Bindung und emotionale Gewalt

Herausgegeben von Karl Heinz Brisch

Impressum

Die Beiträge von Dominic J. Carbone, Henri Parens, Shelley Riggs sowie Eileen Zurbriggen und Ella Ben Hagai wurden von Ulrike Stopfel aus dem Englischen übersetzt.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Printausgabe: ISBN 978-3-608-96154-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10994-8

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20364-6

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Prävention in Bezug auf emotionale Gewalt

Die Möglichkeit der Prävention mit »SAFE – Sichere Ausbildung für Eltern«, SAFE-Spezial: Erfahrungen und Pilotprojekte mit Eltern und Kindern in Risikokontexten und Ergebnisse einer Evaluationsstudie zu »B.A.S.E. – Babywatching«

Karl Heinz Brisch

Die Bedeutung und Möglichkeiten der Prävention

Katharina Trost und Swinde Landers

Entwicklung einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung

Julia Quehenberger

Väter im Blick

Alena Beck und Isabelle Walter

Das Follow-up der SAFE-Evaluationsstudie im Grundschulalter

Brigitte Forstner und Laura Meinardi-Weichhart

SAFE für Mütter auf der Mutter-Kind-Station der Justizvollzugsanstalt

Diana Roder

SAFE für Eltern mit Suchterkrankungen

Imen Belajouza

SAFE für Eltern mit Mehrfachbelastungen

Laura Meinardi-Weichhart

SAFE für wohnungslose Mütter

Wiebke Baller

SAFE für psychiatrisch erkrankte oder traumatisierte Eltern

Oliver Schwald

SAFE für Flüchtlinge: Eltern nach Folter- und Kriegserfahrungen

Brigitte Forstner und Catherina Hilmer

Kinder wachsen in gemeinsamer Verantwortung – SAFE-Spezial Krippe

Jeannette Hollerbach

Kinder lernen Empathie, Gefühle und Sprache: »B.A.S.E. – Babywatching«

Shelley A. Riggs

Der Zyklus des emotionalen Missbrauchs im Bindungsnetzwerk

Anna-Lena Zietlow und Corinna Reck

Die Bedeutung von postpartaler Depression und Angststörungen für das Beziehungserleben der Mutter, die Mutter-Kind-Interaktion und die Entwicklung des Kindes

Sabine Aust

Frühe Stresserfahrungen und die Entwicklung emotionaler Fertigkeiten

Individuelle Unterschiede, neuronale Grundlagen und protektive Faktoren

Henri Parens

Das bösartige Vorurteil

Ein Weg zur Entladung emotionaler Gewalt

Tilmann Moser

Der böse Blick: Privat und politisch

Dominic J. Carbone

Kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung eines »gegenabhängigen« Bindungsverhaltens

Johanna Pohl

»B.A.S.E. – Babywatching im Seniorenheim«

Ein Pilotprojekt

Joachim Bauer

Die Bedeutung von Spiegelung und Resonanz für die Entstehung des kindlichen Selbst

Eine neurowissenschaftliche Perspektive

Eileen L. Zurbriggen und Ella Ben Hagai

Die Folgen frühen emotionalen Missbrauchs für das Leben und die Beziehungen der erwachsenen Person

Tabea Freitag

Emotionale Gewalt durch Pornografie und frühe Sexualisierung

Ein bindungsorientierter Ansatz zur Prävention

Karl Heinz Brisch

Die transgenerationale Weitergabe von emotionaler Gewalt

Therapie eines Kindes mit panischen Ängsten bei einem Stalking-Trauma der Mutter

Adressen der Autorinnen und Autoren

Vorwort

Vom 7. bis 9. Oktober 2016 wurde von der Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München eine internationale Konferenz mit dem Titel »Bindung und emotionale Gewalt« (»Attachment and Emotional Violence«) durchgeführt. Das Interesse an dieser Konferenz und die positiven Rückmeldungen waren für den Veranstalter außerordentlich ermutigend, so dass er die Beiträge dieser Veranstaltung mit Herausgabe dieses Buches einer größeren Leserschaft zugänglich machen möchte. Die Thematik des vorliegenden Konferenzbandes umfasst eine Vielzahl von Aspekten aus dem Bereich »emotionale Gewalt«.

Wenn Kinder und Jugendliche sichere Bindungserfahrungen machen, die von Feinfühligkeit, Respekt, Anerkennung, Unterstützung und Wertschätzung sowie von Hilfe in Notsituationen geprägt sind, wachsen sie in ihrer Persönlichkeit zu gesunden Menschen heran, die den Anforderungen des Lebens normalerweise gut gewachsen sind. Dagegen ist es immer noch wenig bekannt, wie stark Erscheinungsformen von emotionaler Gewalt – etwa in Eltern-Kind-Beziehungen, Familien, Partnerschaften und am Arbeitsplatz – die körperliche, psychische und soziale Entwicklung eines Menschen, besonders im Kindesalter, belasten und die Betroffenen traumatisieren können. Ablehnung bis zur emotionalen Vernachlässigung, Zurückweisung, Kränkung, beharrliches Schweigen, Demütigungen, Hass können solche emotionalen Gewalterfahrungen sein, die von Menschen ähnlich intensiv und schmerzlich erlebt werden wie körperliche und sexuelle Gewalt. Dies hat bei den Betroffenen langfristige und gravierende Auswirkungen auf den psychischen, körperlichen und den sozialen Bereich. Hieraus entstehen u. a. pathologische Bindungen des Opfers an die Täter, Depressionen, Angsterkrankungen sowie Erkrankungen mit dissoziativer Symptomatik und vielfältige Muster von Bindungsstörungen.

Welche Faktoren schützen, welche Rolle spielen neue, wichtige Bindungspersonen? Wie können neue Beziehungen aufgebaut werden? Was müssen Pflege- und Adoptivfamilien, die solche Kinder aufnehmen, wissen, damit trotz des Schicksals früher emotionaler Gewalterfahrung neue Ressourcen für die Entwicklung und Bindungssicherheit entstehen können? Welche Formen der Begleitung, Beratung, Therapie und Prävention sind für diese Menschen hilfreich?

Führende, international renommierte Fachleute und Forscher geben in diesem Buch Antworten auf diese Fragen und berichten über die neuesten Erkenntnisse und Ergebnisse aus ihren Studien, die uns für die Problematik sensibilisieren sowie Wege für neue Entwicklungen aufzeigen sollen.

Ich danke allen Autorinnen und Autoren, dass sie ihre Beiträge für die Publikation zur Verfügung gestellt haben. Ein herzlicher Dank gilt Frau Ulrike Stopfel, die wiederum sehr engagiert, wie auch in den vergangenen Jahren, alle englischsprachigen Beiträge in exzellenter Qualität rasch übersetzt hat. Ein besonderer Dank gilt auch der hervorragenden Arbeit von Herrn Thomas Reichert, der die einzelnen Manuskripte rasch und sorgfältig editiert hat. Ein weiterer Dank gilt Herrn Dr. Heinz Beyer sowie Frau Ulrike Wollenberg vom Verlag Klett-Cotta dafür, dass sie sich mit großem Engagement für die Herausgabe dieses Buches beim Verlag eingesetzt und die rasche Herstellung gewährleistet haben.

Das Buch richtet sich an Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen sowie an Psychologinnen und Psychologen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Pädagoginnen und Pädagogen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe; es richtet sich ebenso an alle, die sich mit der Diagnostik und Behandlung von psychischen Störungen bei Erwachsenen sowie Säuglingen, Kindern und Jugendlichen nach Traumatisierungen infolge emotionaler Gewalterfahrungen durch Bindungspersonen beschäftigen. Zudem sind alle Berufsgruppen angesprochen, die kranke Menschen nach emotionaler Gewalterfahrung in allen Altersgruppen betreuen und begleiten, wie etwa Hebammen, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, Umgangspflegerinnen und -pfleger, Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, Logopädinnen und Logopäden, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Seelsorgerinnen und Seelsorger, Juristinnen und Juristen, Politikerinnen und Politiker sowie Adoptiv- und Pflegeeltern. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch allen hilft, die im Kontext von Therapie, Beratung und Begleitung sowie sozialer Arbeit für Menschen tätig sind, die emotionale Gewalt erfahren haben. Es soll auch denjenigen wichtige Anregungen geben, die mit der Prävention in Bezug auf Störungen beschäftigt sind, welche im Kontext emotionaler Gewalterfahrung entstanden sind, oder die durch eine frühzeitige primäre Prävention bewirken wollen, dass solche Störungen erst gar nicht entstehen.

Karl Heinz Brisch

Einleitung

Das vorliegende Buch enthält verschiedene Beiträge aus den Bereichen »Forschung«, »Klinik« und »Prävention«, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema »Bindung und emotionale Gewalt« beschäftigen. Im Rahmen der Ergebnisse aus der Forschung werden auch anhand von Fallbeispielen Erfahrungen aus der klinischen Arbeit vermittelt, um die therapeutischen Möglichkeiten und die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie, Begleitung und Beratung bei Menschen, die emotionale Gewalt erfahren haben, aufzuzeigen sowie Hinweise zur Prävention zu geben.

Der vorliegende Band beginnt mit der Darstellung von Möglichkeiten der Prävention in Bezug auf emotionale Gewalt. Nach einer Einführung in das Thema durch Karl Heinz Brisch stellen Katharina Trost und Swinde Landers das Grundkonzept und das Design einer Evaluationsstudie über das primäre Präventionsprogramm »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« und die jeweils gewonnenen Forschungsergebnisse – speziell zu den Müttern und ihren Kindern – vor, während Julia Quehenberger in einem separaten Beitrag über die spezifische Arbeit mit den Vätern und die Ergebnisse bezüglich der Vater-Kind-Beziehung berichtet. Es werden jeweils die Ergebnisse der Längsschnittstudie dargestellt und es wird aufgezeigt, dass etwa depressive Erkrankungen und Traumatisierungen der Eltern nicht zwangsläufig an die nächste Generation weitergegeben werden müssen. Vielmehr können durch frühzeitige bindungsorientierte Prävention nach dem Programm SAFE® solche Teufelskreise zwischen Generationen unterbrochen werden. Es werden auch die unterschiedlichen Ergebnisse bezüglich der Eltern aus den SAFE®-Gruppen denen der Eltern aus den Kontrollgruppen gegenübergestellt und diskutiert. Alena Beck und Isabelle Walter geben einen Einblick in die Ergebnisse der Nachuntersuchung, die stattfand, als die Kinder sieben bis acht Jahre alt waren. Wenn die SAFE®-Kinder in die Grundschule wechseln, erleben sie nochmals ein bindungsrelevantes Ereignis, das je nach innerem Arbeitsmodell von Bindung mit besonders viel Stress verbunden sein kann. In diesem Zusammenhang wurden sie deshalb zusammen mit ihren Eltern nochmals untersucht.

Bei einer Elternschaft in bestimmten schwierigen Lebenslagen können an solche Situationen adaptierte SAFE®-Spezial-Programme eingesetzt werden; es gibt hier eine große Spannbreite der flexiblen Adaptation von SAFE an besondere Kontexte. Verschiedene Autorinnen und Autoren berichten über Pilotprojekte mit Eltern und Kindern in Risikokontexten; sie zeigen, wie SAFE®-Spezial-Programme in ganz verschiedenen Bereichen erfolgreich eingesetzt wurden, und stellen die damit gewonnenen Erfahrungen dar: Brigitte Forstner und Laura Meinardi-Weichhart haben mit Müttern der Mutter-Kind-Station einer Justizvollzugsanstalt gearbeitet; Diana Roder führte eine Pilotstudie mit suchterkrankten Eltern durch; Imen Belajouza berichtet über die Erfahrungen mit SAFE® bei Elternschaften in schwierigen Lebenslagen, etwa bei mehrfach belasteten Eltern; Laura Meinardi-Weichhart arbeitete mit obdachlosen Eltern und ihren Kindern, Wiebke Baller mit psychiatrisch erkrankten und traumatisierten Eltern und Oliver Schwald hat das SAFE®-Programm für Eltern nach Erfahrungen von Folter, Flucht und Krieg adaptiert und mit ihnen durchgeführt.

Brigitte Forstner und Catherina Hilmer schildern, wie das SAFE®-Programm auch zur Schulung von Krippenerzieherinnen und Eltern eingesetzt werden konnte. Hierbei handelt es sich wiederum um eine spezielle Variante des SAFE®-Programms, bei der sowohl mit den Erzieherinnen (bzw. Erziehern) als auch mit den Eltern gerade in der Phase der Eingewöhnung sehr kleiner Kinder in die Krippe gearbeitet wird. Ziel war es, die sichere Bindung des Kindes an die Eltern sowie an die neue Bindungsperson »Krippenerzieherin« zu fördern, was, wie die Ergebnisse zeigen, auch erreicht werden konnte.

Abschließend wird unter dem Aspekt »emotionale Prävention« auch das Programm »B.A.S.E.® – Babywatching« vorgestellt. Jeanette Hollerbach berichtet von den Ergebnissen einer Evaluationsstudie, die in Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit dem Stadtschulamt durchgeführt werden konnte. Am Ende der Intervention zeigte sich, dass die Kinder in den »B.A.S.E.® – Babywatching«-Gruppen – im Vergleich zu den Kontrollgruppenkindern – wesentlich weniger aggressiv und empathischer sein konnten und auch weniger Ängste hatten. Alle diese Präventionsergebnisse sind sehr vielversprechend und positiv und sollten in weiteren Studien repliziert werden.

Die Reihe der Beiträge nach diesem einleitenden Teil zur Prävention beginnt Shelley Riggs. Sie erklärt den Zyklus der emotionalen Misshandlung im Netzwerk der Bindungsbeziehungen und berichtet über ihre bahnbrechenden Längsschnittstudien zur Weitergabe von emotionaler Gewalt über Generationen und davon, wie dieser Zyklus der Weitergabe von Gewalt durch entsprechende Interventionen erfolgreich unterbrochen werden kann.

Anna-Lena Zietlow und Corinna Reck haben eine eindrucksvolle Studie zur postpartalen Depression und Angststörung und ihrer Auswirkung auf das Beziehungserleben der Mutter, die Mutter-Kind-Interaktion und die Entwicklung des Kindes durchgeführt. Es zeigte sich, dass Depression und Angst einen gravierenden Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben und hier Anlass für den Einsatz entsprechender Präventionsprogramme besteht.

Sabine Aust schildert anschließend die Bedeutung von frühen Stresserfahrungen auf die Entwicklung emotionaler Fertigkeiten und arbeitet aufgrund ihrer Studien die Folgen für die individuellen Unterschiede in der neuronalen Entwicklung und die Bedeutung von protektiven Faktoren heraus.

Der Beitrag von Henry Parens beschäftigt sich mit dem bösartigen Vorurteil, das nach seinen Ausführungen sehr wohl in seiner Entstehung verständlich wird und keineswegs ein Freibrief – so Parens – für das Ausleben von emotionaler Gewalt ist.

In einem klinischen Beitrag lässt Tilmann Moser deutlich werden, wie der mörderische Blick eine Form von emotionaler Gewalt sein kann, die langfristige Auswirkungen und Folgen für die psychische Entwicklung der Person haben kann. In der therapeutischen Arbeit, die er schildert, taucht in der Übertragung und Gegenübertragung dieser mörderische Blick entsprechend wieder auf und muss behandelt werden.

Dominic Carbone schildert eindrücklich die kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung eines »gegenabhängigen« Bindungsverhaltens. Dieses ist dadurch charakterisiert, dass erwachsene Patienten in Reaktion auf die frühe Zurückweisung durch Angehörige und Peers Bindungsverhaltensweisen entwickelt haben, die darauf abzielen, eigene Bindungsbedürfnisse abzuwehren. Carbone hat zur Behandlung eines solchen Bindungsstörungsverhaltens ein spezifisches Therapiemodell entwickelt und evaluiert.

Das bisher erfolgreich bei Kindergartenkindern und Schulkindern eingesetzte Präventionsprogramm »B.A.S.E.® – Babywatching« wurde inzwischen auch erfolgreich im Altenheim mit Senioren, die unter Demenz leiden, zur Prävention gegenüber emotionaler Gewalt eingesetzt. Johanna Pohl schildert die ersten Erfahrungen mit dem Einsatz dieses Präventionsprogramms bei einer Gruppe von Senioren und berichtet über erstaunlich positive Ergebnisse im Hinblick auf Gedächtnis, emotionale Wachheit und Freude an der Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion.

In einem Übersichtsbeitrag stellt Joachim Bauer die Bedeutung von Spiegelneuronen und Resonanz für die Entstehung des kindlichen Selbst und seiner Bindungsfähigkeit dar. Dabei zitiert er viele neurowissenschaftliche Arbeiten und erklärt an neuesten Studienergebnissen, wie wichtig Spiegelneuronen sind und wie sie sich auf die Entwicklung psychischer Funktionen auswirken bzw. wie bei Fehlen der emotionalen Präsenz von Bindungspersonen die Entwicklung eines gesunden Selbst gestört werden kann.

Eileen Zurbriggen und Ella Ben Hagai beschreiben die Folgen früher emotionaler Misshandlung für das Leben und die Beziehungen der erwachsenen Personen. Aus ihren Studien wird sehr schnell deutlich, wie langfristig – bis ins Leben als Erwachsener – die Auswirkungen früher emotionaler Misshandlungen sind und wie schwierig es ist, sie erfolgreich zu behandeln.

Eine Form der emotionalen Gewalt kann die frühzeitige Sexualisierung und Konfrontation mit Pornographie sein, wenn Kinder sich einer solchen Konfrontation gar nicht entziehen können oder von den Erwachsenen hierzu verleitet werden. Tabea Freitag hat sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik befasst und einen bindungsorientierten Ansatz zur Prävention entwickelt, den sie in ihrem Beitrag vorstellt.

Karl Heinz Brisch schildert abschließend in diesem Band, wie die transgenerationale Weitergabe von emotionaler Gewalt von der Elterngeneration auf die Kindgeneration entstehen kann und wie durch stationäre Intensivpsychotherapie nach dem MOSES®-Therapiemodell ein Kind mit panischen Ängsten und aggressiven Verhaltensproblemen – die im Zusammenhang mit dem Stalkingtrauma der Mutter entstanden sind – erfolgreich behandelt und resozialisiert werden kann.

Alle Beiträge haben einen spezifischen Fokus und profitieren von der großen Expertise der Autorinnen und Autoren, speziell auf ihrem jeweiligen Gebiet. Auf diese Weise können das Buch und die Beiträge zu einem vertieften Verständnis der Entstehung, der Konsequenzen von emotionaler Gewalt sowie der therapeutisch möglichen Prozesse einschließlich der Prävention gegenüber dieser Form von Gewalt beitragen.

Prävention in Bezug auf emotionale Gewalt

Die Möglichkeit der Prävention mit »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern«, SAFE®-Spezial: Erfahrungen und Pilotprojekte mit Eltern und Kindern in Risikokontexten und Ergebnisse einer Evaluationsstudie zu »B.A.S.E.® – Babywatching«

Karl Heinz Brisch

Die Bedeutung und Möglichkeiten der Prävention

»SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E.® – Babywatching«

Die schädigenden Auswirkungen, die körperliche und sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen auf deren körperliche, psychische und soziale Entwicklung haben, und die langfristigen Folgen der traumatischen Erfahrungen, die bis ins Erwachsenenalter reichen, sind inzwischen in der Gesellschaft weitgehend bekannt. Weniger gilt dies für die Auswirkungen emotionaler Gewalt auf die Entwicklung des Kindes. Wenn Eltern oder auch andere Bindungspersonen, wie etwa Lehrerinnen und Lehrer, Kinder emotional bedrohen, sie ignorieren, herabwürdigen, ja ihnen gar mit dem Tode drohen, wird dies zwar meist als nicht sehr gelungener Erziehungsstil eingeschätzt, dass es sich hierbei aber um eine Form von emotionaler Gewalt handelt, die im Extremfall genauso verheerende Auswirkungen auf die Entwicklung hat wie körperliche und sexuelle Gewalt, ist nicht ausreichend bekannt, ja, emotionale Gewalt wird allgemein nicht einmal als Form von Gewalt erkannt.

Aus Längsschnittstudien wissen wir, dass sich die Folgen von emotionaler Gewalt extrem negativ auf die Psyche des Kindes, seine Gehirnentwicklung und etwa die Stressregulation und das Immunsystem auswirken können; langfristig können sie zu einer traumatischen Folgeerkrankung führen, die das Kind in seiner gesamten Entwicklung schädigen kann.

Aus diesem Grunde ist jegliche Form der Prävention in Bezug auf emotionale Gewalt von höchster Priorität. Formen der primären Prävention, die bereits sehr früh ansetzen und Eltern helfen, möglichst erst gar nicht in eine Spirale emotionaler Gewalt »hineinzurutschen«, ebenfalls Formen sekundärer Prävention, die Eltern oder auch anderen Erziehungspersonen helfen, wenn sie merken, dass sie eigene emotionale Schwierigkeiten bereits in Form von Gewalt mit einem ihnen anvertrauten Kind inszenieren, sind von größter Bedeutung.1

Gerade die Form der primären Prävention haben wir in unserem Präventionsprogramme »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« realisieren können. Die Ergebnisse unserer Längsschnittstudien zeigen, dass die Eltern selbst dann, wenn sie unter Depressionen, Ängsten und eigenen traumatischen Erfahrungen aus ihrer Kindheit litten, sehr von diesem Programm profitierten und es schafften, ihre eigenen Erfahrungen nicht an ihr Kind weiterzugeben. Wir vermochten zu zeigen, dass Kinder von Eltern, die als Kind ihrerseits unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen waren, zu diesen Eltern eine sichere emotionale Bindung entwickeln konnten, mit allen Vorteilen, die eine solche Bindung eines Kindes an seine Eltern beinhaltet.

Die folgenden Beiträge verdeutlichen auch, wie das SAFE®-Programm in verschiedenen SAFE®-Spezialvarianten jeweils für verschiedene Kontexte variiert und erfolgreich eingesetzt werden konnte, so z. B. mit Müttern im Strafvollzug, mit Eltern nach Folter, Flucht und Vertreibung, mit obdachlosen Müttern, Müttern und Vätern mit Mehrfachbelastungen und auch mit Eltern, die ihre Kinder sehr früh in Krippen betreuen lassen, sowie mit den Erzieherinnen (bzw. Erziehern). Die SAFE®-Spezialvarianten der primären Prävention und auch der sekundären Prävention mit Eltern, die großen Belastungen ausgesetzt sind und bereits erfahren haben, dass sie ihren Kindern gegenüber emotionale Gewalt in einzelnen Kontexten anwenden, konnten erfolgreich umgesetzt werden. Je früher diese Programme zur emotionalen Prävention eingesetzt werden können, umso erfolgversprechender sind sie. Haben sich erst einmal Strukturen von emotionaler Gewalt in der Eltern-Kind-Beziehung oder auch mit anderen Bezugspersonen in einem Bindungskontext verfestigt, sind die Interventionen schwieriger, bleiben aber dennoch möglich und dringend erforderlich.

Eine weitere Form der sekundären Prävention konnten wir mit dem Programm »B.A.S.E.® – Babywatching« auf den Weg bringen. Hierbei setzen wir bei den Kindern im Kindergarten- und im Schulalter an, um ihnen über die Beobachtung einer feinfühligen Mutter- bzw. Vater-Kind-Beziehung ein Modell bzw. die Möglichkeit der Identifikation mit dem Beobachteten zu geben – selbst dann, wenn sie zu Hause keine guten emotionalen Bedingungen für eine gesunde Entwicklung vorfinden. Unsere Studien zeigen, dass es möglich ist, durch die Beobachtung einer Mutter/Vater-Kind-Beziehung und eine entsprechende didaktische Anleitung die Reflexionsfähigkeit der Kinder und ihre Empathie zu verbessern. Für manche Kinder beginnt durch dieses Programm überhaupt erstmals die Entwicklung von Empathie und sie erfahren eine Hinführung zu einer »Theory of Mind«. Mit Letzterem ist die Fähigkeit der Kinder gemeint, sich in die eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungsabsichten sowie die anderer hineinzuversetzen. Eine solche empathische Schulung ist Voraussetzung, damit Beziehungen überhaupt gelingen können, sei dies im Kindergarten- oder im Schulalter, und dies gilt bis in die Erwachsenenzeit. Für alle zwischenmenschlichen Beziehungen, Partnerschaften, für Elternschaft und Freundschaften sind Empathie- und Reflexionsfähigkeit grundlegende Bedingungen, die erlernt und praktiziert werden müssen. Die Forschungsergebnisse stimmen sehr hoffnungsvoll, weil Verbesserungen in der Empathie sowohl bei den Kindern als auch bei den teilnehmenden Müttern/Vätern in der Interaktion mit ihrem Baby, zudem bei den Pädagoginnen und Pädagogen festgestellt werden konnten, die die B.A.S.E.®-Gruppen geleitet haben.

Aus diesem Grunde ist die primäre oder auch sekundäre Prävention gegenüber emotionaler Gewalt mit »B.A.S.E.® – Babywatching« eine Win-win-Situation – sie verhilft allen Beteiligten zu positiven Erfahrungen. Als Folge von wachsender Empathiefähigkeit zeigt sich, dass die teilnehmenden Kinder, im Vergleich zu Kontrollgruppenkindern, weniger aggressiv, weniger ängstlich, weniger hyperaktiv und aufmerksamkeitsgestört sind, was bei der heutigen Schulsituation und den vielen Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen als großer Erfolg gewertet werden kann.

Im Beitrag von Jeanette Hollerbach am Ende dieses Kapitels wird am Beispiel der Implementierung dieses Programms mit Hilfe des Stadtschulamts der Stadt Frankfurt am Main gezeigt, wie es möglich ist, dieses primäre Präventionsprogramm für Kinder in Kitas und Grundschulen in einem größeren Umfang in einer Stadt zu verankern und damit eine große Anzahl von Kindern mit dieser Form der Prävention zu erreichen.

Es ist zu hoffen, dass beide Programme – »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E.® – Babywatching« – in Zukunft noch größere Verbreitung finden. Obwohl beide Programme inzwischen international in verschiedenen Ländern angewandt werden, so z. B. in vielen Ländern Europas, aber auch in Australien, Neuseeland, Israel, Südkorea und den USA, wird es auch weiterhin eine große Herausforderung sein, die Gesellschaft für das Thema »emotionale Gewalt«, die Folgestörungen und Erkrankungen, die sich daraus ergeben, und die dringende Notwendigkeit der primären Prävention weiter zu sensibilisieren, damit möglichst viele Kinder und Jugendliche in emotionaler Sicherheit aufwachsen und sich gesund entwickeln können.

Katharina Trost und Swinde Landers

Entwicklung einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung

Konzept und Erkenntnisse aus der SAFE®-Evaluationsstudie

Das Grundkonzept des Programms SAFE® (Sichere Ausbildung für Eltern)

Mittlerweile ist gut belegt, welche Faktoren zu einer gesunden physischen und psychischen Entwicklung von Kindern beitragen. Im Fokus der Bindungsforschung steht insbesondere eine stabile psychische Entwicklung des Kindes. Es zeigt sich, dass Kinder, die sich in den ersten Lebensjahren zuverlässig an eine emotional verfügbare Bezugsperson wenden können, in der Schule bessere kognitive Leistungen und Problemlösefähigkeiten aufweisen, tragfähigere Beziehungen zu Gleichaltrigen aufbauen und sich psychisch gesünder entwickeln (Tress 1986; Weinfield et al. 2008; Werner 1990; Schieche & Spangler 2005; Geserick & Spangler 2007, Groh et al. 2017). Sowohl das Verhaltensmuster dieser Kinder gegenüber ihren Bezugspersonen in Stresssituationen als auch das spätere innere Modell von Beziehungen wird als Ausdruck einer »sicheren Bindung(srepräsentation)« bezeichnet (Ainsworth et al. 1978; Bowlby 2006a). Es kann von verschiedenen Arten der »unsicheren Bindung« an die frühen Bezugspersonen abgegrenzt werden (Ainsworth et al. 1978).

Ob eine sichere Bindungsbeziehung zwischen Eltern/Bezugspersonen und Kind aufgebaut wird, wird durch den feinfühligen Umgang der Eltern bzw. Bezugspersonen mit dem Säugling (De Wolff & van IJzendoorn 1997) und eine gute Reflexionsfähigkeit, durch eigene frühe Bindungserfahrungen (van IJzendoorn 1995) und eventuelle Traumata der Bezugspersonen sowie durch deren psychisches Befinden (Brisch & Hellbrügge 2003; Grossmann & Grossmann 1986; Lyons-Ruth & Jacobvitz 2008; Madigan et al. 2006) mit bedingt. Das SAFE®-Programm setzt an diesen Faktoren auf Seiten der Eltern an. Es hat zum Ziel, die Entwicklung einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind zu fördern und die Weitergabe traumatischer Erfahrungen zu unterbrechen, indem es u. a. die Reflexionsfähigkeit und Feinfühligkeit der Eltern stärkt.

In der SAFE®-Gruppe werden fünf bis acht Elternpaare über zehn Kurstage hinweg von der Schwangerschaft bis zum ersten Lebensjahr des Kindes begleitet. In vier Kurstagen vor und sechs nach der Geburt werden Fragen, Wünsche und Vorstellungen diskutiert und wird Feinfühligkeit – d. h. das genaue Wahrnehmen, das richtige Interpretieren und das prompte und angemessene Reagieren auf die Signale des Kindes – anhand von Videobeispielen und später mit dem eigenen Kind geübt. Neben den Treffen in der Gruppe sind bis zu fünf Einzeltermine pro Elternteil geplant. Beim ersten Einzeltreffen zwischen Mentor (oder Mentorin) und Mutter bzw. Vater werden in einem Interview Bindungserfahrungen und Traumata der Eltern erfragt. In den weiteren Einzeltreffen werden zu Hause gefilmte Wickel-, Fütter- und Spielinteraktionen – sowie Situationen des Grenzensetzens – des Elternteils mit dem Kind in einem Feinfühligkeitsfeedback ressourcenorientiert besprochen. Über die gesamte Zeit des Kurses hinweg sind die Mentoren über eine Hotline erreichbar. Eltern, die akuten Beratungsbedarf zwischen den Gruppentreffen und Einzelterminen haben, können die Hotline nutzen, um sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Zeigt sich während des Kurses bei Elternteilen der Bedarf und der Wunsch nach einer traumaorientierten psychotherapeutischen Behandlung, so werden sie von den SAFE®-Mentoren bei der Suche nach einem Therapieplatz unterstützt. Abbildung 1 stellt den Ablauf des Programms in seiner Grundform dar (für weitere Informationen zum SAFE®-Programm siehe die Broschüre zu SAFE® zum kostenlosen Download unter www.safe-programm.de).

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Abbildung 1: Ablauf des SAFE®-Programms

Das Programm wurde mit der Zielsetzung entwickelt, dass alle werdenden Eltern – ob mit oder ohne psychische Belastungen – im Übergang zur Elternschaft davon profitieren können. Für Familien mit mehrfachen Belastungen, mit psychiatrischen Erkrankungen, ohne feste eigene Wohnung oder mit Fluchterfahrung sind jedoch Anpassungen des Programms erforderlich, damit diese Familien mit ihren Bedürfnissen gut begleitet werden können. Im Folgenden werden zunächst die Studie zur Evaluation der Wirksamkeit des SAFE®-Programms und ausgewählte Ergebnisse der Studie zu Müttern und zu Vätern beschrieben sowie die Nachuntersuchung der Familien nach sechs Jahren vorgestellt. Im Anschluss berichten verschiedene erfahrene SAFE®-Mentoren von der Umsetzung und Anpassung des Programms für Familien in besonderen Lebenslagen.

Design und Ergebnisse zu Müttern der SAFE®-Evaluationsstudie

Anhand einer randomisierten, prospektiven Kontrollgruppenstudie über vier Messzeitpunkte wurde die Wirksamkeit des SAFE®-Programms in den Jahren 2006 bis 2013 mit einer nicht-klinischen Stichprobe evaluiert. Ziel der Längsschnittstudie war es, zu untersuchen, in welchem Ausmaß sich das Präventionsprogramm SAFE® – im Vergleich zur Kontrollgruppe, die am Präventionsprogramm GUSTA teilnahm – auf die Bindungsentwicklung zwischen Eltern und Kind und auf die elterliche Feinfühligkeit förderlich auswirkt.

Die Kontrollgruppe GUSTA – die Abkürzung steht für »Guter Start« – durchlief ein Programm zur Begleitung im Übergang zur Elternschaft, das in den Rahmenbedingungen (Frequenz, Zeitumfang, Kurstage in der Gruppe) SAFE® gleicht, jedoch keine spezifischen bindungsorientierten Methoden enthält.

Um den Effekt des SAFE®-Programms auf Eltern und deren Kinder zu messen, kamen neben Selbsteinschätzungsfragebögen zu u. a. Befindlichkeit, Depression und Trauma auch das Erwachsenenbindungsinterview (Adult Attachment Interview, AAI) von George et al. (1985) zur Erfassung der Reflexionsfähigkeit und das Adult Attachment Projective Picture System (AAP) von George und West (2012) zur Erfassung der Bindungsrepräsentation der Eltern zum Einsatz. Die emotionale Verfügbarkeit inklusive der Feinfühligkeit der Eltern in Interaktion mit dem Kind wurde in Wickel- und Füttersequenzen beider Elternteile mit ihrem Kind anhand der Emotional Availability Scales® (Biringen 2008) erfasst. Die Qualität der Bindung des Kindes an die Bezugsperson wurde durch die Fremde Situation nach Ende der Kurse SAFE® und GUSTA erhoben (Ainsworth et al. 1978).

Insgesamt wurden 167 Mütter und 138 Väter in die SAFE®-Evaluationsstudie aufgenommen, die sich für die Teilnahme an einem der beiden Kurse interessierten und nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Gruppen zugeteilt wurden. Es gab keine spezifischen Ein- oder Ausschlusskriterien.

Das durchschnittliche Alter der Mütter bei Kursbeginn lag bei 32,8 Jahren (min.: 16, max.: 44). Die Väter waren bei Kursbeginn im Durchschnitt 35,6 Jahre (min.: 17, max.: 48) alt. Ca. vier Fünftel der Stichprobe hatten zum Zeitpunkt der Studie Abitur und/oder einen Hochschulabschluss. Bei Kursbeginn befanden sich die Mütter im Schnitt in der 24. Schwangerschaftswoche. 90 % der Eltern nahmen gemeinsam am Kurs teil. Die Geschlechterverteilung unter den Neugeborenen war ausgeglichen. Statistische Analysen zeigten, dass sich die Eltern der SAFE®-Gruppe im Mittel hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale und ihres psychischen Befindens nicht signifikant von denen der Kontrollgruppe GUSTA unterschieden.

Da ein eigener Abschnitt zu den Vätern (von Julia Quehenberger) folgt, wird im Folgenden nur von Analysen und Ergebnisse zu den Müttern berichtet.

Ein erstes Ergebnis der Analysen in Bezug auf die Kursteilnahme war, dass Mütter der SAFE®-Gruppe signifikant häufiger an den Kurstagen teilnahmen als die der Kontrollgruppe GUSTA.

Vergleicht man die beiden Gruppen hinsichtlich ihrer emotionalen Verfügbarkeit (u. a. Feinfühligkeit) in Interaktion mit dem Kind, fällt auf, dass sich in der zeitlich früher erhobenen Wickelinteraktion (ca. drei bis sechs Monate nach der Geburt) die SAFE®-Gruppe auf allen Skalen der emotionalen Verfügbarkeit2 signifikant positiv von der GUSTA-Gruppe abhebt.

In der darauf folgenden Fütterinteraktion (circa sechs bis neun Monate nach der Geburt) lässt sich dieser Effekt noch in der Skala »Unaufdringlichkeit« erkennen. SAFE®-Mütter sind also besonders in der frühen Interaktion mit dem Kind signifikant besser auf verschiedenen Dimensionen der emotionalen Verfügbarkeit als die Mütter der GUSTA-Gruppe.

Auch in der an sich gesunden, nicht-klinischen Stichprobe von Eltern berichtete ein beachtlicher Anteil der werdenden Mütter von belastenden Erfahrungen in der Kindheit (bis zum Alter von 12 Jahren zwischen 22 und 49 %, je nach Art der Belastung; erhoben mit dem Trauma Antecedents Questionnaire; van der Kolk 1997). In der Zeit der Schwangerschaft und mit der Geburt des Kindes können diese Erfahrungen vermehrt wieder aktiviert werden und potentiell zu Stress bei Mutter und Vater führen.

Eine Annahme der Studie war: Durch die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Beziehungsgeschichte in SAFE® und das Feinfühligkeitstraining und -feedback werden die Ressourcen der Eltern gestärkt; der Kurs kann so einen Schutz vor negativen Auswirkungen von schwierigen Lebensereignissen und psychischer Belastung der Eltern auf die Eltern-Kind-Interaktion bieten. Die Ergebnisse der Evaluationsstudie stützen diese Annahme: Bei den Müttern der SAFE®-Gruppe wurden keine nachteiligen Auswirkungen potentiell traumatischer Erfahrungen auf die Interaktion mit dem Kind beobachtet. Zudem beobachteten wir bei den SAFE®-Müttern in der Wickelinteraktion, dass eine depressive Symptomatik während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr des Kindes keinen negativen Einfluss auf die emotionale Verfügbarkeit in der Mutter-Kind-Beziehung hatte. Bei den GUSTA-Müttern zeigte sich hingegen: Je höher die Belastung, desto geringer war die Qualität der Mutter-Kind-Interaktion. Man kann dies so interpretieren, dass die bindungsorientierte Haltung des SAFE®-Programms mit der aktiven Reflexion eigener Kindheitserfahrungen und den Video-Feinfühligkeitstrainings eine positive Wirkung im Sinne einer gesunden Bindungsentwicklung des Kindes hat. Retrospektiv berichten die Eltern im SAFE®-Kurs, durch diesen tatsächlich dazu angeregt worden zu sein, sich mit ihrer eigenen Familien- und Bindungsgeschichte auseinanderzusetzen.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Evaluationsstudie ist, dass die Kinder der SAFE®-Gruppe in Relation zu Vergleichsstichproben aus der Literatur überdurchschnittlich häufig eine sichere Bindung zu ihren Müttern aufbauten. In einer Studie von Verhage et al. (2016) zeigen beispielsweise 50 % der mehr als 2700 Probanden eine sichere Bindung. Von den Kindern der SAFE®-Gruppe, deren Mütter sehr regelmäßig (> 7 Kurstage; N = 39) am SAFE®-Kurs teilnahmen, haben sogar knapp 70 % eine sichere Bindung an ihre Mütter entwickelt.

Zusammenfassend, zeigen die Ergebnisse der SAFE®-Evaluationsstudie zu Müttern und ihren Kindern, dass das SAFE®-Programm die negativen Auswirkungen potentiell traumatischer Erfahrungen und psychischer Belastung durch den Fokus auf die Bindung und Feinfühligkeit auffangen kann und so Eltern und Kinder darin unterstützt, eine gesunde und sichere Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen.

Julia Quehenberger

Väter im Blick

Das Ziel primärer Prävention ist es, den Einfluss von Risikofaktoren zu minimieren und den von Schutzfaktoren zu maximieren. (Werdende) Väter können, ebenso wie (werdende) Mütter, zugleich Schutz und Risiko für ein Kind bedeuten. Prävention hat in der Bindungspraxis und -forschung eine lange Tradition. Jedoch haben sich präventive Maßnahmen vorwiegend an den Müttern als Zielgruppe orientiert, weshalb (werdende) Väter erst in den letzten Jahren immer mehr als Zielgruppe für präventive Maßnahmen »entdeckt« und diese erforscht wurden (Bakermans-Kranenburg et al. 2003). Was John Bowlby einst zu seinem Sohn sagte, als dieser ihn nach der Rolle des Vaters in der Bindungstheorie fragte: »Well, a child doesn’t need two mothers« (zitiert nach Newland & Coyl 2010, S. 27), kann nach heutigem Forschungsstand als widerlegt gelten (Bretherton 2010). Erst in den 1980er Jahren mit der stetigen Publikation von relevanten Forschungsergebnissen zum Thema »Vater-Kind-Bindung« begann auch Bowlby, Vätern mehr Aufmerksamkeit zu schenken und seine theoretischen Annahmen (Palm 2014) zu überprüfen.

Bereits in den 1960er Jahren befasste sich die Bindungsforschung erstmals in einigen wenigen Studien mit der Frage, welche Rolle Väter für die Bindungsentwicklung von Kindern spielen. Zunächst ging man der Frage auf den Grund, ob Väter – genauso wie Mütter – primäre Bindungspersonen sein können. Dies – und dass Kinder ebenso eine sichere Bindung zu ihren Vätern aufbauen können – hat sich in Beobachtungsstudien bestätigt. Danach kam die Frage auf, ob die Vater-Kind-Bindung unabhängig von der Bindung des Kindes an seine Mutter ist, ob es also z. B. möglich ist, dass Kinder eine sichere Bindung zu ihrem Vater, nicht jedoch zu ihrer Mutter aufbauen. Empirische Studien und Meta-Analysen (das sind Zusammenfassungen der bisherigen Studien zu einem Thema, die die Stärke des untersuchten Zusammenhangs über alle Studien hinweg statistisch untersuchen) konnten zeigen, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Mutter-Kind- und der Vater-Kind-Bindung gibt (Bretherton 2010), dass also eine sichere Bindung zur einen und eine unsichere zur anderen der beiden Bindungspersonen möglich ist.

Van IJzendoorn (1995) konnte in einer Meta-Analyse zeigen, dass Mütter und Väter eine jeweils unabhängige Bindungsbeziehung zu ihren Kindern aufbauen, diese individuelle Bindungsentwicklung dabei mit ihrer eigenen Bindungsgeschichte zusammenhängt. Das bedeutet, dass es eine Weitergabe von Bindungsmustern nicht nur von der Mutter, sondern auch vom Vater gibt. Nach bisherigen Studienergebnissen ist dieser Einfluss geringer als bei Müttern. Neuerdings konnte allerdings in einer Meta-Analyse gezeigt werden, dass der Einfluss der Weitergabe mütterlicher Bindungsmuster in den letzten Jahren zurückgegangen ist und nun der Einfluss von Mutter und Vater gleich groß ist, während der Zusammenhang zwischen der Bindungsrepräsentation des Vaters und der Vater-Kind-Bindung über zwei Jahrzehnte stabil geblieben ist (Verhage et al. 2016). Über mögliche Gründe für diese Angleichung kann nur spekuliert werden: Die Autoren erklären diese Entwicklung mit der veränderten Rolle der Mutter innerhalb der Familie und der wachsenden Aufgabenteilung zwischen Müttern und Vätern. Weitere Forschung ist jedoch notwendig.

Mittlerweile konzentriert sich die Forschung auf die Frage, welche Auswirkungen eine sichere bzw. unsichere Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Bindung auf die psychische Entwicklung von Kindern hat. Hier konnten z. B. Grossmann et al. (2002) mit ihrer Längsschnittstudie einen großen Beitrag leisten: Sie fanden heraus, dass die Feinfühligkeit der Mütter in einer Stresssituation, etwa beim Wickeln, und die Feinfühligkeit der Väter im Spiel die kindliche Entwicklung im Alter von sechs bis zehn und sogar bis 16 Jahre positiv beeinflussen. Das Ergebnis zeigt, dass Bindungskompetenzen der Mutter und solche des Vaters einander ergänzen können. Allerdings können die wichtigen Forschungsergebnisse aus der Regensburger Längsschnittstudie von Grossmann et al. (2002) kaum auf die heutige Zeit übertragen werden. Die an der Studie teilnehmenden Familien wurden 1976/1977 rekrutiert und zeichneten sich in der Regel eher durch eine klassische Aufgabenteilung (die Mutter übernimmt den Haushalt, der Vater sichert das Einkommen) aus. Damals waren Väter selten in der Pflege und im Spiel mit ihren Kindern so aktiv involviert, wie es heutige Väter sind, die in Elternzeit gehen und sich selbst als wesentliche und eigenständige Bezugsperson für ihr Baby sehen. Möglicherweise hat heute auch die Feinfühligkeit des Vaters in der Pflege des Kindes, und nicht nur im Spiel, langfristig einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Kindes (Lucassen et al. 2011).

Aber reichen die bisherigen Ergebnisse aus, um die heutige Komplexität von Familienbindungssystemen zu erklären?

Viele Mütter und Väter haben heute den Anspruch, sowohl ein optimaler »sicherer Hafen« für ihr Kind zu sein, etwa bei Angst und Schmerzen, als auch ihrem Kind eine optimale sichere emotionale Basis als Ausgangspunkt für neugierige Erkundungen zu bieten (Bretherton 2010). Aber wie genau setzen Eltern – besonders die heutigen Väter – dies um, und wie kann man sie dabei unterstützen? Mit dem SAFE®-Programm und der SAFE®-Evaluationsstudie soll u. a. diesen Fragen auf den Grund gegangen werden. Schon jetzt zeigt die Forschung: Attachment und Bonding sind auch Vätersache.

Bindungsorientierte Arbeit mit Vätern im SAFE®-Programm

Der Titel dieses Beitrags, »Väter im Blick«, ist ein Motto des SAFE®-Programms. Es werden explizit die werdende Mutter und der werdende Vater angesprochen, und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch durch die Art der Organisation und der Durchführung des Programms. Das SAFE®-Programm wurde so entwickelt, dass sich nicht nur werdende Mütter, sondern auch werdende Väter wohlfühlen. So hat sich der Sonntag als SAFE®-Kurstag etabliert, da es besonders für berufstätige Väter wie Mütter während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr des Kindes schwierig ist, Werktage freizuhalten.

Im SAFE®-Kurs wird Müttern und Vätern gleich viel Raum gegeben. Jeder Elternteil bekommt in den Einzelterminen, etwa beim Videofeedback, ausreichend Zeit, sich intensiv mit der SAFE®-Mentorin oder dem SAFE®-Mentor in einem sicheren Rahmen auszutauschen.