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»Wer hätte gedacht, dass wir beide es einmal bedauern würden, uns trennen zu müssen«, sagte Angelika Gräfin Maritz, während sie langsam mit ihrer Schwester, Baronin Sofia von Kant, durch deren Privatgarten schlenderte. Dieser schloss sich an die Terrasse von Schloss Sternberg an, hier hatte nur die Baronin das Sagen. Kein Gärtner durfte ohne ihre Erlaubnis Hand an die seltenen Pflanzen anlegen, die sie hier züchtete.

Sofia war einige Jahre jünger als ihre Schwester, Anfang Vierzig war sie jetzt, und im Gegensatz zu Angelikas etwas strengen Zügen waren ihre weich und rund, man sah ihr immer sofort an, was sie dachte. Jetzt lachte sie leise. »Das war wirklich nicht vorherzusehen, aber ich bin sehr froh, Angelika, dass endlich, nach so vielen Jahren, nichts mehr zwischen uns steht.«

Angelika, die berühmte Archäologin, die ihr Leben lang – so hatte es zumindest gewirkt – nichts anderes im Sinn gehabt hatte, als ihre Karriere, legte ihrer jüngeren Schwester einen Arm um die Schultern. »Und ich erst!«, sagte sie mit warmer Stimme.

Turbulente Monate lagen hinter ihnen. Angelika, die mit ihrem Team in Peru eine alte Inkastadt freilegte, die sie entdeckt hatte, war überraschend nach Deutschland gekommen, um bei der Aufklärung krimineller Machenschaften in ihrem beruflichen Umfeld zu helfen. Sie hatte sich auf Sternberg einquartiert, ohne zu fragen, ob es ihren Verwandten recht war, und sie war sehr bald mit Sofia aneinandergeraten. Die Schwestern hatten sich schon als Kinder nicht verstanden. Sofia war eng mit ihrer Schwester Elisabeth verbunden gewesen, die im vergangenen Jahr auf tragische Weise ums Leben gekommen war. Angelika, die Älteste, war die Außenseiterin gewesen, eine Einzelgängerin, die am liebsten in ihrem Zimmer las und sich in ihren Büchern vergrub.

Doch ganz so war es nicht gewesen, wie Sofia mittlerweile wusste: Angelika war mit sechzehn schwanger geworden von einem Jungen aus befreundeter Familie und hatte mit siebzehn heimlich ein kleines Mädchen zur Welt gebracht – bei ihren Großeltern auf der Reichenau, die ihr Geheimnis hüteten. Weder ihre Eltern noch die beiden Schwestern hatten davon gewusst, bis jetzt. Angelikas Tochter war adoptiert worden, sie hieß Isabella von Bolanden und hatte erst nach dem Tod beider Adoptiveltern erfahren, dass sie nicht deren leibliche Tochter war und sich auf die Suche nach ihrer Mutter gemacht.

Es war eine Suche mit vielen Hindernissen gewesen, aber letzten Endes hatten Mutter und Tochter einander gefunden, und die bis dahin oft so strenge, auch egoistische und rücksichtslose Angelika hatte ihren Verwandten ganz neue Seiten ihres Charakters offenbart. Sofia hingegen war noch immer bestürzt darüber, dass sie damals, als Zwölfjährige, von der Beinahe-Tragödie ihrer älteren Schwester buchstäblich nichts mitbekommen hatte. Angelika war eine Weile bei den Großeltern gewesen, daran erinnerte sie sich, aber sonst? Sie schämte sich, weil ihr bewusst geworden war, wie wenig sie Angelika gekannt hatte.

Isabella jedenfalls war von Sofia und ihrer Familie überaus herzlich aufgenommen worden, und die junge Frau fühlte sich sichtlich wohl, wann immer sie im Schloss zu Besuch war. Angelikas damaliger Freund Clemens von Hasselfeld, Isabellas Vater, war von seiner Familie seinerzeit mit unbekanntem Ziel ›verschickt‹ worden, seine Mutter hatte ihm offenbar das Geheimnis von Angelikas Schwangerschaft entlockt. Angelika hatte nie wieder von Clemens gehört.

Jetzt allerdings musste sie nach Peru zurück, die Arbeit rief, ihr Team verlangte nach ihr. Sie hatte lange nach einem neuen Assistenten gesucht und ihn schließlich auch gefunden, freilich nicht, ohne neue Komplikationen heraufzubeschwören: Ulrich von Thakhen war ein sympathischer, kluger junger Mann, der sich auf Anhieb in Isabella verliebt hatte, ohne zu ahnen, dass sie Angelikas Tochter war. Isabella jedoch legte gerade ihr Examen in Archäologie ab und hatte im Stillen gehofft, für ihre Mutter arbeiten zu können, also hatte sie in Ulrich vor allem einen Konkurrenten gesehen und ihn entsprechend behandelt.

Doch auch diese Probleme waren gelöst worden: Die jungen Leute hatten sich ausgesprochen und waren mittlerweile ein Paar. Angelika und Ulrich würden gemeinsam nach Peru reisen, während sich Isabella in Deutschland auf ihre mündlichen Prüfungen vorbereitete. Anschließend würde sie den beiden folgen und zunächst ein Praktikum im Team ihrer Mutter machen, um zu sehen, ob an eine Zusammenarbeit überhaupt zu denken war. Alles Weitere würden sie erst dann gemeinsam entscheiden.

»Jetzt muss nur Isa ihre Prüfungen bestehen«, sagte Angelika besorgt. »Sie hat panische Prüfungsangst, das hat sie mir jetzt erst gestanden. Dabei ist sie in jedem Seminar die Beste, ich habe mich erkundigt, ganz unauffällig.« Mutterstolz schwang in ihrer Stimme mit.

Die Baronin lächelte in sich hinein. Es freute sie, Angelika so verändert zu sehen, und vor allem war sie glücklich darüber, wieder eine Vertraute gefunden zu haben, auch wenn Angelika nicht im Schloss wohnte und der Austausch über alltägliche Probleme deshalb natürlich schwierig war. Aber eins wusste sie: Sie konnte von jetzt an immer auf ihre ältere Schwester zählen.

Ihre Gedanken wanderten zurück ins vergangene Jahr, das aus verschiedenen Gründen ein richtiges Horrorjahr für sie und ihre Familie gewesen war. Begonnen hatte es mit dem Hubschrauberabsturz, bei dem ihre Schwester Elisabeth, die Fürstin von Sternberg, gemeinsam mit ihrem Mann, Fürst Leopold, ums Leben gekommen war. Ihr fünfzehnjähriger Sohn Christian war mit einem Schlag Vollwaise geworden. Natürlich hatten Sofia und ihr Mann, Baron Friedrich von Kant, ihn sofort in ihre Familie aufgenommen. Sie wohnten ja ohnehin schon lange im Schloss, gemeinsam mit ihren beiden Kindern, dem sechzehnjährigen Konrad und der dreizehnjährigen Anna. Die beiden und Christian waren auch vorher schon wie Geschwister aufgewachsen, seit Christians Eltern nicht mehr lebten, war das Verhältnis der Teenager zueinander noch enger geworden.

»Was ist?«, fragte Angelika. »Du siehst plötzlich so bedrückt aus.«

»Ich musste an Lisa und Leo denken. Mit ihrem Tod hat das Unglücksjahr angefangen.« In der Tat waren dem Flugzeugabsturz noch andere Schicksalsschläge gefolgt, doch daran wollte sie jetzt nicht mehr denken.

»Aber jetzt ist es vorüber«, sagte Angelika energisch. »Richte den Blick nach vorn, Sofia. Wir haben noch viele wunderbare Jahre vor uns.«

»Dass ausgerechnet du das sagst«, murmelte Sofia und fing plötzlich glucksend an zu lachen. »Du warst als Mädchen ziemlich pessimistisch, weißt du das noch?«

»Ja, daran erinnere ich mich sogar ziemlich gut«, sagte Angelika. »Ich habe eigentlich immer damit gerechnet, dass etwas schlecht ausgeht. Deshalb war ich auch so heftig in Clemens verliebt. Er sah vor allem das Gute, die Möglichkeiten, die eine Situation bot, und manchmal hat er es geschafft, mich mit seinem Optimismus anzustecken. Dann war ich für kurze Zeit glücklich. Er war damals der einzige Mensch, der mich glücklich machen konnte.«

»Es ist doch merkwürdig, dass du nie wieder von ihm gehört hast«, sagte Sofia.

»Ich habe ja sehr früh geheiratet, da hätte ich es unfair meinem Mann gegenüber gefunden, wenn ich mich auf die Suche nach Clemens gemacht hätte. Seine Eltern haben ihn damals offenbar an einen weit entfernten Ort geschickt, damit er bloß nie wieder mit mir in Kontakt kommt.«

»Wie sie die Wahrheit wohl herausbekommen haben?«

»Seine Mutter konnte furchterregend sein, sie hatte das Sagen bei den Hasselfelds. Sie wird gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte, und dann wird sie Clemens unter Druck gesetzt haben, bis er mit der Wahrheit herausgerückt ist. Er wollte eigentlich mit mir fliehen …« Angelika brach ab, ein verträumtes Lächeln im Gesicht. »Wir waren wirklich noch sehr jung und sehr naiv. Jedenfalls, als Casimir dann so früh gestorben ist, wollte ich vor allem meine Ausbildung beenden, damit ich auf eigenen Füßen stehen konnte.«

»Aber du hattest Clemens doch nicht vergessen, oder?«

»Ich habe ihn nie vergessen«, antwortete Angelika ruhig. »Ich habe euch ja schon gesagt, dass ich irgendwann hörte, er sei nach China gegangen, aber etwas hat mich immer abgehalten, weitere Nachforschungen anzustellen. So, wie ich nie nach Isabella gesucht habe, weil ich dachte, das reißt nur alte Wunden wieder auf, und ändern kann ich an dem, was damals geschehen ist, sowieso nichts mehr.«

»Ich würde gern wissen, was er heute macht und was aus ihm geworden ist.« Sofia schüttelte den Kopf. »Der stille Clemens! Ich kann es immer noch nicht richtig glauben, dass ausgerechnet ihr beide damals ein geheimes Paar wart.«

»Er war gar nicht so still. Wir haben stundenlang miteinander geredet, ich hatte ja so wenig Kontakt zu Gleichaltrigen wie er. Aber mit ihm zusammen habe ich mich frei gefühlt. Er hat mich verstanden, bei ihm hatte ich nie Angst, er könnte mich auslachen oder mich verraten.«

Die Baronin tastete nach der Hand ihrer Schwester. »Ich werde es immer bedauern, dass wir so viele Jahre vergeudet haben, Angelika. Dass wir nicht früher einen Weg zueinander gefunden haben.«

»Ich habe auch schon darüber nachgedacht, wie unsere Leben wohl verlaufen wären, wenn ich mich nicht schon als Kind so ausgeschlossen gefühlt hätte. Ich mache dir keinen Vorwurf, das weißt du hoffentlich, aber Lisa und du, ihr wart eine so fest verschworene Gemeinschaft, da hatte ich überhaupt keine Chance. Wie habe ich euch beneidet, wenn ihr wieder einmal die Köpfe zusammengesteckt habt, um gemeinsam über etwas zu lachen oder Geheimnisse auszutauschen. Ich hätte so gern dazugehört.«

Die Stimme der Gräfin hatte bei den letzten Worten einen verlorenen Klang, was sie selbst bemerkte. »Entschuldige bitte!«, sagte sie betont sachlich. »Das hört sich an, als wollte ich dir doch Vorwürfe machen. Aber dieser Schmerz von damals, der bleibt mir wahrscheinlich, der verschwindet nicht, auch wenn ich mir das wünsche.«

»Das verstehe ich«, erwiderte Sofia leise. »Aber vielleicht können wir in den nächsten Jahren so viele positive Erfahrungen dagegensetzen, dass diese Zeit damals weniger wichtig erscheint.«

»Wir haben ja schon damit angefangen.«

Langsam verließen die beiden Frauen den Garten, um auf die Terrasse zurückzukehren. Seit einigen Tagen war das Wetter traumhaft schön, es war warm, aber nicht heiß. Am blauen Himmel zeigte sich keine einzige Wolke.

»Ich werde das alles sehr vermissen«, sagte Angelika, als sie wieder in ihren Liegestühlen lagen, die sie für ihren Spaziergang kurz verlassen hatten.

»Und wir werden dich vermissen, Angelika.«

Die Gräfin lächelte, und mit einem Mal sah sie um Jahre jünger aus. Die Strenge wich aus ihrem Gesicht, sie sah mit einem Mal direkt hübsch aus. »Ich gehe morgen zum Friseur«, verkündete sie überraschend, »und außerdem fände ich es nett, wenn du mit mir ein paar neue Sachen zum Anziehen einkaufen würdest. Ich habe jetzt eine so schöne Tochter, da will ich doch nicht aussehen wie eine Wissenschaftlerin, die ihr Leben ganz der Arbeit gewidmet hat und darüber ihr Aussehen vernachlässigt.«

»Dein Aussehen hat sich sowieso schon sehr verändert, seit du häufiger lachst oder lächelst. Aber ich begleite dich gern, ich hätte da auch schon die eine oder andere Idee …«

»Das dachte ich mir«, sagte Angelika zufrieden. »Hast du morgen Zeit? Je eher wir das angehen, desto besser.«

»Ich habe Zeit«, erklärte Sofia.

Der kleine Fürst
– 174–

Spätere Liebe nicht ausgeschlossen!

Ein alter Traum wird wahr

Viola Maybach

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