sitzen ein.

Tief sog sie die würzige Bergluft ein, die nach Wiesen und Kräutern schmeckte. So verweilte sie einen Augenblick, dann ging sie ins Zimmer zurück und nahm ihr Handy aus der Handtasche. Ihre Mutter nahm nach dem zweiten Klingeln ab.

»Mama, es ist einfach wunderschön hier!« sagte Sonja begeistert. »Tausend Dank noch mal, daß ihr mir diesen Urlaub geschenkt habt.«

»Du hast ihn dir verdient«, erwiderte Astrid Hofmeister. »Jetzt erhol’ dich und laß es dir gutgehen.«

»Das werd’ ich ganz bestimmt. Grüß Papa, wenn er nach Haus’ kommt. Ich melde mich zwischendurch noch mal.«

»Ist gut, mein Kind. Bis bald.«

Nach dem Telefonat machte sich Sonja ans Auspacken. Schon auf der Herfahrt hatte sie überlegt, ob wirklich alles eingepackt war, was sie sich auf eine Liste geschrieben hatte. Jetzt, als sie den Koffer leerte, kam es ihr jedoch so vor, als hätte sie viel zuviel mitgenommen.

»Drei Hosen für eine Woche«, murmelte sie und schüttelte über sich selbst den Kopf. »Zwei hätten es auch getan.«

Nachdem alles im Kleiderschrank untergebracht war, nahm die Studentin einige der Prospekte, die auf einem kleinen Tisch auslagen, und setzte sich damit hinaus auf den Balkon. Es war phantastisch, was der kleine Ort zu bieten hatte. Vom Reiten, übers Schwimmen und Boot fahren, bis hin zum Wandern und Bergsteigen war alles möglich. Viel zu groß war das Angebot für die sechs Tage, die sie bleiben konnte, und Sonja mußte sich überlegen, was sie machen wollte.

Nachdem sie die Prospekte durchgeblättert hatte, brachte die Studentin sie wieder zurück ins Zimmer. Sie hatte beschlossen, erst einmal durch St. Johann zu bummeln und sich mit dem Urlaubsort vertraut zu machen.

Draußen war es warm und sonnig, und Sonja war froh, daß unter den Kleidungsstücken, die sie mitgebracht hatte, auch ein paar leichte T-Shirts waren. Zwar hatte ihre Mutter gemahnt, in den Bergen könne es rasch kühl werden, aber danach sah es, zumindest jetzt, nicht aus.

Groß war das Dorf nicht, aber voller Touristen, die man an der Kleidung und vor allem den umgehängten Fotoapparaten und Videokameras erkannte. Ihre eigene Digitalkamera, ein Geschenk der Eltern zur letzten Weihnacht, hatte Sonja mitgenommen. Sie fotografierte die Lüftlmalereien an den Häusern, das Rathaus und die Kirche. Die wollte sie sich unbedingt auch von innen ansehen, im Prospekt hatte sie gelesen, daß es eines der schönsten Gotteshäuser Oberbayerns sei.

Doch zuvor mußte sie etwas essen. Das Hinweisschild auf den Bier- und Kaffeegarten des Hotels ›Zum Löwen‹ war der Studentin bei ihrem Spaziergang schon aufgefallen. Seit dem Morgen, als sie aus Ulm abgefahren war, hatte sie nichts mehr gegessen; viel zu aufregend war die Fahrt für die Zweiundzwanzigjährige, die ihren ersten Urlaub alleine verbrachte.

Der Kaffeegarten war gut besucht, offenbar nahmen viele Urlaubsgäste hier ihre Mahlzeiten ein. Andere Lokale gab es in St. Johann nicht, und in den Pensionen wurde nur das Frühstück serviert.

Sonja fand einen freien Tisch, der unter hohen Bäumen stand, die angenehmen Schatten spendeten, durch ihr Geäst aber immer noch genug Sonnenschein durchließen, daß es nicht zu kühl wurde. Sie bestellte eine Leberknödelsuppe von der Tageskarte und einen Salatteller. Dazu trank sie eine Apfelschorle.

Während Sonja sich das Essen schmecken ließ, dachte sie an die letzten vierzehn Tage, die hinter ihr lagen. Voller Aufregungen und Streß waren die zwei Wochen gewesen, es wurden täglich Klausuren geschrieben, und abends büffelte die Studentin in ihrem Zimmer im Haus der Eltern, bis ihr die Augen vor Müdigkeit zufielen. Aber die Strapazen hatten sich gelohnt. Sonja bestand die Prüfung mit der Bestnote, und jetzt konnte sie eine Woche ausspannen, bis sie den Aushilfsjob in einem Ulmer Krankenhaus antrat, um im Rest der Semesterferien etwas hinzuzuverdienen.

Ärztin wollte sie werden. Und wenn es bis dahin auch noch ein paar Jahre dauern würde, das Ziel hatte sie klar vor Augen. Und dann, wenn es soweit war, dann konnte sie endlich den Eltern das zurückgeben, was sie an finanzieller Unterstützung von ihnen bekommen hatte.

Reich waren Astrid und Peter Hofmeister zwar nicht, aber sie nagten auch nicht am Hungertuch. Die Mutter arbeitete halbtags bei einem Zahnarzt als Sprechstundenhilfe, Sonjas Vater war bei der Stadt angestellt. Das kleine Häuschen, das sie vor dreißig Jahren am Rande von Ulm gebaut hatten, war abbezahlt, und alles in allem ging es der Familie recht gut. Aber natürlich kostete das Studium der Tochter Geld, und das, was sie von staatlicher Seite als Unterstützung bekam, reichte hinten und vorne nicht. Um so dankbarer war Sonja, daß ihre Eltern immer wieder mit einem Geldbetrag aushalfen.

Das Essen hatte ganz hervorragend geschmeckt, und Sonja winkte der Bedienung. Sie zahlte und verließ den Kaffeegarten.

Mit dem Münster ist es nicht zu vergleichen, dachte sie, als sie zur Kirche ging.

Aber die Fotos, die sie im Prospekt gesehen hatte, versprachen eine herrliche Innenausstattung des Gotteshauses, und die Studentin trat erwartungsvoll ein.

*

Drinnen herrschte eine angenehme Kühle. Sonja stand in dem kleinen Vorraum und blickte durch die Glastür. Es war überwältigend, was sie zu sehen bekam. Wunderschöne Fensterbilder zeigten Szenen aus der Bibel, herrlich geschnitzte Heiligenfiguren waren aufgestellt, und Wand- und Deckenmalereien waren einfach prachtvoll.

Aber das alles war nichts gegen das Dröhnen der Orgel, das in Sonjas Ohren klang. Sie öffnete die Tür und blieb stehen. Der überwältigende Klang verbot es ihr, einfach weiterzugehen, so ergreifend war das Stück.

Musik von Bach – wenn sie sich nicht irrte.

In einer der vorderen Bänke saß eine junge Frau und lauschte ebenfalls der Musik. Dabei hatte sie sich halb umgedreht und blickte zur Orgel empor. Endlich wagte Sonja, einen Schritt nach vorne zu machen. Sie setzte sich in die letzte Bank und hielt den Atem an. Noch immer brauste die Musik wie ein Orkan durch das Kircheninnere und fuhr dabei den Zuhörern bis ins Herz hinein.

Dann nahm die Lautstärke ab, die Melodie verklang allmählich.

Die junge Frau in der ersten Bankreihe sprang auf und schlug die Hände zusammen. Sonja konnte ihre glühenden Wangen sehen, das Leuchten in den Augen, als die Zuhörerin, die kaum älter war als sie selbst, begeistert nach oben schaute.

Dann, als wäre sie bei etwas Ungehörigem entdeckt worden, raffte sie ganz schnell Tasche und Jacke, die auf der Bank gelegen hatten, zusammen und eilte zur Tür. Ihr Blick war jetzt so starr nach innen gerichtet, als nehme sie ihre Umwelt gar nicht wahr. Sonja war überzeugt, daß die Kirchenbesucherin sie überhaupt nicht gesehen hatte, obwohl sie dicht an ihr vorbeigelaufen war.

Aber sie selbst war von der Musik auch ergriffen gewesen, und noch immer klang die Orgel in ihr nach. Langsam stand sie auf und schritt durch die Kirche. Von der Empore erklangen leise Stimmen, offenbar unterhielten sich dort zwei Männer.

Die Studentin bestaunte die geschnitzten Figuren, von denen einige mit Blattgold verziert waren, bewunderte den prächtigen Altar und wandte sich dem Gemälde zu, das unter der Galerie hing, die zur Orgel führte.

›Gethsemane‹, stand auf einem kleinen Schild neben dem Bild. Es war ein Porträt des Erlösers und zeigte den Sohn Gottes im Garten Gethsemane, am Abend vor der Kreuzigung, im Gebet versunken.

Dem unbekannten Künstler war es meisterhaft gelungen, das Wissen um die Unabänderlichkeit seines Schicksals im Gesicht Jesu eindringlich darzustellen. Sonja blieb minutenlang davor stehen und betrachtete es ergriffen.

Sie war so in die Betrachtung versunken, daß sie nur mit halbem Ohr die Schritte auf der Treppe wahrnahm. Erst als sie ein freundliches ›Grüß Gott‹ hörte, drehte sie sich um.

Ihr Blick fiel auf einen hochgewachsenen Mann, der genauso gut dreißig wie vierzig Jahre alt sein konnte. Er war schlank und hatte eine sportliche Figur, das leicht gebräunte Gesicht war ein deutliches Indiz dafür, daß der Mann sich häufig im Freien aufhielt. Das markante Gesicht strahlte Ruhe und Frieden aus und sein Lächeln war sympathisch. Er hatte durchaus eine gewissen Ähnlichkeit mit einem berühmten Schauspieler, dessen Name Sonja nicht einfallen wollte.

Alles in allem ein Mann, bei dem eine Frau schwach werden konnte – hätte sein Priesterkragen die Studentin nicht stutzig gemacht.

Das sollte ein Geistlicher sein?

Sie mußte zugeben, daß sie bisher ein anderes Bild von einem Diener Gottes hatte, sich hier aber eines Besseren belehren lassen mußte.

»Grüß Gott«, erwiderte die Studentin, während ihr das alles durch den Kopf ging, und blickte die Treppe hinauf, wo noch jemand stand.

Es war ebenfalls ein Mann, aber deutlich jünger, wahrscheinlich im selben Alter wie sie. Er trug Jeans und ein Polohemd und kam leichten Schrittes die Stufen herunter. Dabei lächelte er sympathisch.

»Haben S’ sich ein bissel umgeschaut?« erkundigte sich der Geistliche.

Sonja nickte.

»Ja, Sie haben eine wunderschöne Kirche, Hochwürden«, antwortete sie. »Ganz besonders gefällt mir dieses Gemälde.«

»Ja, das glaube ich. Das geht vielen Besuchern so«, erwiderte er und machte eine Handbewegung. »Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Ich bin Pfarrer Trenker, und das hier ist der Florian Brunnthaler.«

»Sehr erfreut, Sonja Hofmeister«, stellte sie sich ebenfalls vor und schaute den jungen Mann unverwandt an. »Haben Sie gespielt?«

»Ja«, nickte er.

»Es war… großartig!«

»Dank’ schön«, meinte er. »Aber es ist noch lang’ net perfekt.«

»Florian studiert Musik«, erläuterte der Geistliche, »obwohl er ein Naturtalent ist, glaubt er immer noch, sich verbessern zu müssen.«

Er hatte es mit einem Schmunzeln gesagt.

»Sie machen Urlaub in St. Johann?« wandte sich Sebastian dann wieder an die Studentin.

»Ja, leider nur für eine Woche, aber immerhin«, antwortete Sonja. »Ich freue mich trotzdem.«

»Darf ich fragen, wo Sie untergekommen sind?«

»Ich wohne in der Pension Stubler.«

»Ach, bei der Ria! Dann sind S’ ja bestens versorgt«, meinte Pfarrer Trenker. »Grüßen Sie sie von mir.«

»Das mache ich«, versprach die Studentin und bemerkte, daß Florian Brunnthaler sie nach wie vor anschaute.

Mit einem Blick, der ihr durch und durch ging…

*

Wie in Trance war Christa Brunner aus der Kirche gegangen. Noch immer hörte sie die Orgel in ihren Ohren, obwohl die Musik längst verklungen war. Langsam ging sie den Kiesweg hinunter und setzte sich auf eine Bank am Straßenrand.