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Westend Verlag

Ebook Edition

Adelheid Bahr (Hg.)

Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen

Ein Aufruf an alle von Matthias Platzeck, Peter Gauweiler, Antje Vollmer, Peter Brandt, Oskar Lafontaine, Daniela Dahn und vielen anderen

Westend Verlag

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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-727-6

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Besonderer Dank ergeht an Emil Fadel für seine redaktionelle Tätigkeit.

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Vorwort
Verantwortungspartnerschaft mit Moskau und Washington – Rede anlässlich der Verleihung des Dr. Friedrich Joseph Haass-Preises 2015
I.
II.
III.
Zum Schluss:
Am Abgrund –Beitrag zur Buchpräsentation von Wilfried Scharnagel, Moskau 21.07.2015
Russland gehört zur europäischen Familie –Was um Himmels willen treibt Deutschland gegen Russland?
Die atomare Bedrohung
Kriegsvorbereitungen
Die Entwicklung zum Kalten Krieg
Diffamierung und Indoktrination
Strategien und Hintergründe
Unipolarer Anspruch und Langzeitstrategie der USA
Die Regierung Trump
Europa zweimal geteilt
Deutschland, Russland und Europa
Der Kampf um die »Weltinsel« –Das aktuelle Russland-Bashing und die hysterische Putin-Phobie
Von Egon Bahr lernen heißt verstehen lernen
Ratloses Erschrecken Zum Stand der deutsch-russischen Beziehungen
Zum Umgang mit Russland – Rückkehr zu bewährten Strategien
Erfolge und Erwartungen
Enttäuschungen und verspielte Chancen
Europäische und amerikanische Interessen fallen auseinander
Rückkehr zu bewährten Strategien und Zielsetzungen?
Die Folgen eines Auseinanderdriftens
Deutschland muss Vorbild sein für friedliche und freundschaftliche Beziehungen zu Russland
Wandel durch Annäherung –Zur Aktualität der Rede Egon Bahrs vor 55 Jahren in Tutzing
Ein anderer Umgang mit Russland ist nötig
Wider die »galoppierende Entfremdung«
»Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen«
Frieden in Europa ist es wert, sich der Mühe des Ausgleichs zu unterziehen
Mut zum Ausgleich
Zeit für eine neue Entspannungspolitik –Warum Frieden und Zusammenarbeit mit Russland im europäischen Interesse sind
Tödlicher Wandel durch Konfrontation –Was uns vermutlich ins Haus steht
Zurück zu politischer Vernunft –Deutschland muss endlich Initiative für ein sicheres Europa ergreifen
Russlands Raum im Europäischen Haus? Anmerkungen zur deutschen Russlandpolitik
I
II
1. Interessenkonflikte
2. Platz im Europäischen Haus?
3. NATO-Osterweiterung
4. Die andere Seite des Maidan
5. Krim und Donbass
6. Öl und Gas
7. Der große Rückzug und ein neues Bedrohungsszenario
8. Sanktionen zwischen Recht und Politik
III
US-Außenminister James Baker: »Keinen Inch weiter nach Osten«1 –Die Eskalation des Konflikts mit Russland wurde von den USA und der NATO systematisch betrieben
Zuhören, annehmen, verstehen – Junge, neue Wege für eine deutsch-russische Verständigung
Vom »Liberalen« zum »Pluralen« Frieden – Plädoyer für eine neue Entspannungspolitik
Erklärungsversuche
Worum geht es dem »Pluralen Frieden«?
Was folgt daraus praktisch?
Egon Bahr – Eine unbestrittene Autorität
»Ich kann diese Verlogenheit nicht mehr ertragen«
Es ist »Tauroggen«1, Dummkopf!
Statt eine Nachwortes: Ein trauriges Protokoll – das trotzdem Mut machen soll!
Montag, 19. August 2018, Spanien
Rückblick
München
Berlin
Berlin
Berlin, Hotel Adlon
Moskau
Berlin
Moskau
Berlin
Berlin
Spanien
Die Autoren
Anmerkungen
Wolfgang Bittner: Russland gehört zur europäischen Familie
Mathias Bröckers: Der Kampf um die »Weltinsel«
Daniela Dahn: Von Egon Bahr lernen, heißt verstehen lernen
Friedrich Dieckmann: Ratloses Erschrecken
Peter Gauweiler: Ein anderer Umgang mit Russland ist nötig
Wolfgang Kubicki: Frieden in Europa ist es wert, sich der Mühe des Ausgleichs zu unterziehen
Oskar Lafontaine: Zeit für eine neue Entspannungspolitik
Albrecht Müller: Tödlicher Wandel durch Konfrontation
Matthias Platzeck: Zurück zu politischer Vernunft: Deutschland muss endlich Initiative für ein sicheres Europa ergreifen
Herwig Roggemann: Russlands Raum im Europäischen Haus?
Florian Rötzer: US-Außenminister James Baker: »Keinen Inch weiter nach Osten«
Willy Wimmer: Es ist »Tauroggen«, Dummkopf!

Anmerkungen

Wolfgang Bittner: Russland gehört zur europäischen Familie

1 Ganslmeier, Martin: Der entfesselte Präsident. In: ARD-Tagesschau vom 12.04.2018. https://www.tagesschau.de/kommentar/kommentar-trump-syrien-101.html

2 Hohe Gefahr einer militärischen Konfrontation von Großmächten. In: Spiegel Online vom 16.02.2018. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/muenchner-sicherheitskonferenz-wolfgang-ischinger-warnt-vor-kriegsgefahr-a-1193817.html

3 Deutschlandfunk vom 18.02.2018. http://www.deutschlandfunk.de/fazit-der-muenchner-sicherheitskonferenz-einmal-abgrund-und.720.de.html?dram:article_id=411068

4 Dwight D. Eisenhower, Abschiedsrede 1961, vgl: https://www.youtube.com/watch?v=CwSk5Jqoadk

5 Barack Obama, Wir müssen Ländern den Arm umdrehen, wenn sie nicht das machen, was wir wollen, vgl. https://www.youtube.com/watch?v=eeWlljKoNjk, sowie RT Deutsch, Obamas Diplomatie-Verständnis: Wir müssen Gewalt anwenden, wenn andere nicht das machen, was wir wollen. https://deutsch.rt.com/11745/international/obamas-diplomatie-verstaendnis-wir-muessen-gewalt-anwenden-wenn-laender-nicht-das-machen-was-wir-wollen

Dazu: Bittner, Wolfgang: Die Eroberung Europas durch die USA – Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung. Westend, Frankfurt am Main 2017, S. 107ff.

Mathias Bröckers: Der Kampf um die »Weltinsel«

1 Mackinder, Halford J.: Democratic Ideals and Reality, Washington, DC: National Defense University Press 1962, Neuauflage 1996, mit einer Einführung von Stephen V. Mladineo, S. 106.

Daniela Dahn: Von Egon Bahr lernen, heißt verstehen lernen

1 https://www.craigmurray.org.uk/archives/2016/12/cias-absence-conviction/

Friedrich Dieckmann: Ratloses Erschrecken

1 Es war der gleiche Tag, an dem Napoleons 1812 den Einmarsch seiner Grande Armée in Russland verkündet hatte, die am 23. Juni den Njemen überschritt.

2 Egon Bahr: Verantwortungspartnerschaft mit Moskau und Washington, Rede zur Verleihung des Dr.-Friedrich-Joseph-Haass-Preises 2015 an Prof. Dr. Egon Bahr, Friedrich-Ebert-Stiftung 2015, S. 2.

3 Julian Hans: Russlands Rentenrebellion. In: Süddeutsche Zeitung vom 28.06.2018, S. 7.

4 »Für einen anderen Umgang mit Russland« anlässlich der Präsentation des Buches »Am Abgrund« am 21. Juli 2015 in Moskau, mit Beiträgen von Egon Bahr, Michail Gorbatschow, Wilfried Scharnagl, Brun-Hagen Hennerkes und Matthias Platzeck, Keyser Verlag Berlin 2015, S. 17.

5 Über die Wirksamkeit des NATO-Russland-Rates in dieser Krise sagte Horst Teltschik am 21. April 2016 auf dem Egon-Bahr-Symposion der Friedrich-Ebert-Gesellschaft: »Groteskerweise trat er weder in der Zeit des Georgienkrieges 2008 noch während der Krise in der Ukraine zusammen. […] Auf der MSK [Münchner Sicherheitskonferenz, Anm. d. Autors] hatte Bundeskanzlerin Merkel in Anwesenheit von Putin noch vorgeschlagen, die Beziehungen der NATO zu Russland weiter zu entwickeln. Sie hat diesen Vorschlag nie konkretisiert, und keiner hat nachgefragt. Im November 2010 hatte die NATO Präsident Medwedjew zu ihrem Gipfeltreffen nach Lissabon eingeladen und ihm eine Kooperation bei der Entwicklung eines Raketenabwehrsystems angeboten. Dazu ist es nicht gekommen.« Stattdessen stationierten die USA in zwei der neuen osteuropäischen NATO-Staaten, Rumänien und Polen, Raketenabwehrsysteme, die sich vorgeblich gegen Iran, realiter aber gegen Russland richteten.

6 Vgl. Friedrich Dieckmann: Vorsicht, Macht in der Mitte!/Deutsch-russische Verhältnisse, in: 50 Jahre Deutsche Einheit – Weiter denken, zusammen wachsen. Hg. von Jens Hartung, Irina Mohr und Franziska Richter, Verlag J. H. W. Dietz Bonn 2015, Anm. 7, S. 269.

7 Sie war nach Artikel 22 der Verfassung der Sowjetunion mit 46 anderen Gebieten unveräußerlicher Bestandteil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik.

8 Egon Bahr: Verantwortungspartnerschaft mit Moskau und Washington, Rede zur Verleihung des Dr.-Friedrich-Joseph-Haass-Preises 2015 an Prof. Dr. Egon Bahr, Friedrich-Ebert-Stiftung 2015, S.6.

9 »Für einen anderen Umgang mit Russland« anlässlich der Präsentation des Buches Am Abgrund am 21. Juli 2015 in Moskau, mit Beiträgen von Egon Bahr, Michail Gorbatschow, Wilfried Scharnagl, Brun-Hagen Hennerkes und Matthias Platzeck. Keyser Verlag Berlin 2015, S.16.

10 Cicero, Juni 2018, S. 30 f.

11 Der Tagesspiegel, 26. Juni 2018.

12 Unter der Überschrift »Wechselseitige Indifferenz« hat sich George Friedman, Gründer und Leiter des geostrategischen US-Thinktanks Stratfor, im Januar 2018 in weitem Rahmen über das deutsch-amerikanische Verhältnis geäußert. »Ein zentraler Aspekt«, sagte er über das Verhältnis der beiden Länder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, »war die Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, übrigens ein bis heute stark unterschätzter Faktor.« Er fügte hinzu: So seien »die USA und Deutschland seit 120 Jahren geschichtlich miteinander verbunden. Manchmal waren sie Verbündete, manchmal Feinde. Grundlage ihrer Beziehungen war immer der militärische Konflikt. Und jedes Mal, wenn Deutschland sich Amerika widersetzte, wurde es zerstört. Verbündete sich das Land hingegen mit den Vereinigten Staaten, erfuhr es Wohlstand.« Sein Fazit in einer von Grund auf veränderten Lage: »Die Abwesenheit von Krieg oder einer drohenden Kriegsgefahr löste die transatlantischen Bande jedoch auf.« Europa sei nicht mehr »sehr wichtig« für die USA, so seien nun »die deutsch-amerikanischen Beziehungen von wechselseitiger Indifferenz geleitet«. In: Cicero, Juni 2018, S. 76 f.

2015 hatte Friedman Aufsehen mit der Feststellung erregt, dass »das primäre Interesse der Vereinigten Staaten durch das letzte Jahrhundert hindurch die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland« gewesen seien, »denn vereint wären diese beiden die einzige Macht, die uns bedrohen könnte«. »Sicherzustellen, dass das nicht passiert«, sei im 20. Jahrhundert das Hauptanliegen US-amerikanischer Außenpolitik gewesen.

Peter Gauweiler: Ein anderer Umgang mit Russland ist nötig

1 Scharnagl, Wilfried: Am Abgrund. Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland. Berlin, 2015, Vorwort.

2 Ebd.

3 Vgl. Gauweiler, Peter: Die Fehler von Versailles nicht wiederholen. In: The European. Das Debatten-Magazin vom 19.02.2015.

Wolfgang Kubicki: Frieden in Europa ist es wert, sich der Mühe des Ausgleichs zu unterziehen

1 https://www.bundestag.de/blob/551344/f8055ab0bba0ced333ebcd8478e74e4e/wd-2-048-18-pdf-data.pdf, abgerufen am 13.08.2018, S. 11.

2 https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2014/mai-juni/baumaengel-am-gemeinsamen-haus, abgerufen am 13.08.2018.

Oskar Lafontaine: Zeit für eine neue Entspannungspolitik

1 https://www.wsj.com/articles/america-first-doesnt-mean-america-alone-1496187426

2 http://docplayer.org/29134858-Von-der-wiedervereinigung-deutschlands-zur-neuen-spaltung-europas.html

3 https://www.foreignaffairs.com/articles/2017-10-16/even-smarter-sanctions

Albrecht Müller: Tödlicher Wandel durch Konfrontation

1 Die volle Aufzeichnung der Rede findet sich unter: https://www.youtube.com/watch?v=DVTsD0pl2zY

Matthias Platzeck: Zurück zu politischer Vernunft: Deutschland muss endlich Initiative für ein sicheres Europa ergreifen

1 Bahr, Egon: Willy Brandts europäische Außenpolitik. Vortrag von Egon Bahr am 9. Oktober 1998 im Rathaus Schöneberg zu Berlin. Berlin 1999, S. 47.

2 Jürgen Zurheide im Gespräch mit Egon Bahr. Deutschlandfunk 16.08.2008. https://www.deutschlandfunk.de/egon-bahr-warnt-vor-konfrontation-mit-russland.694.de.html?dram:article_id=66117

3 Vgl.: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Interviews/2018/180415-Interview-BamS.html

Herwig Roggemann: Russlands Raum im Europäischen Haus?

1 Gloger, Katja: Fremde Freunde. Deutsche und Russen. Die Geschichte einer schicksalhaften Beziehung. Berlin 2017, S.348.

2 Am 31.01.1990 erklärte Außenminister Genscher in einer Grundsatzrede in Tutzingen: Eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, werde es nicht geben. Am 09.02.1990 prägte US-Außenminister Baker in Moskau im Gespräch mit Präsident Gorbatschow die bekannte Formulierung, die NATO werde im Falle einer Mitgliedschaft des vereinten Deutschland »ihren Hoheitsbereich (Jurisdiction) nicht einen Inch weiter nach Osten ausdehnen«. Am 10.02.1990 versicherte Außenminister Genscher seinem sowjetischen Kollegen Schewardnadse in Bonn, die NATO-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands werfe komplizierte Fragen auf. »Für uns stehe aber fest: Die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen.« Zu diesen und zahlreichen gleichlautenden Äußerungen westlicher Politiker vgl. zusammenfassend Der Spiegel vom 23.11.2009; vom 24.11.2014, ferner die Fernsehdokumentation des NDR in »Panorama«, Nr. 792 vom 29.01.2015.

3 Weder das politische System noch die Wirtschafts- und Eigentumsverfassung waren primäres Ziel der angestrebten Veränderungen. Zu einer durchgreifenden Privatisierung ist es bis heute in der Ukraine nicht gekommen, und die viel kritisierte »Herrschaft der Oligarchen« und ihr Zugriff auf staatliche Institutionen und politische Willensbildung ist nicht gebrochen worden, sondern hat sich verstärkt. Die öffentliche Meinung in der Ukraine war und ist nicht erst 2014 zum »Euromaidan« gespalten, sondern schon bei den Protesten, die sich 2004 zur »Orangenen Revolution« ausweiteten und zur Ablösung von Präsident Kutschma und der Wahl von Juschtschenko führten. In der Ostukraine sahen 50,5 Prozent der Bevölkerung darin einen mit Unterstützung aus dem Westen durchgeführten Umsturz (»pereworot«), in der Westukraine 60,4 Prozent dagegen einen Kampf der Bürger um ihre Rechte, vgl. Heiko Pleines in: Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen: Arbeitspapiere und Materialien Nr. 75/2006, Die Ukraine unter Präsident Juschtschenko. Auf der Suche nach politischer Stabilität, S. 10.

4 Vgl. das bekannte Telefongespräch der Stellvertretenden US-Außenministerin Victoria Nuland unter Präsident Barack Obama mit US-Botschafter Geoffrey Pyatt in Kiew. In diesem Gespräch wies Nuland ihren Botschafter auf die umfangreichen finanziellen Zuwendungen in Höhe von rund 5 Milliarden US-Dollar seitens der USA an die Ukraine hin (die nach anderen Angaben unter anderem der Förderung zivilgesellschaftlicher und auch oppositioneller Aktivitäten und NGOs dienten) und erklärte, warum daher russische Einflussnahme zu verhindern und Arsenij Jazenjuk, einer der oppositionellen Maidan-Anführer, als Wunschkandidat der USA zum Ministerpräsidenten zu machen sei. Dieser wurde ein halbes Jahr später tatsächlich von der Rada gewählt und trat 2016 wieder zurück. Die Echtheit dieses Gesprächs wurde von den USA bestätigt, und Nuland entschuldigte sich für darin gemachte beleidigende Äußerungen (»Fuck the EU«).

5 The vast majority oft he Crimean population would vote for the status quo in a future repeat referendum on Crimea´s status and expressed trust in Russian state institutions«, vgl. Gwendoly Sasse, ZOIS Report 3/2017.

6 Karsten Rudolph, Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg. Die Ostpolitik der westdeutschen Großindustrie 1945–1991. Frankfurt/ 2004, S. 161.

7 Der Spiegel 8/2015, S. 29. Panetta war bis 2013 Verteidigungsminister und CIA-Chef unter US-Präsident Barack Obama.

8 C-72/15 = NVwZ 2018, 50, dazu Jan Martin Hoffmann, Rechtsschutz gegen individualgerichtete Embargomaßnahmen im Vorabentscheidungsverfahren, NVwZ 2018, 34 ff.

9 Dörr, Oliver: Völkerrechtliche Grenzen des Populismus? Der amerikanische Präsident und das geltende Völkerrecht. In: Juristenzeitung 5/2018, S. 224 ff.

10 Matthias Dembinski, Hans-Joachim Spanger, »Pluraler Frieden« – Leitgedanken zu einer neuen Russlandpolitik, HSFK-Report Nr. 2/2017; Kurzfassung in: Osteuropa 3-4/2017, S. 87 ff.

Florian Rötzer: US-Außenminister James Baker: »Keinen Inch weiter nach Osten«

1 https://nsarchive2.gwu.edu//dc.html?doc=4325679-Document-05-Memorandum-of-conversation-between

2 Vgl. dazu: Wedel, Janine: The Harvard Boys Do Russia. In The Nation, 14.05.1998. https://www.thenation.com/article/harvard-boys-do-russia/

3 Siehe dazu: Rötzer, Florian: »Keinen Inch weiter nach Osten«: Was den Russen zur Wiedervereinigung über die NATO versprochen wurde. In Telepolis, 15.12.2017. https://www.heise.de/tp/features/Keinen-Inch-weiter-nach-Osten-Was-den-Russen-zur-Wiedervereinigung-ueber-die-Nato-versprochen-wurde-3918651.html

4 Siehe dazu: Brussels Summit Declaration, 11.07.2018. https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_156624.htm

Willy Wimmer: Es ist »Tauroggen«, Dummkopf!

1 Die Konvention von Tauroggen war ein am 30. Dezember 1812 unterzeichneter Waffenstillstand zwischen Preußen und Russland, der maßgeblich zur Bildung einer Front gegen die vorrückende Grande Armée Napoleons beitrug. Eine direkte Folge der Konvention waren der russisch-preußische Bündnisvertrag von Kalisch 1813 und die Freiheitskriege, die schließlich das Ende des napoleonischen Frankreichs besiegelten.

Vorwort

Von Adelheid Bahr

Die Verdienste Egon Bahrs um den europäischen Frieden und die deutsche Einheit werden heute in hohem Maße auch von früheren politischen Gegnern anerkannt. Ein zentrales Element der von Bahr und Willy Brandt seit den Sechzigerjahren konzipierten Ost- beziehungsweise Entspannungspolitik war die Neuregelung der Beziehungen seitens der Bundesrepublik zur Sowjetunion.

Die Ostverträge der frühen Siebzigerjahre und die KSZE-Konferenz bremsten die gefährliche Konfrontation zwischen den Machtblöcken und schufen zugleich eine Zwischenlösung der europäischen Sicherheitsfragen wie des Deutschlandproblems.

1989/90 waren die weltpolitische Lage und die Entwicklungen im Innern der sowjetischen Ära günstig, um Ost-West-Beziehungen einzuleiten, die Bündnispartner der UdSSR aus der Kuratel zu befreien und die staatliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen.

Dieser weitgehend friedlich verlaufende, beispiellose Vorgang war aus der amerikanischen Sicherheitsgarantie und der amerikanischen Rückendeckung für das ostpolitische Handeln Bonns möglich gewesen. Die Auflösung der Sowjetunion war dabei weder intendiert, noch konnte sie vorhergesehen werden.

Es darf also nicht unerwähnt bleiben, dass Egon Bahr seit 1982, bei allen nicht unerheblichen Unterschieden mit Helmut Kohl und der CDU/CSU-FDP-Regierung in der Außen- und Sicherheitspolitik, um der Kontinuität der sozial-liberalen Entspannungspolitik willen immer im vertraulichen Gespräch blieb.

Dieses Buch verdankt sein Zustandekommen einer Anregung des Westend Verlags, der ich aus voller Überzeugung gefolgt bin. Entstanden ist ein bemerkenswerter Sammelband: Bemerkenswert nicht nur wegen der Qualität der einzelnen Beiträge, sondern auch im Hinblick auf die weltanschaulich-politische Breite und dem jeweils unterschiedlichen, intellektuellen Zuschnitt der Autorinnen und Autoren. Ein reichhaltiges und differenziertes Gesamtbild der aktuell besonders notwendigen deutsch-russischen Beziehungen in ihrem internationalen Kontext ist entstanden, gemäß dem wiederholten Diktum Egon Bahrs, zuletzt anlässlich seiner Rede zur Verleihung des Dr. Friedrich Joseph Haass-Preises 2015:

»Amerika bleibt ein unentbehrlicher Faktor, Russland ist unverrückbar, und Europa mit Deutschland in der Mitte bildet den Kern unserer Interessen.«

Egon Bahr hat in seinen letzten Lebensjahren die Leichtfertigkeit des Westens, auch Deutschlands im Umgang mit dem großen Nachbarn im Osten immer wieder kritisiert, besonders da, wo Ideologen der westlichen Wertegemeinschaft moralische Maßstäbe anlegten, die für befreundete, teilweise despotisch regierte Staaten nicht galten. Eine solche Herangehensweise blockiert jede Art von Gesprächen auf Augenhöhe und Entspannungspolitik. Egon Bahr wollte seine Gesprächspartner in Moskau nicht zu Demokraten, noch wollten sie ihn zu einem Kommunisten erziehen. Ideologische Fragen wurden zur Verbesserung der Beziehungen ausgeklammert. Gemeinsame Interessen waren Thema der Verhandlungen. Das weckte Interesse und schuf Gemeinsamkeiten, deren Folgen sich 1989 einstellten.

Bahrs Gedankenfaden wird von den hier versammelten Autorinnen und Autoren aufgegriffen. Sie thematisieren die konfrontative Haltung der NATO und der EU gegenüber Russland, dessen Mitverantwortung nicht geleugnet wird. Sie eint die Überzeugung, dass wir gerade in der heutigen bedrohten Welt eine westliche Partnerschaft in Augenhöhe mit Russland brauchen, namentlich eine Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation.

Wir brauchen eine enge Kooperation beider Staaten und ihrer Völker mit Blick auf unsere gemeinsame, auch schmerzhafte Geschichte und Kultur und … aus wohl verstandenem Eigeninteresse.

Verlag, Herausgeberin, Autorinnen und Autoren begreifen dieses Buch als einen Appell an die politischen Institutionen und die mediale Öffentlichkeit unseres Landes, sich zu besinnen, innezuhalten, eine Zwischenbilanz zu ziehen und einen Neustart zu wagen.

Wir brauchen Frieden und Freundschaft mit Russland.

Eine neue Entspannungspolitik ist das Gebot der Stunde!!!

Verantwortungspartnerschaft mit Moskau und Washington – Rede anlässlich der Verleihung des Dr. Friedrich Joseph Haass-Preises 2015

Von Egon Bahr

Erwarten Sie nicht, dass ich mich an den täglichen neuen und durchaus beunruhigenden Meldungen zum Thema Ukraine beteilige. Ich gehe davon aus, dass ein unberechenbarer Gewaltausbruch vermieden werden kann, also Minsk II bis zum Ende des Jahres eine verlässliche Stabilität erreicht. Für die dann folgende Phase halte ich Überlegungen für angebracht zu einer europäischen Verantwortungsgemeinschaft mit Moskau und Washington.

I.

Die Historiker haben es gut. Sie betrachten die Vergangenheit und sind sich selbst dabei nicht immer einig, welche Fehler vermeidbar gewesen wären. Die Politik muss in der Gegenwart entscheiden, ohne zu wissen, was in der nächsten Woche passiert, oder zu ahnen, welche Folgen ihr Kurs in einem halben Jahr haben wird. Meine Anmerkungen mit Anregungen reklamieren das Recht auf Irrtum. Diese Einschränkung muss am Anfang stehen.

Das verlässlichste Fundament der Außenpolitik bietet die Geografie. Amerika bleibt ein unentbehrlicher Faktor, Russland ist unverrückbar, und Europa mit Deutschland in der Mitte bildet den Kern unserer Interessen. Die vielen Krisen, die sich überlappen, können eskalieren, schwer beherrschbar sogar zu der Gefahr für den Frieden werden. Es würde wenig helfen, nach den Ursachen zu forschen oder gar Schuldzuweisungen vorzunehmen.

Ohne Amerika säßen wir heute nicht im Adlon, das bekanntlich im sowjetisch besetzten Sektor lag. Berlin ist die Wiege, in der aus dem Sieger ein Freund wurde. Nachdem Kennedy sich zwei Jahre nach dem Bau der Mauer zum Berliner erklärte, gab es keine Krise mehr für die Stadt. Und als er Brandt während der Kuba-Krise warnte, es könne zu sowjetischen Vergeltungen kommen, antwortete ihm Brandt, er müsse handeln, wie es seine globale Verantwortung verlange. Dabei blieb es.

Nach Brandts Wahl zum Bundeskanzler wurde Washington über das Konzept unserer Ostpolitik informiert, noch vor dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit. Ohne amerikanische Rückendeckung hätte es die deutsche Entspannungspolitik nicht gegeben. Deutschland und Amerika – das wurde zu einer festen Bank, auch emotional. Wer auch immer dort und hier regierte. Das gegenseitige Vertrauen bewährte sich, als die Deutsche Einheit möglich wurde. Auf dieser Seite des großen Teiches, zu dem der Atlantik geschrumpft ist, ist nichts passiert, was zu den Vorgängen in den Vereinigten Staaten geführt hat. Seit Monaten reißen die alarmierenden Berichte nicht ab, von amtlichen Verfehlungen, Folterungen, außenpolitischen Unberechenbarkeiten. Es ist schrecklich, wie zerstörerisch mit Vertrauen und Neigungen umgegangen wird. Ich leide darunter.

Nach seiner ersten Wahl zum Präsidenten hat Obama erklärt, die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik, die seit dem Ende des Krieges auf Konfrontation zur Sowjetunion angelegt war, auf Zusammenarbeit auszurichten. Alle großen Aufgaben des neuen Jahrhunderts verlangten Kooperation. Damit wurde er zum Hoffnungsträger und mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sein erster Erfolg wurde die Vereinbarung mit Putin, die Zahl der strategischen Atomwaffen um ein Drittel auf je 1 500 zu verringern. Das ist inzwischen fast in Vergessenheit geraten. Immerhin wies der Weg in die Richtung, über die bloße Abschreckung mit dem unausrechenbaren Untergang beider Seiten das Prinzip der Vernunft zu etablieren. Sie vereinbarten deshalb, die vermeintlich relativ kleinen Hindernisse zu regeln, wie die amerikanischen Pläne einer Raketenabwehr in Polen und die zwanzig Atombomben in Deutschland.

In dieser Situation veröffentlichte Edward Snowden amerikanische Geheimberichte. Das war mehr als peinlich; denn sie stimmten und konnten nicht dementiert werden. Obama fühlte sich gelähmt, sagte seine Reise nach Moskau ab und kündigte begrenzte amerikanische Luftschläge gegen Syrien an. Putin half ihm gesichtswahrend zu einem Aufschub der militärischen Aktionen gegen Syrien. Beide trafen sich dann für rund 20 Minuten. Das reichte zu der Vereinbarung, keinen Krieg gegeneinander zu führen. Da waren sie wieder, die beiden Großen, die souverän Weltpolitik machen konnten, ohne Europa oder China fragen zu müssen. Beide Länder brauchen ihr Zusammenwirken im Nahen Osten, im Irak, für den Iran, um die Atomenergie auf garantierte friedliche Nutzung begrenzen zu können, im Kampf gegen den islamischen Terrorismus, auch für die amerikanische Nutzung der russischen Weltraumstation. Dabei wird es mehr um Interessen als um Werte gehen. Der Irrglaube einer Wertegemeinschaft mit Amerika ist schon während des Kalten Krieges zerbrochen.

Die Unterschiede der Werte sind teils zugedeckt worden, teils nicht ins Bewusstsein gerückt. Das nationale Interesse der USA ist von der moralischen Gewissheit durchdrungen, das auserwählte Volk Gottes zu sein. Nationalbewusstsein und Sendungsbewusstsein sind unlöslich verschmolzen. Es wäre sinnlos, das zu kritisieren, weil es von europäischen Vorstellungen abweicht. Die amerikanische Position stellt einen moralischen Maßstab dar, der nicht verhandelbar ist.

Das entspricht auch der amerikanischen Haltung, sich nicht durch fremde Ordnungen binden zu lassen. Das hat mit Macht und weniger mit Werten zu tun.

Die Globalmacht USA wird sich nur binden, wo ihr Interesse das rät. Sie wird insgesamt ihre Politik der freien Hand verfolgen, um ihren Einfluss zu vergrößern.

Nachdem Georg W. Bush im Jahr 2001 das Amt des Präsidenten übernommen hatte, ließ er im Frühsommer ein gigantisches Rüstungsprogramm vorlegen, das alle Welt davon abhalten sollte, sich überhaupt auf einen Wettlauf einzulassen. Es schloss Laserwaffen im Weltraum ein, die jeden Punkt auf dem Globus treffen sollten, und Raketenabwehrsysteme, um unverwundbar zu werden, aber schlagen zu können. Das ist definitiv die Definition der Überlegenheit.

Es kam der 11. September. Die Brutalität des internationalen Terrors demütigte das mächtigste Land der Welt. Das politische Erdbeben veränderte die politische Landschaft. In der Wut, nicht zurückschlagen zu können, wurde das Aufrüstungsprogramm praktisch ohne Diskussion in Kraft gesetzt. Seine Wellen liefen um den Globus. Viele Länder rüsteten auf, soweit es ihre Finanzen gestatteten.

Die politischen Auswirkungen waren fundamentaler. Sie reichen bis heute. Von den geleugneten Vorbereitungen eines Krieges gegen den Irak hatte Berlin schon vorher erfahren. Dennoch reagierte der Bundeskanzler unter dem Eindruck des 11. September unmittelbar mit der Zusicherung der uneingeschränkten Bündnispflicht. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld lehnte freundlich ab: Die USA würden künftig zwischen dem Alten und dem Neuen Europa unterscheiden und bei Aktionen, die es für notwendig erachtete, zwischen Willigen und Unwilligen.

Erstmalig lehnte Deutschland die Beteiligung am Krieg gegen den Irak ab, zusammen mit Frankreich, Russland und anderen, nicht zuletzt mit dem Papst. Die NATO verlor ihren Charakter als Bündnis, das nur im Falle eines Angriffs aktiv wird. Zum ersten Mal war bewiesen, dass Deutschland »Nein« sagen kann, ohne seine internationalen Verpflichtungen zu verletzen.

Mit Rumsfeld hatte die Distanzierung Amerikas von Europa begonnen. Eine Supermacht lässt sich auch nicht durch eine schwerfällige Organisation wie der UN von der Verfolgung ihrer Interessen abhalten.

Der alte Gegner Sowjetunion wurde Partner gegen den neuen globalen Gegner des Terrorismus. Moskau gab den USA Überflugrechte und Stützpunkte für seinen Krieg gegen Afghanistan. Ein NATO-Russland-Rat wirkte entspannend. Die Sorge vor einem Land wich, das seine Hypermacht einsetzt, ohne Landesgrenzen zu achten, auch präventiv, ohne dass ein Land oder eine Gruppe von Ländern das verhindern kann.

Damals begann die Erkenntnis zu wachsen, dass die Selbstbestimmung Europas nach dem Ende der Sowjetunion nur noch als Emanzipation von Amerika stattfinden kann.

1997 beschrieb Zbigniew Brezinski unter der Überschrift Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft nach einem globalen Überblick Westeuropa als Protektorat seines Landes. Das war korrekt, zumal sich keinerlei Widerspruch erhob.

Unsere Emanzipierung von Amerika wird selbstverständlich und unabweisbar. Unsere Selbstbestimmung steht neben und nicht gegen Amerika. Sie hindert nicht die wirtschaftlichen Verflechtungen, die Pluralität der Demokratie, die kulturelle Verflochtenheit. Kurz: Zwischen keinen anderen Kontinenten gibt es eine vergleichbare Enge der Beziehungen. Die Realität verbietet Antiamerikanismus. Er ist dumm.

II.

Die deutsche Entspannungspolitik hatte zwei Voraussetzungen:

Die erste: Sie begann in Washington. Ohne die Rückendeckung, die Henry Kissinger mit seinem außenpolitisch begabten, aber menschlich schwierigen Präsidenten Nixon uns verlässlich zusicherte, hätte es die Ostpolitik nicht gegeben. Sie wäre ein Abenteuer gewesen.

Die zweite: Sie konnte nur mit Moskau stattfinden. Wir haben uns sofort auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten konzentriert und ideologische Fragen ausgeklammert. Die Russen haben keine Sekunde versucht, mich zu einem Kommunisten zu machen, und ich wollte sie nicht zu einem Sozialismus sozialdemokratischer Prägung bekehren. Humanitäre Angelegenheiten kamen nicht auf offener Bühne auf den Tisch. Die ganz unvergleichbaren sowjetischen Vorstellungen waren nicht verhandelbar. Aber es gab Ergebnisse. Menschliche Erleichterungen in hoffnungslosen Fällen wurden durch Ausreisen erreicht. Gewissermaßen auf dem Gnadenweg. Darüber hat die deutsche Seite geschwiegen, um Vertrauen wachsen zu lassen. Menschenrechte als Keule sind von jeher nicht überzeugend erfolgreich gewesen, besonders wenn sie zu Hause innenpolitisch wirken sollen. Zwei Wochen nachdem Bundespräsident Joachim Gauck seine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Russland abgesagt hatte, holte Hans Dietrich Genscher den prominentesten politischen Häftling Michail Chodorkowski aus dem Gefängnis.

Mit der gleichen Offenheit wie in Washington wurde dargelegt, was wir wollen und was wir nicht können. Die gegenseitige Verständigung funktionierte und hat später eine vertrauliche und enge Zusammenarbeit zwischen Moskau, Washington und Bonn gestattet, die auch die innerdeutschen Verhandlungen begleitete.

Auf der Krim konnten dann schon vor dem Inkrafttreten des Moskauer Vertrages Grundlagen für eine stabile Sicherheit beider Seiten erarbeitet werden. Wer mehr hatte, sollte mehr reduzieren. Man verstand sich: Das Vertrauen gestattete, Strukturen eines Vertrages zu formulieren, der zwei gegeneinander gerichtete Bündnisse zur Koexistenz ihrer konventionellen Streitkräfte, kontrollierbar und ohne Nachteile für die Beteiligten, bringen sollte. Die Formel »MBFR« (»Mutual and Balanced Force Reductions«) wurde geläufig und hat zur größten Waffenreduktion der Weltgeschichte geführt, später abgeschlossen von einem Menschen auf sowjetischer Seite, dessen Namen, Gorbatschow, wir noch nicht kannten.

So wuchs zwischen Russland und uns eine strategische Partnerschaft. Sie galt von Brandt über Schmidt, Kohl, Schröder bis Merkel, fünf Kanzler mit unterschiedlicher Statur und sehr verschiedenen Charakteren. Die Zahl der Herren im Kreml war größer. Ich nenne nur die wichtigen: Breschnew, Chruschtschow, Andropow, Jelzin und Putin. Ungleiche Menschen auch, aber mit starkem Führungswillen begabt. Sie haben praktisch vierzig Jahre lang strategische Partnerschaft gelebt, mit dem Höhepunkt des Freundschaftsvertrages zwischen Kohl und Jelzin, der nicht gekündigt worden ist. Das Konzept war, auf unserem Kontinent eine Stabilität zu schaffen, die unabhängig von aktuellen Schwierigkeiten Frieden garantiert unter Einbindung Amerikas. Diese Politik kann nicht so schlecht gewesen sein, was ihre Dauer und ihre Ergebnisse ausweist. Jedenfalls auch nicht für die großen, die mittleren und die kleineren Staaten.

1991 nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes wollten viele der alten und neuen Staaten Mitglieder der NATO werden. Das versprach Sicherheit vor Russland. Und für den neuen Brocken des vereinigten Deutschlands erfüllte die NATO maßgeschneidert Sicherheit vor Deutschland mit Sicherheit für Deutschland.

Dieses Bündnis ist Amerika im multilateralen Gewand, also ohne die USA nicht kriegserklärungsfähig, auch nicht kriegsführungsfähig. Gleichzeitig behielt Washington die freie Hand, ob, wann und wie es sich an einem Konflikt beteiligt. Das stellte die Frage nach der Rolle Europas schärfer denn je.

Seine Emanzipation von den USA, die Rumsfeld ausgelöst hatte, fand erst 2013 eine Antwort. Die Europawahl gab Parlament und dem Chef der Kommission eine demokratische Kompetenz, mit der sich die Regierungen arrangieren müssen. Bis dahin führten die beiden Institutionen praktisch die Wünsche aus, auf die sich die Regierungen verständigt hatten. Seit dem letzten Jahr entstand die Chance, Europa neu zu denken.

Dafür möchte ich auf ein Wort von Willy Brandt zurückgreifen, das er 1966 formuliert hat: »Kein Volk kann auf die Dauer leben, ohne sein inneres Gleichgewicht zu verlieren, wenn es nicht ›Ja‹ sagen kann zum Vaterland.« Charles de Gaulles hat die Formulierung vom Europa der Vaterländer geprägt. Sie findet aktuell statt. Selbst im Zeitalter der supranationalen Organisationen bleibt der Nationalstaat von Bedeutung. Er ist der Raum, in dem sich Menschen zu Hause und geborgen fühlen. Selbst der Vertrag, den Adenauer noch unterschrieben hat, konnte trotz vieler guter Einsichten von Jugendwerk über Städtepartnerschaften bis zu Sitzungen der Regierungen nicht das Interesse der Menschen füreinander auf beiden Seiten schaffen, sich für die Innenpolitik des Nachbarn zu interessieren. Das offenbarte sich erschreckend bei den terroristischen und antisemitischen Überfällen in Paris mit den zwölf Toten. Da erst fühlten wir uns solidarisch und verletzt.

Der Nationalstaat wird noch lange unentbehrlich sein. Gleichzeitig hat er sich überlebt, weil er die Sicherheit seiner Menschen nicht mehr allein garantieren kann und seine Souveränität zunehmend mit internationalen Organisationen teilen muss. Für die globalen Probleme, wie Klima oder Umwelt, ist kein Staat mehr groß genug. Nationalstaat und übernationale Bindungen schließen sich nicht aus.

Es wird geraume Zeit vergehen, ehe die europäischen Parteien und Gewerkschaften Beschlüsse fassen können, die für ihre nationalen Organisationen gelten. Noch immer kann niemand ein Datum nennen, wann Europa mit einer Stimme spricht. Optimisten hoffen auf zehn Jahre. Aber darauf wartet die Welt nicht, ihren Interessen zu folgen. Sie muss Europa als Lachnummer empfinden und ist höflich genug, nur hinter verschlossenen Türen den Kopf zu schütteln.

Was ist Europa und woran liegt es, dass es sein Ziel, Pol in der interpolaren Welt zu werden, akademisch wiederholt, aber praktisch nicht verfolgt? Willy Brandt war stolz auf den Erfolg seiner ersten Konferenz noch im Dezember 1969. Er hatte mit Pompidou vereinbart, grünes Licht für den Beitritt Großbritanniens zur EU zu geben. Das Mutterland der Demokratie gehöre zu Europa wie die skandinavischen Länder auch.

England trat bei, aber die britische Politik bremste und sprang dann auf den Zug, um besser bremsen zu können. Sie ging schließlich nach Brüssel, um besser kontrollieren zu können. Die britische Diplomatie arbeitet bewundernswert. England übernahm weder den Euro, noch trat es dem Schengener Abkommen bei.

Der Höhepunkt wurde die förmliche Erklärung, dass England in der Außen- und Sicherheitspolitik seinen Interessen folgen und nicht durch Beschlüsse der EU zu binden sei. Es denkt vorrangig nach Washington und nach Brüssel und weniger nach Moskau.