Der kleine Fürst – 168 – Dein Glück, Roberto!

Der kleine Fürst
– 168–

Dein Glück, Roberto!

Die schöne Antonia mischt sich ein

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-279-5

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»Guten Morgen, Herr Kriminalrat«, sagte Baron Friedrich von Kant, als Kriminalrat Volkmar Overbeck sich an diesem sonnigen Vorfrühlingstag auf Schloss Sternberg einfand. Die Schlossbewohner hatten mit dem Beamten schon öfter zu tun gehabt, im zurückliegenden Jahr sogar ganz besonders oft, doch daran dachten sie nicht gern zurück, denn es war ein schlimmes Jahr für die Sternberger gewesen. »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Sie haben ja eine ganze Zeit lang Urlaub gemacht.« Der Baron verließ den Platz hinter seinem Schreibtisch, um den Besucher mit einem kräftigen Händedruck zu begrüßen.

Eberhard Hagedorn, seit Jahrzehnten Butler im Schloss, fragte nach den Wünschen des Gastes, bevor er sich zurückzog und die Tür des Büros hinter sich schloss. Baron Friedrich hatte um ein Gespräch mit dem Kriminalrat gebeten, ein vertrauliches Gespräch.

»Ja, ich war fast sechs Wochen weg«, nahm Volkmar Overbeck die Bemerkung des Barons wieder auf. »Ich brauchte eine Pause, Herr von Kant. Dieses letzte Jahr hat mich mehr mitgenommen als die zehn Jahre davor. Ich nehme an, es geht Ihnen ähnlich, schließlich hatte vieles von dem, was mir so zugesetzt hat, mit Ihnen hier auf Sternberg zu tun.«

»Meine Frau hat, wie Sie wissen, lange gebraucht, bis sie auch nur anfing, sich von ihrem Zusammenbruch zu erholen«, erwiderte der Baron leise. »Wenn einer anderen Familie so viel Unglück zugestoßen wäre wie uns, hätten wir sicherlich gesagt: Das ist mehr, als Menschen ertragen können. Aber offenbar halten wir alle mehr aus, als wir gemeinhin denken.«

»Zuerst der Tod des Fürstenpaares«, sagte der Kriminalrat nachdenklich. »Ein schrecklicher Schlag für Sie alle, aber natürlich in ganz besonderem Maße für Prinz Christian, der seine Eltern verloren hat, und für Ihre Frau, die sehr an ihrer Schwester, der Fürstin hing. Dann die Affäre …« Er verstummte.

Friedrich nahm den Faden auf. Manchmal tat es gut, sich noch einmal vor Augen zu führen, was sie alles überstanden hatten. Anschließend war die Dankbarkeit für den jetzigen Zustand von Ruhe und Frieden nur umso größer. »Ja«, sagte er, »dass mein verstorbener Schwager, Fürst Leopold, angeblich während seiner ersten Ehejahre mit einer anderen Frau einen Sohn gezeugt hatte …« Er schüttelte in der Erinnerung an den Erpressungsversuch und dessen Folgen den Kopf. »Und wie viele Leute das geglaubt haben, Herr Overbeck! Wie viele sich von uns abgewandt haben, weil sie Leo plötzlich für einen Lügner und Betrüger hielten. Das war für uns alle unerträglich, aber natürlich vor allem für Christian. Die Wahrheit ist ja dann zum Glück doch noch ans Licht gekommen.«

Der Kriminalrat nickte. Die Frau, die angeblich den unehelichen Sohn des Fürsten zur Welt gebracht hatte, hatte schließlich die Wahrheit gesagt, aber der Schaden war zu dem Zeitpunkt längst angerichtet gewesen. Friedrichs Frau, Baronin Sofia, hatte dem Druck nicht länger standgehalten und einen schweren Zusammenbruch erlitten, doch auch damit war das Ende der Unglücksserie für die Familie noch nicht erreicht: Eberhard Hagedorn, für die Schlossbewohner viel mehr als ein Butler, nämlich, bei aller gebotenen Distanz, auch ein Freund und Vertrauter, war entführt worden und hatte erst nach Wochen in der Gewalt der Entführer von der Polizei befreit werden können.

»Ein Horrorjahr«, murmelte der Baron.

Es klopfte leise an der Tür, Eberhard Hagedorn kehrte mit Tee und Kaffee zurück, dazu gab es frisches, wunderbar duftendes Gebäck. Ebenso leise, wie er hereingekommen war, zog sich der alte Butler, nachdem er die beiden Herren bedient hatte, wieder zurück.

»Ich hoffe, Sie haben mich nicht um dieses Gespräch gebeten, um mir mitzuteilen, dass neues Unheil über Ihre Familie gekommen ist?«, erkundigte sich der Kriminalrat, während er genussvoll in eins der Gebäckstücke biss. Marie-Luise Falkner, die junge Köchin auf Sternberg, war nicht nur für ihre Kochkunst berühmt, sie war ebenfalls eine begnadete Bäckerin und Konditorin.

»Das zu behaupten, wäre maßlos übertrieben, aber tatsächlich sind während Ihrer Abwesenheit ein paar Dinge passiert, die unseren ruhigen Alltag ein wenig beeinträchtigt haben, um mich vorsichtig auszudrücken.«

»Ach ja? Und das sind Beeinträchtigungen, die für die Polizei interessant sein könnten?« Volkmar Overbecks Augenbrauen wanderten nach oben. Er war in den Fünfzigern und hatte dem Baron während der Zeit von Eberhard Hagedorns Entführung einmal gestanden, er denke darüber nach, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Es hatte etliche Ermittlungspannen im ›Fall Hagedorn‹ gegeben, für die er sich verantwortlich fühlte, und er hatte sich dem Druck nicht mehr gewachsen gefühlt. Doch letzten Endes war alles gut ausgegangen, er hatte einen langen Urlaub angetreten und sich die Sache offenbar noch einmal überlegt. Jedenfalls wirkte er jetzt wieder tatkräftig und ausgeruht und hatte bereits am Telefon erklärt, er sei fest entschlossen, weiterzuarbeiten, die Schwäche sei überwunden.

»Möglicherweise. Wir sind unserer Sache nicht sicher, Herr Overbeck.«

»Nun haben Sie mich aber neugierig gemacht. Worum handelt es sich denn?«

»Wir haben lange überlegt, ob wir Ihnen die Sache überhaupt erzählen sollten nach Ihrer Rückkehr, denn so weit wir das überblicken, ist bis jetzt nichts passiert, was für die Polizei von Interesse wäre. Aber es gibt ein paar Irritationen, und dann kam es kürzlich zu dieser Verfolgungsjagd …«

Volkmar Overbeck hatte mit wachsender Verwirrung zugehört, denn noch immer konnte er sich nicht vorstellen, worauf Friedrich von Kant hinauswollte. Als der Baron das bemerkte, unterbrach er sich und erklärte: »Ich sollte wohl besser mit dem Anfang beginnen.«

»Das wäre hilfreich«, bemerkte sein Besucher mit einem Lächeln.

»Also, zu uns kam ein junger Mann namens Roberto Visconti, auf Bitten der älteren Schwester meiner Frau, Angelika Gräfin Maritz. Wie Sie vielleicht wissen, ist sie eine bekannte Forscherin, derzeit gräbt sie in Peru eine gerade erst entdeckte alte Siedlung der Inka aus.«

»Ich habe davon gehört.«

»Wir wurden nicht groß gefragt, ob dieser Besuch uns passte oder nicht und waren deshalb reserviert, aber Herr Visconti erwies sich als überaus angenehmer, charmanter Gast. Unsere Kinder waren begeistert, weil er sehr interessant erzählen konnte, und haben ihn sofort ins Herz geschlossen. Doch es stellte sich heraus, durch Beobachtungen anderer Gäste, die in jener Zeit bei uns waren, dass er uns belog.«

Erneut wanderten die Augenbrauen des Kriminalrats nach oben.

»Nichts Wichtiges, nur Kleinigkeiten, aber er belog uns darüber, was er tagsüber, wenn er unterwegs war, gemacht hatte, um nur ein Beispiel zu nennen. Und er sprach mit einem sehr starken italienischen Akzent, von dem wir schließlich erfuhren, dass er offenbar Tarnung war, denn er konnte ohne weiteres ohne Akzent sprechen. Ich kürze die Sache ab: Er wurde überfallen und ausgeraubt und landete in der Sternberger Klinik. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, ihn zur Rede zu stellen, aber er hatte eine starke Kopfverletzung erlitten, also schien der Zeitpunkt ungünstig zu sein. Als er entlassen wurde, verschwand er erneut.«

»Was für eine seltsame Geschichte.«

»Ja«, bestätigte der Baron. »Als er wieder auftauchte, behauptete er, erneut überfallen worden zu sein, aber zufällig war Herr Hagedorn an dem Abend mit unserem Chauffeur unterwegs gewesen, und beide haben Herrn Visconti in einem abgelegenen Ort spätabends mit einer blonden Frau in einem Lokal gesehen.«

»Er hatte also wieder gelogen.«

»Ja. Wir hatten uns mittlerweile entschieden, selbst herauszufinden, warum er uns ständig anschwindelte.«

»Haben Sie denn nicht mal mit Gräfin Maritz darüber gesprochen?«

»Ach, das hatte ich vergessen zu erwähnen: Sie war nicht erreichbar. Immerhin konnten wir sie einmal über Skype erreichen und ihr ein Foto unseres Gastes zeigen, weil wir mittlerweile Zweifel hatten, ob er tatsächlich Derjenige war, den sie uns angekündigt hatte.«

»Der Gedanke ist mir in der Zwischenzeit auch gekommen, muss ich gestehen.«

»Sie hat sofort bestätigt, dass er ihr Mitarbeiter ist, und damit war zumindest ein Teil unserer Sorgen von uns genommen. Aber nun kommt das Ende der Geschichte, und das ist am merkwürdigsten von allem.«

»Ist er wieder verschwunden?«

Der Baron lächelte. »Warten Sie, zu dem Punkt komme ich gleich. Wir hatten Besuch von einer guten Freundin, Ariane von Hellern, die ihn einmal zufällig ohne seinen Akzent reden hörte und beschloss, ihm ein wenig nachzuspionieren. Herr Visconti erzählte uns eines Tages, er hätte eine Verabredung mit einem Kollegen, und verließ das Schloss. Frau von Hellern folgte ihm. Er hat sich nicht mit einem Kollegen getroffen, sondern mit einer Frau, in die er sich offenbar in der Zwischenzeit verliebt hatte. Er saß mit ihr in einem Café, als zwei Männer hereinstürmten. Herr Visconti sah sie und verschwand über einen Hintereingang, die Männer rannten ihm nach und haben dabei in dem Café nicht unbeträchtliche Verwüstungen angerichtet.«

»Das habe ich gehört, das war erst jetzt, oder? Es wurde mir an meinem ersten Arbeitstag sofort berichtet. So eine Geschichte sorgt natürlich für Aufregung.«

»Ja, das war vergangene Woche. Herr Visconti konnte offenbar entkommen, die junge Frau, mit der er sich getroffen hat und ihr Bruder haben sich bei uns gemeldet, denn der Bruder hatte sich wiederum in Ariane von Hellern verliebt – und so konnten wir unsere Informationen zusammentragen.«

»Wie heißt die Frau, in die Herr Visconti sich verliebt hat?«

»Antonia von Clavun. Sie war sehr aufgeregt und sehr unglücklich, wie Sie sich vorstellen können.«

»Wann hatte Herr Visconti sich denn in sie verliebt?«

»Sie hat ihn in der Nacht nach seiner Entlassung aus der Klinik halbtot auf der Straße aufgelesen, mit in ihre Wohnung genommen und ihn dort mit Tee und Essen bewirtet, bis es ihm besser ging. Er war eine ganze Weile bei ihr, hat ihr aber nicht erzählt, was er vorher getan hatte. Ihr ist aufgefallen, dass er eine Mappe mit Papieren bei sich hatte, die er nicht aus den Augen ließ.« Der Baron schwieg einen Moment. »Ach ja, und wir sind dann beim Nachdenken über die Geschichte darauf gekommen, dass sie ihn ganz in der Nähe des Forschungsinstituts aufgelesen hat, mit dem meine Schwester seit Jahren zusammenarbeitet.«

»Ach«, sagte der Kriminalrat wieder, was ein Zeichen dafür war, dass seine grauen Gehirnzellen auf Hochtouren arbeiteten.

»Unsere Kinder meinten, er hätte vielleicht heimlich etwas von dort geholt.«

»Sie meinen, er ist dort eingebrochen, sie haben es gemerkt und ihm bewaffnete Schläger hinterhergeschickt?« Der Kriminalrat lachte herzlich. »Die Jugend von heute sieht zu viele Filme, in denen solche Dinge gang und gäbe sind. Im wirklichen Leben geht es normalerweise weniger wild zu.«

»Das ist schon richtig, aber diese beiden Männer im Café, die alles umgerissen haben, was ihnen im Weg war, hat es ja nun tatsächlich gegeben. Und sie müssen sehr bedrohlich gewirkt haben, das haben nicht nur Frau von Clavun und ihr Bruder ausgesagt, sondern auch andere Gäste. Es steht ja nach wie vor jeden Tag etwas darüber in der Zeitung. Hat die Polizei denn eine Spur dieser Männer gefunden?«

»Nein, obwohl sofort eine groß angelegte Fahndung eingeleitet worden ist. Sie sind wie vom Erdboden verschwunden.«