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Pieter Goos: Orbis Terrarum / Nieuwe Werelt Kaert, 1666.

Für Emma und Franklin
Wo wäre ich ohne euch?

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Diego Gutiérrez: Americae Sive Quartae Orbis Partis Nova et Exactissima Descriptio, 1562.

EINLEITUNG

So Geographers in Afric-maps
With Savage-Pictures fill their Gaps;
And o’er uninhabitable Downs
Place Elephants for want of Towns.

Jonathan Swift

Als die Sonne sich in den Junihimmel erhob, legte die Justo Sierra ab. Ihr Auftrag: Sie sollte im Golf von Mexiko nach der 80 Quadratkilometer großen Insel Bermeja suchen. Als Navigationshilfe nutzten die Seeleute unter anderem die Positionsangaben von Alonso de Santa Cruz, der die Insel auf seiner Karte El Yucatán e Islas Adyacentes von 1539 verzeichnet hatte, und die etwas genaueren Angaben von Alonso de Chaves, der die Insel 1540 als »blond oder rötlich« beschrieben hatte.

Als sie die angegebenen Koordinaten erreichten, fanden die Seeleute allerdings – nichts. So weit das Auge reichte, gab es nur offenes Wasser. Von der Insel, die auf vielen offiziellen Karten verzeichnet war, gab es nicht die geringste Spur. Die Männer waren sehr gründlich und durchsuchten ein großes Gebiet, nahmen Messungen vor und prüften regelmäßig die Wassertiefe. Es führte zu nichts. Bermeja war ein Phantom. Von einem Tag auf den anderen wurde ein anerkanntes Faktum zur bloßen Fiktion. Aber das eigentlich Überraschende an dieser Geisterinsel aus dem 16. Jahrhundert war ihre beträchtliche Lebensdauer; denn die Justo Sierra war keine spanische Galeone, sondern ein Forschungsschiff der Universität Mexiko, das Dutzende Wissenschaftler an Bord hatte. Und man schrieb das Jahr 2009.

Was Sie in den Händen halten, ist ein Atlas der Welt – nicht wie sie jemals gewesen ist, sondern so, wie sie nach Ansicht der Kartografen sein sollte. Die Länder, Inseln, Städte, Berge und Flüsse in diesem Buch sind alle fiktiv – und waren doch alle für eine Zeitlang real. Warum? Weil sie auf Landkarten verzeichnet waren.

Falsche kartografische Vorstellungen sind von den Historikern meist wenig beachtet worden. Man hielt sie für unbedeutende Irrtümer. Aber man braucht bloß mal einen Blick auf die Karten zu werfen, die Kalifornien zur Insel erklärten, am Nordpol den magnetischen Berg Rupes Nigra ins Meer stellten oder Patagonien mit Riesen bevölkerten, um zu erkennen, dass diese fiktiven Gebiete geradezu danach schreien, erforscht zu werden. Wie kam es zu diesen Vorstellungen? Warum waren sie so verbreitet?

Man kann natürlich behaupten, dass diese Phantome heute keinen Schaden mehr anrichten können. Aber es ist doch erstaunlich, dass sich manche dieser Irrtümer so lange halten. Einige haben noch länger überlebt als Bermeja, so zum Beispiel die Île de Sable (Sandy Island) im Korallenmeer vor der Küste von Neukaledonien, die erstmals 1876 im Logbuch eines Walfängers auftauchte und erst nach einer langen Existenz auf zahllosen Seekarten im November 2012 (sieben Jahre nach der Erfindung von Google Maps) als nicht existierend entlarvt wurde. Da Inseln und Riffe eine nicht unbeträchtliche Gefahr für die Schifffahrt darstellten, wurden lange auch unbestätigte Hinweise auf solche Hindernisse verzeichnet. Aber bald wurden diese Phantome auch eine Plage, weil immer wieder Schiffe zur Überprüfung der Angaben ausgeschickt werden mussten. Erst mit zunehmendem Verkehr auf den Schifffahrtsrouten und besseren Messgeräten wurden immer mehr »falsche« Inseln eliminiert. 1875 zum Beispiel konnten allein im Nordpazifik nicht weniger als 123 nicht existierende Inseln von den Karten der Royal Navy gestrichen werden, die bis dahin den Vermerk E. D. (»Existenz zweifelhaft«) trugen.

Aber wie kamen solche Phantome überhaupt in die Welt? Je weiter wir zurückgehen, desto häufiger stoßen wir natürlich auf Aberglauben, die antike Mythologie oder die ängstliche Rücksicht auf kirchliche Lehrmeinungen als Hintergrund der Erfindungen. Die detaillierten Weltkarten des Mittelalters zum Beispiel, von denen die Mappa Mundi von Hereford (ca. 1290) die größte erhaltene ist, waren Kuriositätenkabinette des Volksglaubens und der Geschichte. Diese komplexen »Weltgemälde« sollten den häufig analphabetischen Pilgern die Schöpfungs- und Heilsgeschichte des Christentums näherbringen. Jerusalem befand sich gewöhnlich im Mittelpunkt, und Osten war oben. Vor allem sollte die Größe der göttlichen Schöpfung gezeigt werden, aber es wurden auch Phänomene verzeichnet, von denen Plinius in seinen Schriften berichtet (zum Beispiel die Skiapoden oder »Schattenfüßler«, eine menschliche Rasse, die im Land Taprobana leben und ihre gigantischen Füße als Sonnenschutz nutzen sollte).

Bei der Übertragung der Namen entstanden zahllose Irrtümer. Dort, wo den Karten tatsächliche Beobachtungen zugrunde lagen, spielten auch Lufspiegelungen und andere optische Phänomene eine beträchtliche Rolle. Auf dem Meer wurden niedrige Wolkenbänke für düstere Küsten gehalten. Eine Fata Morgana konnte vom Bug eines Schiffes aus einen Landstreifen vortäuschen. Der Name kommt von Morgan le Fay, der bösen Fee aus der Artussage, und das zeigt schon, wie sehr die Seeleute diese Sinnestäuschungen fürchteten. Auch der »Fliegende Holländer« soll eine Fata Morgana gewesen sein. Und die Expedition des deutsch-baltischen Barons Eduard von Toll, der nach dem Sannikow-Land suchte, hat wahrscheinlich wegen solcher optischer Täuschungen in einer Tragödie geendet.

Natürlich gibt es auch den »ehrlichen Irrtum«, der allerdings ein naher Verwandter des kartografischen Wunschdenkens ist. Mal beruhte er auf begründeten Vermutungen und mal auf unzulänglichen Messgeräten. Die Positionsangaben der frühen Seefahrt waren oft ungenau, vor allem vor der einheitlichen Messung der Längengrade. Erst die von dem englischen Tischler John Harrison 1762 vorgestellte Schiffsuhr »H 4« ging genau genug, um brauchbare Positionsangaben zu machen. Seine Erfindung revolutionierte die Navigation, aber erst elf Jahre später erhielt er dafür die vom britischen Parlament ausgelobte Prämie von 20 000 Pfund. War ein Irrtum erst in der Welt, wurde er immer wieder kopiert. Viele »Entdeckungen« wurden auch zwei- oder dreimal gemacht. Lieutenant Charles Wilkes entdeckte zum Beispiel bei einer Erkundungsfahrt durch das Tuamotu-Archipel im Jahre 1838 ein Atoll, das er zu Ehren des Ausgucks, der es zuerst gesehen hatte, King Island nannte. Später musste er feststellen, dass die Insel schon 1835 von Captain Robert FitzRoy von der Beagle entdeckt und Taiaro getauft worden war.

Manchmal scheinen die Phantome aus reinem Übermut erfunden worden zu sein. In seiner Cosmographie von 1659 erzählt Peter Heylyn die Geschichte des Seefahrers Pedro Sarmiento de Gamboa. Der Spanier, der im Auftrag Philipp II. gereist war, wurde von einer englischen Flotte gefangen genommen und von Sir Walter Raleigh verhört, der sich besonders für eine bestimmte Insel in der Magellanstraße interessierte, die eine gewisse militärische Bedeutung zu haben schien. Der listige Spanier (der den Auftrag hatte, den Seeweg für die spanische Krone zu sichern und dort auch ein Truppenkontingent hinterlassen hatte) behauptete dreist: »Ach, das ist bloß die Insel der Malersfrau. Als der Künstler die Karte gemalt hat, bat ihn seine Frau, auch für sie etwas einzuzeichnen, damit sie davon träumen könne, ein eigenes Land zu besitzen.« Offenbar gelang es ihm, die Briten zu täuschen, denn der gestrenge Heylyn fügt mahnend hinzu: »Ich fürchte, auf unseren Karten gibt es viele solche ›Inseln der Malersfrau‹ und sogar Länder in einigen Erdteilen, die man auch bei der gründlichsten Suche nicht finden könnte.«

Natürlich gibt es auch arge Lügner, die aus schierem Eigennutz ganze Inseln und Länder erfinden. Der Hochstapler George Psalmanazar zum Beispiel behauptete, der erste Ureinwohner Taiwans zu sein, der nach Europa gelangt war. Er tauchte 1702 in den Niederlanden auf und untermalte seine Legende mit kuriosen Gebräuchen (so schlief er aufrecht sitzend in einem Stuhl und aß rohes Fleisch). Seine mit fantastischen Erfindungen gespickte Description of Formosa wurde in England zum Bestseller, und er verdiente damit gutes Geld.

Wilde Geschichten konnten ihre Erfinder berühmt machen. Abenteurer stilisierten sich zu heroischen Entdeckern und verschafften sich auf diese Weise Mittel für weitere Expeditionen. Der Amerikaner Benjamin Morrell wird gern »der Baron Münchhausen des Pazifiks« genannt, weil er in seinem Narrative of Four Voyages so viele abenteuerliche Geschichten über neu entdeckte Inseln erzählte, die sonst niemand finden konnte. Seine tatsächlichen Entdeckungen wurden von einem Ghostwriter mit Plagiaten von anderen Autoren so ausgeschmückt, dass er alle Glaubwürdigkeit einbüßte. Der König der Lügner ist aber wohl der Schotte Gregor MacGregor, ein Aufschneider von atemberaubender Frechheit, der nach einer kurzen Karriere im Dienst Simón Bolívars 1820 in London als »Kazike von Poyais« auftauchte und im großen Stil Grundbesitz und Anleihen eines Staates verkaufte, der nur in seiner Fantasie existierte.

Gelegentlich haben auch die Kartografen selbst zur Verbreitung von Unwahrheiten beigetragen, um auf diese Weise ihre Urheberrechte zu schützen. Ähnlich wie Lexikografen haben sie bewusst falsche Einträge vorgenommen, um später beweisen zu können, dass Konkurrenten ihre Materialien gestohlen hatten. Und diese Praxis gab es nicht nur in grauer Vorzeit. Im Jahr 2005 erläuterte ein Sprecher des Verlags, der das A  Z London herausgibt, dass dieser beliebte Straßenatlas über hundert gefälschte Straßennamen enthält. Andererseits sollte man das Etikett »Phantom« auch nicht voreilig einsetzen: In vulkanischen Gegenden können Inseln tatsächlich über Nacht entstehen und wieder verschwinden. Auf den Fidschi-Inseln gibt es zum Beispiel die Geschichte der bewohnten Insel Vuniivilevu, die eines Tages in den Tiefen des Meeres versank. Bis heute ist es üblich, dass auf den Fischerbooten respektvoll geschwiegen wird, wenn sie über den Standort der Insel hinwegfahren. Manchmal werden solche Ereignisse auch auf einer Karte verzeichnet: Im Meer zwischen Grönland und Island gab es zum Beispiel die Gunnbjörn-Schären, die im 14. Jahrhundert achtzehn Bauernhöfe beherbergten, nach Angaben einer Karte von Johannes Ruysch aus dem Jahr 1507 aber durch einen Vulkanausbruch im Jahr 1456 völlig verbrannt und vernichtet wurden.

Wir mögen uns der Welt um uns herum noch so sicher sein – wie es scheint, sind die Geschichten nie so ganz einfach. Es steckt immer noch mehr dahinter, als man auf den ersten Blick sieht. Wie viele andere Phantome verbergen sich wohl noch auf unseren Landkarten? Welche Inseln, Berge und Länder, die heute als Tatsachen gelten, genießen da ihre stille Nichtexistenz und warten darauf, dass sie entlarvt werden?

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DIE STRASSE VON ANIÁN

48°29'n, 124°50'w

Eine der größten Herausforderungen für die europäischen Entdecker und Seefahrer der Neuzeit war die Suche nach der Nordwestpassage. Als Alternative zur langen gefährlichen Reise um die Südspitze Feuerlands schien der kürzere Weg im Norden von Kanada wesentlich attraktiver. Wer die Reichtümer Asiens auf diese Weise erreichte, konnte hohen Profit daraus schlagen. Jahrhundertelang blieb dieser Seeweg aber reine Theorie, ein Traum für begierige Kaufleute. 1850 gelang es Robert McClure, das Polarmeer von West nach Ost zu durchqueren, aber dabei stieß er auf Packeis und musste einen Teil der Reise zu Fuß zurücklegen, sodass der eigentliche Zweck nur zur Hälfte erreicht war. Erst 1906 gelang es dem norwegischen Polarforscher Roald Amundsen, die Nordwestpassage mit einem kleinen Schoner und sechs Mann Besatzung von Ost nach West zu befahren. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es viele Spekulationen, welches wohl der richtige Weg durch das berüchtigte Labyrinth von Inseln, Kanälen und Packeis im Norden von Kanada sein könnte. Als kühnste Lösung für das Problem galt die Straße von Anián.

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Die wegweisende Karte der arktischen Region von Willem Barentsz aus dem Jahr 1598, die auf seiner Reise von 1596 beruht. Neben anderen Phantomen (wie »Frisland«, »Estotiland« und dem »Magnetberg«) zeigt sie rechts oben die »Estrecho de Anián«.

Der Name »Anián« stammt vermutlich von Marco Polo, der in seinen Erinnerungen (III. Buch, 5. Kapitel) von einer Bucht spricht, die man zwei Monate lang hinaufsegeln könne und an deren Ufer die Länder Manji, Ania, Tolman und andere lägen. Er bezieht sich dabei auf den Golf von Tonking und es ist offensichtlich, dass er sich in einer ganz anderen Gegend der Welt befindet, aber offenbar gefiel den Kartografen der Name »Ania« so gut, dass sie ihn ganz allgemein für den »Seeweg nach Asien« benutzten.

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Paolo Forlani und Bolognino Zaltieri, Karte von Neu-Frankreich, Venedig 1566. Dies ist die älteste gedruckte Karte, die sich ausschließlich auf Nordamerika konzentriert. Die »Streto de Anián« trennt hier Asien und Amerika.

Der Begriff »Straße von Anián« taucht zuerst auf einer Karte des italienischen Kosmografen Giacomo Gastaldi aus dem Jahr 1562 auf und wurde dann 1567 von den Kartenzeichnern Bolognino Zaltieri und Gerhard Mercator übernommen. Auch in den folgenden Jahrhunderten hielten die Seefahrer und Kartografen an diesem Traum fest. Der Handel zwischen Europa und Asien blühte, war aber sehr mühsam, weil die Waren entweder über Land oder um das Kap der Guten Hoffnung herumtransportiert werden mussten, das als besonders gefährlich galt und wegen seiner schrecklichen Stürme von dem portugiesischen Entdecker Bartolomeu Dias 1488 ursprünglich »Cabo das Tormentas« (Kap der Stürme) genannt worden war.

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Adam Zürner: Americae tam Septentrionalis quam Meridionalis in Mappa Geographica delineato, ca. 1707. Kalifornien wird hier als Insel dargestellt, und das »Fretum Anián« ist unmittelbar unter den beiden Indianern links oben zu sehen.

Der griechische Seefahrer Ioannis Phokas (1536  1602), bekannt unter dem Namen Juan de Fuca, war einer der Ersten, die behaupteten, die »Straße von Anián« befahren zu haben. Im Auftrag des Vizekönigs von Neu-Spanien brach er in Mexiko auf. Seine erste Expedition umfasste drei Schiffe mit 200 Mann, scheiterte aber rasch, weil die Mannschaft wegen angeblicher Dienstvergehen ihres Kapitäns meuterte und das Schiff nach Kalifornien brachte. 1592 unternahm er einen zweiten Versuch, diesmal mit zwei Schiffen. Er segelte von Acapulco an der Küste entlang nach Norden, und diesmal war die Reise erfolgreicher. Nach Angaben des englischen Kaufmanns Michael Lok (ca. 1532  ca. 1621) erreichte er einen breiten Meeresarm, der sich »zwischen dem 47. und 48. Breitengrad nach Nordosten hin öffnete«, fuhr hinein und kam, nachdem er zahlreiche Küstengebiete passiert hatte, »nach zwanzig Tagen zu einem Meer, das sich noch breiter öffnete als der Eingang« im Süden. De Fuca notierte noch, dass der Eingang der Meerenge von einer großen Insel mit einem hohen Felsturm bewacht wurde, dann kehrte er jubelnd zurück, in der Hoffnung auf eine große Belohnung. Die wurde ihm aber nicht angeboten.

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Karte des Tartarenreichs von Ortelius aus dem Jahr 1598. Die »Stretto di Anián« trennt Asien und Amerika.

Da der einzige erhaltene Hinweis auf diese Reisen in den Schriften des Londoner Kaufmanns und Seefahrers Michael Lok zu finden ist, der selbst an der Nordwestpassage sehr interessiert war und behauptete, de Fuca in Venedig kennengelernt zu haben, wurde zwischenzeitlich sogar die Existenz des Griechen bezweifelt. Aber seine Angaben enthielten doch erstaunliche Elemente von Wahrheit. Im Jahre 1787 entdeckte ein Pelzhändler namens Charles William Barkley tatsächlich bei Cape Flattery an der Nordwestküste von Nordamerika den Eingang zu einer riesigen Bucht. Und obwohl sie über hundert Kilometer weiter nördlich lag, als de Fuca behauptet hatte, wurde sie wirklich von einem hohen Felsturm bewacht, der heute als De Fuca Pillar bekannt ist. Die Wasserstraße, die nach de Fuca benannt wurde, ist aber nur 150 Kilometer lang und bildet den Zugang zur Salish Sea (unter diesem indianischen Namen wurden 2009 sämtliche Küstengewässer bei Vancouver zusammengefasst). Heute liegt hier die Grenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten.

1609 trat mit Lorenzo Ferrer Maldonado ein offensichtlicher Betrüger am spanischen Hof auf, der behauptete, die Nordwestpassage schon 1588 von Osten nach Westen durchfahren zu haben und auf 70° nördlicher Breite auf den nördlichen Ausgang der »Anián-Straße« gestoßen zu sein. Seine Erzählungen von angenehmen Wassertemperaturen und Goldfunden stießen aber auf wenig Glauben.

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Cornelis de Jode aus Antwerpen veröffentlichte 1593 diese Karte der Westküste von Nordamerika.

Trotzdem blieb die »Straße von Anián« weiterhin auf den Landkarten. Eine Karte des Kupferstechers Herman Moll aus dem Jahr 1719 zeigt sie als Wasserstraße nördlich von Kalifornien auf dem 50. Breitengrad. Eine Karte von Johannes van Keulen aus dem Jahr 1728 zeigt sie an derselben Stelle, mit der Zusatzbemerkung: »Es heißt, man könne durch diese Wasserstraße zur Hudson Bay fahren, aber das ist nicht bewiesen.« Im Jahr 1772 reiste Samuel Hearne auf der Suche nach dem legendären Wasserweg 2600 Meilen über Land von der Hudson Bay bis zur Mündung des Coppermine River im kanadischen North-West Territory und zurück, aber die »Straße von Anián« fand er nicht. Außer für die allerunverbesserlichsten Optimisten war der Mythos damit erledigt.

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ANTILIA

(auch als Antillia, Ilha das Sete Cidades, Sept Citez bekannt)

33°44'n, 54°55'w

Im Jahre 711 überquerten die muslimischen Mauren die Straße von Gibraltar und begannen mit der Eroberung der Iberischen Halbinsel. Geführt von ihrem General Tariq ibn Ziyad zerschlug die Invasionsarmee in einem achtjährigen Feldzug die westgotische Streitmacht und brachte den größten Teil Spaniens und Portugals unter islamische Herrschaft. Sie überquerte die Pyrenäen und wurde erst 732 in der Schlacht bei Poitiers von den Franken unter Karl Martell zurückgeschlagen. Aber ihr Eroberungsfeldzug hinterließ eine eigenartige Legende. Sieben christliche Bischöfe, hieß es, seien zu Schiff aus Spanien geflohen und hätten sich auf eine Insel im Atlantik geflüchtet, die den Namen »Antilia« trug. Hier hatten die frommen Männer sich niedergelassen und jeder baute für sich eine goldene Stadt. So erhielt die Insel noch einen zweiten Namen: die Insel der sieben Städte.

Wie es den Bischöfen weiter erging, ist nicht bekannt, denn von »Antilia« war sieben Jahrhunderte lang keine Rede mehr, bis sie plötzlich auf Seekarten wie der des venezianischen Kartografen Zuane Pizzigano auftauchte, der 1424 gleich mehrere legendäre Atlantikinseln verzeichnete. »Antilia« erscheint hier als großer, rechteckiger Klotz, dessen Küsten mit sieben Städten geschmückt sind: Asay, Ary, Vra, Jaysos, Marnlio, Ansuly und Cyodne. Angeblich lag die riesige Insel auf der Höhe von Gibraltar 1200 Kilometer westlich von Portugal im Atlantik. Der Ursprung des Namens ist unklar, aber man nimmt an, dass er sich von antheila herleitet, was »gegenüberliegende Insel« bedeutet. (Denselben Namen erhielten später auch die Antillen in der Karibik.)

Vor allem seine beträchtliche Größe machte Antilia interessant. Der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer (1394  1460) schickte 1452 den Kapitän Diogo de Teive und den spanischen Edelmann Pedro de Velasco auf die Suche nach »Antilia«. Der Kapitän hatte sich schon bei der (Wieder-) Entdeckung und Besiedelung der Azoren verdient gemacht und Velasco war ein führender Kopf bei der Reconquista. Ausgehend von der zu den Azoren gehörenden Insel Faial sollten sie das Meer in nordwestlicher Richtung absuchen. Sie gelangten bis auf die Höhe von Irland, ohne auf »Antilia« zu stoßen, entdeckten aber immerhin die Vulkaninseln Corvo und Flores, die noch zu den Azoren gehören.

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Portolankarte von Albino de Canepa (1489). Das nahezu rechteckige »Antilia« mit seinen 7 Häfen erscheint am äußersten linken Bildrand.

In einem Brief an den portugiesischen Domherrn Fernão Martins von 1474 vertrat der italienische Astronom Paolo Toscanelli aufgrund mathematischer Berechnungen die Ansicht, dass man Asien in westlicher Richtung erreichen könne. Auch wo »Antilia« zu finden sei, glaubte Toscanelli zu wissen: 50° östlich von Cipangu (Japan). Es sei eine angenehme Zwischenstation auf dem Wege nach Cathay (China). (Von der Existenz des amerikanischen Kontinents wusste er nichts.) 1486 gab König João II. dem flämischen Kapitän Ferdinand van Olmen, der als Fernão Dulmo auf den Azoren ansässig war, die Erlaubnis, nach der »Insel der sieben Städte« zu suchen und sie gegebenenfalls in Besitz zu nehmen. Dulmo brach gleich im März auf, fand aber nichts außer schrecklichen Stürmen.

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Eine Weltkarte von Henricus Hondius II aus dem Jahr 1641. »Antilia« erscheint hier als »Sept Citez«.

Auch Kolumbus (der sich bei Toscanelli danach erkundigt hatte) glaubte an die Existenz von »Antilia«. Eintragungen in seinem Logbuch von 1492 weisen darauf hin, dass er die Insel auf 28° nördlicher Breite zu finden hoffte. Das passte zu den Angaben von Martin Behaim, der sie auf seinem »Erdapfel« mit dem Vermerk versah, dass dorthin der Erzbischof von Porto »mit sechs anderen Bischöfen sowie männlichen und weiblichen Begleitern und ihrem Vieh und sonstigen Eigentum« geflohen sei, »als Spanien 734 von den afrikanischen Heiden überrannt wurde«. Im Jahr 1414, so glaubte Behaim zu wissen, sei »ein spanisches Schiff ganz ungefährdet in der Nähe der Insel vorbeigefahren«. 1508 fügte Johannes Ruysch auf seiner Karte noch weitere Einzelheiten hinzu: »Die Insel Antilia wurde einst von den Portugiesen entdeckt, kann aber heute nicht mehr gefunden werden, wenn man sie sucht. Die Bewohner sprechen die hispanische Sprache und sollen vor der Eroberung Hispaniens durch die Barbaren geflohen sein, zur Zeit von König Roderich, dem letzten gotischen Herrscher. Es gibt hier einen Erzbischof und sechs Bischöfe, von denen jeder seine eigene Stadt hat, weshalb sie die Insel der sieben Städte genannt wird. Die Bewohner leben auf christliche Art und besitzen alle Reichtümer unseres Jahrhunderts.« Auch Hernando Colón, der Sohn von Kolumbus, war von »Antilia« fasziniert. In seiner Historia del Almirante von 1571 schreibt er, dass der Exodus der Bischöfe schon 714 stattgefunden haben müsse, was besser zur zweijährigen Regierungzeit Roderichs passt. Außerdem behauptet er, dass die frommen Männer nach der Ankunft ihre Schiffe verbrannt hätten, um sich jede Möglichkeit einer Rückkehr nach Spanien zu nehmen. Aber wie gelangte die Geschichte der Auswanderer dann zurück aufs Festland? Colón erzählt, zur Zeit der Herrschaft von Heinrich dem Seefahrer sei ein Schiff vom Sturm in die Nähe der Insel verschlagen worden. Die Mannschaft sei auf der Insel gelandet, habe mit den Bewohnern gesprochen und auch eine Messe besucht, ehe sie nach Portugal zurückkehrte. Als sie erneut ausgesandt wurden, um die Insel zu suchen, seien die gesamte Mannschaft und ihr Schiff aber spurlos verschwunden. Der flämische Seemann Eustache de la Fosse machte die Sache noch geheimnisvoller, indem er behauptete, »Antilia« werde von einem Zauber geschützt. Einer der Bischöfe sei nämlich in den »Künsten der Nekromantie« bewandert gewesen und habe dafür gesorgt, dass die Insel erst dann entdeckt werden würde, wenn »ganz Spanien wieder zu unserem katholischen Glauben zurückgekehrt« sei. Seeleute hätten berichtet, dass sogar die Küstenvögel in der Nähe der Insel unsichtbar seien, wenn sie über das Schiff flögen.

António Galvão berichtet 1563 in seinem Tratado dos Descombrimentos (Geschichte der Entdeckungen) von einem portugiesischen Schiff, das vor der Straße von Gibraltar die Insel der sieben Städte gefunden habe. Die Bewohner hätten sich auf Portugiesisch erkundigt, ob Spanien immer noch von den Mauren beherrscht würde, vor denen sie auf die Insel geflohen seien. Als er nach Lissabon zurückkehrte, habe der Kapitän einem Goldschmied eine Bodenprobe von der Insel zur Überprüfung gegeben, und der habe festgestellt, dass sie zu einem Drittel aus Gold bestand. (Dieses letztgenannte Detail war allerdings eine weitverbreitete Zutat zu solchen Entdeckungsgeschichten, mit denen Interesse geweckt werden sollte.) Galvão war ohnehin misstrauisch gegenüber dem ganzen Bericht, er ging davon aus, dass die Seeleute die Insel mit den viel weiter westlich liegenden Antillen in der Karibik verwechselt hatten. Als diese Vermutung von dem Geschichtsschreiber Petrus Martyr von Anghiera (1457  1526) und anderen Geografen bestätigt wurde, verschwand die Insel »Antilia« nach und nach von den Karten.

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ATLANTIS

35°09'n, 39°48'w

Alle verschollenen Inseln der Vergangenheit verblassen vor der größten und berühmtesten ihrer Art: Atlantis, der »Insel des Atlas«. »Größer als Libyen und Asien zusammen« sei sie gewesen, behauptet Platon in seinen Dialogen Timaios und Kritias, die etwa 360 v. Chr. verfasst wurden. Anlass der Erwähnung war »der große Krieg« zwischen Athen und Atlantis, der 9600 Jahre vor der Zeit Platons stattgefunden haben und angeblich »keine Erfindung, sondern eine wahre Begebenheit« gewesen sein sollte. Platon benutzt die Geschichte, um die Überlegenheit seines (attischen) Idealstaats gegenüber der Hybris mächtiger Tyrannen zu zeigen. Es ist denkbar, dass er bei der Beschreibung vom Untergang von Atlantis von dem zerstörerischen Vulkanausbruch auf Thera (Santorin) im Jahre 1613 v. Chr. oder vom Untergang der Stadt Helike in einer Flutwelle im Jahr 365 v. Chr. inspiriert worden ist. Aristoteles hielt die Geschichte für reine Fiktion, der griechische Philosoph Krantor von Soloi hingegen bestand darauf, dass sie eine historische Tatsache sei. Die Debatte ist bis heute nicht abgeschlossen.

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Eine spekulative Karte von Atlantis aus dem Buch von Bory de St-Vincent über die Îsles Fortunées aus dem Jahr 1803.

Im Timaios-Dialog beschreibt Platon eine imperialistische Inselmacht, deren Hauptsitz die Insel Atlantis »vor den Säulen des Herkules« gewesen sei. Gegen ihren brutalen Eroberungsfeldzug in Europa und Asien habe allein Athen sich erfolgreich gewehrt: »Auf dieser Insel Atlantis nun bestand eine Herrschaft, welche nicht bloß die ganze Insel, sondern auch viele andere Inseln und Teile des Festlands unter ihrer Gewalt hatte. Indem sie sich zu einer großen Heeresmasse vereinigte, unternahm sie es, das ganze diesseits der Meeresenge liegende Gebiet mit einem Zuge zu unterjochen. Da wurde nun, mein Solon, die Macht eures (attischen) Staates in ihrer Trefflichkeit und Stärke vor allen Menschen offenbar. Denn er überwand die Angreifer … Später aber entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und da versank während eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht das ganze streitbare Geschlecht der Angreifer unter die Erde, und ebenso verschwand die Insel Atlantis, indem sie im Meere unterging. Deshalb ist auch die dortige See jetzt unbefahrbar und unerforschbar, weil der hoch aufgehäufte Schlamm im Wege ist, welchen die Insel beim Untersinken hervorbrachte.«

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Eine (nach Süden ausgerichtete) Karte des deutschen Jesuiten Athanasius Kircher, auf der »Atlantis« in gleichem Abstand zwischen Amerika und Europa liegt.

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»Atlantis auf dem Höhepunkt seiner Macht« aus dem Buch The Story of Atlantis and the Lost Lemuria von W. Scott-Elliot (1925).

Die eigentlich entscheidende Anspielung auf Platons idealen Staat trat für viele Leser bald hinter seiner Versicherung zurück, dass hier von einem wirklichen Ereignis berichtet würde, was in den kommenden Jahrhunderten eine geradezu berauschende Wirkung auslöste. Atlantis wurde zum Inbegriff aller verlorenen Welten und Utopien und mischte sich mit ähnlichen Mythen aus anderen Kulturen. »Diese Legende passte so gut zum menschlichen Denken, dass sie sich überall einnistete«, schreibt der berühmte Platon-Übersetzer Benjamin Jowett. »Niemand wusste besser, wie man eine edle Lüge erfindet, als Platon.« Dementsprechend gab es bald eine Fülle von wissenschaftlichen und weniger wissenschaftlichen Theorien darüber, wo dieses untergegangene Atlantis zu finden sein könnte. Zu den vermuteten Schauplätzen des Geschehens gehören unter anderem Peru, die Westindischen Inseln, die Antarktis, die Kanarischen Inseln, Kuba, Indonesien, Nigeria, Marokko, Zypern, Ceylon, Sardinien, Nordamerika, der Englische Kanal und auch die Nordsee mit Helgoland.

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Und hier »Atlantis im Niedergang« aus demselben Werk.

Natürlich tauchte die Legende auch auf zahlreichen Landkarten auf. Der deutsche Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher, der den größten Teil seines Lebens in Rom verbrachte und wissenschaftliche Entdeckungen im Sinne der Kirche zu interpretieren versuchte, folgt Platons Hinweisen und pflanzt die Insel mitten in den Atlantik. In seinem außergewöhnlichen Buch Mundus Subterraneus (1665) finden sich mythische Orte wie die »Mondberge«, in denen die Quellen des Nils liegen sollten, aber auch Erörterungen über die begrabenen Überreste von Riesen und über die Geschöpfe der unterirdischen Welt, zu denen auch Drachen gehören sollten. Berühmt ist das Werk vor allem wegen seiner Illustration der Systema Ideale Pyrophylaciorum (S. 28). Kircher, der 1638 sogar in den Krater des Vesuvs hinuntergestiegen war, vertrat die Ansicht, dass die Erde überall Öffnungen und im Inneren leere Räume habe. Die schrecklichen Vulkane waren für ihn die »Atemlöcher der Natur«.

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Die »Feuerkanäle« des vulkanischen Systems in der unterirdischen Welt des Athanasius Kircher aus dem Jahre 1665.

Der Mythos von Atlantis überdauerte die Jahrhunderte, wurde allerdings aus dem Reich der Wissenschaft immer weiter in die Zone der Obsessionen und exzentrischen Spinnereien gedrängt. In den Reflections of a Marine Venus (1953; dt. ›Leuchtende Orangen‹) schreibt der englische Schriftsteller Lawrence Durrell über Krankheiten, die von der Schulmedizin bislang noch nicht anerkannt seien, und rechnet dazu auch die »Islomania« (oder »Inselsucht«), »eine seltene, aber keineswegs unbekannte Krankheit des Geistes. Es gibt Menschen … die Inseln unwiderstehlich finden. Das bloße Bewusstsein, dass sie sich auf einer Insel befinden, einer kleinen, von Wasser umgebenen Welt, wirkt ungeheuer berauschend auf sie. Diese ›Inselsüchtigen‹ sind unmittelbare Nachkommen der Atlanter.«

Bei denen, die Atlantis suchen, gibt es eine besonders ausgeprägte Inselsucht. Einen historischen Höhepunkt erreichte sie bei der Errichtung des »Fürstentums Atlantis« im Jahre 1917 durch eine Gruppe dänischer Atlantomanen unter Führung von John L. Mott. Um dem kriegsbesessenen Europa zu entkommen, behaupteten die Männer, hätten sie sich auf einer Inselgruppe 200 Meilen südwestlich von Florida niedergelassen, acht Grad nördlich des Äquators und drei Meilen vor der Küste von Panama und Costa Rica. Dort hätten sie das »private Fürstentum Atlantis Kaj Lemuria« gegründet.

Erfahren haben wir dies aus einer Akte des State Department, das zwischen 1930 und 1950 eine lange Korrespondenz mit verschiedenen Einzelpersonen in dieser Sache geführt hat. Dazu gehört auch ein Schriftstück mit dem Briefkopf der »Regierung von Atlantis und Lemuria«, in dem die Generalgouverneurin des Fürstentums, eine gewisse Gertrude Norris Meeker, das amerikanische Außenministerium darauf hinweist, dass »jedes unberechtigte Betreten des Inselreichs« mit Gefängnis bestraft werden könne. Auch ein weiteres Schreiben, diesmal aus dem Jahr 1957, fordert die Vereinigten Staaten auf, die Souveränität des Fürstentums zu beachten. »Glauben Sie mir«, erklärt der Rechtsanwalt der Neu-Atlanter den Amerikanern, »es handelt sich hier keineswegs um irgendjemandes Hirngespinst.«

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AURORA-INSELN

52°37's, 47°49'w

Im Jahre 1762 war das spanische Handelsschiff Aurora unter seinem Kapitän José de la Llana auf dem Heimweg von Lima nach Cádiz, als die Mannschaft zwischen den Falklandinseln und South Georgia eine Doppelinsel entdeckte. Der Verkehr in diesem Seegebiet nahm damals ständig zu, weil immer mehr europäische Schiffe Kap Hoorn umrundeten, um Häfen in Chile, Mexiko oder Kalifornien anzulaufen. Dementsprechend wurde die Entdeckung bald mehrfach bestätigt: Die Besatzung der Fregatte San Miguel sah die Inseln 1769, die Aurora fand sie 1774 erneut auf ihrem Weg, ebenso 1779 die Perla und 1790 die Dolores. Die Koordinaten wurden mit Hilfe der sogenannten »Koppelnavigation« festgestellt, die damals nicht viel mehr als eine vage Schätzung war.

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Die »Aurora-Inseln« auf der Südamerika-Karte von George F. Cram aus dem Jahr 1890.

Im Jahre 1790 passierte die Princessa von der königlichen Compañía de Filipinas die Inseln auf dem Weg nach Lima. Kapitän Manuel de Oyarvido verzeichnete nicht nur genauere Koordinaten, sondern auch noch eine dritte Insel, die er »Isla Nueva« nannte. Daraufhin erhielt der spanische Seefahrer José de Bustamente y Guerra den Auftrag, die »Aurora-Inseln« zu kartieren, und fand im Jahr 1794 tatsächlich auf 52°37's eine felsige Insel mit einer verschneiten Ostseite und einer schwarzen Westseite, in deren Schluchten ebenfalls Schnee blinkte. Sein Schiff, die Korvette Atrevida, kreuzte in der Nähe der Küste und kam bis auf eine Meile an die Insel heran, ehe sie ihren Weg fortsetzte. Vier Tage später stieß er auf eine zweite Insel und bemerkte aus »mittlerer Entfernung« eine schneebedeckte Südost-Seite. Er war überzeugt, dass die Position der Inseln damit hinreichend dokumentiert sei, und fuhr weiter nach Montevideo. Seine Aufzeichnungen wurden der Königlichen Hydrografischen Gesellschaft in Madrid übergeben und zu den Akten gelegt. Dann war erst einmal Ruhe.

Über zwanzig Jahre später wollte der britische Seefahrer und Robbenjäger James Weddell auf der Suche nach Beute die Inseln aufsuchen, fand aber nur Wasser. Er konnte gar nicht glauben, dass sich Bustamente und die anderen Kapitäne so völlig geirrt haben sollten, und kreuzte vier Tage lang in der Gegend, bis er zu dem Ergebnis kam, dass seine Vorgänger »von Sinnestäuschungen irregeführt worden seien«, und in den Gewässern rund um die Falklandinseln auf Jagd ging.

Weddell hatte recht – es gibt in der Gegend tatsächlich kein Land, aber es ist auch nie eine vernünftige Erklärung dafür gefunden worden, wie die »Aurora-Inseln« je hatten »entdeckt« werden können. Es gibt allerdings verschiedene Faktoren, die in Betracht kommen: Im Bereich der Antarktis herrscht meist schlechte Sicht aufgrund der schwierigen Wetterbedingungen, und nach der langen Reise war der Wunsch, Land zu sichten, größer als in anderen Meeresgebieten; aber es ist auch nicht auszuschließen, dass die Inseln durch Vulkantätigkeit oder seismische Beben versunken sind. Waren die vermeintlichen Inseln womöglich nur »mit Erde bedeckte Eisberge«, wie Weddell am Ende vermutete? Oder hatten die Spanier sie mit den Shag-Rocks, 1000 Kilometer östlich der Falklandinseln, verwechselt, die auf 53°33's, 42°02'w liegen und von einem amerikanischen Robbenjäger entdeckt worden waren? Man hat sogar behauptet, dass die »Aurora-Inseln« mit den Falklands verwechselt worden sein könnten, aber das erscheint sehr unwahrscheinlich. Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieben die »Aurora-Inseln« jedenfalls auf den Landkarten und führten 1823 und 1830 zu weiteren vergeblichen Suchaktionen durch Benjamin Morrell und John Biscoe. Auch auf der Karte, die James Clark Ross 1847 seinem Bericht über eine Forschungsreise ins Südpolarmeer beilegte, sind sie noch zu finden. Erst 1856 verschwanden sie endgültig von den offiziellen Seekarten. Doch das Geheimnis, was die Männer dort draußen im Meer tatsächlich gesehen haben, ist nie gelüftet worden.

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Seekarte aus A Voyage of Discovery and Research to Southern and Antarctic Regions von James Clark Ross (1847).

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AUSTRALIENS BINNENMEER

24°54's, 137°13'o