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Inhalt

Widmung

Kapitel 1 – Die Dämonin hatte …

Kapitel 2 – Paul Axton, ein …

Kapitel 3 – Amber blickte ihn …

Kapitel 4 – Sie befanden sich …

Kapitel 5 – Amber kehrte zu …

Kapitel 6 – Amber lief aus …

Kapitel 7 – Amber verwandelte sich …

Kapitel 8 – Amber hätte nicht …

Kapitel 9 – Amber ging zurück …

Kapitel 10 – Sie fuhren drei …

Kapitel 11 – Sie fuhren in …

Kapitel 12 – Die Kopfschmerzen, die …

Kapitel 13 – »Hi, Süße«, grüßte …

Kapitel 14 – Es war still …

Kapitel 15 – Aphrodite zog die …

Kapitel 16 – Amber war wieder …

Kapitel 17 – »Das ist vielleicht …

Kapitel 18 – Sie schafften es …

Kapitel 19 – Sie suchte …

Kapitel 20 – Sie ging bis …

Kapitel 21 – Symmes kreischte und …

Kapitel 22 – Amber und Kelly …

Kapitel 23 – »Was habt ihr …

Kapitel 24 – Amber saß mit gesenktem …

Kapitel 25 – Als sie kurz …

Kapitel 26 – Amber lächelte den …

Kapitel 27 – Mehrere Polizisten warteten …

Kapitel 28 – Sie waren hinter …

Kapitel 29 – In dieser Nacht …

Kapitel 30 – »Heilige Scheiße!«, schrie …

Kapitel 31 – Schlechte Nachrichten breiteten …

Kapitel 32 – Sie fuhren mit …

Kapitel 33 – Sie liefen die …

Kapitel 34 – Außer Abigail, die an …

Kapitel 35 – Sie fand Großmaul …

Kapitel 36 – Das Geschrei war …

Kapitel 37 – Die Verdrehten ruderten …

Kapitel 38 – Sie fuhren fast …

Kapitel 39 – Amber kippte nach …

Kapitel 40 – Sie entdeckte den …

Kapitel 41 – Amber brachte Milo …

Kapitel 42 – Sie fuhren mit …

Kapitel 43 – Sie erreichten Orlando …

Kapitel 44 – Milo schaute Sutton …

Kapitel 45 – Sie verstauten den …

Kapitel 46 – Im Haus roch …

Kapitel 47 – »Mr Stromquist«, sagte …

Kapitel 48 – Amber tropfte mit …

Kapitel 49 – Bill sprang vom …

Kapitel 50 – Betty Lamont stürmte …

Kapitel 51 – Etwas von Bettys …

Kapitel 52 – Sutton verließ sie …

Kapitel 53 – Amber trank ihr …

Alle bereits erschienenen Titel von Derek Landy beim Loewe Verlag

Über den Autor

Weitere Infos

Impressum

Dieses Buch ist Morgan gewidmet.
Du hast dich verändert, Mann …

1

Die Dämonin hatte rote Haut, war groß, stark und wunderschön. Aus ihrer Stirn wuchsen zwei schwarze, gebogene Hörner. Sie grinste verächtlich, aber selbst ihr Grinsen war wunderschön. »Du glaubst tatsächlich, dass du lebendig hier rauskommst?«

Amber ignorierte das Flüstern, ignorierte die Dämonin, ignorierte alles, was nicht real war, als sie durch das dunkle Kaufhaus ging.

Auf dem gläsernen Tresen ein Stück weiter vorn stand eine Art Kobold, probierte Sonnenbrillen auf und betrachtete sich im Spiegel auf dem drehbaren Ständer.

Das hier war real. So bizarr es auch aussah, es handelte sich nicht um eine Halluzination. Inzwischen kannte Amber den Unterschied.

Der Kobold war vielleicht sechzig Zentimeter groß und Kopf und Körper waren mit hellbraunem Fell bedeckt. Seine Arme und Beine waren auffallend dünn. Während er sich bewundernd hierhin und dorthin drehte, gurgelte er glücklich. Er hatte einen sehr breiten Mund und eine kleine Schnauze, und als er die Sonnenbrille abnahm, sah Amber die großen, blinzelnden Augen.

Amber hatte noch nie einen Boggel gesehen. Noch nicht einmal auf einem Foto oder auf einer Zeichnung. Beim Näherkommen fand sie ihn irgendwie niedlich, ähnlich einer dieser liebenswerten Disney-Figuren. Jedenfalls vollkommen anders, als sie sich diese Wesen vorgestellt hatte. Als sie in das Kaufhaus eingebrochen war, hatte sie damit gerechnet, von einer Horde aggressiver Monster in Empfang genommen zu werden – und nicht von einem einzelnen süßen, pelzigen Wesen, das nachts Sonnenbrillen aufprobierte.

Dennoch verwandelte sie sich. Man konnte ja nie wissen. Ihr Körper veränderte sich, und jetzt war sie die rothäutige Schönheit; sie war stark, groß und hatte Hörner. Sie ging an einer Schaufensterpuppe vorbei, die dasselbe Outfit trug wie sie – Yogahose und Tanktop –, doch während das Outfit der Schaufensterpuppe leuchtend orange auf Grau war, trug Amber Schwarz, und sie sah besser darin aus. Da sie den Boggel nicht erschrecken wollte, pfiff sie leise, bevor sie sich zeigte.

»Hallo, du«, flüsterte sie beim Näherkommen. »Hallo, Kleiner.«

Der Boggel schaute sie an. Er neigte den Kopf zur Seite und stieß einen fragenden Gurgellaut aus.

»Was bist du für ein süßer kleiner Boggel«, schmeichelte Amber lächelnd und zeigte dabei ihre leeren Hände. »Wer ist der süßeste kleine Kobold? Bist das etwa du? Ja?«

Der Boggel ging wohl davon aus, dass dem gut so sein könnte, denn er grinste vergnügt, wobei ihm die lange Zunge aus dem Mund hing.

Amber lächelte noch ein bisschen breiter. Sie hoffte nur, dass ihre Fangzähne den Kobold nicht verscheuchen würden. »Ich suche deinen Meister«, fuhr sie leise fort. »Könntest du mich zu ihm bringen? Würdest du das machen?«

Der Boggel tapste zum Tresenrand und streckte die Ärmchen nach ihr aus.

»Du bist wirklich ein ganz Süßer«, sagte Amber. »Vielleicht könnte ich dich mitnehmen, wenn ich mit deinem Meister fertig bin. Würde dir das gefallen? Ein Leben auf der Straße, wie klingt das in deinen Ohren? Gut?«

Der Boggel zwitscherte und Amber kicherte. Milo hätte höchstwahrscheinlich etwas gegen ein Schmusetier auf der Rückbank des Chargers, doch er hielt sich gerade in einer anderen Abteilung des Kaufhauses auf und konnte nicht widersprechen.

»Dann ist das abgemacht«, entschied sie. »Du bringst mich zu Paul Axton und ich adoptiere dich.«

Das Wesen schaute sie mit seinen großen Augen an und fast hätte sie es auf der Stelle in die Arme geschlossen, doch etwas hielt sie davon ab. Vielleicht war es die Tatsache, dass der Boggel so erpicht darauf war, ihr näher zu kommen, oder es lag an diesem überbreiten Mund mit den vielen Zähnen oder an diesen großen Augen, in denen Amber immer mehr rote Adern im Weiß erkennen konnte, je größer sie wurden.

Jedenfalls zögerte sie mit dem In-den-Arm-Nehmen, was dem Boggel nicht gefiel. Es gefiel ihm ganz und gar nicht.

An seinen kleinen Händen wuchsen kleine Krallen. Er schlug nach ihr und Amber wich zurück. Blut floss aus dem Kratzer in ihrer Wange.

Sie blickte den Boggel finster an. »Du kleiner Scheißkerl!«

Der Boggel sprang sie an, ein wild gewordenes Bündel aus Fell und Zähnen. Amber wehrte ihn ab und stolperte, als der Kobold auf den Boden knallte und sofort wieder zum Angriff überging. Sie wich ihm aus, so gut es ging, warf ihm Sachen vor die Füße und versuchte, mit Sprüngen seinen Hieben auszuweichen, doch er kam immer näher und plötzlich stand sie mit dem Rücken an der Wand. Sie trat nach ihm und verfehlte ihn. Er sprang sie an, wollte seine Krallen in ihr Bein schlagen, doch ihre Haut überzog sich unter der Yogahose mit schwarzen Schuppen und der Kobold prallte zurück. Bevor er zu Boden ging, konnte Amber ihn mit einem kräftigen Tritt in die Dunkelheit befördern.

Sie lief zur Heimwerker-Abteilung und lauschte auf das verräterische Trippeln kleiner Füße. Als sie ein Geräusch hörte, drehte sie sich um, sah jedoch nichts als Halbdunkel und Finsternis. Beim Zurückweichen stieß ihr Fuß an etwas Schweres. Ein Mann lag da, nur ungenügend mit Hockey-Trikots zugedeckt. Sie kauerte sich hin und schob sie zur Seite, wobei zuerst die Uniform eines Sicherheitsmannes zum Vorschein kam und dann das Gesicht. Sein Mund war in einem stummen Schrei geöffnet, die Augen fehlten.

Als Amber sich wieder aufrichtete, landete ein Boggel auf ihrer Schulter. Er hatte dunkleres Fell als der, dessen Bekanntschaft sie bereits gemacht hatte. Fluchend schlug sie ihn herunter. Auf den Regalen über ihr hockten noch mehr von seiner Sorte. Mit entzückten Jauchzern ließen sie sich in sadistischer Freude auf sie herunterfallen. Einer landete auf ihrem Kopf und seine Klauen verfingen sich in ihrem Haar. Sie riss ihn herunter, doch ein anderer fiel direkt in eines ihrer Hörner, spießte sich auf und wand sich kreischend.

Den einen Boggel ließ Ambers Dropkick durch die Abteilung segeln, den anderen zog sie von ihrem Horn, als sie schon spürte, wie sein Blut auf ihre Kopfhaut tropfte. Sie trampelte auf ihm herum, bis er verdammt noch mal die Klappe hielt.

Dann betrachtete sie die Schweinerei, die sie angerichtet hatte. Unwillkürlich kam es ihr vor, als hätte sie sich mit Teddybären geprügelt.

Sie hörte ein hohes Heulen und sah einen Boggel mit einer verdammten Elektrosäge auf sich zukommen. Sie machte einen Satz nach hinten und versuchte, ihn wegzukicken, doch er war zu schnell. Ihre Schuppen würden sie wahrscheinlich vor der Säge schützen, doch sie wollte es nicht darauf ankommen lassen. Rasch sprang sie auf einen Auslagentisch, der sich allerdings als so wacklig herausstellte wie ein seeuntüchtiges Boot, das nun auch noch von einem Hai mit sirrender, gezähnter Scheibe als Rückenflosse umkreist wurde. Irre keckernd, sprang der Boggel immer schneller um sie herum. Doch dann musste er gestolpert sein, denn plötzlich war die Scheibe nicht mehr zu sehen und das Gekecker hörte auf. Fleisch- und Fellfetzen flogen durch die Luft und dann verstummte auch die Säge.

Amber blieb erst einmal, wo sie war, und vergewisserte sich, dass es kein Trick war, doch dann warf sich ein anderer Boggel gegen eines der Tischbeine und sie sprang herunter, landete in der Dunkelheit mit einem Fuß auf etwas Undefinierbarem, stieß sich ab und katapultierte sich in die Sportabteilung. Sie blieb mit einem Fuß an etwas hängen und brachte im Fallen ein Regal mit Trainingskleidung zum Einsturz.

Einen Augenblick lag sie stöhnend auf dem Boden. Um sie herum waren Bewegung und unterdrücktes Keckern, und als sie aufschaute, sah sie einen Boggel mit einem Golfschläger in der Hand.

»Baaah!«, kreischte er und schwang den Schläger. Er traf sie mitten ins Gesicht.

Obwohl sich kurz vorher noch schwarze Schuppen gebildet hatten, tat es höllisch weh. Amber rollte sich zur Seite, hielt sich an einem Regal fest und zog sich daran hoch. Als sie sich umdrehte, traf sie ein Baseballschläger am Kinn. Sie drehte sich um die eigene Achse, stolperte über ihre Füße, wankte und stieß einen Ständer mit Skistöcken um.

Der Boggel mit dem Baseballschläger gluckste, sprang von einem Ständer mit Fanghandschuhen und huschte davon. Amber ließ ihn gehen und konzentrierte sich darauf, in der Senkrechten zu bleiben.

Als sich vor ihren Augen nicht mehr alles drehte, kamen zwei kleine Gestalten in ihr Blickfeld. Sie standen auf dem umgekippten Ständer und schwangen Tennisschläger. Diese Boggel trugen Tenniskleidung für Kinder – der linke weiße Shorts zu seinem T-Shirt und der rechte einen weißen Faltenrock. Sogar Stirnbänder hatten sie aufgesetzt.

Der linke Boggel warf einen Ball hoch in die Luft – nur dass es kein Ball war, sondern ein Auge des Wachmanns. Als der Schläger das Auge traf, explodierte es. Der Kobold stieß ein enttäuschtes Geheul aus. Jetzt warf der andere Boggel seinen Augapfel in die Luft, schwang den Schläger und traf perfekt. Das Auge landete mit einem schmatzenden Geräusch in Ambers Gesicht und sie stürmte auf die Kobolde zu. Die Boggel sprangen vom Ständer und rannten schreiend davon.

Amber runzelte die Stirn, als sie ein seltsames Gurgeln hinter sich hörte. Sie erkannte eine verzerrte Version der Titelmelodie von Rocky, drehte sich um und sah einen Boggel mit Boxhandschuhen aus der Dunkelheit auftauchen.

»Soll das ein Witz sein?«, fragte sie.

Der Boggel kam langsam auf sie zu, führte beim Näherkommen ein paar Jabs aus und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen.

»Das ist doch verrückt«, sagte Amber laut. »Wer zieht euch denn an? Macht ihr das selbst? Woher kennst du überhaupt den Film?«

Der kleine Boxer-Boggel ging nicht darauf ein, kam einfach immer näher.

Amber schüttelte genervt und ungläubig den Kopf, machte einen Schritt nach vorn, versetzte ihm einen Tritt und schaute ihm nach, als er über die Kleiderständer davonsegelte.

Dann hörte sie von der anderen Seite der Trennwand her ein Getriller.

»Plaby-pluh!«

Stirnrunzelnd ging Amber langsam darauf zu.

Als sie um die Trennwand herumspähte, sah sie im Dämmerlicht erst mal nur Verkaufsständer. Sie ging weiter.

»Tuuty-Plahb!«

Jetzt entdeckte sie die kleinen Kerle. Vielleicht acht oder neun hatten sich in einer Reihe aufgestellt. Alle trugen Football-Helme, unter denen ein Großteil ihres Körpers verschwand.

»Blo! Blah! Blie!«

Die Boggel kamen auf sie zugelaufen und der Quarterback trat zurück. Amber sah gerade noch die Pistole in seiner Hand aufblitzen, als er auch schon das Feuer eröffnete. Sie warf sich aus der Schusslinie und der Quarterback schlug beim Rückstoß einen Salto rückwärts. Dann griffen die anderen Kobolde an. Sie rissen sich die Helme vom Kopf und zum Vorschein kamen Fleischermesser, die sie darunter verborgen hatten.

Fluchend rollte sie von ihnen weg. Ihre Schuppen wehrten erste vereinzelte Stiche ab, doch sie waren schnell. Schon im nächsten Moment waren sie auf ihr und stießen mit ihren Messern zu. Sie drehte sich immer weiter, aber keiner verlor das Gleichgewicht. Es war, als seien sie verdammte Profis im Baumstammrollen oder so. Ambers Kleider wurden zerfetzt, doch die Schuppen bedeckten und schützten sie von Kopf bis Fuß. Einige der kleinen Teufel versuchten, die Spitzen ihrer Messer zwischen die Schuppen zu drücken, um an die Haut darunter zu kommen. Die auf ihrem Kopf zielten auf ihre Augen und Ohren und auf ihren Mund.

Amber schlug um sich und konnte auch ein paar ausschalten. Als sie sich mühsam aufzusetzen versuchte, schlug ein Kobold-Tsunami über ihr zusammen. Es gelang ihr noch, sich auf den Bauch zu drehen, und sie versuchte auch wegzukriechen, doch sie drückten sie wieder auf den Boden.

Dann trat ihr Meister ins Blickfeld.

»Scheiße«, murmelte sie.

2

Paul Axton, ein Mann mittleren Alters mit traurigen Augen, zog einen billigen Plastikstuhl hinter sich her. Er setzte sich darauf und blickte auf Amber herab.

»Dann bist du also der neue Stellvertreter des Leuchtenden Dämons«, begann er. »Hübscher als der letzte, ungelogen. Ist dir schon aufgefallen, dass Astaroths Dämonen immer besonders gut aussehen? Ich hätte einer von euch sein können. Ich hätte ihn bitten können, einen Dämon aus mir zu machen, groß, stark und gut aussehend, rot und mit Hörnern, aber man kann nicht alles haben. Deshalb habe ich ihn selbstverständlich nicht um alle diese Eigenschaften gebeten, sondern nur um die Fähigkeit, mit diesen faszinierenden Wesen sprechen zu können.«

Amber hätte gern etwas darauf erwidert, doch die faszinierenden Wesen versuchten immer noch, ihr Messer in den Mund zu stecken.

»Ich habe natürlich von dir gehört«, fuhr er fort. »Du hast dein dämonisches Erbe erst vor ein paar Monaten entdeckt, nicht wahr? Demnach musst du sechzehn sein. In diesem Alter passiert es. Da macht ihr eure … Verwandlung durch. Doch statt diesen herzerwärmenden Moment innerhalb der Familie zu genießen, jagten deine Eltern dich quer durchs Land. Bill und Betty Lamont. Ein ziemlich berüchtigtes Paar, in gewissen Kreisen.

Interessanterweise sind sie jedoch nicht die einzigen Eltern, die ihren Nachwuchs gern verspeisen. Löwen, Eisbären, gewisse Arten von Präriehunden … sie alle werden zu Kindsmördern, wenn es sie überkommt. Viele andere auch. Und ich rede hier lediglich von den Säugetieren. Doch nur Dämonen wie deine Eltern haben die Kraft ihres Nachwuchses in einer so radikalen Art und Weise absorbiert.

Wie lang geht das schon so? Hundert Jahre? Länger? Soviel ich weiß, hattest du einen Bruder und eine Schwester, die deine Eltern und ihre Freunde gegessen haben. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sich das angefühlt haben muss. Dieser Kräfteschub. Dieser Geschmack von Unsterblichkeit. Und dann standest du auf der Speisekarte.

Nur dass du den Spieß umgedreht hast, nicht wahr? Als Astaroths Stellvertreterin sind jetzt die Jäger die Gejagten und die Gejagte ist die Jägerin. Obwohl angesichts deiner derzeitigen Situation die Jägerin wieder zur Gejagten wurde. Das Leben ist selten freundlich.«

Axton feixte verhalten. »Vor langer Zeit war ich einmal so was wie ein Anthropologe – jetzt bin ich so vieles mehr. Ich habe mein Leben dem Studium von Wesen wie diesen Boggeln gewidmet – Wesen, die zu wild sind, um in der heutigen Welt zu überleben. Schau dich an, zum Beispiel. Deine Schuppen sind wunderbar. Allerdings kannst du dich nicht auf sie verlassen. Meine Studien haben mir gezeigt, dass sie an deine unbewussten Instinkte gekoppelt sind. Sicher, bis zu einem gewissen Grad hast du die Kontrolle über sie, aber ich wette, sie haben dich schon einmal im Stich gelassen. Habe ich recht? Als du sie am dringendsten brauchtest? Hast du dich schon einmal gefragt, weshalb?«

Amber rührte sich nicht. Als die Boggel ihre Angriffe wieder auf ihre Augen konzentrierten, kniff sie sie fest zusammen und hielt den Kopf gesenkt. Ein paar auf ihrer unteren Körperhälfte versuchten immer noch, ihre Messer zwischen die Schuppen zu schieben. Es kostete Amber große Mühe, ihr Temperament im Zaum zu halten.

»Alles spielt sich im Unterbewusstsein ab«, fuhr Axton fort. »Wenn man glaubt, man sollte in irgendeiner Weise für begangene Sünden oder solche, die man vorhat zu begehen, bestraft werden, lassen die Schuppen es zu, dass einem ein wenig Schaden zugefügt wird. Es ist wirklich hochinteressant, wie sie so an den eigenen Selbsthass gekoppelt sind. Wie steht es mit dir, junge Frau? Du musst ein paar reichlich zweifelhafte Dinge getan haben, damit der Leuchtende Dämon dich zu seiner Stellvertreterin gemacht hat. Inwieweit beeinflussen diese Sünden dich? Wie sehr belasten sie dich?«

Amber versuchte, seine Worte auszublenden, doch er hatte recht. Ihre Schuppen hätten sie am Tag, bevor sie Desolation Hill erreichten, vor Elias Mauk schützen sollen, hätten verhindern sollen, dass er ihr mit seinem Hammer die Finger brach. In den Kämpfen, an denen sie seither beteiligt war, hatten ihre Schuppen sie manchmal vor den Schlägen und Stichen geschützt, manchmal auch nicht. Sie hatten sie schon ein paar Mal im Stich gelassen. Falls die sie jetzt wieder im Stich ließen, wäre sie für die Kobolde hier nicht viel mehr als ein Nadelkissen.

»Es ist alles eine Frage des Zweifelns.« Axtons Tonfall klang von Natur aus weinerlich. Alles an ihm – seine Stimme, die herunterhängenden Schultern, sein Bauchansatz – schrie Verlierer. Mehr noch, sie schrien Schon verloren. Erledigt. »Das ist der Hammer, oder?«, fragte er. »In dem Moment, in dem sich Zweifel einschleichen, geht alles den Bach runter.«

Amber überkam Panik, als sie spürte, wie die Schuppen an ihrem Bauch sich langsam zurückbildeten. Sie versuchte, sie unter Kontrolle zu bekommen, sie wieder wachsen zu lassen, doch jeden Augenblick bildeten sie sich mehr zurück. Sie presste ihren Bauch auf den Boden und bemühte sich, Gelassenheit vorzutäuschen, doch immer mehr Schuppen verschwanden. Ein Messer ratschte über ihre rote Haut und es floss Blut.

Dieser Typ. Axton. Dieses Arschloch mit seinem Gerede über Zweifel. Darüber, dass ihre Schuppen sie im Stich ließen. Er war schuld. Er hatte ihr diese Gedanken in den Kopf gesetzt und jetzt waren sie da, hatten Wurzeln geschlagen, und je mehr sie sich bemühte, es zu ignorieren, desto intensiver dachte sie daran und desto mehr Schuppen bildeten sich zurück.

»Wumba de na poebie«, befahl Axton, worauf die Boggel murrend eine Pause einlegten und nicht weiter auf sie einstachen.

Amber hob den Kopf und schaute ihn an. »Sie gehorchen dir.«

»Mir? Ganz und gar nicht. Aber ich rede mit ihnen und sie hören mir zu. Sind sie nicht ganz erstaunlich? Fantastische Imitatoren. Allerdings fürchte ich, dass sie vom vielen Fernsehen ein paar schlechte Angewohnheiten angenommen haben.«

»Du weißt, weshalb ich hier bin«, sagte Amber.

Axton nickte. »Weil ich einen Pakt mit dem Leuchtenden Dämon geschlossen und mich gedrückt habe.«

»Er hat mich geschickt, damit ich dich zurückbringe.«

»Und du wunderst dich, dass ich mich weigere?«

»Nö, überhaupt nicht. Wenn ich ehrlich sein soll, hab ich’s nicht anders erwartet. Gewundert habe ich mich nur über die durchgeknallten kleinen Monster, die du hier herumrennen hast.«

Axton lächelte. »Mit ihnen hast du nicht gerechnet, stimmt’s?«

»Nein«, gab Amber zu. Sie spürte die Luft an ihrer Haut, als sich weitere Schuppen zurückbildeten. Ihr unterer Rücken war jetzt unbedeckt und sie erwartete jeden Moment, dass ihr ein Messer ins Fleisch gerammt wurde. »Du bist ein kluger Mann«, lobte sie.

»Ach ja?«

»Hast mich dazu gebracht, dass ich an mir zweifle.«

Er feixte. »Aber es stimmt alles. Astaroth kann nicht zulassen, dass nichts und niemand dich aufhalten kann. Ihr Dämonen braucht Risse in eurer Rüstung, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn.«

Ihre Arme. Ihre Arme waren ungeschützt. Amber spürte, wie sich die Krallen der Boggel in ihre Haut bohrten. Sie spürte den kalten Stahl ihrer Messer zwischen ihren Schulterblättern.

»Er hat dir nicht nur die Fähigkeit verliehen, mit diesen kleinen Teufeln zu reden, stimmt’s?«

Axton zuckte mit den Schultern. »Ich kann mit allem und jedem sprechen.«

»Einschließlich mit mir. Du bringst mich dazu, dass ich ruhiger werde. Und je ruhiger ich werde, desto weniger Schuppen habe ich.«

»Wir unterhalten uns nur.«

»Während du dich darauf vorbereitest, mich zu töten.«

»Das geht ganz nebenbei. Ich bin kein gewalttätiger Mensch.«

»Wie viele Menschen hast du schon umgebracht?«

»Hier laufen noch jede Menge Menschen herum, junge Frau. Von diesen Boggeln dagegen gibt es nur wenige. Obwohl sie sich zugegebenermaßen unglaublich rasant vermehren.« Axton wies auf einen Boggel, der auf ihn zuhüpfte und dabei seinen aufgeblähten Bauch hielt. »Allerdings brauchen sie ganz besondere Voraussetzungen, um ihre Eier ablegen zu können. Eine spezielle Umgebung, die ihnen beides bietet: sowohl eine bestimmte Temperatur beim Schlüpfen als auch Futter für den Nachwuchs.«

»Ach ja? Und wo finden sie das?«

Axton blinzelte. »Na, auf dir natürlich.«

3

Amber blickte ihn finster an. »Untersteh dich.«

»Es ist ein wundervoller Prozess, glaub mir«, entgegnete Axton.

Sie biss die Zähne zusammen. »Wenn das Ding seine Eier auf mir ablegt, breche ich dir jeden verdammten Knochen im Leib, das schwöre ich dir.«

Axton lächelte. »Es tut nicht weh«, versicherte er ihr, »falls dich das ängstigt. Das heißt, es tut schon weh, aber bevor du dich versiehst, ist es auch wieder vorbei. Sie sind ziemlich schnelle Esser.«

»Es geht nicht um den Schmerz, Paul. Bei mir gilt ganz einfach die Regel, dass es allem und jedem verboten ist, seine Eier auf mir abzulegen. Das ist etwas Persönliches.«

»Es ist Natur, junge Frau. Der ewige Kreislauf des Lebens.«

»Wenn es der ewige Kreislauf des Lebens wäre, würde es mir ständig passieren. Aber das hier? Das wäre das erste Mal, dass ein kleines, pelziges Monster seine Eier auf mir ablegt. Es ist also kein ewiger Kreislauf des Lebens, sondern einfach nur eklig.«

»Es dauert nicht lang.«

Amber beobachtete den schwangeren Boggel, der immer näher kam. »Welcher Teil davon?«, fragte sie.

»Alle«, antwortete Axton. »Die Jungen schlüpfen außerordentlich schnell.«

Amber atmete tief durch, um ruhiger zu werden. »Paul, du passt gut auf, was ich dir jetzt sage.«

Der schwangere Boggel stöhnte.

»Zu spät, tut mir leid«, erwiderte Axton. »Fahl-ahey buschop.«

Amber spürte, wie Dutzende kleiner Hände sie packten. Bevor sie um sich schlagen konnte, wurde sie auf den Rücken gedreht, und die Boggel wuselten wieder auf ihr herum. Mit ihren Messern zerschnitten sie die untere Hälfte ihres Tanktops. Dann warteten sie, dass ihre Schuppen sich weiter zurückbildeten, damit sie in ihre rote Haut stechen konnten.

»Ich an deiner Stelle würde ruhig liegen bleiben«, riet Axton. »Sie können ihre Eier auch auf einem frischen Leichnam ablegen, wobei das natürlich nicht ideal ist.«

Ein paar Boggel legten sich hin und bildeten eine Treppe, über die der Schwangere auf Ambers bloßen Bauch kletterte. Er drückte und stocherte auf ihr herum. Amber knurrte und bekam dafür ein paar Klingen zu spüren, die ihre Kehle anritzten.

Schließlich kauerte sich der schwangere Boggel direkt über Ambers Nabel hin, schloss die Augen und begann zu pressen.

Die Schuppen auf Ambers Gesicht waren inzwischen vollständig verschwunden, sodass die Messer weitere Angriffsflächen fanden. Mehr noch als Axtons Worte war seine Stimme dafür verantwortlich. Sie gelangte in ihren Kopf und lullte ihre Abwehrkräfte in den Schlaf.

»Irgendwann möchte ich, dass sie ihre Eier auf mir ablegen«, sagte er. »Damit ich ein Teil davon bin, ein wesentlicher Bestandteil … Das wäre die höchste Ehre.«

»Dann leg dich an meiner Stelle hierher«, schlug Amber rasch vor. »Los, komm, die Zeit drängt.«

»Das geht leider nicht. Sie wollten die Leiche des Wachmanns benutzen, aber jetzt haben sie dich. Ich kann nur hoffen, dass ich mich eines Tages als würdig erweise, ein Nest zu sein.«

Der schwangere Kobold ächzte. Eine rötliche Flüssigkeit traf Amber, als hätte jemand einen Eimer über ihr ausgekippt. Als der Gestank bei ihr ankam, presste sie die Lippen zusammen, hielt die Luft an und drehte den Kopf zur Seite.

Axton weinte. »Ein Wunder der Natur«, schluchzte er.

Amber lenkte den Blick zurück auf den Boggel, da dessen Pressen intensiver wurde. Als sein Bauch sich wölbte und ein Ei zum Vorschein kam, versuchte Amber, sich an ihren mentalen Rückzugsort zu flüchten. Nur dass es keinen Rückzugsort gab. Es gab lediglich den Boden eines Kaufhauses bei Nacht und das pelzige Monster, das seine Eier auf ihrem Bauch ablegte.

Das erste Ei ploppte heraus. Es war grau marmoriert und bedeckt mit einer zähen, schleimigen Flüssigkeit. Es blieb auf ihrem Bauch liegen. Der Boggel presste erneut und ein zweites Ei erschien.

»Wie viele?«, fragte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Axton hob eine Augenbraue. »Bitte? Was hast du gesagt?«

»Wie viele Eier?«

»Ah, normalerweise sechs, aber ich habe auch schon gesehen, dass sie neun gelegt haben.«

Amber lag da und versuchte, nicht durch die Nase zu atmen, während weitere Eier herausploppten und die klebrige Schweinerei auf ihrem Bauch vergrößerten. Ein paar Boggel standen dicht neben ihr, die Augen auf die Eier geheftet. Alle trugen Krawatten und standen da wie werdende Väter. Sie waren klein, pelzig und sahen alle gleich aus.

Der schwangere Boggel war fertig und brach zusammen, doch andere fingen ihn auf, bevor er auf den Boden rutschte. Sie trugen den Kobold wie beim Crowdsurfing über ihren Köpfen, wenn auch vollkommen ernst, und legten ihn dann hinter einem Verkaufsständer ab. Amber zählte die Eier. Es waren sieben.

»Wie lang?«, fragte sie Axton.

»Nur ein paar Augenblicke«, antwortete er und kritzelte etwas in ein kleines Notizbuch. »Versuche, dich möglichst nicht zu rühren. Wenn du dich zu stark bewegst, wird ihnen übel, sobald sie geschlüpft sind.« Er schaute auf seine Uhr.

Eines der Eier bekam einen Sprung und Axton kritzelte hektisch.

Eine klauenbewehrte Faust stieß von innen ein Loch in die Schale und der Baby-Boggel zwängte seinen schleimbedeckten, pelzigen Kopf durch. Er blickte sich mit großen Augen und irrem Blick um, was der versammelten Menge ein vielstimmiges Ooooohhh entlockte. Aus einem anderen Ei kam ebenfalls eine Faust und plötzlich war ein Wettrennen im Gang, wer als Erster herauskrabbeln würde.

Amber war es gleichgültig, doch ein Baby-Boggel nach dem anderen tauchte auf und einige zerkratzten ihr bereits mit ihren scharfen Krallen den Bauch. Als das letzte Baby schlüpfte, brachen die Krawattenträger in Jubel aus. Amber beobachtete, wie einer der kleinen Teufel Zigarren verteilte. Ein anderer hatte ein Feuerzeug und bald pafften sie alle wie stolze Väter, wobei sie sich in dieser unsinnigen Sprache miteinander unterhielten.

Amber beobachtete, wie sie an ihren Zigarren zogen und die Rauchwolke langsam nach oben stieg …

Eine Sirene heulte los und die Sprinkleranlage wurde ausgelöst. Sämtliche Boggel blickten zur Decke hinauf, um zu sehen, woher das viele Wasser kam. Amber drehte sich um, fegte die zwitschernden Babys auf den Boden und rappelte sich auf. Axton sah sie kommen und stieß einen Schrei aus. Er rannte los und sie folgte ihm. Dicht hinter ihr blitzten Messer auf. Er rutschte auf dem nassen Boden aus und sie packte ihn, schwang ihn herum und benutzte ihn als Schild, als die Boggel näher kamen.

»Sag ihnen, sie sollen sich verziehen!«, befahl sie und schüttelte ihn kräftig. »Sag ihnen, sie sollen sich verziehen!«

»Ah wien oh Schah!«, rief Axton über dem Heulen der Alarmanlage. »Ah wien oh schah, kah plemby!«

Die Boggel rückten näher.

»Was hast du ihnen gesagt?«, fauchte Amber ihm ins Ohr, als sie ihn nach hinten schleifte.

»Was du mir aufgetragen hast«, erwiderte Axton. »Sie gehorchen nur nicht.«

»Warum zum Teufel nicht?«

»Keine Ahnung.« Er lauschte auf das Gebrabbel der Boggel. »Ich … ich glaube, sie mögen mich nicht.«

»Im Ernst?« Amber spuckte Wasser.

»Außerdem mögen sie es nicht, wenn sie nass werden. In der Regel bekommen sie dann furchtbar schlechte Laune. Das …« Er blickte zu den Sprinklern hinauf, die immer noch Wasser spien. »Das ist ganz schlecht.«

Die Boggel kreischten wie ein Mann in mordlüsterner Wut und der ganze Schwarm rückte an. Amber wirbelte herum, Axton dicht hinter ihr.

Sie rannten, rutschten aus und stolperten auf ihrer Flucht. Die Kobolde nahmen die Verfolgung auf, kreischten, schnappten zu und schwangen ihre Messer. Im Gang der Abteilung für Unterhaltungselektronik kam etwas weniger Wasser von oben. Aus den Sprinklerdüsen schossen stattdessen Funken wie bei einem Feuerwerk. Die Boggel blieben stehen und blickten staunend zur Decke hinauf.

Amber und Axton liefen weiter, ein gutes Stück in die Lebensmittelabteilung hinein. Dort stieß Amber Axton in der Mitte eines Gangs hinter eine Kühltruhe und fiel neben ihm auf die Knie.

Sie packte seine Hemdbrust und drehte den Stoff zusammen. »Wie halten wir sie auf?«

»Wir rennen«, antwortete Axton keuchend. »Wir steigen am besten in ein Auto und fahren davon. Sie können uns nicht folgen. Sie können zwar Maschinen bedienen, aber nicht sehr gut. Es liegt an ihrer kurzen Aufmerksamkeitsspanne – sie bauen ständig Unfälle.«

»Wir werden sie nicht einfach hier zurücklassen«, bestimmte Amber. »Sie bringen Leute um. Sie breiten sich aus.«

Es kam kein Wasser mehr, doch die Sirene heulte weiter. Axton blinzelte sie an. »Ja und?«

»Ich will nicht, dass unschuldige Menschen sterben«, informierte sie ihn.

»Was kümmert dich das? Du bist Astaroths Stellvertreter. Unschuldige Menschen zu retten ist nicht unbedingt dein Job.«

»Ja okay, ich verändere meine Jobbeschreibung etwas. Wie halten wir sie auf?«

»Gar nicht. Es sind zu viele.«

Amber widerstand der Versuchung, ihn zu erwürgen. »Können wir sie alle an einen Ort locken? Gibt es etwas, dem sie nicht widerstehen können? So was wie Katzenminze für Boggel?«

»Nein … nicht dass ich wüsste.«

Sie beugte sich über ihn. »Du hast gezögert. Es gibt etwas.«

»Ich … ich habe mir immer große Mühe gegeben, sie von Alkohol fernzuhalten. Sie reagieren … ungesund darauf.«

»Inwiefern ungesund?«

Axton wirkte hin- und hergerissen und Amber haute ihm eine rein.

»Au! Warum hast du das getan?«

»Weil du ein Ohrfeigengesicht hast und weil du mir etwas verheimlichst.«

»Okay«, murmelte er. »Ich habe fünf Boggel in einem kontrollierten Umfeld Alkohol trinken lassen, um die Auswirkungen auf sie beobachten zu können. Keiner hat überlebt.«

Sie runzelte die Stirn. »Alkohol tötet sie?«

»Nein, sie werden davon betrunken, und das sehr schnell. In betrunkenem Zustand streiten sie und bringen sich gegenseitig um. Anfangs dachte ich, der Alkohol würde lediglich ihre Gewaltbereitschaft erhöhen. Dann erkannte ich, dass er sie nur zu noch größeren Arschlöchern macht, als sie ohnehin schon sind.«

»Sie werden betrunken, sie ärgern sich gegenseitig und bekämpfen sich, bis alle tot sind«, fasste Amber zusammen. »Das ist doch definitiv ein Schwachpunkt. Und wie bringen wir sie zum Trinken?«

»Also … das sollte kein Problem sein. Du brauchst ihnen nur Alkohol zu zeigen, alles andere übernehmen sie.«

Amber sprang auf und riss Axton mit hoch.

»Und wie sieht dein Plan jetzt aus?«, fragte er, als sie ihn wieder hinter sich herschleifte. »Du führst sie in die Getränkeabteilung? Wo soll ich warten? Ich kann da drüben warten, wenn du willst.«

»Du kommst mit.«

»Ist das denn klug? Wie du gesehen hast, bin ich zu nicht viel zu gebrauchen, wenn es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt.«

»Ist es meine Schuld, dass du deine Seele verkauft hast, um ein größerer Trottel zu werden, als du ohnehin schon warst?«

»Ich … wahrscheinlich nicht.«

»He!«, rief Amber über das Heulen der Sirene hinweg, »He, Boggel! Hier sind wir! Kommt und fangt uns!«

Hinter sämtlichen Ecken tauchten nasse Koboldköpfe auf und plötzlich waren die Gänge voller Boggel. Sie patschten mit ihren kleinen Füßen durchs Wasser und kamen immer näher.

Amber zog Axton nach hinten und sie rannten wieder los, vorbei an tiefgefrorenem Fleisch, an Chips und Soßen und hinein in die Wein-, Schnaps- und Bierabteilung. Erst ganz hinten hielten sie an und drehten sich um – und sahen die Boggel wie eine Welle um die Ecke schwappen und auf sie zurollen.

Dann merkten die kleinen Teufel, wo sie waren. Sie sahen die vielen Flaschen mit Alkohol ringsherum und die Welle verebbte nach und nach. Die Sirene hörte auf zu heulen. Von den Reihen der Kobolde stiegen gurgelnde Jubelrufe auf. Amber und Axton entfernten sich rückwärts, sie waren bereits vergessen.

Das Gelage, der Streit und das Gemetzel dauerten eine Viertelstunde, dann sank der letzte Kobold zu Boden und spießte sich an einer zerbrochenen Bierflasche auf.

»Was für ein Trauerspiel.« Axton wischte sich eine Träne von der Wange. »Was für ein tragischer Verlust.«

»Sie wollten dich umbringen«, erinnerte Amber ihn.

»Stimmt, aber die Schuld kannst du wohl kaum …«

Amber versetzte ihm einen Kinnhaken, worauf er bewusstlos zusammensackte.

»Nein«, erwiderte sie, »wahrscheinlich nicht.«

Sie ging zurück in die Sportabteilung, ersetzte ihre nassen, zerfetzten Kleider durch eine trockene Yogahose und ein Tanktop und schlüpfte in neue Turnschuhe. Bis sie angezogen war, hatte sie ihre Schuppen wieder unter Kontrolle. Sie packte Axton am Hemdkragen und schleifte ihn hinter sich her in Richtung Ausgang.

Auf halbem Weg blieb sie stehen, wuchtete Axton ein paar Schritte zurück und ließ ihn fallen. Dann schlenderte sie zu dem großen Verkaufstresen, an dem Milo Sebastian festgebunden war.

»Hey«, sagte sie.

»Hey«, sagte Milo. Wie alles andere an ihm waren auch sein dunkles, mit grauen Strähnen durchsetztes Haar und die Bartstoppeln auf seinem kantigen Kinn nass, sodass er aussah wie ein älteres Model für Aftershave, das gerade aus dem Pool kam.

»Das mit der Sprinkleranlage tut mir leid«, entschuldigte sich Amber.

»Das warst du?«

»Im weitesten Sinn.«

»Und das ganze Gegröle und Gekreische?«

»Ich habe sie betrunken gemacht«, erklärte sie ihm. »Die Boggel. Ich habe sie betrunken gemacht und gewartet, bis sie sich gegenseitig umbringen. Gewalttätige kleine Teufel.«

Milo ächzte. »Richtig. Und Axton?«

Sie verwandelte einen ihrer Finger in eine Kralle und schnitt die Seile durch. »Er ist da drüben. Stell dir vor, er hat sie erforscht. Er kennt sich viel zu gut mit ihrem Paarungsverhalten aus. Wusstest du, dass sie Eier legen?«

Milo stand auf und wischte sich den Schleim von der Brust. »Oh ja, das weiß ich.«

»Sie haben Eier auf dir abgelegt, stimmt’s?«

»Genau. Auf dir auch?«

»Nö. Sie haben’s versucht, aber ich bin ihnen entkommen.«

»Glück gehabt. Es war … ekelerregend.«

»Das kann ich mir vorstellen. Die Klamottenabteilung ist hinter mir. Du kannst dir ein trockenes Hemd holen. Vielleicht eines, das nicht zerrissen ist. Ich liefere derweil Axton ab.«

Milo nickte. »Wir treffen uns dann am Wagen.« Damit verschwand er.

Als sie Axton auf den Parkplatz hinausschleifte, hörte sie Sirenen näher kommen. Die Feuerwehr von Kingston Valley war nicht die schnellste, das musste mal gesagt werden. Amber ließ Axton hinter einer Mauer fallen und ritzte sich mit ihrer Kralle in die Handfläche. Das Blut floss in einem stetigen Strom und sie drehte sich auf der Stelle und malte um sich und Axton einen Kreis aus Blut. Als der Kreis vollständig war, ging das Blut in Flammen auf, und sie waren nicht mehr in Kalifornien.

4

Sie befanden sich in einem Schloss mit hohen gemauerten Wänden, die in die Dunkelheit über ihren Köpfen hineinragten. Die Wände waren mit Teppichen geschmückt und mit Buntglas durchsetzt. Ein kalter Wind wehte durch das Schloss und trug ihnen die Schreie und das Schluchzen der Verdammten zu. Amber warf Axton aus dem Feuerkreis und er kam wieder zu sich, als er auf dem Boden aufschlug.

Es dauerte einen Moment, bis er begriff, wo er war. Seine Augen weiteten sich und er wirbelte herum.

»Nein«, flehte er. »Bitte nicht.«

Aus einem der fünf Bogengänge näherten sich Schritte. Axton versuchte, in den Kreis zurückzukriechen, doch Amber trat heraus und schob ihn weg, als Großmaul Fool in die Kammer führte.

Das Fleisch unter Großmauls halb abgezogener Haut glänzte wie bei einer frischen Wunde, und immer noch tropfte Blut von den Haken, die die Hautschichten an Ort und Stelle hielten. Sein Unterkiefer war mit Draht und Faden wieder am Schädel befestigt worden und schwang bei jedem seiner Schritte auf und ab. Hinter ihm kam Fool, ein geschlechtsloses Wesen in einer Patchwork-Robe. Er war mit Glassplittern geblendet worden, die immer noch aus seinen geschlossenen Augenlidern ragten. Auf seinem kahlen Schädel lag Asche und sein Mund war mit Lippenstift verschmiert. Er schnupperte und fletschte dabei seine Scherbenzähne.

»Amber Lamont«, sagte er. »Und … Oooooooh. Axton, Axton, Paul Axton. Ich erinnere mich an dich, Paul Axton. Du wolltest meinen Meister austricksen. Du wolltest weglaufen.«

»Es war ein Missverständnis«, verteidigte sich Axton. »Nichts weiter als ein Missverständnis. Ich schwör’s!«

»Warum bist du dann weggelaufen?«

»Ich bin in Panik geraten. Ich bekam Angst. Es besteht wirklich kein Grund …«

Amber haute ihm eine rein, damit er den Mund hielt. »Ich muss zu Astaroth«, sagte sie. »Nur auf ein Wort. Mehr will ich nicht.«

Fool runzelte die Stirn. »Bezüglich welcher Angelegenheit?«

»Bezüglich meiner Person, Fool.«

»Ich werde Lord Astaroth melden, dass du hier bist«, erwiderte Fool und zog an Großmauls Kette. Großmaul eilte voraus, Fool folgte und beide verschwanden durch einen breiten Riss in der Wand. Im Gegensatz zu Fool kannte Amber die Abkürzungen nicht – sie fand kaum den üblichen, langen Weg –, weshalb sie Axton vor sich herschob und losmarschierte.

Fool und Großmaul erwarteten sie bei der hohen Doppeltür.

»Lord Astaroth ist bereit, dich zu empfangen«, verkündete Fool.

Die Türflügel schwangen auf und Amber schleifte Axton in einen großen Saal mit verspiegelten Wänden. In der Mitte führten zehn Stufen hinauf zum Thron des Leuchtenden Dämons. Und da saß er, Astaroth, und blickte auf sie herab. Orangefarbenes Licht strudelte wie Lava unter seiner Haut.

Axton fiel auf die Knie. »Lord Astaroth, verzeih mir meine Dummheit.«

Astaroth ignorierte ihn, wandte sich stattdessen Amber zu. »Mir scheint, du wirst ungeduldig.«

Sie warf kurz einen Blick auf Fool, der den Kopf gesenkt hielt. »Nicht ungeduldig, Lord Astaroth, nur … ich möchte nur gern zum Zug kommen. Du hast mich losgeschickt, meine Eltern zu suchen, aber jedes Mal, wenn ich ihnen dicht auf den Fersen bin, muss ich mich um Leute wie den hier kümmern.«

»Und das ärgert dich?«

»Es ist nur so … ich habe das Gefühl, wenn ich mich auf meine Eltern konzentrieren könnte, könnte ich sie dir viel schneller bringen.«

»Und du willst natürlich deine Rache.«

Sie sah keinen Sinn darin zu lügen. »Ja.«

»Du bist ungeduldig«, wiederholte Astaroth. »Für mich ist noch nicht einmal ein Augenblick vergangen, seit deine Eltern geboren wurden. Du misst der Zeit eine viel zu große Bedeutung bei, als spielte die Zeit an diesem Ort oder für diejenigen, die hier leben, auch nur die geringste Rolle. Deine Eltern werden mir nicht entkommen. Mehr brauchst du nicht zu wissen.«

Amber verneigte sich. »Jawohl, Lord Astaroth.«

»Du möchtest mir noch etwas sagen.«

Sie blickte zu ihm auf. »Meister?«

»Sprich, Mädchen.«

Ein kurzes Zögern. »Ich habe meine Pflichten erfüllt, Meister, doch gelegentlich musste ich auf die zusätzlichen Kräfte zurückgreifen, die du dafür bereitgestellt hast.«

»Du hast die Fläschchen mit meinem Blut getrunken.«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Zwei, mein Gebieter.«

»Und du möchtest mehr.«

»Nein, mein Gebieter, ich … ich möchte nicht mehr. Dein Blut macht mich stärker, und es ist … berauschend, aber ich habe, äh, ich habe Dinge gesehen und gehört. Halluzinationen. Ich war …«

»Du fürchtest, den Verstand zu verlieren«, unterbrach sie Astaroth.

»Ja, mein Gebieter.«

Astaroth lächelte. »Du bist mein Stellvertreter. Als solcher musst du offen sein für unterschiedliche Denkweisen, für neue Möglichkeiten, Informationen zu verarbeiten. Mein Blut hilft, diese Fähigkeit zu verbessern.«

»Dann werde ich also nicht verrückt?«

»Oh doch, das wirst du auf jeden Fall. Aber solange du mir nützlich bist, wirst du am Leben bleiben.«

»Aber … aber, Lord Astaroth …«

»Fort mit dir, du kleine Kröte«, befahl der Leuchtende Dämon und wandte sich Axton zu. »Ich muss mich anderen Dingen widmen.«

Amber zögerte, ging dann aber hinaus, bevor Axton zu schreien begann. Das Geschrei mochte sie nicht.

5

Amber kehrte zu der Mauer hinter dem Kaufhaus zurück. Der Feuerkreis um sie herum erlosch und sie blieb erst einmal, wo sie war, die Hände zu Fäusten geballt. Helles Licht strich in rhythmischen Schwüngen über den Himmel. Die Feuerwehr von Kingston Valley war eingetroffen. Vielleicht entdeckten die Feuerwehrleute genau in diesem Moment drinnen die augenlose Leiche des Wachmannes oder sie betrachteten verwundert die vielen Dutzend kleinen, pelzigen Körper, die in Pfützen aus Wasser und Whiskey lagen.

Sollten sie doch. Amber wusste nicht, wie die zivile Welt auf den Horror der Demon Road reagieren würde. Sie hatte keine Ahnung, wen die Leute rufen oder was sie tun würden. Es kümmerte sie auch nicht.

Sie sprang über die Mauer und ging zu dem Dodge Charger, der am Straßenrand parkte. Der Kofferraumdeckel sprang auf, als sie sich näherte, und sie verwandelte sich zurück. Verschwunden war die einen Meter achtzig große, rothäutige Göttin; an ihre Stelle getreten war ihr kleineres Gegenstück, das Mädchen mit dem braunen, zerzausten Haar, deren Bauch sich unter dem Tanktop wölbte. Ihr Gesicht wies nicht länger die hohen Wangenknochen, die perfekte Nase und die vollen Lippen auf, sondern nahm seine normale, weniger hübsche Form wieder an. Vor Monaten hätte die Rückverwandlung Amber deprimiert, doch jetzt gab es jemanden, der diese Version Ambers schön fand: ein Mädchen mit Sleeve-Tattoos und einem Lächeln so frech wie ihr Sinn für Humor.

Bei dem Gedanken an Kelly musste Amber lächeln. Doch dann fiel ihr wieder ihr letztes Gespräch ein, bei dem Kelly erfahren hatte, dass Amber einwilligte, Stellvertreterin des Leuchtenden Dämons zu werden, und das Lächeln verblasste und verschwand schließlich ganz.

Sie öffnete eine ihrer Taschen, holte Jogginghose und T-Shirt heraus und zog sie über ihrer Sportkleidung an. Dann kramte sie nach ihrem Handy, das ganz unten lag. Sie hatte es erst seit drei Wochen und schon war das Display gesprungen. Sie steckte es in ihre Tasche, schloss den Kofferraum und setzte sich auf den Beifahrersitz des Chargers.

»Alles erledigt?«, fragte Milo, als er den Zündschlüssel umdrehte. Der Charger sprang mit einem Röhren an.

»Selbstverständlich«, antwortete sie.

Sie ließen die blinkenden Lichter hinter sich. »Hat er etwas Wichtiges gesagt?«

Amber schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich.«

»Hast du ihm gesagt, was dir zu schaffen macht?«

»Er ist nicht mein Therapeut.«

»Hast du ihn wegen der Halluzinationen gefragt?«

»Hab ich. Er meinte, das sei zu erwarten gewesen.«

»Dann sind es Nebenwirkungen, die er nicht erwähnenswert fand?«

»Wir hatten keine Zeit, so ins Detail zu gehen, Milo. Das Blut macht mich stärker, bewirkt aber auch noch andere Dinge. Er sagt, es macht mich offen für neue Arten, Informationen zu verarbeiten.«

»Was soll das heißen?«

»Keine Ahnung.«

Eine ganze Weile schwieg Milo. Dann: »Das Blut ist gefährlich. Wie viele Fläschchen hast du getrunken, seit wir Desolation Hill verlassen haben? Zwei? Das macht zwei in vier Wochen.«

»Die Situation hat es jedes Mal erfordert.«

»Ich widerspreche dir ja gar nicht. Das zweite Fläschchen hast du vor vier Tagen getrunken. Hattest du seither Halluzinationen?«

Amber schaute aus dem Fenster. »Nein.«

»Und du hast auch keine Stimmen mehr gehört?«

»Ich hab’s dir schon mal gesagt, Milo, mach dir meinetwegen keine Gedanken. Wir brauchen uns wegen des Bluts keine Sorgen zu machen, okay? Das hat Astaroth gesagt. Er hat erklärt, es gäbe keine Halluzinationen mehr. Er meinte, mit mir sei alles in Ordnung. Jetzt können wir uns ganz auf die Jagd nach meinen Eltern konzentrieren.«

»Und darauf, deinen Pakt mit Astaroth zu brechen.«

Sie seufzte. »Ja, auch das. Aber könntest du jetzt deine Belehrungen einstellen? Du bist schließlich nicht mein richtiger Onkel. Das behaupten wir nur, damit die Leute uns nicht schief anschauen. Ich brauche keine Belehrungen. Mich muss man nicht verhätscheln und ganz gewiss braucht man mich nicht daran zu erinnern, wie tief ich in der Scheiße stecke.«

»Okay.«

»Können wir das Thema wechseln?«

»Sicher.«

»Danke.«

»Wie geht’s dem Boss so?«

Amber wollte aufbrausen, beherrschte sich aber. »Können wir bitte aufhören, ihn so zu nennen?«

Milo schaute sie an. »Wie sollen wir ihn denn nennen?«

»Astaroth. Leuchtender Dämon. Ein Höllenfürst. Das große brennende Arschloch. Mir egal, nur nicht der Boss. Weshalb nervst du mich damit? Es ist schließlich deine Schuld, dass ich für ihn arbeite. Hättest du dich nicht schnappen lassen, hätte ich nie meine Knechtschaft gegen dein Leben eintauschen müssen. Ich habe dich gerettet, und dir fällt nichts anderes ein, als mir das Leben schwer zu machen. Herr im Himmel, das hat mir gerade noch gefehlt.«

Eine Weile fuhren sie schweigend weiter. Es war schön, das Schweigen, doch dann musste Milo es kaputt machen. »Hast du je daran gedacht, dass du mich vielleicht nicht hättest retten sollen? Dass ich es vielleicht verdient hätte, in der Hölle zu schmoren, für all die unschuldigen Menschen, die ich getötet habe?«

»Nein, Milo.« Sie kam sich dämlich vor, weil sie die Beherrschung verloren hatte. »Das habe ich nicht. Du bist aus dem Tritt gekommen. Du hast deine Seele an den Flüsternden Dämon verkauft oder wie immer er heißt …«

»Demoriel.«

»Egal. Du hast ihm deine Seele verkauft – wofür du deine Gründe gehabt haben musst –, und er hat dich zum Dämon gemacht. Die Leute, die du als Highway-Gespenst getötet hast, sie … sie …«

»Wirst du mir sagen, sie zählen nicht, nur weil ich mich nicht an sie erinnern kann?«

Amber seufzte. »Nein, das werde ich nicht. Natürlich zählen sie. Und was du getan hast, war natürlich … schlimm. Aber es ist zwölf Jahre her. Du bist ein anderer geworden. Und es tut mir leid, wenn du glaubst, ich hätte zulassen sollen, dass Astaroth dich für zehntausend Jahre Folter an Demoriel ausliefert, während Astaroth mich foltert. Ich tue es nicht, und solange ich dein Gehalt bezahle, machst du, was ich …«

»Du hast mich seit über vier Wochen nicht mehr bezahlt.«

»Echt?«

»Echt. Ich bleibe nicht wegen des Geldes bei dir, sondern weil ich Imelda versprochen habe, dass ich auf dich aufpasse, und weil ich dich nicht einfach im Stich lasse, wenn du Hilfe brauchst.«

»Oh. Danke. Ich lass dich auch nicht im Stich.«

»Genau.«

»Dann sieht es wohl so aus, als müssten wir es miteinander aushalten.«

»So sieht es aus.«

»Können wir das Gespräch dann beenden? Es ist spät, ich bin müde und gereizt und ich habe immer noch Koboldschleim auf dem Bauch.«

»Hast du nicht gesagt, sie hätten ihre Eier nicht auf dir abgelegt?«

»Ja schon. Ich wollte einfach, dass du dich als was Besonderes fühlen kannst.«

Sie fuhren bis zu den äußersten Randbezirken von Kingston Valley und dort zum Catching Z’s-Motel, einem L-förmigen Bau mit einem Imbiss davor. Der Charger knurrte, als sie an einer riesigen alten Truck-Zugmaschine vorbeikamen, die zwei Behindertenparkplätze einnahm.

Sie parkten in der Nähe der Rezeption, nahmen ihre Übernachtungstaschen und gingen hinein. Der Manager saß hinter dem Tresen und las in einem zerfledderten Taschenbuch. Er hatte große Ohren. Mehr fiel Amber wegen der Größe der Ohren an ihm nicht auf. Es waren sehr große Ohren.

»Zwei Zimmer bitte«, sagte Milo. Amber stellte ihre Tasche neben sich ab und legte das Geld auf den Tresen.

Ein Mädchen kam herein – hübsch, blond und ungefähr in Ambers Alter. Sie stellte sich neben sie, griff sich eine Broschüre und blätterte darin herum.

»Haben Sie Zimmerservice?«, fragte sie den Manager, als er mit den Schlüsseln zurückkam.

»Bitte?«

»Zimmerservice«, wiederholte das blonde Mädchen. »Gibt es das hier?«

»Äh, nein.«