Miese kleine Morde

Jussi Adler-Olsen

Miese kleine Morde

Krimi

Aus dem Dänischen von Hannes Thiess

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Über Jussi Adler-Olsen

Jussi Adler-Olsen wurde 1950 in Kopenhagen geboren. Mit seiner Thrillerserie um Carl Mørck vom Sonderdezernat Q und seinen Romanen ›Das Alphabethaus‹, ›Das Washington-Dekret‹ sowie ›Takeover. Und sie dankte den Göttern‹ stürmt er die internationalen Bestsellerlisten. Seine vielfach preisgekrönten Bücher erscheinen in über vierzig Ländern und werden verfilmt.

Über das Buch

Er hat sie wirklich geliebt damals, vor ihrer Ehe. Doch das ist lange her. Von seiner Frau im finalen Streit noch als »Langweiler« beschimpft, setzt Lars Hansen alles daran, es ihr zu zeigen. Bei seinen regelmäßigen Besuchen in einem edlen Schönheitssalon, in dem er sich fortan für viel Geld einen neuen und weniger »langweiligen « Anstrich verpassen lässt, staunt er darüber, wie viele enttäuschte Ehefrauen ihren Mann lieber tot als lebendig sähen und dafür eine gute Stange Geld hinlegen würden. Was für eine Geschäftsidee! Und wie rasch er handelseinig wird mit seiner ersten Kundin! Doch eines Tages geschieht etwas, das die Konstruktion seines neuen Doppellebens maximal ins Wanken bringt …

Impressum

Deutsche Erstausgabe 2018

© 2018 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© Jussi Adler-Olsen/All rights reserved/J.P./ Politikens Forlagshus A/S, Kopenhagen

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

 

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eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook ISBN 978-3-423-43476-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-21762-0

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423434768

1

Lars Hvilling Hansen war Auftragsmörder, und zwar einer von der raffinierten Sorte. Fand er.

Der Auslöser für seine Berufswahl? Ein Satz. Ein einziger Satz hatte ihn zum Auftragsmörder werden lassen. Übrigens nicht selten in seinem Metier.

»Du bist ein solcher Langweiler, Lars, ich hab keinen Bock mehr auf dich.« Das hatte gesessen. Mit diesem Satz hatte ihn seine Frau, selbst auch nicht gerade eine Dancing Queen, Knall auf Fall vor die Tür gesetzt. Und er war mit der bitteren Erkenntnis zurückgeblieben, dass es in ihrer Ehe offenbar eine Entwicklung gegeben hatte, die komplett an ihm vorbeigegangen war. »Langweiler«! Er! Hatte seine Frau sich tatsächlich längst anderen Männern zugewandt? Womöglich so Typen mit perfekt getrimmten Koteletten? »Langweiler«! Das tat weh.

Aber nach seinem Auszug musste er nicht nur irgendwie mit dem Prädikat »Langweiler« zurechtkommen. Denn geschickt hatte sich seine Frau nicht nur das gemeinsame Reihenhaus, sondern darüber hinaus sämtliche Vermögenswerte gesichert. Was ihm blieb? Ein zehn Jahre alter Opel Rekord, und wenn es gut lief, eine mittelprächtige Frührente. Wie man es auch drehte und wendete: Das war doch keine Perspektive.

 

 

In seinem Frust entwickelte er die herrlichsten Rachefantasien. So könnte er ihre schnieken Liebhaber ja mal mit abgesägter Schrotflinte besuchen. Oder gemeine Fotos seiner Frau auf Facebook posten aus einer Phase, ehe sie es für nötig befunden hatte, gegen den Zahn der Zeit anzukämpfen. Fotos, die sie im Spaß geschossen hatten, wohl wissend, dass sie nur zwischen ihnen blieben. Nahaufnahmen von Oberschenkeln, die bereits an Kraterlandschaften erinnerten, und Bilder von Oberarmen, an denen die Schwerkraft zog – Chickenwings nannte man das wohl. Auch Säurebäder für die spießigen Geranien vor dem Reihenhaus, das noch bis vor kurzem auf seinen Namen eingetragen war, wären so ganz nach seinem Geschmack.

»Langweiler«!

 

Aber mal im Ernst: Was sollten denn diese kindischen Rachefantasien! Wollte er damit wirklich weiter seine Zeit verplempern? In den Augen seiner Frau mochte er zum Langweiler mutiert sein, aber er war doch nicht hirnamputiert. Komm, Lars, jetzt reiß dich zusammen. Er würde sich doch nicht wegen lächerlicher Racheakte einbuchten lassen! Die Gesellschaft von Gewaltverbrechern und Betrügern würde sein Langweiler-Image auch nicht aufpolieren. Die Vorstellung entlockte ihm allenfalls ein müdes Lächeln. Nein, er würde in den Augen seiner Frau immer der sein, den sie jetzt in ihm sah, der Langweiler, auf den sie keinen Bock hatte. Nur: Was genau meinte sie eigentlich? Worauf bezog sich ihre Beleidigung überhaupt? Meinte sie seine Ansichten? Ging es ihr um sein Verhalten? Oder war es schlicht und ergreifend sein Äußeres? Er hatte keinen blassen Schimmer. Sie hatte sich ja nie beschwert. Aber er musste der Sache auf den Grund gehen.

Und so studierte er den ›Playboy‹ und ›Euroman.dk‹, fraß sich durch Berge von Lebenshilfe-Ratgebern für Männer mittleren Alters, studierte in Realityshows wie ›Paradise Hotel‹ die Bodys durchgestylter Jünglinge in hautengen Badehosen und mit antrainierten Sixpacks. Als er schließlich meinte, genügend Eindrücke gesammelt zu haben, nahm er allen Mut zusammen und stellte sich nackt vor den Spiegel. Rasch war klar: auch Baucheinziehen nützte nichts. Nein, was er da sah, war in der Tat weit von dem entfernt, was man in Hochglanzmagazinen oder im Fernsehen präsentiert bekam. Es war wohl tatsächlich sein Äußeres, das sie mit ihrer wenig schmeichelhaften Charakterisierung gemeint hatte. Um den Hauch einer Selbstachtung wiederzuerlangen, fasste er einen Entschluss …

 

 

Wie oft schon war er fast achtlos daran vorbeigegangen, an diesem schicken Kosmetik- und Friseursalon, in dessen Schaufenster Schwarz-Weiß-Fotos von charismatischen Menschen mit dichtem Haar, leicht gebräuntem Teint, gebleichten Zähnen und dem Versprechen auf bessere Tage lockten. Die Preise im Fenster waren wohl aus gutem Grund so klein gedruckt, dass man sie – in seinem Alter zumindest – kaum noch lesen konnte. Egal. Hier ging es schließlich um etwas anderes, Größeres. Aber es kostete ihn verdammt viel Überwindung, in diesen Beauty-Palast einzutreten.

»Machen Sie mit mir, was Sie wollen, aber machen Sie mich irgendwie interessant.« Er hatte sich sehr zusammengerissen, um dem wenig maskulinen Inhaber des Salons seine Vorstellungen so nonchalant wie möglich vorzutragen. Der legte theatralisch die gespreizten Finger vor die Brust. »Nun, wir können da sicher eine Menge machen.« Er zögerte und lächelte Lars milde an. »Allerdings werden wir einige Sitzungen brauchen, damit Sie am Ende auch wirklich zufrieden sind.« So ganz überzeugt wirkte er aber nicht.

Der Inhaber des Salons erinnerte Lars stark an diese Typen, die bei der Gay Pride’s Parade in knappen, silbrig glänzenden Shorts auf den Wagen tanzten. Aber Lars war ja tolerant. Wenn es diesem Mann gelang, das Kainsmal »Langweiler« von seiner Stirn zu löschen, dann wollte er ihm als Dankeschön ein Tattoo mit David Beckham schenken. Also natürlich nur, wenn der auf so etwas stand. Den Gedanken daran, wie er jetzt und in Zukunft sein Leben finanzieren würde, schob er erst mal ganz weit weg.

»Na dann: Legen Sie los«, sagte er, bemüht, seiner Stimme einen souveränen Klang zu geben, und lehnte sich mit klopfendem Herzen zurück.

Dann ging es los.

 

 

Geschlagene drei Tage dauerte die Prozedur. Der Friseur, der eigentlich Jens Sørensen hieß, hatte sich ihm inzwischen als François vorgestellt. Den Namen bevorzuge er, weil das Französische ja grundsätzlich mehr Wohllaute zur Verfügung stellte als das Dänische. Und während der wohlklingende und wohlduftende François sich engagiert um Lars’ Runderneuerung kümmerte, plauderten sie über Gott und die Welt. In diesen drei Tagen wurde Lars, der Langweiler, eingeführt in die Beauty-Geheimnisse der Schönen und Reichen. Was es nicht alles gab: entspannende Gesichtsbehandlungen, Haarkuren und -schnitte mit den raffiniertesten Werkzeugen. Stunden verbrachte Lars unter Reinigungs- und Pflegemasken, unter zart massierenden Fingern und unter altmodischen Trockenhauben, während François sich um Nagelhäute und Nasenhaare kümmerte, um Faltenbehandlungen, Augenbrauen und graue Haaransätze. Nichts wurde ausgelassen. Zunächst befremdet genoss Lars dieses Rundum-Wohlfühl-Programm allmählich immer entspannter und sogar voller Vorfreude. Das Finish bildeten schließlich die raffiniert durchgestuften Haare, die sich nun leicht kräuselten, und mit den dezenten hellen Strähnen plötzlich wirkten, als hätte Lars den Sommer surfend auf den Bahamas verbracht. Als François auch noch die letzte Locke an ihren Platz geschoben hatte, lehnte sich der Zauberer leicht zurück und betrachtete das Ergebnis nicht ohne Stolz.

»Zum Anbeißen!« François nickte zufrieden in Richtung der reichen Damen, denen seine Assistenten gerade die Haare ondulierten oder eine dieser Trockenhauben überstülpten, die François aus eher nostalgisch-dekorativen Gründen in seinem Salon versammelte, den er vor ein paar Jahren von seiner geliebten Tante übernommen hatte.

Lars spürte die Blicke der nicht mehr ganz jungen Damen förmlich auf seiner Haut prickeln. Ja, François hatte tatsächlich Wunder gewirkt! Das hätte man doch wirklich nicht zu träumen gewagt! Vom »Langweiler« zum »Womanizer« in nur drei Tagen. Fantastisch!

 

 

Eine Welle heißen Glücks durchströmte Lars, wie anders fühlte sich plötzlich alles an – bis er die Rechnung sah. Ihm wurde schlagartig klar, dass sich an der ökonomischen Front in seinem Leben etwas grundlegend ändern musste, denn Attraktivität war – so viel hatte er in diesen Tagen gelernt – nicht umsonst zu haben.

»Man müsste Saloninhaber sein wie Sie, François.« Mit diesen Worten knallte Lars vier Tausendkronenscheine auf die Glastheke. Dann gab er François die Hand und stellte sich augenzwinkernd als Michèl vor. Er sei ebenfalls kein Franzose, gestand er ihm hintergründig lächelnd.

François spitzte die Lippen. Er ließ seinen Blick zu den beiden Damen unter den Trockenhauben schweifen. Beide dösten in der Wärme und mit Latinosongs aus den Kopfhörern vor sich hin.

»Salonbesitzer! Um Himmels willen, Michèl, das sollten Sie nicht mal Ihrem ärgsten Feind wünschen! Sie haben ja keine Ahnung, wie tief ich am Anfang im Schlamassel steckte. Ein gewisses Talent zu haben ist das eine. Aber genug Kunden zu gewinnen, um den Laden am Laufen zu halten, ist etwas ganz anderes! Noch dazu, wenn man Angestellte hat! Nur dass Sie das wissen: Es ist wirklich kein Zuckerschlecken.«

Lars sah sich um. »Läuft Ihr Salon denn nicht sehr gut?«

»Inzwischen schon.« Er schwieg und fuhr nach einer Pause leiser fort: »Aber auch nur, weil ich jetzt immer die Traueranzeigen lese.«

Lars zog die dezent gezupften Augenbrauen fragend in die Höhe. So ganz erschloss sich ihm nicht, was François da gerade gesagt hatte.

»Ja, so ist das. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich diese Idee hatte, aber – das klingt jetzt vollmundiger, als es gemeint ist – damit geht’s mir inzwischen wirklich gut.« François blickte wieder zu den anderen Kunden im Salon, dann lehnte er sich vertraulich zu Lars hinüber. »Also: Wenn eine der Damen aus dem Whiskygürtel Witwe wird, dann lasse ich mich von Sture zu ihrem Wohnsitz fahren«, flüsterte er Lars ins Ohr. »Und dann lege ich so ganz zufällig«, er zeichnete Anführungszeichen in die Luft, »das hier in ihre Briefkästen.«

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