VVorwort

Organisationen sind keine starren „Gebilde“, sondern in ständiger Veränderung und Entwicklung. Um als Organisation erfolgreich zu sein und zu bleiben, ist es die Aufgabe von Führungskräften und Mitarbeiterinnen, diesen Entwicklungsprozess zu gestalten. Dabei wird manchmal eine interne oder externe Beratungsleistung als Unterstützung in Anspruch genommen.

Die Konflux Unternehmensberatung/IOB-Akademie hat dazu in den vergangenen Jahren einen eigenständigen Beratungsansatz entwickelt: die Integrative Organisationsberatung (IOB). Inspiriert wurden wir vor allem von Hilarion G. Petzold und den Ansätzen der Integrativen Therapie und der Integrativen Organisationsentwicklung.

Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die Realität, in der Organisationen existieren, also unsere heutige Lebenswelt (welche sich in Zukunft natürlich auch wieder ändern wird). Diese ist geprägt von Globalisierung, Komplexität, Beschleunigung, Digitalisierung, Bewusstseinsentwicklung und einer hohen Differenziertheit der wissenschaftlichen Disziplinen. Die Einflussfaktoren auf Organisationen sind somit vielfältig und herausfordernd. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, braucht es neue Ansätze mit einer mehrperspektivischen Betrachtung von Organisationen und das Erkennen von multikausalen Zusammenhängen.

In der Organisationsberatung ist dafür die Verknüpfung und Zusammenfügung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen verschiedener Disziplinen erforderlich. Die meisten Organisationsentwicklungsansätze (OE-Ansätze) basieren auf einem schulenspezifischen Theorieverständnis wie systemische OE, personenzentrierte OE, Transaktionsanalyse oder betriebswirtschaftliche Beratung. Im Gegensatz dazu ist die IOB ein theorieübergreifender Beratungsansatz mit eigenen signifikanten Grundannahmen (Integratoren) zu Entwicklungsprozessen von Organisationen. Relevante wissenschaftliche Erkenntnisse werden im sogenannten Integrationsparadigma zusammengeführt, Modelle und Konzepte anderer Theorieschulen studiert und gegebenenfalls integriert – zum Teil vollständig, zum Teil nur in einzelnen Aspekten. Das Ergebnis ist eine generische Entwicklung der Integration von Wissensbeständen auf Basis der Grundprämissen der IOB.

Die IOB versteht sich somit als ein mehrperspektivischer Beratungsansatz, der die prozesshafte Begleitung beschreibt, aber auch Fachberatung mitberücksichtigt. Integrative Organisationsberatung bewirkt auf verschiedenen Ebenen in Organisationen Weiterentwicklungen und sorgt für ein nachhaltiges Gesamtergebnis.

Organisationen werden von Menschen geschaffen und gestaltet. Organisationsberatung geschieht mit Menschen und Organisationen sollen letztendlich auch dem Wohl des Menschen dienen. Wir begreifen dabei den Menschen als Einheit aus Körper, Geist und Seele. Er wird in der Beratung – ergänzend zu organisationalen Themen – mit in den Fokus genommen.

VIGetragen wird die IOB von der Erfahrung, dass die konkrete Beratungsrealität nicht rein kognitiv geschieht. Auch körperliche Empfindungen, Gefühle oder ein größeres Zusammenwirken können erfahrbar werden. Dieses Eingebettetsein in einen größeren Zusammenhang, das manchmal als „Intuition oder Einheit“ erlebt wird, bezeichnen wir als Spiritualität.

Zuletzt sei noch angemerkt, dass die IOB selbst „in progress“ ist, also kein fertiges, starres Gebilde. Dieses Buch ist ein erster Versuch, die Integrative Organisationsberatung darzustellen. Weitere werden folgen. Die IOB bleibt dabei offen für weitere (wissenschaftliche) Erkenntnisse und behält ihre in die Zukunft gerichtete Perspektive bei.

Im ersten Kapitel werden die Grundlagen der Integrativen Organisationsberatung beschrieben. Das Integrationsparadigma bildet die Basis des theorieübergreifenden Beratungsansatzes. Danach folgt eine Beschreibung der Grundannahmen der IOB, die als Integratoren dienen. Zentrale Begriffe werden erklärt und in Zusammenhang mit Organisationsberatung dargestellt: Das Leben als Prozess, „Miteinander Sein“, das Leibkonzept, die Mehrperspektivität, Erkenntnisgewinnung und die Werteorientierung. Danach folgt eine ausführliche Darstellung der Integrativen Theorie zur Organisation und zu Mensch & Miteinander. Zusammenfassend dargestellt werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der IOB im sogenannten Tree of Science.

Im zweiten Kapitel wird die Integrative Gestaltung von Entwicklungsprozessen in Organisationen beschrieben, also der Kern der Prozessberatung. Dabei wird eingehend auf das Beratungsvorgehen (zeitlicher Ablauf) und auf den Beratungsprozess (Wirksamkeit und Nachhaltigkeit) eingegangen. Das IOB-Interventionsmodell zeigt, wie Beratungsschritte konkret gelingen und gut aufeinander angestimmt werden können. Die Darstellung von zwei weiteren bekannten und integrierten Praxismodellen dient als ergänzende Sichtweise.

Im dritten Kapitel stehen die Bedeutung der Beraterpersönlichkeit, die Beraterinnenhaltung und das Beraterverständnis im Vordergrund. Dabei wird ersichtlich, dass IOB-Beraterinnen einerseits untrennbar mit dem Beratungsgeschehen verbunden sind, andererseits aber die professionelle Exzentrizität, also den professionellen Blick von außen, brauchen, damit Beratung gelingen kann.

Das vierte Kapitel gibt Einblicke in organisationale Fachthemen, die in den Arbeitsfeldern der IOB eine wesentliche Rolle spielen. Gewisse fachliche Grundkenntnisse sind dabei Voraussetzung, um eine professionelle Prozessberatung durchführen zu können. Vor allem die neueren wissenschaftlichen Diskussionen über Organisationsformen (agil, holakratisch, integral etc.) und deren Auswirkungen finden eine besondere Beachtung. Es wird verständlich, dass die heutige (integrative) Sicht von Organisationsberatung ebenfalls eine „Zeiterscheinung“ ist und in 100 Jahren wohl (völlig) anders aussehen wird. Das Unterkapitel zum Verständnis von Spiritualität bildet den Abschluss des Buches. Da die spirituelle Erfahrung den kognitiven Verstand oftmals übersteigt, versuchen Worte in der Beschreibung von Spiritualität wie Wegweiser zu sein. VIIFür die Erstellung dieses Buches gilt mein besonderer Dank meinem Kollegen Gerald Willesberger, mit dem ich in jahrelanger Entwicklungsarbeit die IOB „erschaffen“ habe. In der Schlussphase der Bucherstellung danke ich besonders meinen KollegInnen Walter Wagner und Sigrid Waser-Wagner für ihre intensive Unterstützung. Außerdem möchte ich mich für alle weiteren inspirierenden Beiträgen bedanken, vor allem bei Wolfgang Bayer und Ulli Maurer und bei den Teilnehmerinnen des ersten und zweiten Lehrgangs „Integrative Organisationsberatung“ (2015 – 2017), die unsere Ansätze wohlwollend „geprüft“ haben. Ohne unsere ausgezeichnete Lektorin Laya Commenda wäre dieses Buch wohl nie entstanden. Danke.

Ich wünsche Ihnen viele inspirierende und ko-kreative Geistesblitze beim Lesen. Möglicherweise wird dieses Buch aber auch Ihr Tun verändern.

Gmunden, im Dezember 2017

Markus Göschlberger

11.
Grundlagen der Integrativen
Organisationsberatung – IOB

Die Integrative Organisationsberatung versucht, ein fundiertes Verständnis des Zusammenwirkens von Organisationen und Menschen zu schaffen. Auch die Beraterinnen sind Teil dieses Zusammenspiels. Um diese komplexe Interaktion verstehen zu können, braucht es einen möglichst umfassenden theoretischen Zugang und eine mehrperspektivische Betrachtung. Im folgenden Kapitel werden die wesentlichen Grundannahmen, Theorien und Modelle des Integrativen Ansatzes bzw. der IOB dargestellt. Die ausführliche Darstellung der IOB bezieht sich auf die Prozessberatung in Organisationen, in der Praxis fließt aber auch fachliches Know-how mit ein. Dazu werden je nach Fachdisziplin weitere Theorien und Konzepte herangezogen.

Zu Beginn dieser Einführung möchten wir einige grundlegende Begriffe anführen und erste Definitionen anbieten.

31.1 Grundlegende Begriffe

1.1.1 Definition von Organisation

Zur Bearbeitung des Themas Organisationsberatung ist vorweg eine Klärung des Begriffes „Organisation“ notwendig. Wir gehen dabei vom institutionellen Begriff der Organisation aus und nicht unmittelbar von der darin enthaltenen Tätigkeit des Organisierens.

Organisationen begegnen uns in allen Lebensbereichen: Wir werden im Krankenhaus geboren, gehen in die Schule, sind Mitglieder eines Sportvereins und/oder Teil einer kirchlichen Organisation, bestellen im Online-Shop ein Buch, gründen ein Unternehmen, verbringen unseren Lebensabend in einem Altenheim und werden letztendlich Kunden eines Bestattungsunternehmens (vgl. Simon 2011).

Organisationen „organisieren“ unsere Gesellschaft und vielfach auch unser individuelles Leben. Diese Tatsache ist für uns so selbstverständlich, dass wir uns im Alltag kaum Gedanken über dieses Phänomen machen. Was aber zeichnet eine Organisation aus und wann können wir von einer Organisation sprechen?

In der Wissenschaft gibt es dazu keine eindeutige Antwort. Organisationen sind komplexe Gebilde, die sich nur aus unterschiedlichen Perspektiven erschließen. Die jeweilige Beschreibung hängt stark vom Fokus ab. So kann man zwischen politischen, gesellschaftlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen, ökologischen, soziologischen und psychologischen Definitionen unterscheiden. Ebenso ist eine Unterteilung in funktionale und systemische Beschreibungsformen möglich. Die Liste der Perspektiven wird sogar noch deutlich länger, wenn Mischformen bzw. theoriespezifische Ansätze einbezogen werden. Wir sehen bereits an dieser Stelle, dass die Betrachtung eines einzelnen Begriffes, zum Beispiel dem der „Organisation“, die Komplexität und Vielfalt unserer postmodernen Zeit sichtbar macht.

Exemplarisch möchten wir nun erste Definitionen zitieren und deren Unterschiedlichkeiten aufzeigen:

Unter einer Organisation versteht man „… die Gesamtheit eines mehr oder weniger kompleXen Ordnungsgefüges, das zum Zweck der Erreichung bestimmter Ziele in ganz spezifischer Weise (durch-) strukturiert ist und nach einem mehr oder weniger eXpliziten Regelsystem funktioniert.“

Schönig/Brunner 1993

Ähnlich wie diese Definition orientieren sich viele Ansätze an einem mechanistischen oder linearen Verständnis und Weltbild. Die Beschreibungen suchen nach einer logischen und kausalen, das heißt auf Ursache und Wirkung begründeten Erklärung.

Der Integrative Ansatz steht im Gegensatz dazu einem komplexen, systemischen und postmodernen Weltbild nahe. Die Organisationsphänomene sind dieser Ansicht nach multikausal und entstehen durch dynamische interne und externe Wechselwirkungen.

4 Organisationen sind „feldorientierte Systeme“ (Kundenorientierung) und „Ziele realisierende und beständig Ziele suchende und generierende Systeme“.

Petzold 2007

Diese Definition beinhaltet bereits den Begriff „System“ für die Organisation. Daraus wird ersichtlich, dass der systemische Ansatz eine wichtige Referenztheorie in der IOB darstellt (siehe Kapitel 1.2.2.1).

An dieser Stelle möchten wir bereits eine Definition im Sinne der IOB anführen. Da in dieser Definition noch „undefinierte Begriffe“ enthalten sind, sei auf Kapitel 1.4 Integrative Theorie zur Organisation verwiesen, in dem die Integrative Theorie zur Organisation ausführlich beschrieben wird.

„Organisationen entstehen durch die Ko-respondenz (Interaktion) von Menschen und Systemen. Sie sind in einem ständigen Entwicklungsprozess in KonteXt und Kontinuum. Organisationen sind einerseits als abgrenzbare Einheiten zu betrachten (Eigenleiblichkeit mit intraorganisationaler Ko-respondenz) und sie sind gleichzeitig immer in Verbundenheit mit der Umwelt (interorganisationale Ko-respondenz).“

Göschlberger, Willesberger 2017

1.1.2 Organisationsberatung, Organisationsentwicklung und Change Management

Da für die Beratung und Begleitung von Entwicklungsprozessen in Organisationen die Begriffe Organisationsberatung und Organisationsentwicklung verwendet werden, möchten wir beide Begriffe einer Definition zuführen.

Ähnlich wie beim Begriff Organisation gibt es bei den Begriffen Organisationsberatung, Organisationsentwicklung und Change Management eine Vielzahl von Definitionen und Beschreibungen. Auch hier sind wir mit einer großen Vielfalt und Komplexität von Ansätzen und Konzepten konfrontiert. Wir haben daher versucht, eine gängige und praxisgerechte Beschreibung auszuwählen.

Gemäß der ÖVS – Österreichische Vereinigung für Supervision und Coaching – siehe www.oevs.or.at/beratungsformate/organisationsberatung (17.7.2017) – können Organisationsberatung und Organisationsentwicklung wie folgt unterschieden werden:

Organisationsberatung ist der Oberbegriff für sämtliche professionelle Beratungsinterventionen, die darauf abzielen, Organisationen oder Teile von ihnen zu verändern, auf die gesetzten Ziele hin nachhaltig zu entwickeln und zu stabilisieren. Ihr Focus ist im Unterschied zu Supervision und Coaching primär die Organisation mit ihren Strukturen und ihrer Kommunikation, weniger die Personen. Der Begriff der Organisationsberatung beschränkt sich demnach in Abgrenzung zur Unternehmensberatung vorwiegend auf Prozessberatung und die Beratung im Zusammenhang von Veränderung und Entwicklung in Organisationen.“

5 Organisationsentwicklung ist eine Sonderform der Organisationsberatung, welche die Betroffenen in den Entwicklungsprozess einbindet, d. h. Betroffene zu Beteiligten macht. Organisationsentwicklung konzentriert sich demnach im Wesentlichen auf den sozialen Wandel in Organisationen und kann als zielgerichtete Prozessbegleitung bei Veränderungen in Organisationen bezeichnet werden.“

Der Begriff des Veränderungsmanagements wird auf Wikipedia folgendermaßen definiert:

„Unter Veränderungsmanagement (Change Management) lassen sich alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten zusammenfassen, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weitreichende Veränderung – zur Umsetzung von neuen Strategien, Strukturen, Systemen, Prozessen oder Verhaltensweisen – in einer Organisation bewirken sollen.“

Wikipedia 2017

Entgegen der oben angeführten breiten Definition von Change Management verwenden wir in der IOB diesen Begriff zur Bezeichnung der konkreten Führungsaufgabe im Sinne von „Veränderungen managen“. Change Management ist damit den Führungskräften vorbehalten, kann aber natürlich durch eine externe oder interne Beratung unterstützt werden. Die Beratungsleistung wird in der IOB als Organisationsberatung, als Begleitung von Veränderungsprozessen oder als Change-Beratung bezeichnet.

Verwendung des Begriffes „Beratung“ in der IOB

Für die Bezeichnung unseres Ansatzes haben wir den Begriff der Beratung gewählt.

Im Wesentlichen liegen dieser Begriffswahl folgende Überlegungen zugrunde:

• Umfassende und unterschiedliche Möglichkeiten der Beratungstätigkeit: Der Begriff Beratung kann intern wie auch extern und sowohl in Form einer „kleinen“ Beratung (im Sinne von „Rat geben“) als auch in Form eines umfangreichen Beratungsprojektes verwendet werden. Somit sehen wir – wie beschrieben – Organisationsentwicklung als Teilaspekt der Beratung.

• Abgrenzung der IOB von der Integrativen Organisationsentwicklung von Hilarion Petzold: Wir übernehmen wesentliche Grundlagen des Integrativen Ansatzes, lassen in die IOB aber auch eigene und andere Konzepte und Ideen einfließen.

• Der Begriff der Beratung weist auf das konkrete Tun hin. Die IOB ist ein Beratungsansatz, der die Tätigkeit der Beraterin beschreibt. Aus einer theoretischen Fundierung heraus erklärt die IOB die Praxis des Beratungsprozesses.

1.1.3 Prozessberatung und Fachberatung

In der Beratung werden Prozessberatung und Fachberatung oft voneinander getrennt betrachtet. Die prozessorientierte (z. B. systemische) Organisationsberatung blickt auf Kommunikationsprozesse, die fachorientierte (z. B. betriebswirtschaftliche) Beratung betrachtet messbare Ergebnisse.

6Prozessberatung

Prozessorientierte Beratung bedeutet, dass die Kunden auf dem Weg zu den gewünschten Ergebnissen begleitet werden – Prozessberatung unterstützt den Weg zum Ziel.

Als Beispiel sei die Begleitung des Prozesses – des Weges – hin zur Formulierung einer gemeinsamen Unternehmensvision genannt. Die Prozessberaterin ist keine Fachexpertin für die Vision in einer bestimmten Unternehmensbranche, aber sie weiß um den Erarbeitungsprozess. Anders ausgedrückt: Die Kunden sind die Fachexperten und Wissenden und die Prozessberater begleiten sie bei ihren Anliegen und Problemlösungen, bei der Findung und Bewusstmachung neuer Sichtweisen bis hin zur Erreichung der gewünschten Auftragsziele. Gleichzeitig lernen die Kunden, ihre Potenziale zu sehen und zu nützen – sie eignen sich Prozess-Know-how an.

Konkret wird in der prozessorientierten Beratung immer das aktuelle Geschehen bei Beratungsinterventionen miteinbezogen. Zu dieser Herangehensweise werden die heraklitische Spirale und die Integrative Interventionslehre im Weiteren noch ausführlich beschrieben (siehe Kapitel 2.3 und Kapitel 2.5).

Fachberatung

Bei der Fachberatung ist die Beraterin vor allem als Fachexpertin gefragt. Der Kunde erwartet die Lösung des Problems von der Beraterin mit deren Fach-Know-how. Fachwissen kann für verschiedene Organisationsaspekte angefragt werden: Betriebswirtschaft, Strategieentwicklung in einer bestimmten Branche, Strukturentwicklung, Konfliktlösung oder zum Thema Führung.

Verwendung der Begriffe in der IOB

Die IOB ist in ihrem Selbstverständnis vorrangig eine prozess- und auftragsorientierte Beratung. In Kapitel 1.2 werden sämtliche Referenztheorien zur Prozessberatung angeführt. In Kapitel 2 Entwicklungsprozesse in Organisationen integrativ gestalten wird die Integrative Prozessberatung in ihren Grundkonzepten ausführlich beschrieben.

Die IOB versteht sich aber auch als mehrperspektivischer Beratungsansatz, in dem Prozess- und Fachberatung ineinanderfließen. Je nach Auftrag und Anliegen der Kundinnen werden Aspekte der Fachberatung mitberücksichtigt, um auf verschiedenen Ebenen in Organisationen Weiterentwicklungen zu bewirken und für ein nachhaltiges Gesamtergebnis zu sorgen. Somit steht die IOB dem Konzept der Komplementärberatung von Königswieser nahe (vgl.

Königswieser 2008).

Kurz-Definition IOB

„Die IOB ist ein theorieübergreifender Prozessberatungsansatz in Kombination mit Fach-Know-how.“ (Göschlberger, Wagner 2017).

Jeder Berater bringt sein fachliches Know-how unweigerlich in den Beratungsprozess mit ein, da er als gesamte Person anwesend ist und sich nicht als „meinungsloses 7Wesen“ verhalten kann und auch nicht soll. Allein schon die Frage der Kundin „Was meinen Sie dazu?“ fordert ihn auf, seine Expertenmeinung bzw. seine persönliche Fachmeinung kundzutun.

Entscheidend ist, dass die Beraterin sich darüber bewusst ist, wie sehr sie ihr Fachwissen, ihre Konzepte und Lösungsideen in den Beratungsprozess einfließen lässt. Dies hängt vorrangig vom Auftrag des Kunden ab. Andererseits spielen aber auch Vorlieben der Beraterin eine Rolle. Hier braucht es Reflexion, Feedback und Bewusstheit, damit persönliche Muster der Beraterin den Prozess des Kunden nicht zu sehr beeinflussen (siehe Kapitel 3 – Ich als IOB-Berater).

Beratungskontext:

In der konkreten Praxis ist ein reflektiertes Bewusstsein über eigene Verhaltensmuster als Prozess- oder Fachberater gefordert:

Wenn z. B. die Prozessberaterin gerne ihr Wissen und ihre Lösungskompetenz „zur Schau stellt“ (weil sie als besonders kompetent gesehen werden möchte oder weil sie es nicht aushält, dass der Kunde Zeit braucht, bis er die Lösung erarbeitet hat), dann kann es sein, dass sie es dem Kunden unmöglich macht, selbst die Lösungen zu finden. Sie werden ihm von der Beraterin immer schon zuvor „serviert“. Nicht mehr der Kunde wird sich seiner Lösungskompetenz (samt Lösung) bewusst, sondern die Beraterin bietet ihm die Lösung an.

Es geht hierbei nicht um die Bewertung eines solchen Beraterverhaltens, nicht um ein richtig oder falsch, sondern um den Aspekt der Bewusstheit. Dem Berater sollte bewusst sein, aus welchen Motiven bzw. Konditionierungen heraus er auf diese (oder die andere) Weise agiert.

1.2 Die IOB – ein theorieübergreifender Beratungsansatz

Nach der grundlegenden Klärung verschiedener Begriffe und ihrer Verwendung in der IOB werden nun die Grundannahmen und Referenztheorien zur Integrativen Organisationsberatung dargestellt.

Die meisten prozessorientierten Organisationsentwicklungsansätze (OE-Ansätze) basieren auf einem schulenspezifischen Theorieverständnis, wie zum Beispiel die systemische OE, die personenzentrierte OE oder die Transaktionsanalyse in der OE. Diese „klassischen“ Konzepte greifen unserer Meinung nach nicht weit genug bzw. decken nur bestimmte Perspektiven ab.

Durch die Vernetzung von verschiedenen Theorien und Konzepten spannt die IOB einen ganzheitlichen Bogen über das Zusammenspiel von Organisationen und Menschen. Dabei wird die Integration der Konzepte und Theorien nicht willkürlich vorgenommen, sondern sie stützt sich auf das strukturierte Vorgehen des Integrativen Ansatzes (Integrationsparadigma). Als Prozessberatung liegt das theoretische Fundament der IOB, in der sozialwissenschaftlichen, 8insbesondere sozialpsychologischen Ausrichtung – also im „sozialen Miteinander“.

1.2.1 Das Integrationsparadigma

Das dem Integrativen Ansatz zugrunde liegende Konzept der Integration (Integrationsparadigma) ist ein eingliederndes, verbindendes, verknüpfendes – und damit integrierendes – Vorgehen. Wie erwähnt erfordert die kaum noch überschaubare Vielfalt von Disziplinen in Wissenschaft und Forschung ein schulenübergreifendes, theorieplurales Vernetzen der Wissensbestände. Komplexität und Mehrdimensionalität erfordern ein transversales, das heißt nichtlineares, queres Zusammenführen von Theorien und Ansätzen.

„Integration ist ein Prozess, dessen Folge eine Ganzheit (nicht das Ganze) ist, in der Differentes nicht eingeschmolzen, eingeebnet wird, sondern erkennbar bleibt. Es geht um Verbindungen von Zerstreutem, Unterschiedlichem durch Vernetzungen, Synopsen, Synergieeffekte, sodass durch die ko-kreative Wirkung der Teilaspekte Sinnbezüge hergestellt werden und Innovationen geschehen und ein Novum auftauchen kann. Damit werden die Begriffe Differenzierung, Integration und Kreation in einen dialektischen Bezug gestellt.“

Petzold 2003

Durch das Schaffen von Übergängen und Brücken („Trans-Qualitäten“) ermöglicht der Integrative Ansatz eine Verbindung von Wissensbeständen, ohne dass die Unterschiedlichkeiten verloren gehen.

Die Grundlage für dieses Vorgehen bilden die zentralen Referenzphilosophien des Integrativen Ansatzes, und zwar Paul Ricoeurs theorieübergreifende Interpretationsarbeit und Maurice Merleau-Pontys Arbeiten zum kontextualisierenden und vernetzenden Denken (vgl. Petzold 2007).

Die Theorien von Ricoeur und Merleau-Ponty weisen auf die Notwendigkeit einer transdisziplinären bzw. theorienübergreifenden Ausrichtung hin. Ein theoriegeleiteter und praxisrelevanter Ansatz muss sich gegen eindimensionale Zugänge und Modelle auflehnen. Die Lebenswelten von Menschen und Organisationen bestehen aus pluralen Realitäten, aus komplexen Zusammenhängen. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, benötigen Beraterinnen, Führungskräfte, Personalverantwortliche, etc. „unterschiedliche Brillen“, unterschiedliche Erkenntnisweisen und ein vernetztes Denken.

Dabei stützt sich der Integrative Ansatz auf Referenztheorien und mit ihnen in Beziehung stehende zentrale Grundannahmen, welche als Integratoren dienen. Diese werden in Kapitel 1.3 ausführlich beschrieben.

Auf Basis der Grundannahmen (Integratoren) eingegliederte und verknüpfte Theorien und Ansätze werden im „Tree of Science“ (siehe Kapitel 1.6) zusammengeführt. Dieser „Wissenschaftsbaum“, in dem alle relevanten Theorien und Konzepte übersichtlich dargestellt werden, dient der Orientierung und Sammlung, gleichzeitig ist er der „Prüfstein“ für Erweiterungen. Die Integration von Theorien und Konzepten erfolgt über die notwendige Passung 9mit den Grundannahmen und die Prüfung der Stimmigkeit mit den bereits integrierten Ansätzen. Integration ist somit kein unreflektierter Eklektizismus, keine willkürliche Verwendung von Theorien und Zugängen, sondern der Versuch, relevantes Wissen zusammenzuführen, zu integrieren und daraus ein stringentes und theoriefundiertes Tun abzuleiten.

1.2.2 Referenztheorien zur Organisation und zu Mensch & Miteinander

Im Folgenden werden die Referenztheorien des Integrativen Ansatzes bzw. der IOB kurz dargestellt. Der Lesbarkeit halber haben wir die Perspektive „Organisation“ und die Perspektive „Mensch & Miteinander“ getrennt dargestellt, wir verstehen diese jedoch als ineinander verwoben und miteinander verknüpft. Sowohl der einzelne Mensch (Individuum) als auch die gesamte Organisation sind eingebunden in den betreffenden Kontext und in den zeitlichen Ablauf (Kontinuum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft).

In der IOB kommt dem Thema Mensch & Miteinander eine wesentliche Bedeutung zu. Entgegen diversen Ansätzen, gemäß denen es in der Organisationsberatung nicht um die „Zwischenmenschlichkeit“ geht, stellt diese für die IOB eine wesentliche Grundlage dar. Das Thema Organisation ist das Kernthema der IOB, aber die Organisation ist immer untrennbar mit Menschen verbunden.

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Abbildung 1-1: Zusammenspiel von Mensch und Organisation

Die folgenden Aspekte weisen auf die zentrale Bedeutung von Menschen in Organisationen hin:

• Organisationen werden von Menschen gegründet und Organisationen ohne Menschen werden von IOB-Beratern nicht beraten. Etwas überzeichnet formuliert: Auch wenn ein „Ameisenhaufen“ oft als Metapher für eine Organisation verwendet wird, so ist dieser in der Praxis kein Beratungsfeld.

• 10Die tägliche Praxis in Organisationen wird gelebt und getragen von Menschen. Im Gegensatz zur Beschreibung des Organisationssystems auf einer Metaebene (hier kommt dem einzelnen Menschen kaum Bedeutung zu) ist die Betrachtung der Mikroebene (= gelebte Praxis) geprägt von Menschen, von deren Kommunikation und von deren Verhalten.

• Alle organisationale Tätigkeit soll letztendlich dem Menschen dienen. Wir geben in der IOB dem Menschen in der „Schöpfung“ einen besonderen Platz. In der Werteorientierung der IOB ist das gute Miteinander – von Menschen, allen Lebewesen und der Natur – von zentraler Bedeutung.

Als Referenztheorien werden jene Theorien bezeichnet, welche die IOB maßgeblich beeinflussen bzw. wissenschaftlich fundieren. Sie schaffen die Grundlage für ein durchgängiges Theoriekonzept und finden ihre Wurzeln in den Grundannahmen der von H. G. Petzold und seinen Mitarbeiterinnen entwickelten Integrativen Psychotherapie bzw. Integrativen Supervision und Organisationsentwicklung. Wie bereits erwähnt hat die IOB die Ansätze von Petzold erweitert und nimmt auch zusätzliche Theorien und Modelle in ihr Konzept auf.

1.2.2.1 Referenztheorien zur Organisation

Ein mehrperspektivischer Zugang und eine theorie- und schulenplurale Fundierung sind Grundprämissen des Integrativen Ansatzes, denn nur so können Organisationen als vielschichtige und komplexe soziale Systeme erfasst werden.

Wesentliche theoretische Einflüsse sind (angelehnt an: vgl. Petzold 2007):

• Systemische Einflüsse

• Sozialpsychologische Theorien

• Sozialkonstruktivistische Einflüsse

• Tiefenpsychologische Perspektiven

• Gesellschaftstheoretische Diskurse

Systemische Einflüsse

Da die systemische Organisationstheorie mit ihren systemischen Organisationsberatungsansätzen eine wesentliche Referenztheorie der IOB darstellt und einen hilfreichen Praxiszugang ermöglicht, möchten wir den systemischen Ansatz etwas ausführlicher darstellen.

Dieser beschreibt die Organisation als System. Systemtheoretische Überlegungen gehen zurück ins 19. Jahrhundert und haben ihren Ursprung in der Biologie und in der Physik. Überall dort, wo mechanistische Weltbilder an ihre Grenzen kamen, haben sich Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen mit neuen Erklärungsmodellen für die Welt auseinandergesetzt. Der ganze Kosmos wurde als System von Systemen gesehen (vgl. Königswieser 2008). Somit ist auch die Organisation ein System mit Subsystemen (z. B.: Abteilungen, Bereiche, Personen …) und in Interaktion mit anderen Systemen im Außen (z. B. Kunden, Privatpersonen, Behörden …). Systeme sind stets komplex und dynamisch und mit allen anderen Systemen vernetzt.

11 „Der Begriff System steht, seiner wörtlichen Bedeutung entsprechend, für eine zusammengesetzte Einheit.“ (Simon 2013) Der Ursprung des Begriffs liegt im Griechischen und bedeutet zusammenstellen/-setzen. Aus welchen Elementen sind nun soziale Systeme zusammengesetzt? Das ist eine zentrale Frage der Systemtheorie.

Hierzu wurden von Weick (1979) Handlungssysteme beschrieben. Eine soziale Organisation setzt sich aus handelnden Personen zusammen und bildet spezifische Muster des Handelns aus. Diese Muster werden prägend und beständig, sie stellen ein Spezifikum der Organisation dar, sind personenunabhängig (das heißt, Personen sind austauschbar) und sichern dadurch das Überleben des Systems.

Einen weiteren entscheidenden Schritt setzte Niklas Luhmann (1984) mit seiner „Theorie sozialer Systeme“. Er beantwortet die Frage, wie die einzelnen Handlungen in Organisationen miteinander verbunden sind. Als Basiselement aller sozialen Systeme definiert er die (einzelne) Kommunikation (vgl. Simon 2013). Organisationale Handlungsmuster und organisiertes Verhalten entstehen über Kommunikationsprozesse.

„Während eine Handlung einem einzelnen Akteur zugerechnet werden kann, geht dies bei der Kommunikation nicht, denn sie koppelt (assoziiert) zwei oder mehr Akteure bzw. ihre Akte miteinander.“

Simon 2013

Kommunikation kann oft nicht direkt und unmittelbar beobachtet werden. Alle Handlungsmuster und organisiertes Verhalten können aber durch Kommunikationsprozesse erklärt werden.

Der überlebenssichernde Trick der Organisation besteht darin, dass Kommunikationsmuster reproduziert werden (z. B. der unter vielen Mitarbeitern koordinierte Arbeitsablauf). Damit die Kommunikationsmuster eingehalten werden, gibt es Arbeitsverträge, Funktionen und Verantwortlichkeiten in der Organisation. Mitarbeiterinnen sind in diesem Denken austauschbar, Kommunikationsprozesse bleiben bestehen und definieren somit die Organisation als (teil-)autonome Einheit gegenüber dem Rest der Welt (vgl. Simon 2013).

„Wenn man dynamisches Systemdenken in die Supervision (OE) überträgt, erhält man eine faszinierende Möglichkeit, Prozesse in Organisationen als kompleXe Systeme besser zu verstehen.“

Petzold 2007

Die IOB hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Möglichkeiten des systemischen Ansatzes zu nutzen, ohne den mehrperspektivischen Zugang zu verlieren. Besonders hilfreich ist die Beschreibung von Organisation als System bzw. Kommunikationsprozess. Dies schafft die Möglichkeit, eine Organisation als einzigartige Einheit zu betrachten und deren spezifische Kommunikationsprozesse aufzuzeigen und somit auch veränderbar zu machen.

Wie in der Mehrebenenreflexion der IOB (siehe Kapitel 3.3.4) wird auch in der Kybernetik 2. Ordnung versucht, die Organisationsphänomene (Kommunikationsprozesse und Organisationsmuster) tiefgründiger zu betrachten und zu 12verstehen. Es erfolgt eine Reflexion über die Beobachtung der Beobachtung und über dahinterliegende Ursachen und Zusammenhänge.

Die systemische Organisationstheorie (vgl. Simon 2011 oder Willke 2006) ist eine wichtige Referenztheorie für die IOB. Mithilfe des systemischen Zugangs können viele Phänomene in Organisationen beschrieben und bearbeitet werden. Wir teilen jedoch auch die Einschränkung von Petzold:

„Die Eleganz des systemtheoretischen Sprachspiels darf indes nicht dazu verführen, die Landkarte mit der Landschaft zu verwechseln. Leistungsfähigkeit und Grenzen des Ansatzes und auch seine Gefahren müssen gesehen werden: die der zu großen Generalität und damit PraXisferne, die der einseitigen Funktionalisierung, die Gefahr von Kategoriefehlern und der falschen Analogisierung“

Petzold, 2007

Die „Landkarte“ des systemischen Denkens (Versuch Kommunikationsprozesse als beständige Muster zu beschreiben) vermag nicht über die lebendige Interaktion in Organisationen zwischen Menschen hinwegzutäuschen.

Aus Sicht der IOB sind Menschen dabei nicht „völlig austauschbar“. In der konkreten Praxis sind sowohl die Kommunikationsmuster der Organisation (z. B. vorgegebene Arbeitsabläufe oder Organisationskulturmuster) als auch die Kommunikationsmuster von Menschen (z. B. Behinderung im Arbeitsablauf aufgrund von Konflikten unter den handelnden Personen) wirksam.

Sozialpsychologische Theorien

Prägend für die Integrative Theorie der Organisationsentwicklung sind die sozialpsychologischen Ansätze von Kurt Lewin. Besondere Bedeutung hat die Feldtheorie von Lewin (vgl. Herber & Vásárhelyi 1996). Die Feldtheorie stellt ein dynamisches Modell zur Analyse individuellen und sozialen Verhaltens dar und verbindet Grundbegriffe der Gestaltpsychologie mit physikalischen Begriffen wie Feld und Kraft.

Lewin stellt den relationalen (relational – in Verbindung seiend) Ansatz in den Vordergrund, das heißt, innere und äußere Prozesse stehen in Relation zueinander. So ist die Dynamik eines Geschehens auf die Prozesse innerhalb der Individuen und auf die Beziehung des konkreten Individuums zur konkreten Umwelt zurückzuführen. „Konkrete Umwelt” meint dabei nicht vorrangig eine objektivierte materielle (physikalische, chemische, biologische etc.) oder soziale (institutionelle, kulturelle, etc.) Abbildung, sondern einen psychologisch beschreibbaren Lebensraum, wie ihn das konkrete Individuum in einer bestimmten Situation wahrnimmt. Dieser Lebensraum umfasst alle relevanten bisherigen Erfahrungen des Individuums sowie die aktuellen Wahrnehmungen seiner inneren und äußeren Situation.

Lewin fordert damit (vgl. Herber & Vásárhelyi 1996):

• den Übergang von einem monopersonalen (elementaristischen) zu einem interpersonalen bzw. relationalen (systemischen) Ansatz

• 13den Übergang von einer wesenszentrierten (statischen) zu einer funktionszentrierten (z. B. gruppendynamischen) Erklärungsweise

Diese Grundannahmen gelten nicht nur für die individuelle Ebene, sondern stellen auch eine Basis für die dynamischen Konzepte der Integrativen Organisationsbetrachtung dar. Sowohl Menschen als auch Organisationen stehen in einem ständigen Bezug zueinander (Ko-respondenzprozess).

Sozialkonstruktivistische Einflüsse

Die sozialkonstruktivistischen Theorien (vgl. Petzold 2007) gehen davon aus, dass nicht nur Individuen, sondern auch Gesellschaften (Organisationen) Wirklichkeiten erzeugen. Individuen und deren Welten sind strukturell miteinander gekoppelt, beide existieren nicht unabhängig voneinander, sondern sie beeinflussen sich gegenseitig. Durch Phänomene der sozialen Wahrnehmung, durch kollektive Interpretationsmuster und soziale Konstruktionsprinzipien entsteht eine kollektive Realität. Der Integrative Ansatz stützt sich auf die Annahmen der sozialkonstruktivistischen Theorien und grenzt sich damit vom „radikalen Konstruktivismus“ (vgl. Schmidt 1987) ab.

Im Integrativen Ansatz wird davon ausgegangen, dass alle organisationsberatenden Prozesse vom sozioökologischen Kontext bestimmt werden, das heißt von den vorliegenden Wahrnehmungsangeboten, Handlungsmöglichkeiten und Grenzen. Erst durch Interaktions- und Kommunikationsvorgänge wird eine gemeinsame (Beratungs-)Realität geschaffen und werden Veränderungen ermöglicht. Eine professionelle Beratung weiß um die Muster, Mechanismen und Prinzipien der sozialen Konstruktion und kann diese durch ein reflexives Vorgehen bearbeitbar machen.

Tiefenpsychologische Perspektiven

Da in systemischen Bezügen und sozialen Interaktionen nicht nur offen sichtbare Konstellationen und Probleme auftauchen, sondern auch verdeckte und unbewusste Dynamiken große Bedeutung haben, wird im Integrativen Ansatz eine kritisch rezipierte tiefenpsychologische Perspektive hinzugenommen (vgl. Petzold 2007). Die Bedeutung für die Betrachtung von Organisationen liegt dabei weniger in der tiefenpsychologischen Theorie als vielmehr in einer phänomenologischen und hermeneutischen Herangehensweise (siehe 1.3.1). Durch den „Blick in die Tiefe“ (Tiefenperspektive) werden dahinterliegende Muster sichtbar. Dadurch können unbewusste Strukturen bewusst werden. Themen wie Verdrängung und Macht bekommen einen Bezugsrahmen.

Praxisbeispiel:

Ein Unternehmensgründer, der bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden ist, hat ehemals eine spezifische Produktsparte aufgebaut. Obwohl diese Sparte nicht mehr rentabel ist, ist es ein unausgesprochenes (und auch unbewusstes) Tabu diese zu schließen oder zu verkaufen. So hat eine Person, die nicht mehr Teil des Unternehmens ist, großen Einfluss auf den Unternehmenserfolg zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

14Gesellschaftstheoretische Diskurse: Kritische Theorie und Poststrukturalismus

Neben der sozialpsychologischen, systemischen, sozialkonstruktivistischen und tiefenpsychologischen kommt als fünfte Referenztheorie noch die gesellschaftstheoretische Perspektive hinzu. Im Integrativen Ansatz von Petzold spielen Einflüsse z. B. von Adorno, Foucault und Luhmann (Kritische Theorie) eine wichtige Rolle. Der Integrative Ansatz sieht sich eingebettet in einen gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskurs, bei dem es um gemeinschaftliche Prozesse des Gewinns von Erkenntnis und Freiheit sowie um erkenntnisgeleitetes und ethisch fundiertes Handeln geht (vgl. Petzold 2007). Die integrative Grundhaltung hat ihre Wurzeln im Freiheitsdiskurs moderner Demokratie und im Engagement für Grund- und Menschenrechte. Organisationen sind als Teil der Gesellschaft eingebunden in einen politischen und sozialen Kontext. Die beratende Arbeit im integrativen Sinne kann sich der gesellschaftlichen und ethischen Verantwortung nicht entziehen (siehe auch Kapitel 1.3.6 Werteorientierung).

1.2.2.2 Referenztheorien zu Mensch & Miteinander

Für die Referenztheorien zu Mensch & Miteinander sind vor allem drei Wissenschaftsbereiche anzuführen:

• Naturwissenschaften: Medizin und Biologie, im Speziellen Neurobiologie und biologische Anthropologie

• Geisteswissenschaften: Psychologie, Philosophie, Ethik und Ontologie

• Sozialwissenschaften: Soziologie, Sozialpsychologie, Sozialkonstruktivismus, systemische Ansätze, Lerntheoretisches Paradigma, Interaktionstheorien, Humanistisches Paradigma

Im Folgenden gehen wir exemplarisch auf wesentliche Theorien der Psychologie und Philosophie ein.

Psychologische Referenztheorien

Einen wichtigen Einfluss auf die psychologischen Konzepte des Integrativen Ansatzes haben die tiefenpsychologischen Theorien von Sigmund Freud und Sandor Ferenczi (vgl. Leitner 2010). Das Konzept des Bewussten und des Unbewussten wurde von Freud übernommen. Das Unbewusste (umgangssprachlich oft Unterbewusstes genannt) ist jener Bereich der menschlichen Psyche, der dem Bewusstsein nicht unmittelbar zugänglich ist. Dennoch wird das menschliche Fühlen, Denken und Handeln maßgeblich von unbewussten Prozessen beeinflusst. Petzold (2003) beschreibt im Integrativen Ansatz ein sehr ausdifferenziertes Bewusstseinsspektrum. Die Bewusstseinsarbeit von Menschen in Organisationen ist ein wesentlicher Ansatz der IOB. Dadurch werden verdeckte Muster, Motivationen und Wünsche erfahr- und bearbeitbar. Die Bearbeitung führt zur Selbsterkenntnis und vergrößert den Handlungs- und Gestaltungsspielraum von Individuen, Gruppen und Organisationen.

In Hinblick auf die „Haltung“ des Beraters wurde jedoch das Konzept von Ferenczi (einem Schüler Freuds) integriert. Im Gegensatz zu Freud geht Ferenczi 15davon aus, dass der Therapeut bzw. die Beraterin nicht neutral (abstinent) sein kann. Nicht nur im beratenden Kontakt, sondern ganz allgemein entsteht bei jeder Begegnung eine gegenseitige Interaktion und Beeinflussung – im Integrativen Ansatz wird diese als „intersubjektive Ko-respondenz“ bezeichnet.

Die Gestalttherapie von Friedrich Perls (vgl. Leitner 2010) ist eine weitere Referenztheorie des Integrativen Ansatzes. Die IOB übernimmt im Besonderen die von Perls beschriebene Gesundheitsorientierung (healthy functioning) von Menschen. Ein gesunder Mensch ist in Kontakt mit sich und der Umwelt. Im Modell von Perls geht es nicht nur um Gedanken und Gefühle, sondern auch um den körperlichen Ausdruck und das körperliche Wohlbefinden, das heißt, der Mensch wird in seiner Ganzheitlichkeit wahrgenommen. Dabei kommen Methoden der szenischen Darstellung, wie sie in der Gestalttherapie oder im Psychodrama nach Moreno entwickelt wurden, zur Anwendung.

Die Verhaltenstherapie mit der sozialpsychologischen Orientierung nach Albert Bandura ist eine wesentliche Grundlage der Lerntheorie des Integrativen Ansatzes (vgl. Leitner 2010). Besonders die Konzepte und Methoden zur Verinnerlichung von neuem Wissen bzw. Verhalten sind von zentraler Bedeutung. Verhaltenstherapeutische Techniken wie Desensibilisierung, Selbstsicherheitstraining oder Rollentraining wurden als Methoden in den Integrativen Ansatz aufgenommen. All diese Techniken enthalten das Element des „Übens“, des „Verinnerlichens“ von neuem Verhalten. Dies bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auch auf organisationale Aspekte, z. B. von Teams oder Abteilungen.

Philosophische Referenztheorien

Im Integrativen Ansatz bzw. in der IOB wird das Leibkonzept der französischen Philosophen Gabriel Marcel und Maurice Merleau-Ponty als Ausgangspunkt für die Betrachtung des Menschen herangezogen (vgl. Petzold 2003). Der Mensch wird als Einheit von Körper-Geist-Seele, das heißt als „Leibsubjekt“, betrachtet. Marcel versteht unter Leib den belebten, mit Bewusstsein ausgestatteten Körper (vgl. Leitner 2010). Dies bedeutet, dass Bewusstsein und Körper nicht voneinander zu trennen sind. Aus der Leiblichkeit des Menschen heraus entsteht bei der Begegnung mit anderen Menschen immer eine „zwischenleibliche“ Verbindung, die es unmöglich macht, sich aus der Interaktion herauszunehmen.

Von Paul Ricoeur werden die Ansätze zur Hermeneutik, also der Wissenschaft vom Verstehen des Menschen (des Lebens selbst), übernommen. Es geht dabei um den Prozess „Wahrnehmen – Erfassen – Verstehen – Erklären – Handeln“, der im Integrativen Ansatz im Erkenntnis- und Lernprozessmodell der heraklitischen Spirale zusammengefasst wird (siehe Kapitel 2.3 Integrative Prozesstheorie).

1.2.2.3 Spirituelle Referenzkonzepte

Das spirituelle Konzept der IOB stellt eine Erweiterung des Integrativen Ansatzes dar (siehe Kapitel 4.7.2 Spiritualität). Da der Begriff „Spiritualität“ wissenschaftlich 16nicht begründet ist und per se auch nicht begründet werden kann, bezeichnen wir die von uns aufgenommenen Beschreibungen und Modelle als Referenzkonzepte.

Die IOB bezieht sich bei den spirituellen Referenzkonzepten sowohl auf mystische, also auf die Erfahrbarkeit des „Göttlichen“ bezogenen Traditionen der Weltreligionen, wie z. B. christliche Mystik, Buddhismus, Advaita-Tradition im Hinduismus, Sufi-Tradition der Muslime, als auch auf neue spirituelle Konzepte, wie sie z. B. von Eckhart Tolle oder Willigis Jäger vertreten werden.

Spiritualität ist aus unserer Sicht nicht an eine Religionszugehörigkeit oder an eine spezielle Form der Ausübung gebunden, sondern stellt ein Wesensmerkmal des Menschen dar. Gerade in unserem globalen Informationszeitalter mit der mehrfach beschriebenen Komplexität der Lebenswelt ist der spirituelle Zugang zum Sein für die IOB wesentlich. Menschen brauchen sowohl das kognitive und rationale Element als auch die Möglichkeit für inneren Rückzug und kontemplative und spirituelle Erfahrungen. Die IOB geht von der Annahme aus, dass unser Bewusstsein über die alltäglichen Erfahrungen mit Körperempfindungen, Gedanken und Gefühlen hinausreicht, hin zu spirituellen Erfahrungen der Verbundenheit und des Einsseins.

Die IOB weitet das Konzept der Spiritualität auch auf Organisationen aus. Aus unserer Sicht gibt es in Organisationen nicht selten transzendente Phänomene, also solche, die jenseits der rationalen Erkenntnis liegen, sowie Erfahrungen der spirituellen Verbundenheit. Organisationen sind mehr als die Summe ihrer Teile. Sie bestehen aus mehr als den sichtbaren und rational erfassbaren Elementen.

Mit der Verknüpfung und Erweiterung der unterschiedlichen Referenztheorien und theoretischen Einflüsse ist der Grundsatz des theoriepluralen und interdisziplinären Vorgehens, wie es die IOB vertritt, gegeben. Durch die explizite Einbeziehung der spirituellen Ebene wird der Horizont um eine zusätzliche Dimension erweitert. Die benannten Ansätze fließen ineinander und wirken aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven als gegenseitige „Korrektive“ bzw. Auslöser für vernetztes und mehrperspektivisches Denken.

1.3 Zentrale Grundannahmen der IOB

Wie aus den Referenztheorien ersichtlich basiert die IOB auf einem ausgewählten wissenschaftlichen Fundament. Die davon abgeleiteten zentralen Grundannahmen (und Integratoren) werden im Folgenden ausführlicher erklärt.

1.3.1 Das Leben als Prozess

Das Leben von Menschen und Organisationen ist ein „prozessuales Geschehen“. Dieser Satz kann als die Zusammenfassung der Integrativen Prozesstheorie bezeichnet werde. „Alles fließt“ und ist in ständiger Veränderung und 17Entwicklung. Im Integrativen Ansatz werden dazu zwei Bilder verwendet: der Fluss (alles fließt) und die Spirale.

Die Integrative Prozesstheorie ist die Grundlage für alle weiteren Grundannahmen, die Basis des Verständnisses von Entwicklung und die Grundlage der Prozessberatung. Sie wird im Kapitel 2 ausführlicher beschrieben und mit der Praxis der Prozessberatung verknüpft (siehe Kapitel 2.4. und folgende).

Das Wort Prozess leitet sich vom lateinischen Wort procedere ab und heißt „vorwärtsgehen“. Prozess wird geschichtlich betrachtet mit den Wörtern Verlauf, Entwicklung, Hergang oder Ablauf in Verbindung gebracht (vgl. Wikipedia, 12. 9. 2017). Ursprünglich als Rechtsbegriff verwendet, hat der Begriff Prozess im 19. und 20. Jahrhundert Einzug in die Naturwissenschaften (Erklärung von Naturphänomenen: von statisch zu dynamisch-prozesshaften Sichtweisen) und die Sozialwissenschaft (versucht, das Zustandekommen von sozialen und kulturellen Phänomenen – als Prozess – zu erklären) gefunden und wurde verstärkt auch im organisationalen Kontext verwendet (siehe Prozessmanagement Kapitel 4.4.2). Für die Beratung und Führung von Organisationen ist es wesentlich, zu verstehen, dass jegliches Sein in Organisationen nicht statisch, sondern prozesshaft ist.

Beratungskontext: