20. An sein Buch.

Inhaltsverzeichnis

Nach Vertumnus und Janus, o Büchlein, scheinst du zu blicken,
Ausstehn willst du fürwahr, durch die Sosier schmuck und geglättet.
Wild schon hassest du Schloß und dem Züchtigen werte Versieglung;
Daß dich Wenige schaun, des ärgerlich, lobst du die Welt dir:

5  Du nicht also genährt! So entflieh, wo das Herzchen dich hindrängt!
Kamst einmal du hinaus, nie kehrest du! Wehe, was that ich?
Welch ein Gelust! so sagst du, wo was dich kränkte. Du weißt auch,
Wie du dich eng einschmiegst, wann satt dein Liebender gähnet.
Wenn nicht etwa im Haß des Vergehns fehlschauet der Seher,

10  Wirst du in Rom Gunst finden, bis weg dir blühet die Jugend.
Dann voll Wust und betastet von ekelen Händen des Pöbels,
Wirst du entweder verstummt unthätigen Motten ein Fraß sein,
Oder gen Utica fliehn, ja geschnürt abgehn nach Ilerda.
O dann lacht der Ermahner, dem taub du geblieben, wie jener,

15  Der in die Schlucht abstürzte den ungehorsamen Esel,
Lachte vor Zorn; denn wer wollte mit Zwangerrettung sich abmühn?
Das noch steht dir bevor, Elemente zu lehren den Knäblein,
Bis im Winkel der Stadt dir lallendes Alter heranschleicht.
Wann einst lauere Sonne dir mehr zuführte der Horcher,

20  Dann, wie vom Freigelaßnen erzeugt, in schmalem Besitztum,
Größere Schwingen hervor aus dem Nest ich gebreitet, erzähle:
Daß, so viel dem Geschlechte du nimmst, du den Tugenden beilegst;
Auch wie den Ersten der Stadt im Feld und daheim ich gefallen,
Klein und schwächlich an Wuchs, vor der Zeit grau, Freund der Besonnung,

25  Rasch auffahrend in Zorn, doch bald zu besänftigen wieder.
Wenn dich vielleicht jemand, wie hoch mein Alter, befraget,
Wiss' er, daß viermal elf der Dezembermond' ich verlebte
Als in des Lollius Jahr sich Lepidus fügte der Consul.

3. An Lucius Calpurnius Piso und seine Söhne.

Inhaltsverzeichnis

(Von der Dichtkunst.)

Wenn zum menschlichen Haupte den Hals des Rosses ein Maler
Fügen wollt' und die rings zusammengetragenen Glieder
Bunt mit verschiedener Feder umziehn, daß garstig geschwärzet
Auslief' unten zum Fische das Weib, liebreizend von oben:

5  Als Zuschauer gestellt, enthieltet ihr, Freund', euch des Lachens?

    Glaubt mir, edle Pisonen, es ähnele solchem Gemälde
Völlig ein Buch, worin, wie des Fiebernden Träume, die eitlen
Dichtungen wild umschwärmen, daß weder der Fuß noch das Haupt sich
Einer Gestalt anschließt. »Darstellende Maler und Dichter

10  Übeten, alles zu wagen, von jeher gleiche Befugnis.«

    Wohl uns bekannt; wir erbitten, so gern wir gewähren, die Nachsicht.
Doch nicht, daß sich zu Mildem gesell' Unbändiges, nicht daß
Vögel mit Schlangengezücht sich vereinigen, Tiger mit Lämmern.

    Einem erhabenen oft und vielversprechenden Eingang

15  Wird aus Purpurgewand, das weithin glänze, mitunter
Angenähet ein Streif: wann Hain und Altar der Diana,
Und des beschleunigten Bachs Umlauf durch lachende Felder,
Oder der strömende Rhein und ein Regenbogen gemalt wird.
Doch jetzt war nicht hierzu der Ort. Die Cypresse zu schildern

20  Weißt du vielleicht. Was dieses, wenn hoffnungslos aus dem Schiffbruch
Schwimmt der Mann, der das Täflein bedung? Ein gewaltiger Krug ward
Angelegt; um rollet die Scheib', und was wird es? Ein Tröpflein.
Sei, was immer du schaffst, nur gleich sich selber, ein Ganzes.

    Alle wir Sänger beinah, o Vater und würdige Söhn' ihr,

25  Werden getäuscht vom Scheine der Tugenden. Kürze begehr' ich,
Und ich verirr' in das Dunkel; dem mühsamen Glätter versaget
Nerv' und belebender Geist; wer groß sich gebärdete, schwillt auf;
Niedrig kriecht, wer zu ängstlich Gefahr vermeidet und Sturmwind;
Wer den einigen Stoff höchstwunderbar strebt zu verändern,

30  Malt den Delphin in die Wälder hinein, in die Fluten den Eber.
Scheu des Fehls ist zum Fehle die Führerin, warnet die Kunst nicht.
Um des Ämilius Schul' ist der unterste Künstler in Nägeln
Ausdrucksvoll und in sanftem aus Erz vorschwellendem Haupthaar;
Doch unglücklich im Wesen des Werks: denn zu ordnen ein Ganzes

35  Weiß er nicht. Ihm gleichen, wenn ich was fertigen wollte,
Möcht' ich fürwahr so wenig, wie gehn mit scheußlicher Nase,
Als Schwarzäugiger sonst und Schwarzumlockter gepriesen.

    Wählt die Materie wohl, die gleich sei eueren Kräften,
Schreibende; lang' auch wägt, was aufzunehmen sich weigert,

40  Was die Schulter vermag. Wer den Stoff nach Vermögen sich auskor,
Diesem mangelte nie Ausdruck noch leuchtende Ordnung.

    Dies ist der Ordnung Verdienst und Grazie, wenn ich nicht irre,
Daß sie sogleich nun sagt, was sogleich nun mußte gesagt sein,
Aber das meiste verschiebt und zurücklegt nahem Bedürfnis.

45  Auch in der Worte Gebrauch vorsichtig zugleich und enthaltsam,
Soll dies scheun, dies lieben, wer edlen Gesang uns verheißet.
Trefflich gesagt ist das, wo ein Wort von alter Bekanntschaft
Wird durch schlaue Verbindung wie neu. Wenn etwa die Not will,
Daß du verborgene Ding' in neuen Bezeichnungen aufführst;

50  Dann sei, Worte zu bilden, wie kein Altvater sie hörte,
Gerne vergönnt; nur werde bescheiden genutzt die Erlaubnis.
Gunst auch findet ein junges und neu aufkommendes Wort, wenn's
Griechischen Quellen entsprang, sanft abgebeuget. Wie aber?
Was dem Cäcil und Plautus erlaubt ist, soll's dem Vergil nicht

55  Oder dem Varius sein? Wenn mir zu erwerben ein wenig
Glückt, was sehen sie scheel? da Catos und Ennius Zunge
Doch die Sprache der Väter bereicherte und den Gedanken
Neuere Namen erfand! Frei war's, frei bleibt es auf ewig,
Auszugeben ein Wort, mit dem heutigen Stempel gepräget.

60  So wie die Wälder das Laub mit den flüchtigen Jahren verändern,
Voriges welkt, so vergehn absterbender Worte Geschlechter,
Und gleich Jünglingen blühn die neugebornen voll Lebens.
Sind wir doch schuldig dem Tod uns selbst und das Unsrige: ob nun,
Dringend ins Land, Neptunus vor Sturm die Fregatten verteidigt,

65  Königeswerk! ob der Sumpf, unfruchtbar lang' und berudert,
Nährt anwohnende Städt' und den Druck empfindet des Pfluges,
Ob auch den Lauf umwandte der Strom vom Verderben der Landfrucht,
Lernend die bessere Bahn. Was Sterbliche schufen, vergehet:
Und fort blüheten Sprachen in Ehr' und dauernder Anmut?

70  Vieles erwächst von neuem, was schon abdorrte; verdorrend
Sinken die jetzt ehrhaften Benennungen, wenn's der Gebrauch will,
Welcher mit Macht und Befehl und Entscheidungen waltet des Redens.
Traurige Krieg' und Thaten der Könige und der Gebieter,
Welcherlei Maß und Bewegung sie forderten, zeigte Homerus.

75  Wehmut klagte zuerst in dem ungleich wandelnden Verspaar;
Bald auch tönte darin das Gefühl des beseligten Wunsches.
Welcher Erfinder indes kleinlaut als Elegiker auftrat:
Eifrig führen den Streit die Grammatiker, und das Gericht säumt.
Wut erteilte zur Wehr dem Archilochos seinen Jambus.

80  Diesen nahm auch der Soccus zum Fuß und der hohe Kothurnus:
Weil er dem Wechselgespräch sich schmiegete und des Theaters
Lärmende Menge bezwang, wie gemacht für raschere Handlung.
Götter verlieh der Guitarr' und Göttersöhne die Muse,
Siegende Kämpfer der Faust, und das Roß, das gewonnen im Wettlauf,

85  Auch der Jünglinge Sorg', und entfesselnden Wein zu besingen.

    Jedes verschieden Gedichts Tonart und Farbe zu treffen,
Was, wenn ich's nicht weiß noch vermag, werd' ich Dichter gegrüßet?
Warum, aus eiteler Scham, es vielmehr nicht wissen, als lernen?

    Nicht im tragischen Vers will gezeigt sein komische Handlung.

90  Ebenso sträubt unwillig sich häuslichen und zu dem Soccus
Fast hinsinkenden Tönen das blutige Mahl des Thyestes.
Jedes behaupte den Ort, wie das Los ihn teilte, mit Anstand.
Oft auch hebet indes die Komödie höher die Stimme:
Und es vertont ein Chremes mit vollerem Munde den Eifer.

95  Auch der Tragiker klagt manchmal in der Rede des Umgangs.
Telephus traun und Peleus, in Armut jetzt und Verbannung,
Wirft Luftblasen hinweg und die zweithalbfüßigen Wörter,
Ist es ihm Ernst, durch Klage des Schauenden Herz zu bewegen,

    Nicht ist genug, daß schön ein Gedicht sei, lieblich verlang' ich's,

100  Und daß, wohin es auch woll', es die Seel' hinreiße des Hörers.

    Wie mit den Lachenden lacht, also auch den Weinenden folget
Gern des Menschen Gesicht. Du willst mich weinend? in Gram denn
Zeige dich selber zuerst; dann wird mich kränken dein Unglück,
Telephus, deins, o Peleus. Wenn schlecht du bestellest den Auftrag,

105  Werden wir bald angähnen und bald anlachen. Betrübt sei,
Trauert die Mien', auch das Wort; zur zornigen, schwell' es von Drohung;
Zur mutwilligen, scherz' es; und sei zur finsteren ernsthaft.
Denn uns bildet zuvor die Natur inwendig so vielfach,
Als abwechselt das Glück: sie belustiget, stürmet in Wut auf,

110  Oder sie beugt zur Erde mit lastendem Kummer und ängstigt,
Und dann heißt sie die Zunge der Seele Bewegungen kundthun.
Wenn zu des Redenden Lag' und Geschick das Geredete nicht stimmt,
Ringsum hebt Roms Ritter und Roms Fußvolk ein Gelächter.

    Vieles verschlägt's, ob ein Gott sei der Redende oder ein Heros;

115  Ob wen Alter gereift, ob er noch von blühender Jugend
Braus'; ob stolze Matron' auftret', ob geschäftige Amme;
Ob weitschweifender Krämer, ob Wirt des befruchteten Gütchens;
Kolchier, oder Assyrer; ob Theben, ob Argos ihn aufzog.

    Folge dem fabelnden Ruf, sonst dichte dir, was sich verträget.

120  Stellst du dar von neuem den hochgepries'nen Achilles,
Feurigen Muts, jähzornig, ein unerbittlicher Rächer,
Sag' er der Rechte sich los; nichts bleib' unertrotzt mit dem Schwerte.
Frech sei Medea gesinnt, unerschütterlich; weinerlich Ino,
Io gescheucht, Ixion verräterisch, finster Orestes.

125  Wenn du der Bühn' Unversuchtes vertraun willst und zur Erschaffung
Einer neuen Person dich erkühnst, laß völlig sie ausgehn,
Wie sie zuerst auftrat, und gieb ihr Bestand mit sich selber.
Schwer ist's, eigene Wesen aus Allgemeinem zu bilden,
Ratsamer denn, du webst aus der ilischen Sage die Handlung,

130  Als wenn bisher Unerhörtes zuerst aufstellen du wolltest.
Stoff, der öffentlich war, wird eigene Habe, wofern du
Weder im wimmelnden Raume des Alltagskreises dich umtreibst,
Noch dem Worte sein Wort zu geben dich quälst, ein getreuer
Dolmetsch, noch in die Enge, genau nachahmend, hinabspringst,

135  Wo zu rühren den Fuß hier Scham, hier Regel des Werks hemmt.

    Auch nicht also beginn, wie dereinst der cyklische Dichter:
»Priamos Trauergeschick und die rühmliche Fehde besing' ich.«
Was bringt Würdiges wohl so offenen Munds der Verheißer?
Kreisend dreht sich der Berg und – hervorkommt winzig ein Mäuslein.

140  Wie weit löblicher er, der nichts anhebet mit Unschick:
»Sage mir, Muse, vom Manne, der einst, als Troja zerstört war,
Vieler sterblichen Menschen Gebräuch' und Städte gesehen.«
Nicht uns Rauch aus Glanz, nein Glanz aus dem Rauche zu geben,
Trachtet er; daß er darauf hellstrahlende Wunder enthülle:

145  Scylla, samt den Cyklopen, Antiphates auch und Charybdis.
Nicht Diomeds Heimfahrt beginnt er vom Tod Meleagers,
Noch den trojanischen Krieg vom Zwillingseie der Leda.
Immer zum Ausgang eilet er fort und hinein in die Sachen,
Gleich als kennte sie jeder, zieht hin er den Hörenden; und was

150  Durch die Behandlung sich stäubt hervorzuglänzen, verläßt er.
Und so täuscht er mit Lug, so menget er Wahres und Falsches,
Daß zum Ersten die Mitte, zur Mitt' einstimme das Ende.

    Du, was ich und das Volk samt mir begehre, vernimm jetzt.
Wenn du den Hörer verlangst, der den Vorhang ruhig erwartet

155  Und fort sitzt, bis der Spieler sein »Klatsch in die Hände!« daherruft,
Zeichne du jeglichem Alter genau die Sitten und sorgsam
Gieb der beweglichen Jahr' unsteter Natur, was geziemet.

    Weiß schon lallend das Kind zu verständigen und mit gewissem
Fuße zu gehn, dann behagt ihm das Spiel mit Gleichem, es zürnet

160  Oder entsaget dem Zorn um nichts und verändert sich stündlich.

    Ein unbärtiger Jüngling, befreit nun endlich von Aufsicht,
Freut sich der Ross' und der Hund' und des sonnigen Grases im Marsfeld:
Weich wie biegsames Wachs Untugenden, starr dem Ermahner,
Träg' im Voraussehn dessen, was frommt, ein Verschwender des Geldes,

165  Hohen Muts und begierig und rasch, was er liebt, zu verlassen.

    Andere Neigungen heget der Sinn des männlichen Alters:
Reichtum sucht er und Macht und Verbindungen, Würden und Ansehn,
Ängstlich, daß nichts ihm entgehe, was bald er zu ändern besorgt sei.

    Endlich den Greis umringt viel Ungemächliches: teils weil

170  Kargend er stets das Erkargte sich aufspart und den Gebrauch scheut;