Der Bergpfarrer – 438 – Wo viel Licht ist, ist auch Schatten ...

Der Bergpfarrer
– 438–

Wo viel Licht ist, ist auch Schatten ...

Rätsel um die neue Krankenschwester test

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-475-1

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»Grüß Gott, Frau Maierhofer. Na, wie geht es Ihnen denn heute?« Lächelnd trat Julia Lembach an das Bett der älteren Frau mit dem grauen dauergewellten Haar.

Die lag aber weiterhin reglos da und starrte gegen die Decke des Krankenhauszimmers.

Julia unterdrückte ein Seufzen. Die 29-jährige Krankenschwester hatte schon von ihren Kolleginnen gehört, dass Frau Maierhofer, die zusammen mit dem erwachsenen Sohn den Hof des schon vor Jahren verstorbenen Mannes weiterführte, keine einfache Patientin war.

Sie war am vergangenen Freitagvormittag stationär in der Berg­klinik auf der Nonnenhöhe aufgenommen worden, kurz nachdem Julia sich nach ihrem Nachtdienst ins Wochenende verabschiedet hatte.

Wie ihre Kolleginnen ihr berichtet hatten, hatte die Bäuerin im Rentenalter schon lange über Erschöpfung und Schwindelanfälle geklagt, war aber nie zu einem Arzt gegangen. Als es dann schließlich schlimmer geworden war, hatte sie sich auch noch mit Händen und Füßen geweigert, in die Klinik zu gehen, nachdem Dr. Wiesinger aus St. Johann eine schwere Blutarmut bei ihr diagnostiziert hatte.

Am Ende hatte es des guten Zuredens von Pfarrer Trenker bedurft, um sie zur Vernunft zu bringen.

Jetzt blickte Frau Maierhofer sie irritiert an. »Wo ist denn Ihre Kollegin?«, fragte sie.

»Schwester Beate hatte nur Wochenenddienst«, erklärte Julia. »Jetzt bin ich für Sie da, Frau Maierhofer. Mein Name ist Schwester Julia.«

»Na, wenigstens haben Sie gefragt, wie es mir geht. Diese Schwester Beate dagegen fragt immer ›Na, wie geht es uns denn heute?‹ Die grauhaarige Patientin schüttelte den Kopf. »Eine dämliche Frage. So redet man doch höchstens mit Kleinkindern!«

Da musste Julia lachen. »Aber Schwester Beate ist doch auch sehr freundlich, net wahr?«

»Ach was!« Grimmig winkte die Patientin ab. »Die hat nur Mode und Schminke im Kopf, genau wie meine Schwiegertochter!«

»Sie hält net viel von ihrer Schwiegertochter, müssen S‘ wissen, Schwester Julia«, sagte Hildegard Hornung, die Dame aus dem Nachbarbett des hellen Zweierzimmers, die soeben aus dem Badezimmer kam. Frau Hornung war schon seit einer Woche in der Klinik. »Das ganze Wochenende hat sie nur auf das arme Ding geschimpft.«

»Das arme Ding, pah!«, gab Maria Maierhofer aufgebracht zurück. »Das arme Ding hat sich doch meinen Sohn nur um den Finger gewickelt, um sich am Ende den Hof unter den Nagel zu reißen!« Leiser fuhr sie fort: »Mein Thomas ist nämlich zu gutgläubig, müssen S‘ wissen, Schwester Julia. Und deshalb muss ich auch so schnell wie möglich zurück nach Hause. Einer muss doch nach dem Rechten dort sehen!«

»Na, na, Frau Maierhofer«, wandte Julia ein. »Vor allem müssen Sie zu allererst einmal gesund werden. Das ist jetzt das Wichtigste. Und danach können Sie weitersehen.«

»Aber …«

Doch da war Julia resolut. »Nein, kein Aber. Wie ich hörte, sind sie ohnehin viel zu spät zum Arzt gegangen, net wahr?«

»Was heißt zu spät?« Die alte Bäuerin, die sich inzwischen aufgerichtet hatte, wobei Julia ihr geholfen hatte, das Kopfkissen zu richten, zuckte die Achseln. »Zeit meines Lebens habe ich Ärzte gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Die einzige Medizin, die ich genommen habe, habe ich mir selbst verabreicht. Und zwar in Form von Kräutern und Heilwassern. Und soll ich Ihnen was sagen, Schwester Julia? Ich bin damit immer gut gefahren, jawohl! Und das wäre auch so geblieben, das sag ich Ihnen. Bloß hat man mich jetzt ja gedrängt, zum Arzt zu gehen, und wohin hat es mich gebracht? Hierher, ins Krankenhaus!«

»Na«, sagte ihre Zimmergenossin, »da möchte ich ja mal wissen, wie Sie sich selbst die Eisen- und Blutinfusionen verabreichen wollten, so ganz ohne Arzt. Und dass Sie die bitter nötig hatten, steht ja wohl fest! Du lieber Himmel, als Sie am Freitag zu mir ins Zimmer kamen, hab ich Sie ja kaum von der Bettwäsche hier unterscheiden können, so weiß waren Sie im Gesicht!«

Unwirsch winkte die Bäuerin ab. »Ach, papperlapapp! Jeden Tag einen Teelöffel Kräuterelixir, und ich wäre in drei Wochen wieder auf der Höhe gewesen! Stattdessen lieg ich nun hier, und daheim auf dem Hof geht alles den Bach runter.«

»Natürlich spricht nichts dagegen, wenn man bei gewissen Beschwerden auch auf die Heilmittel der Natur setzt«, erklärte Julia. Sie selbst vertraute auf die Schulmedizin, stand aber auch natürlichen Methoden offen gegenüber. Ihrer Meinung nach sollte man weder das Eine noch das Andere verteufeln; dass gerade ältere Menschen auf dem Land Ärzten sehr kritisch gegenüberstanden, wusste sie allerdings auch. Deshalb hielt sie es für das Beste, die Sorgen der Bäuerin ernst zu nehmen und die Frau keineswegs für ihre Ansicht zu verurteilen. Damit würde sie nichts erreichen. »Allerdings sollten wir auch die Möglichkeiten, die die Schulmedizin uns bietet, nutzen. Ich habe ja eben auch schon mit dem Stationsarzt gesprochen, Frau Maierhofer. Und ich kann Ihnen versichern, dass es mit ein bisschen Kräutersaft nicht mehr getan gewesen wäre. Ihre Blutwerte waren sehr schlecht. Ohne fachgerechte Behandlung wären Sie in spätestens zwei Wochen einfach umgefallen. Und was hätte Ihr Sohn dann gemacht? Stellen Sie sich doch bloß vor, wie groß der Schock für ihn gewesen wäre.«

Dafür hatte Maria Maierhofer lediglich ein skeptisches Schulterzucken übrig.

»Wichtig ist jetzt vor allem, dass Sie erst einmal wieder zu Kräften kommen«, fuhr Julia fort. »Dafür sorgen die Infusionen, die Sie in den nächsten Tagen weiterhin bekommen. Und dann muss geschaut werden, woher Ihre Blutarmut kommt, denn es bringt nichts, nur die Symptome zu behandeln. Vielmehr muss der Ursache auf den Grund gegangen werden.« Sie legte der Patientin eine Hand auf den Unterarm. »Und solange sollten Sie sich net zu viel Gedanken um den Hof machen«, riet sie. »Ich bin sicher, Ihr Sohn kommt auch mal eine Weile ohne Sie zurecht.«

»Das sagen Sie so leicht! Ich hab doch niemanden, der da mal nach dem Rechten schauen könnte.«

Julia dachte kurz nach. »Wenn Sie einverstanden sind, könnte ich ja mal mit Pfarrer Trenker sprechen«, schlug sie schließlich vor. Da sie wusste, dass es dem »Bergpfarrer«, wie er von den Leuten in der Umgebung liebevoll genannt wurde, immerhin gelungen war, die Bäuerin dazu zu bewegen, letztendlich doch zum Arzt zu gehen, schien er einen gewissen Draht zu ihr zu haben. »Sicher ist er bereit, ab und zu mal bei Ihnen auf dem Hof nach dem Rechten zu sehen.«

Da fingen die Augen der älteren Frau an zu leuchten. »Das würden Sie für mich tun?«, fragte sie beinahe ungläubig.

Julia lächelte. »Aber sicher doch«, sagte sie. »Wenn ich Ihnen damit wenigstens ein bisserl helfen kann …

»Oh ja, das würden Sie«, erwiderte Maria Maierhofer und nickte ihr zu. »Da dank ich Ihnen recht schön, Schwester Julia.«

*

Als sie ihren Dienst am späten Nachmittag beendete, atmete Julia Lembach erleichtert auf. Der erste Arbeitstag nach einem Wochenende war immer besonders stressig, fand sie. Da musste man sich erst wieder in die Arbeit hineinfinden und war noch irgendwie im »Wochenend-Modus«.

Wobei von Stress in dieser Klinik, im Vergleich zur Klinik in München, in der sie vorher einige Jahre gearbeitet hatte, eigentlich keine Rede sein konnte.

Natürlich ging es auch hier mal turbulenter zu, und natürlich musste es auch hier bei Notfällen sehr schnell gehen, und manches war auch mal nicht perfekt organisiert, aber das war im Klinikalltag normal und ließ sich nicht ganz vermeiden.

Ansonsten aber war sie vom ersten Tag an überrascht darüber gewesen, wie menschlich es hier in der Klinik zuging. Jeder Arzt und jede Schwester kannte den Namen jedes Patienten, auf seiner Station, ohne in irgendwelche Akten blicken zu müssen, es wurde sich auch ungewöhnlich viel Zeit für Patienten genommen und auch einfach mal private Gespräche geführt oder sich über das Wetter unterhalten. Dabei wurde dann auch noch viel gelacht, es herrschte eine richtige Herzlichkeit.

Hier waren die Patienten keine Nummern, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, auf die man einging, und zwar auch auf die Sorgen und Nöte, die nicht direkt etwas mit der jeweiligen Erkrankung zu tun hatten.

Und das zog sich durch die gesamte Klinik. Der Leiter der Bergklinik Nonnenhöhe, Professor Bernhard, den Julia gleich an ihrem ersten Tag persönlich kennengelernt hatte, war nicht nur Experte im Bereich der internistischen Medizin – überall auf der Welt hatte er schon Patienten behandelt und zudem zahlreiche Studenten als Doktorvater begleitet. Aber trotz allem war er jemand, der sich auch für die persönlichen Belange seiner Patienten interessierte und zudem ein ausgesprochen freundlicher Mann.

Aus all diesen Gründen betrachtete Julia es auch als absoluten Glücksfall, dass sie vor knapp einem Moment hier in der Klinik angefangen hatte. Wobei man das, was sie letztendlich nach St. Johann gebracht hatte, alles andere als mit dem Wort Glück zu bezeichnen war. Eher das Gegenteil war der Fall.

Doch darüber wollte sie nicht nachdenken, als sie jetzt ins Schwesternzimmer eilte, nachdem sie sich im Umkleideraum ihre normale Freizeitkleidung angezogen hatte, die im Gegensatz zu ihren Arbeitsklamotten nicht schneeweiß war. Aber auch nicht wirklich bunt. Eine einfache graue Jeans und ein dunkles T-Shirt genügten ihr. Julia war nicht sehr modebewusst, und auch auf Schminke und aufgedonnerte Haare verzichtete sie für gewöhnlich. Ihr langes blondes Haar hing glatt herunter und brauchte eigentlich nur ordentlich gekämmt zu werden, um in Form zu kommen.

Gerade als sie nun ins Schwesternzimmer auf ihrer Station eintrat, kamen Marina und Andreas heraus, wobei sie ihr freundlich zunickten. Julia wusste, dass die beiden ein Paar waren und auch noch nicht allzu lange in der Klinik arbeiteten. Es hatte am Anfang wohl einige Schwierigkeiten gegeben, weil Andreas beschuldigt worden war, Diebstähle in der Klinik begangen zu haben, doch am Ende hatte sich herausgestellt, dass er unschuldig war, weshalb er auch weiter in der Klinik als Pfleger abreiten konnte. Marina war ebenfalls Krankenschwester.

Am großen Tisch im Schwesternzimmer saßen drei Personen: Die zwei Pfleger, Jannick Berger und sein Kollege Florian Erdmann, gingen zusammen mit Oberschwester Simone gerade ihre Dienstpläne durch.

Jannick Berger schenkte ihr ein freundliches, etwas schüchternes Lächeln, als sie zu ihnen an den Tisch trat. Julia mochte Jannick. Er war immer freundlich, vor allem aber auch angenehm zurückhaltend.

Ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Florian. Der hatte immer einen flotten Spruch auf Lager und hielt nie mit irgendetwas hinterm Berg.

»Ach, die Julia«, meldete er sich auch jetzt wieder gleich zu Wort. »Na, schon Feierabend? Wie schade, mein Dienst fängt gerade erst an. Sonst hätten wir etwas unternehmen können.« Jetzt grinste er breit. »Aber wenn du magst, kannst du mich ja heute Nacht, wenn ich Dienstschluss hab, besuchen kommen …«

»Danke, kein Interesse«, stellte Julia klar. Ganz gleich, ob das eher scherzhaft oder ernst gemeint sein sollte – auf solche billigen Sprüche reagierte sie allergisch.

»Immer lehnst du meine Angebote ab«, jammerte Florian Erdmann daraufhin gespielt. »Bei anderen Madeln geht mir das net so.«

»Und wie du siehst, bin ich net die anderen.« Kopfschüttelnd ging Julia hinüber zum Schreibtisch, wo eine Liste lag, in der sich jeder ein- und austrug, wenn er zum Dienst erschien oder nach Dienstschluss das Krankenhaus verließ.

»Jetzt lass doch mal die Julia in Ruhe«, meldete sich jetzt Jan Berger zu Wort. »Merkst du net, dass sie deine dummen Sprüche net lustig findet?«

Florian hob die Schultern. »Was kann ich dafür, wenn manche Leute zum Lachen in den Keller gehen?«

»Kinder, nun ist aber mal gut!«, sorgte Oberschwester Simone nun für Ruhe. »Über so was könnt ihr euch in eurer Freizeit unterhalten. Jan und Florian, wir gehen jetzt weiter eure Dienstpläne durch. Und Julia, dir wünsche ich einen schönen Feierabend. Komm gut nach Hause und mach dir einen schönen Abend.«

Julia lächelte. »Danke, das werde ich machen. Und euch noch eine angenehme Schicht.«

Damit verließ sie das Schwesternzimmer. Als sie schließlich die Aufzüge erreichte und den Rufknopf drückte, vernahm sie eine männliche Stimme hinter sich.

»Julia, wart‘ doch bitte einmal.«