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Für Vanessa,
die immer an das Buch
und an die Macht der Sterne glaubte



ISBN 978-3-492-97815-6
© Piper Verlag GmbH, München 2017
Covergestaltung: U1 berlin / Patrizia Di Stefano
Covermotiv: © Patrizia Di Stefano unter Verwendung mehrerer Motive von John W Bova / Getty Images und rondale /123RF
Datenkonvertierung: Uhl + Massopust, Aalen



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Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Danksagungen

»Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der uns auf unserer Reise begleitet und uns daran erinnert, jeden Moment zu genießen, denn er wird nicht wiederkommen. Was wir hinterlassen, ist nicht so wichtig wie die Art, wie wir gelebt haben.«

(Jean-Luc Picard)

Prolog

Licht ist in fünf Minuten aus!«

»Ja, klar, Mama.«

»Nicht ja, klar, Mama! Ich mein’s ernst, Großer.«

»Ja, kla–« Marc grinste. »Ich mach’s aus. Versprochen.«

»Du schreibst morgen direkt in den ersten beiden Stunden eine Mathearbeit.«

»Weiß ich doch.«

»Und Schlaf ist so wichtig.«

»Ja, Mama.«

»Morgen kommst du wieder nicht aus dem Bett!«

»Wenn du noch länger in der Tür stehst, ganz bestimmt nicht.«

Marcs Mutter straffte den Körper. »Jetzt mal nicht frech werden.«

»Nein, Mama. Ich will nur schlafen, bin ganz müde.« Er rieb sich die Augen. Hoffentlich war das nicht zu dick aufgetragen.

»Ich guck gleich noch mal rein!«

»Dann schlaf ich sicher schon.« Er gähnte. Was musste er noch tun, damit sie ihm glaubte?

»Du bist so ein Schauspieler …«

»Gute Nacht, Mama. Hab dich lieb!«

»Ich dich auch. Aber manchmal könnte ich dich …« Sie ballte die Hände spielerisch zu Fäusten, dann setzte sie sich zu Marc auf die Bettkante und küsste ihn auf die Stirn. Marc kuschelte sich in seine Decke und schloss die Augen. Mit einem langen Seufzer verließ seine Mutter das Zimmer.

Die nächsten Minuten würden quälend lang werden.

Sie schaute immer noch einmal rein, gut zehn Minuten später, nachdem sie alle Türen und Fenster im Haus geschlossen hatte. Ganz leise prüfte sie dann, ob er schlief – und dachte, er merke es nicht. Marc wandte das Gesicht für diesen Moment immer zur Tür, sodass sie es direkt beim Hereinkommen sehen musste, ließ den Mund etwas offen stehen und atmete extra tief und langsam. Diesmal war er so aufgeregt, dass er das Warten kaum aushielt. Sie ließ sich heute wahnsinnig viel Zeit!

Dann endlich das verräterische Knirschen der Scharniere seiner Zimmertür. Jetzt guckte sie bestimmt. Wartete einige Sekunden und lächelte dann zufrieden. Schließlich erklang das Geräusch der sich schließenden Tür.

Noch fünf Atemzüge warten.

Auf Nummer sicher gehen!

Eins, zwei, drei … Marc öffnete die Augen. Dunkelheit. Stille. Langsam ließ er die Beine unter der Bettdecke hervor und aus dem Bett gleiten, setzte die Füße so vorsichtig auf den Flokati, als bestünde dieser aus Glasscherben. Vier Schritte bis zum Fenster. Den Rollladen zog er leise empor.

Es war dunkel genug. Und der Himmel klar. Kein Mond zu sehen, dafür Hunderte Sterne. Sein Teleskop stand ausgerichtet bereit. Jede Nacht, wenn die Wolken über Köln ihn ließen, sah er hinauf in den Himmel, immer in einen anderen Teil. Marc hatte ein Raster ausgeklügelt, um in einem Jahr möglichst viele Sterne zu Gesicht zu bekommen.

Ein Geräusch im Flur.

Marc sprang zurück ins Bett.

Doch wenn seine Mutter nochmals hereinschaute, würde das auch nichts nützen, denn der hochgezogene Rollladen war unübersehbar.

Marcs Herz pochte so laut, dass es jeder im Haus hören musste. Er würde verdammt viel Ärger bekommen.

Die Schritte seiner Mutter näherten sich zielstrebig der Zimmertür. Plötzlich rief sein Vater aus dem Wohnzimmer: »Komm schnell, du verpasst sonst deinen geliebten Professor Brinkmann!«

Die Schritte seiner Mutter entfernten sich.

Marc atmete aus.

Die Schwarzwaldklinik hatte ihn gerettet.

Diesmal stand er schnell auf, denn er wusste, dass er nur bis zum Ende der Folge Zeit hatte. Doch bevor er durch den Sucher des Teleskops blickte, schaute er hinüber zum Nachbarhaus, wo Anne Päffgen in der ersten Etage ihr Zimmer hatte. Durch die Ritzen ihres Rollladens schien Licht hindurch, und Marc konnte die Silhouette von Annes Mutter erkennen, die ihr auf dem Schreibtischstuhl sitzend etwas vorlas. Zurzeit Anne auf Green Gables, wegen des Vornamens. Das hatte Anne ihm heute auf dem Schulweg erzählt. Sie erzählte immer viel und gern, und er hörte ihr genauso gern zu und lächelte. Weil er verliebt war, was er Anne aber nie sagen würde. Sonst fände sie ihn total peinlich. Aber wenn sie älter wären, dann würde er sie heiraten, so viel war sicher.

Im Garten der Päffgens stand ihre Schaukel, die jetzt im Licht der Nacht glänzte, als wäre sie silbern, dabei war sie eigentlich rot. Auf der schaukelte Anne so hoch, als wollte sie abheben und in den Himmel fliegen. Die einbetonierten Metallstangen wackelten dann immer ganz doll. Manchmal beobachtete er Anne dabei, dann winkte sie ihm zu, auf dem Scheitelpunkt der Bewegung, im kurzen Moment der Schwerelosigkeit. Das war der glücklichste Sekundenbruchteil für ihn. Marc fand die Schwerkraft richtig doof, weil sie Anne daran hinderte weiterzuwinken. Wenn er könnte, würde er die abstellen, wie im Weltraum, da gab es schließlich auch keine.

In Annes Zimmer ging das Licht aus. Marc wünschte ihr im Stillen Gute Nacht und sah dann durch den Sucher seines Spiegelteleskops. Eine Million Sterne waren damit sichtbar! Sagenhafte dreihundertfünfzigfache Vergrößerung! Und mit der Barlow-Linse konnte er die Auflösung sogar verdoppeln. Es war ein Traum. Das beste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten auf der ganzen Welt für immer und ewig.

Es dauerte etwas, bis Marc den ersten Ausschnitt scharf gestellt hatte. Er verglich ihn mit der unter seiner Schreibtischauflage versteckten Sternenkarte.

Heute suchte Marc am Dämmerungshimmel bis zu neunzig Grad Sonnenabstand, genau wie der berühmte neuseeländische Hobbyastronom William Ashley Bradfield, den man »Zauberer von Dernancourt « nannte, weil er so viele Kometen entdeckt hatte.

Marc kniff die Augen zusammen.

Vielleicht würde er ja heute auch …

Gleich noch mal.

Das konnte nicht sein!

Er kontrollierte die Linse. Sie war makellos sauber.

Wieder sah er durch das Teleskop.

Der helle Fleck rechts oben durfte sich nicht im Sternbild Wasserschlange befinden.

Wenn er sich bewegte, viel schneller als die Sterne, dann …

Marc hielt den Atem an.

Hatte er sich bewegt? Ja, hatte er!

Oder war das Einbildung?

Vielleicht hatte er vor Aufregung das Teleskop angerempelt?

Marc drehte mit zitternden Fingern die Barlow-Linse auf.

Dann sah er wieder hindurch.

War das ein Schweif? Das war ein Schweif, oder? Das konnte nur ein Schweif sein!

Marcs Herz raste, während er darauf wartete, eine deutliche Bewegung wahrzunehmen, wobei er diesmal tunlichst darauf achtete, das Teleskop nicht zu berühren.

Der Punkt hatte sich bewegt.

Und das hinter ihm konnte nur ein Schweif sein.

»Mama! Papa!«, brüllte Marc und sprang auf, die Hände gereckt. »Ihr müsst sofort herkommen! Es ist was passiert! Kommt schnell!«

Er hörte, wie seine Eltern zu ihm liefen. »Was ist los?« und »Ist was passiert?«, aber Marc hatte keine Zeit zu antworten, er blickte schon wieder durch das Teleskop. Da war der Komet, eine echte Schönheit. Er musste ihn gleich morgen früh bei der International Astronomical Union melden, die Formulare dafür hatte er schon besorgt. Seine Eltern hatten es belächelt, ihm aber dennoch dabei geholfen. Das Porto war ganz schön teuer gewesen. Fast ein ganzer Monat Taschengeld war dafür draufgegangen. Jeder Pfennig davon hatte sich gelohnt.

Er würde dem Kometen einen Namen geben dürfen.

Längst wusste er, welcher das sein würde. Da gab es überhaupt keine Frage.

Er würde ihn nach dem Mädchen hinter dem Rollladen benennen.

Er würde diesen Himmelskörper Anne Päffgen taufen.