Virginia Boecker

Witch Hunter

Skylers Geschichte

Aus dem amerikanischen Englisch
von Michaela Kolodziejcok

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Über Virginia Boecker

© Emily Scott

Virginia Boecker hat ihren Abschluss in Englischer Literatur an der University of Texas gemacht. Sie lebte vier Jahre in London, während der sie sich auf jedes kleinste Detail zur mittelalterlichen Geschichte Englands gestürzt hat, die die Grundlage für ihre Witch Hunter-Romane bildet.

 

 

Michaela Kolodziejcok hat Sprachwissenschaften, Publizistik und Amerikanistik studiert, bevor sie mehrere Jahre als Kinder- und Jugendbuchlektorin tätig war. Seit 2003 arbeitet sie als freiberufliche Lektorin und Übersetzerin.

Über das Buch

Eine Hexe und ein Wiedergänger. Die eine voller Leben, der andere, technisch gesehen, tot. Die Beziehung von Fifer und Skyler ist alles andere als gewöhnlich. Vielleicht sogar unklug. Aber sosehr sie sich auch bemühen, auf Distanz zu bleiben, irgendetwas treibt sie immer wieder zueinander.

Doch dann taucht Lord Blackwell auf, der Inquisitor und mächtigster Mann Anglias. Er schickt Skyler auf eine Mission – ein legendäres Schwert, von dem es heißt, dass es seinen Besitzer unverwundbar macht, liegt irgendwo in Anglia verborgen und Skyler soll es suchen.

 

Während Fifer in Harrow ihre Hexenkünste vertieft, sorgt sie sich immer mehr um ihren untoten Verehrer Skyler. Schon seit Wochen ist er verschollen. Und nur sie allein scheint sich um sein Schicksal zu kümmern …

Impressum

Deutsche Erstausgabe

2017 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© 2016 Virginia Boecker

Published by Arrangement with Virginia Boecker

Titel der amerikanischen Originalausgabe: ›The Chase – A Witch Hunter Novella‹, 2016 erschienen bei Little, Brown and Company, a division of Hachette Book Group, Inc., New York

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

© für die deutschsprachige Ausgabe:

2017 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: dtv nach einem Entwurf von Carolin Liepins

Stigma design based on art by Tricia Buchanan-Benson

Stigma design © Virginia Boecker

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook ISBN 978-3-423-43297-9 (epub)

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423432979

   1   

Fifer

 

Es heißt immer, man soll nie einem kleineren Übel die Tür öffnen, da unweigerlich ein größeres mit hineinschlüpfen wird. Aber wenn das Übel vor deiner Tür mit breiter Brust dasteht und mit samtiger Stimme spricht und du weißt, dass es nur wegen dir gekommen ist, dann fällt es verdammt schwer, sie wieder zuzumachen.

Ich hätte sie zumachen sollen.

Skyler steht gegen den Türrahmen gelehnt und späht über meine Schulter hinweg in die Wohnstube des winzig kleinen Cottage, vermutlich um zu gucken, ob ich allein bin. Was völliger Blödsinn ist: Er wäre nicht hier, wenn er nicht genau wüsste, dass ich allein bin. Er grinst schief und sagt: »Also, lässt du mich jetzt rein oder …?«

»Oder«, würde ich ihn am liebsten anfauchen. Doch ich bremse mich. Wenn er mitbekommt, dass ich verärgert bin, weiß er wieder eine Sache mehr über mich und ich will nicht, dass er überhaupt etwas über mich weiß. Ich zucke mit den Schultern.

»Wenn du willst.«

Er runzelt ein wenig die Stirn, rührt sich aber nicht von der Stelle. Skyler liebt die Jagd, die Hatz, das Beutemachen. Er will kein leichtes Spiel haben. Aber nur indem ich ihm gebe, was er nicht haben will, kann ich herausfinden, was er will.

Schließlich tritt er über die Schwelle, schiebt sich an mir vorbei in die Stube und lässt seinen Blick durch den Raum wandern, als wollte er Inventur machen. Zum Schreibtisch am Fenster, beladen mit Büchern und Pergamentrollen, Stiften und Krimskrams. Zum Stuhl daneben, über dem ein fadenscheiniger schwarzer Umhang hängt. Alles Johns Sachen – er ist schrecklich unordentlich – aber diese Bemerkung verkneife ich mir. Und dann zu meinem Tisch, vollgepackt mit noch mehr Stapeln und Pergamenten, Kerzen und Kräutern.

»Lernst du gerade?«

Ich antworte nicht; die Antwort ist klar. Ich ziehe mich immer nur zum Lernen ins Cottage zurück. Früher gehörte es mal Nicholas – er ist hier geboren und aufgewachsen, bevor er das umliegende Land erwarb und ein neues Haus baute, nämlich das Backsteingebäude nebenan, das ich, seit ich sechs bin, mein Zuhause nenne. Das Cottage schenkte er mir zu meinem sechzehnten Geburtstag, damit ich einen Ort habe, an dem ich meine eigene Magie entfalten kann, unter strikter Einhaltung seines höchst anspruchsvollen Lehrplans, versteht sich. Das sind Nicholas’ Worte, nicht meine. Genau wie: Das Cottage ist dazu da, um Freundschaften zu pflegen, nicht um Liebhaber zu empfangen.

Aber Skyler ist nicht mein Liebhaber.

Er schält sich aus seinem langen schwarzen Mantel und drapiert ihn absichtlich über Johns Umhang, dann geht er zum Sofa in der Zimmerecke und lässt sich daraufplumpsen. Stützt einen Ellenbogen auf die Rückenlehne und legt den rechten Knöchel aufs linke Knie, als habe er vor, eine Weile zu bleiben.

»Wann sind deine Prüfungen?«

Ich drehe mich um und schließe die Tür, damit Skyler mein säuerliches Gesicht nicht sieht. Ich habe ihm bei unserem letzten Zusammentreffen bereits von meinen Prüfungen erzählt. Das war vor zwei Wochen in Harrow, als er mich abends in eine Taverne einlud und mich mit Liebenswürdigkeiten und hübschen Worten überschüttete. Das meiste davon war natürlich nur Gewäsch, aber der Rest klang aufrichtig genug, dass ich ihn mit zu mir ins Cottage nahm und ihm erlaubte, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Ich willigte sogar ein, ihn wiederzusehen, was er nach eigenem Bekunden auch sogleich am nächsten Tag tun wollte.

Er tauchte nicht auf.

»In knapp einem Monat«, erwidere ich. »Ich muss bestehen, wenn ich mein Magiestudium fortführen will. Und genau das ist der Plan.«

Skyler nickt. »Ich erinnere mich. Das hast du bereits erzählt.«

»Hab ich nicht.« Ich sehe ihm geradewegs in die Augen; das habe ich bislang vermieden. Alles an ihm ist irgendwie falsch. Seine Augen sind blau, doch der Farbton ist beinah schon unnatürlich, wie Schmetterlingsflügel. Sein Haar, blond und überlang, berührt fast seine Schultern. Er ist zu groß, seine Gesichtszüge zu scharf, nur Kanten und Ecken, abgesehen von diesen Lippen; sein schwarzer Mantel ist zu weit und die schwarzen Stiefel sind zu abgewetzt. Aber am allerschlimmsten ist sein Mund. Wie er ständig gekräuselt ist, halb Lächeln, halb spöttisches Grinsen, süffisant und amüsiert, so als würde er seelenruhig jeden Winkel meines Geistes durchstöbern, meine Gedanken und Gefühle von allen Seiten betrachten und sie sich zu eigen machen, als wär’s das reinste Vergnügen.

Unwillkürlich fasse ich an den Ausschnitt meiner Tunika. An die Messingkette mit den Ampullen, gefüllt mit Salz, Quecksilber und Asche. Ich habe sie letztes Jahr hergestellt, einen Tag nachdem ich ihn auf dem Winternachtsfest kennenlernte. Um zu verhindern, dass er meine Gedanken hören kann. Um vor ihm geheim zu halten, was er mit ihnen angerichtet hat. Und mit mir. Sein Blick folgt meiner Bewegung, dann schaut er mir wieder in die Augen, seine Miene verrät nichts.

»Du bist sauer«, sagt er.

Entweder ist es ein Schuss ins Blaue oder er hat meine steifen Schultern bemerkt, den leicht verkniffenen Zug um meinen Mund. Trotzdem reiße ich die Augen auf und heuchle Überraschung. »Wieso sollte ich sauer sein?«

»Auf mich«, verdeutlicht er.

»Wieso sollte ich auf dich sauer sein?«

Lässig hebt Skyler eine Hand, fährt mit dem Finger langsam an der weiß verputzten Wand entlang und sagt: »Mir kam es so vor, als hätten wir uns bei unserem letzten Treffen ganz gut verstanden. Haben nett geplaudert. Du hast mich verklärt angeschaut, ich hab selig zurückgeschaut. Und dann hast du mich mit hierher genommen.« Seine Augen zucken zu der schmalen Türöffnung, die in den kleinen Schlafraum führt, dann zurück zu mir, wieder mit diesem wissenden Grinsen im Gesicht.

Mit zusammengebissenen Zähnen versuche ich, der Versuchung zu widerstehen; ich werde nicht kapitulieren. »Ja, richtig.« Ich nicke langsam, so als würde mir just in diesem Moment alles wieder einfallen. »Ich erinnere mich dunkel. Am nächsten Tag hatte ich grässliche Kopfschmerzen …« Ich lasse die Worte mit einem kleinen Lachen und einer Grimasse verhallen und presse mir eine Hand gegen die Stirn.

Skyler lächelt, ebenso wenig bereit, zu kapitulieren. »Genau so etwas hatte ich schon vermutet, als ich nichts mehr von dir gehört habe. Dass du krank geworden bist.« Innerlich koche ich vor Wut, weil er so tut, als wäre es meine und nicht seine Schuld, dass wir uns seitdem nicht mehr gesehen haben. »Lark hat mir zwar versichert, du wärst nicht sauer auf mich, aber ich meinte, das würde ich erst glauben, wenn ich es aus deinem Mund höre.«

Ich unterdrücke den Drang, an meine Halskette zu fassen. Aber Skyler braucht nicht erst meine Gedanken zu hören, um meine verkniffenen Mundwinkel deuten zu können. Nachdem ich ein paar Gläser Wein intus hatte, habe ich nämlich den Fehler gemacht, Skyler zu erzählen, dass Lark ihn attraktiv finde und an ihm interessiert sei, falls ich es nicht wäre. Außerdem sei sie – ihren eigenen Worten nach – viel weniger kompliziert. Und ganz offensichtlich will er mich nun so weit provozieren, dass ich ihm eine Szene mache, weil er mich versetzt hat. Er nimmt mich aus allen Richtungen unter Beschuss, aber ich weigere mich, in Deckung zu gehen.

»Dann wird es sie freuen zu hören, dass sie recht hatte«, sage ich. »Sie hat so furchtbar gern recht.«

»Ich sag’s ihr«, erwidert er, »wenn ich sie heute Abend sehe.«

Volltreffer.

»Dann sei bloß pünktlich.« Mit gespielter Strenge wedele ich mahnend mit dem Finger. »Sonst musst du dich am Ende noch bei mir erkundigen, ob sie sauer ist.«

Er schnellt vom Sofa hoch und steht im nächsten Augenblick bereits vor mir an der Tür, von der ich mich noch kein Stück wegbewegt habe; meine Finger umklammern den Riegel so fest, dass sie wehtun. Darauf bin ich nicht vorbereitet; wie soll ich bloß ein Gespräch mit ihm führen, wenn diese Lippen nur wenige Zentimeter von meinen entfernt sind?

»Wozu diese Spielchen?« Er streckt eine Hand aus und zwirbelt langsam und sacht an meinen Haaren.

Ich muss mich mit aller Macht zurückhalten, um mich ihm nicht entgegenzulehnen. »Ich spiele nicht mehr Spielchen als du.«

»Dann gibst du also zu, dass es ein Spielchen ist?« Seine Finger streichen weiter durch meine Haare und mir fällt keine passende Antwort ein, also sage ich nichts. »Wenn du mich sehen willst, brauchst du doch nur zu fragen.«

»Warum muss ich überhaupt erst fragen?«

»Tja, wie man sieht, musst du das gar nicht. Ich bin auch so hier, nicht?«

Seine Logik ist zum Verrücktwerden, lächerlich, unsinnig. Aber mich darüber zu echauffieren fällt schwer, wenn sein Mund so wie im Augenblick an meiner Wange liegt und mir mit süß duftendem Atem Lügen ins Ohr flüstert.

»Du lernst doch gar nicht wirklich, oder?«

Es ist mehr eine Aufforderung als eine Frage. Eine, auf die ich vermutlich anders reagieren würde, wäre da nicht seine Hand an meinem Gesicht, sein Daumen auf meiner Wange, sein Geruch – wie Wald nach einem Winterregen –, seine Lippen, die meinen immer näher kommen. Unwillkürlich schließe ich die Augen und antworte: »Nein.«

Er zieht sich so blitzschnell von mir zurück, dass ich einen kühlen Luftzug spüre. Meine Lider springen auf. Er starrt auf mich herunter, sein Blick ist nicht mehr amüsiert, sondern kalt und taxierend.

»Du willst es gar nicht.«

»Was? Dich küssen?« Ich stoße ein kleines Lachen aus; diesmal wirkt es beinah echt. »In der Regel sprechen die Anzeichen schon dafür, wenn man sich mit geschlossenen Augen den Lippen von jemand anderem nähert.« Ich klinge genauso wie John, was mich erneut zum Lachen bringt.