Padova, Thomas de Die Kinderzimmer-Akademie

PIPER

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Neuauflage einer früheren Ausgabe

ISBN 978-3-492-97781-4

Juli 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2006

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Covermotiv: Martina Wember, Berlin

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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VORWORT

Kinder können Fragen stellen! Man sitzt zusammen am Tisch, und sie wollen alle paar Minuten etwas Neues wissen. Warum wird die Sahne steif? Warum ist es nachts dunkel? Warum können wir uns nicht selbst kitzeln? Warum ist der Mittelfinger am längsten? Ja, warum eigentlich?

Und warum wird dem Glühwürmchen nicht heiß? Wir zucken mit den Schultern. Woher sollten wir auch etwas über die Lichterzeugung der Glühwürmchen wissen? Wir belassen es bei einem kurzen: »Weiß ich nicht!« Oder wie es meine Großmutter in ihrem rheinischen Dialekt noch eindrücklicher formulierte: »Da han ich kene Verstehstemich für!«

Trotzdem bleibt ein gewisses Unbehagen. Die Frage steht im Raum, wir können sie nicht beantworten, finden es aber plötzlich selbst erstaunlich: Ein kleiner Leuchtkäfer knipst seinen Scheinwerfer an und blinkt in der Dunkelheit. Warum fängt er dabei nicht an zu glühen?

Mich lassen derartige Fragen nicht kalt. Und am meisten freut es mich, wenn sie auch einmal von Erwachsenen statt von Kindern kommen, von Menschen, denen der neugierige Blick im Laufe von Schule und Berufsleben noch nicht abhanden gekommen, deren Interesse noch wach und nicht eingerostet ist.

Als Wissenschaftsjournalist bin ich diesen Fragen, die uns im Alltag begegnen, Woche für Woche nachgegangen: Warum ist Schnee weiß? Warum läuft die Nase? Warum platzen Würstchen in Längsrichtung? Warum dreht sich der Uhrzeiger rechtsherum? Immer wieder habe ich mich auf die Suche nach Experten für die kleinen Alltagsdinge begeben, bei Universitäten und Forschungsinstituten angeklopft und mich nach denjenigen durchgefragt, die auf einfache Fragen kenntnisreich antworten können – und das auch gern tun.

Dabei ist mir zweierlei aufgefallen: Einmal ist es nicht leicht, die Forscherin oder den Wissenschaftler zu finden, die von ihrem Fachgebiet eine Brücke zu alltäglichen Phänomenen schlagen können. Etliche Polarforscher etwa haben sich mit der Lichtausbreitung der vielen kleinen Schneekristalle noch nie auseinandergesetzt und wissen daher auf die Frage »Warum ist Schnee weiß?« schlichtweg keine Antwort. Überdies ist auch unter den Wissenden nicht jeder bereit, sein Fachvokabular für einen Augenblick beiseite zu legen, um zu jener gemeinsamen Sprache zurückzukehren, deren Wortschatz und Grammatik scheinbar zu vage und zu ungenau für die Aussagen eines Naturwissenschaftlers sind. Wer sich jedoch darauf einläßt, der erzählt häufig mit großer Begeisterung und Liebe zum Detail.

In der wöchentlichen Kolumne »Aha« auf den Wissenschaftsseiten des Berliner Tagesspiegel spiegeln sich die Antworten von Spechtforscherinnen und Brennesselkoryphäen, von Holzspezialisten und Radiergummikennern. Eine Auswahl aus diesem Fundus habe ich für dieses Buch überarbeitet, erweitert und nach Jahreszeiten zusammengestellt. Herausgekommen ist ein kleiner Wegbegleiter durch das Jahr, der bei alltäglichen und konkreten Erfahrungen ansetzt. Ein Handbuch auch für Eltern, die die vielen Fragen aus dem Kinderzimmer nicht unbeantwortet lassen möchten.

Mein besonderer Dank gilt den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die meine Fragen und Nachfragen geduldig beantwortet haben. Ich möchte auch dem Tagesspiegel danken, insbesondere Dr. Hartmut Wewetzer, Bas Kast und Dr. Paul Janositz für ihre zahlreichen Anregungen, sowie meiner Frau Anne für ihre Ideen und die Durchsicht der Texte, zudem dem Piper Verlag und Barbara Wenner, ohne deren Hilfe dieser Wissenschaftskalender nicht zustande gekommen wäre.

Er soll den Blick für die Wunder des Alltags schärfen, eine Hilfe für gelöcherte Eltern und ein verläßliches kleines Handbuch für alle Jahreszeiten sein – auch wenn nicht jede der Antworten der Weisheit letzter Schluß sein mag. Die Wissenschaft wird weiterhin mit neuen Erkenntnissen zur Klärung manches Alltagsrätsels beitragen. Die besondere Perspektive der Experten lädt freilich schon jetzt dazu ein, das Gewohnte und Vertraute einmal mit anderen Augen zu betrachten. Vielleicht auch dazu, in Zukunft selbst wieder mehr – zu fragen.

FRÜHLING

Warum hat der Specht kein Kopfweh?

Spechte sind Einzelgänger. Männchen und Weibchen wohnen die längste Zeit des Jahres in separaten Höhlen und verteidigen ihr Territorium. Wenn dann der Frühling an die Bäume klopft, müssen sie sich wieder an das Eheleben gewöhnen. Das fällt ihnen von Natur aus nicht leicht, denn anders als Tauben turteln Spechte nicht gern miteinander. Sie sind aggressiv und versuchen mitunter noch während der Balz, ihr Revier gegen den künftigen Partner zu behaupten.

Allein sein Trommeln klingt wie Musik in ihren Ohren. Mit kräftigen Trommelwirbeln stimmen sie sich aufeinander ein, zunächst mehr schlecht als recht, aber nach kurzer Zeit synchronisieren sie ihre Laute: Good vibrations! Der Schwarzspecht zum Beispiel lockt ein fernes Weibchen mit langen Wirbeln aus mehr als 40 Schlägen in zweieinhalb Sekunden. Den näheren Kontakt begleitet er mit kürzeren Trommelfeuern, die in der Nähe der Höhle in einen Wechsel von Klopfen, Rufen und Trommeln übergehen. Da der Schwarzspecht den Schnabel auch noch zum Picken, Hämmern und Meißeln benutzt, bringt er es am Tag auf einige tausend Schläge.

Trotzdem hat er weder Gehirnerschütterungen noch Kopfschmerzen. Der Specht ist nämlich im Vergleich zu anderen Vögeln ein ziemlicher Dickschädel. Der hämmernde Schnabel sitzt außerdem so tief, daß die Stöße weitgehend am Gehirn vorbeigeleitet werden. »Der Schnabel ist über Stoßdämpfer, weiche Bänder und Sehnen, an der starken Schädelkapsel befestigt«, sagt die Biologin Kerstin Höntsch von der Universität Frankfurt, die das Verhalten von Kleinspechten im Main-Taunus-Kreis studiert hat. Durch diese elastische Aufhängung werden die Schläge abgefedert und seitlich abgelenkt. Und das ist wichtig. Denn manchmal gilt es für den Specht, in wenigen Tagen ein neues Heim zu zimmern. Wenn zum Beispiel die Eiablage kurz bevorsteht und ihm seine alte Höhle abhanden gekommen ist, weil sich ein anderer Specht oder ein Wendehals keck in dem schon fertigen Nest breitgemacht hat, muß er sich rasch eine neue Schlaf- und Bruthöhle bauen. Schlag auf Schlag, aber vorzugsweise in morschem, totem Holz. Er macht sich die Kopfarbeit so leicht wie möglich.

Trotz seiner Aggressivität gilt der Specht als besonders treuer Vogel. Viele Paare bleiben ihr Leben lang zusammen. Ihr Herz klopft allerdings nicht immer nur für einen Partner. Kleinspechte zum Beispiel galten bis vor kurzem noch als monogam. Inzwischen aber hat man Weibchen beobachtet, die beim Frühlingstrommeln auch für neue Rhythmen empfänglich sind und sich mit mehreren Männchen paaren.

Warum ist der Mittelfinger am längsten?

Während hierzulande der Specht an die Bäume klopft, hört man in Madagaskar das Aye-Aye, das Fingertier. Nicht tagsüber, denn da schläft der kleine Feuchtnasenaffe in einem Nest in den Bäumen. Nachts aber pocht er mit seinem langen Mittelfinger gegen die Baumrinde. Und lauscht. Das Fingertier sucht im Holz nach Insektenlarven. Wo es welche vermutet, reißt es die Rinde mit den Zähnen weg und pult die Larven mit dem Mittelfinger heraus.

Das Fingertier hat sich bei der Nahrungssuche erfolgreich spezialisiert. Im Regenwald hat es sich einen ähnlichen Lebensraum erschlossen wie der Specht in unseren Breiten. Doch während die Vorzüge des langen Mittelfingers bei dem kleinen Primaten auf der Hand liegen, lassen sie sich beim Menschen nicht ohne weiteres erkennen. Warum überragt auch unser Mittelfinger seine Nachbarn?

Auffällig ist, daß sich der Mensch in dieser Hinsicht von vielen anderen Lebewesen nicht unterscheidet, nicht vom Schimpansen oder Eichhörnchen, ja nicht einmal vom Dinosaurier. Wer sich auf vier Beinen fortbewegt – und das war auch das Los unserer Vorfahren –, dem ist eine Pfote mit langem mittlerem Zeh hilfreich. Der längste Zeh hat beim Laufen am längsten Bodenkontakt. Er hält die Spur. »Wenn dieser Zeh außen säße, bekäme das laufende, springende und sogar das schwimmende Tier zum Schluß nicht nur einen Impuls nach vorne, sondern auch zur Seite«, sagt Kevin Hunt, Anthropologe an der Indiana-Universität in Bloomington in den USA. Das aber würde einen erheblich größeren Kraftaufwand erfordern und die Gliedmaßen stark belasten.

Als unsere Vorfahren vor 60 Millionen Jahren die Bäume erkletterten, besaßen auch sie lange Mittelzehen. Als Baumakrobaten erlernten die Menschenaffen das schnelle Zugreifen und rasche Loslassen. Sie pflückten und prüften die Nahrung, aus den Vorderpfoten wurden sensible Hände mit noch längeren Fingern. Bis heute ist der Mittelfinger länger als die anderen Fingerglieder. Das ermöglicht uns unter anderem einen sicheren Griff mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger: den Drei-Punkte-Feingriff, mit dem wir einen Stein beim Werfen oder Hämmern festhalten. Ohne ihn wäre der sichere Gebrauch von Werkzeugen kaum denkbar.

Bei unseren Zehen liegt die Sache anders. Seit der Entwicklung des aufrechten Ganges hat sich unser gesamter Bewegungsmechanismus und damit auch der Fuß noch einmal stark umgeformt. Wenn wir unseren Fuß abrollen, wird die Großzehe besonders stark beansprucht. Sie muß schon beim Stehen einen hohen Druck aushalten und hat sich in eine stabile Stütze verwandelt. Der mittlere Zeh ist erst in den vergangenen Jahrmillionen ins Hintertreffen geraten.

Warum sind Blätter grün?

Endlich wieder raus, ins Grüne. Ans Sonnenufer, wo alles wächst und blüht, wo Bäume, Sträucher und Gräser ihre Lippen öffnen, um Licht einzuatmen, das nun wieder reichlich zu haben ist: rotes Licht, gelbes, grünes und blaues – das ganze Regenbogenspektrum der Farben, aus denen sich die Strahlung der Sonne zusammensetzt und die uns nur zusammengenommen weiß erscheinen.

Die Pflanzen verwerten von alldem nur einen Teil. Sie nehmen hauptsächlich rotes und blaues Licht auf. Im bislang unnachahmlichen Akt der Photosynthese verwandeln sie das Licht in chemische Energie, stellen mit seiner Hilfe aus Kohlendioxid und Wasser Zucker und Stärke her. Das grüne Licht verschmähen sie dabei allerdings. Ihre Blätter werfen es größtenteils zurück. Und so sehen wir rundum grün, wenn wir uns in den satten Frühling hinausbegeben. Der grüne Blattfarbstoff der Pflanzen, das Chlorophyll, vermag die roten und blauen Sonnenstrahlen sehr effizient zu verarbeiten. Aber warum schätzen die Blätter ausgerechnet das grüne und gelbe Licht gering, wo doch die maximale Sonneneinstrahlung gerade im Grüngelben liegt?

Mehr Licht? Das wäre da. Aber die Pflanze braucht zum Wachstum anscheinend nicht mehr, als das Blattgrün einzufangen vermag. Sie müsse sich – im Gegenteil – vor allzuviel Licht schützen, damit ihre Zellen auf Dauer nicht zerstört werden, sagt Matthias Rögner, Pflanzenbiochemiker der Ruhr-Universität Bochum. Dazu verfügt sie über weitere Farbpigmente, die stets in enger Nachbarschaft zum Chlorophyll liegen. »Diese gelbroten Karotinoide können überschüssige Energie aufnehmen und als Wärme abgeben«, sagt Rögner. Sie sind ein natürliches Sonnenschutzmittel.

Während etliche Meeres- und Mikroorganismen auch das grüne Licht begierig aufnehmen, sind Bäume und Gräser weniger daran interessiert. Aber wenn sie es auch nicht direkt zum Wachstum verwenden, so wissen diese Pflanzen zumindest grünblaues Licht anderweitig zu nutzen: für ihre Orientierung im Raum und ihre Bewegung zum Licht hin. Treffen grünblaue Strahlen ein, dann signalisieren spezielle Rezeptoren der Pflanze, in welche Richtung sie weiterwachsen soll. In der Regel nach oben. So werden Baum und Grashalm lang und länger.

Warum überfällt uns die Frühjahrsmüdigkeit?

Das Hochdruckgebiet »Helga« und das Tief »Jakob« tauschen ihre Plätze, der Nachtfrost weicht endlich einer milderen Witterung. Hasel- und Erlenpollen wirbeln durch die Luft, im Waldboden schlüpfen Insekten aus ihren Puppen und krabbeln ans Sonnenlicht, das durch die kleinen Zwischenräume der Jalousie auch in mein Schlafzimmer eindringt. Während die Natur erwacht, komme ich nicht aus den Federn.

Es gibt allerdings noch andere kraftlose Kreaturen zu dieser Jahreszeit. »Der wesentliche Grund für die Frühjahrsmüdigkeit ist die Änderung der Großwetterlage«, sagt Jürgen Zulley, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Universitätsklinikum Regensburg. Unser Organismus hat sich im Winter auf Kälte und Dunkelheit eingestellt. Nun muß er sich an wärmere und längere Tage anpassen. Im Winter ist zum Beispiel unsere Körpertemperatur um wenige zehntel Grad niedriger als im Sommer. »Mit steigenden Temperaturen stellt der Körper die Blutgefäße wieder weit«, sagt Zulley. Eine Folge davon ist, daß der Blutdruck fällt; für ein paar Tage fühlen wir uns ziemlich schlapp. Älteren Menschen mit niedrigem Blutdruck macht diese Umstellung stärker zu schaffen als jungen, sportlichen Typen.

Auch die Lichtfülle der ersten richtigen Frühlingstage kann uns in einer kurzen Übergangsphase ermatten. Denn das Sonnenlicht reguliert unseren Schlaf-Wach-Rhythmus. Ein Wintertag ist nur halb so lang und auch nicht so hell wie ein Sommertag. Weil die Dunkelheit aber unsere Schlafhormone in Gang bringt, fallen wir in der kalten Jahreszeit in eine Art Winterschlaf: Bei mangelndem Licht wird eine kleine Drüse im Hirn, die Zirbeldrüse, dazu angeregt, das Hormon Melatonin auszuschütten. Und dieses Melatonin bremst unsere Aktivitäten. Die reichlich vorhandenen Hormone machen uns müde, und wir schlafen im Winter eine halbe bis eine Stunde länger als im Sommer.

Mit hereinbrechendem Frühling sinkt die Melatoninausschüttung wieder. Wir beginnen nun, nachts weniger zu schlafen, sind allerdings in der Umstellungsphase tagsüber müder. Zum Glück schwindet diese Mattigkeit schon nach ein paar Tagen, und der Frühling zeigt endlich seine wahre Gesinnung.

Warum ist Gähnen ansteckend?

Kaum hat der erste in der abendlichen Runde damit angefangen, legt auch schon der nächste los. Unwillkürlich reißt er den Mund so weit auf, daß die Gesichtsmuskeln auf die Tränendrüsen drücken. Vor lauter Gähnen werden die Augen feucht, die Herzfrequenz steigt, das Zwerchfell spannt sich an – bis auf das langanhaltende Luftholen und Muskelspiel endlich die große Entspannung folgt. Und die Einsicht, daß es nun an der Zeit ist aufzubrechen. Gähnen kann angenehm sein! Und ansteckend. So ansteckend, daß sich das Signal im Nu auf eine ganze Gruppe überträgt. Plötzlich werden alle müde, möchten sich zurückziehen und schlafen gehen. Nicht nur bei Menschen ist das so, sondern auch bei Schimpansen.

»Für eine tagaktive Gruppe ist das vorteilhaft«, sagt Irenäus Eibl-Eibesfeldt, ehemaliger Leiter der Forschungsstelle für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft. Denn der Zusammenhalt der Gruppe wäre gefährdet, wenn einige aus der Gemeinschaft nachts weiterzögen und alleine herumliefen. Viele Säugetiere und Vögel synchronisieren daher ihren Alltag in ähnlicher Art und Weise.

Beim Menschen kommt es ebenfalls in unterschiedlichen Lebenssituationen zu einer derartigen Stimmungsübertragung. Mit dem Gähnen verhält es sich wie mit dem Lachen oder der Trauer, die wir empfinden, wenn ein anderer lacht oder traurig ausschaut. »Wir Menschen sind zur Empathie und zum Mitgefühl veranlagt«, sagt Eibl-Eibesfeldt. Man könne dies bereits bei Neugeborenen beobachten: Spielt man zum Beispiel Babys Tonbänder von Weinenden vor, so reagieren sie darauf mit Mitweinen, Mädchen übrigens schneller als Jungen. Und wenn Mütter ihre Kinder füttern, öffnen sie selbst den Mund.

Nicht jeder antwortet gleichermaßen auf die Signale seiner Mitwelt. In verschiedenen Testreihen haben Psychologen herausgefunden, daß vor allem verständnis- und teilnahmsvolle Personen durch andere zum Mitgähnen angeregt werden. Dagegen können sich die Gähnresistenten, die auf keinen Fall schlappmachen wollen, auch in anderen Lebenssituationen schlechter in die Lage ihrer Mitmenschen hineinversetzen. Wer mitgähnt, identifiziert sich mit dem anderen. Er teilt ihm unmittelbar mit: »Ich verstehe, was in dir vorgeht.« Gähnen ist eine sehr affektive Art und Weise, sich miteinander zu verständigen. Und eine Chance mehr, daß alle genügend Schlaf bekommen.

Warum stellt sich die Funkuhr automatisch um?

Die Funkuhr ist immer auf dem laufenden. Sie steht rum, als wäre sie ganz auf sich gestellt. Aber wenn dann am letzten Sonntag im Monat März eine neue Zeit aufzieht, ist sie hellwach und macht mitten in der Nacht einen Sprung von zwei auf drei Uhr.

Die Sommerzeit erreicht sie durch die Lüfte: per Langwelle. Das Signal, das der deutsche Zeitsender in Mainflingen losschickt, dringt in alle Gebäude ein. Mit sich trägt es – in kodierten Sequenzen – Sekunden, Minuten und Stunden, Tag, Monat und Jahr. Dieses Zeittelegramm gibt die Welle binnen einer Minute an die Funkuhr weiter, Abschnitt für Abschnitt. Die Daten fließen im Sekundentakt: Jede Sekunde empfängt der Funkwecker ein Standardsignal, das entweder 0,1 oder 0,2 Sekunden dauert. Allein mit diesen beiden Möglichkeiten – 0,1 oder 0,2, entsprechend »Ja« oder »Nein« – lassen sich alle relevanten Informationen kodieren. Um Sekunden oder Minuten anzugeben, genügen die Zahlen von 1 bis 60. Die Funkuhr rechnet aber nicht mit allen diesen Zahlen, sondern nur mit sieben. Denn die Zahlen von 1 bis 60 ergeben sich auch aus einer entsprechenden Addition von 1, 2, 4, 8, 10, 20 und 40. Für diese sieben Zahlen ist daher jeweils eine Sequenz in der Signalkette freigehalten.

Es soll beispielsweise 10 Uhr 21 gesendet werden. Fangen wir mit den Minuten an: Die Minutenangabe wird grundsätzlich in den Sekunden 21 bis 27 der Signalkette übertragen: sieben Sekunden für sieben Zahlen. Wenn nur das 21. und das 26. Signal jeweils 0,2 Sekunden dauern (Ja) und die übrigen Signale nur 0,1 Sekunden lang sind (Nein), zählt die Uhr mit: 1+0+0+0+0+20+0. Macht: 21 Minuten.

Ähnlich errechnen sich die Stunden aus Signal 29 bis 34. Die Funkuhr nimmt alles geduldig auf, eine Minute lang. »Aber nach nur einem Durchlauf glauben viele Uhren der neuen Zeit noch nicht«, sagt Dirk Piester, Physiker im Zeitlabor der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Die Funkuhr wartet. Sie läßt sich Zeit: zwei Minuten, drei Minuten. Sie springt bei der Umstellung auf die Sommerzeit oder nach einem Batteriewechsel erst um, wenn ihr mehrere nacheinander eintreffende Zeittelegramme plausibel erscheinen.

Wenn sie neben einem Fernsehgerät steht, tickt allerdings auch eine Funkuhr manchmal nicht richtig. Sensible Uhren spüren, was gerade im TV-Apparat läuft: Ein Elektronenstrahl saust im Fernsehgerät Zeile für Zeile über den Monitor, um das Bild zu erzeugen. Das tut der Strahl fatalerweise mit einer Frequenz, deren fünfte Oberschwingung mit der Empfängerfrequenz der Funkuhr nahezu übereinstimmt. Die Signalübertragung kann dadurch so gestört werden, daß selbst der Wecker beim Fernsehen jegliches Zeitgefühl verliert.

Warum bilden sich Blasen an den Händen?

Gestern noch am Schreibtisch, heute Kleingärtner. Hochgehievt den Spaten und rein in den steinigen Boden. Umackern, umgraben, umpflanzen, Stich für Stich – bis ein scharfes Ziehen und Stechen ankündigt, daß ich bei dem ungewohnten Handwerk nicht mit heiler Haut davonkommen werde. Erst kneife ich noch ein Auge zu, dann zwei. Schließlich setzt eine fette Blase dem Geacker ein jähes Ende.

Eigentlich ist die Hand vor derartigen Schäden recht gut geschützt. Insbesondere durch die Hornhaut. Nach kräftigem Zupacken kann diese an manchen Stellen dick und dicker werden. So entstehen Schwielen – allerdings erst im Verlauf von tagelanger Handarbeit. Die Blase dagegen kommt schnell, manchmal schon nach Minuten.

Unter der Hornschicht befinden sich die noch unverhornten Zellen der Oberhaut. Etwa fünf Schichten solcher Stachelzellen liegen in unseren Händen übereinander. Jede dieser Zellen streckt ihren Nachbarzellen kleine Fortsätze entgegen. Damit greifen die Stachelzellen ineinander wie zusammengelegte Finger. Sie können ihren guten Kontakt jedoch verlieren, wenn starke Scherkräfte auftreten. Reibt die Hand immer wieder am Schaft eines Spatens oder Tennisschlägers, löst sich die ansonsten effektive Verzahnung der Stachelzellen. In den so entstandenen Hohlraum dringt sofort eine Flüssigkeit ein: ein klares Serum, das von tieferliegenden Gefäßen herrührt.

Richtig große Blasen sitzen noch weiter unten in der Haut: dort, wo Oberhaut und Unterhaut in einer dünnen Kittschicht zusammentreffen. Dieses Grenzgebiet verknüpft die Stachelzellen mit dem völlig anders strukturierten Bindegewebe der Unterhaut. »Die meisten Blasen bilden sich im Bereich dieser Kittschicht«, sagt Michael Sticherling, Dermatologe an der Universität Leipzig. »Sie ist am anfälligsten dafür.« Schubbert die Haut hin und her, dann kann sich die Oberhaut von der Unterhaut trennen. »Diese Blasen sind ziemlich prall, weil die gesamte Oberhaut darüber liegt«, sagt Sticherling. In den Hohlraum gelangt normalerweise kein Blut hinein. Nur wenn auch die Blutgefäße in der Unterhaut verletzt werden, entsteht eine Blutblase.

Gegen Blasen ist niemand gefeit. Heute ist es der Spaten, morgen reiben wir uns den Fuß an einem winzigen Sandkorn im Schuh auf oder an der Naht eines schlechtsitzenden Strumpfes. Und wenn’s noch wärmer wird: an Sandalen.

Warum hat der Baum Jahresringe?

Beim Spaziergang im Wald geht der Blick unweigerlich nach oben. An kahlen Stämmen schauen wir hinauf zum Blätterdach, das im Frühjahr aus den Ästen schießt und das eigentliche Leben der Bäume ausmacht. Die Stämme selbst dienen vor allem dazu, die Kronen der Schöpfung in die Höhe zu hieven, sie mit Wasser und Nährstoffen zu versorgen. Die Natur hat sich einiges einfallen lassen, um aus dem Stamm gleichzeitig einen sicheren Stützpfeiler und eine effektive Wasserleitung zu machen. Während das Holz in unseren Breiten zwischen Ende April und Ende August wächst, hat mal die eine, mal die andere Funktion für die neu gebildeten Zellen Vorrang: im Frühjahr der Wassertransport, um viele neue Blätter und Triebe anlegen zu können, im Spätsommer die Festigung des Stammes, um für den Rest des Jahres gerüstet zu sein.

Das Wachstum setzt im Frühling in einer dünnen, glasigen Gewebeschicht ein. Sie liegt weit außen im Stamm zwischen Rinde und Holz. In diesem feinen Mantel teilen sich winzige Mutterzellen. Sie ziehen neue Zellwände ein und bilden Tochterzellen. Die Töchter gehen dann ihre eigenen Wege: Gelangen sie nach innen, entwickeln sie sich zu frischen Holzzellen, werden sie nach außen abgegeben, verwandeln sie sich in Rinde.

Auch Früh- und Spätholz unterscheiden sich deutlich. »Bei Nadelholz beispielsweise werden zu Beginn der Vegetationsperiode recht große Zellen gebildet«, sagt Uwe Schmitt, Leiter des Instituts für Holzbiologie und Holzschutz der Bundesforschungsanstalt in Hamburg. Die Zellen haben weite Hohlräume und lediglich eine dünne Zellwand. »Solche Zellen braucht der Baum für eine gute Wasserleitung«, sagt der Biologe. Unzählige dieser Zellen übereinandergelegt, schaffen eine effektive Verbindung zwischen den Wurzeln und der Krone.

Im Spätsommer, wenn der Baum seine Blätter abwirft, werden die Hohlräume der neu gebildeten Zellen immer kleiner, das Gewebe dichter. Die Zellen haben nun dickere Wände und sind entsprechend kräftig und steif. Da die Zellwände selbst dunkel sind, färbt sich nun auch das Holz. Das helle Frühholz und das dunkle Spätholz ergeben zusammen einen Jahresring. An seine scharfe äußere Grenze schließt sich im nächsten Frühling erneut helles Holz an. In allen Regionen, in denen die Jahreszeiten wechseln, kann man an den Ringen das Alter der Bäume ablesen. Der Wissenschaftler erkennt daran sogar noch einiges mehr, was das Klima dem Baum ins Stammbuch geschrieben hat.

Warum wandern Kröten?

Bufo bufo