cover
Alex Rott

Papageialarm

aus der Serie "Privatdetektei Kasper und Joe"


Dieses Buch - diese Serie - ist allen älteren Kasperlfreunde gewidmet, die wissen wollen, wie es mit Kasperl und Co weitergeht, wenn sie erwachsen werden.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Ein ungewohntes Geräusch

 

Ein Drei-Tage-Bart umschmeichelte meine untere Gesichtshälfte. Selbst der Latte Macchiato vor mir auf dem Schreibtisch hatte schon bessere - vor allem wärmere - Zeiten hinter sich. Jeden Tag begleitete mich ein Coffee to go ins Büro um doch nur als kaltes Gesöff im Ausguss zu landen. Zum Fenster hinausgeworfenes Geld für braune Brühe im umweltfeindlichen Thermobecher. Aber wenn es früh morgens zeitlich gerade mal fürs Zähneputzen reichte, fiel das Frühstück flach. Dann musste der koffeinhaltige Muntermacher herhalten.

Ich stützte die Ellbogen auf der Tischplatte ab und legte mein Gesicht in die offenen Handflächen. Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich auf die weiteren Geräusche um mich herum. Da war einerseits das wilde, unkontrollierte Hämmern auf einer Computertastatur aus dem angrenzenden Raum zu hören und andererseits das, sich in kurzen Abständen immer wiederholende, Platzen von Kaugummiblasen.

„Wie soll man sich denn da aufs Kreuzworträtsellösen konzentrieren, wenn ihr ständig so laut seid!“ rief ich genervt durchs Büro und klatschte beide Hände flach auf die Schreibtischunterlage vor mir.

Sogleich wurde es mucksmäuschenstill, und als ich meine Lider öffnete blickten mir zwei Paar Augen verdutzt entgegen.

„Sorry, aber mir ist langweilig“, kam die entschuldigende Antwort von der Person, welche lässig am Türrahmen lehnte. Die Gestalt, die sich unschwer als weiblich identifizieren ließ, löste sich von ihrem Platz um kurze Zeit später ihren Allerwertesten auf den einzigen freien Stuhl im Büro zu pflanzen.

„Und mir ist fad“, war eine weitere Stimme zu vernehmen. Sie stammte von einem Mann, welcher gerade im Begriff war seine Füße auszustrecken um diese auf dem Tisch abzulegen. Er saß am Schreibtisch mir gegenüber und kaute genüsslich an seiner formlosen, nach Pfefferminz schmeckenden, Masse.

Langweilig – fad – ja das war uns allen, allen dreien.

Wir drei waren best friends.

Bereits seit Kindertagen waren wir unzertrennlich. Und jetzt, da wir den Kinderschuhen entwachsen waren hatten wir beschlossen, uns in einer fremden Stadt häuslich, wie auch beruflich, niederzulassen.

Häuslich kamen wir rasch bei einer sehr netten, älteren Dame unter, die zwei kleine Wohnungen zu vermieten hatte.

Nur beruflich haperte es ein wenig. Überall wo wir drei auftauchten und unsere Lebensläufe präsentierten brachen die Personalchefs in tränenreiches Gelächter aus. Keiner von ihnen nahm uns ernst, keiner von ihnen traute uns zu, gewissenhafte Arbeit zu leisten. Unsere gemeinsame Vergangenheit holte uns immer wieder ein.

So blieb uns schlussendlich nichts Anderes übrig als uns selbständig zu machen. Doch das hatten wir uns leichter vorgestellt als es war. Drei Wochen schon verbrachten wir unsere Arbeitszeit mit dem Lesen von Illustrierten, dem Surfen im Internet oder dem Lösen von Kreuzworträtseln, ohne auch nur einen einzigen Kunden, geschweige denn einen Auftrag, an Land zu ziehen. Es war zum Mäusemelken!

Wer wir waren?

Wir waren ein eingespieltes Trio, eine lustige Truppe!

Unser einziges, weibliches Mitglied hörte auf den Namen Margarethe, auch Maggie oder Greta genannt. In Kindertagen war sie stets in bunten Dirndlkleidern mit weißer Schürze und ebenso farbiger Trachtenbluse unterwegs gewesen. Diese braven Klamotten hatte sie nun gegen farbenfrohe, knappe Oberteile und Röcke eingetauscht. Selbst von ihren langen blonden Haaren, die sie immer fein säuberlich zu Zöpfen geflochten hatte, hatte sie sich getrennt. Manchmal stellte ich mir die Frage was kürzer war, ihre braungefärbten Haare oder ihre Röcke.

Der kaugummikauende Ex-Kettenraucher mir gegenüber war Josef, mein allerbester Kumpel, welcher auf beiden Ohren taub war, wenn er diesen Namen hörte. Aber sobald er Joe gerufen wurde, war er der zuverlässigste Freund, den man sich wünschen konnte. Statt seiner Latz-Lederhose und dem grün-weiß karierten Hemd, in welchen er als Bub immer herumgetollt war und den tollsten Unfug angestellt hatte, trug er nun Jeans und T-Shirt. Anstelle eines Angsthasen trat nun ein furchtloser, kraftvoller junger Mann mit, noch immer, großer Klappe, die ihm nicht selten schon zum Verhängnis wurde.

Und ich?

Ich war schon immer der Kopf dieses Trios. Wenn es bei uns im Ort Schwierigkeiten gab dauerte es nicht lange und die Leute standen vor dem Haus meiner Großmutter. Sie wussten, wenn ich nicht gerade mit einer anderen, wichtigen Angelegenheit beschäftigt war konnten sie mit meiner Hilfe rechnen.

Auch ich hatte mich, wie meine Freunde, äußerlich verändert. Nicht nur, dass ich genauso wie die beiden, einige Jahre älter geworden war, nein, ich hatte selbst meine beiden Markenzeichen hinter mir gelassen, bevor wir uns auf den Weg ins neue Leben aufgemacht hatten. Meine lange rote Zipfelmütze mit dem auffallenden Glöckchen am Ende hatte ich gegen einen braunen Schlapphut und abgewetzte Lederjacke, meine, immer viel zu enge Halskrause, gegen weite Hemdkragen eingetauscht.

Wer ich war?

Mein Name war Kasper – ohne „L“ am Ende.

 

Ein lautes, noch nie gehörtes, Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Joe verschluckte vor Schreck seinen ausgelutschten Kaugummi und Margarethe wäre beinahe vom Stuhl gekippt.

Es war weder die, gänsehautverursachende Mundharmonikamelodie von Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“, noch Mozarts „Kleine Nachtmusik“ oder „We are the Champions“ von Queen. Nein, keines unserer Smart-Phone machte auch nur einen Piep. Dieses aufregende und doch so simple Geräusch kam aus dem anderen Raum. Vom Schreibtisch auf welchem der Computer stand dessen Tastatur Maggie noch vor wenigen Augenblicken gequält hatte.

Es war unser – Bürotelefon. Das Telefon welches klingelte, wenn uns ein potenzieller Kunde erreichen wollte.

Während es sich im angrenzenden Vorzimmer die Seele aus dem Leib klingelte, war es bei uns totenstill. In diesem Moment hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

Vor Aufregung wurden meine Hände feucht und mein Hals trocken. Auf Joes Stirn breitete sich ein leichter Schweißfilm aus.

„Soll ich rangehen?“

„Wie? Was?“ stammelte ich, als wäre ich gerade aus einer tiefen Trance erwachte.

„Ob ich rangehen soll, Chef?“ fragte mich Maggie noch einmal.

„Ja, ja, freilich“, stotterte Joe und wedelte unkontrolliert mit den Händen in der Luft herum.

Kopfschüttelnd erhob sich unsere Sekretärin und stöckelte auf ihren hochhackigen Schuhen ins Vorzimmer.

„Männer“, murmelte sie dabei kaum hörbar.

Durch die blitzblank geputzte, große Glasscheibe konnten wir sie gut beobachten. Vor ihrem Schreibtisch blieb sie stehen, zupfte noch einmal Bluse und Rock zurecht – als ob sie der Anrufer durch die Leitung hätte sehen können -, räusperte sich und nahm den Hörer von der Gabel.

„Privatdetektei Kasper und Joe – was können wir für sie tun?“

Joe und ich wechselten von unseren Stühlen an die geöffnete Türe. Unsere Lauscher waren auf Empfang gestellt. Wir wagten kaum zu atmen. Gespannt verfolgten wir das Gespräch. Doch so viel bekamen wir nicht mit.

„Ja, Herr König, da muss ich zuerst im Terminkalender nachschauen“, zwitscherte Maggie in die Sprechmuschel. „Bestimmt lässt sich noch ein freier Termin finden.“

Joe sah mich verwundert an.

„Freier Termin? König?“ fragte er stirnrunzelnd.

Ich hob unschlüssig die Schultern. Wir hatten nur freie Termine.

„Wann hätten Sie die Herren denn benötigt?“ fragte sie den Anrufer.

„SOFORT!!!“

Das hatten sogar Joe und ich verstanden.

„So dringend?“ wollte Maggie wissen.

„Es geht um Leben und Tod!“ war wieder von der anderen Seite der Leitung zu hören.

„Für solche Notfälle haben wir immer Termine frei“, versicherte sie, klemmte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter und griff nach Block und Bleistift. „Wo sollen die beiden hinkommen? – Ja … alles klar … hab ich schon notiert. – Keine Bange, ich werde die beiden gleich losschicken.“ Margarethe legte den Hörer auf die Gabel und schnaufte kräftig durch. „Na, wie war ich, Jungs?“

Zweimal Daumen hoch.

„Wer war da am Rohr?“ fragte Joe verwirrt und kratzte sich am Kopf.

„König“, antwortete sie knapp.

„Und worum geht es?“ wollte ich wissen.

„Um seine Tochter.“

„Um die Prinzessin!“ riefen mein Kumpel und ich wie aus einem Mund.

Dafür ernteten wir nur schallendes Gelächter.

„Doch nicht DER König!“ lachte Maggie. „Die millionenschwere Unternehmerfamilie König.“

„Familie König“, murmelte ich erleichtert und lehnte mich gegen den Türrahmen. Gott sei Dank, kein arrogantes, egoistisches, zickiges Aristokratentöchterchen. „Wohin müssen wir?“

„Die Adresse hab ich euch aufgeschrieben“, erklärte Margarete. Sie riss das post-it mit der Notiz ab und klebte es an Joes Stirn.

„Sonnenfeld-Parkallee 36“, las ich laut vor und entfernte den Zettel.

„Weißt du wo das ist?“ fragte mein Kumpel.

„Werden wir schon finden“, meinte ich und knetete nachdenklich mein Kinn in der linken Hand. „Ganz schön rau“, stellte ich fest. So konnte ich unmöglich bei unserem ersten Fall aufkreuzen. „Du fährst!“

Joe sah mich an, als hätte ich in einer fremden Sprache mit ihm gesprochen.

„Ich?“ wunderte er sich und deutete auf sich selbst. Ich nickte. „Womit denn?“

„Wohl kaum mit ´nem Skatebord“, scherzte ich.

Er stemmte demonstrativ seine kräftigen Arme in die Hüften und sah mich aus zusammengekniffenen Augen an.

„Das ist mir auch klar“, gab er mir zu verstehen. „Mit der Harley?“

Ich schüttelte meinen Kopf und griff nach Hut und Lederjacke. Aus der Tasche nahm ich einen Schlüssel und warf ihn Joe zu.

„Auch wenn deine Harley einen Sozius hat, wie soll ich mich denn rasieren, wenn ich einen Sturzhelm aufhabe, hm?“

Das leuchtete sogar ihm ein. Er verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuss von unserer Sekretärin und folgte mir zum Wagen.

 

Nach zweimal piep und dreimal klack war der, bereits in die Jahre gekommene, Kleinwagen offen. Das Vehikel war keine Luxuskarosse und wir würden in dem Nobelviertel bestimmt mehr auffallen als ein bunter Hund inmitten einer weißen Schafherde, aber der PKW tat seinen Dienst und mehr brauchte es nicht. An ihm war alles nötige dran. Motor, vier Reifen, Lenkrad, Bremse, Karosserie – wenn auch an manchen Stellen vom Rost angenagt – und natürlich die Sitze.

Während sich Joe hinter das Lenkrad quetschte, glitt ich geschmeidig auf den Beifahrersitz und kramte in meinem, vom Chaos beherrschten, Handschuhfach herum.

„Suchst du das Navi?“ fragte Joe und schaute mir neugierig bei meiner Suche zu.

„Den Rasierapparat.“

„Aha“, machte er nur. „Und wo hast du das Navi?“

„Ha, hab ihn!“ triumphierte ich.

„Das Navi?“

„Nein, den Rasierer“, kam meine Antwort.

„Und das Navi?“ nervte er.

„Ist in der Türablage“, erklärte ich.

Joe quetschte seine Hand zwischen Fahrertüre und Sitz und tastete mit nachdenklicher Mine herum.

„Da ist kein Navi“, stellte er fest.

„Doch.“

Aber er schüttelte seinen Kopf und hob seine Arme, damit ich selbst danach suchen konnte.

„Nichts – oder?“

„Hier“, grinste ich ihm entgegen und hielt ihm einen Stadtplan unter die Nase.

Joe verzog ungläubig sein Gesicht.

„Das ist dein Navi?“

„Anderes hab ich nicht“, entschuldigte ich mich.

„Na schön“, seufzte er und wir suchten gemeinsam nach der Sonnenfeld-Parkallee. Hausnummern standen leider keine auf dem Plan. Da mussten wir uns eben durchfragen oder einfach die Augen offenhalten.