Von Robert James Lees sind folgende Titel im
Drei Eichen Verlag, D-97762 Hammelburg, erschienen:

REISE IN DIE UNSTERBLICHKEIT (Band 1)

»Das Leben jenseits der Nebelwand«

ISBN 978-3-7699-0610-3

REISE IN DIE UNSTERBLICHKEIT (Band 2)

»Das elysishe Leben«

ISBN 978-3-7699-0646-2

REISE IN DIE UNSTERBLICHKEIT (Band 3)

»Vor dem Himmelstor«

ISBN 978-3-7699-0654-7

Das in diesen Werken einige Male zitierte Buch „The Heretic“ („Der Ketzer“), ebenso wie das Buch „My Books - How they were written“ von Robert James Lees, sind, nach derzeitigem Wissen des Verlages, nicht in die deutsche Sprache übersetzt worden.

Gleichermaßen sind die in diesen Bänden vermerkten „noch unveröffentlichten Manuskripte“ und „Kundgaben Myhanenes“ sowie die angesprochenen Tonbänder nicht auf Deutsch übersetzt worden und erschienen. Das angesprochene Material liegt dem Verlag nicht vor!

(Stand der Information: Mai 2014)

Die englische Originalausgabe trägt den Titel:

»Through the Mists«.

Vom Verfasser autorisierte deutsche Originalausgabe,

herausgegeben von John.

Aus dem Englischen übertragen von Peter Andreas.

ISBN 978-3-7699-0817-6

Verlagsnummer 10610

© 1962 by Drei Eichen Verlag

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise, die fotomechanische Wiedergabe, die Übertragung durch Rundfunk, die Übernahme auf Daten- und Tonträger sowie Mikroverfilmung und die Erstellung von Leseproben aus dieser und der nach ihr hergestellten Fassungen bedürfen der schriftlichen Genehmigung des Drei Eichen Verlages, D-97762 Hammelburg.

Es bleibt dem Verlag vorbehalten, das gesamte Werk – oder Teile hiervon – als PDF-Datei, im HTML-Format, für jegliche Art von E-Book und sonstigen elektronischen, Bild- und Internet-Formaten zu verwerten, ebenso wie auszugsweise Leseproben. Jegliche Verwertung ohne schriftliche Zustimmung des Verlages verletzt das Urheberrecht, ist unzulässig und strafbar.

16. Auflage 2018

Satz: www.satzstudio-drei-eichen.de • Hammelburg

Gesetzt aus der RotisSerif (12 pt.)

Umschlagbild: Manuel Kissener, Hammelburg

Umschlaggestaltung: Manuel Kissener, Hammelburg

Weitere Infos zum Programm des Verlages finden Sie unter

www.drei-eichen.de

Inhalt

  1. Durch die Nebelwand
  2. Die Halle des Gerichts
  3. Die prismatische Landschaft
  4. Der Berg Gottes
  5. Das Ruheheim
  6. Ein magnetischer Choral
  7. Gott ist unwandelbar
  8. Aus Hoffnung erwächst Zuversicht
  9. Ernte der Eifersucht
  10. Erinnerung als Therapie
  11. Ist der Himmel vollkommen? (Das Heim des Assyrers)
  12. Meine erste Rückreise zur Erde
  13. Ernte der Blindheit und des Sehens
  14. Der Schlaf und das Jenseits
  15. Wo sich die auf Erden Schlafenden im Jenseits treffen
  16. Höher hinauf
  17. Eine Dichterin daheim
  18. Des Himmels Familie
  19. Die Stätte der Stille
  20. Fern im Beulahland
  21. Daheim

Zum Geleit

Mehr als ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, ehe dieses einzigartige Buch, das in seiner englischen Original-Ausgabe bereits in hohen Auflagen erschienen ist, dem Leser auch in deutscher Sprache vorgelegt werden konnte. Infolge seines zeitlosen Inhalts hat es in der Zwischenzeit auch nicht ein Jota an seiner Bedeutung für das Abendland eingebüßt. Um dies besser verstehen zu können, sei ein kurzes Wort der Einführung gegeben.

Robert James Lees war, wie sich aus einer eingehenden Beschäftigung mit seinem Leben und Werk ergibt, ein Mystiker von hohem Rang, dem es aufgrund seines vorbehaltlosen Glaubens und Dienens und eines bewunderungswürdigen Opfermutes gelang, eine reale geistige Brücke zwischen unserer irdischen Welt und den jenseitigen psychischen und rein geistigen Bereichen zu bilden. Seine angeborene und völlig außergewöhnliche mediale Befähigung schaffte hierzu auch physisch die Voraussetzung.

Die folgende auf das Allerwesentlichste beschränkte Biographie möge erkennen lassen, dass Robert James Lees alles andere als ein „Spiritist” war. Während den meisten heutigen Medien lediglich Erkenntnisse von Bewohnern des physischen Zwischenreiches übermittelt werden, die selbst noch manchen Täuschungen und Irrtümern unterliegen, stand Lees täglich im natürlichen geistigen Gedankenaustausch mit hohen Geisteswesen, die ihm einen zweifelsfreien Einblick auch in das Leben in den höheren geistigen Welten gewährten. Nur aus der Kenntnis der Person Robert James Lees’ heraus wird seine (im englischen Original in einem schlichten kurzen Vorwort gegebene) Versicherung verständlich und glaubhaft, dass er nicht der Autor dieses Werkes war, sondern nur das ausführende Werkzeug seiner Freunde im geistigen Reich.

Wer sich von der Wahrhaftigkeit des Schreibers und seines Berichtes überzeugt hat, möge die Tatsachen dieses Buches auf sich wirken lassen als das, was sie sein sollen: nicht ein religionsschwärmerisches Trugbild, vielmehr der Augenzeugenbericht aus dem ersten Lande, das eine Seele nach dem Verlassen der Erde betritt, dem ersten Land, wohlgemerkt, dem noch höhere, unendlich größere folgen.

Herausgeber und Übersetzer freuen sich, dass seit der Fertigstellung der ersten Auflage dieses Bandes auch die beiden weiteren Bände der Lees-Trilogie, „Das elysische Leben” und „Vor dem Himmelstor”, in dem Doppelband „Reise in die Unsterblichkeit“, Band II, im selben Verlag, in deutscher Sprache vorgelegt werden konnten.

London und Krün/Obb.

Peter Andreas John

Leben und Werk des großen medialen Mystikers

Robert-James Lees

geboren am 12. August 1849 in Hinckley (Leicestershire) als Sohn eines Orgelbauers

Im Jahre 1863 erschien in der Zeitschrift „Medium and Daybreak” ein Bericht, der Aufsehen erregte: Der zwei Jahre zuvor (am 14.12.1861) verstorbene Prinzgemahl Albert der Königin Viktoria, so hieß es, habe sich durch das „Knabenmedium von Birmingham”, den damals 13 Jahre alten R. J. Lees gemeldet. Der Bericht stammte von dem Chefredakteur dieser Zeitschrift, James Burns, der dieses Ereignis miterlebt hatte.

Zwei Wochen später erschien Burns erneut in Birmingham mit zwei Freunden, die er dem Jungen mit bürgerlichem Namen vorstellte1). Der junge James berichtigte ihn jedoch sofort und erklärte der Wahrheit gemäß, sie seien zwei Pairs vom Hofe, die die Königin in geheimer Mission geschickt habe. Er nannte sie bei ihren wahren Namen. Der eine von ihnen war Lord Stanhope. Sie waren gesandt, um sich mit eigenen Augen von der Wahrhaftigkeit des Berichtes zu überzeugen.

In Gegenwart der Pairs schrieb Lees mit der Handschrift des Prinzgemahls eine ihm von diesem diktierte Botschaft an Königin Viktoria und unterschrieb mit einem Kosenamen, der nur der Königin bekannt war.

Die ihnen gegebenen Beweise müssen unumstößlich gewesen sein. Wie anders lässt es sich erklären, dass die Königin einige Zeit später das für ihren Ruf immerhin beträchtliche Risiko einging (England hatte schon damals eine freie Presse!), den jungen Robert James zu sich nach Schloss Windsor zu rufen, um ihn zu bitten, sich als Medium zur Verfügung zu stellen? Aber R. J. L. war für Aufgaben bestimmt, die kein anderer tun konnte; eine Bindung and den königlichen Haushalt hätte ihn von diesen Aufgaben abgelenkt. Seine geistigen Führer gaben, durch den Mund James’, der Königen den Namen eines Bediensteten auf Schloss Balmoral, John Brown, der ihr als Medium dienen könne. Viktoria, die den Tod Alberts nicht hatte verwinden können, befolgte diesen Rat sofort und berief John Brown zu sich. Der urwüchsige, absolut nicht in das Hofleben passende Schotte nahm dann bis zu seinem Tode 20 Jahre später eine dominierende Rolle bei Hofe ein. Um seine Stellung wurde in der Öffentlichkeit viel gerätselt, seine Tagebücher wurden auf Geheiß der Königin später verbrannt. Schon die verfassungsmäßige Bindung des englischen Königshauses in die anglikanische Kirche macht es der Monarchin gänzlich unmöglich, die wahren Gründe für ihr enges Verhältnis zu dem schottischen Bauernsohn bekannt zu geben.

Der Biograph E. E. P. Tisdall2) ist dem „Rätsel” John Brown nachgegangen und dabei ebenfalls auf R. J. Lees als Schlüsselfigur gestoßen. Nach Browns Tod rief die Königin Lees noch mindestens acht Mal zu sich3). Lees Verbindung zum Hofe scheint auch in führenden Regierungskreisen bekannt gewesen zu sein. Die beiden größten Politiker der viktorianischen Zeit, Gladstone und Disraeli, suchten seinen Rat4). Bei seiner letzten Audienz kurz vor ihrem Tode bot Viktoria ihm einen Titel oder eine größere Geldsumme an – Lees schlug beides aus. Es ist nicht verwunderlich, dass der breiten Öffentlichkeit über diese hochinteressante geschichtliche Episode fast nichts bekannt wurde. Die offiziellen, vom Königshaus autorisierten Biographien über Viktoria enthalten naturgemäß nichts darüber.

Auch der Arzt Sir Arthur Conan Doyle, der den meisten Lesern nur als Autor der weltberühmten „Sherlock Holmes” - Geschichten bekannt ist, aber in damaliger Zeit zu den geachtetsten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gehörte und dessen Rat von Persönlichkeiten wie Theodore Roosevelt, Edward VII. und Lloyd George gesucht wurde, gehörte zu dem Freundeskreis unseres Autors. Conan Doyle erforschte 30 Jahre lang mit wissenschaftlicher Gründlichkeit die spirituelle Erscheinungswelt und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens (wie der „Manchester Guardian” am 22. Mai 1959 zu seinem 100. Geburtstag schrieb), „um das Evangelium des Überlebens (nach dem Tode) zu predigen und den größeren Teil seines Vermögens dafür zu opfern. Für ihn, wie für viele hervorragende Wissenschaftler – Crookes, Flammarion, Lodge – schien der Spiritualismus die sinnvollste Antwort auf das religiöse Verlangen eines wissenschaftlich trainierten Verstandes zu bieten.”

Die außergewöhnlichen Fähigkeiten Robert James Lees’ wurden schon zu früheren Zeiten wissenschaftlich untersucht. Der rasch erworbene Ruf als Medium brachte den 14jährigen Jungen in Verbindung mit dem Arzt und späteren Leiter des Queens Hospital in Birmingham, Dr. Richard Norris, der James 6 Monate lang unter ständiger ärztlicher Kontrolle hielt. Dr. Norris konnte unter anderem feststellen, dass der Junge in Trance Zeugnis von detaillierten medizinischen Kenntnissen gab, die er sich unmöglich selbst hätte aneignen können5).

Die Leser der „Reise in die Unsterblichkeit” werden erfahren, dass unter den geistigen Führern von Lees ein Arzt war.

Von 1864 bis 1868, insgesamt dreieinhalb Jahre, war der heranwachsende James ständiger Gast der Spiritistengruppe in Birmingham, zu deren Versammlungen er als Medium gebeten wurde. Eines Abends jedoch stellte der 19jährige fest, dass einige der erwachsenen Mitglieder der Gruppe unehrliches Spiel trieben und die von ihnen beigesteuerten „Phänomene” nur vortäuschten. Diese Enthüllung wirkte wie ein Schock auf den jungen Mann. Er verließ die Versammlung auf der Stelle, um – gegen den Druck seiner eigenen Familie – nie wieder zurückzukehren.

James hatte damals noch nicht durchschaut, dass das Gebiet des Okkulten ein Tummelplatz fragwürdiger Persönlichkeiten sein kann, die die Leichtgläubigkeit ihrer Mitmenschen zu kommerziellen oder anderen selbstischen Zwecken ausnutzen, dass aber dieser dunklen Seite ein grundechter Kern von unbestechlichen, kritischen und häufig wissenschaftlich gebildeten Menschen gegenübersteht, die unwiderlegbare Beweise für die Echtheit der von ihnen erlebten Phänomene fordern und erhalten. Der größte Teil de Menschheit ist zur Verallgemeinerung rasch bereit, ohne selbst die geringste Kenntnis von dem wahren Sachverhalt zu haben. Man kann es dem persönlich beteiligten und deshalb tief betroffenen 19-jährigen James kaum verübeln, dass er sich fortan leidenschaftlich gegen den Okkultismus wandte.

James nahm nun zunächst eine Lehrstelle an und übersiedelte dann nach seiner Eheschließung im Jahre 1870 nach Manchester, wo er vorübergehend auch beim „Manchester Guardian” tätig war. 1874 schloss er sich, immer noch von dem Gedanken beseelt, den Okkultismus zu bekämpfen, dem anglikanischen Geistlichen Rev. Thomas Ashcroft an, der auf Vortragsreisen in ganz England gegen den okkultischen Betrug zu Felde zog (aber unterschiedslos alles als Betrug bezeichnete).

R. J. L. – er ging 1877 nach London – blieb 10 Jahre lang mit Ashcroft verbunden. Seine medialen Fähigkeiten, die er in dieser Zeit wohl nicht weiter entwickelt, aber keinesfalls verloren hatte, waren für Ashcroft eine unschätzbare Hilfe. James brachte bei den Vortragsabenden auf offener Bühne Tische und Stühle – wie er meinte, durch reine „Willenskraft” – zum Rücken und vollführte andere „Tricks”, alles in der Absicht, zu beweisen, dass man in die von den Spiritisten auf Geisterhilfe zurückgeführten Phänomene auch auf völlig „normale” Weise erzeugen könne.

Es war vielleicht ein Stück Vorsehung, dass R. J. L. durch diese Periode gehen musste, in der er übrigens keineswegs ein Atheist war, sondern seine Bibelstudien noch vertiefte, stets auf der Suche nach der spirituellen Wahrheit. In bezeichnender Fairness erklärte er aber auch während dieser Zeit, dass er nicht zögern würde, seinen Irrtum öffentlich einzugestehen, falls ihn Beweise eines Tages eines anderen belehren sollten.

Dieser Tag kam im November 1884 als R. J. L. von einem Bekannten dazu herausgefordert wurde, seine „Betrugstheorie” unter wissenschaftlichen Bedingungen zu beweisen. Zusammen mit einem Dritten wurde eine Serie von Sitzungen nach genau festgelegten Bedingungen vereinbart, bei denen James die Rolle des Mediums übernahm. Zu seiner eigenen größten Überraschung waren die dabei durch seinen Mund übermittelten Botschaften solcher Natur, dass sie nicht von lebenden Menschen kommen konnten.

R. J. L. wurde kraft der ihm zuteil gewordenen unwiderleglichen Beweise im wahrsten Sinne von einem „Saulus” zu einem „Paulus”. In der Zeitschrift „Light” vom 22.05.1886 schreibt er nach weiterer zweijähriger Erfahrung darüber unter anderem: „Ich könnte, wenn nötig, noch fünfzig Beispiele aufzählen, von denen keines durch die Theorie erklärt werden kann, die ich bisher vertreten habe. Durch das Gewicht der Beweise bin ich dazu gezwungen, meine Einstellung zu ändern und die demonstrierte Tatsache zu akzeptieren, dass körperlose Freunde zu uns zurückkommen können, um uns Mitteilungen zu machen. Damit meine ich nicht, dass alle Phänomene des Spiritismus einen solchen Ursprung haben – weit entfernt davon. Ich glaube, dass ein großer Teil dessen, was der „anderen Welt” zugeschrieben wird, absolut nichts mit den Verstorbenen zu tun hat und in jeder Weise das Resultat von psychologisch erklärbaren Kräften ist, die von den Seanceteilnehmern entwickelt werden…”.

R. J. L. stellt dann die Frage, warum er diese Beweise von seinen geistigen Führern nicht schon früher erhalten habe und meint: „Ich habe viel gelernt währen der letzten 12 Monate und kann jetzt sehen, dass ich ihnen (den geistigen Führern) nicht die Gelegenheit dazu geben wollte. Ich suchte nach den großen Wahrheiten der geistigen Welt, aber ich forschte nach ihnen am falschen Platz und im falschen Geiste. Ich wollte nach meinen eigenen Regeln überzeugt werden, versuchte, die Gesetze der Unendlichkeit meinem eigenen kleinen Geist zu unterwerfen, statt der Unendlichkeit zu erlauben, mich zu ihr emporzuheben… Unsere ganze Suche geht nach ,Zeichen und Wundern’, in der Sucht nach sensationellen Begebenheiten, bei der die wahren Lehren des Jenseits uns verloren gehen. Man ruft die Geister, denen man gleich ist, und der Wunsch nach solchen Taschenspieler-Leistungen zieht nur die Geister an, die in solchen Dingen Befriedigung finden. Jene Freunde, die uns die höchsten und erhabensten Wahrheiten des geistigen Lebens demonstrieren können, sind anderer Art… Bisher waren wir zufrieden mit der Verbindung zu Geistern, die in den allermeisten Fällen wenig mehr als wir selbst wussten, in ihrem Wunsch, als weise zu gelten und unsere Neugier zu befriedigen, haben sie von Dingen gesprochen, über die sie ebenso wenig wussten wie wir. Daher der Widerspruch und die Verwirrung, die heute bestehen. Es ist Zeit, dass solche Dinge ein Ende haben… ich hoffe, dass die Zeit nicht fern ist, da der Spiritismus sich der krankhaften Tendenz entledigt, die ihn zur Zeit umgibt, und seine wahren Möglichkeiten erkennt: sich aufzuschwingen auf eine größere Höhe, wo er seinen göttlichen Auftrag offenbaren kann!”

Bald nach den ersten, damals noch in Trance erhaltenen Beweisen hörte er, diesmal allein und auf offener Straße, eine Stimme neben sich, die ihm eine Botschaft für einen ihm völlig unbekannten Amerikaner auftrug, der sich angeblich in einem bestimmten Londoner Hotel aufhalten sollte (Die Schwester des Amerikaners war gestorben.) Dieser Fall stellt einen prima facie-Beweis dar, denn nicht nur die Angaben über Hotel, Namen und Zimmernummer des Fremden stimmten, sondern dieser hatte selber noch keine Ahnung von dem Todesfall (er wurde kurz darauf durch ein Telegramm bestätigt). Telepathie, Gedankenlesen oder Erinnerung aus dem „Tiefengedächtnis” scheiden als mögliche Erklärungen aus.

R. J. L. hat in späteren Jahren ungezählte, noch viel erstaunlichere Beweise seiner Verbindung mit einer Welt gegeben, die mehr weiß als wir. In sieben Fällen half er durch die von seinen geistigen Führern gegebenen Hinweise bei der Aufklärung von Kriminalfällen. Der bekannteste dieser Fälle ist der Londoner Frauenmörder „Jack the Ripper”6), der seine Opfer auf furchtbare Weise verstümmelte und monatelang das Londoner East End in Schrecken versetzte, ohne je der Polizei eine Spur zu liefern.

R. J. L. war zu dieser Zeit bei Scotland Yard schon kein ganz Unbekannter mehr. Man nahm die von ihm angebotene Hilfe an. Wenig später führte Lees die Polizei vor das Haus des Verbrechers. Seine Schuld wurde einwandfrei festgestellt, doch niemals fand ein Gerichtsverfahren statt. „Jack the Ripper” war ein bekannter Modearzt des Londoner Westend. Er litt, wie sich herausstellte, an einer Spaltungspersönlichkeit, deren niederer Teil verbrecherisch und grausam war; eine unheimlich realistische Verkörperung des „Dr. Jekyll and Mr. Hyde”-Themas, die man in das Reich der Kriminalliteratur verweisen würde, gehörte sie nicht zur nachforschbaren Wirklichkeit. „Jack the Ripper” beendete sein Leben in einer Irrenanstalt.

„Daily Express hat diesen Fall und den entscheidenden Anteil R. J. Lees’ ausführlich beschrieben (07.03.1931), wenn die Zeitung auch die medialen Quellen Lees’ falsch interpretiert. Scotland Yard hat die Akten und den Namen des Verbrecher-Arztes niemals veröffentlicht und auch R. J. Lees zum Schweigen verpflichtet. Nach seinem Tode bemühten sich mehrere Zeitungen vergeblich, den Namen von seiner Tochter zu erfahren, die als einzige eingeweiht war.

Das geistige „Erwachen” Lees’ fiel übrigens in eine Periode, in der ihn das materielle Schicksal vor immer neue Prüfungen stellte und Existenzsorgen ihn auf das stärkste bedrückten. Er war 1877 von Manchester einem Ruf nach London gefolgt, um die Redaktion der Zeitschrift „The British Architect” zu übernehmen, eines Unternehmens, das ihm später auf das übelste mitspielte.

Trotz der Prüfungen dieser Zeit ließ sich R. J. L. niemals daran hindern, seinen Mitmenschen zu helfen, wo er nur konnte. So gründete er die „Bruderschaft”, eine karitative Einrichtung für die ärmeren Bevölkerungsschichten in Peckham (Süd-London), predigte auf öffentlichen Plätzen und gab seine Hilfe als Medium und Heiler. Er hat sein Leben lang nie einen Pfennig für diese Tätigkeit genommen.

Seine geistige Entwicklung nach 1886 schritt unterdessen immer weiter. Sie wurde schließlich so stark, dass sich die Freunde und Lenker im Jenseits in seiner Gegenwart bei vollem Tageslicht materialisieren konnten. Diese Lichtwesen kamen – mit einer Ausnahme – ausschließlich aus dem reingeistigen Reich und nicht aus dem psychischen Zwischenreich, das für fast alle Menschen die erste Stufe nach dem körperlichen Tode zu sein scheint. Der Unterschied zwischen diesen beiden Reichen ist von R. J. L. immer wieder betont worden; der Übergang von einem zum anderen („niemand kommt zum Vater, es sei denn er werde neu geboren”) wird von Aphraar, dem Berichterstatter des vorliegenden ersten Bandes, in dem dritten Bande „The Gate of Heaven” („Vor dem Himmelstor”) anschaulich beschrieben.

In seiner Schrift „My Boocks – how they were written” schildert R. J. L., wie es zur Entstehung des ersten Bandes kam. Der Gedanke, James’ geistige Freunde um eine zur Veröffentlichung geeignete Schilderung zu bitten, ging von einem kleinen Kreis von Menschen aus, die R. J. L. besonders nahe standen. Erst nach langer und sorgfältiger Überlegung wurde das Projekt von der „anderen Seite” für gut geheißen. James’ Freunde im reingeistigen Reich fanden in Aphraar einen noch zum Zwischenreich weilenden Menschen der als „Hauptperson” des Buches geeignet schien. Aphraar brachte ideale Voraussetzungen mit: Er war Engländer und erst seit so kurzer Zeit durch den körperlichen Tod gegangen, so dass das viktorianische Zeitalter („Die Reise in die Unsterblichkeit” wurde 1888 begonnen) für ihn noch selbsterlebte Wirklichkeit war. Gleichzeitig aber war er ohne Laster, von edlem Charakter und unbelastet von orthodoxen Glaubensvorstellungen.

„Wir waren ein seltsam zusammengesetztes Quartett, als wir mit der Arbeit begannen”, schreibt R. J. L. „Myhanene und Cynthus aus dem reingeistigen Reich, ich, sterblicher Bewohner der Erde, stand am anderen Ende der Skala, während der Zwischenzustand (wo die Getrösteten und Gepeinigten nahe beieinander wohnen) durch Aphraar vertreten war. Der Unterschied zwischen uns war in fast schmerzhafter Weise offenkundig. Er lehrte mich mehr als alles andere, die Dreiteilung unserer Welt in Materie, Psyche und reinen Geist zu begreifen. Myhanene, Cynthus und ich konnten unsere Körper ohne Anstrengung aufrechterhalten; nicht so aber Aphraar, der für mich nur mit Hilfe Myhanenes und einer vielleicht zum Teil von mir entliehenen Energie sichtbar blieb. Während unserer ersten Sitzung löste sich sein materialisierter Körper zwei Mal plötzlich auf und musste wieder neu aufgebaut werden.”

R. J. L. beschreibt weiter, wie das eigentliche Diktat vor sich ging. Aphraar pflegte seine Erlebnisse zu erzählen, während die anderen hier und dort Fragen und Hinweise anbrachten, um das Bild abzurunden. Aphraar hatte sein Leben lang die Liebe seiner Mutter entbehrt. Das letzte Kapitel der „Reise in die Unsterblichkeit” stellte daher für ihn das Erreichen eines Zieles dar und man hielt es für richtig, den Band damit abzuschließen. „Selten” schreibt R. J. L., „waren bei dem Diktat weniger als 4 Personen anwesend.”

Man darf aus dieser „Teamarbeit” aber nun nicht schließen, dass R. J. L. mit dieser Niederschrift leichte Arbeit hatte. Das Gegenteil war der Fall. Zeugen, die in seiner engsten Umgebung waren, wissen zu berichten, dass er nach diesen Sitzungen häufig bewusstlos vor Erschöpfung – jedoch sorgsam in einen Lehnstuhl gebettet – aufgefunden wurde. Geistige Wesen benötigen zur Materialisierung einer als „Ektoplasma” bekannten stofflichen Materie, die sie aus den Zell-Emanationen lebender Menschen aufbauen. Ein Medium gibt also ständig von seiner eigenen Lebenskraft. In jeder Sitzung konnten deshalb nur wenige Seiten niedergeschrieben werden; die gesamte Arbeit – sie wurde nach dem ersten Diktat noch einmal gründlich überarbeitet – erstreckte sich über nicht weniger als 10 Jahre!7)

Im Jahre 1895, also 3 Jahre vor ihrem Abschluss brach R. J. L. durch körperliche Erschöpfung zusammen und wurde nach St. Ives an der Nordwestküste Cornwalls geschickt. Das gesunde und ozonreiche Seeklima schien nicht nur ihm selbst gut zu tun, sondern auch die Materialisierungen zu erleichtern, so dass die „Reise in die Unsterblichkeit” 1898 erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Im Jahre 1900 zog die Familie Lees nach Plymouth, wo James unter anderem das Amt des Predigers der Kongregationalisten-Gemeinde übernahm. Das weiche Klima der englischen Südküste war jedoch seiner Gesundheit nicht zuträglich, so dass die Familie 1902 nach Ilfracombe (Nord-Devon) übersiedelte.

R. J. L. hat 26 Jahre in Ilfracombe gelebt, wenn er auch häufig zu Vorträgen nach London und in andere Teile des Landes gerufen wurde. Er hat während dieser Zeit ungezählten Menschen durch seine medialen Heilkräfte geholfen. Gleichzeitig begann er mit der Niederschrift (wiederum bei körperlicher Anwesenheit seiner Freunde) seines zweiten Bandes „The Life Elysian”8), der in vieler Hinsicht eine Ergänzung und Erläuterung des ersten ist. Das hier wiederum sehr günstige Seeklima und die wohl etwas leichter darstellbare Materie des Buches ermöglichten es, das Diktat in zwei Jahren abzuschließen.

Im Jahre 1912 starb James’ Frau, die ihm 16 Kinder geschenkt hatte. Neue Sorgen und Anforderungen setzten der Gesundheit des 66jährigen schließlich so zu, dass er dem Kräfteverzehr der Materialisation nicht länger gewachsen war. Wie auch schon früher, benutzten ihn seine geistigen Freunde jetzt nur noch als Sprachmedium, doch entwickelten sie das, was man bei anderen als „Trancezustand” zu bezeichnen pflegt, zu einer solchen Vollendung, dass James auf öffentlicher Plattform mit den Zungen seiner Freunde sprach, ohne dass seine Zuhörer das geringste davon merkten. R. J. L. war zeitlebens ein Feind jeden auffälligen Gebarens in spirituellen Dingen; für ihn, wie übrigens auch für seine Kinder, die ja damit aufwuchsen, war der ständige Kontakt mit dem geistigen Reich etwas Natürliches. Nur an einer leichten Veränderung der Stimme und des Gesichtsausdrucks vermochten seine engsten Freunde zu erkennen, dass er „unter Kontrolle” stand.

Mit Rücksicht auf den angegriffenen Gesundheitszustand James’ wurde der letzte Band der Trilogie „The Gate of Heaven” (Das Himmelstor) ihm durch Hellhören (clearaudience) diktiert. Die nun fehlende Möglichkeit direkter Zwiesprache und Rückfrage wurde auf einem anderen Wege ausgeglichen.

Schon in der „Reise in die Unsterblichkeit” wird gesagt, welche Möglichkeiten im Schlafleben des Menschen9) verborgen sind . R. J. L. hatte mit Hilfe seiner geistigen Freunde dieses Schlafbewusstsein mittlerweile bei sich so entwikkelt, dass er es völlig mühelos mit in das Wachbewusstsein hinübernehmen konnte. Die Niederschrift des dritten Bandes wurde deshalb während der Schlafstunden James’ im engsten geistigen Kontakt mit seinen Freunden sozusagen „vorgesprochen” und konnte dann am Tage durch Hellhören (clairaudience) umso leichter und schneller erfolgen. In der Tat brauchte er für „The Gate of Heaven» nur 12 Monate, eine sehr kurze Zeit im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Werken. Die letzten 3 Jahre seines Lebens verbrachte R. J. L. in Leicester, um denen näher zu sein, die Heilung oder Rat von ihm suchten. Seine Gesundheit war längst nicht mehr kräftig genug, um die enorme physische Belastung direkter Materialisationen – auf sich allein gestellt – auszuhalten. In spiritistischen Zirkeln hätte er mit Hilfe der physischen Gegenwart anderer Sitzungsteilnehmer noch genug Phänomene erzeugen können, um die Welt in Erstaunen zu versetzen. Aber James Lees hat sein Leben lang okkulte Schaustellung gemieden, nachdem er einmal erfahren hatte, aus welcher makellosen, reingeistigen Quellen seine Botschaften kamen.

In Leicester verschlechterte sich seine Gesundheit weiter, und er starb schließlich 81 Jahre alt, am 11. Januar 1931. Seine Tochter hat miterlebt, wie man „Drüben” um das Leben dieses Menschen kämpfte, dessen Mission noch nicht beendet war – doch wo der Körper zu schwach geworden ist, die Seele zu halten, hat offenbar auch die Macht des Jenseits ein Ende.

* * *

Robert James Lees war ein Medium, wie es der Menschheit nur selten geschenkt wird. R. M. Lester10) nennt ihn „eines der berühmtesten Medien aller Zeiten. Es hat ohne jeden Zweifel innerhalb der letzten Generation kein anderes Medium dieses Formates gegeben”11)

Aber seine außergewöhnlichen Resultate waren nicht nur auf die ihm von der Natur mitgegebene Befähigung zurückzuführen. Viele Menschen haben eine mediale Veranlagung, die ihnen mehr oder weniger deutliche Botschaften aus dem psychischen Zwischen-Reich zuträgt. Dass er erwählt wurde, in direktem Verkehr mit Bewohnern der reingeistigen Sphäre zu treten, ist in erster Linie ein Ergebnis seines im bedingungslosen Glauben und Wirken nach den Geboten Christi gelebten Lebens.

Er hat ungezählte Briefe von den Lesern seiner Bücher erhalten und beantwortet; und immer wieder tauchte darin die Frage auf, durch welche Mittel man zu einer direkten Kommunion mit den Lichtwesen gelangen könne. Lassen wir ihn abschließend die Antwort selbst geben12):

„Das Buch, „The Heretic”13) [„Der Ketzer”] wurde unerwartet nötig durch den ständigen Strom der Korrespondenz… in der gefragt wurde, ob mein Vorwort wörtlich zu nehmen sei und durch welchen Entwicklungsprozess ich die Möglichkeit einer sichtbaren und fühlbaren Kommunion erreicht hätte. Myhanene las schnell zwischen den Zeilen dieser Anfragen und erlaubte nur die kurze Antwort, dass diese Entwicklung in einem besonderen Band beschrieben werden würde, der sich in Vorbereitung befand…14) Wer dem Ruf nach einem solchen Dienst folgen will, muss ein Leben führen, das der Erfüllung von Pflichten und Verantwortungen gewidmet ist. Jeder, der den Lorbeer eines solchen Dienens zu tragen trachtet, möge erst einmal darüber nachdenken, welch ein Preis dafür gezahlt, welche Schlachten dafür geschlagen werden müssen und sich über die Natur des unerbittlichen Schmelztiegels klar werden, durch den erst die notwendige Vergeistigung gewonnen werden kann… Ich brüste mich weder damit, noch beklage ich mich, sondern stelle einfach klare Tatsachen fest. Hätte es auf den Gipfeln für mich nicht die himmlischen Visionen gegeben, ich hätte niemals den Mut gehabt, die Schatten der Täler zu betreten… Aber nach allem was ich heute weiß, würde ich gerne noch einmal alles durchmachen, auch wenn ich nur ein Zehntel der erzielten Resultate zu erhoffen hätte.”

Auf die Nachrufe am Schluss dieses Bandes wird verwiesen.

London, im Herbst 1960

Peter Andreas John


1) Über diese und eine Reihe von anderen bemerkenswerten mystischen Erlebnissen mit R. J. Lees wurde nicht nur in den Zeitungen der damaligen Zeit, sondern auch in wissenschaftlichen Werken für dieses Gebiet, in Zeitschriften und Büchern ausführlich berichtet. Siehe u. a. Arthur Findlay: „The Curse of Ignorance“ (Vol. II, S. 950-953) und Reginald Lester: „Towards the Hereafter“, S. 23 ff.

2) „Queen Victorias John Brown“, Stanley Paul & Co., London, und „Queen Victorias Private Life“, John Day, New York 1962. Siehe „Welt am Sonntag“ vom 26.08.1962.

3) „Daily Express“, 07.03.1931.

4) „Two Worlds“, 30.01.1931

5) „Two Worlds“, 30.01.1931

6) „Daily Express“, 07.03.1931: „Es ist bekannt, dass Mr. Lees mehr als einmal von Königin Victoria empfangen wurde, die an seinen übersinnlichen Fähigkeiten interessiert war…, und es ist bekannt, dass er im Zusammenhang mit der Mordserie in Whitechapel (Jack the Ripper) erneut im Palast empfangen wurde.“

7) Ich habe im Studio in Leicester allein 5 handgeschriebene Manuskripte dieses Buches in Händen gehabt, die noch viele weitere unveröffentlichte Tatsachen über das Jenseits enthalten. [Der Herausgeber]

8) Dieses Buch wird in deutscher Übersetzung heute als 2. Band der dreibändigen „Reise in die Unsterblichkeit“ mit dem Titel „Das elysische Leben“ angeboten. Erschienen im Drei Eichen Verlag, ISBN: 978-3-7699-0646-2.

9) Eine ausführliche Beschreibung findet sich in Kapitel XIV und XV dieses Buches und im Kapitel „Der direkte Weg“ im 3. Band der „Reise in die Unsterblichkeit“, mit dem Titel „Vor dem Himmelstor“ (ISBN: 978-3-7699-0654-7).

10) Col. Reginald M. Lester: „Towards the Hereafter“. Lester ist Gründer der „Churches Fellowship for Psychical Study“ in London, einer offiziellen Organisation, der zahlreiche anglikanische Bischöfe und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehören.

11) Die Autoren dieser Biographie haben Zeugenaussagen seiner Tochter Eva und seines Sohnes Claudius Lees auf Tonbändern festgehalten und deren Übereinstimmung, zum Teil unabhängig voneinander, mit den Äußerungen Dritter festgestellt. [Nähere Angaben hinsichtlich der Veröffentlichung dieser Tonbänder liegen dem Verlag nicht vor!]

12) Zitat aus dem Buch „My books – how they were written“ [siehe Anm. auf Seite 2].

13) Bitte beachten Sie hierzu die Anmerkungen des Verlages auf Seite 2.

14) Es handelt sich hierbei um das bereits erwähnte Buch „The Heretic“ [Der Ketzer]. Wir bitten um freundliche Beachtung der Anmerkungen auf Seite 2.

I .

DURCH DIE NEBELWAND

Auf Erden galt ich als Menschenfeind. Das mag seltsam klingen als Einleitung zu dem, was ich hier zu sagen habe, und deshalb möge mir eine kurze Rückschau erlaubt sein, bevor ich meine Leser über die Grenze des Diesseits in eine andere Welt führen kann.

Meine Kindheit war von den Vorboten eines unfreundlichen Schicksals überschattet. Meine Mutter starb bei meiner Geburt; mein Vater war ein starrsinniger Calvinist, der sein Leben so minutiös einzuteilen liebte wie man eine Bauzeichnung anfertigt. Versehen mit einem Amt im Verwaltungsrat seiner Kirche und einem ausreichenden Bankguthaben, führte er ein Leben, das in seiner Umgebung als „mustergültig” angesehen wurde.

Nicht so selbstgerecht waren meine Geschwister, doch konnte ihre schließlich fast in offene Rebellion ausartende Auflehnung gegen die Methoden meines Vaters diesen niemals auch nur im geringsten beeinflussen. Ich selbst hatte zu keinem Mitglied meiner Familie ein herzliches Verhältnis. Nie sprach jemand mit mir über meine Mutter, kaum dass ihr Name hin und wieder erwähnt wurde. Doch hatte ich immer das Gefühl, es wäre alles anders gewesen, hätte sie noch gelebt. Meine früheste Erinnerung ist ein „christlicher” Kindergarten, dessen Leiter ich wegen seiner Falschheit und Heuchelei verabscheute. Nur zu bald lernte ich jene hassen, die im täglichen Leben wie im Gebet so gut zu lügen wussten.

Bücher waren der ganze Trost meiner Kindheit. Sie wurden meine einzigen Vertrauten, die Dichter meine engsten Freunde, während ich für die Menschen meiner Umgebung immer mehr Abneigung empfand.

Ich interessierte mich für Religion, befasste mich mit ihren Problemen aber ganz nach meinem eigenen Verstande und dem reinen Wort der Bibel, so wie ich es verstand. Meine Beobachtungen beim Gottesdienst der verschiedenen Sekten bestärkten in mir nur das Gefühl, dass sie weit mehr einer äußeren Form dienten als dem wahren Geist des Christentums. So lernte ich auch auf diesem Gebiet, mich nur auf mich selbst zu verlassen und auf die Einsicht eines gerechten Gottes zu vertrauen, wenn ich in meinem ehrlichen Bemühen auch vielleicht nicht alles richtig verstand.

Und gerade dabei empfand ich, dass mir Hilfe zuteil wurde: Geführt von einer Kraft, die ich als Inspiration empfand, gelangte ich oft in die dunklen Höfe und Gassen des Londoner Ostens, in denen Laster und Armut im Übermaß zuhause sind und wo Hilfe am dringendsten benötigt und am seltensten geleistet wird; wo die Bewohner nichts von höheren Dingen verstehen, sondern vielmehr nach menschlichem Mitgefühl verlangen. Dort, so fühlte ich, unter den Parias der menschlichen Gesellschaft, hatte ich eine Botschaft zu bringen, die immer verstanden wurde, ein Evangelium zu predigen, das nicht auf taube Ohren fiel, eine Saat zu säen, die sechzig- und hundertfältig aufgehen würde.

Im England meiner Jugend waren es die Reichen, die die Tempel bauten, ihre Kirche finanziell aufrecht erhielten und für das Gehalt ihres Geistlichen aufkamen. Soweit sie nur tüchtig für ihr persönliches Heil bezahlten, hielten sie es nur für recht und billig, dafür auch die entsprechende Belohnung zu erwarten. Anders die Armen. Für sie war nur die weißgekalkte, schlecht beleuchtete und zugige Missionshalle da; sie hatten anscheinend kein Recht, einen Empfang im Jenseits zu erwarten wie diejenigen, für deren Abgang von dieser Welt ein geschmückter, vierspänniger Leichenwagen bereitstand. All das brachte mich von Anfang an dazu, mein Herz den Armen zuzuwenden.

Niemals konnte ich verstehen, warum es auf dieser Welt Armut und in jener Verdammnis geben sollte, und manchmal fühlte ich das Verlangen, recht bald von der Erde scheiden zu können, um der Vielzahl jener Trost geben zu können, deren Leben im Diesseits ihnen ein Schuldenkonto in der Hölle zu errichten schien.

Die große Wandlung überkam mich unerwartet eines Abends, als ich mich wieder einmal auf den Weg in die Armenviertel gemacht hatte. In Gedanken verloren ging ich eine belebte Straße entlang, als ich plötzlich einen Schrei hörte und ein Kind sah, das mitten auf der Fahrbahn unter die Hufe eines Pferdegespanns geraten war. Der unglückliche kleine Kerl war nicht weit entfernt von mir, so dass ich – nicht an meine eigene Sicherheit denkend – hinzustürzte, ihn ergriff, mich umwandte, und... – –

Irgend etwas hatte mich berührt. Ich presste den Jungen fester an mich und machte einen Schritt vorwärts. Der Lärm ebbte ab. Meine Umgebung versank im Nichts, als ob ein großer Zauberer seinen Stab darüber geschwungen hätte – dann aber lichtete sich das Dunkel und ich fand mich, auf einem Wiesenhang liegend, in einem verzauberten Land wieder.

Noch immer hielt ich den Jungen in meinen Armen, doch ein Blick auf ihn belehrte mich, dass sich mehr als nur die Umgebung verändert hatte. Als ich ihm zu Hilfe geeilt war, hätte kaum jemand an dem barfüßigen, ungekämmten und im ganzen Gesicht beschmutzten Kerlchen Gefallen finden können – jetzt aber bot er einen wahrhaft engelsgleichen Anblick! Mein eigener Straßenanzug war auf rätselhafte Weise einem locker wallenden Gewand gewichen, das irgendwie ein fester Bestandteil von mir zu sein schien. Bei alledem hatte ich im gleichen Maße wie zuvor das Bewusstsein meiner selbst. Was war nur geschehen?

Auch mein Schützling war sich zweifellos der großen Veränderung in und um uns bewusst, doch schaute er mich mit lachenden Augen an, ohne eine Spur von Angst. Sicher wartete er auf ein erklärendes Wort, aber Aufklärung hatte ich zunächst selber bitter nötig! Schließlich lehnte er den Kopf an meine Schulter und schlief ein. Ich hielt ihn fest, während immer wieder eine Frage durch meinen Kopf ging: „Wo sind wir?“

Ich lag am Rande eines Wiesengrundes gebettet, der wie ein riesiges Amphitheater geformt war; in seiner Mitte schienen die Akteure dieses Schauspiels mit der Begrüßung von Neuankömmlingen beschäftigt. Hätte ich begriffen, was vor meinen Augen lag, es wäre ein höchst angenehmer, ja faszinierender Anblick gewesen, so aber war ich mehr von Neugierde als von einem anderen Gefühl erfüllt.

Von dem Schauspiel vor mir wusste ich weder Namen, Inhalt noch Mitwirkende. Immerhin konnte ich aber erkennen, dass es sich um zwei verschiedene Gruppen von Personen handelte: die einen, offenbar hier heimisch, trugen Gewänder verschiedener Farbtönung. Einige dieser Farben hatte ich noch nie gesehen. Die anderen, zahlenmäßig in der Minderheit, schienen Fremde zu sein, die, gerade eingetroffen, auf die Hilfe der Einheimischen angewiesen waren. Woher mochten sie kommen? Hinter ihnen erstreckte sich eine Ebene, über die ständig neue Menschen hin- und hergingen, in der Ferne aber eine dichte hohe Nebelwand, deren Umrisse sich seltsam deutlich abhoben.

Die Sicht war so ungewöhnlich gut, dass ich trotz beträchtlicher Entfernung klar erkennen konnte, wie Menschen aus dem Nebel auf die Ebene heraustraten. Gleichzeitig sah ich noch etwas sehr Erstaunliches, von dem ich nicht wusste, ob es Wirklichkeit war oder eine optische Täuschung: Die Gewänder der „Einheimischen” verloren ihre Farbe, sobald sich ihre Träger in Richtung auf die Nebelwand zubewegten, bis in der Ferne nur noch ein einheitliches Grau zu sehen war. Umgekehrt aber, wenn die Betreffenden zurückkehrten, nahmen die Gewänder auf unerklärliche Weise wieder ihre ursprüngliche Farbe an. Ein magischer Einfluss schien über der ganzen Szene zu liegen.

Als ich die Nebelwand näher betrachtete, durchfuhr mich ein leichter Kälteschauer, so, wie man ihn spürt, wenn man an einem unwirtlichen und nasskalten Spätherbsttag aus dem Fenster blickt. Vielleicht war es nur Mitleid mit denen, die dort auf die Ebene hinaustraten, denn viele von ihnen schienen völlig erschöpft zu sein. Einige mussten von ihren Beschützern herausgeleitet werden, manche wurden über die ganze Ebene getragen, bis sie die Kraft hatten, wieder auf ihren Füßen zu stehen.

Ich weiß nicht, wie lange ich in diesen Anblick vertieft gewesen war, als ich plötzlich jemanden neben mir gewahrte. Ich stand auf, ihn zu begrüßen, und erst jetzt wurde ich gewahr, dass um mich herum auf dem Wiesenhang noch viele andere gelagert hatten, offenbar Fremde wie ich selbst. Doch meine Aufmerksamkeit galt jetzt dem vor mir Stehenden, der mir gewiss Antwort zu geben vermochte auf die vielen Fragen, die sich mir aufdrängten.

Er wusste, was in mir vorging, noch bevor ich das erste Wort über die Lippen brachte. Auf den noch immer schlummernden Knaben weisend, sagte er:

„Es wird gleich jemand kommen, der all deine Fragen beantwortet. Meine Aufgabe ist es, den Jungen mitzunehmen.”

„Den Jungen?”, fragte ich, unsicher, ob ich ihn hergeben sollte. „Wohin? – Nach Hause?”

„Ja, nach Hause.”

„Aber wie kommen wir wieder zurück? Wie sind wir überhaupt hierher gekommen, wo sind wir?”

„Du musst noch eine Weile Geduld haben”, sagte er, „dann wirst du alles wissen und verstehen.”

„Aber träume ich nicht, ist das kein Fiebertraum?”

„Nein, bald wirst du wissen, dass du bis jetzt geträumt hast, nun aber bist du erwacht.”

„Dann bitte sag mir, wo wir sind und wie wir hierher kamen, ich bin so verwirrt von allem.”

„Du bist in einem Land der Überraschungen, aber du brauchst nichts zu fürchten, es wird dir nur Ruhe und Lohn für vergangene Mühen bringen”.