Janet Lewis

Die Frau, die liebte

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Mit einem Nachwort
von Judith Hermann

Über Janet Lewis

Janet Lewis (1899–1998) wurde in Chicago geboren und lebte zumeist in Kalifornien. Sie studierte Französische Literatur in Stanford und begann bereits früh, Gedichte zu veröffentlichen. Mit ›Die Frau, die liebte‹ griff JanetLewis einen der berühmtesten Justizfälle Frankreichs auf und schuf den fulminanten Auftakt zu ihrer Trilogie um strittige Justizfälle.

 

Über das Buch

Als Martin Guerre nach langjähriger, rätselhafter Abwesenheit endlich zu seiner Frau zurückkehrt, ist Bertrande de Rols von Sinnen vor Glück. Acht Jahre lang hatte sie sich gesehnt, hatte gebangt und gezürnt, war weder Witwe noch frei gewesen, und jetzt – endlich – kann sie sich hingeben. Der Liebe, ihrer Sinnlichkeit, seinem Begehren. Welcher Dämon treibt ihr plötzlich Zweifel ins Herz? Ist der Mann, den sie liebt, wirklich Martin? Hin- und hergerissen zwischen ihrer Sehnsucht nach Zugehörigkeit und einer düsteren Ahnung, entfesselt sie eine richterliche Untersuchung – und eine Tragödie.

Impressum

2019 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© der deutschsprachigen Ausgabe:

2018 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© 1941, 1967 by Janet Lewis

Die Originalausgabe erschien 1967 unter dem Titel

›The Wife of Martin Guerre‹

bei Swallow Press, Ohio University Press.

Die Übersetzung fußt auf der Ausgabe von 2013,

Umschlaggestaltung: Alexandra Bowien/dtv unter Verwendung

eines Motivs von Victoria und Albert Museum, London.

 

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eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook 978-3-423-43378-5 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-14724-8

 

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ISBN (epub) 9783423433785

Die Frau, die liebte

1 ARTIGUES

An einem Vormittag im Januar 1539 wurde in dem Dorf Artigues Hochzeit gefeiert. In der Nacht lagen die beiden Kinder, die miteinander vermählt worden waren, im Elternhaus des Bräutigams zusammen im Bett. Die zwei waren Bertrande de Rols, elf Jahre alt, und Martin Guerre, der auch nicht älter war, beides Kinder reicher Großbauern, die so altehrwürdig, so feudal und stolz waren wie alle Großbauern der Gascogne. Im Zimmer war es kalt. Draußen lag der Schnee in einer dünnen Decke auf dem steinigen Boden, doch in manchen Ecken war er zusammengeweht worden, und davor blieb die Erde schneefrei. In höheren Lagen bedeckte er große Flächen und türmte sich zu Schneedünen auf, er säumte die Kämme und füllte die waldigen Täler hin zu den Gipfeln von La Bacanère und der langen Kammlinie von Le Burat, und nach Süden hin, jenseits des langen Tals von Luchon, stand der Granitgipfel des Maladetta, umhüllt von Eis und Schnee. Die Pässe nach Spanien waren unter dem Weiß begraben. Zur Winterzeit bildeten die Pyrenäen eine unüberwindbare Mauer. Die Spanier, die nach den ersten heftigen Schneefällen im September noch auf der französischen Seite waren, blieben dort, und die Franzosen, ob Schmuggler, Soldaten oder einfache Reisende, die auf der falschen Seite von Port de Venasque feststeckten, mussten bis zum Frühling dort verweilen. Mit den Schafen im Pferch, dem Vieh im Stall und den Reisigbündeln, die hoch entlang der Mauern der Hofgebäude gestapelt waren, verharrten die Bewohner der Bergdörfer in erzwungener Untätigkeit und Abgeschiedenheit. In diesen Monaten hatte man Muße, Hochzeiten zu feiern.

Bertrande hatte Martin in ihrem Leben schon oft gesehen, aber noch nie mit ihm gesprochen, und bis zum Abend zuvor hatte sie nicht gewusst, dass die Heirat beschlossen worden war. Am Morgen hatte sie mit Martin vor seinem Vater gekniet und war dann tapfer in einem neuen roten Cape, begleitet von vielen Freunden und Verwandten und zum Klang einiger Geigen, neben ihm durch den Schnee zur Kirche von Artigues gegangen, wo die Eheschließung vollzogen wurde. Sie hatte die ganze Zeremonie als so ernst empfunden wie die Erstkommunion.

Danach war sie, immer noch von Geigentönen begleitet, die in der kalten Luft dünn und scharf klangen, zum Haus ihres Gemahls zurückgekehrt, wo in dem großen, mit Weinlaub umrankten Kamin ein riesiges Feuer aus Eichenscheiten brannte und in der Küche, dem Mittelpunkt des Hauses, Tische aus Böcken und langen Planken aufgestellt waren. Die Steinplatten des Fußbodens waren mit Efeu- und Lorbeerblättern frisch bestreut. Im Widerschein der Flammen funkelten die Kupfertöpfe rötlich, und das reiche Aroma von Braten und frisch eingeschenktem Wein würzte die Luft. Der Schnee schmolz von den Holzpantinen, Tauwasser sammelte sich unter dem Grünzeug auf dem Boden. Der Geruch von Menschen und dampfender Wolle vermischte sich mit dem der Speisen, und der Raum erschallte vom Lärm der Stimmen.

Es war ein frohes, ein bedeutungsvolles Ereignis. Alle freuten sich über die Maßen, wenngleich der kleinen Braut recht wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Nach den Umarmungen und Komplimenten zu Beginn saß Bertrande neben ihrer Mutter an einem der langen Tische und aß, was die Mutter ihr von den großen Platten auftat. Hin und wieder spürte sie den Arm der Mutter, der sich warm um ihre Schultern stahl, und spürte den Druck, mit dem die Mutter sie stolz und wie zur Bekräftigung an die Brust drückte, doch im Verlauf des Festessens wurde die Mutter zunehmend in das Gespräch zwischen dem Priester, der ihnen am Tisch gegenübersaß, und dem Vater des Bräutigams, der auf der anderen Seite saß, einbezogen, so dass Bertrande inmitten dieser angeblich ihr zu Ehren ausgerichteten Feierlichkeiten nicht weiter beachtet wurde, und sie konnte sich ausgiebig im Raum umsehen und den wolligen Pyrenäen-Schäferhund mit dem langen Schwanz, der unter dem Tisch seine Schnauze auf ihren Schoß gelegt hatte, mit harten, in Bratenfett gestippten Brotkanten füttern. Als nach und nach Suppe und Braten abgeräumt und stattdessen gekochte Kastanien mit Honig, Käse und getrocknete Früchte aufgetischt wurden, verließ Bertrande ihren Platz und begann, den Raum zu erforschen.

Hinter dem Tisch, an dem sie gesessen hatte, standen die Betten, Fußende an Kopfende, und die Vorhänge aus derber gelber Wolle waren fest darumgezogen, so dass jedes Bett für sich in einem Abteil stand. Das Kind bewegte sich entlang der Vorhänge, vorbei an den kräftigen Rücken der Feiernden zum anderen Ende des Raumes, stellte sich an den hohen Geschirrschrank und beobachtete von dort das Treiben. An der Wand ihr gegenüber nahm der rußgeschwärzte Kamin bestimmt ein Drittel der Fläche ein, und bei dem hellen Schein der hoch lodernden Flammen versanken die Zimmerecken auf beiden Seiten in undeutlichem Halbdunkel. In der Mitte der Wand zur Rechten erspähte Bertrande eine Tür, auf die sie jetzt langsam zuging. Sie entdeckte, dass dies der Eingang zu einem langen kalten Flur war, von dem Türen in Vorratsräume und Kammern für die Hirten abgingen und in den nur durch ein kleines Fenster Licht fiel, dessen Läden jedoch geschlossen waren. Noch jemand hatte sich von den Feierlichkeiten hierher zurückgezogen, jemand, der fest entschlossen war, die Riegel der Läden zu öffnen. Nachdem er einen der Fensterläden aufgeklappt hatte, strömte kaltes, schneeiges Sonnenlicht in den Flur, und in der Helligkeit sah Bertrande, dass es Martin war. Sie machte zögernd einen Schritt, und als Martin das Geräusch hörte, drehte er sich um und kam mit ausgestreckten Händen und einem furchterregenden Ausdruck auf seinem langen Jungengesicht auf sie zu. Verheiratet zu werden hatte ihm nicht gefallen, und um sein Missfallen auszudrücken, aber auch seine Macht, die seine neue Stellung ihm verlieh, gab er Bertrande jetzt eine Ohrfeige, kratzte sie im Gesicht und zog sie an den Haaren, alles ohne ein Wort. Auf ihre Schreie hin kam eine Retterin: die Schwester von Bertrandes Mutter, die den Bräutigam zurechtwies und die Braut wieder mit in die Küche nahm, wo das Mädchen blieb, bis es an der Zeit war, dass ihre Mutter und ihre Schwiegermutter sie in das Zimmer der Brautleute führten, das der Küche gegenüberlag und wo das große Bett stand, das jetzt den Formalitäten der Heirat gewidmet war.

Bertrande wurde entkleidet, man zog ihr ein Nachtgewand an, dazu bekam sie eine Nachthaube. Martin wurde hereingeführt und ebenso angekleidet, und die beiden Kinder wurden in Gegenwart der gesamten Hochzeitsgesellschaft zu Bett gebracht. In Anbetracht der Jugend der Brautleute blieb jedoch der Vorhang aus dichter Serge offen, und eine an der Wand befestigte Fackel durfte weiterbrennen.

Die Gäste blieben eine Weile im Zimmer, lachten und scherzten, wie man das zu tun pflegt, während die Kinder ohne sich anzusehen ganz still im Bett lagen. Nach und nach verzog sich die Hochzeitsgesellschaft wieder in die Küche; als Letzter blieb Martin Guerres Vater in der Tür stehen und wünschte den Kindern in aller Form eine gute Nacht. Bertrande sah seine Züge, die im Schein der Fackel übertrieben wirkten und von großer Ernsthaftigkeit geprägt waren, und die Tatsache, dass ihr Leben fortan unter seiner Hoheit stand, wurde dem Mädchen plötzlich und nachdrücklich bewusst. Die Tür schloss sich hinter ihm. Die Läden vor der scheibenlosen Fensteröffnung waren verschlossen, aber ein Windzug blies durch die Ritzen herein und brachte die Flamme der Fackel zum Zittern. Sonst war die Luft still und tot. Kein Teppich lag auf dem Steinfußboden, und abgesehen von einigen mit Schnitzereien verzierten Truhen, die entlang der Wand standen, und dem großen Bett, in dem die Kinder lagen, gab es keine Möbel. Bertrande war müde und verängstigt. Sie wusste nicht, auf welche Gedanken Martin kommen würde und ob er ihr etwas antun wollte. Jetzt rührte er sich.

»Ich bin das alles leid«, sagte er, drehte sich auf seine Seite und vergrub den Kopf im Kissen. Bald hörte Bertrande seinen regelmäßigen Atem, und ohne sich zu regen, entspannte sie sich. Ihr würde nichts geschehen. Ihr Mann schlief.

Auf dem hohen Kissen liegend betrachtete sie die Fackel, das Flackern der Flamme, die brennenden Fädchen, die sich lösten und qualmend zu Boden fielen. Eins brauchte lange, bis es abfiel, es hielt fest, eine glühende Faser, und die Flamme zuckte und rauchte. Dann fiel es doch herunter. Die Wärme des mit Wollflocken gestopften Oberbetts umgab den kleinen dünnen Körper mit so etwas wie Geborgenheit, ein Gefühl fast so wie zu Hause. Die Fackel schien zu erlöschen. Das Kind döste ein.

Eine Stunde später ging die Tür auf, und eine große Gestalt in einem weiten braunen Wollgewand und einer gestärkten Haube aus weißem Leinen betrat das Zimmer mit einem Tablett, das sie gemessenen Schrittes zum Bett trug. Ob es das Gefühl war, dass ein Blick auf ihr ruhte, ob der Steinfußboden unter den Schritten gehallt oder das Silber auf dem Tablett leise geklirrt hatte – Bertrande erwachte, und als sie die Augen aufschlug, sah sie in das Viereck eines wohlwollenden Gesichts und die warmen braunen Augen einer Frau, die sie vage als Mitglied des Haushalts Guerre erkannte. Aber es war nicht das Gesicht ihrer Schwiegermutter, nein, es war das Gesicht der Dienerin, die in der Tür gestanden hatte, als die Hochzeitsgesellschaft aus der Kirche zum Haus der Guerres kam.

»Du bist wach. Das ist gut«, sagte die Frau mit einem Lächeln. »Gewiss würde der Junge, wenn er acht Jahre älter wäre, um diese Zeit nicht tief und fest schlafen.«

Sie stellte das Tablett aufs Bett, beugte sich über Bertrande und schüttelte Martin an der Schulter.

»Aber es ist doch noch nicht Morgen«, sagte Bertrande.

»Nein, mein Kind, es ist Réveillon. Ich bringe euch euren Mitternachtsschmaus.«

»Oh«, sagte Bertrande. »Das hat mir niemand gesagt.«

Sie setzte sich auf und sah sich benommen und etwas verstört um. Ohne Anweisungen wüsste sie nicht, was sie tun musste, und sie machte vielleicht etwas falsch. Martin war jetzt auch wach und richtete sich auf, und zusammen betrachteten sie das, was auf dem Tablett war.

»Das ist keine schlechte Idee«, sagte Martin mit schlaftrunkener Stimme und klang merkwürdigerweise ganz umgänglich.

»Esst«, sagte die Frau mit einem warmen Lächeln. »Alles andere habt ihr überstanden – jetzt könnt ihr euren kleinen Schmaus genießen, er ist nur für euch zwei. Ich habe ihn selbst zubereitet.«

Nach dieser Aufforderung rieben sich die Kinder die Augen und fingen an zu essen, und die Frau stand dabei, in ihrem weiten Gewand, die Hände auf den Hüften.

»Es gehört allerhand dazu, zu diesem Heiraten«, sagte sie und sah den Kindern zu. »Vergesst nicht die Vanillecreme – das ist meine Spezialität. Mit der Zeit werdet ihr zu würdigen wissen, was eure Eltern für euch getan haben. Und welchen Frieden es bringt, und welche Freundschaft in Artigues! Du bist ein hübsches kleines Ding, Madame, ein bisschen dünn vielleicht, aber mit den Jahren wird etwas mehr Fleisch auf deine Knochen kommen. Und im Gesicht hast du eine gute, frische Farbe. Sieh sie dir an, Martin. Jetzt ist sie noch hübscher als vorhin in der Kirche, denn da war sie blass und von Gefühlen übermannt.«

Bertrande aß mit Andacht und leckte die Creme von dem großen Silberlöffel. Hier war jemand, der ihr mehr Aufmerksamkeit schenkte als sonst jemand den ganzen Tag über, und nicht nur das, sondern sie konnte auch verstehen, was die Frau sagte, die jetzt mit ihrer vollen, ruhigen Stimme weitersprach:

»Sieh dir Martin an. Er wird kein hübscher Mann werden, aber ein bemerkenswerter, so wie sein Vater. Es gibt eine Art von Hässlichkeit, die einem Mann gut ansteht. Außerdem bin ich überzeugt, dass er zu allem, was von einem Mann verlangt wird, imstande sein wird.«

Sie lächelte den beiden zu, machte keinerlei Anstalten, sie zur Eile zu treiben, und fuhr fort:

»Und Martin, sieh dir deine Frau an – sie hat Glücksaugen, zweifarbige Augen, da ist Braun und Grün drin, und Glücksmenschen bringen denen, die sie lieben, Glück.«

Sie aßen alles, was auf dem Tablett war, und teilten das letzte Gebäckstück zwischen sich auf. Dann ging die Dienerin, mit weiteren freundlichen Worten. Madame Martin Guerre, geborene Bertrande de Rols, innerlich von Vanillecreme und Gebäck getröstet und von der wohltuenden Nichtbeachtung durch ihren Mann beruhigt, fiel in einen tiefen Schlaf. Am Morgen kehrte sie in das Haus ihrer Eltern zurück, wo sie so lange bleiben würde, bis sie für die Aufnahme ihrer ehelichen Pflichten hinreichend gerüstet war.

So begann für die Frau von Martin Guerre der Lebensabschnitt, der ihr so viel Freude bringen sollte, aber auch solch eigentümliches und unvorhersehbares Leid.

Zunächst einmal ging das Leben weiter wie bisher. Durch die Verheiratung mit Martin Guerre hatte sie weder an Bedeutung noch an persönlicher Freiheit gewonnen. Allerdings hatte sie das auch nicht erwartet. Sicherlich, die Heirat brachte Vorteile, aber zunächst kamen die den Familien Guerre und de Rols zugute, erst später würden Martin und Bertrande von dem gemehrten Wohlstand profitieren. Die feierliche Zeremonie in der Kirche, die Erinnerung an das nächtliche Erwachen und den königlichen Schmaus, der ihnen auf dem Silber der Familie Guerre serviert worden war, all das verblasste angesichts der Vielfalt der täglichen Aufgaben, aus denen Bertrandes Ausbildung bestand.

Die Verbindung der Häuser de Rols und Guerre war seit Längerem erwogen worden. Drei Generationen war sie als geradezu unvermeidlich erschienen, so groß waren die Vorteile, die sich aller Voraussicht nach für beide Familien ergeben würden. Vor drei Generationen war die Sache so gut wie beschlossen gewesen, doch eine Bemerkung des Urgroßvaters von Bertrande de Rols hatte den Plan des Urgroßvaters von Martin Guerre zunichte gemacht.

»Ich habe da eine hübsche kleine Enkelin, die ich für Euch aufbewahre«, hatte Martins Vorfahr zu dem alten de Rols freundlich am Ende eines Gesprächs gesagt, in dem sie das Ausmaß der beidseitigen Vorteile besprochen hatten, die aus einer Bindung der beiden Familien entstehen würden.

»Wenn Ihr sie gut aufbewahren möchtet«, hatte der Urgroßvater von Bertrande scherzhaft erwidert, »wenn Ihr sie wirklich gut aufbewahren möchtet, braucht Ihr sie nur zu salzen.«

Martins Urgroßvater betrachtete de Rols schweigend, und als er sprach, war sein umgänglicher Ton verschwunden.

»Ihr möchtet damit sagen, dass sie sich leicht aufbewahren lassen wird. Ihr deutet damit an, dass nicht viele um sie werben werden. Ihr sagt damit, ich soll sie einsalzen und mit Öl begießen, wie einen Hühnerbraten, dann hält sie sich für alle Zeiten.«

»Mein Freund, nichts dergleichen sage ich«, sagte der andere alte Mann geduldig. »Ich wollte lediglich einen kleinen Scherz machen.«

»Euer Scherz«, erwiderte Martins Urgroßvater, »Euer Scherz ist eine Beleidigung.« Und er spuckte dem Vorfahren von Bertrande de Rols ins Gesicht.

Die Verhandlungen mit dem Ziel einer Eheschließung wurden eingestellt, doch damit nicht genug: Der Urgroßvater Guerre und sein gesamter Hausstand, also seine Söhne und Töchter und deren Familien sowie die Onkel und Tanten und deren Familien und außerdem alle Bediensteten, die in den Familien des Hauses Guerre arbeiteten, entbrannten in einem tiefen Hass auf den gesamten Hausstand der de Rols, und dieser Hass blieb bis zur Geburt von Bertrande lebendig. Da jedoch das Haus Guerre erst kurz zuvor die glückliche Geburt eines Sohnes bekanntgegeben hatte, kam es den Nachkommen der Urgroßväter – scherzend der eine, der andere gekränkt – in den Sinn, dass die beste und auch die einzige Möglichkeit, eine so lange währende Fehde zu beenden, darin bestand, die beiden Kinder in der Wiege miteinander zu verloben. Das taten sie, und der Friede war wiederhergestellt.

Den Stolz des Großvaters, der von einem doch eher harmlosen Scherz so schwer beleidigt war, sollte man nicht zu streng verurteilen. Als Familienoberhaupt oder cap d’hostal hatte er große Verantwortung, denn Sicherheit und Wohlstand seines Haushalts hingen in hohem Maße davon ab, dass seine Kinder, seine Frau und sein Gesinde ihm in unbedingtem Gehorsam und Ehrerbietung ergeben waren. Aus großer Verantwortung erwuchs großer Stolz. Niemand hatte sein Recht, gekränkt zu sein, in Zweifel gezogen, noch zögerte jemand, ihm in seinem Hass auf den Verursacher zu folgen – auf dieseigneur campagnard