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Hildegard Lehnert

Der Bächleshof

Gutenachtgeschichten für Kinder

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© 2017 Hildegard Lehnert

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg

ISBN

Paperback:978-3-7439-0251-0
Hardcover:978-3-7439-0252-7
e-Book:978-3-7439-0253-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Eine Woche Leben auf dem Bauernhof

erzählt von

Tante Hildegard

Der Hof hat seinen Namen vom Neumagen, JA, dem NEUMAGEN!!!!

Der Neumagen ist der Bach, der ganz oben im Hochschwarzwald zwischen Schauinsland und Belchen entspringt. Dann läuft er durchs Münstertal. Er läuft und läuft und läuft und läuft durch Staufen und weiter, weiter, bis er endlich in Bad Krozingen seine Freundin, die Möhlin trifft. Mit der zusammen geht's weiter. Sie laufen und laufen bis sie ganz außer Atem, weil sie immer größer und schneller werden und der Weg sehr weit ist, in Breisach in den Rhein münden.

Aber beim Hof ist der Neumagen noch klein, ein KLEINER Bach - ein BÄCHLE halt - und daher hat der Hof seinen Namen, nämlich..............

Der Bächleshof

Der Bächleshof liegt hoch oben über den Dächern des Klosters knapp unterhalb der Bergkuppe, die ihn bei scharfem Südwestwind schützend in ihre Arme nehmen konnte.

Sein schiefergraues Dach war im Laufe der Jahre fast etwas schäbig geworden, am Kuhstall bröckelte leise, daß man ihn nur nicht hörte, der nicht mehr ganz weiße Putz von den Wänden, das Gebälk im Pferdestall stöhnte manchmal im Winter unter der Last des Schnees und drohte nachzugeben, und wenn sich die Schafe im Stall im Winter dicht aneinanderdrängten bog sich seit Jahren das Gatter gefährlich weit vor bis es endlich im Frühjahr diesen Jahres eines Tages unter dem Druck nachgab und barst.

Nur der Brunnen in der Mitte des großen Hofes plätscherte seit Jahren unverändert vor sich hin und verlor sich in dem großen Sandsteintrog, dem selbst die Zeit nichts anhaben konnte.

Nächstes Jahr würde der Hof seinen 150sten feiern, und er würde es er- und auch überleben. Bis dahin würde das Gatter repariert sein, der Kuhstall sollte sich neugeputzt wohlfühlen und die Pferde sollten endlich auch in strengem Winter unbeschwert schlafen können, befreit von der Angst, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen.

Der Bauer hatte sich für dieses Jahr viel vorgenommen. Das große Scheunentor konnte einen neuen Anstrich gut gebrauchen, lange genug hatte es Morgen für Morgen beim Öffnen durch das laute Knarzen der rostigen Angeln seinem Unmut Luft gemacht, das Dach mußte dringend stellenweise ausgebessert werden, denn der Regen würde das Gebälk sonst aufweichen wie Milch den Streuselkuchen, das alte Pflaster des Innenhofes mußte gehoben werden und und und...

Aber er würde es angehen, und Jakob, sein treuer, alter Knecht, würde ihm dabei helfen, denn für seine Frau und seine beiden Töchter war das keine Arbeit. Das war MÄNNERARBEIT – sie würden das schon packen.

Elsa... eine glückliche Kuh

Elsa streckte und reckte sich genüsslich. Vor kurzem hatte die Uhr vom Münster fünf geschlagen. Im Stall war es noch sackedunkel, aber sie wachte immer so früh auf. Alte Kühe brauchen nicht mehr so viel Schlaf - und Elsa war eine alte Kuh.

25 Jahre - Elsa streckte sich wieder, daß die alten Knochen krachten - 25 Jahre war sie jetzt schon auf dem Bächleshof bei Bauer Pfefferle. Vor 25 Jahren war sie hier geboren, 25 Jahre hatte sie ihre Arbeit gut gemacht, sie hatte Milch gegeben und Kälber geboren - schöne Kälber - insgesamt hatte sie 12 Kinder.

Das war ihre schönste Stunde, am Morgen, vom Aufwachen bis zum Wecken. Sie dachte gerne an die vielen schönen Jahre, die hinter ihr lagen. Im Stall war es noch ruhig bis auf das leise Schnarchen von Resi, die neben ihr lag. Resi war 20.

Vor 2 Jahren hatte sie sich nach dem Almabtrieb beim Verladen auf den Transporter das Hinterbein gebrochen und seitdem durfte sie im Sommer, wenn die Herde zur Alm hochstieg, unten auf dem Hof bleiben bei Elsa. Der Bauer hatte vor 3 Jahren , als sie zum ersten Mal beim Almaufstieg weit hinter die Anderen zurückfiel, weil ihr das Laufen so schwer wurde, beschlossen, dass Elsa in Zukunft auf dem Hof bleiben durfte. Im Winter davor war sie sehr krank gewesen - RHEUMA hatte der Tierarzt gesagt - aber sie kam wieder ganz in Ordnung, nur das Laufen fiel ihr seitdem halt ein bisschen schwer.

Mühsam schaffte sich Elsa auf die Hinterbeine sie war einfach zu schwer - oder zu schwach? Die Hinterbeine waren die schwerste Übung, wenn das erst mal geschafft war und sie durchgeschnauft hatte stemmte sie sich mit einem stöhnenden Ruck auf die Vorderbeine und dann stand sie, noch zitternd von der Anstrengung, und schaute sich im Stall um. Es war noch sehr dunkel, aber ihre Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt. Im Stall wurde es auch bei Tag nicht richtig hell, denn er hatte wegen der Kälte im Winter nur 2 kleine Fenster, und die waren immer blind vor Dreck und Staub und verbannten so hartnäckig die Sonne draußen auf den Hof. Und dann gab es noch eine kleine Stalllaterne für die Not.

Sie waren zu sechst im Stall, sie, Resi und 4 jüngere, tragende Kühe. Ganz hinten, dicht bei dem funseligen Licht, lag leise stöhnend Anni, ihre Jüngste. Bei ihr musste es bald soweit sein. Man konnte tagsüber das Kälbchen in Annis ausladendem Bauch rumoren sehen. Lange würde es sich nicht mehr drin halten lassen. Es war Annis drittes Kalb und immer noch hatte sie ein bisschen Angst vor der Niederkunft. Naja, nach dem sechsten würde es dann einfacher.

Anni und ihre 3 Schwestern mussten diesen Mai nicht mit auf die Alm, weil sie tragend waren und die Geburt in die Almzeit fallen würde. Sie durften zu Hause bleiben und nach dem Wecken und Melken stiegen sie gemütlich alle zusammen auf die Weide hinterm Haus.

Die Weide stieg vom Hof aus leicht an, bis sie auf der Höhe abrupt von einem schmalen Steig, der noch dazu von elektrischen Drähten ausgegrenzt war, abgebrochen wurde. Auf der rechten Seite wurde sie von einem dunklen, bei schlechtem Wetter fast bedrohlich wirkenden Tannenwald begrenzt, nach links dehnte sie sich über weite, grüne Wiesen bis hin zum Eckerlebauern. Insgesamt hatten sie viel Platz auf der Weide und Elsa genoss sie. Aber die ALMZEIT war Elsas schönste Zeit gewesen. Auf der Alm hatte sie Lene kennengelernt. Lene kam vom Schlierberghof und wurde ihre beste Freundin.

Lene hatte etwas weiter zur Alm als Elsa, für sie dauerte der Aufstieg etwa 1 Stunde, Lene lief 1 und 1/2 Stunden.

Immer im Mai ging es los. Elsa kannte den Weg und oft liefen sie ihn zusammen, immer wenn sich die Herden vom Pfefferlebauer und vom Riesetererbauer unterwegs zufällig trafen. Das war immer lustig. Sie konnte sich genau erinnern an das Jahr, in dem sie sich in denselben Ochsen verknallt hatten, in HANNES, Hannes vom Reeslehof.

Gott - waren sie verliebt. Aber der hatte nur Augen für Roswith - ROSWITH - R-o-s-w-i-t-h, das muss man sich vorstellen, was für ein Name für eine Kuh-R-O-S-W-I-T-H! Und die war auch noch so! Eine Buntgescheckte mit einem Stich ins Rötliche. Und wie die die Hüften schwang wenn sie die Alm hochstieg - fast ORDINÄR! - und Hannes, der OCHSE, stierte verliebt hinter ihr her. Alle Ochsen waren damals verknallt in Roswith aber die ließ sie alle abblitzen. Die dumme Kuh! War einfach zu wählerisch! Und so hatte sie am Ende nur EIN-MAL gekalbt und war letztes Jahr mit 24 Jahren als ausgemusterte Milchkuh gestorben.

Sie - Elsa - hatte immerhin 3 Kälber mit Hannes. Lene sprach nicht gerne über die Väter ihrer Kälber, aber der eine, den, wenn man genauer betrachtete, der könnte schon...

Sie waren bis zu 136 Tiere auf der Alm - Milchkühe, Rinder, Jungtiere. Die Alm war riesig und gehörte zur Gemeinde Münstertal. Alle Bauern im Tal durften ihre Tiere im Mai gegen geringes Entgelt auf die Alm hochtreiben und dort blieben sie den ganzen Sommer, bis sie im Oktober den Abstieg wagten. Sie verbrachten die ganze Zeit im Freien, einen Stall gab es da nicht. Den ganzen lieben langen Tag fressen und wiederfressen, mehr gab es nicht zu tun, und das, wenn sie Glück hatten, und das hatten sie meistens, bei wunderschönem, ungetrübtem Sommerwetter. Morgens vertrieb die Sonne die dunkle Nacht, tauchte den Tag in leuchtende Farben, über weiß, ockergelb und mandarin bis hellblau, um am Abend dann über orange blutrot hinter dem Belchen abzutauchen, noch lange einen Hauch ihres Farbenspiels am Horizont hinterlassend. Mit den Farben änderte sich der Duft des Tages. Morgens der Tau der vergangenen Nacht vermischt mit dem Duft nach frisch gemahlenem Kaffee, gegen Mittag wurde die Luft von frischem Gras in Kombination mit dem Surren der Fliegen, ja, das konnte man RIECHEN, dominiert und am Abend roch und hörte man die Stille, die den Berg überzog. Nur der Blick ins Tal, traumhaft schön, im Hintergrund die Kulisse des Klosters, verändert nur durch den Wechsel der Tageszeit und des Lichteinfalls, blieb unverändert. Konnte es schöner sein? Morgens und abends wurden sie gemolken, dafür gab es 7 Sennerinnen und Senner, das sind Mädchen und Buben, die im Sommer mit ihnen auf der Alm wohnen.

Früher wurde noch mit der Hand gemolken, aber vor 10 Jahren hatten sich die Bauern gemeinsam eine Melkmaschine angeschafft. Seitdem gab es nur noch zwei Sennerinnen und einen Senner. Es wurde nicht mehr gesungen beim Melken wie damals. Alles ging schneller, rationeller, hektischer. Das leise Brummen der Maschine war die einzige Unterbrechung der monotonen Melkerei.

Ja- früher war alles besser.

Wie es wohl Lene ging?