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Thomas Ziebula

Der König und andere Geschichten





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Der König und andere Geschichten

Anthologie von Thomas Ziebula

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 75 Taschenbuchseiten.

 

In elf kurzweiligen Geschichten erzählt der Autor, wie das Leben so spielt – darüber, dass Gedanken machtvoll sind, vor allem, wenn sie von einem Besitz ergreifen, oder dass Wünsche sich erfüllen, wenn man fest an sich glaubt und den Weg des Herzens geht. Die Figuren dieser Erzählungen sehen sich – wie im wirklichen Leben – ihren Ängsten, Sehnsüchten, der Trauer und Einsamkeit gegenüber; erfahren aber auch, dass das Leben Mut und Entschlossenheit mit Erfolg belohnt und wie wichtig Freundschaft ist. Zuweilen melancholisch, doch auch mit einem Augenzwinkern malt der Autor ein Bild über die Vielfalt der menschlichen Psyche.

 

 

Dieses Buch enthält folgende Geschichten:

Thomas Ziebula: Rosen

Thomas Ziebula: Kaltbad mit Muezzin

Thomas Ziebula: Hollywood

Thomas Ziebula: Ein Fremder

Thomas Ziebula: Eintritt

Thomas Ziebula: Abschied

Thomas Ziebula: Busfahrt

Thomas Ziebula: Begegnung

Thomas Ziebula: Der König

Thomas Ziebula: Das Ruder

Thomas Ziebula: Der Sieger

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

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postmaster@alfredbekker.de



Rosen

von Thomas Ziebula


Gitti bringt die beiden Kleinen ins Bett. Endlich. Herbert reibt die feuchten Hände an der Hose ab, schielt auf die Uhr: Viertel nach acht – eine halbe Stunde noch bis zum Fußballspiel. Gott, ist er aufgeregt!

Gitti liest den Kindern noch eine Geschichte vor. Tolle Mutter, wirklich wahr, und Geschichten sind ja auch so was von wichtig! Hoffentlich hat sie eine kurze ausgesucht. Champions-League-Viertelfinale, der BVB spielt. Steht überhaupt genug Bier im Kühlschrank?

Es klingelt. "Ich geh schon." Gitti rauscht an ihm vorbei.

Schon fertig, die Geschichte? Famose Frau. Sie öffnet die Tür, ein junger Kerl mit hornförmig gegeltem Haar steht davor. Der Babysitter, endlich. Noch fünfundzwanzig Minuten bis zum Fußballspiel. Was heißt hier Fußballspiel: Champions-League-Viertelfinale! "Für so ein Spiel bezahle ich einen Babysitter", hat Herbert erklärt. "Aus eigener Kasse."

Gitti gibt dem Babysitter Anweisungen, das dauert. Was haben sie denn jetzt wieder zu quatschen? Herbert schaltet schon mal den Fernseher ein. Die Kinder rufen nach dem Babysitter, wollen noch eine Geschichte hören. Herbert hat nichts dagegen.

Gitti will gehen, endlich. Sie umarmt ihn, haucht ihm ein Küsschen auf die Wange. "Bis nachher, Schatz. Denk an die Mülltonne. Und trink nicht so viel Bier."

"Klar doch, und komm nicht so spät." Herbert öffnet ihr die Tür und denkt: Komm bitte erst nach dem Elfmeterschießen.

Sie geht die Treppe hinunter, er winkt ihr hinterher. Endlich verschwindet sie aus seinem Blickfeld. Die Tür schließen, schnell, und hinein ins Wohnzimmer. Schon nach halb neun – das Vorprogramm läuft längst. Der Kahn und die Müller-Hohenstein quatschen noch. Champions-League-Viertelfinale, wie gesagt, und zwar das Rückspiel. Der BVB hat alle Chancen aufs Halbfinale.

Der Müll! Herbert klatscht sich an die Stirn. Die Mülltonne muss ja noch raus! Die Müllabfuhr kommt in aller Herrgottsfrühe, und nach dem Spiel noch nach unten? Nein.

Also aufstehen, zur Wohnungstür sprinten und die Treppe hinunter. Herbert hastet zur Garage. Nanu, wo ist denn die Tonne? Steht schon vor der Hofeinfahrt. Wahrscheinlich der neue Mieter. Famoser Kerl!

Herbert springt die Treppen hoch, stürmt in die Wohnung. Der Babysitter hockt schon in Gittis Arbeitszimmer und brütet über seiner Examensarbeit. Jurastudent, letztes Semester, prächtiger Bursche. Dreißig Euro zahlt Herbert ihm für diesen Abend. Dreißig Euro – das ist gar nichts, wenn man dafür in Ruhe Fußball gucken kann.

Herbert nickt ihm zu und geht in die Küche, um schon mal das Geld zu holen; vielleicht wird es ja Verlängerung geben und der Jurist in spe muss um 23 Uhr gehen. Auf dem Küchentisch steht ein Blumenstrauß.

Herbert bezahlt den jungen Mann, plaudert ein paar Takte mit ihm und schließt dann die Tür zum Arbeitszimmer. Endlich allein.

Ein Blick auf die Uhr: Das Fußballspiel müsste schon angefangen haben! So, jetzt aber in Ruhe gucken, wie der BVB sich schlägt. Her mit der Fernbedienung, lauter machen. Es steht noch 0:0. Gott sei Dank!

Herbert will sich setzen. Halt – noch einen Blick ins Kinderzimmer. Hat Gitti ihm extra eingeschärft. Der Babysitter vergisst manchmal, die Kleinen richtig zuzudecken. Und jetzt, wo sie doch so lange krank waren …

Wohin ist Gitti überhaupt gegangen heute Abend? Ach ja – ihr Chef hat die ganze Belegschaft zum Essen eingeladen. Will sein zehnjähriges Dienstjubiläum feiern. Famoser Chef. Und Gitti ein tolles Eheweib, wirklich wahr; seit wann kauft sie eigentlich unter der Woche Blumen?

Die beiden Kleinen schlafen selig. Die schwere Bronchitis scheint endlich vorüber zu sein. Hat ja auch lang genug gedauert: zwei Wochen. Aber der Kinderarzt hat es in den Griff gekriegt. Ganz famoser Kerl übrigens, der Kinderarzt.

Herbert lässt sich in den Sessel fallen. Endlich. Der BVB macht mächtig Druck auf das gegnerische Tor. Im Büro hat er einen Kasten Bier gewettet, der Herbert, auf den Sieg von Schwarz-Gelb. Halt – das Bier! Herbert rennt in die Küche und reißt den Kühlschrank auf. Sein Blick streift flüchtig den Strauß auf dem Tisch. Es sind Rosen.

Er sitzt noch keine fünf Minuten, als der BVB die erste Torchance vergeigt. Rosen? Dann ein rascher Konter der gegnerischen Mannschaft. Sind es nicht sogar rote Rosen? Nur durch ein Foul kann der Innenverteidiger den Angriff stoppen. Ein Spieler liegt am Boden und krümmt sich.

Woher, zum Teufel, stammen die verdammten Rosen?

Herbert steht auf, läuft zurück in die Küche und betrachtet die Blumen. Lange. Es bleibt dabei: Sieben langstielige, dunkelrote Rosen. Und an der Vase lehnt ein verschlossenes Couvert. Herbert nimmt es hoch und liest: Der liebsten Frau der Welt.

Wie im Nebel schleicht er zurück ins Wohnzimmer. Der verletzte Spieler wird gerade vom Platz getragen. Der liebsten Frau der Welt ...

Wahrscheinlich ein Scherz. Oder Gittis Vater? Natürlich, der hat doch manchmal solche peinlichen Anwandlungen!

Warum zum Teufel gibt es jetzt einen Elfmeter? Wer zum Teufel schenkt meiner Frau rote Rosen? Meiner Frau ...

Der Elfmeter wird verwandelt, es steht 1:0. 1:0? Für wen eigentlich? Zurück in die Küche. So ein Rosenstrauß taucht doch nicht einfach aus dem Nichts auf!

Herbert hält das Couvert gegen das Licht. Wahrscheinlich der neue Mieter. Dieser linke Hund! Hat sich eingeschmeichelt mit seiner Scheißfreundlichkeit!

Herbert geht zurück ins Wohnzimmer. Ist der nicht arbeitslos? Was geht hier eigentlich vor, während ich meinen Schweiß opfere, damit wir existieren können. Und mein Blut. Verdutzt sieht er sich im dunklen Raum um. Was will ich denn im Kinderzimmer!? Leise schließt er wieder die Tür.

Der Kinderarzt, natürlich! Deswegen rennt sie also seit Wochen zu ihm. So schlimm war das bisschen Husten doch gar nicht. Von wegen Bronchitis – dieser hinterlistige Mistkerl!

Herbert sinkt in seinen Sessel. Er ist tief erschüttert. Niemals hätte er dem Kinderarzt so etwas zu getraut! Und Gitti …? Er schüttelt den Kopf, atmet tief durch. Es steht 2:0. Dass Gitti zu solcher Hinterlist imstande ist, nach so vielen Jahren …

Wer spielt da überhaupt? Herbert fährt sich seufzend durchs Haar.

Plötzlich strafft sich sein Körper. Dienstjubiläum! Ha! Er springt auf. "Dass ich nicht lache!" Wieder in die Küche. Der Chef! Natürlich! Wie lange das wohl schon geht? Seit acht Jahren arbeitet Gitti beim ihm! Acht Jahre, und ich bin der Letzte, der es erfährt …!

Herbert starrt das Couvert an. Ungeheuerlich! Jetzt sitzen sie in einem dieser schnieken Restaurants, die unsereins sich nicht leisten kann, sitzen, essen, trinken und turteln! Oder in einem Hotelzimmer ... "Während ich hier einsam und allein die Kinder hüte!"

Der Babysitter öffnet die Tür, äugt aus dem Arbeitszimmer. "Alles in Ordnung?"

"Alles bestens." Herbert kramt einen Topf aus dem Schrank.

"Wie steht’s?" Aus seinem Phone auf Gittis Schreibtisch hustet ein Kind. Irgendeine App vermutlich. "Noch null-null?"

"Ja, null-null oder so." Herbert stellt Wasser auf den Herd. Mit heißem Dampf müsste sich der verdammte Brief doch öffnen lassen!

"Ist wirklich alles in Ordnung?"

"Alles bestens, wirklich!" Herbert schlägt einen scharfen Tonfall an. Der Babysitter zieht den Kopf ein, schließt wieder die Tür zum Arbeitszimmer.

Das Telefon läutet. Herbert stellt den Herd an, rennt hin. Sein Freund Gustav ist in der Leitung, ist noch auf Arbeit, hat vom Spielstand gehört, will wissen, wie der BVB sich schlägt. "Stell dir vor, Gustl – Gitti betrügt mich!"

"Mit wem?"

"Mit dem Nachbarn oder mit dem Kinderarzt oder mit ihrem Chef, wahrscheinlich mit allen dreien. Seit acht Jahren geht das nun schon."

"Seid ihr nicht erst seit fünf Jahren verheiratet?" Herbert lässt sich ein Detektivbüro empfehlen und legt auf.

Im Garderobenspiegel betrachtet er seine Glatze und seine Krähenfüße. "Sieh nur, was du aus mir gemacht hast, du treulose Schlampe – ein von Gram gebeugtes Wrack!"

Sein Blick fällt auf die Tür zu Gittis Arbeitszimmer. Der Babysitter etwa? Dieser aalglatte Sunnyboy? Gitti ist alles zuzutrauen. Und diesem gegelten Juristen sowieso ...

Er schleppt sich ins Wohnzimmer und trinkt einen Schluck Bier. Erst einmal ‘runterkommen, erst einmal Atem schöpfen. Was läuft denn da in der Glotze? Irgendein Film über Fußball. Das Wasser! Er rennt in die Küche. Dampf, überall Dampf. Er reißt das Fenster auf.

Schnell: Wasser von der Platte, Brief auf den Tisch, zurück ins Wohnzimmer. Nichts anmerken lassen.

Herbert hält sich an seinem Glas fest. Auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Er hört Gitti in die Küche gehen. Einfach diesen langweiligen Spielfilm zu Ende anschauen als wäre nichts geschehen.

Kein Wort über die Sache! Klar? Nicht ein einziges! Erst, wenn der Detektiv knallharte Beweise auf den Tisch legt.

"Wer ist es?", flüstert Herbert.

"Von wem sind die Rosen?" Seine Unterlippe zittert.

"Geburtstag? Seine Frau?" Alle Kraft weicht aus Herberts Gliedern. "Ach so …" Er versucht zu lächeln, wendet sich ab, wankt aus der Küche.

"Nichts. Alles bestens." Herbert wankt ins Wohnzimmer zurück. Im Fernseher jagen irgendwelche Idioten einem Ball hinterher.