P. G. Wodehouse

Reiner Wein

Autobiographische Abschweifungen

Aus dem Englischen von
Thomas Schlachter

Suhrkamp

Inhalt

Vorwort

1. Kapitel J. P. Winkler gibt sich die Ehre

2. Kapitel Der richtige Anfang

3. Kapitel Kommt her, all ihr Grafen!

4. Kapitel Bye-bye, Butler!

5. Kapitel Kritiker und Kritisierte

6. Kapitel Rohe Eier, Kuckucke und Mäzene

7. Kapitel Über Humoristen

8. Kapitel Unter Gehetzten

9. Kapitel Brücken, Schnecken, Meteoriten

10. Kapitel Verbrechen lohnt sich nicht – oder etwa doch?

11. Kapitel Gürteltiere, Wirbelstürme und der ganze Zinnober

12. Kapitel Rüstig ins Alter

13. Kapitel So nicht, New York!

14. Kapitel Früher war alles besser

15. Kapitel Wie ich zum Dichter wurde

16. Kapitel Fernsehen

17. Kapitel Die Blondine im rosaroten Badeanzug

18. Kapitel Das Theater

19. Kapitel Weihnachten und Ehescheidungen

20. Kapitel Mein Arbeitsstil – so vorhanden

Vorwort

Den Leser1 dieses Buches erwartet etwas ebenso Rares wie Schönes, kommt mein Werk doch – vom Vorwort2 einmal abgesehen, welches wir aber bald hinter uns haben werden – ohne jede Fußnote aus.

Ich schmeichle mir, kein aufbrausender Mann zu sein,3 doch da ich in jüngster Zeit einige Biographien und historische Werke gelesen habe, erbosen mich diese Fußnoten mehr und mehr. Viel länger werde ich dem wüsten Treiben nicht zusehen.4 Es ist meines Erachtens höchste Zeit5, daß sich Biographen und Essayisten die Marotte abgewöhnen, diese häßlichen Kleckse6 wild über die Seiten zu verteilen, als pflügten und streuten sie den Samen auf das Land.7

Mir ist schleierhaft, wozu die verdammten Dinger8 gut sein sollen. Gerade habe ich Carl Sandburgs Biographie Abraham Lincoln – die Kriegsjahre gelesen, und Carl füllt sage und schreibe vier dicke Bände, ohne ein einziges Mal auf die ungute Methode9 zurückzugreifen. Wenn er’s kann, warum nicht auch alle anderen?10

Der amerikanische Schriftsteller Frank Sullivan11 hat zu diesem Thema12 bereits seine Stimme13 erhoben. Besonders scharf geht er mit dem Historiker Gibbon ins Gericht, der unsere Nerven unnötig aufpeitscht, wenn er uns, die wir damit rechnen, gleich die Laster der Kaiser im späten Rom in allen Einzelheiten aufgetischt zu bekommen, mit einer lateinischen Fußnote abspeist, die sich Normalsterblichen unmöglich erschließt, da sich der Schleier des Vergessens schon ca. 1920 über ihr Kleines Latinum gelegt hat.14

Ich weiß genau, was Frank meint, denn mir geht es nicht anders. Lese ich so ein Buch, dann fühle ich mich wie ein Mann, der über eine Wiese flaniert und mit sich und der Welt im reinen ist. Kaum aber stoße ich auf eine 1 oder 2, glaube ich, auf die Zinken einer Harke getreten zu sein, deren Stiel prompt hochspringt und mir an den Nasenrücken saust. Ich bleibe abrupt stehen, und die Augen rotieren flimmernd in ihren Höhlen. Schließlich versuche ich mich zu ermannen, dieses eine Mal dem gräßlichen Ding15 nicht nachzuspüren. Und doch tue ich es. Und fast immer reizt mich die Fußnote bis aufs Blut, denn sie hebt mit dem Wort »siehe« an. »Siehe Reader’s Digest, April 1950«, sagt ein Autor auf Seite 7 seines neuen Buches, und auf Seite 181 gleich nochmals: »Siehe Reader’s Digest, Oktober 1940.«

Was heißt denn hier »siehe«, guter Freund16? Glauben Sie im Ernst, ich bin auf den Reader’s Digest abonniert und bewahre die alten Jahrgänge auf? Davon kann keine Rede sein. Bekomme ich im Wartezimmer meines Zahnarzts eine Ausgabe dieses weitverbreiteten Heftchens zu Gesicht, krümme ich mich wie eine eingesalzene Schnecke, denn mir ist klar, daß darin eine dieser grauenhaften »Unvergeßlichen Begegnungen« lauert.

Ein bißchen (wenn auch nur unwesentlich) besser als die Fußnoten, die das Auge zum unteren Seitenrand ziehen, sind jene, die sich hinten im Buch auf einem einzigen Haufen wiederfinden, denn sie erlauben wenigstens eine zusammenhängende Lektüre – jedenfalls theoretisch. Bloß ein Mann von eiserner Willenskraft schafft es nämlich, angesichts einer 6 oder 7 nicht alles stehen und liegen zu lassen und ihr nachzuhetzen wie ein Basset Hound einem Basset.17 Man hat dabei zurückzublättern, um herauszufinden, in welchem Kapitel man sich gerade befindet, vorzublättern, bis man im Register landet, zurückzublättern, bis man bei den Quellen anlangt, vorzublättern, bis man sich in der Bibliographie verheddert – und erst ganz am Schluß geht einem die Fußnote an die Angel. Doch wie selten lohnt das Ergebnis die Plackerei! Neulich las ich in Charles Edmund Carringtons Kipling-Biographie eine Passage, in der Kipling mit seinem Onkel Fred Macdonald nach Amerika fährt und inkognito einreisen will, von Fred Macdonald aber an die Presse verpfiffen wird. Als ich dieser Passage eine 7 angehängt sah, war ich ganz aus dem Häuschen. Endlich erfahre ich etwas Interessantes, dachte ich. Die Fußnote wird, so sagte ich mir, en détail enthüllen, was Kipling über Fred Macdonalds Hirnverbranntheit zu sagen hatte, und solche markigen Worte leisten einem im Gespräch mit Taxifahrern und Verkehrspolizisten stets unschätzbare Dienste.

Und hier kommt 7 in toto:

F. W. MACDONALD

»Ums Brot bitten und einen Stein geboten bekommen«, so nennt dies die Bibel mit gutem Grund. Einer solchen Fußnote läßt sich allenfalls zugute halten, daß sie ausnahmsweise nicht die Gelahrtheit des Autors beweisen soll, wie dies beispielsweise im Buch Das Leben des Sir Leonard Hutton geschieht:

Im Pavillon von Leeds – und nicht, wie verschiedentlich behauptet, in Manchester – sprach Sir Leonard zum erstenmal den denkwürdigen Satz: »In letzter Zeit macht mir mein Hexenschuß schwer zu schaffen.«

An dieser Stelle wird der Leser mit einer 6 an den unteren Seitenrand gelockt, wo er folgende Zeilen vorfindet:

Ganz im Gegensatz zu Giraldus Cambrensis, der in Glückliche Tage in Bognor Regis davon spricht, als Kind Masern und Windpocken gehabt zu haben, zugleich aber geltend macht, vom Hexenschuß verschont geblieben zu sein. Siehe auch Caecilius Status, Dio Chrysostom und Abu Mohammed Kasim Ben Ali Hariri.

Also wirklich: Da hört sich doch alles auf!18

Aus diesem Grund gibt es in meinem Buch keine Fußnoten – und nach reiflicher Überlegung auch keine Widmung.

Heute scheint man sich solche Widmungen ohnehin zu schenken, was wieder einmal zeigt, wie sich die Zeiten geändert haben, seit ich auszog, die englische Literatur auf Vordermann zu bringen. Noch um die Jahrhundertwende legten wir Autoren uns keine Zügel an, wenn es darum ging, eine Widmung zu finden. Diese war die bonne bouche und die conditio sine qua non.

Auf Abwechslung wurde seinerzeit größter Wert gelegt. Schlug man einen Roman auf, wußte man nie, was einen erwartete. Mal gab’s die schroffe, gleichsam hingeworfene Zueignung:

Für J. Smith

Ein andermal die etwas wärmere:

Für
meinen Freund Percy Brown

Dann wieder eins dieser kryptischen Poeme in Kursivschrift:

Für
F. B. O.

Rauher Wind

Und der Sonnenuntergang überm Moor

Warum?

Wohin?

Woher?

Und in der Ferne Trommelwirbel

Oder auch die garstige Wendung, die richtig weh tun sollte:

Für
J. Alastair Frisby,
der behauptete, nie und nimmer
würde eines meiner Bücher in Druck gehen,
und
mir riet,
als Broterwerb besser Aale in Aspik einzulegen.
ÄTSCHEBÄTSCHE, FRISBY!

Das war ja alles ganz lustig und regte zweifellos Stoffwechsel und Durchblutung an. Dennoch kann es nicht erstaunen, daß der Brauch ausstarb, denn jedem Autor stellte sich irgendwann die Frage: »Und was habe ich davon?« Mir jedenfalls ging es so. »Was springt für Wodehouse raus?« fragte ich mich und sah nur eine Antwort: »Null und nix.« Wenn im 18. Jahrhundert ein Autor auf die erste Buchseite die Zeilen warf:

Dem erlauchtesten und allmächtigsten
Lord Knubble of Knopp
sei dies Buch dediziert
von
seinem untertänigsten Knecht, dem Autor

My Lord,
in unaussprechlicher Dankbarkeit für die allerbarmenden Darreichungen Eurer Lordschaft wünscht der elende Trampel, der hiermit an Eure Lordschaft sich zu wenden erfrecht, Eurer Lordschaft dies nichtswürdige Werk anzuempfehlen, so wenig es von Eurer Lordschaft beachtet zu werden verdient,

so versprach er sich davon allerlei. Lord Knubble war sein Mäzen, der, falls er nicht gerade einen seiner Gichtanfälle hatte, garantiert zwei, drei Guineen lockermachen würde. Doch was schaut für einen zeitgenössischen Schriftsteller wie mich heraus? Ich gehe die Reihen der unbesungenen Millionen durch und beschließe, einen gewissen P. B. Biffen unsterblich zu machen. Wie aber revanchiert sich dieser Biffen? Überhaupt nicht. Er steht nur dumm da, und vermutlich fällt nicht einmal ein lausiger Lunch für mich ab.

Deshalb also keine Widmung – und wie gesagt auch keine unsittlichen Fliegendrecke19, die sich über die ganze Seite ziehen.

Ich möchte mich zum Schluß bei Mr. P. G. Wodehouse bedanken, der mir freundlicherweise erlaubt hat, einen Auszug aus seinem Buch Louder and Funnier abzudrucken. Wenn das nicht hochanständig von dem Mann ist!20

Und damit endet mein Vorwort. Legen wir los!

1. Kapitel
J. P. Winkler gibt sich die Ehre

1

Neulich bei mir eingetroffen: ein hochinteressanter Brief von J. P. Winkler.

Sie kennen J. P. Winkler nicht? Ich eigentlich auch nicht, obschon er mich als Freund anredet. Er scheint ein unternehmungslustiger Mann zu sein, der genau weiß, was er will. Aus seiner Heimat Chicago schreibt er mir folgende Zeilen:

Freund Wodehouse,

seit geraumer Zeit bin ich für eine Zeitungsserie und ein Radioprogramm zuständig, die beide den Titel Jenseits der Siebzig tragen. Es handelt sich um Meinungsbeiträge von Zeitgenossen, die das siebzigste Lebensjahr überschritten haben. Gerne würde ich auch Sie in die Serie aufnehmen.

Hier sind einige Fragen, die Sie mir bitte beantworten wollen. Welche spezifischen Veränderungen beobachten Sie heute in Ihrem Alltag? Und welche Veränderungen in Amerika insgesamt? Achten Sie auf eine gesunde Lebensweise? Lassen Sie sich von Kritik an Ihren Büchern beeinflussen? Haben Sie je Gedichte geschrieben oder Lesereisen absolviert? Was halten Sie von Film und Fernsehen?

Sie scheinen Ihr Domizil aufs Land verlegt zu haben. Wohnen Sie lieber dort als in der Stadt? Geben Sie uns einen groben Überblick über Ihr häusliches Leben und Ihren Arbeitsstil. Sehr erbeten sind zudem persönliche Anekdoten aus der Welt des Theaters sowie allgemeine Lebensbeobachtungen eines Mittsiebzigers.

Sie haben in den letzten fünfzig Jahren so vieles erlebt. Es wäre

schön, Sie könnten uns daran teilhaben lassen.

Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, denn nicht jeder Hinz und Kunz findet Aufnahme in eine Serie. Dennoch verstimmten mich die Worte »fünfzig Jahre«. Es ist weit über fünfzig Jahre her, daß ich meine ersten Fußabdrücke im Sand der Zeit hinterlassen habe – und beileibe nicht die kleinsten Fußabdrücke! Ohne Übertreibung kann ich sagen, daß ich in London schon mit gut zwanzig Jahren Stadtgespräch war. Wer nie sah, wie ich den Strand hinunter zur Redaktion des Globe radelte, bei der ich seinerzeit arbeitete – wobei ich oft freihändig fuhr und mich manchmal sogar vorbeugte, um mit den Zähnen ein Taschentuch aufzuheben –, der lebte, so der allgemeine Konsens, hinter dem Mond. Und es spräche doch sehr gegen das öffentliche Gedächtnis, wenn diesem entfallen wäre, wie ich an einem Sonntag anno 1904 beim Cricketmatch der Drucker des Globe gegen die Drucker der Evening News stupende 22 Punkte erzielte.

Aber ich weiß schon, was Ihnen vorschwebt, Winkler: Tattergreis Wodehouse soll, über seine Tonpfeife gebeugt, vor dem Kaminfeuer sitzen und dies und das in den Bart mummeln, denn dabei, so hoffen Sie, fällt bestimmt etwas für Zeitung und Hörfunk ab. Sie wollen, daß ich die Menschheit von China bis Peru begutachte und mal dieses, mal jenes Thema streife wie ein von Blüte zu Blüte flatternder Schmetterling und dabei tüchtig aus dem Nähkästchen plaudere, ohne die menschlich-allzumenschliche Note ganz zu vernachlässigen.

Na schön, dann also los. Mal schauen, was ich für Sie tun kann.

2

Es erleichtert mich ungemein, alter Knabe, daß Sie mich nicht auf die autobiographische Schiene abschieben wollen, denn für Autobiographisches eigne ich mich nur sehr bedingt.

Man hat mir schon öfter geraten, ich solle mich hinter meine Memoiren klemmen. »Sie blicken auf ein langes Leben zurück«, heißt es dann. »Zumindest sehen Sie aus wie hundertvier. Machen Sie doch ein Buch draus und sahnen Sie tüchtig ab.«

Verlockend klingt das schon, nur weiß ich nicht, wie ich das anstellen soll. Der Verfasser einer Autobiographie muß drei Voraussetzungen mitbringen: einen exzentrischen Vater, eine schwere Kindheit, in der ihn keiner verstanden hat, sowie grauenvolle Jahre im Internat. Ich besitze keinen dieser drei Trümpfe. Mein Vater war so normal wie Milchreis und meine Kindheit ein einziges Honiglecken, da mir von allen Seiten größtes Verständnis entgegengebracht wurde. Meine Schulzeit in Dulwich schließlich bestand aus sechs Jahren ununterbrochener Wonne. Es wäre lachhaft, würde ich mich an einer konventionellen Autobiographie versuchen. Ich verfüge schlicht nicht über das Material. Ein Titel wie

Wodehouse – Geschichte eines großen Geistes

kommt ebensowenig in Frage wie ein solcher Anfang:

1. Kapitel: Der Säugling

2. Kapitel: Tage der Kindheit

3. Kapitel: Sturm und Drang der Jugend.

Außerdem blättert kein Mensch gern Geld hin für eine Autobiographie, die nicht mit saftigen Geschichten über Berühmtheiten aufwarten kann. Solche aber wollen mir schlicht nicht einfallen. Ginge es nur darum, mit ein paar einschlägigen Namen Eindruck zu schinden, wäre mir weiß Gott nicht bange, aber damit ist es nicht getan. Besagte Namen wollen nämlich mit prickelnden Anekdoten garniert sein, und beisteuern könnte ich bloß solche von der Art, wie sie mir der Boxer Young Griffo 1904 über seine Begegnung mit dem damaligen Leichtgewichtsweltmeister Joe Gans erzählte. Nachdem der Kampf zwischen ihm und Gans angesetzt worden war, wollte er sich seinen Gegner vor Eröffnung der Kampfhandlungen einmal aus der Nähe betrachten. Ich protokolliere nachfolgend seine dramatische Schilderung der Zusammenkunft.

»Ich fahr nach Philadelphia, um mir ’nen Kampf anzugucken«, sagte er, »da fragt mein Trainer, ob ich Joe Gans kennenlernen will. Willst du Joe Gans kennenlernen, fragt er mich, und ich sag: klar doch. Wir kommen also in Philadelphia an und machen uns auf den Weg zu diesem riesigen Sportpalast, wo all die Knilche rumlümmeln, und mein Trainer fragt mich wieder, ob ich Joe Gans kennenlernen will, und ich sag: klar doch. Wir treffen also in dem riesigen Sportpalast ein, wo all die Knilche rumlümmeln, und um ’nen Tisch scharen sich die Leute, und einer fragt mich, ob ich Joe Gans kennenlernen will, er sitzt dort drüben am Tisch. Willst du Joe Gans kennenlernen, fragt er, er sitzt dort drüben am Tisch, sagt er, und ich sag: klar doch. Da führt er mich zum Tisch und sagt: ›Das ist Young Griffo, Joe‹, sagt er. ›Er möchte dich kennenlernen‹, sagt er. Und was soll ich sagen – Joe sitzt da. Er steht auf und kommt gradewegs auf mich zu.«

Ich saß auf der Stuhlkante und hielt die Armlehne umklammert. Wie gewitzt, ja eines Berufsschreibers würdig sich dieser nicht sonderlich gebildete Mann auf den Knalleffekt hingearbeitet hatte!

»Ja?« sagte ich atemlos. »Und dann?«

»Hä?«

»Was ist dann passiert?«

»Er schüttelt mir die Hand. ›Tag, Griff‹, sagt er. Und ich sag: ›Tag, Joe.‹«

Und das war’s. Man hätte glauben können, es komme noch mehr. Nichts da. Er hatte Gans kennengelernt. Gans hatte ihn kennengelernt. Und damit war die Geschichte zu Ende. In meiner Autobiographie würde es wimmeln von derartigem Zeug:

Schon damals hatte ich mir gewünscht, mit Mr. Attlee (dem nachmaligen Lord Attlee) Bekanntschaft zu machen, doch erst Jahre später ging mein Herzenswunsch in Erfüllung. Ein Freund nahm mich mit ins Unterhaus, und wir saßen auf der Terrasse beim Tee, als Mr. Attlee vorüberging.

»Ach, Clem«, sagte mein Freund. »Ich möchte dir Mr. Wodehouse vorstellen.«

»Angenehm«, sagte Mr. Attlee.

»Ganz meinerseits«, entgegnete ich.

Für solche Nichtigkeiten kann man den Leuten unmöglich 16 Shilling abknöpfen – oder wieviel ein Buch heute eben kostet.

Und doch verstehe ich, daß ich Ihnen etwas Persönliches bieten muß, J. P., sonst kommen sich die Zuhörer angeschmiert vor und machen aus ihren Radioapparaten Kleinholz. So könnte ich etwa erwähnen, daß ich als Vierjähriger gern mit einer Apfelsine spielte, wiewohl ich bezweifle, ob dies von Interesse wäre, oder daß ich mit sechs Jahren die ganze Iliade in der Übersetzung von Alexander Pope las, was mir aber niemand abkaufen würde. Ich fände es deshalb das beste, Kindheit und Jugend links liegenzulassen und schnurstracks in den Herbst 1900 vorzurücken: Ich war ein stattlicher junger Mann von knapp neunzehn Lenzen und ließ mich gerade von der Hong Kong and Shanghai Bank in der Lombard Street in Lohn und Brot nehmen. Eher widerstrebend, wie ich vielleicht anfügen sollte: der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, um das Dichterwort zu bemühen.

Zu Beginn des Jahrhunderts hatte die Familie Wodehouse ein ganz bestimmtes Problem: Wir waren wesentlich knapper bei Kasse, als wir uns dies gewünscht hätten. Zwar pfiffen wir nicht aus dem letzten Loch, und für den Fleischer und den Lebensmittelhändler fanden sich stets ein paar Münzen in der Sparbüchse, doch größere Sprünge ließen unsere Finanzen nicht zu. Mein Vater bezog nach langjährigem Kolonialdienst in Hongkong eine Rente, welche ihm der Staat allerdings in Rupien ausrichtete – nach meinem Dafürhalten ein äußerst schäbiger Trick, da die Rupie, zumindest damals, so ziemlich das letzte war, womit Menschen, die Wert auf ihren Seelenfrieden legten, etwas zu schaffen haben wollten. Sie konnte einfach nicht stillsitzen, sondern schoß wie ein Epileptiker hinauf und hinunter, so daß sich unsere Ausgaben an ihren Launen auszurichten hatten. Ständig schallte der Warnruf »Rupienalarm!« durch unser Haus.

Folglich blieb meine Zukunft während der ganzen Schulzeit höchst ungewiß. Die Frage »Was wird nur aus dem Jungen werden?« erhielt fast täglich eine neue Antwort. Mein Bruder Armine hatte ein Stipendium erhalten und studierte inzwischen in Oxford. Mich wollte man nachschicken, sofern ich auch ein Stipendium erhielte. Während meines letzten Semesters in Dulwich hüpfte ich jeden Morgen um Schlag fünf aus den Federn, verdrückte ein paar Butterkekse und büffelte meinen Homer und Thukydides, doch als die Zeit der Stipendienverteilung nahte – ich war bis zum Halszäpfchen voll mit klassischem Bildungsgut und brannte darauf, es meinen Prüfern nach Strich und Faden zu zeigen –, begann sich die Rupie erneut zu regen, weshalb mein Vater fand, zwei studierende Söhne seien ein Sohn mehr, als das Schätzkästlein vertrage. Und so zog die Gelehrsamkeit das kürzere Hölzchen, und ich wurde der Wirtschaft zuteil.

Sie denken nun bestimmt, da habe die Wirtschaft aber mächtig Schwein gehabt, Winkler, doch da sind Sie auf dem Holzweg. Vielleicht, weil ich mich als literarischer Schöngeist begriff und den Tanz ums Goldene Kalb nicht mitmachen wollte, vielleicht aber auch – und diese Theorie fand in der Bank weitaus mehr Anhänger –, weil ich eine taube Nuß war, entpuppte ich mich als der untüchtigste Angestellte, dessen Hosenboden je die Sitzfläche eines Bürohockers poliert hatte. Solange man mich in der Postabteilung ließ, hielt ich mich gar nicht schlecht, denn dort brauchte ich lediglich Briefe zu frankieren und abzuschicken, eine Aufgabe, die meinen Fähigkeiten aufs schönste entsprach, aber als man mich zu den Festgeldanlagen versetzte, fingen die Leute rund um die Lombard Street zu tuscheln an: »Wodehouse steht auf dem Schlauch. Er weiß nicht mehr ein noch aus.«

Falls ich im Lauf meiner Bankkarriere auch nur einen Moment lang kapierte, worum es ging, habe ich diesen Moment wieder vergessen. Von den Festgeldanlagen verschlug es mich zur Internen Fakturierung – fragen Sie mich bloß nicht, was eine interne Fakturierung ist: Ich bin nie dahintergekommen – und von dort zur Externen Fakturierung und zum Bargeld, und dabei umspielte stets ein schwaches, bußfertiges Lächeln meine Lippen, denn ich hoffte, eine verbindliche Wesensart würde mich retten, falls ich meine mysteriösen Pflichten einmal vernachlässigte, denn daß dies irgendwann geschehen würde, stand für mich fest. Mein vollkommenes Unvermögen, mir einen Reim auf das Ganze zu machen, ließ mich zur Legende werden. Wenn Jahre später im Allerheiligsten des Direktors wieder einmal die Inkompetenz eines neuen Angestellten verhandelt wurde und die Sitzungsteilnehmer diesen großmehrheitlich zur übelsten Nulpe erklärten, die je über die Schwelle der Hong Kong and Shanghai Bank getreten war, dann schüttelte ein weißhaariger, altgedienter Abteilungsleiter den Kopf und sprach leise: »O nein, ihr täuscht euch. Ich gebe ja zu, daß der kleine Robinson ein totaler Blindgänger ist, den man besser schon bei der Geburt mit Chloroform eingeschläfert hätte, aber ihr hättet mal P. G. Wodehouse sehen sollen! Nein, solche Typen gibt es heute nicht mehr. Wahrscheinlich ging der Bauplan verloren.«

Bloß zwei Dinge haben sich mir im Zusammenhang mit dem Bankgewerbe eingeprägt. Das eine war, daß ich mir zum Lunch plötzlich nur noch eine Semmel mit Butter sowie eine Tasse Kaffee leisten konnte, eine Einsicht, die mich nach den opulenten Mittagsmahlzeiten meiner Schule bis in die Grundfesten erschütterte. Das andere war, daß man mir mein Weihnachtsgeld zu streichen drohte, falls ich mich innerhalb eines Monats dreimal verspätete. In den Jahren 1901– 02 bestand eine der Hauptattraktionen in der Londoner City darin, mich mit wehenden Rockschößen in die Schlußgerade einbiegen und anschließend tripptrapp, tripptrapp der Schwelle zustreben zu sehen, aus tausend Kehlen angefeuert. Dies hielt mich in Hochform und machte mir gehörig Appetit auf meine tägliche Semmel.

Aufgrund meiner Begriffsstutzigkeit in sämtlichen wirtschaftlichen Belangen war ich in der Bank zwar nie ganz glücklich, aber immerhin glücklicher als die Leiter der diversen Abteilungen, die ich stolpernd durchlief. Viel lieber hätte ich mich nach Beendigung der Schulzeit zu Hause verschanzt und nur noch dem Schreiben gehuldigt. Meine Eltern lebten damals in Shropshire – prächtige Landschaft, Blandings Castle nur einen Steinwurf entfernt –, und nichts wäre mir lieber gewesen, als mich ganz in jenem Paradies auf Erden einzunisten und meine Zeit allein der Abfassung von Kurzgeschichten zu widmen; mein Ausstoß lag damals bei einer Geschichte pro Tag. (Im Sommer 1901 erkrankte ich an Ziegenpeter und begab mich in den Schoß der Familie, wo ich, kontinuierlich anschwellend, in drei Wochen neunzehn Kurzgeschichten niederschrieb, die zu meinem Bedauern von diversen Herausgebern wegen Platzmangels abgelehnt wurden. Die Herausgeber bedauerten ebenfalls – oder behaupteten dies zumindest.)

Als ich die Eltern über meine Pläne informierte, reagierten sie eher skeptisch. Alle jungen Schriftsteller tragen schwer daran, daß sie einerseits haargenau wissen, wie unglaublich erfolgreich sie eines Tages sein werden, ihre Lieben aber unmöglich davon überzeugen können, je einen Pfifferling wert zu sein. »Wenn du schon schreiben mußt, dann schreib wenigstens in deiner Freizeit«, sagen die Eltern und kommen einem mit der ollen Kamelle, daß sich der Pegasus zwar hübsch reiten läßt, aber einen miserablen Ackergaul abgibt. Ich kann es den meinen nicht verdenken, daß sie einen Sohn, der bei der Bank 80 Pfund Jahresgehalt einstrich, ohne einen Finger zu rühren, für kommerziell solider hielten als einen, der zu Hause wohnte und ein Vermögen für Briefmarken ausgab. (»Unverlangt eingereichte Manuskripte werden von der Redaktion gern geprüft, sofern ihnen ein frankierter Rückantwortumschlag für den Fall einer Absage beiliegt.«)

Und so verplemperte ich zwei Jahre in der Lombard Street und schrieb des Abends in meinem möblierten Zimmer: eine bittere Erfahrung, denn dabei schaute nichts weiter raus als eine Sammlung von Absagebriefen, mit denen ich die Wände eines recht geräumigen Bankettsaals hätte tapezieren können. Immerhin fanden sich einige sehr hübsche Briefpapiere darunter. Ich denke da etwa an dasjenige der Zeitschrift Tit-Bits mit der in anmutigem Grün gehaltenen Abbildung des Herausgeberbüros. Doch bei aller Schönheit solcher Absagen war ich schon immer der Meinung, ihr Glanz verblasse ziemlich schnell. Eine sieht doch wie die andere aus.

Die meisten angehenden Autoren leiden darunter, nicht zu wissen, wie man schreibt. Ich bildete da keine Ausnahme. Mag sein, daß in den Jahren 1901 und 1902 noch erbärmlicherer Müll als der meine auf die Schreibtische der Londoner Zeitungsredaktionen gekippt wurde, aber sehr wahrscheinlich ist das nicht. Obwohl ich seinerzeit fast verging vor Selbstmitleid, wenn die frankierten Rückantwortumschläge wie Brieftauben in meinen Schlag zurückflatterten, gilt mein Mitgefühl heute jenen Männern, die meine Einsendungen zu lesen hatten. Für einen Herausgeber kann es wohl kaum etwas Deprimierenderes geben, als an einem verregneten Februarmorgen mit einem Nagel im Schuh und nassen Hosenbeinen ins Büro zu treten und als erstes ein Wodehousesches Frühwerk zu Gesicht zu bekommen – zu allem Überfluß auch noch von Hand geschrieben.

H. G. Wells teilt in seiner Autobiographie mit, daß ihn zu Beginn seiner Laufbahn J. M. Barries Buch When A Man’s Single tief beeindruckt habe. Bei mir war es genauso. Besagtes Werk handelt ausschließlich von Schriftstellern und Journalisten. Barrie fordert die jungen Autoren auf, nicht das zu schreiben, was ihnen gefällt, sondern das, was die Herausgeber wollen. Ich erkannte darin das streng gehütete Geheimnis des Erfolgs, mied fortan alle Humoresken (welchen meine wahre Liebe galt) und verfaßte nur noch sentimentalen Käse, welcher – den Zeitschriften nach zu schließen – am ehesten dazu angetan war, Herausgeberäuglein glänzen zu lassen. Doch es klappte nie. Erfolg hatte ich bloß bei zweitklassigen Wochenblättern mit kurzen Er-und-sie-Witzen.

Auf dem Bedienstetenball

GRÄFIN (beim Tanz mit dem Butler): Ich muß aufhören, Wilberforce. Ich kann kaum noch stehen.

BUTLER: Aber nein, Eure Ladyschaft schwingen das Tanzbein doch ganz vortrefflich!

Dafür bekam ich einen Shilling, finde aber heute noch, sechs Pence mehr wären am Platz gewesen.

Seltsam ist nur, daß in dieser frühen Phase auch die größte Absagenlawine mein Selbstvertrauen nicht zu erschüttern vermochte. Ich wußte, daß ich gut war. Erst später beschlichen mich leise (und zunehmend lauter werdende) Zweifel, und heute bestehe ich nur noch aus Skrupeln und frage mich ständig: »Ob das wohl einigermaßen hinhauen wird?« Ach, wie beneide ich diese knallharten Autoren mit ihren kantigen Unterkiefern! Sie spucken aus dem Mundwinkel und beginnen jedes Buch in der absoluten Gewißheit, daß es ein Meisterwerk werden wird. Ich dagegen neige der Haltung unseres Foxhounds Bill zu.

Trägt dieser um die Mittagszeit einen fauligen Knochen ins Eßzimmer, scheint sein besorgter Blick zu fragen: »Ob der wohl den Geschmack trifft? Wird mein Publikum diesen Knochen jenem Typ Knochen zurechnen, den es von mir gewohnt ist, oder wird es enttäuscht konstatieren, daß es mit William bergab geht?«

In Wirklichkeit ist jeder seiner Knochen genauso dynamisch und fesselnd wie all die Vorgänger, und Bill braucht das kritische Urteil der Zuschauer keineswegs zu scheuen. Mich aber beschleicht, wie gesagt, bei jedem neuen Buch das ungute Gefühl, dieses Mal ein faules Ei ins Nest der Literatur gelegt zu haben. Was gar nicht so schlecht ist, denn so bleibt man auf dem Quivive und schreibt jeden Satz zehnmal um – und oft sogar zwanzigmal. Meine Bücher mögen ja nicht zu denen gehören, für die der wahre Kenner zwölf Shilling sechs Pence springen läßt, doch zumindest arbeite ich hart daran. Wenn mich Charon zur gegebenen Zeit über den Styx rudert und die Leute sich darüber das Maul zerreißen, was für ein mieser Schreiberling ich doch gewesen sei, wird hoffentlich wenigstens ein dünnes Stimmchen aufbegehren: »Aber Mühe gegeben hat er sich!«

3

Das Echo der Männer auf den Redaktionssesseln fiel in den Jahren 1901– 02 derart bescheiden aus, daß ich zu wünschen begann, ich hätte mir als Steckenpferd Laubsägearbeiten oder das Anlegen eines Busfahrkartenalbums ausgesucht. Doch wenn ein Autor nur beharrlich weiterschreibt, stellt sich der Erfolg irgendwann ein. Achtzehn Monate lang hatte ich emsig vor mich hingewerkelt, an meinen Stuhl gefesselt und des Londoner Nachtlebens nicht achtend – abgesehen von einem Abendessen pro Woche im Grillroom des Trocadero (drei Shilling, sechs Pence, Trinkgeld inbegriffen) –, als jemand unter dem Titel Public School Magazine eine Knabenzeitschrift gründete, zu der sich bald eine zweite namens The Captain gesellte. Plötzlich hatte ich Abnehmer für das einzige Produkt, dessen Herstellung mir einigermaßen lag, nämlich Artikel und Kurzgeschichten über den Schulalltag. Die Wodehouse-Vorzugsaktie, welche bis anhin im Keller gewesen war und keine Bieter gefunden hatte, begann leicht anzuziehen. Das Public School Magazine zahlte für einen Artikel zehn Shilling sechs Pence und der Captain für eine Kurzgeschichte sogar drei Pfund, und da mir inzwischen auch Tit-Bits und Answers die eine oder andere Guinee zuschoben, entwickelte ich mich binnen kurzem zu einem derartigen Krösus, daß ich ernsthaft ins Auge faßte, bei der Bank zu kündigen und den Pegasus tatsächlich zum Ackergaul zu machen, zumal ich damit rechnete, demnächst meinen Marschbefehl zu erhalten.

Die Londoner Niederlassung der Hong Kong and Shanghai Bank war eine Art Kindergarten, in welchem die Angestellten ihren Beruf erlernten. Nach zwei Jahren – man glaubte, sie hätten ihn inzwischen erlernt – wurden sie gen Osten geschickt: Bombay, Bangkok, Batavia und so weiter. Diesen Vorgang nannte man »den Marschbefehl erhalten«, und nur schon beim Gedanken daran rutschte mir das Herz in die Hose. Wer gen Osten geschickt wurde, stieg augenblicklich zum Filialleiter oder etwas Ähnlichem auf, und das Bild eines Filialleiters Wodehouse war keines, das ich mir genauer auszumalen wünschte. Schon die Leitung eines Flohzirkus hätte mich heillos überfordert!

Und was war mit meiner Kunst? Ich glaubte zu wissen, daß bestimmte Autoren gutes Geld mit der Beschreibung fremder Länder verdienten, doch ich konnte mir nicht vorstellen, daß auch ich damit Erfolg haben würde, war ich doch auf die gute alte britische Lebensart abonniert, auf Dinge also, welche die Zeitschriften mochten: Geschichten über junge Damen aus gutem Hause, die um ihrer selbst willen geliebt werden wollten, oder über entsprungene Sträflinge, die am Heiligabend in abgeschiedene, tief eingeschneite Landhäuser einbrachen, sowie Artikel für Tit-Bits und Schülergeschichten für den Captain. Würde ich die weiterschreiben – und einen frankierten Rückantwortumschlag für den Fall einer Absage beilegen – können, wenn ich erst einmal in Singapur oder Surabaya saß? Ich hatte da meine Zweifel und spielte, wie bereits erwähnt, mit der Idee zu kündigen, als man mir eines Tages die Entscheidung abnahm.

Ich möchte nun die Geschichte des neuen Hauptbuchs erzählen.

4

Autoren können ein Lied davon singen: Nichts vergällt uns das Leben gründlicher als die aus Leserkreisen kommende Bitte, etwas Geistreiches auf die erste Seite eines Buches zu schreiben. Es war meines Wissens George Eliot, die in einer Anwandlung von Trübsal die recht galligen Worte notierte:

Liebes Tagebuch, was bin ich heute abend gerädert! Ach, bekäme ich doch nie wieder einen großen Bewunderer meines Werks zu Gesicht. Nicht das Romanschreiben ist hart – Romane kann ich schreiben, bis ich schwarz bin. So richtig auf den Hund bringt mich vielmehr dieses vermaledeite Signieren. »Oh, bitte! Nicht bloß Ihren Namen. Schreiben Sie mir etwas Geistreiches hinein.« Wie schön wäre es doch, die ganze Bagage säße im Zuchthaus! Und ginge das Zuchthaus dann auch noch in Flammen auf, würde ich mich scheckig lachen.

In der Zeitschrift The American Writer beklagte sich neulich der Kriminalschriftsteller Richard Powell: »Mir tritt der Angstschweiß auf die Stirn, sobald sich jemand mit einem meiner Bücher nähert.«

Ich kann es den beiden nachfühlen. Wenn ich ein Buch schreibe, tropfen die goldenen Worte wie Sirup aufs Papier, doch kaum kommt eine lächelnde Dame mit meinem jüngsten Elaborat angeschlichen und bittet mich, etwas Geistreiches auf die erste Seite zu werfen, wird mir, als hätte eine unsichtbare Hand mein Gehirn entfernt und durch eine Portion Blumenkohl ersetzt. Es mag ja Autoren geben, die etwas Geistreiches einfach so aus dem Ärmel schütteln können, doch ich rechne mich nicht zu ihnen. Ein Monat Bedenkzeit ist das mindeste, was ich mir ausbedinge – und selbst dann kann ich für nichts garantieren.

Hin und wieder, wenn auch nicht häufig, hilft mir meine Fingerfertigkeit aus der Patsche. Falls ich nicht gerade tippe, benutze ich einen dieser Kulis, für die man kein Löschpapier braucht. Die Tinte (oder was immer da vorne rauskommt) trocknet noch während des Schreibens, und so reiße ich das Buch hastig an mich, kritzle »Alles Gute, P. G. Wodehouse« hinein und schlage den Deckel mit gleicher Hastigkeit wieder zu, wobei ich hoffe, mein Gegenüber möge wenigstens die Größe besitzen, nicht hineinzulinsen, bevor ich mich aus dem Staub gemacht habe. Doch leider kommt es nur selten so. In neun von zehn Fällen klappt die Betreffende den Band auf wie ein Kellner eine Auster – mit den erwartbaren Folgen: der wehe Blick, das betretene Schweigen und der gequälte Ausruf »Aber ich wollte doch etwas Geistreiches!«.1

Nur ein einziges Mal habe ich etwas wirklich Geistreiches auf eine erste Buchseite geschrieben. In der Bargeldabteilung der Hong Kong and Shanghai Bank traf eines Tages ein neues Hauptbuch ein und wurde sogleich in meine Obhut gegeben. Die erste Seite war blütenweiß, und als ich sie anstarrte, bemächtigte sich meiner der Wunsch, sie mit einer urkomischen Beschreibung der überbordenden Feierlichkeiten bei der »Offiziellen Öffnung des neuen Hauptbuchs« zu versehen. Flugs machte ich mich ans Werk.

Was für ein Gesellenstück das war! Obschon seit jenem Tag fünfundfünfzig Jahre vergangen sind, steht es mir bis heute deutlich vor Augen – eine wirklich runde Sache! Da war zum Beispiel der Abschnitt, in dem ich seiner königlichen Hoheit vorgestellt wurde, welche der Feier selbstverständlich beiwohnte. Diese Passage hätte dem geneigten Leser bestimmt einen verzückten Aufschrei entlockt. (»Er zog aus der Krawatte die diamantne Krawattennadel, schenkte mir ein Lächeln und steckte sie wieder ein.«) Und das war nur eine Episode unter vielen! Der Text haute einen regelrecht aus den Socken. Einzelheiten kann ich hier nicht verraten, doch ich gebe mein Wort darauf, daß es eine der lustigsten Geschichten war, die je zu Papier gebracht wurden. Ich lehnte mich auf meinem Bürohocker zurück und fühlte mich wie Dickens nach Niederschrift der Pickwickier. Ich glühte förmlich.

Später dann begann sich jedoch mein Gewissen zu regen. Der Chefkassierer war ein recht gestrenger Mann und hatte seinem Unmut über den jungen Wodehouse schon verschiedentlich Luft gemacht, und irgend etwas schien mir zu sagen, daß mein Werk, wiewohl gut, bei ihm nicht auf Anklang stoßen würde. Kurzum, ich bekam kalte Füße und sann auf Mittel und Wege, um eine für alle Beteiligten gütliche Lösung zu finden. Schließlich erkannte ich, daß es wohl das beste wäre, die Seite mit einem scharfen Messer herauszutrennen.

Ein paar Tage später wurde die morgendliche Stille im Bankgebäude von einem Triumphgeheul zerrissen, das große Ähnlichkeit mit dem Fauchen einer sich auf die Beute stürzenden brasilianischen Wildkatze hatte und vom Hauptkassierer kam, der das Fehlen der Seite bemerkt hatte. Sein triumphierendes Geheul rührte daher, daß er mit den Schreibwarenhändlern der Bank in Fehde lag und ihnen seit Wochen irgendeinen Fehler nachweisen wollte. Schon im nächsten Moment hechtete er ans Telefon und fragte sie, ob sie sich Schreibwarenhändler schimpften. Wahrscheinlich bejahten sie die Frage, denn nun ließ er die Bombe platzen und bezichtigte sie der Lieferung eines schadhaften Hauptbuches, eines Hauptbuches notabene, dessen erste Seite fehle.

Dies brachte den Chefschreibwarenhändler höchstselbst an die Strippe, welcher Stein und Bein schwor, das Buch habe seine Hände genau in dem makellosen – wenn nicht in noch makelloserem – Zustand verlassen, in dem sich ein Hauptbuch zwingend befinden sollte.

»Irgend jemand muß die Seite herausgetrennt haben«, schloß er.

»Absurd!« entgegnete der Chefkassierer. »Nur ein Vollidiot würde die erste Seite eines Hauptbuches heraustrennen.« »Dann«, gab der Schreibwarenhändler, nicht faul, zurück, »haben Sie eben einen Vollidioten in Ihrer Abteilung. Na, ist es nicht so?«

Der Chefkassierer zuckte zusammen. Dies eröffnete eine völlig neue Perspektive.

»Aber natürlich!« räumte er ein, denn er war ein aufrichtiger Geselle. »P. G. Wodehouse arbeitet bei uns.«

»Auf den Kopf gefallen, dieser Wodehouse, wie?«

»Das kann man wohl sagen.«

»Dann zitieren Sie ihn jetzt zu sich und nehmen Sie ihn ins Kreuzverhör«, sagte der Schreibwarenhändler.

Und genau so geschah es. Man setzte mich unter die Lampe und machte mir die Hölle heiß. Ich mußte auspacken, und schon wenig später stand es mir frei, in die große weite Welt der Literatur zu ziehen.

2. Kapitel
Der richtige Anfang

1

Von Kindesbeinen an wollte ich Schriftsteller werden, und schon mit fünf Jahren ging ich in Produktion. (Was ich zuvor getan hatte, weiß ich nicht mehr: Däumchen gedreht, vermute ich.)