Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Ritualistic Human Sacrifice

erschien 2015 im Verlag Grindhouse Press.

Copyright © 2015 by C. V. Hunt

Copyright © dieser Ausgabe 2018 by Festa Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-658-8

www.Festa-Verlag.de

»Liebe ist eine der intensivsten Empfindungen, die die Menschheit kennt; eine andere ist Hass.«

– Anton Szandor LaVey, Die satanische Bibel

»Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier!«

– William Shakespeare, Der Sturm

Für Andy

Ich glaube, wir denken in

dieselbe verkehrte Richtung.

TEIL EINS: DIE VORBEREITUNG

1

Leicht würde es nicht werden. Ich spielte schon seit einem Jahr mit dem Gedanken. Und in den letzten zwei Monaten hatte ich mir Wohnungen in der Stadt angesehen, die nicht weit von meinem Arbeitsplatz entfernt lagen. Jede Nacht wartete ich, bis Eve eingeschlafen war, bevor ich mir stundenlang online Fotos möglicher Apartments ansah. Es fiel mir leicht, meinen Job vorzuschieben, damit ich im Arbeitszimmer bleiben und am Computer herumsurfen konnte. Ich erzählte Eve, dass ich für einen wichtigen Klienten an einem Bauplan arbeitete. Aber in Wahrheit suchte ich mir eine Unterkunft für ein neues Leben … ohne sie.

Wenn ich nicht die Webseiten der hiesigen Makler nach einer neuen Bleibe absuchte, onanierte ich auf kostenlose Internetpornos. Ich kam mir immer vor, als würde ich Zeit schinden und Ausreden suchen, damit ich nicht umziehen musste. Aber ich wollte ein Zuhause, das mich nicht noch depressiver machte, als ich es ohnehin schon war. Und das bedeutete, dass ich mich durch Fotos beschissener Apartments klickte und dort vorbeifuhr, um die Lage zu sondieren.

Davon abgesehen war nächtliches Onanieren meine bevorzugte Methode, zum Orgasmus zu kommen, auf die ich regelmäßig zurückgriff, um einen klaren Kopf zu bekommen. Wichsen war sauberer als Sex, trockener, das Resultat viel leichter zu entsorgen. Ich schoss meine Ladung in ein Papiertuch ab und wusch mir die Hände. Das war’s. Dann war es vorbei, und ich konnte mich wichtigeren Dingen zuwenden. Ich musste hinterher keine Zeit mit Duschen vergeuden, und das Ergebnis war dasselbe.

Wenn ich mir die Zeit nahm und darüber nachdachte, was mit Eve und mir schiefgegangen war, kam ich zu der einzigen Schlussfolgerung, dass unser Liebesleben schal und langweilig geworden war. Wohlfühlen und Vertrautheit sind tödlich für jede Beziehung. Wenn man sich bei einer anderen Person wohlfühlt, wird Sex eintönig, vorhersehbar und langweilig. Man lässt in seiner Aufmerksamkeit nach und praktiziert die nächsten 30 Jahre, oder bis man eben tot umfällt, die Missionarsstellung. Man macht Sex, um Zeit totzuschlagen, Kopfschmerzen loszuwerden oder der Monotonie des Alltags zu entkommen, aber er wird so aufregend wie den Müll raustragen.

Mit 38 mochte ich alt sein, doch ich war nicht tot. Und ich hatte angenommen, da Eve unlängst erst 30 geworden war, würde ihr Sextrieb etwas in Fahrt kommen. Leider nicht. Eves Vorstellung von Sex war rein mechanisch und gezwungen. Der Akt hatte so gar nichts Aufregendes mehr. Es gab kein Vorspiel mehr. Und im Handumdrehen war es vorbei. Was mich nicht weiter störte, aber danach musste ich Minuten verschwenden, um die Schande des Wohlbehagens, ihre Säfte und das Gleitmittel abzuwaschen, das sie in letzter Zeit mehr als reichlich benutzte. Der ganze Geschlechtsakt kam mir wie eine klebrige, lästige Arbeit, eine Mühsal und ein klein wenig abstoßend vor. Ich war sicher, aus einer Prostituierten hätte ich mehr Emotionen und Begeisterung herauskitzeln können.

Jedes Mal, wenn ich mir auf eine künstliche, chirurgisch aufgemotzte junge Frau im Internet einen abwichste, stellte ich mir die Frage, ob sich das Geld, die Mühe und eventuell auch noch eine Gefängnisstrafe lohnen würden, sie für ihre Dienste zu bezahlen. Aber ich wusste, das würde ich nie machen, denn ich hatte zu viel Angst, mir eine Krankheit zu holen, selbst wenn ich ein Kondom benutzte.

Beim Abendessen saß Eve mir schweigend gegenüber. Sie hielt ein Stück Brathähnchen zwischen Daumen und Zeigefinger und kratzte mit der Gabel darüber, bis sich ein Stück löste. Dann durchbohrte sie das Stück und führte es zum Mund, während sie das fettige Huhn in der anderen Hand behielt. Ich spürte, wie ich das Gesicht verzog. Ich verstand nicht, warum sie das verdammte Ding nicht einfach mit beiden Händen aß, wie ein Barbar.

Abgesehen von ihrem Unvermögen, wie eine Dame zu essen, war sie attraktiv. Sie trug ihr blondes Haar jetzt kürzer als vor acht Jahren, als ich sie kennenlernte. Wir waren uns begegnet, als sie gerade das College abgeschlossen hatte. Damals war sie niedlich und quirlig. Sie trug das Haar in einem unordentlichen Pferdeschwanz, dazu bei jeder Gelegenheit zerrissene Jeans und T-Shirt. Als sie jünger war, hatte ihre Schlampigkeit etwas Anziehendes und Unbekümmertes. Aber als sie den Job als Grundschullehrerin antrat, da verschwanden die bezaubernden Teenie-Klamotten in Kisten für die Altkleidersammlung. Sie ließ sich die Haare schneiden und in Form bringen – ein Haarschnitt, wie sie sich ausdrückte, bei dem sie nicht stundenlang frisieren musste. Und Hosenanzüge wurden ihre neue Uniform. Eve übertrieb es keinesfalls mit ihrer Grundschullehrer-Generalüberholung, aber die freigeistige Seite ihrer Persönlichkeit warf sie zusammen mit den Jeans und Haarbändern über Bord. Sie wurde nachdenklich und ernst. Als sie ihre alten Sachen wegwarf, ließ mein Interesse an ihr stark nach. Sie war nicht mehr das junge Ding, das ich kennen- und lieben gelernt hatte. Alles an ihr wurde klinisch und steril. Und meine Einstellung zur Schlampigkeit veränderte sich auch. Ich wollte plötzlich alles sauberer. Sie eingeschlossen.

Eve kaute langsam und sah mich an. Ein Anflug von Besorgnis huschte über ihr Gesicht. Sie machte den Mund auf, als wollte sie etwas sagen, überlegte es sich aber anders und sprach nicht mit vollem Mund. Ich dankte ihr innerlich. Ich wiederholte mich nicht gern und wollte mich nicht wie eine zerkratzte Schallplatte anhören, wenn ich ihr immer wieder erklärte, was sich nicht gehörte … wie zum Beispiel Reden mit vollem Mund.

»Ist das Essen gut?«, fragte sie.

»Ja«, erwiderte ich. »Es ist sehr gut.«

»Du hast es kaum angerührt.«

Ich blickte auf meinen Teller hinab und schob die Kartoffeln mit der Gabel hin und her. Mir dämmerte, dass Kartoffeln ein Gericht waren, das sie kaum noch zubereitete. Sie machte sie nur zu besonderen Anlässen.

»Entschuldige«, sagte ich. »Es ist ein leckeres Essen. Danke, dass du es gemacht hast. Mir geht nur viel durch den Kopf.«

»Mir auch.« Sie lächelte zaghaft.

Ich aß zögerlich einen Bissen von den Kartoffeln. Seit ich angefangen hatte, mir eine eigene Wohnung zu suchen, hatte ich Probleme mit dem Magen. Aber mit meinem Magen ging es nicht erst bergab, seit ich mir Wohnungen ansah. Das fing schon an, als mir klar wurde, dass ich ein eigenes Apartment brauchte. Ich bekam Magenprobleme, als ich endgültig akzeptierte, dass ich Eve verlassen musste, wenn ich nicht den Verstand verlieren wollte.

Am Tag, als sie einzog, beklagte sich Eve, wie klein mein Apartment sei. Sie besaß zu viel Kram und versuchte, ihn zu meinem zu packen. Am Ende verkaufte sie mein ganzes Mobiliar, weil sie ihres schicker fand. Ihre Möbel sahen aus, als hätten sie früher einer alten Frau gehört oder wären auf einem verlausten Flohmarkt gekauft worden. Mein ganzer Körper kribbelte, wenn ich mich auf das Sofa setzen musste. Und als sie erst sämtlichen Krimskrams und Regale an die Wand gehängt hatte, kam ich mir vor, als würde ich im Haus meiner Großmutter wohnen, nur ohne den Geruch von Zigarettenqualm und Mottenkugeln. Eve fand, meine modernen Möbel seien kalt und traurig und ohne Charakter gewesen. Sie sagte, Architekten seien keine Inneneinrichter, und ich ließ sie machen, was sie wollte, damit sie glücklich war, auch wenn ich es hasste.

Ich hätte meine ganzen Möbel einlagern sollen, statt sie von Eve verkaufen zu lassen, dachte ich. Jetzt musste ich mir alles neu zulegen. Wenigstens konnte ich mir so Sachen aussuchen, die mir gefielen. Ich konnte zu meiner modernen und minimalistischen Einrichtung zurückkehren. Und alles würde neu und sauber und steril sein. Dann müsste ich nicht mehr an Flöhe denken, oder dass vor mir jemand mit nacktem Arsch auf meinem Sofa gesessen haben könnte. Mir wurde schwindelig, wenn ich nur daran dachte, was sich sonst noch alles auf dem Sofa abgespielt haben könnte.

Ich zerbiss ein Stück Kartoffel und schaute auf meinen Teller.

»Nick?«, sagte sie.

»Hm.« Ich sah von meinem Teller auf.

Sie knüllte ihre Serviette. Sie umklammerte den Stoff so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. Ich sah einen Fettfilm von dem Hühnchen an ihrem Zeigefinger. Warum aß sie das Huhn nicht mit Messer und Gabel? Gefiel es ihr, wenn sie mit den Zähnen auf den Knochen biss? Mochte sie das Gefühl, wenn sie das warme Fleisch zwischen den Fingern quetschte?

»Hast du mich gehört?«, sagte sie.

Ich schluckte den Bissen hinunter und spießte das nächste Stück Kartoffel auf. Ich sah sie an und überlegte mir fieberhaft eine bessere Ausrede als die, dass mir viel durch den Kopf ging.

Atemlos wiederholte sie, was ich gedankenverloren gar nicht mitbekommen hatte. »Ich bin schwanger.«

Mein Herz kam quietschend zum Stillstand. Taubheit breitete sich in meinem ganzen Körper aus, ich fühlte mich losgelöst. Ich ließ die Gabel fallen. Sie prallte vom Tisch ab und rutschte klirrend über den Boden. Die Kartoffel, die ich mit den Zinken aufgespießt hatte, flog in Richtung Zimmerdecke, beschrieb einen Bogen und landete zwischen uns auf dem Tisch.

Mein Herz fing wieder an zu schlagen und hämmerte mir gegen die Rippen. Ich blinzelte und fragte mich, ob meine Pumpe dieser Art von Trauma gewachsen war.

Eve beachtete das verschmutzte Essen und die Gabel gar nicht. Ihr Blick wanderte hin und her; sie suchte in meinen Augen die Antwort auf eine Frage, die sie nicht gestellt hatte.

Eine Million Fragen und Szenarien schossen mir gleichzeitig durch den Kopf. Ich war nicht sicher, wie ich reagieren sollte. Ich war nicht einmal mehr sicher, ob ich mich überhaupt noch hier bei ihr in der Küche befand. Mein Körper würde jeden Moment davonschweben, weil dies nur ein Albtraum sein konnte. Mir schien, als wären meine Verbindungen zur Schwerkraft abgeschnitten. Ich betete, dass ich nach ihren Worten einen Herzinfarkt erlitten hatte und tot war, während meine Seele noch am Tisch saß, Eve anstarrte und ich nur das Phantomgefühl von Leben empfand. Aber ich wusste, so viel Glück hatte ich nicht. Das war kein Traum. Ich war nicht tot. Dabei wäre das besser gewesen.

Als Eve und ich uns kennenlernten, habe ich ihr gesagt, dass ich keine Kinder möchte. Ich war das einzige Kind eines Paares, das auch keine Kinder gewollt hatte. Manche Leute würden das eine ungeplante Schwangerschaft nennen. Ich wusste, ich war ein Unfall. Ich bin sicher, hätten meine Eltern genügend Geld besessen oder gewusst, an wen sie sich wenden mussten, hätten sie mich in dem Moment abgetrieben, als sie erfuhren, dass meine Mutter schwanger war.

Es wäre eine Untertreibung, würde ich sagen, dass meine Eltern beschissene Eltern waren. Sie mochten und unterstützten mich kein bisschen, weil sie mich nie gewollt hatten. Ich wusste, wenn ich Kinder hätte, wäre ich ihnen auch ein beschissener Vater. Ich wollte für ein unglückliches Opfer von Zufällen nicht das Arschloch sein.

Bei unserer ersten Begegnung stimmte Eve zu, dass sie auch keine Kinder wollte. Als wir verheiratet waren, kam das Thema noch einmal kurz zur Sprache, aber sie sagte, dass es ihr reichte, wenn sie die Woche über im Unterricht mit Kindern zu tun hatte und die ruhigen Wochenenden zu Hause genoss. Und ich widersprach ihr nicht, da sie meine Einstellung zu Kindern bereits kannte.

Das alles ging mir wieder und wieder durch den Kopf. Wie hatte uns das passieren können? Ich war fast 40. Ich konnte jetzt keine Familie gründen. Eve war 30. Sagte man nicht, dass es bei älteren Frauen häufiger zu Komplikationen kam? Bestand nicht ein erhöhtes Risiko von Missbildungen? Würde sie ein Kind mit Downsyndrom zur Welt bringen? Passierte das nicht allen Frauen, die in fortgeschrittenem Alter Kinder bekamen?

Eves Worte holten mich in die Wirklichkeit zurück. »Nick … sag etwas.«

Ich stieß die beiden schlimmsten Sätze hervor, die ein Mann in meiner Lage aussprechen kann. »O nein«, sagte ich. »Wir können das erledigen lassen.«

Eves Miene wich im Handumdrehen blankem Entsetzen. »Erledigen?«

»Na ja … du weißt schon.«

Sie knallte die Gabel auf den Tisch. Der laute Knall von Metall auf Holz hörte sich in der winzigen Wohnung wie ein Pistolenschuss an. Ich zuckte zusammen.

Sie beugte sich vor und runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf, dass ich eine Abtreibung will?«

Meine Ohren kribbelten. Ich war nicht sicher, ob vor Schock oder Scham. »Weil wir immer gesagt haben, dass wir keine Kinder wollen.«

»Du hast immer gesagt, dass du keine Kinder willst.«

»Wie bitte? Du hast gesagt, dass du den ganzen Tag mit kreischenden Blagen zu tun hast und zu Hause keine haben willst.«

»Ich habe sie nie Blagen genannt.«

»Moment mal«, sagte ich. Ich machte die Augen zu und kniff mich in die Stirn. Ich wünschte, mir würde etwas einfallen, wie ich meine Gedanken ordnen und zurücksetzen könnte. Ich wollte das Chaos in meinem Kopf aufschütteln wie die winzigen Plastikstücke in einer Schneekugel, damit sie sich wieder zu einem Bild der Ruhe formten und ich mich konzentrieren konnte.

Ich schlug die Augen auf. Eve saß nach hinten gelehnt auf dem Stuhl, hatte die Arme verschränkt und warf mir tödliche Blicke zu. Ich strich mir mit den Fingerspitzen über die Augenbrauen und versuchte die Kopfschmerzen zu vertreiben, die sich dort zusammenbrauten.

Mir kam ein Gedanke. Ich legte die Hände auf den Tisch.

Ihre harte Miene wurde sanfter, ich spürte einen Hauch Nervosität.

»Bitte sag mir, dass du nicht absichtlich schwanger geworden bist.«

Ihr Gesichtsausdruck wechselte erneut. Sie zog eine Braue hoch und wirkte arrogant, als sie antwortete. »Bin ich.«

Ich atmete tief durch und versuchte, ruhig zu klingen. »Warum hast du das gemacht?«

»Weil du Nein gesagt hättest, wenn ich gefragt hätte.«

»Da hast du verdammt recht.«

Sie breitete die Arme aus und lächelte. »Die Leute sagen nur, dass sie keine Kinder wollen. Dabei meinen sie aber nur, dass sie in dem Moment keine Kinder wollen.«

Sie wartete ein paar Sekunden, ehe sie fortfuhr. »Ich werde nicht jünger. Ich hatte keine Zeit, noch einmal acht Jahre mit dir zu diskutieren.«

»Es hätte keine Diskussion gegeben. Die Antwort wäre immer Nein gewesen. Die Antwort ist Nein.«

Eve seufzte und hob ihre Gabel auf. »Jetzt ist es zu spät. Was geschehen ist, ist geschehen.«

Ich wollte sie anschreien. Ich wollte mir das schüttere, schulterlange Haar ausreißen. Ich wollte sie verbal angreifen und sie wissen lassen, dass ich Sekunden davon entfernt gewesen war, ihr zu sagen, dass ich sie verlassen will, bevor sie ihre Atombombe platzen ließ. Sie sollte bedauern, dass sie mein Vorhaben sabotiert und mich gezwungen hatte, vom Tisch aufzustehen und hinauszugehen. Ich wollte ihr viel Spaß dabei wünschen, den kleinen Scheißer allein großzuziehen. Ich wollte in eine Bar gehen, mich betrinken, mir ein junges, scharfes Ding aufreißen und sie in einem Hotelzimmer dumm und dämlich ficken, um meine Aggressionen abzubauen – auch damit ich nach Hause kommen und Eve sagen könnte, dass ich eine Affäre habe, und sie mich hinauswarf. Ich wollte ihr Leben so versauen, wie sie meins versaut hatte. Ich wollte, dass sie so wütend und sauer auf mich wäre wie ich auf sie. Ich wollte sie weinen sehen.

Ich knirschte mit den Zähnen, während sie aß. Sie beschloss, mich nicht weiter zu beachten, und ich bemühte mich, nicht völlig auszurasten, indem ich mich auf das Essen auf meinem Teller konzentrierte. Mein linkes Auge zuckte. Ich hörte ein Klingeln in den Ohren. Ich betete um einen Schlaganfall.

Ich atmete tief ein und langsam wieder aus. »Glaubst du, diese Stadt und ihr Schulsystem sind ideal, um ein Kind großzuziehen?«, fragte ich.

Sie schluckte ihr Essen und hielt den Kopf schief. »Ist das eine versteckte Herabsetzung meiner Fähigkeiten als Lehrerin?«

Ganz genau. Aber das würde ich nie zugeben. »Nein. Ich stelle nur eine logische Frage. In dieser Stadt grassieren Gewaltverbrechen und die Schulen genießen keinen guten Ruf. Ich dachte, dass du über so etwas nachdenken würdest, bevor du beschließt, ein Kind in die Welt zu setzen. Die meisten Leute hätten die nächsten 18 Jahre mit in Betracht gezogen.«

Sie seufzte und stand vom Tisch auf. Sie schlenderte zu mir, zwängte sich zwischen mich und den Tisch und setzte sich auf meinen Schoß.

Ich wurde zur Statue. Ich berührte sie nicht.

Sie schlang die Arme um mich und sprach dicht vor meinem Gesicht. Ihr Atem roch nach Hühnerfett. Ich war nicht sicher, ob es an ihrem Atem oder der Situation lag, dass ich sie von meinem Schoß schubsen wollte. Ich wollte sie so fest schubsen, dass sie zu Boden fiel.

»Alles wird gut«, sagte sie. »Solche Sachen fügen sich immer zum Besten. Wenn jeder immerzu an jedes winzige Detail denken würde, wie das Leben seiner Kinder werden oder nicht werden kann, würde nie jemand Kinder bekommen.«

Nur vernünftige und kluge Menschen würden dann keine Kinder bekommen, dachte ich. Die Schwachköpfe würden sich weiterhin vermehren und hoffen, dass es auf der Welt Traumstaub und gute Feen gibt, die alles richten.

Ich weigerte mich, ihr in die Augen zu sehen, und starrte stattdessen den freien Stuhl gegenüber an. Ich hielt den Atem an, wenn sie etwas sagte, damit ich ihren nicht einatmen musste. Im Lauf der Zeit war meine Toleranzschwelle für Dummheit kontinuierlich niedriger geworden, und dies kam mir wie die dümmste Situation vor, in der ich je gewesen war.

»Du bist nur wütend, weil du glaubst, dass du es nicht schaffst«, sagte sie. »Aber ich weiß, dass du es kannst. Ich weiß das besser als jede andere.«

Wenn du mich so gut kennst, warum hast du dann nicht gewusst, dass ich Sekunden davon entfernt war, dich zu verlassen?, dachte ich. Und du mich elend machst?

»Jeder neue Vater hat Muffensausen … Glaub mir, ich habe viel darüber gelesen. Wenn das Baby da ist, kommt dein Ernährerinstinkt auf Touren, dann bist du froh, dass wir es gemacht haben.«

Wir?, dachte ich. In dieser Situation gibt es eindeutig kein Wir. Wie kommst du darauf, dass es mich freuen könnte, wenn eine zappelnde Made, die nichts als Rotz, Tränen, Pisse und Scheiße von sich gibt, in mein Haus kommt und jeden Tag meine Sinne beleidigt?

»Es ist, als würde man ein Überraschungsgeschenk bekommen, von dem man gar nicht wusste, dass man es sich gewünscht hat.«

Ich biss die Zähne zusammen. Ich wollte alles aussprechen, was ich dachte. Aber ich wusste, wenn ich jetzt den Mund aufmachte, würde ich jeden hässlichen Gedanken aussprechen, den ich je über sie gedacht hatte. Ich würde abscheuliche Sachen sagen. Ich würde verletzende Sachen sagen. Ich würde Sachen sagen, die sich in einer Million Jahren und mit einer Milliarde Entschuldigungen nicht wiedergutmachen lassen würden.

»Willst du nichts sagen?«, fragte sie.

Endlich schaute ich sie an. »Was willst du denn hören?«

»Ich weiß nicht. Alles wäre besser als Schweigen. Herrgott … es wäre mir sogar lieber, du würdest mich beschimpfen, statt nur so dazusitzen.«

Ich hätte sagen können, ich wisse, dass alles gut werden würde, und so tun, als wäre ich glücklich. Aber ich wollte angepisst sein. Wenn ich sie genügend in Rage brachte, würde sie mich vielleicht rauswerfen. Dann wäre es nicht meine Schuld. Ich hätte meine schwangere Frau nicht verlassen, sie hätte mich rausgeworfen. Ich wäre immer noch ein Arschloch, aber wenigstens kein Arschloch, das seine Frau im Stich ließ, als sie ihm sagte, dass sie sein Kind bekam.

»Okay«, sagte ich. »Wie wäre es damit, wenn ich dir danke, dass du eine wichtige Entscheidung im Leben getroffen hast, ohne mich zu fragen? Wie wäre es, wenn ich sage, dass unsere Ehe nicht perfekt ist, aber nicht dadurch besser wird, dass wir sie um ein Kind erweitern?«

Eves glückliche Miene verschwand, sie stand auf. »Du bist ein Arsch!«, zischte sie.

Sie nahm meinen Teller und kippte das Essen in die Spüle. Sie drehte das Wasser auf und schaltete den Müllschlucker ein.

»Dann wird unser Kind halb Arsch und halb egoistischer Kontrollfreak!«, rief ich über den Lärm hinweg.

Sie schaltete den Müllschlucker ab und sah mich an. Tränen liefen ihr über das Gesicht. »Könntest du dich normal benehmen und dich wenigstens einen Scheißdreck dafür interessieren, dass du Vater wirst?«

»Ich interessiere mich einen Scheißdreck dafür«, sagte ich. »Nur nicht so, wie du es willst. Wie würdest du dich fühlen, wenn ich eine so wichtige Entscheidung getroffen und dich vor vollendete Tatsachen gestellt hätte?«

Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht. Ihre Nase und Augen waren rot, die Wangen fleckig. Eve sah nicht hübsch aus, wenn sie weinte.

»Es wäre mir egal, weil ich wüsste, dass du die richtige Entscheidung getroffen hättest«, sagte sie. »Was du auch entscheidest, es wäre etwas Gutes. Es wäre für uns beide gut und würde unsere Situation verbessern.«

»Glaubst du wirklich, ein Kind verbessert unsere Situation?«

»Ja.«

»Inwiefern?«

»Wir wären eine Familie.«

»Wir sind schon jetzt eine Familie.«

Sie verschränkte die Arme und lehnte sich an den Küchentresen. »Nein. Momentan sind wir ein Paar. Das ist ein Unterschied. Ein großer Unterschied.«

»Ja, ein weiteres menschliches Wesen. Eines, das mehr Geld, mehr Essen, mehr Medikamente und mehr Aufmerksamkeit braucht.« Ich zählte die Liste an den Fingern ab. »Gott weiß, dass du vertrocknest und stirbst, wenn ich die Hälfte meiner Aufmerksamkeit jemand anderem schenken muss.«

Sie sah mich böse an und sprach mit zusammengebissenen Zähnen. »Zwing mich nicht, dir zu sagen, dass du mich am Arsch lecken kannst.« Sie kniff die Augen zusammen und holte tief Luft. Als sie die Augen wieder aufschlug, war sie ruhig. Die Flecken auf ihrer Haut wichen einer durchgehenden Zornesröte. »Es hat keinen Sinn, die ganze Nacht darüber zu streiten. Es ist, wie es ist.«

Ich stand vom Tisch auf und nahm ihren Teller. Ich trug ihn zur Spüle, kippte das Essen hinein und schaltete nun ebenfalls den Müllschlucker an. Eve lehnte immer noch mit dem Hintern neben der Spüle am Tresen. Sie stemmte die Hände rechts und links von sich auf die Platte. Sie sah mir zu, wie ich das Geschirr spülte und zum Trocknen auf das Gestell legte. Als ich fertig war, ging ich in den Wohnbereich.

»Nick.«

Ich blieb an der Tür von der Küche ins Wohnzimmer stehen und drehte mich zu ihr um. Sie sah mich an, als hätte sie eine Frage gestellt. Ich erwiderte die fragende Miene, als wollte ich wissen, was sie auf dem Herzen hatte.

»Das war es dann?«, fragte sie.

Ich zuckte mit den Schultern. »Es hat keinen Sinn, die ganze Nacht darüber zu streiten, oder? Du hast ja schon für uns entschieden.«

Sie schnaufte, als ich mich abwandte. Ich blieb noch einmal stehen und drehte mich zu ihr um.

»Nebenbei«, sagte ich. »Ich werde in Anwesenheit von Freunden und Familie so tun, als wäre ich glücklich. Ich werde so tun, als wäre zwischen uns alles in Ordnung. Ich bin gern bereit und warte ab, ob es wirklich das ist, was wir brauchen. Aber innerlich tobe ich gerade vor Wut.« Ich trug den Sarkasmus ganz dick auf. »Aber, he, vielleicht hast du recht. Vielleicht kommt dieses Kind daher und macht ein Lamm aus dem Löwen, und plötzlich ist alles gut auf der Welt, und vielleicht fegt das Baby die Spinnweben aus unserer Beziehung. He, nachts um drei Babyscheiße abwischen ist vielleicht gut für unser Liebesleben. Nach außen hin werde ich der glücklichste Vater der Welt sein. Ich kaufe dir mitten in der Nacht Eiscreme. Ich gehe zu jeder Party, die du für deinen Schwangerschaftsstreifenbauch geben möchtest. Das alles mache ich im Tausch für eine einzige Sache.«

Sie wirkte betroffen und den Tränen nahe. Ich wollte ihre Tränen sehen und hätte sie gern zum Weinen gebracht, hätte es aber nicht ertragen, sie die ganze Nacht plärren zu hören. Ihr fleckiges und zerknirschtes Gesicht ging mir langsam auf die Nerven. Sie hatte es sich selbst zuzuschreiben und konnte heulen, solange sie wollte. Aber durch das Weinen würde sie auch nicht bekommen, was sie wollte. Ich ging weiter und hätte das Thema am liebsten gewechselt, wusste aber, dass sie mir gefolgt wäre und nachgefragt hätte, und das wäre noch nervtötender gewesen als ihr Weinen.

»Im Tausch gegen was?«, fragte sie zögernd.

»Du darfst nicht sauer werden, wenn ich wichtige Entscheidungen treffe, die unser beider Leben betreffen, ohne dich vorher zu fragen.«

»Ganz bestimmt nicht.« Sie antwortete, ohne zu zögern.

Ich lächelte ihr gönnerhaft zu und ging in das winzige Wohnzimmer. Als ich mich auf das möglicherweise verseuchte Sofa setzte, zuckte ich zusammen, dann griff ich zur Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.

2

Mein Büro war sehr modern. Eine Glaswand trennte mich vom Rest des Büros. Manchmal sah ich den anderen bei der Arbeit zu, während ich versuchte, ein Projekt zu entwerfen.

Heute hypnotisierte mich Sadie, die Akten in einem Schrank aus Edelstahl ablegte. Ich starrte Sadie nicht an, weil sie attraktiv war. Genau das Gegenteil traf zu. Ihr Äußeres war verwachsen und abstoßend, und sie war alt genug, dass sie meine Mutter hätte sein können. Es schien unmöglich, dass ein menschlicher Körper aussehen konnte wie ihrer, und ich vergeudete peinlich viel Zeit damit, mich zu fragen, wie es ihr gelungen sein mochte, sich in ihren momentanen Zustand zu verwandeln. Sie sah aus wie Frau Weihnachtsmann. Oder wie Frau Weihnachtsmann aussehen würde, trüge sie T-Shirts mit Katzen und lustigen Sprüchen darauf, und dazu Jeans mit elastischem Bund und Sandalen. Die Sandalen verstand ich nie. Ihnen galt mein Hauptaugenmerk. Es spielte keine Rolle, welche Jahreszeit wir hatten, ob es regnete oder schneite, immerzu trug sie diese dummen, abgewetzten Sandalen ohne Socken. Es gab keine Bekleidungsvorschriften in unserem Büro, aber manchmal wünschte ich mir, es gäbe sie.

Sadies Füße waren kein schöner Anblick. Sie waren trocken, rissig und schuppig. Grässliche Elefantentreter. Wenn sie in der Nähe war, konnte ich nicht anders, als ihr auf die Füße zu starren. Eines Tages würde ich ihre Füße betrachten und ein großer Fetzen Hornhaut würde sich vor meinen Augen lösen und auf den Boden fallen. Oder schlimmer, jemand würde mich ertappen, wie ich ihre Füße anstarrte, und mich für einen perversen Fuß- oder Oma-Fetischisten halten. Sollte man mir eines von beidem unterstellen, würde ich kündigen.

Manchmal hatte ich Fantasien, ich würde ein Pediküre-Set in ihr Kabuff schmuggeln und auf ihrem Schreibtisch liegen lassen, wenn sie in der Mittagspause war. Vielleicht noch ein Paar Tennisschuhe dazu. Aber sie wäre nicht kompetent genug zu wissen, warum man Tennisschuhe nach jedem Tragen waschen sollte, und am Ende würden sie sich in etwas gleichermaßen Abstoßendes wie ihre Füße verwandeln. Womöglich verschlechterten die Schuhe den Zustand ihrer Füße noch. Bei dem Gedanken wurde mir übel.

Eve fand, dass ich nicht bei Verstand sei, weil ich meine Tennisschuhe nach jedem Tragen wusch. Sie sagte, das ständige Waschen mache die Schuhe kaputt und sei gruselig. Ich besaß mehrere Paare und stellte fest, dass es der Stabilität ihrer Machart nicht schadete, wenn man sie wusch und an der Luft trocknete. Eve weigerte sich hartnäckig, ihre schmutzigen Schuhe zu waschen. Gott allein wusste, wie ihre Füße irgendwann einmal aussehen würden.

Sadie ging in ihr Kabuff, wo ich sie nicht mehr sehen konnte. Ich konzentrierte mich wieder auf den Bildschirm. Fast den ganzen Vormittag hatte ich letzte Hand an einen Entwurf für einen Klienten gelegt. Meine Spezialität waren Bürogebäude. Die waren ein Kinderspiel. Die meisten Kunden auf dem Markt für diese Art von Gebäude wollten mehr oder weniger dasselbe: groß, hoch, klare Linien, modernes Baumaterial wie Stein, Fliesen und Glas. Diese Klienten waren mein Typ. Sie begriffen nicht, dass ein Gebäude ein modernes Kunstwerk sein kann. So musste ich beim Skizzieren kaum über das Design nachdenken.

Als ich fertig war, mailte ich die Pläne zur Durchsicht an Mr. Crutch. Ich schaute auf die Uhr. Noch 15 Minuten bis zur Mittagspause. Sam von der Personalabteilung ging an meiner offenen Bürotür vorbei. Ich rief nach ihm. Mit einer geschmeidigen Bewegung machte er auf dem Absatz kehrt und streckte den Kopf zur Tür herein.

»Was ist?«

»Hast du einen Moment Zeit?«

»Klar«, sagte er fröhlich.

»Machst du bitte die Tür zu?«

Er trat ein, schloss die Tür und nahm mir gegenüber Platz.

Sam trug anständige Kleidung, obwohl er es nicht musste. Seine Ensembles bestanden meist aus einfachen Kragenhemden und Bügelfaltenhosen. Und seine Kleidung war immer dunkelgrau oder schwarz. Die Krawatte schenkte er sich meist. Ich fand die Schlichtheit von Schwarz und Grau bei ihm stets elegant.

Sam war zehn Jahre jünger als ich und ebenso begeisterungsfähig wie entspannt. Insgeheim wollte ich seinen Stil nachahmen, aber das wäre mir zu seltsam vorgekommen – und es hätte zu sehr nach dem Film Weiblich, ledig, jung sucht … ausgesehen. Ich blieb bei meinen schwarzen und grauen T-Shirts ohne Aufschrift, Designerjeans und Tennisschuhen. Mir gefiel der Gedanke, dass ich wie ein unbeschriebenes Blatt rüberkommen würde, falls ein Klient mit Fragen oder Änderungswünschen in letzter Sekunde hereingeplatzt kam. Es kam selten vor, dass Klienten reinschauten, aber es konnte nicht schaden, das Image des Durchschnittstypen zu pflegen.

Sam schlug weibisch die Beine übereinander. »Was ist?«

»Ich habe ein paar Fragen und bin nicht sicher, wen ich fragen sollte.«

»Okay.« Er zeigte mit dem Finger auf mich, als wäre seine Hand eine Pistole. »Schieß los.«

»Wie sieht unsere Vertraulichkeitspolitik aus?«

Sams Dauerlächeln wurde ein wenig starr; er wirkte besorgt. »So schlimm ist es?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was du mir sagst, bleibt bei mir, sofern ich es nicht an eine andere Abteilung weiterleiten muss.«

Er nahm wieder eine normale sitzende Haltung ein und legte die Hände in den Schoß. »Du arbeitest lange genug hier und weißt, dass Mr. Crutch keinen Klatsch mag.«

»So weit, so gut.« Ich versuchte, mich zu entspannen. »Wie ist unsere Politik bezüglich Elternurlaub?«

Sam sah mich erstaunt an. Er gab einen Laut von sich, der wie eine Mischung aus Schluckauf und Keuchen klang. »O mein Gott!«, sagte er eine Spur zu laut.

Durch das Fenster sah ich, wie Sadie in ihrem Kabuff den Kopf hob. Sie blickte in unsere Richtung.

Ich gab Sam mit einer diskreten Geste zu verstehen, dass er leiser sein sollte. »Sadie beobachtet uns.«

Sam sah mich mit einer schockierten Miene an. Er hielt eine Hand vor den Mund und hustete übertrieben, um zu zeigen, dass alle lauten Geräusche aus unserer Richtung ein Hustenanfall seinerseits waren. »Pardon«, flüsterte er. Er nahm die Hand vom Mund.

»Du kennst ja die Büroleute«, sagte ich. »Ich will noch nicht, dass sie es wissen. Die suchen immer einen Grund, Kuchen zu backen. Aber es ist noch zu früh zum Feiern.«

»Noch nicht weit?«

»Nein.«

Sadie gab sich keine Mühe, ihre Neugier zu verbergen, und starrte weiter rüber. Ich stellte Blickkontakt mit ihr her, da verschwand sie wieder hinter ihrer Kabuffwand.

»Ich hatte keine Ahnung, dass ihr alten Typen Kinder bekommen könnt«, sagte Sam. »Nicht dass es mich etwas angeht.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Wir hätten jederzeit ein Kind haben können. Eve war diejenige, die ihren Teil der Vereinbarung nicht eingehalten hatte. Ich wusste nicht, wie ich es Sam erklären sollte. Er war ein netter Kerl, aber außerhalb der Arbeit kannten wir uns kaum. Es kam mir peinlich vor, ihm zu erzählen, was passiert war. Das waren private Informationen, die man nur mit persönlichen Freunden oder Verwandten teilte. Ein heikles Thema, anderen Leuten zu sagen, dass man nie Kinder wollte.

Peinliches Schweigen herrschte im Raum. Ich zermarterte mir das Gehirn nach der passenden Antwort für ihn.

»Tut mir leid«, sagte Sam, »du musst nicht ins Detail gehen.« Er wurde rot und ruderte zurück. »Hör gar nicht auf mich. Ich bin ein Idiot.«

»Schon gut.«

»Du wolltest etwas über Elternurlaub wissen?«

»Ja.«

»Der dauert sechs Wochen. Du kannst ihn nehmen, wie du willst. Die meisten Männer nehmen eine bis zwei Wochen vor der Geburt, den Rest danach. Du bekommst 60 Prozent deines normalen Gehalts. Oder du kannst zu Hause weiterarbeiten und bekommst das volle Gehalt.«

»Das ist eine andere Frage … Haben wir eine Politik, Vollzeit zu Hause zu arbeiten?«

Er runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht. Vielleicht weil sich die Frage noch nie gestellt hat.«

»90 Prozent meines Jobs kann ich zu Hause machen. Und meine ganze Arbeit läuft sowieso über Computer und E-Mail. Es kommt selten vor, dass ich einen Klienten tatsächlich kennenlerne. Und wenn, dann nur mit Termin … und dafür könnte ich ins Büro kommen.«

Sam nickte, während er sich meine Hauptargumente anhörte. »Ich verstehe. William hat zu Hause gearbeitet, als sein Sohn auf die Welt kam. Ich entsinne mich nicht, dass es Probleme gab.«

»Wen müsste ich fragen, ob ich zu Hause Vollzeit arbeiten kann?«

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, verschränkte die Finger hinter dem Kopf und sah mit zusammengekniffenen Augen zur Decke, als wäre die Antwort dort aufgeschrieben. »Ich nehme an, Mr. Crutch.« Er richtete den Blick wieder auf mich. »Es ist allein seine Firma. Er setzt jede Politik durch, die er will, solange er sich damit im Rahmen der Gesetze bewegt. Ich könnte es ihm vorlegen und sehen, was er dazu sagt.«

»Das wäre super. Ich würde natürlich zu den monatlichen Sitzungen kommen. Und nach Termin würde ich auch herkommen und Klienten empfangen. Wenn er zögert, sag ihm, dass ich bereit bin, eine Gehaltskürzung von zehn Prozent zu akzeptieren.«

»Du willst das wirklich unbedingt, ja?« Er löste die Finger voneinander und legte die Hände wieder in den Schoß.

»Absolut.« Ich lächelte.

»Du willst also ein Zuhause-Daddy sein?«

»Das ist mein Plan.«

»Klasse. Das sieht man nicht so oft wie bei Müttern.« Er blickte einen Moment lang mein Namensschild an und lächelte, als wäre ihm etwas eingefallen. »Eve kann sich glücklich schätzen.«

»Ich danke dir für deine Hilfe.«

»Gibt es schon ein bestimmtes Datum?«

Der Strom der Mitarbeiter, die mein Büro passierten, nahm zu, da wusste ich, es war Mittagszeit.

»Nein. Ich habe noch ein paar Monate.«

»Okay. Gut. Das verschafft mir Zeit, es Mr. Crutch schonend beizubringen. Ich persönlich sehe keine Probleme. Meine Zustimmung würdest du sofort bekommen, aber letztendlich ist es seine Entscheidung.«

Er schlug unbekümmert auf die Stuhllehne und stand auf, ich ebenso. Er streckte die Hand aus, ich nahm sie.

»Glückwunsch«, sagte er.

Ich schüttelte ihm mehrmals die Hand.

Dann ließ er sie unvermittelt los, verließ mein Büro und ging in seines. Ich setzte mich an meinen Computer und betrachtete ein paar Sekunden den Bildschirm, ehe ich die Hand auf die Maus legte. Ich rief die Internetsuchmaschine auf und gab das Suchwort »Immobilien« ein.