Scientologen in Deutschland,

Eine Sozialwissenschaftliche Studie

 

 

Von András Máté-Tóth Gábor Dániel Nagy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Forschungsarbeit wurde gefördert durch das Projekt Nr. EFOP-3.6.2-16-2017-00007 mit dem Titel

Entwicklung einer intelligenten, nachhaltigen und integrativen Gesellschaft: Sozial-, Technologie- und Innovationsnetzwerke in der Beschäftigung und in der digitalen Wirtschaft.

Das Projekt wird unterstützt durch die Europäische Union, kofinanziert durch den Europäischen Sozialfonds und den Etat von Ungarn.

 

 

 

Copyright © 2017 Máté-Tóth, András Nagy, Gábor Dániel

 

Veröffentlicht durch Universität Szeged

Institut für Religionswissenschaft H-6722 Szeged, Egyetem u.2 Ungarn, Europa

 

ISBN 978-963-306-551-8

ISSN 1788-9162

 

 

András Máté-Tóth1 Gábor Dániel Nagy2

 

Scientologen in Ungarn und Deutschland:

Umfragen im Vergleich

 

Diese Forschungsarbeit über Scientology ist Teil der Forschung über neue religiöse Bewegungen in Ungarn. Seitens der Universität Szeged, Institut für Religions- wissenschaft wurde eine sozialwissenschaftliche, auf der Theorie und Methodik der Religionswissenschaft basierende Forschung durchgeführt.

Es ist die erste derartige Forschungsarbeit in Ungarn. Früher gab es in ungarischer Sprache nur Bücher, die über die ungarische Präsenz von Scientology einen Anti-Sekten- Standpunkt schilderten: drei Bücher von Veér und Eröss (1999, 2000, 2001) und ein Buch von Bonyai (2011), einem ehemaligen Leiter bei Scientology. Bonyais Buch versucht die Skandale der Organisation zu enthüllen. Wissenschaftliche Literatur in Deutschland ist viel umfassender, aber Anti-Sekten-Bücher sind ebenfalls erhältlich. Die Forschungsarbeit über Scientology in Ungarn ist eine beachtliche Leistung. Ihr primärer Erfolg

 

Prof. Dr. Dr.; Institutsvorsteher, Institut für Religionswissenschaft, Universität Szeged; E-Mail: matetoth@rel.u-szeged.hu
Dr. habil.; Assistenzprofessor, Institut für Religionswissenschaft, Universität Szeged;

E-Mail: ngd1@rel.u-szeged.hu

 

 

ist, dass sie eine Datenerhebung in Form einer sozialwissenschaftlichen Umfrage über die Organisation ermöglichte. Des Weiteren konnte sie die Veröffentlichung von unvoreingenommenen wissenschaftlichen Publika- tionen über eine Organisation fördern, die oftmals durch einseitige Vorurteile im Auftrag der beruflichen und allgemeinen Öffentlichkeit angegangen wird (siehe: Cowan, 2009).

 

Religiosität

Gemäß dem amerikanischen Diskurs über Religion definiert Scientology sich selbst als eine Religion und Kirche. Da sich die europäischen Traditionen und gesetzlichen Bestimmungen erheblich von den amerikanischen unterscheiden, wird der religiöse und kirchliche Charakter von Scientology in Europa vielfach diskutiert (Willms, 2009). Unsere unter den Mitgliedern der Organisation erhobenen Daten belegen nicht, dass eine Mitgliedschaft in Scientology in ihrem religiösen Charakter ähnlich ist wie eine Mitgliedschaft in anderen religiösen Organisationen. In der Religionsforschung ist die Definition von Religion nicht auf private Spiritualität oder die Nutzung von religiösen Diensten der Organisation limitiert. Sie umfasst ebenfalls organisatorische Autodefinition, Ideologie und eine Reihe von Symbolen. Entsprechend dieser Unterscheidung können wir nicht ausschließlich aufgrund von Umfragedaten unter ihren Mitgliedern bestimmen, ob eine Organisation einen religiösen oder nicht-religiösen Charakter hat. Der Widerspruch, der vom

 

 

Gegensatz der gänzlich nicht-religiösen Mitgliederschaft und der religiösen Autodefinition und Selbstdarstellung der Kirche geprägt ist, kann durch die Einführung des Begriffes

„alternative Religion“ überwunden werden. Wir sollten beachten, dass in einigen europäischen Gesellschaften, wie beispielsweise in Großbritannien und in den skandinavischen Ländern, das niedrige Niveau der persönlichen Religiosität und der religiösen Autodefinition von Kirchen ein Alltagsphänomen ist.

Die Forschung betreffend die Scientology-Kirche seitens des Team des Instituts für Religionswissenschaft der Universität Szeged geht auf das Jahr 20033 zurück, als wir die ungarischen Scientologen in Zusammenarbeit mit der ungarischen Scientology-Kirche befragen konnten. Die Datenerhebung wurde in Zusammenarbeit mit der Kirche organisiert, aber erstellt, gestaltet und gesteuert wurden der Fragebogen und die Datenerhebung seitens der Forscher der Universität Szeged. Im Jahr 2003 wurde die Umfrage bei einer ungarischen Zusammenkunft von Scientologen durchgeführt, was bedeutet, dass wir eigentlich eine Auswahl von sachverständigen Kirchenmitgliedern vor uns hatten. Die erste Welle der ungarischen Umfragedaten (2003, N=171) repräsentierte die aktiven Mitglieder der Kirche zu jener Zeit; Menschen, die zu kirchlichen Veranstaltungen gingen und bereit waren unseren Fragebogen zu beantworten. Die Antworten der Befragten wurden in keiner Weise von irgendeiner Interessensgruppe

Die Leiter der Forschung waren damals András Máté-Tóth und Péter Török. (Máté-Tóth, Nagy, & Török, 2004)

 

 

beeinflusst, da Interviewer der Universität Szeged die Stichprobe aussuchten und den Fragebogen zum Selbstausfüllen an einer ausgewählten Großveranstaltung verteilten und einsammelten, nachdem er von den Befragten ausgefüllt worden war. Die Datei wurde von den Forschern der Universität erstellt und die Daten von selbigen bereinigt; die auf den Daten basierenden Veröffentlichungen (Máté-Tóth, Mezei, & Nagy, 2008; Máté- Tóth & Nagy, 2008; Máté-Tóth Et Al., 2004; Máté-Tóth, Nagy, & Török, 2008a, 2008 b) wurden von den Forschern individuell vorbereitet und den Vertretern der Scientology- Kirche nur zu Konsultationszwecken präsentiert. Das diese Veröffentlichungen enthaltende Buch erschien im Frühling 2008, herausgegeben von den Autoren dieser Studie.

Diese erste Welle der Befragung von ungarischen Scientologen hatte viele Defizite, da wir damals nicht die gesamten ungarischen Scientologen erreichen konnten sondern nur die Teilnehmer einer Großveranstaltung. Deshalb konnte unsere Stichprobe nicht als repräsentative Stichprobe sämtlicher Scientology-Mitglieder angesehen werden, sondern es war nur eine gute Auswahl von aktiven, sachverständigen Scientologen, die große kirchliche Veranstaltungen besuchten. Die durchgeführte Daten- analyse und die Schlussfolgerungen aus den Daten sollten unter Berücksichtigung dieses Populationsparameters interpretiert werden. Selbst mit diesen Einschränkungen erwiesen sich die Daten als sehr interessant und aufschlussreich betreffend die speziellen Charakteristika der ausgewählten Scientologen. Wir waren einer Auswahl

 

 

begegnet, die hoch qualifiziert, gut ausgebildet, jung und unternehmerisch war und diese Welt als einen Ort der Möglichkeiten betrachtete. Diese Ergebnisse führten zu einem vertieften Forschungsinteresse unsererseits betreffend Mitgliedschaft in der Scientology-Kirche.

Im gesamten Verlauf des Forschungsprozesses konnten wir zum einen unbeeinflusst von der Scientology-Kirche als unabhängige Forscher agieren und zum anderen konnten wir eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Leitern der ungarischen Kirche etablieren und aufrechterhalten. Darüber hinaus konnten wir ihr Vertrauen gewinnen und aufrecht halten; und wir konnten sie in alle Prozesse der Forschung authentisch einzubeziehen, indem wir ihnen einen Einblick gewähren, wie wir gearbeitet hatten. Wir veranstalteten einen Workshop um den Vertretern der Kirche die Forschungsergebnisse zu präsentieren und wir sammelten ihre Kommentare zur Forschung. Einige Kommentare waren sehr hilfreich und wurden dementsprechend unsererseits in die finale Fassung der Forschungsarbeiten integriert. Einige Kommentare wurden in der Endpublikation veröffentlicht als die offizielle, von den Ansichten der Forscher abweichende Kommentare der Scientology-Kirche. Diese sehr gute Zusammenarbeit etablierte eine gemeinsame Basis des Vertrauens für die Weiterführung unserer Forschungsarbeit.

Im Jahr 2010 konnten wir unter den ungarischen Scientologen eine zweite Forschungswelle durchführen und während dieser Forschung ebenfalls mit der Leitung der ungarischen Scientology-Kirche zusammenarbeiten. Wir

 

hatten die Gelegenheit eingehende Interviews4 mit 22 Personen in wichtigen leitenden Positionen der ungarischen Scientology-Kirche und ihr nahe stehenden Gruppierungen durchzuführen. Zuvor hatten wir eine Presseanalyse zu den Artikeln über Scientology durchgeführt, welche in der ungarischen Presse zwischen 2000 und 2010 veröffentlicht worden waren. Eine neue, zweite Welle der Umfrageforschung wurde auch durchgeführt, aber dieses Mal war sie für die Population der ungarischen Scientologen repräsentativ.

Diese Umfrageforschung wurde wiederum in enger Zusammenarbeit mit der Kirchenleitung durchgeführt. Wir definierten die Grundpopulation für die Forschung gemeinsam mit Experten der Kirche, um eine korrekte Repräsentation zu gewährleisten. Die für diese Umfrageforschung angegangene Grundpopulation bestand gesamthaft aus 2000 Personen. Zusammen mit der Kirchenleitung wurde beschlossen, dass wir versuchen würden die gesamte Grundpopulation zu befragen um eine gut fundierte Darstellung der ungarischen Scientologen zu gewährleisten.

Wir erstellten einen Fragebogen auf der LimeSurvey5- Internet-Umfrageplattform. Diese Plattform machte es möglich die Umfrage in einer kontrollierten, aber immer noch anonymen Weise durchzuführen. Der Fragebogen

 

Die Interviews wurden von den Autoren dieser Studie gemacht.
LimeSurvey Projektteam / Carsten Schmitz (2012). / LimeSurvey: Ein Open Source-

Umfrage-Tool / LimeSurvey Projekt Hamburg, Deutschland. URL: http://www.limesurvey.org

 

 

basierte auf Fragen – allgemeine und einige spezifische – der europäischen Sozialstudie („European Social Survey“) und zudem stützen wir uns in hohem Maße auf unseren ehemaligen Fragebogen über „Kultur und Religion 2003- 2006“ der Universität Szeged, Institut für Religions- wissenschaft, welcher im Jahr 2003 bei Scientologen eingesetzt worden war. Der neue Internet-basierte Fragebogen (CAPI, Computer Assisted Personal Interview) beanspruchte etwa vierzig Minuten für die Beantwortung. Wir vereinbarten mit der Kirchenleitung, dass sie den Link der Umfrage mit einem Brief an alle Mitglieder der Grundpopulation schicken würden mit der Bitte, den Fragebogen auszufüllen. Der Link zum Fragebogen wurde über Scientology-Mailinglisten und andere Kommuni- kationskanäle verteilt. Die Mitglieder der Stichprobe sind Menschen, die sich entschieden an der Umfrageforschung teilzunehmen und in Verbindung mit der ungarischen Scientology-Kirche gewesen sind oder zu irgendeinem Zeitpunkt in Verbindung gewesen waren. Wir kontrollierten den Vertriebsprozess des Umfragelinks anhand der Berichte der Kirchenleitung und unserer alternativen Quellen. Wir überwachten den Verlauf der Forschung, indem die gesammelten Daten fortwährend ausgewertet wurden, und konnten so der Kirchenleitung Feedback geben über die Anzahl und Verteilung der Personen, die schon geantwortet hatten. Wir waren in der Lage doppelte oder unstimmige Rückmeldungen durch Überwachung der IP-Adressen zu identifizieren ebenso wie identische und doppelte Antworten, willkürliche oder unlogische

 

 

Antworten und deren Kombinationen. Wir führten eine physische und logische Datenbereinigung auf der erstellten Datei durch. Im LimeSurvey-System erhielten wir insgesamt 1054 Reaktionen, aber aufgrund vieler unvoll- ständigen Umfragen und wegen der Datenbereinigung war die endgültige Anzahl n = 570. Unserer Meinung nach repräsentiert diese Stichprobe die ungarischen Scientologen auf eine wissenschaftlich akzeptable Weise. Die auf diesen komplexen Forschungen basierenden Analysen wurden im Jahr 2011 veröffentlicht, nachdem Experten der Kirche konsultiert worden waren und die Kirche sich offiziell zu einigen Abschnitten des Buches geäußert hatte, die in klar unterscheidbaren Kommentarfeldern platziert wurden (Máté-Tóth & Nagy, 2011).

Der Erfolg dieses zweiten Projektes war eine gute Bestätigung der intakten professionellen Beziehung des Instituts und der ungarischen Scientology-Kirche. Aufgrund des Projekterfolges in Ungarn wurde das Institut seitens der deutschen Scientology-Kirche kontaktiert. Ein neues Projekt wurde gestartet, um Deutsch sprechende Scientologen in Deutschland zu befragen. Wir begannen die Arbeit mit der Formulierung eines neuen Fragebogens, welcher auf dem Internet-basierten Fragebogen von 2010 basierte. Der neue Fragebogen wurde auf Ansuchen der deutschen Kirchenleitung kürzer und ein paar Fragen wurden ergänzt. Der neue Fragebogen wurde ins Deutsche übersetzt und zudem wurde er vom Institut für Religionswissenschaft sprachlich und wissenschaftlich überprüft. Das Ausfüllen des Fragebogens dauerte etwa

 

 

zwanzig Minuten. Das LimeSurvey-Tool wurde in diesem Fall wieder verwendet. Die Leitung der deutschen Scientology-Kirche versprach den Umfragelink an aktive Scientologen in Deutschland zu verteilen. Die Grundpopulation wurde – basierend auf den Berichten der Kirche – bei rund 1500 Personen angesetzt. Wir überwachten die Datenerhebung fortwährend und versuchten auch dieses Mal unstimmige oder doppelte Antworten zu vermeiden. Schließlich erhielten wir rund

450 Rückmeldungen, von denen nach erfolgter Datenbereinigung und Dublettenprüfung n = 301 nutzbar waren. 280 der beantworteten Umfragen stammten von in Deutschland lebenden Scientologen und 22 von Deutsch sprechenden Scientologen, die in anderen Teilen der Welt lebten. Die Ergebnisse wurden von den Forschern der Universität Szeged analysiert. Die deutsche Scientology- Kirche war in den Forschungsprozess involviert; deshalb erhielt sie die wesentlichen Streuungen der Umfragedaten und hatte eine beratende Funktion bei der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse.

 

Analyse der Umfragedaten

Für dieser Analyse verwendeten wir lediglich die deutschen Daten; demnach bereiteten wir unsere Analysen auf, so dass die Ergebnisse der 280 deutschsprachigen, in Deutschland lebenden Befragten verglichen werden konnten. Da die Forscher in Zusammenarbeit mit der deutschen Scientology-Kirche an die aktiven Mitglieder herangetreten waren, können diese Befragten als eine angemessene

 

 

Vertretung der Mehrzahl der in Deutschland lebenden Scientologen angesehen werden.

 

Geschlecht und Durchschnittsalter

Tabelle 1: Geschlecht im Vergleich (%)

 

2003

Ungarn

2010

Ungarn

2013

Deutschland

Männlich

42,9

54,5

53,8

Weiblich

57,1

45,5

46,2