image1
Logo

Unsere Autoren

Dr. Burkhard Peter ist psychologischer Psychotherapeut mit eigener Praxis in München.

Prof. Dr. Dirk Revenstorf ist psychologischer Psychotherapeut mit eigener Praxis in Tübingen. Beide Autoren, ehem. Vorsitzende der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose, sind Leiter von Regionalstellen der M.E.G.

Burkhard Peter Dirk Revenstorf

Hypnotherapie

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030866-4

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-030867-1

epub:   ISBN 978-3-17-030868-8

mobi:   ISBN 978-3-17-030869-5

Geleitwort zur Reihe

 

 

Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.

Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung entsprechen, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu beschaffen. Diesen Bedürfnissen soll die Buchreihe »Psychotherapie kompakt« entgegenkommen.

Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthalten.

Harald J. Freyberger (Stralsund/Greifswald)

Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)

Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)

Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)

Bernhard Strauß (Jena)

Inhalt

 

 

  1. Geleitwort zur Reihe
  2. Vorwort
  3. 1 Ursprung und Entwicklung des Verfahrens
  4. 2 Verwandtschaft mit anderen Verfahren
  5. 3 Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen
  6. 3.1 Hypnose-Induktion
  7. 3.2 Hypnotische Phänomene
  8. 4 Kernelemente der Diagnostik in der Hypnotherapie
  9. 4.1 Das Utilisations-Prinzip
  10. 4.2 Interaktions-Diagnostik
  11. 4.3 Konflikt-Diagnostik
  12. 4.4 Struktur-Diagnostik
  13. 5 Kernelemente der Hypnotherapie
  14. 5.1 Hypnose als Kontext
  15. 5.2 Suggestion und Trance
  16. 5.3 Innere Suchprozesse und posthypnotische Umsetzung
  17. 5.4 Topografie der Hypnotherapie
  18. 5.5 Hypnotische Interventions-Ebenen
  19. 5.6 Befragung des stillen Wissens
  20. 6 Klinisches Fallbeispiel: Das eingesperrte Kindermädchen
  21. 7 Hauptanwendungsgebiete
  22. 8 Settings
  23. 9 Die therapeutische Beziehung (»hypnotischer Rapport«)
  24. 10 Wissenschaftliche und klinische Evidenz
  25. 11 Institutionelle Verankerung
  26. 12 Informationen zu Fort- und Weiterbildung
  27. Literatur
  28. Stichwortverzeichnis

Vorwort

 

 

Dieses Buch erscheint zum 40-jährigen Bestehen der Milton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose. 1978 hätte niemand es für möglich gehalten, dass Hypnose in der Psychotherapie Deutschlands, Österreichs und der Schweiz wieder einen seriösen Platz einnehmen könnte. In diesen 40 Jahren ist aber ein respektabler therapeutischer und wissenschaftlicher Fundus entstanden, der dem gemeinsamen Bemühen sehr vieler Kolleginnen und Kollegen zu verdanken ist. Ohne diese Synergien wäre auch das vorliegende Buch – und die zahlreichen anderen Veröffentlichungen – über Hypnose und Hypnotherapie nicht möglich gewesen.

Die Popularisierung einer Methode birgt immer die Gefahr einer begrifflichen Verflachung bis hin zur Bedeutungslosigkeit. Das betrifft auch den Begriff Hypnose. Da wurde von früher sehr populären Ausbildern schon einmal gesagt, alles sei Hypnose. Um es provokativ auszudrücken: Auch heute ist unserer Ansicht nach nicht überall, wo Hypnose draufsteht, auch Hypnose drin. Wir waren sogar versucht, den Begriff »Hypnose light« für einige jener Techniken einzuführen, die zwar den Begriff Hypnose im Titel führen, mit Hypnose, so wie wir sie definieren, aber nichts zu tun haben und sogar die geplante Induktion eines hypnotischen Trancezustandes sowie die absichtliche Verwendung definierter hypnotischer Phänomene ablehnen. Wegen des pejorativen Beigeschmacks einer solchen Qualifizierung haben wir jedoch auf den Begriff »Hypnose light« verzichtet, denn auch diese »Trance«-Techniken haben ihre Wirkung und somit ihre Berechtigung.

Allerdings ist manchmal auch Hypnose drin, wenn es nicht draufsteht; d. h. einige heute gebräuchliche Psychotherapien verwenden hypnotische Techniken und Strategien aus der Hypnotherapie, ohne dies explizit zu benennen. Dagegen ist im Sinne einer Integration der psychotherapeutischen Verfahren hin zu einer »Allgemeinen Psychotherapie«, wie sie Klaus Grawe (2001) im Sinne hatte, nichts einzuwenden.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns entschieden, das generische Maskulinum zu verwenden: Wenn wir also beispielsweise von »Therapeuten« schreiben, sind immer beide Geschlechter gemeint, in diesem speziellen Fall sogar in erster Linie die Kolleginnen, denn diese bilden heute mindestens zwei Drittel der psychotherapeutisch Tätigen.

Nun hoffen wir, dass wir einige Leserinnen und Leser mit der Lektüre dieses Buches neugierig machen können, sich mehr mit dem Verfahren auseinanderzusetzen, das am Anfang der abendländischen Psychotherapie steht.

Wir danken den Herausgebern dieser Reihe und dem Verlag für die Möglichkeit, unsere Sicht der Hypnose darzustellen. Astrid Heinke hat Korrektur gelesen und den Index erstellt; Elisabeth Selch vom Kohlhammer Verlag hat unserem Manuskript den letzten Feinschliff gegeben; auch ihnen gilt unser herzlicher Dank.

München und Tübingen, im Januar 2018

Burkhard Peter und Dirk Revenstorf

Wir widmen dieses Buch Alida Iost-Peter und Wilhelm Gerl, die 1978 die Milton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose (M.E.G.) mitbegründet haben.

1          Ursprung und Entwicklung des Verfahrens

 

 

Hypnose wird häufig als »Mutter der Psychotherapie« bezeichnet. Ihre Wurzeln werden in der Prähistorie und im Altertum gesucht, beispielsweise im Papyrus Ebers aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Gewöhnlich führt man die Anfänge auf Franz Anton Mesmer zurück, was jedoch eine fundamentale Fehleinschätzung ist, denn weder Mesmers Krankheitstheorie noch seine therapeutische Praxis hatten etwas mit dem zu tun, was heute unter Psychotherapie verstanden wird. Wenn man schon nach einem Vorläufer suchen will, so könnte man diesen eher im letzten großen Exorzisten des deutschsprachigen Raums finden, nämlich in Johann Joseph Gaßner aus Klösterle am Arlberg. 1775, in der Hochzeit der Aufklärung, beunruhigte er aber mit seinen öffentlichen Teufelsaustreibungen nicht nur viele seiner Oberen, sondern insbesondere auch Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften so sehr, dass die sich genötigt sahen, den in Wien gerade als Entdecker des »animalischen Magnetismus« bekannt gewordenen Franz Anton Mesmer für ein wissenschaftliches Gutachten nach München einzuladen (Heydenreuter 2000; Peter 2000c). Dieses Gutachten fiel für den Priester Gaßner erwartungsgemäß ungünstig aus, so dass er, u. a. auch auf direkte Anordnung von Papst Pius VI., von der therapeutischen Bühne abtreten und seinen Platz dem Arzt Mesmer überlassen musste. Dieser entsprach den Vorstellungen des damaligen wissenschaftlichen Mainstreams, allerdings auch nur etwa zehn Jahre lang, bis seiner Theorie von zwei Kommissionen 1784 in Paris die wissenschaftliche Begründung abgesprochen wurde. Betrachtet man, befreit von ihrem theologischen Überbau, die besondere Art von Gaßners Exorzismen, so findet man ein therapeutisches Verfahren, das man heute als Einübung in Selbstkontrolle bezeichnen kann (Peter 2005, 2015c). Dass Mesmer in der Literatur jedoch hartnäckig als Urgroßvater der heutigen Psychotherapie gilt, ist einigen Historikern geschuldet, sicher aber hauptsächlich dem berufspolitischen Umstand, dass sich heutzutage psychotherapeutisch Tätige wohl lieber auf einen magnetisierenden Arzt als auf einen exorzierenden Pfarrer beziehen möchten.1 Die paradigmatischen Auseinandersetzungen um Ursache und Behandlung seelischer Leiden sowie der bis heute andauernde Konflikt um das Monopol des Heilens treten Ende des 18. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung zwischen Gaßner und Mesmer zum ersten Mal deutlich auf.

Der magnetische Somnambulismus stellt die historische Fortsetzung des Mesmerismus dar und spielte während der Epoche der romantischen Medizin im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine dominante Rolle. Er geht auf Marquis de Puységur, einen Schüler Mesmers, zurück. Im Unterschied zu Mesmer glaubte Puységur nicht mehr, eine Art menschlicher Akkumulator für die spezielle Energie eines universellen animalischen Magnetismus zu sein, die zu Heilzwecken auf kranke Menschen übertragen werden könne. Stattdessen formulierte er seine »Meinung über die Ursachen der magnetischen Wirkung des Menschen« folgendermaßen:

»Gegenwärtig kann man also feststellen, was geschieht, wenn ich magnetisiere: Das Mitgefühl (la compassion), das mir ein Kranker einflößt, lässt in mir den Wunsch oder den Gedanken entstehen, ihm nützlich zu sein, und von dem Augenblick an, wo ich mich entscheide zu versuchen ihm Erleichterung zu verschaffen, erhält sein Lebensprinzip (son principe vital) den Eindruck vom Handeln meines Willens. Bemerken Sie hier […] die beiden wesentlichen Aspekte? 1° Das Prinzip meines Willens; 2° dessen Handeln. Das Prinzip meines Willens, anders gesagt meiner Seele, als Ursache meines Handelns; die Wirkung, die der Kranke empfindet; und das Ergebnis dieses Handelns.« (Puységur 1820, S. 158ff; Erstauflage 1797)

Fast identische Formulierungen zur Rolle des Mitgefühls (engl./franz.compassion) finden sich etwa 200 Jahre später bei Gilbert (2013, S. 17) in seiner Compassion Focused Therapie (CFT), wird hier jedoch nicht auf Puységur bezogen: »Der CFT-Ansatz zum Mitgefühl entlehnt Elemente aus zahlreichen buddhistischen Lehren (insbesondere die Rolle der Empfindsamkeit für das Leid anderer und die Motivation, dieses zu lindern), aber seine Wurzeln liegen in einem evolutionären, neurowissenschaftlichen und sozialpsychologischen Ansatz, verbunden mit der Neurophysiologie der Zuwendung …« (Hervorhebungen der Autoren).

Auch wenn er noch immer die Terminologie seines Lehrers Mesmer benutzt, erhält der Vorgang des »Rapports« bei Puységur eine völlig andere Bedeutung: es ist nicht mehr eine physikalische Kraft, welche auf die Kranken übertragen wird und diese heilt, sondern Zweck der Rituale ist, die Kranken in einen Zustand somnambuler Trance zu versetzen. Hier lassen sie sich vom Handeln eines »therapeutischen Willens« leichter beeindrucken und sind für dessen Wirkung empfänglicher, d. h. »suggestibler«.

Damit war die Theorie der Hypersuggestibilität geboren, eine der bis weit ins 20. Jahrhundert dominierenden Hypnosetheorien: In hypnotischer Trance lässt man sich leichter und lebhafter von einem »fremden Willen« bzw. einer neuen Idee beeindrucken und verspürt deutlicher ihre Wirkung. Bemerkenswert ist, dass in diesem Zitat Puységurs auch zwei Therapeutenvariablen vorkommen, nämlich Empathie (compassion) und therapeutische Hilfsbereitschaft (dem Kranken nützlich sein zu wollen), als Voraussetzung einer wirksamen Intervention bzw. Suggestion (Handeln meines Willens).

Die beiden wissenschaftlichen Kommissionen, die 1784 in Paris Mesmers Theorie verworfen hatten, schlugen alternative Erklärungen für die zu beurteilenden Phänomene vor – Imitation und Imagination:

»Der Mensch als geistiges und körperliches Wesen existiert nur und wird nur zu dem, was er ist, aufgrund von zwei Eigenschaften: er handelt und gewinnt Fähigkeiten durch Imitation und er handelt und erlangt Macht durch Imagination.« (Bailly 2000, S. 112, Erstauflage 1784)

Der Faktor der Imitation lässt sich gut an den völlig unterschiedlichen Inszenierungen der Heilung bei Mesmer und Puységur verdeutlichen: Mesmers Patienten im vorrevolutionären Paris zeigten exaltierte »Krisen« ähnlich den teilweise heftigen Affektentladungen, welche 100 Jahre später bei Charcots Hysterie-Patientinnen in Paris (s. u.) und noch in den 1970er Jahren bei uns in bioenergetischen oder Urschrei-Therapien zu beobachten waren. Puységurs Patienten auf seinem Landgut bei Buzancy wurden im somnambulen Zustand eher ruhig-kontemplativ und zeigten Erkenntnisse und Einsichten, welche man ihnen als einfache Bauern und Bedienstete in ihrem »Normalzustand« nicht zugetraut hätte. Das entspricht eher dem Bild von Berheims (s. u.) Patienten um 1890 in Nancy sowie dem, das man heute von einem hypnotisierten Menschen hat: motorisch ruhig, entspannt, nach innen gewandt, der jeweiligen sozialen Rolle entkleidet und achtsam für das eigene Erleben.

Hätten die Kommissionsmitglieder ihr Urteil anhand Puységurs und nicht anhand Mesmers Patienten gebildet, wäre es vielleicht bezüglich des zweiten Faktors, dem der Imagination, nicht ganz so abwertend ausgefallen. Das ist verständlich, denn Imagination stand dem Postulat der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts diametral entgegen: Benutze deinen Verstand; d. h. lass dir nichts einreden, lass dir keine »Einbildungen unterschieben« (so die wörtliche Übersetzung von lat. »subgerere«, von dem »suggerieren« stammt,). Unter dem Eindruck der Hexenprozesse des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit war das eine verständliche Forderung. Vor diesem Hintergrund ebenfalls verständlich ist, dass Gaßners Exorzismus-Rituale 1775 keinen epistemologischen Rückhalt mehr hatten, aber auch nicht mehr die Magnetismus-Rituale Mesmers; dessen Theorie des animalischen Magnetismus war als »esoterisch« verworfen worden und die Effekte wurden alternativ – aus heutiger Sicht »psychologisch« – erklärt.

Die ablehnende Haltung zur Imagination änderte sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit Beginn der Romantik. Während der neuen Innerlichkeit des Biedermeiers gelangte der von Puységur geprägte magnetische Somnambulismus als erstes imaginatives Therapieverfahren der Neuzeit zu voller Blüte (Peter 2015c). Die Induktion eines Zustands des magnetischen Somnambulismus hatte den Vorteil, dass die Patienten sowohl für ihre kranken Zustände wie auch für ihre Ressourcen »hellsichtig« wurden, also Ursachen erkennen und Therapievorschläge machen konnten. Der magnetisierende Arzt war nun vor allem therapeutischer Begleiter, der zwar auch Vorschläge unterbreitete, diese aber mit seinen Patienten – in heutigen Begriffen – »auf Augenhöhe« kooperativ erörterte.

Die Entdeckung des vegetativen Nervensystems (damals »Gangliensystem«) durch Johann Christian Reil (1807)2 schuf die neurophysiologische Basis für somnambule Phänomene: Das »Bewusstseyn« und die »denkende Seele« wurden von Reil im Gehirn verortet, die »empfindende Seele« und die »bewusstlosen Ideen« hingegen im Gangliensystem, vornehmlich in der Herz- bzw. Magengrube. Damit gab es ein Organ für das »Unbewusste«, das Schelling 1800 als neuen Begriff in den Diskurs eingeführt hatte. Beide Systeme sind durch einen »Apparat der Halbleitung« verbunden: im Normalzustand sind sie isoliert; im Zustand des magnetischen Somnambulismus hingegen gelangen unbewusste Inhalte ins Bewusstsein. Der Schwiegersohn Reils, Dietrich Georg Kieser postulierte darauf aufbauend eine Art Kopf- und Körpergedächtnis. Mediziner, Philosophen und Literaten interessierten sich für die neuen Phänomene. Neue Professuren wurden geschaffen, was gelegentlich nicht ohne heftigen Widerspruch blieb (Peter 1995; Peter und Iost-Peter 2014). Sieht man aber ab von vielen Übertreibungen und Übertretungen in Gebiete, die wir heute als esoterisch oder magisch-mystisch bezeichnen würden, so wurden in dieser frühen Zeit des romantischen Somnambulismus Grundsteine gelegt, die sich im heutigen Verständnis von Hypnose und Hypnotherapie wiederfinden und schließlich in viele zeitgenössische Therapieformen, so auch in die dritte Welle der kognitiven Verhaltenstherapie, Eingang gefunden haben. Beispiele sind die Schematherapie oder die Compassion Focused Therapy, in denen sie inzwischen so sehr therapeutische Selbstverständlichkeit geworden sind, dass ihre Herkunft keiner Erwähnung mehr bedarf; ihre Wurzeln liegen auch mehr als 200 Jahre zurück. Hierzu gehören allgemeine patientenzentrierte Einstellungen, welche die therapeutische Beziehungskompetenz formieren (vgl. Peter et al. 2017b), wie beispielsweise:

1.  Es bedarf einer Haltung der Empathie (compassion) und des Willens zu helfen, um therapeutisch tätig werden zu können.

2.  Eine Haltung der Offenheit und Akzeptanz ist notwendig, um die Patienten darin zu unterstützen, ihre eigenen Ressourcen und Lösungswege zu finden.

3.  Für den Zweck der Therapie müssen beide, Therapeut und Patient, eine besondere Beziehung eingehen; hierfür prägte Mesmer den Begriff »Rapport«.

4.  In manchen Fällen, wenn einfache therapeutische Ratschläge (bzw. »Suggestionen«) nicht ausreichen, kann und soll man sich auf eine die Alltagsgrenzen übersteigende Macht beziehen, welche besondere Ressourcen zur Verfügung stellt, die in der normalen Alltagsroutine nicht verfügbar zu sein scheinen. Als Projektionsgestalt für diese unbewussten Ressourcen diente bei Mesmer die Metapher eines physikalischen »animalischen Magnetismus«; in der romantischen Naturphilosophie war es das universelle Wissen der trans-personalen »Weltseele«, und heute, für das Individuum der Moderne, ist es die Metapher des intra-personalen »Unbewussten« à la Milton H. Erickson (Peter 2009). Das Wesentliche an all diesen und ähnlichen Projektionsfiguren scheint zu sein, dass sie ein »therapeutisches Tertium« (Peter 2015k) konstruieren. Darauf können sich beide, Therapeut und Patient, gemeinsam beziehen, wenn sie mit den gewöhnlichen Mitteln einer therapeutischen Kommunikation, beispielsweise einem sokratischen Dialog, nicht mehr weiterkommen, weil die therapeutisch zu bearbeitenden Inhalte nicht in expliziten Gedächtnisspeichern abgespeichert und so dem deklarativen, semantischen Wissen nicht zugänglich sind, sondern im episodischen Gedächtnis oder im prozeduralen Körpergedächtnis als sensorische und physiologische Erfahrungs-Engramme verankert sind.

5.  Um in Kontakt mit diesem therapeutischen Tertium zu kommen, bedarf es eines speziellen »Zustands«, der sich vom Alltagszustand deutlich unterscheidet und deshalb mit Hilfe besonderer Rituale eigens induziert werden muss.

6.  Dieser »Zustand«, später Hypnose oder hypnotische Trance genannt, hat verschiedene Stadien (Tiefen), die nicht von allen Menschen gleichermaßen gut erreicht werden können. Deshalb wird die Frage der Suggestibilität bzw. Hypnotisierbarkeit sowie der differenziellen Indikation relevant.

Dass sich gerade im frühen 19. Jahrhundert, in der Zeit der Romantik, die Archetypen einer Psychotherapie entwickelt haben, wie wir sie heute verstehen, hat möglicherweise auch kulturgeschichtliche Gründe: Beginnend schon im ausgehenden 18. Jahrhundert formierten sich in dieser Zeit des Biedermeier und der Romantik die Kulturen der bürgerlichen Familie und des bürgerlichen Subjekts (im Gegensatz zu den genealogisch geprägten Strukturen der feudalen und höfischen Gesellschaften). Vor dem Hintergrund einer sich entwickelnden Individuum-zentrierten Sichtweise und einer allgemeinen Psychologisierung des Freundschafts- und Familien-Subjektes wurden verstärkt Selbst- und Fremdreflexionen eingeübt, insbesondere auch durch deren kommunikativen »Vertextung« in Briefen, »Bekenntnissen«, (Auto-) Biografien und »empfindsamen« Romanen. Auf die Erziehung der Kinder zu moralisch-souveränen Subjekten wurde Wert gelegt (Gebhardt 2009), es entstand die Idee von der Bedeutsamkeit familialer Bindungen und folgerichtig – in der Spätromantik – auch die von der Existenz eines ganz persönlichen unbewussten Seelenlebens:

»Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewußten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewußtseins. Alle Schwierigkeit, ja alle scheinbare Unmöglichkeit eines wahren Verständnisses vom Geheimnis der Seele wird von hier aus deutlich. Wäre es eine absolute Unmöglichkeit, im Bewußten das Unbewußte zu finden, so müßte der Mensch verzweifeln, zum Erkennen seiner Seele, d. h. zur eigentlichen Selbsterkenntnis zu gelangen.« (Carus 1846, S. 1)

Mit der Revolution von 1848 veränderte sich das politische und kulturelle Klima in Deutschland. Die »naturwissenschaftlichen Ärzte« verstanden sich schon immer als Gegner von Mesmerismus und Somnambulismus; Positivismus und wissenschaftlicher Rationalismus erstarkten ab Mitte des 19. Jahrhunderts, ersetzten zunehmend die romantische Medizin und entzogen dem romantischen Somnambulismus seine Grundlage. Damit endete zunächst die Geschichte der Hypnose deutscher Prägung.

Der englische Arzt James Braid lieferte eine einfachere und akzeptablere Begründung für das Auftreten der magnetischen bzw. somnambulen Phänomene: Die vollkommene Konzentration auf einen einzigen Gedanken, z. B. »schlafe!«, unter Zuhilfenahme optischer, später auch akustischer Fixation – »schlafe tiefer und tiefer« in monotoner Wiederholung – erzeuge künstlich einen neurologisch bedingten Schlafzustand, »Neurypnology« (Braid 1843), später nur mehr »Hypnose« genannt. In Anlehnung an Braid führte der Breslauer Physiologie-Professor Rudolf Heidenhain (1880) die Idee einer zentralen Hemmung und Erregung im Gehirn ein, woran später Iwan P. Pawlow (1923) anknüpfte; Reizmonotonie wurde als wesentliche Bedingung für die Induktion eines Zustandes der Hypnose angesehen.

Auch Hippolyte Bernheim, Medizinprofessor aus Nancy hatte hirnphysiologische Prozesse im Sinne, als er ein paar Jahre später von »ideomotorischer Reflexerregbarkeit« sprach: Durch den Vorgang der Suggestion in Hypnose würden sich afferente und efferente Zentren im Gehirn kurzschließen und in »unbewusster Weise mit Umgehung der Willensthätigkeit die Vorstellung in Bewegung umsetz[en]« (Bernheim 1888, S. 124f).

1882 lernte Bernheim den Allgemeinarzt Liébeault und dessen Methode zur Induktion eines »künstlichen Schlafes« kennen. Aus dieser Zusammenarbeit erwuchs die Schule von Nancy, die in Deutschland und europaweit rasant an Bedeutung gewann. Bernheims Klinik in Nancy wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Mekka für all jene, die sich für psychische Störungen und ihre hypnotische Behandlung interessierten, wie z. B. Sigmund Freud und viele andere Forscher und Ärzte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (Peter 2015c). Hypnose war im ausgehenden 19. Jahrhundert die Psychotherapiemethode und hatte an einigen Hochschulen den Platz eines ernsthaften Untersuchungsgegenstandes eingenommen – wie in der Zeit des romantischen Somnambulismus ca. 80 Jahre zuvor. Sie verlor Anfang des 20. Jahrhunderts kurz an Bedeutung, gewann diese aber im Ersten Weltkrieg schnell wieder zurück (Peter und Lenhard 2016).

Bis vor kurzem waren die Jahre 1933 bis 1945 eine Art weißer Fleck in der Geschichtsschreibung der Hypnose, bis die ersten wissenschaftlich soliden Arbeiten zum Thema »Hypnose im Nationalsozialismus« (Übersicht in Kauders 2016) erschienen. Das wesentliche Ergebnis der Nachforschungen über die Hypnose im Dritten Reich ist, dass das Verhältnis der Nazis zur Hypnose sehr ambivalent war: Als Teil ihres Kampfes gegen den Okkultismus hatten sie ein Verbot von Laien- und Bühnenhypnose durchgesetzt, die wissenschaftliche und therapeutische Anwendung der Hypnose aber unangetastet gelassen (Peter 2016; Schellinger 2016).

Es gab immer wieder Versuche, die Induktion einer Hypnose vom Wirken einer anderen Person, der des Hypnotiseurs oder Hypnotherapeuten, »loszulösen«. Das populärste Verfahren, die übliche Heterohypnose in eine Autohypnose umzuwandeln, wurde 1932 von J. H. Schultz unter dem Namen »autogenes Training« (AT) eingeführt und von ihm und seinen Nachfolgern weltweit verbreitet (Husmann 2015, 2016). Noch Anfang der 1970er Jahre wurde das AT jedoch lediglich als Entspannungstechnik, nicht als Selbsthypnoseverfahren gelehrt. »Echte« Hypnose mit expliziten Demonstrationen von Unwillkürlichkeit, Halluzinationen oder posthypnotischen Aufträgen konnte man in den deutschsprachigen Ländern nach Ende des Zweiten Weltkrieges ohnehin nur auf der Bühne, nicht aber im psychotherapeutischen oder medizinischen Umfeld sehen. Die traditionelle Suggestivhypnose war im Nachkriegsdeutschland als autoritäre Maßnahme gebrandmarkt und hatte deshalb in der humanistischen Psychotherapie der 1970er Jahre keinen Platz mehr. Dann wurde »Die Psychotherapie Milton H. Ericksons« von Jay Haley (1978) bekannt und in diesem Rahmen auch dessen »non-direktive« und »indirekte« Methoden der Tranceinduktion. Mit Gründung der Milton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose 1978 begann die moderne Hypnotherapie in Deutschland. Es folgten in den 1980er Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz weitere Hypnosetherapieverbände mit gleicher oder ähnlicher Ausrichtung (image Kap. 11). Seit dieser Zeit gibt es auch wieder viele Publikationen, seit 1984 eine Zeitschrift (Hypnose und Kognition bis 2014, gefolgt von Hypnose-ZHH seit 2015, mit über 5 000 Exemplaren die weltweit auflagenstärkste Hypnosezeitschrift) sowie umfangreiche Lehrbücher (Rossi 1995-98; Kossak 1997; Bongartz und Bongartz 2000; Revenstorf und Peter 2015a). Hypnose findet inzwischen auch wieder Anwendung in der Zahnmedizin (Schmierer 2010) und in der Medizin (Hansen und Ebell 2010).

Die moderne wissenschaftlich-experimentelle Beschäftigung mit der Hypnose begann in den 1930er Jahren in den USA (Hull 1933) und dauert ohne Unterbrechung bis heute an. Kirsch et al. (2011) veröffentlichten ein Konsensus Statement über »Hypnose und Hypnotisierbarkeit und deren Bezug zur Suggestion und Suggestibilität«, S. J. Lynn et al. (2015) ein integratives Modell für »Hypnose, Suggestion und Suggestibilität«. Bemerkenswert ist, dass sich zunehmend auch wieder Wissenschaftler aus anderen Forschungsbereichen (z. B. Neurologie und Psychiatrie; Übersicht in Connors 2015) der Hypnose bedienen, weil sie feststellen, dass August Forel vor mehr als 100 Jahren offensichtlich Recht hatte, als er schrieb:

»Man kann sagen, dass man durch Suggestion in der Hypnose sämtliche bekannten subjektiven Erscheinungen der menschlichen Seele und einen grossen Theil der objektiven bekannten Funktionen des Nervensystems produciren, beeinflussen, verhindern […] kann.« (Forel 1889, S. 25)

Auch in Deutschland gibt es wieder Hypnoseforschung, auf die wir im Verlauf dieses Buches eingehen werden.

1     Die Verhaltenstherapeuten seien hiervon ausgenommen, denn deren historische Bezüge sind in wissenschaftlichen Ergebnissen des 20. Jahrhunderts verankert. Aber auch einige ihrer Pioniere haben sich ernsthaft mit der Hypnose beschäftigt, wie z. B. Pawlow (1923), Ellis (1987) oder Wolpe (1998).

2     Etwa 30 Jahre später spricht Justinus Kerner (1834, S. 39) schon vom »nervus vagus und sympathicus«.

2          Verwandtschaft mit anderen Verfahren

 

 

In der sog. dritten Welle der Verhaltenstherapie finden sich eine ganze Reihe von Interventionen, deren Herkunft aus den weiten Geschichtsräumen der Hypnose nur mehr von Spezialisten wahrgenommen wird.3 Wenig oder gar keinen Bezug auf Hypnose nehmen beispielsweise Autoren der Schematherapie (Young et al. 2008; Jacob und Arntz 2014). Sie weisen zwar darauf hin, dass Anleihen bei anderen Verfahren aus der humanistischen Psychotherapie, wie etwa der Gestalttherapie und Transaktionsanalyse, dem »Reparenting« und der Arbeit mit dem »inneren Kind« oder der Ego-State-Therapie, genommen werden, der Begriff Hypnose fehlt jedoch. Das Gleiche gilt für die Compassion Focused Therapy (Gilbert 2013). Weil Youngs erstes Buch (Young 2012) im amerikanischen Original schon 1990 erschien und dort 1994 und 1999 neu aufgelegt wurde, könnte man vermuten, dass die Vermeidung des Wortes Hypnose berufspolitischen Umständen geschuldet ist: Young wollte möglicherweise sein neuentwickeltes Verfahren nicht in die damals akuten Querelen der imaginativ und hypnotherapeutisch arbeitenden Traumatherapeuten verwickelt sehen, obwohl gerade auch er mit Imaginationen arbeitete und beispielsweise seine »begrenzte Nachbeelterung« eine genuin hypnotherapeutische Technik ist, die schon durch Pierre Janet (1889) und durch Erickson und Rossi (1989) ausführlich beschrieben worden ist.

Auch Francine Shapiro sucht Assoziationen ihres Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) mit Hypnose tunlichst zu vermeiden, wie sie auf Kongressen zur Ericksonschen Hypnose und Psychotherapie erklärte. 1995 wies sie ausdrücklich auf das Problem hin, dass in den meisten US-amerikanischen Staaten Zeugenaussagen nicht zugelassen sind, wenn sie unter Hypnose erhoben wurden. Traumapatienten können ihre Täter also nicht vor Gericht bringen, wenn der Missbrauch in hypnotischer Trance aufgedeckt wurde; folglich darf EMDR, das häufig auch in der Traumatherapie eingesetzt wird, keine Hypnose sein. Zur Unterstützung der These, EMDR sei keine Hypnose, bringt Shapiro (1995, S. 315) eine Reihe von Argumenten, die nicht zutreffend, überholt oder irrelevant sind – und später dennoch von Arne Hoffmann (1999, S. 68f) wörtlich wiederholt werden. Hingegen ist nicht nur das Verfahren zur Einleitung und Aufrechterhaltung von Augenbewegungen ein genuines Hypnose-Induktionsritual; es finden sich in der EMDR-Therapie auch eine ganze Reihe von Imaginationsskripten, die aus der modernen Hypnotherapie speziell mit Traumapatienten stammen, sowie Teile des phasenbezogenen Vorgehens. Diese Verneinung des hypnotherapeutischen Hintergrunds vieler Anteile der EMDR ist allerding nicht durchgängig; einige Autoren beziehen sich ganz offen auf Ericksons Hypnotherapie (Manfield 1998).

Die meisten der heute angewandten Traumatherapien gehen auf Pierre Janet zurück. Das wird von einigen Autoren des Imagery Rescripting (imaginatives Überschreiben), der jüngsten Variante der Schematherapie, auch ausdrücklich anerkannt: »The earliest known form of imagery rescripting appears to have been employed in the latter part of the 19th century by Pierre Janet (1919), a prominent French physician, who used a procedure called ›imagery substitution‹ (i.e., replacing one image with another)« (Holmes et al. 2007 S. 298). Auch Schmucker und Köster (2015) erwähnen den Fall »Justine« von Pierre Janet. Sie weisen aber nicht darauf hin, dass Janet einer der profiliertesten Hypnoseforscher Ende des 19. Jahrhunderts war und seine Erkenntnisse für die Traumatherapie in erster Linie aus Untersuchungen und Behandlungen mit Hypnose erlangte (Janet 1889, 1896/1991). Den Kommentaren von Schmucker und Köster zu Justines Fall ist zu entnehmen, dass sie nicht erkennen, welchen entscheidenden Anteil Hypnose an dieser durch Janet vorgenommenen »Neukonstruktion der Vergangenheit« (Peter 1990) hatte, ganz im Gegensatz zu den Vertretern der niederländischen Schule der Traumatherapie, die auf eine differenzielle Indikation der Hypnose in der Traumatherapie verweisen (Van der Hart 2015). 1995 war ein ganzes Heft der Zeitschrift Hypnose und Kognition diesem Thema gewidmet mit Beiträgen von Huber (1995), Kluft (1995), Farber (1995) sowie Van der Hart und Nijenhuis (1995). Hier wurde zum ersten Mal auf Deutsch das Drei-Phasen-Modell vorgestellt, das heute Grundlage der Behandlung schwerer Traumafolgestörungen ist. Der Schwerpunkt der Untersuchung und Behandlung von Traumafolgestörungen hat sich von den USA, wo sie in der Folge des Vietnamkrieges in den 1980er Jahren begann, Ende der 1990er Jahre offenbar nach Europa verlagert (Butollo 1997; Maercker 1997; Ehlers 1999). Der Begriff Hypnose durfte in diesem Kontext, wo angebracht, benutzt und die spezifischen hypnotherapeutischen Techniken konnten als solche benannt und beschrieben werden (Peter 2006b; Perren-Klingler 2015) – offenbar aber doch nicht von allen, worauf Sack und Sachsse (2013) hinweisen.

Die Psychodynamische Imaginative Traumatherapie (PITT) von Luise Reddemann (2005) benutzt alle Elemente hypnotherapeutischer Imaginationen und baut ebenfalls auf dem Drei-Phasen-Modell der niederländischen Traumaschule auf – auch wenn sie nach Meinung eher verhaltenstherapeutisch orientierter Autoren die erste Phase der Stabilisierung unnötigerweise betont (Maercker 2011) –, verzichtet aber ausdrücklich auf formale Hypnoseinduktionen und verwendet die Begriffe Hypnose oder Hypnotherapie nur sehr sparsam; auf Erickson wird überhaupt kein Bezug genommen, wohl aber auf das Modell der Ego-States von Watkins und Watkins (2012), das auf hypnoanalytischen Konzepten aufbaut. John Watkins war ursprünglich ein »gläubiger« Hypnoseanwender, ähnlich dem »frühen« Bernheim. Die Ego-State-Therapie, die er ab 1980 gemeinsam mit seiner Frau Helen entwickelte, ist eine Modifikation seiner hypnoanalytischen Arbeit mit multiplen Persönlichkeiten. Den wesentlichen Anteil des Perspektivwechsels von der Theorie der Behandlung »harter« Persönlichkeitsspaltungen zu der Theorie der Behandlung »weicherer« Ich-Zustände schreibt er seiner Frau zu (Watkins 1992). Dieses Konzept hat sich im Verlauf der Jahrzehnte mehr und mehr in der allgemeinen Psychotherapie