Vierte Szene

Inhaltsverzeichnis

(Herodes, Herodias treten mit Gefolge ein.)

Herodes. wo ist Salome? Wo ist die Prinzessin? Warum kam sie nicht wieder zum Bankett, wie ich ihr befohlen hatte? Ah! Da ist sie!

Herodias. Du sollst sie nicht ansehn. Fortwährend siehst du sie an!

Herodes. Wie der Mond heute nacht aussieht! Ist es nicht ein seltsames Bild? Es sieht aus wie ein wahnwitziges Weib, das überall nach Buhlen sucht ..., wie ein betrunkenes Weib, das durch Wolken taumelt...

Herodias. Nein, der Mond ist wie der Mond, das ist alles, wir wollen hineingehn.

Herodes. Ich will hier bleiben. Manassah, leg Teppiche hierher! Zündet Fackeln an! Ich will noch Wein mit meinen Gästen trinken! Ah! Ich bin ausgeglitten. Ich bin in Blut getreten, das ist ein böses Zeichen. Warum ist hier Blut? Und dieser Tote? Wer ist dieser Tote hier? Wer ist dieser Tote? Ich will ihn nicht sehn.

Erster Soldat. Es ist unser Hauptmann, Herr.

Herodes. Ich erließ keinen Befehl, daß er getötet werde.

Erster Soldat. Er hat sich selbst getötet, Herr.

Herodes. Das scheint mir seltsam. Der junge Syrier, er war sehr schön. Ich erinnere mich, ich sah seine schmachtenden Augen, wenn er Salome ansah. – Fort mit ihm. (sie tragen den Leichnam weg.) Es ist kalt hier. Es weht ein Wind. ... Weht nicht ein Wind?

Herodias (trocken). Nein, es weht kein Wind.

Herodes. Ich sage euch, es weht ein Wind. – und in der Luft höre ich etwas wie das Rauschen von mächtigen Flügeln. ... Hört ihr es nicht?

Herodias. Ich höre nichts.

Herodes. Jetzt höre ich es nicht mehr. Aber ich habe es gehört, es war das Wehn des Windes. Es ist vorüber. Horch! Hört ihr es nicht? Das Rauschen von mächt'gen Flügeln. ...

Herodias. Du bist krank, wir wollen hineingehn.

Herodes. Ich bin nicht krank. Aber deine Tochter ist krank zu Tode. Niemals hab' ich sie so blaß gesehn.

Herodias. Ich habe dir gesagt, du sollst sie nicht ansehn.

Herodes. Schenkt mir Wein ein. (Es wird Wein gebracht.) Salome, komm, trink Wein mit mir, einen köstlichen Wein. Cäsar selbst hat ihn mir geschickt. Tauche deine kleinen roten Lippen hinein, deine kleinen roten Lippen, dann will ich den Becher leeren.

Salome. Ich bin nicht durstig, Tetrarch.

Herodes. Hörst du, wie sie mir antwortet, diese deine Tochter?

Herodias. Sie hat recht. Warum starrst du sie immer an?

Herodes. Bringt reife Früchte. (Es werden Früchte gebracht.) Salome, komm, iß mit mir von diesen Früchten. Den Abdruck deiner kleinen, weißen Zähne in einer Frucht seh' ich so gern. Beiß nur ein wenig ab, nur ein wenig von dieser Frucht, dann will ich essen, was übrig ist.

Salome. Ich bin nicht hungrig, Tetrarch.

Herodes (zu Herodias). Du siehst, wie du diese deine Tochter erzogen hast!

Herodias. Meine Tochter und ich stammen aus königlichem Blut. Dein Vater war Kameltreiber, dein Vater war ein Dieb und ein Räuber obendrein.

Herodes. Salome, komm, setz dich zu mir. Du sollst auf dem Thron deiner Mutter sitzen.

Salome. Ich bin nicht müde, Tetrarch.

Herodias. Du siehst, wie sie dich achtet.

Herodes. Bringt mir – was wünsche ich denn? Ich habe es vergessen. Ah! Ah! Ich erinnre mich –

Die Stimme des Jochanaan. Siehe, die Zeit ist gekommen, der Tag, von dem ich sprach, ist da.

Herodias. Heiß' ihn schweigen! Dieser Mensch beschimpft mich!

Herodes. Er hat nichts gegen dich gesagt. Überdies ist er ein sehr großer Prophet.

Herodias. Ich glaube nicht an Propheten. Aber du, du hast Angst vor ihm!

Herodes. Ich habe vor niemandem Angst.

Herodias. Ich sage dir, du hast Angst vor ihm. Warum lieferst du ihn nicht den Juden aus, die seit Monaten nach ihm schreien?

Erster Jude. Wahrhaftig, Herr, es wäre besser, ihn in unsre Hände zu geben!

Herodes. Genug davon! Ich werde ihn nicht in eure Hände geben. Er ist ein heil'ger Mann. Er ist ein Mann, der Gott geschaut hat.