Michael Hudson

Finanzimperialismus

Die USA und ihre Strategie
des globalen Kapitalismus

Aus dem Amerikanischen
von Stephan Gebauer und
Thorsten Schmidt

Klett-Cotta

Impressum

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Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:

»Super Imperialism. The Economic Strategy
of American Empire« im Verlag Pluto Press, London

© 2003, 2016 Michael Hudson

Für die deutsche Ausgabe

© 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH,

gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Schutzumschlag: Rothfos & Gabler, Hamburg

Unter Verwendung einer Abbildung von ullstein bild – Bonn Sequenz

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94753-3

E-Book: ISBN 978-3-608-10974-0

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Inhalt

Einleitung zur deutschen Ausgabe

Kapitel 1
Ursprünge der zwischenstaatlichen Schulden (1917–1921)

Kapitel 2
Der Zusammenbruch des globalen Gleichgewichts (1921–1933)

Kapitel 3
Die Vereinigten Staaten verschmähen die globale Führungsrolle

Kapitel 4
Das Leih-Pacht-System und der Zerfall des britischen Weltreichs (1941–1945)

Kapitel 5
Bretton Woods: Der Triumph des staatlichen amerikanischen Finanzkapitals

Kapitel 6
Der kommunistische Block wird isoliert

Kapitel 7
Die amerikanische Strategie in der Weltbank

Kapitel 8
Der Imperialismus der US-Auslandshilfe

Kapitel 9
GATT und der doppelte Standard

Kapitel 10
Die Vorherrschaft des Dollars durch den IWF (1945–1946)

Kapitel 11
Wie Amerika seine Kriege mit den Finanzmitteln anderer Länder finanzierte (1964–1968)

Kapitel 12
Macht durch Bankrott (1968–1970)

Kapitel 13
Das Imperium durch eine Währungskrise vervollkommnen (1970–1972)

Kapitel 14
Die monetäre Frühjahrsoffensive von 1973

Anhang

Anmerkungen

Personenregister

Sachregister

Einleitung zur deutschen Ausgabe

Theoretisch sollten alle Länder vom globalen Finanzsystem profitieren. In der Darstellung der Mainstream-Ökonomie sind die internationalen Finanzen, der Handel und die »Auslandshilfe« (definiert(1) als jeglicher staatliche Kredit) ein(1) beinahe utopisches System, das allen Ländern zugutekommt, sie ihres Vermögens nicht beraubt und ihnen keine Austerität aufzwingt(1). In Wahrheit spielen die Vereinigten Staaten seit dem Ersten Weltkrieg eine(1) führende Rolle bei der Gestaltung eines internationalen Finanzsystems, das(1) ihren eigenen Banken, landwirtschaftlichen Exporteuren, ihrem Erdöl- und(1) Erdgassektor(1) und den Käufern ausländischer Ressourcen Gewinne sichert und die Schulden eintreibt, die andere bei ihnen haben.

Jedes Mal, wenn dieses globale System im vergangenen Jahrhundert zusammengebrochen ist, wurde es vor allem durch die amerikanische Dominanz und das Streben der amerikanischen Banken und Anleihebesitzer nach schnellen Gewinnen destabilisiert. Das rund um den Dollar errichtete Finanzsystem halst immer mehr Industrie- und Entwicklungsländern erdrückende Schulden auf. Seine drei institutionellen Säulen – der Internationale Währungsfonds (IWF), die(1) Weltbank und(1) die Welthandelsorganisation – haben andere Länder, darunter zuletzt die postsowjetischen baltischen Staaten, Griechenland und(1) das übrige Südeuropa, in monetäre, fiskalische und finanzielle Abhängigkeit gezwungen. Die Belastung ist mittlerweile derart erdrückend, dass sie das nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete(1) System zerstört.

Die destruktivste Fiktion in den internationalen Finanzbeziehungen lautet, alle Schulden könnten – und müssten tatsächlich – bezahlt werden, selbst wenn das ganze Volkswirtschaften zerstört, die zum Sparen gezwungen werden. Auf diese Art sollen nicht die Arbeitsplätze und die Industrie, sondern die Anleihebesitzer gerettet werden. Aber einige europäische Länder, allen voran Deutschland, schrecken(1) davor zurück, sich für eine ausgewogenere Weltwirtschaft einzusetzen, die allen Ländern Wachstum ermöglichen(1) und eine wirtschaftliche Kontraktion und Schuldendeflation wie in der Gegenwart vermeiden würde.

Die erzwungene Austeritätspolitik in Deutschland nach(2) dem Ersten Weltkrieg

Nach(2) dem Ersten Weltkrieg wich(3) die US-Regierung von der in Europa üblichen Praxis ab, ihren Verbündeten die Schulden zu erlassen, die sie zur Finanzierung des Kriegs angehäuft hatten. Amerikanische Regierungsvertreter verlangten von den (1)Alliierten die Bezahlung der Waffen, die sie vor dem Kriegseintritt der USA im Jahr 1917 aus Amerika bezogen hatten. Um ihre Schulden bei den Vereinigten Staaten begleichen zu können, erlegten die amerikanischen Verbündeten ihrerseits Deutschland Reparationen(3) auf. Eine von John Maynard Keynes geführte(1) Gruppe britischer Diplomaten wollte die Verantwortung für etwaige katastrophale Folgen der Belastung durch die Reparationsleistungen nicht übernehmen und versprach, das gesamte aus Deutschland erhaltene(4) Geld direkt einfach an das amerikanische Finanzministerium weiterzuleiten.

Die unerträglich hohen Reparationszahlungen trieben Deutschland in(5) die Austerität. Die(2) Folge war der wirtschaftliche Zusammenbruch. Die Reichsbank begann, Geld zu drucken, was zu Hyperinflation und(1) einer Finanzkrise führte(1). Die Schuldendeflation hatte große Ähnlichkeit mit jener, die vor einer Generation die Schuldnerländer der Dritten Welt heimsuchte, sowie mit der gegenwärtigen Krise in den europäischen PIIGS-Staaten (Portugal(1), Irland(1), Italien(1), Griechenland(1) und(2) Spanien).

Um(1) die deutschen Reparationen und die Schulden der Alliierten finanzierbar zu machen, ermöglichten die USA durch eine komplizierte Politik des leichten Geldes Zahlungsströme über drei Banden: Amerikanische Investoren kauften hochverzinste deutsche Anleihen, die(1) deutschen Gemeinden tauschten die mit diesen Anleihen eingenommenen Dollar bei der Reichsbank in Reichsmark um, und die Zentralbank verwendete(1) die Devisen zur Bezahlung der Reparationsschulden bei Großbritannien, Frankreich(1) und(1) anderen Alliierten, die mit dem Geld ihrerseits ihre Schulden bei den Vereinigten Staaten begleichen konnten.

Aber die Lösung, derart hohe Schulden aufrechtzuerhalten, indem man den Schuldnern das für die Tilgung benötigte Geld leiht, kann nur zeitweilig funktionieren. Die amerikanische Federal Reserve ermöglichte(1) diesen Geldfluss über drei Banden, indem sie die Zinsen in(1) den USA niedrig hielt. So hatten amerikanische Investoren einen Anreiz, deutsche Kommunalobligationen und andere hochverzinste Anleihen zu(2) kaufen. Die Niedrigzinspolitik hielt auch die Wall Street davon(1) ab, Geld aus Großbritannien abzuziehen(2) und dadurch eine weitere Verschärfung des Sparkurses und eine Vertiefung der Wirtschaftskrise nach(1) dem Generalstreik im Jahr 1926 zu verursachen. Aber in den Vereinigten Staaten führten die niedrigen Zinsen und der leichte Zugang zu Krediten zum(2) Anschwellen einer Immobilienblase und in der Folge eines Börsenbooms, der(1) im Jahr 1929 mit einem Crash endete(2). Im Jahr 1931 brach der Dreiecksfluss der Zahlungen zusammen. Die USA und Europa schlitterten in eine Schuldendeflation. Die Weltwirtschaftskrise dauerte(1) bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im(2) Jahr 1939.

Als sich der Krieg seinem Ende zuneigte, nahmen die Pläne für die Nachkriegszeit Gestalt an. Die amerikanischen Diplomaten hatten eine wichtige Lektion gelernt: Diesmal würde es keine Schulden für Waffenlieferungen und keine Reparationen geben. Um das globale Finanzsystem zu stabilisieren, würde man eine Goldpreisbindung sowie(1) auf die Bedürfnisse der Kreditgeber zugeschnittene Regeln einführen. Ende der Vierzigerjahre hielten die USA rund 75 Prozent der globalen Goldreserven. Gestützt(1) darauf fungierte der US-Dollar als Reservewährung der(1) Welt und konnte zum 1933 festgelegten Kurs von 35 Dollar pro Unze in Gold eingelöst(1) werden.

Das bedeutete auch, dass die Vereinigten Staaten einmal mehr die Zahlungsbilanzdefizite der(1) europäischen Staaten finanzieren mussten. Das Recycling der offiziellen staatlichen Kreditaufnahme wurde vom Internationalen Währungsfonds und(2) der Weltbank übernommen(2). In beiden Einrichtungen hatten nur die amerikanischen Vertreter das Recht, ein Veto gegen Maßnahmen einzulegen, die nicht in ihrem nationalen Interesse waren. So verwandelte sich die »Stabilität« des internationalen Finanzsystems in(1) einen globalen Kontrollmechanismus, der dazu diente, die Interessen der Kreditgeber in den Vereinigten Staaten zu schützen.

Um sich Gold oder(2) an das Gold gekoppelte(3) Dollar beschaffen(1) und damit ihre heimische Währung stabilisieren zu können, mussten andere Länder die von den USA vorgegebenen Regeln für Handelsbeziehungen und (1)Investitionen befolgen: Sie mussten auf Kapitalverkehrskontrollen verzichten und Beschränkungen für ausländische Unternehmen aufheben, die ihre Bodenschätze ausbeuten(1) oder öffentliche Dienstleistungen, heimische Industriebetriebe und Banken übernehmen wollten.

Im Jahr 1950 war das auf dem Dollar beruhende globale Wirtschaftssystem nicht mehr aufrechtzuerhalten. Es strömte immer mehr Geld in die Vereinigten Staaten, was den Dollar weiter stärkte. Der Koreakrieg führte zu einer Trendwende. Zwischen 1951 und 1971 stieg das Zahlungsbilanzdefizit der USA aufgrund der Militärausgaben im Ausland unablässig. (Die Handels- und Investitionsbilanzen des Privatsektors blieben ausgeglichen.)

Die amerikanischen Staatsschulden ersetzen den Goldstandard

Die(4) Ausgaben für Militärinterventionen im Ausland, die zum Rückfluss amerikanischen Goldes nach(5) Europa führten, schwollen zu einer Flut an, als sich der Vietnamkrieg ab 1962 über Südostasien ausbreitete. Das amerikanische Finanzministerium hielt den Wechselkurs des Dollar stabil, indem es über den Londoner Gold Pool(1) große Mengen des Edelmetalls zum Kurs von 35 Dollar pro Unze verkaufte. Im August 1971 stoppte Präsident Nixon schließlich(1) den Aderlass, indem er die Goldpreisbindung des(2) Dollar aufgab.

Für das weitere Vorgehen gab es keinen Plan. Die meisten Beobachter sahen in der Abkoppelung des Dollar vom Gold eine(6) Niederlage der Vereinigten Staaten. Zweifellos bedeutete dieser Schritt das Ende der 1944 errichteten Ordnung des globalen Finanzmarkts. Aber wie sich herausstellte, war das keineswegs eine Niederlage der USA, im Gegenteil: Da die Zentralbanken anderer(2) Länder nach 1971 kein Gold mehr(7) kaufen konnten (ohne damit auf deutliche Ablehnung bei den USA zu stoßen), gab es nur noch einen Vermögenswert, in dem sie ihre Zahlungsbilanzüberschüsse anlegen konnten: amerikanische Staatsanleihen. Doch diese Wertpapiere waren(1) nicht länger »so gut wie Gold«. Die(8) Vereinigten Staaten begaben nach Belieben Anleihen, um(3) ihre rasch steigenden Haushaltsdefizite zu finanzieren.

Durch die Verschiebung vom Gold zu(9) den zur Finanzierung des amerikanischen Zahlungsbilanzdefizits gedruckten Dollar, mit denen die ausländischen Zentralbanken nun(3) überschwemmt wurden, verwandelten sich die amerikanischen Militärausgaben in die Grundlage der weltweiten Währungsreserven. So(1) lieferte das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit die Dollar, mit denen die Haushaltsdefizite der USA und die Kreditschöpfung finanziert wurden: Ausländische Zentralbanken schleusten(4) die amerikanischen Ausgaben im Ausland zum US-Finanzministerium zurück.

In der Praxis werden die anderen Länder besteuert, ohne Einfluss auf die Verwendung ihrer Kredite an(3) den amerikanischen Staat zu haben. Die europäischen Zentralbanken waren(5) noch nicht soweit, eigene Vermögen anzuhäufen und die Dollarzuflüsse in ausländische Aktien oder in den direkten Staatsbesitz an Unternehmen zu investieren. Sie verwendeten ihre Handels- und Zahlungsbilanzüberschüsse einfach zur Finanzierung der amerikanischen Haushaltsdefizite. Das versetzte die US-Regierung in die Lage, die Steuern vor allem für die höchsten Einkommen zu(1) senken.

Der monetäre Imperialismus der USA konfrontierte die europäischen und asiatischen Zentralbanken(1) mit(6) einem Dilemma, das bis heute Bestand hat: Wenn sie aufhören, Vermögenswerte in Dollar zu kaufen, werten die Währungen ihrer Länder gegenüber dem Dollar auf. Der Kauf amerikanischer Staatsanleihen ist der einzige Weg, um die Wechselkurse stabil zu halten und auf diese Art zu verhindern, dass sich die Exporte dieser Länder in Dollar verteuern und auf den Märkten des Dollarraums durch billigere Produkte verdrängt werden.

Das System war kaum so geplant, aber als es etabliert war, wurde es bald bewusst verteidigt. Mein Buch Super Imperialism hat sich im Großraum von Washington am besten verkauft, und das Verteidigungsministerium beauftragte mein Hudson Institute, die genaue Funktionsweise dieses extraktiven Finanzsystems zu erklären. Ich wurde auch ins Weiße Haus eingeladen, um es zu erläutern, und amerikanische Geostrategen verwendeten mein Buch als Handbuch zur praktischen Umsetzung (was ich nicht bezweckt hatte).

Die Aufmerksamkeit verlagerte sich rasch auf die erdölexportierenden Länder(2). Nachdem sich die Exportpreise für amerikanisches Getreide kurz(1) nach der Aufgabe des Goldstandards im(2) Jahr 1971 vervierfacht hatten, erhöhten die erdölexportierenden Länder(3) ihre Ölpreise ebenfalls um das Vierfache. In einer Sitzung im Weißen Haus erfuhr ich, dass amerikanische Diplomaten den Regierungen Saudi-Arabiens und(1) anderer Länder der Region zu verstehen gegeben hatten, diese könnten für ihr Öl so(4) viel verlangen wie sie wollten, aber die Vereinigten Staaten würden es als kriegerischen Akt deuten, würden sie ihre Einnahmen aus dem Erdölexport nicht(5) in Vermögenswerten anlegen, die in US-Dollar denominiert waren.

An diesem Punkt wurde das internationale Finanzsystem unverhohlen(2) extraktiv. Es dauerte bis zum Jahr 2009, bis ein erster Versuch zum Ausstieg aus diesem System unternommen wurde. In jenem Jahr berief die Shanghai Cooperation Organization (SCO(1)) eine(2) Konferenz im russischen Jekaterinburg ein. Dort wurde ein Bündnis geschmiedet, dem sich Russland, China(1), Kasachstan(1), Tadschikistan(1), Kirgisistan(1) und(1) Usbekistan anschlossen(1); der Iran, Indien(1), Pakistan(1) und(1) die Mongolei erhielten(1) Beobachterstatus. Die US-Regierung wollte ebenfalls Beobachter entsenden, aber ihre Bitte wurde ausgeschlagen.

Die amerikanische Reaktion besteht darin, den neuen Kalten Krieg auf den Finanzsektor auszuweiten, die Regeln für das internationale Finanzsystem zum(3) Vorteil der USA und ihrer Satelliten zu ändern – und andere Länder davon abzuhalten, sich aus dem System zurückzuziehen, das den Vereinigten Staaten einen finanziellen Freifahrtschein ausstellt.

Der Internationale Währungsfonds ändert(3) seine Regeln, um Russland und(2) China zu(2) isolieren

Um Russland und(3) China zu(3) isolieren, unterwarf die Regierung Obama mit ihrer konfrontativen Diplomatie die Bretton Woods-Institutionen einer(1) strengeren Kontrolle der USA und der NATO. Damit(1) wurden die nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellten(3) Verbindungen unterbrochen.

Der amerikanische Plan war, die russische Wirtschaft(4) so zu schwächen, dass das Land für einen Regimewechsel (eine »Farbenrevolution«) reif würde. Russland sah(5) sich gezwungen, sich von Westeuropa abzuwenden und nach Osten zu orientieren, um die langfristigen Beziehungen zu China und(4) Zentralasien(2) zu stärken. Die USA haben Europa gedrängt, sein Erdöl und(6) Erdgas bei(2) amerikanischen Verbündeten zu kaufen, und durch die Sanktionen wurden die Handels- und Investitionsbeziehungen Deutschlands(1) und(6) Europas zu Russland und(6) China ausgehöhlt(5). Auch europäische Landwirte, andere(1) Exporteure und Investoren wurden um Chancen gebracht, und eine Flut von Flüchtlingen aus gescheiterten postsowjetischen Staaten wurde in den Einflussbereich der NATO gezogen(2).

Die US-Strategen mussten die Regeln des IWF dringend(4) ändern, weil im Dezember 2015 Schulden der Ukraine in(1) Höhe von 3 Milliarden Dollar beim russischen Staatsfonds fällig wurden. Lange Zeit gewährte der Währungsfonds Ländern(5), die sich weigerten, ihre Schulden bei anderen Ländern zu begleichen, keine Kredite. Dieser(4) Grundsatz diente in erster Linie dazu, die finanziellen Forderungen des amerikanischen Staates abzusichern, der normalerweise eine Führungsrolle in Kreditgeberkonsortien mit(1) anderen Regierungen und amerikanischen Banken spielte. Aber auf Betreiben der USA änderte der IWF im Januar 2015 seine Regeln: Von nun an war er bereit, Ländern, die mit ihren Schuldenrückzahlungen an(1) andere Staaten in Rückstand waren, Kredit zu(5) gewähren; implizit zielte diese Maßnahme gegen China (das(6) die amerikanischen Geostrategen als wichtigsten langfristigen Widersacher betrachten), Russland und(7) andere Länder, welche die amerikanischen Finanzkrieger isolieren wollen, um ihnen eine neoliberale Privatisierungspolitik aufzuzwingen(1).1

Der amerikanische Neoliberalismus fördert(2) die Privatisierung und Zerstückelung des Eigentums der Schuldnerländer

Seit dem Zweiten Weltkrieg nutzen(4) die Vereinigten Staaten den Dollarstandard und ihre Vormachtstellung im Währungsfonds und(6) in der Weltbank, um(3) Handel und Investitionen zu(2) ihrem eigenen Vorteil zu steuern. Aber nun, da die gemischte Wirtschaft Chinas schneller(7) wächst als alle anderen und Russland auf(8) dem Weg der Erholung ist, haben die Länder die Möglichkeit, bei der Asiatischen Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB) und(1) anderen nicht von den USA beherrschten Konsortien Kredite aufzunehmen(6).

Es geht um sehr viel mehr als um die Frage, welche Länder sich die Bauaufträge und das Bankgeschäft sichern werden. Es geht darum, ob die Entwicklungsphilosophie dem klassischen Weg folgen und von öffentlichen Infrastrukturinvestitionen ausgehen oder ob der öffentliche Sektor privatisiert und die Planung ertragsorientierten Unternehmen überlassen werden soll.

Die Vereinigten Staaten und Deutschland – und(7) in jüngster Zeit China – verdanken(8) ihren Aufstieg zu führenden Industrienationen öffentlichen Investitionen in(3) die wirtschaftliche Infrastruktur. Das Ziel einer solchen Politik besteht darin, die Kosten des Lebens und der Geschäftstätigkeit zu senken, indem grundlegende Dienste subventioniert oder kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Im Gegensatz dazu haben die amerikanischen Privatisierer die Verschuldung als Druckmittel eingesetzt, um die Entwicklungsländer, die postsowjetischen Volkswirtschaften und zuletzt die südeuropäischen Länder zum Ausverkauf ihres Staatseigentums zu zwingen. Die gegenwärtigen Pläne, die neoliberale Politik mit der Transpazifischen Partnerschaft (TTP), dem(1) Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) und(1) dem Transatlantischen Freihandelsabkommen (TAFTA) auf(1) die Spitze zu treiben, dienen dazu, die staatlichen Planungsbefugnisse den Interessen des Finanzsektors und der Großkonzerne unterzuordnen.

Die amerikanischen Strategen hofften offenkundig, die Androhung der Isolation werde genügen, um Russland, China(9) und(9) andere Länder gefügig zu machen, sollten diese versuchen, Handel und Investitionen in(4) ihren eigenen nationalen Währungen unter Kontrolle zu bringen. Sie konnten sich entweder mit Sanktionen wie jenen abfinden, die über Kuba und(1) den Iran verhängt(2) wurden, oder die Isolation vermeiden, indem sie sich dem vom Dollar beherrschten Finanz- und Handelssystem und der Finanzialisierung ihrer Wirtschaft unter amerikanischer Kontrolle unterwarfen.

Das Problem ist, dass der Washington Consensus extraktiv(1) und kurzsichtig ist. Er bringt die Saat aus für Abhängigkeit, kreditfinanzierte Spekulationsblasen und in der Folge Schuldendeflation und Austerität. Dieses(3) Finanzsystem ist darauf ausgelegt, Chancen auf Preistreiberei und Konzernprofite zu nutzen. Die gegenwärtig von den USA vorangetriebenen Handels- und Investitionsabkommen würden die Regierungen zur Zahlung von Geldbußen zwingen, die den Kosten der Erfüllung von Umweltschutzbestimmungen, der Maßnahmen zur Preisregulierung, des Konsumentenschutzes und anderer sozialpolitischer Eingriffe entsprechen, welche die Unternehmensgewinne schmälern könnten. »Unternehmen könnten eine Entschädigung von Ländern verlangen, deren Gesundheits-, Finanz- und Umweltpolitik sowie andere Maßnahmen im allgemeinen Interesse in den Augen der Manager den Interessen ihres Unternehmens schadet, und die Konzerne könnten Regierungen vor internationalen Gerichtshöfen verklagen. Diese entsprechend den Vorgaben der Weltbank und(4) der Vereinten Nationen organisierten Tribunale wären befugt, den Steuerzahlern eines Landes hohe Entschädigungszahlungen für Rechtsvorschriften aufzuerlegen, die sich nachteilig auf die »erwarteten zukünftigen Gewinne« eines Unternehmens auswirken können.2

Diese politische Drohung spaltet die Welt in proamerikanische Satellitenstaaten und Länder, die an Investitionen in(5) öffentliche Infrastrukturen und(1) an einem System festhalten, das lange Zeit als progressiver Kapitalismus bezeichnet wurde. Der von den USA verfochtene Neoliberalismus im(3) Dienst der finanziellen und Unternehmensinteressen des Landes hat Russland, China(10) und(10) andere Mitglieder der Shanghai Cooperation Organization dazu(3) bewegt, ein Bündnis zu schließen, um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu verteidigen, anstatt durch dollarisierte Kredite in(7) Fremdwährungsschulden zu versinken.

Im Mittelpunkt der heutigen globalen Auseinandersetzung stehen die letzten Jahrhunderte der sozialen und politischen Reformen in der westlichen Welt. China, Russland(11) und(11) andere Nationen beschreiten den klassischen westlichen Weg der Entwicklung, wobei sie an einer gemischten Wirtschaft mit öffentlichen und privaten Bestandteilen festhalten. Sie ziehen es vor, neue Institutionen wie die AIIB zu(2) gründen, anstatt zu versuchen, die am Dollarstandard festhaltenden Institutionen IWF und(7) Weltbank zu(5) reformieren. Sie haben die Wahl zwischen kurzfristigen Gewinnen durch Abhängigkeit, die in die Austerität mündet(4), und einer langfristigen unabhängigen Entwicklung, die letzten Endes Wohlstand garantiert.

Länder, die Widerstand leisten, riskieren militärische Aggression oder einen verdeckten Umsturz. Die Vereinigten Staaten hatten lange vor der Ukrainekrise den Vorwand aufgegeben, die Demokratie zu unterstützen. Das ist klar, seit die USA im Jahr 1953 den Putsch gegen die säkulare Regierung des Iran unterstützten(3) und sich 1954 am Staatstreich in Guatemala beteiligten(1), um eine Landreform zu(1) verhindern. Beispiele für die Unterstützung oligarchischer und diktatorischer Klientenregime in Lateinamerika in(1) den Sechziger- und Siebzigerjahren waren der Sturz Allendes in(1) Chile und die »Operation Condor« zur Ermordung von Oppositionellen in ganz Lateinamerika. Unter(2) Präsident Barack Obama und(1) Außenministerin Hillary Clinton beanspruchen(1) die USA für sich, aufgrund ihres Status als »unverzichtbare Nation« hätten sie das Recht gehabt, die NATO-Angriffe(3) auf Libyen und(1) Syrien zu(1) organisieren, während Europa die Flüchtlinge aufnehmen darf.

Deutschlands Wahl

Das war nicht der Zweck der Aufklärung. Im Lauf ihres industriellen Aufstiegs mussten Deutschland und(8) andere europäische Länder auf dem Weg zu freien Märkten viele Jahre kämpfen, um dem grundbesitzenden Adel und den Bankiers die Möglichkeit zu entziehen, wirtschaftliche Renten aus der übrigen Bevölkerung herauszupressen. Dies war die wesentliche Bestrebung der politischen Ökonomie im 19. Jahrhundert und der Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert. Im vergangenen Jahrhundert gingen die meisten Ökonomen davon aus, dass der Industriekapitalismus Überfluss erzeugen, dass die demokratischen Reformen Investitionen in(6) öffentliche Infrastrukturen ermöglichen(2) und dass die staatliche Regulierungspolitik die(1) Lebenshaltungskosten und(1) die Kosten der unternehmerischen Tätigkeit niedrig halten würden. Die amerikanische Wirtschaftsdiplomatie droht(1) die Errungenschaften dieser wirtschaftlichen Ideologie rückgängig zu machen, indem sie die Regulierungsbefugnisse der öffentlichen Hand aushöhlt und mit TTIP und(2) TAFTA eine(2) radikale Privatisierungsagenda durchsetzt.

In den Lehrbüchern wird behauptet, Handel und Investitionen erleichterten(7) es der Wirtschaft ärmerer Länder, den Anschluss an die Entwicklung zu finden, indem sie die Demokratisierung förderten, was den Gesellschaften dieser Länder dabei helfe, nach dem Vorbild der europäischen und nordamerikanischen Industriegesellschaften die etablierten Interessengruppen und Oligarchien zu überwinden. In Wahrheit rückt die Welt nicht näher zusammen, sondern driftet weiter auseinander. Seit dem Platzen der transatlantischen Finanzblase im Jahr 2008 dominiert die Austeritätspolitik. Überschuldeten Ländern wird nahe gelegt, den Wirtschaftsabschwung durch eine Privatisierung ihres öffentlichen Sektors zu bewältigen.

Die unmittelbare Frage, die Deutschland und(9) die anderen westeuropäischen Länder beantworten müssen, lautet, wie lange sie noch der von den USA vorgegebenen Sanktionspolitik folgen und auf Handels- und Investitionschancen in Russland, im(12) Iran und(4) anderen Ländern verzichten wollen. Die amerikanische Unnachgiebigkeit droht, die anderen Länder angesichts einer tektonischen geopolitischen Verschiebung zu einer kategorischen Wahl in Bezug auf die angemessene Rolle des Staates zu zwingen: Sollte der öffentliche Sektor grundlegende Dienste anbieten und die Bevölkerung vor räuberischen Monopolen, Extraktion wirtschaftlicher Renten und finanzieller Polarisierung schützen?

Die globale Finanzkrise der(2) Gegenwart hat ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg und(4) seinen Folgen. Damals hätte das Prinzip verfochten werden müssen, dass souveräne Nationen nicht gezwungen werden dürfen, ihr wirtschaftliches Überleben auf dem Altar des Schuldendienstes gegenüber staatlichen und privaten Gläubigern zu opfern. Das im Westfälischen Frieden von 1648 verankerte Konzept der Nation begründete das internationale Recht auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung souveräner Staaten und der Nichteinmischung. Ohne eine globale Alternative zu einer Politik, die zulässt, dass die Verschuldung Gesellschaften spaltet und Volkswirtschaften zerreißt, ist der monetäre Imperialismus der Gläubigerstaaten unvermeidlich.

Die globale Spaltung zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten im vergangenen Jahrhundert hat Europa seiner demokratischen Bestimmung beraubt, die Regierungen mit der Macht auszustatten, die Interessen der Finanzwirtschaft und anderer Rentiers zu überwinden. Stattdessen folgt der Westen den USA, die uns in ein Zeitalter zurückführen, in dem diese Interessen die Regierungen beherrschen. Dieser Konflikt zwischen Gläubigern und Demokratie, zwischen Oligarchie und Wirtschaftswachstum (ja(1) sogar dem wirtschaftlichen Überleben) wird unser Leben in der nächsten Generation und vermutlich im gesamten 21. Jahrhundert prägen.

Michael Hudson, Frühjahr 2016

KAPITEL 1

Ursprünge der zwischenstaatlichen Schulden (1917(1)–1921)

Dennoch ist eine große Veränderung – wahrscheinlich im Endergebnis eine verhängnisvolle Veränderung – von unserer Generation bewirkt worden. Während des Krieges warfen die Privaten ihre kleinen Bestände in den nationalen Schmelztiegel. Kriege haben manchmal dazu gedient, das Geld unter die Leute zu bringen, so als Alexander die Tempelhorte von Persien oder als Pizarro die der Inkas auflöste. Aber bei dieser Gelegenheit konzentrierte der Krieg das Gold in(10) den Kellern der Zentralbanken und(7) diese Banken haben es nicht wieder hergegeben.

John Maynard Keynes, Vom(2) Gelde1

Seit dem Ersten Weltkrieg waren(5) die Wirtschaftsbeziehungen nicht mehr von privaten Investitionen geprägt(1), sondern von den Schulden, die(2) Staaten bei anderen Staaten hatten. Noch entscheidender als der Umfang dieser Schulden war die Konzentration des Kredits, der nun in den Händen eines einzigen Landes gebündelt war: der Vereinigten Staaten. Vor dem Krieg hatte sich kein Ökonom ausmalen können, wie sehr das Verhalten der Vereinigten Staaten von dem älterer Gläubigerländer abweichen oder wie sich das neue System der zwischenstaatlichen Schulden von dem der privaten internationalen Investitionen unterscheiden(8) würde.

Bis zum Ersten Weltkrieg hielten(6) in erster Linie Privatinvestoren ausländische(1) Vermögenswerte in(1) Form von Finanzanlagen oder hypothekarisch gesicherten Schuldverschreibungen, deren Grundlage Ertrag abwerfende Beteiligungen an Eisenbahnen, Bergbauunternehmen, Banken und anderen Unternehmen im Ausland waren. Es war üblich, dass die Staaten hohe Schulden hatten(3), aber diese Schulden hatten sie in erster Linie bei Privatanlegern, nicht bei anderen Staaten.

Die internationalen Kredite und(8) Investitionen sollten(9) sich selbst amortisieren. Wenn der Wohlstand anderer(1) Länder stieg, wurden die Investoren, die(1) ihr Geld in Bergbauunternehmen, Fabriken und andere Unternehmen investiert hatten, an den Gewinnen beteiligt. Handelte es sich um Staatsanleihen, so(1) profitierten sie von höheren Steuereinnahmen. Die Regierungen borgten sich Geld, um Projekte zu finanzieren, die das Nationaleinkommen erhöhten und damit mehr Steuergelder in die Staatskasse spülten, mit denen die Kredite zurückgezahlt werden konnten.

Der Krieg änderte das. Er begründete gewaltige Forderungen von Staaten gegenüber anderen Staaten. Diese Schulden waren(4) deutlich höher als die internationalen Privatinvestitionen und beruhten auf vollkommen neuartigen Prinzipien. Der Großteil der Forderungen entfiel nach dem Krieg auf Kredite für(9) Waffenlieferungen, die(1) sich im Jahr 1923 auf 28 Milliarden Dollar beliefen, sowie auf die Reparationszahlungen von(1) 60 Milliarden Dollar, die Deutschland seit(10) 1921 zu leisten hatte. Diesen Verpflichtungen von insgesamt 88 Milliarden Dollar, die durch die Zinsen weiter(2) stiegen, standen keine annähernd entsprechenden produktiven Ressourcen und kein erkennbar steigendes Steueraufkommen gegenüber. Nicht der Aufbau neuer Ressourcen, sondern die Zerstörung der Ressourcen im Krieg wurde finanziert. Die Kredite, mit denen die Aufrüstung der Entente-Mächte finanziert(1) worden war und jetzt die von Deutschland in(11) anderen Ländern angerichteten Zerstörungen bezahlt werden sollten, brachten keine Erträge, mit denen die Nachkriegsschulden getilgt werden konnten. Im Gegensatz zu den privaten Investitionen waren(2) sie nicht durch produktive Vermögenswerte besichert(2). Und ihr Ausmaß stand in keinem Verhältnis zur Fähigkeit der Entente-Mächte oder Deutschlands, die(12) Schulden mit ihrem Volkseinkommen zu(1) tilgen.

Der Erste Weltkrieg hatte(7) die beteiligten Staaten 209 Milliarden Dollar an direkten Aufwendungen gekostet.2 Europa war nicht imstande, diesen unproduktiven Ressourcenverbrauch allein zu finanzieren. Bis zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten am 7. April 1917 hatten(1) die Entente-Mächte(2) amerikanische Waffen auf Kredit gekauft(10) und Schulden in(5) Höhe von 3,5 Mrd. Dollar in Form von Staatsanleihen angehäuft(2), die sich in den Händen amerikanischer Privatanleger befanden. Um die amerikanischen Rüstungsgüter bezahlen zu können, verkauften die kriegführenden Mächte Europas zudem amerikanische Eisenbahnanleihen, Aktien und(1) andere Wertpapiere im(2) Wert von fast 4 Mrd. an amerikanische Bürger.3 Im Ergebnis stieg das Nettoauslandsvermögen der Vereinigten Staaten um 7,5 Mrd. Dollar.

Europa war im Welthandel an(1) seine finanziellen Grenzen gestoßen. Bei Kriegseintritt der Vereinigten Staaten war die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kontinents erschöpft. Es mangelte ihm an Bargeld für den Kauf ausreichender Mengen an amerikanischen Waffen, und die europäischen Staaten besaßen nicht genug Sicherheiten, um über die amerikanischen Banken zusätzliche Kredite aufzunehmen(11). Daher beschloss der Kongress im(1) Anschluss an die Kriegserklärung, amerikanische Staatsmittel für Rüstungskredite an(1) die Verbündeten bereitzustellen.

Es dauerte fast ein Jahr, bis die amerikanischen Truppen aufgestellt, ausgebildet und für den Kampfeinsatz in Europa bereit waren. Präsident Wilson hatte(1) sein Land nicht nur bis 1917 aus dem Krieg herausgehalten, sondern auch zugelassen, dass sich die USA militärisch nicht auf einen großen Konflikt wie den in Europa vorbereiteten. Allerdings hatten die Vereinigten Staaten Geld, Arbeitskräfte und Kapazitäten für die Waffenproduktion. Innerhalb weniger Wochen bewilligte der Kongress einen(2) Kredit von(12) 3 Mrd. Dollar für die Verbündeten. Das Finanzministerium erklärte in einem Bulletin, man habe den Alliierten die(2) Kredite gewährt(13), »um sie in die Lage zu versetzen, den Kampf zu führen, den ansonsten die amerikanische Armee zu hohen finanziellen und menschlichen Kosten führen müsste – Amerika müsse Geld investieren, das es nie zurückbekommen werde, und Menschenleben opfern, die unwiederbringlich verloren sein würden«. Der Abgeordnete im Repräsentantenhaus A(1). Piatt Andrew zog folgende Parallele: Die Vereinigten Staaten befänden sich »praktisch in derselben Lage wie viele Männer in den Nordstaaten, die im Bürgerkrieg nach der Einberufung in die Unionsarmee Männer einstellten, die sie am Arbeitsplatz vertreten sollten«.4

Der Kongress hatte(3) einen guten Grund, das Geld für Europa in Form von Krediten bereitzustellen(14), anstatt großzügig amerikanische Ressourcen für die Sache der Entente aufzuwenden(3). Ein Jahrzehnt später stellte das Council on Foreign Relations fest(1): »Diese Verpflichtungen beruhten auf dem allgemeinen Prinzip, dass die Verbündeten nicht weniger für die Kredite zahlen(15) sollten, als die US-Regierung für(1) die Gelder bezahlt hatte, die sie sich bei den amerikanischen Bürgern beschafft hatte. Der Haushaltsausschuss erklärte in seinem Bericht über die Gesetzesvorlage für den ersten Liberty Loan, dieser(1) Kredit müsse(16) ›nicht mit zukünftigen Steuern finanziert werden‹«.5 Nicht in dieser Rechnung berücksichtigt wurden die Kosten, die Europa durch den Verlust von Menschen und Eigentum zu(1) tragen hatte.

Auf der einen Seite erfüllten die europäischen Regierungen die Forderungen internationaler Privatinvestoren, indem(2) sie die Investitionen ihrer(10) Bürger in amerikanische Vermögenswerte beschlagnahmten(3) und verkauften, um amerikanische Waffen zu kaufen. Aber innerhalb kurzer Zeit häuften sich finanzielle Verpflichtungen zwischen den Staaten an, da Europa wachsende Schulden für(6) Rüstungsgüter gegenüber dem amerikanischen Finanzministerium hatte. Die Verbindlichkeiten der(7) europäischen Verbündeten gegenüber den USA stiegen einschließlich der nach dem Krieg begebenen Victory Loans bis(1) 1921 auf 12 Mrd. Dollar, beginnend mit einem Kredit über(17) 3 Mrd. Dollar, der im Jahr 1917 gewährt wurde. Philip Snowden, der(1) Finanzminister in der ersten britischen Labour-Regierung(3), wies darauf hin, dass die amerikanische Regierung ihre Rüstungsindustrie und die verbundenen Wirtschaftszweige mit(1) rund 3 Mrd. Dollar an Ertragssteuern belegt hatte. Dieser Betrag entsprach dem Wert des ersten offiziellen amerikanischen Kreditpakets für die europäischen Verbündeten, woraus Snowden folgenden(2) Schluss zog: »Die Summen, die Amerika ab 1917 verlieh, um den Verbündeten zu helfen, seinen Kampf zu führen, waren nur ein Teil des Gewinns, den es vor seinem Kriegseintritt aus den Verbündeten herausholte.«6

Der amerikanische Finanzminister Andrew Mellon räumte(1) ein, dass die Vereinigten Staaten mit einigen Transaktionen im Krieg eine Rendite von 80 Prozent erzielt hatten.7 Aber man hatte Krediten den(18) Vorzug vor Subventionen gegeben(1). Wie ein Bankier später feststellte: »Niemand in und außerhalb der Regierung ahnte, was diese Entscheidung kosten würde. Sie bedeutete, dass der amerikanische Staat in den folgenden drei Jahren die Verbündeten mit Kriegsmaterial im Wert von mehr als 9 500 000 000 Dollar versorgen und als Gegenleistung das nicht besicherte Versprechen der Rückzahlung zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft erhalten würde.«8

Frühere Kriege waren weitgehend auf der Grundlage von Subventionen geführt(2) worden, wobei ein Staat – dies galt insbesondere für Großbritannien – die(4) militärischen Ausgaben seiner Verbündeten finanzierte. Diese Methode war schon im 14. Jahrhundert angewandt worden, als Eduard III. »französische(1) und flämische Prinzchen dafür bezahlte, dass sie französisches Territorium für ihn eroberten. Als sich die moderne europäische Staatenordnung entwickelte, sah sich jeder Bewerber um eine Vormachtstellung in Europa einem Bündnis gegenüber, das von einem unerbittlichen Großbritannien finanziert(5) wurde.« Die Subventionen waren »eine Gewähr für Loyalität und Einsatzfreude. Sie wurden monatlich gezahlt und konnten prompt eingestellt werden, wenn der Eifer eines Verbündeten nachließ. (…) Wurden statt Subventionen Darlehen gewährt, so hatte dies unangenehme Folgen« wie im Fall der österreichischen Kredite(1) in(19) den Jahren 1795–97.9 Exorbitant hohe Provisionen und wirtschaftliche Probleme in den Schuldnerländern belasteten(1) die diplomatischen Beziehungen, und die Feindseligkeit gegenüber dem Geberland war kaum geringer als die Dankbarkeit.

Eine Subventionspolitik hatte(1) auch Frankreich bei(2) der Finanzierung des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs verfolgt. »Die finanzielle Unterstützung Frankreichs in(3) Form von Waffenlieferungen und(2) Nachschub trug wesentlich zum Erfolg der Revolte der nordamerikanischen Kolonien bei, deren Truppen bis nach Yorktown vorrückten, und für diesen Sieg schuldeten die Revolutionäre den französischen Bodentruppen(4) und der Unterstützung zur See Dank, deren Kosten für Frankreich auf(5) 700 000 000 Dollar geschätzt wurden und für die es keine Gegenleistung verlangte. Frankreich half(6) mit direkten Geschenken im Umfang von 2 000 000 Dollar und mit späteren Krediten von(20) 6 000 000 Dollar. In den Kreditvereinbarungen mit Benjamin Franklin verzichtete(1) die Regierung von Ludwig XVI. auf(1) Zinszahlungen während(3) des Kriegs, ein Vorgehen, das die Vereinigten Staaten nach dem Weltkrieg [nur] in der Finanzierungsvereinbarung mit Belgien wählten(1).« Und die Vereinigten Staaten ließen sich mit der Rückzahlung der als Kredit gewährten(21) französischen Hilfe(7) Zeit. »Zwischen 1786, als die erste Tilgung fällig wurde, und 1790 konnte weder die Konföderation noch die junge amerikanische Republik irgendwelche Zinszahlungen leisten oder auch nur einen Teil des Darlehens tilgen. Die wiederholten Rückzahlungsforderungen der neuen französischen Republik(8) im(9) Jahr 1793 stießen auf taube Ohren bei einer amerikanischen Regierung, die sich nur um die Bedürfnisse ihres verarmten Volkes kümmerte, das seine eigene Nation zu errichten versuchte. Erst mit einiger Verspätung gelang es dem Finanzgenie Alexander Hamilton, diese(1) Schulden durch(8) Umwandlung in Anleihen aus(4) der Welt zu schaffen, die im Jahr 1815 getilgt wurden.«10

Die meisten Kriege, die in den hundert Jahren zwischen den Napoleonischen Kriegen und dem Ersten Weltkrieg geführt(8) wurden, waren begrenzte bilaterale Konflikte, darunter der Deutsch-Französische Krieg, der(1) Burenkrieg, der(1) Spanisch-Amerikanische Krieg und(1) der Russisch-Japanische Krieg. Sieht(1) man vom Krimkrieg ab(1), so waren an diesen Auseinandersetzungen keine großen Staatenbündnisse beteiligt. Daher wurden weder Kredite noch(22) Subventionen zwischen(3) Verbündeten gewährt. Der Erste Weltkrieg hingegen(9) löste sowohl gemessen an den direkten Kosten als auch an den wirtschaftlichen Nachwirkungen einen finanziellen Flächenbrand von bis dahin ungekannten Ausmaßen aus. Und anders als die meisten Kriege des vorangegangenen Jahrhunderts wurde er auf europäischem Boden ausgefochten, was dort zu hohen Verlusten an Menschenleben und Eigentum führte(2).

Als sich der Krieg ausbreitete, hatte es zunächst den Anschein, als würde am Subventionssystem festgehalten(1), da ansonsten die Gefahr bestand, dass die Verbündeten einfach aus dem Konflikt ausstiegen, wenn ihre wirtschaftlichen Mittel erschöpft waren. Zu Beginn des Kriegs, im Februar 1915, einigten sich die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs(6) und(10) Russlands darauf(13), ihre finanziellen und militärischen Ressourcen zu bündeln. Drei Jahre später, Russland war(14) mittlerweile aus dem Krieg ausgestiegen, bewegten Briten und(7) Franzosen Griechenland(11) zum(3) Kriegseintritt auf Seiten der Entente. Sie(4) versprachen, die Zahlung der an das Land gelieferten Kriegsgüter »nach dem Krieg abhängig von der finanziellen und wirtschaftlichen Situation Griechenlands zu regeln. Eine Rückzahlung wäre in diesem Fall kaum in Frage gekommen; vielmehr wurde sie unter Rückgriff auf die Methoden des 18. Jahrhunderts dem Bedürfnis untergeordnet, die Gefolgschaft [Griechenlands] zu sichern.«11

Auch die Vertreter der US-Regierung hatten(2) ihren Verbündeten ursprünglich versichert, sie müssten sich keine Sorgen über die Rückzahlungsbedingungen machen. Diese sollten nach dem Sieg geregelt werden, wobei implizit von einer Rückzahlung der nominalen Kreditsummen ausgegangen wurde. Zu einer Zeit, als es in der amerikanischen Öffentlichkeit breite Unterstützung für den Vorschlag gab, Frankreich zum(12) Dank für seine Hilfe während der Amerikanischen Revolution 1(1) Milliarde Dollar für den Kampf gegen die Achsenmächte zu(1) schenken, wurde die französische Regierung offiziell ermutigt, ihre gesamten Rüstungsanstrengungen über die Vereinigten Staaten abzuwickeln. Die indirekt ausgesprochene Zusage lautete, dass diese Finanzierung letzten Endes de facto ein Geschenk sein werde. Der Senator Kenyon aus(1) Iowa erklärte: »Herr Präsident, ich für meine Person hoffe, dass einer der Kredite, sollten(23) wir ihn gewähren, nie zurückgezahlt werden wird und dass wir nie seine Tilgung verlangen werden. Für das, was die französische Republik für die Vereinigten Staaten getan hat, schulden wir ihr mehr, als wir je zurückzahlen können. Frankreich kam(13) uns in der Stunde unserer größten Bedrängnis mit Geld, mit einem Teil seines Heeres und seiner Marine zu Hilfe. Es ist zu bezweifeln, dass wir ohne die Hilfe Frankreichs unsere(14) eigene Nation bekommen hätten. (…) Ich möchte nicht erleben, dass diese Regierung Frankreich auffordert(15), den Kredit zu(24) tilgen, den wir ihm gewähren werden.«12 Typisch für die allgemeine Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit zur Zeit der Verhandlungen über die Kredite für Europa war die Aussage des Vorsitzenden im für Haushalts- und Steuerfragen zuständigen Ausschuss im Repräsentantenhaus Kitchin(2): »Tatsache(1) ist, dass wir von Glück reden können, wenn wir dieses Geld nach dem Krieg überhaupt zurückbekommen.«13 Ein späterer Autor erklärte: »Als sich Amerika im April 1917 dem(2) Bündnis anschloss, war es seine Aufgabe, so rasch wie möglich Soldaten und Waffen an die Front zu bringen. Die Waffen trafen etwa ein Jahr vor den Truppen ein. Wären die Männer so schnell dort gewesen wie die Waffen, so hätten sie die Granaten abfeuern können. In diesem Fall hätten wir die Granaten sowie die weißen Kreuze und die Versicherungen der Männer bezahlen müssen, die beim Einsatz der Waffen gefallen wären. Aber unsere Männer waren nicht so schnell drüben, und es blieb unseren Verbündeten überlassen, den Feind zurückzuschlagen und die dafür eingesetzten Waffen zu bezahlen.«14

Aber die Vereinigten Staaten traten zu besonderen Bedingungen in den Krieg ein. Nach Darstellung des Council on Foreign Relations waren(2) sie kein Verbündeter, sondern lediglich ein Partner. Statt Subventionen boten(4) die USA nur Kredite an(25)(5)(1)(13)(1)15