Über das Buch:
Voller Einsatz für Ole und seine Freunde! Wieder kommt ein Neuer in ihre Klasse. Doch schnell wird klar: Dieser Christof ist ein Angeber und Unruhestifter – und alle, sogar die Lehrer, sind ratlos. Was können sie tun, damit Christof zu einem Teil der Klasse wird?
Da ist es gut, dass es Pfarrer Leinenweber und seine biblischen Geschichten gibt, die den Kindern auf die richtige Spur verhelfen. Und es wird noch so richtig spannend, als Christof plötzlich ungeahnte Fähigkeiten entdeckt, von denen die ganze Klasse profitiert …

Über den Autor:
Hans-Dietrich Nehring ist Pfarrer in Bayreuth, verheiratet und Vater von drei Kindern. Schon als kleiner Junge erfand er Geschichten, die sein Großvater für ihn aufschreiben musste. Heute liegen ihm die Kinder seiner Gemeinde besonders am Herzen. Für sie denkt er sich Geschichten aus.

Ein Zwischenfall

Am nächsten Tag haben die Kinder in der dritten Stunde Religion. Pfarrer Leinenweber kommt mit seinem Fahrrad in die Schule. Die Kinder laufen ihm entgegen und umringen ihn fröhlich. Der Pfarrer sperrt sein Fahrrad ab, trägt seine schwere Tasche ins Klassenzimmer und stellt sie auf das Pult.

Der Unterricht beginnt. Am Ende sollen die Kinder einen kurzen Hefteintrag schreiben. Pfarrer Leinenweber geht von Platz zu Platz. Er schaut den Kindern über die Schulter. Jetzt ist er bei Christof. Christof schreibt nicht. Er hat seinen Füller in seine Nase gesteckt.

»Christof, nimm den Füller aus der Nase und fang bitte an zu schreiben!«

Christof versucht mit dem Füller in der Nase zu schreiben. Die anderen Kinder kichern.

»Christof, nimm den Füller aus der Nase und schreib mit der Hand!«

Christof nimmt zwei Buntstifte und steckt sie in seine Ohren. Wieder lachen alle.

»Christof, nimm bitte die Stifte aus deinen Ohren!« Die Stimme des Pfarrers wird strenger. Er streicht sich über seine Glatze. Er wird langsam ungeduldig.

Christof nimmt einen Buntstift aus seinem Ohr und hält ihn mit beiden Händen fest. Er drückt immer fester. Der Buntstift zerbricht. Die anderen Kinder werden still. Alle schauen erschrocken auf Christof. Christof nimmt den anderen Buntstift und zerbricht ihn genauso wie den ersten.

Patrick steht auf und hüpft wild herum. Er kann nicht länger sitzen bleiben. Er hat so etwas noch nie gesehen. Jetzt fängt er an zu tanzen.

»Patrick, hör auf, herumzuhampeln! Es reicht, wenn Christof seine Buntstifte zerbricht!« Pfarrer Leinenweber wird immer hilfloser.

Patrick setzt sich wieder hin. Er mag Pfarrer Leinenweber wirklich und möchte ihm helfen.

Christof hat inzwischen seine Schultasche geöffnet und sein Deutschheft herausgeholt. Er nimmt es in beide Hände und reißt es in der Mitte durch. Die Kinder stehen auf und laufen zu Christofs Platz. Jetzt stehen sie im Halbkreis um ihn herum.

Daniel rennt zurück zu seiner Schultasche. Er holt sein Handy raus und ruft laut: »Das muss ich filmen!«

Er nimmt sein Handy und läuft wie ein Kameramann um Christof herum. Er geht ganz nah heran und filmt in Großaufnahme, wie ein weiteres Heft in der Mitte durchgerissen wird. Es ist das Matheheft.

»Daniel, hör damit auf, ein Handy ist in der Schule verboten. Pack es sofort weg. Sonst muss ich es einkassieren«, sagt Pfarrer Leinenweber mit strenger Stimme.

»Ist ja gut, ich packe es weg!«, mault Daniel.

Christof holt das nächste Heft aus der Schultasche und zerreißt es. In der Klasse ist es jetzt ganz still geworden. Kaum ist er fertig, nimmt er das nächste Heft aus der Tasche.

Bild6.jpg

Patrick überlegt, ob er auch seine Hefte zerreißen soll. Aber irgendwie fühlt sich das nicht gut an.

Pfarrer Leinenweber schaut die Klasse an. Seine Stimme ist jetzt nicht mehr streng. Im Gegenteil. Sie ist sehr sanft und freundlich. »Liebe Kinder, ich weiß nicht, was mit Christof los ist. Bitte nehmt ihn euch nicht als Vorbild. Babsie, geh bitte ins Lehrerzimmer und hol Frau Sammetinger. Ole, du begleitest sie.«

Christof zerreißt weiter seine Hefte. Babsie und Ole machen sich auf den Weg. Als Frau Sammetinger hereinkommt, schaut sie Christof kopfschüttelnd an. Dann nimmt sie ihn an der Hand und geht mit ihm aus dem Klassenzimmer. Die offene Schultasche und die zerrissenen Hefte bleiben auf seinem Platz liegen. Pfarrer Leinenweber räumt die kaputten Hefte und Stifte in Christofs Tasche zurück.

Die Kinder sind aufgeregt. Jeder will etwas sagen. Pfarrer Leinenweber stellt sich vorne hin und wartet, bis alle still sind.

»Ich weiß nicht, was mit Christof los ist!«, sagt er. »Aber ich weiß, was wir tun. Wir sind jetzt alle miteinander still und beten für ihn.«

Die Kinder werden allmählich still. Alle haben die Hände gefaltet. Pfarrer Leinenweber betet: »Lieber Gott, wir bitten dich für Christof. Wir wissen nicht, was mit ihm los ist. Er braucht Hilfe. Bitte hilf ihm, dass er so etwas nicht noch einmal macht. Amen.«

Ohne Mama und Papa?

In der nächsten Stunde hat Frau Sammetinger Unterricht in der Klasse. Sie steht vorne und hat ihren Mund leicht geöffnet. Man kann ihre großen Zähne sehen. Sie ist aufgeregt. Alle Hände recken sich nach oben.

Ole kommt als Erster dran. Er stellt die Frage, die alle bewegt: »Was ist mit Christof los?«

»Christof ist jetzt zu Hause. Er soll sich beruhigen. Ich muss euch zu Christof etwas sagen: Er kommt aus Leipzig.«

»Mein Onkel kommt auch aus Leipzig und der zerreißt seine Hefte nicht!«, ruft Peter dazwischen.

»Lass mich ausreden.« Frau Sammetinger schaut die Kinder ernst an. »Christof kommt aus Leipzig. Seine Mutter hat sich nicht um ihn gekümmert. Da ist er ihr weggelaufen.«

»Gestern waren wir bei ihm. Da hat er uns erzählt, dass seine Mama ihn sehr liebhat!«, unterbricht Peter. »Sie holt ihn bald hier wieder ab!«

»Das hat er gesagt?«, wundert sich Frau Sammetinger.

»Ja, das hat er gesagt! Er hat sie ganz doll lieb. Und Frau Riedel ist nicht seine richtige Mutter!«

»Alle Kinder glauben, dass sie die beste Mama und den besten Papa auf der ganzen Welt haben«, erklärt die Lehrerin.

»Das stimmt nicht!«, meldet sich Babsie. Sie ist überzeugt: Andere Väter spielen niemals so toll mit ihren Kindern, wie ihr Papa das immer macht.

»Gut, wir machen einen Test. Alle von euch, die der Meinung sind, dass ihre Mama die beste Mama der ganzen Welt ist, melden sich!«

Alle Kinder heben blitzschnell ihre Hände.

Ole schaut sich um. Wenn die wüssten, wie toll mir meine Eltern bei den 50 Euro geholfen haben, wüssten sie, dass mein Papa und meine Mama die besten Eltern der ganzen Welt sind!

Auch Daniel wundert sich. Niemand kocht so lecker wie seine Mama! Wissen die anderen das denn nicht?

»Ich stelle fest: Ihr alle denkt, dass ihr die beste Mama und den besten Papa der Welt habt.«

Babsie meldet sich: »Aber bei mir stimmt es!«

Die anderen Kinder lachen. Babsie ärgert sich. Sie mag nicht, wenn man über sie lacht.

»Stellt euch jetzt vor, da kommt eine Frau oder ein Mann zu euch nach Hause und sagt: ›Du darfst nicht mehr bei deinen Eltern bleiben. Du musst woanders wohnen, sogar in einer anderen Stadt.‹«

Alle Kinder werden ganz still. Die Vorstellung, von Mama und Papa getrennt zu werden, ist furchtbar.

»Genau das ist Christof passiert.«

Alle haben mit Christof Mitleid. So etwas will sich niemand vorstellen!

Nach einer Weile meldet sich Ole wieder: »Christof erzählt lauter Lügen. Warum macht er das?«

»Das weiß ich auch nicht.« Gerne würde Frau Sammetinger jetzt noch mehr sagen. Sie darf aber nicht erzählen, was Christof alles Schlimmes erlebt hat. Das muss geheim bleiben.

Babsie ruft: »Er hat gesagt, dass er ein Fahrrad mit 29 Gängen hat. Dabei gibt es überhaupt gar kein Fahrrad mit 29 Gängen, das weiß doch jedes Kind!«

Daniel hebt die Hand: »Er hat gesagt, dass er immer zu McDonalds geht!« Für ihn ist das die gemeinste Lüge.

Ole muss an die 50 Euro denken. Er weiß: Jeder macht mal etwas Falsches. Er möchte Christof verteidigen. »Ich finde, solange er nur seine eigenen Hefte zerreißt, können wir seine Lügen ertragen. Sie tun doch niemandem weh.«

Wieder schweigen alle. Christof tut den Kindern leid. Wenn einer vor seiner Mama weggebracht werden muss, ist das richtig schlimm. Sie möchten Christof so gerne helfen! Wie sollen sie das machen?

Und wieder meldet sich Ole: »Mit Pfarrer Leinenweber haben wir schon für ihn gebetet. Das könnten wir doch noch mal machen.«

Frau Sammetinger nickt Ole zu und sagt: »Das ist eine gute Idee. Jeder, der will, kann zu Hause für Christof beten.« Leise für sich denkt sie: Für meine Klasse und mich könnte man auch beten. Sie ahnt: Mit Christof wird es noch sehr aufregend werden.

Ist das gerecht?

Eine Woche später regnet es den ganzen Tag. Die Kinder dürfen nicht in den Pausenhof und müssen die ganze Zeit im Klassenzimmer bleiben. Ole mag das nicht. Alle rufen und schreien durcheinander und die Luft ist zum Schneiden dick. Gleich kommt auch noch Mathe mit Frau Sulzer. Sein schlechtestes Fach! Gestern hat er den ganzen Nachmittag gerechnet und die Hausaufgaben doch nicht geschafft. Ole setzt sich an seinen Tisch. Vor ihm liegen die halb fertigen Hausaufgaben.

»Zeig mal her!« Hinter ihm steht Babsie.

Widerwillig schlägt Ole das Heft auf. Er legt das Mathebuch mit der Aufgabenstellung daneben.

»Schau mal, das musst du nur ausrechnen! Das ist doch ganz einfach.«

»Einfach?«, raunzt Ole Babsie an. »Das nennst du einfach? Ich habe gestern den ganzen Nachmittag davorgesessen!«

»Komm, wir rechnen das schnell durch! Dann merkt es die Frau Sulzer nicht.« Babsie deutet auf die Zahlen und sagt: »Das musst du zusammenzählen.«

Ole zählt die Zahlen zusammen. Das Ergebnis stimmt. Babsie ist toll. Mit ihr zusammen hätte er nicht den ganzen Nachmittag zu Hause verbracht.

»Ich mag Frau Sulzer nicht«, platzt es aus ihm heraus.

»Ich schon!«, antwortet Babsie. Sie mag Mathe und deswegen mag sie auch Frau Sulzer.

»Mein Vater sagt immer: Niemand wird böse geboren. Der Frau Sulzer hat man bestimmt einmal sehr wehgetan.« Ole schüttelt den Kopf. »Ich glaube das aber nicht. Die war schon immer so unfreundlich.«

Auf einmal wird es still. Frau Sulzer hat das Klassenzimmer betreten. Finster schaut sie ihre Schüler an. Von draußen hört man den Regen plätschern. Ole sieht Frau Sulzer an. Und dann passiert das Unheil: Für einen kurzen Augenblick treffen sich ihre Blicke.

Ole gefriert das Blut in den Adern. So einen bösen Blick hat er noch nie gesehen! Er beugt sich zu Babsie und flüstert: »Ich glaube, sie mag keine Kinder.«

Frau Sulzer hat Ole gehört, aber nicht verstanden. »Ja, Ole?« Sie zieht fragend die Augenbrauen hoch.

»Ich habe Babsie gesagt, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe«, stottert Ole, um sein Leben zu retten. Kleinlaut zieht er den Kopf ein. Er weiß, eigentlich sollte er die Wahrheit sagen, aber das traut er sich nicht. Bestimmt ist er knallrot geworden.

»Das ist gut zu wissen.« Die Lehrerin nickt, wirft einen durchdringenden Blick in die Klasse und bestimmt: »Alle legen ihre Hausaufgaben vor sich auf den Tisch!«

Frau Sulzer geht von Tisch zu Tisch und kontrolliert die Hausaufgaben. Wehe dem, der Fehler hat!

Als Erster ist Ole dran. Dankbar schaut er zu Babsie. Sie hat ihn gerettet. Alles ist richtig.

Am Ende kommt Frau Sulzer zu Christof. Christof hat keine einzige Rechnung gemacht. Wieder einmal.

Frau Sulzer stellt sich vor Christof und schimpft ihn mit bösen Worten aus. Ole duckt sich unwillkürlich. Die Schimpfe erinnert ihn an eine Dusche. Nur kommt kein Wasser aus ihrem Mund, sondern Schimpfe.

Jetzt müssen alle Kinder aufstehen. Frau Sulzer stellt Rechenaufgaben. Wer seine Rechenaufgabe gelöst hat, darf sich hinsetzen. Niemand will der Letzte sein. Schon oft hat Ole als Einziger mit hochrotem Kopf bis zum Schluss dagestanden. Er hasst dieses Gefühl, als Letzter noch zu stehen. Doch seit Christof in der Klasse ist, ist es meistens Christof, der am Schluss noch nicht sitzt. Er tut Ole leid.

Frau Sulzer steht jetzt drohend vor Christof. Sie zeigt ins Buch auf eine Rechnung und sagt: »Christof, was ist die Lösung für diese Aufgabe?«

Bild7.jpg

»Das ist Pipifax, Frau Sulzer. So was rechne ich doch nicht!«

Niemand traut sich zu lachen.

»Ich warte!« Frau Sulzer steht direkt vor Christof und verschränkt ihre Arme.

»Das ist mir zu blöd!«, grinst Christof sie frech an.

»Rechne das bitte.«

»Rechne das bitte«, äfft Christof sie nach.

»Christof, hol bitte dein Heft raus!«, zischt Frau Sulzer. Nur ihre Lippen bewegen sich, die Zähne bleiben fest zusammen.

Jeder hat Angst um Christof. Selbst Christof spürt, dass es jetzt besser ist, wenn er gehorcht. Er öffnet seine Tasche. Beugt sich tief runter. Greift mit einer Hand in die Schultasche und holt das Matheheft raus.

»Und jetzt das Buch mit den Übungen!«

Christof gehorcht.

»Setz dich dort hinten hin. Mach sofort deine Hausaufgaben. Wenn du fertig bist, darfst du wieder auf deinen Platz. Schaffst du es nicht in der Stunde, bleibst du in der Pause hier bei mir im Klassenzimmer.«

Tatsächlich – Christof steht auf, nimmt das Matheheft und das Übungsbuch und setzt sich hinten hin. Alle atmen auf.

Die Stunde geht weiter. Ole kapiert mal wieder nichts und Babsie rechnet eine Aufgabe nach der anderen. Voller Neid schaut Ole sie an und denkt nur: Ich vergebe dir!

Es klingelt es zur Pause. Endlich hat es auch aufgehört zu regnen. Die Kinder dürfen auf den Schulhof. Nur Christof nicht, denn Christof ist mit seinen Aufgaben nicht fertig geworden.

Frau Sulzer ist böse. »Du bleibst die ganze Pause innen und rechnest. Vergiss nicht – wegen dir muss ich jetzt auch auf meine Pause verzichten!« Sie ist richtig sauer.