Sabine Appel

Katharina
von
Medici

Strategin der Macht und
Pionierin der Neuzeit

Klett-Cotta

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Klett-Cotta

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Printausgabe: ISBN 978-3-608-96198-0

E-Book: ISBN 978-3-608-11094-4

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Der gescheiterte Traum Katharina geht über Leichen

Es ist ein Teilausschnitt des zeitgenössischen Monumentalgemäldes von François Dubois(1) mit dem Titel: »Die Bartholomäusnacht«, »Le massacre de la Saint-Barthélemy«. Katharina von Medici beugt sich über Leichen. Die Königinmutter in ihrer Witwenkluft – schwarzes Kleid, schwarzer Schleier, nur durchbrochen von einer weißen Halskrause im Stil der Epoche. So und nicht anders kannte man sie. Vor ihr ein Leichenberg: nackt übereinandergeworfene, geschändete und zerstückelte Körper, verrenkte Gliedmaßen. Die zahlreichen Augenzeugenberichte der Schreckensnacht von Paris sind plastisch und drastisch genug, um den Maler zu inspirieren. Es ist ein Straßenbild vor dem Louvre, dem düsteren Königspalast, in dessen Inneren das Morden begonnen hatte, in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1572, dem Tag des Apostels Bartholomäus. Im Gemälde von François Dubois(2) sind die Metzeleien noch immer im vollen Gange, und zwar in einer Gleichzeitigkeit der Ereignisse, die sogar das Kontinuum aufhebt, denn als zum Beispiel Coligny(1) abgestochen und aus dem Fenster seines Hauses geworfen wurde (ein anderer Teilausschnitt), da hatte das Morden des Mobs auf den Straßen noch gar nicht begonnen.

Was macht die Königin da in den Augen des Malers und Zeitgenossen? Betrachtet sie ihr Werk? Tätigt sie eine Bestandsaufnahme – pragmatisch und nüchtern, wie sie seit über zehn Jahren Frankreich regiert? Fühlt sie irgendeine Form von Entsetzen angesichts dieser Leichenberge? Oder ist die Begutachtung für sie ein Triumph?

Unmittelbar nach der Schreckensnacht, anlässlich der Hochzeit der katholischen Marguerite de Valois(1) und des Protestanten Heinrich von Navarra(1), entstand das düstere Bild von der »schwarzen Königin«, die die »Bluthochzeit« zu verantworten hatte, das grauenhafte Massaker und erste Pogrom der Neuzeit, bei dem Abertausende von Menschen, überwiegend Hugenotten ermordet wurden, zuerst in der Hauptstadt und dann, übergreifend, auch in den Provinzen. Die Gewaltwelle entwickelte schnell eine Eigendynamik, in der sich die Spannungen der letzten Jahre entluden. In seltener Einmütigkeit gelangten die sich bis aufs Messer bekriegenden Parteien, Katholiken und Protestanten, Anhänger der Guisen und Anhänger der Bourbonen, aber auch sonst zahlreiche Menschen innerhalb und außerhalb Frankreichs, Männer und Frauen, Gelehrte und Tagelöhner, Menschen weltlichen und geistlichen Stands und nicht zuletzt viele Chronisten, die die Ereignisse für die Nachwelt festhielten und später deuteten, zu der sie alle entlastenden Auffassung, Katharina von Medici habe das Blutbad angerichtet, geplant zudem, sagten manche, von langer Hand. Ihr »Friedensprojekt«, mit dem Katharina die feindlichen Parteien der Religion und des Adels zusammenführen und somit das Land einigen wollte, nämlich die Hochzeit ihrer Tochter »Margot(2)« mit Heinrich von Navarra(2), dem Hugenotten, zu deren Anlass sich die ganze Führungselite der Hugenotten in Paris versammelt hatte, wäre demnach nur eine Falle gewesen, um sie zusammenzutreiben, die protestantischen Führungseliten, und dann ihrem von ihr vorgesehenen Schicksal zu überantworten, während den Rest die aufgeheizte und aufgehetzte Menge erledigte, das mehrheitlich katholische Volk von Paris. So jedenfalls lautete die protestantische Lesart. Die katholische war etwas anders akzentuiert. Auch hier machte man Katharina von Medici mit ihrer Politik der vergangenen Jahre für das Blutbad verantwortlich, aber nicht im Sinne einer geplanten Aktion, übereinstimmend mit den Sinnes- und Handlungsmaximen von Rom, des Herzogs Alba(1) und Habsburg-Spaniens, sondern lediglich als Ausdruck von Hilflosigkeit, weil sie die Geister nicht mehr meistern konnte, die sie gerufen hatte. Doch immerhin – das Ergebnis war aus dieser Sicht durchaus lobenswert. In der Hauptstadt der katholischen Christenheit wurden Freudenfeuer gezündet, als die Nachricht von der Bartholomäusnacht Rom erreichte, die Heilige Stadt. Der Pontifex ließ eine Gedenkmünze prägen zu diesem festlichen Anlass, und er beauftragte den Maler Giorgio Vasari(1), drei Wandmalereien in der Sala Regia des Vatikans anzufertigen, mit Szenen der Bartholomäusnacht, um den Sieg über die Hugenotten bildreich zu feiern. Der iberische Weltherrscher Philipp II. von Spanien, der Habsburger auf dem spanischen Thron, ließ die Welt wissen, dies sei die freudigste Nachricht in seinem ganzen Leben gewesen. In den Hauptstädten des Protestantismus, vor allem in Genf, aber auch in London und Wittenberg, herrschte hingegen eine Mischung aus Trauer, Entsetzen und Angst, dass dies erst der Anfang sein könnte einer großen Säuberung, um sie endgültig auszurotten, die Vertreter des neuen Glaubens, die so viel Unruhe in die von oben geordnete christliche Welt gebracht hatten. Aber war die Bartholomäusnacht, so fragte zum Beispiel Calvins(1) Nachfolger in Genf, Théodore de Bèze(1), nicht auch ein Zeichen der Auserwählung? Sie wurde zum Sinnbild für protestantisches Märtyrertum, das aber in die Sphäre der Welt hineinwirken wollte. Das war der Unterschied und der Zukunftsimpuls. Die politische Dimension, die sie mobilisierte, stand ganz im Zeichen zukunftszugewandter und progressiver Ideen, Ideen der Herrschaftslegitimierung, der Volkssouveränität, des Widerstandsrechts – aufgegriffen dann übrigens auch von der Gegenseite; es herrschte also in der Folge ein reger Disput. Die Neugläubigen jedenfalls waren entschlossen, ihren Kampf jetzt erst recht fortzusetzen. Ohne die Bartholomäusnacht wäre der politische Calvinismus vielleicht nicht entstanden.

Was aber ist mit der Rolle der »schwarzen Königin«? Ging sie bewusst über Leichen? Wissentlich, willentlich? Wie passte dies mit ihrer Politik des Ausgleichs zusammen? Ihrem Traum von einem Staatsbürgertum jenseits der Religion? Von einem prosperierenden und befriedeten Staat, der alle Bürger unter sich sammelt, welcher Konfession sie auch angehören? Ihr messerscharfer Verstand und ihre Lebenserfahrungen sagten ihr, dass die Konflikte der Welt, aus denen die Kriege entstanden, mit der Religion sowieso kaum zu tun hatten. Die Welt war ein Spiel der Kräfte, das man als politisch Verantwortlicher in der Balance halten musste. Die Fanatismen ihrer Epoche waren Katharina vollkommen fremd. Sie selbst kam aus der üppigen Bildwelt des Südens, wo der Protestantismus nie Fuß fassen würde, und auch Frankreich war überzogen von italienischer Kunst und Kultur, die Höfe besonders. Die Franzosen hatten mehrheitlich keinen Geschmack an Bilderstürmerei oder Fundamentalmoralismus. Doch darum ging es nicht.

Die Krone ihrer Söhne war in Gefahr, da die neue Religion auch den Adel ergriffen hatte, und dieser stand zur Krone in einem traditionellen Spannungsverhältnis von Loyalität und rivalisierender Opposition. Doch das gleiche Dilemma boten ihr auch die ultrakatholischen Guisen, die sie zeitweise für weit gefährlicher hielt als ihre Gegenspieler, die Hugenotten. Die fragile Monarchie ihrer minderbemittelten Söhne zwischen diesen beiden Kräften durchzulavieren, war ihr ganzes Sinnen und Trachten als Regentin von Frankreich (die Italienerin am Staatssteuer Frankreichs war eine glühende französische Patriotin!). Aber das Pendel des Ausgleichs war chancenlos in der Siedehitze dieser Augusttage und ihrer aufgestauten Konflikte. Die »schwarze Königin« begrub einen Traum, und den hatte ihr langjähriger Weggefährte, der liberale Mann der Mitte, den sie zum Kanzler gemacht hatte und mit dem sie den friedlichen säkularen Staat schaffen wollte, unter dem sich die Kräfte sammeln konnten, welcher Couleur auch immer, bereits vor Jahren begraben. Michel de l’Hôpital(1) hatte sich resignierend auf seine Güter zurückgezogen und widmete sich nur noch der antiken Literatur. Und da Katharina der unsentimentalste und analytischste Geist war, der je ein Land regiert hatte, machte sie sich an die Korrespondenzen im Sinne der Außendarstellung ihres Hauses, noch bevor das Blut der Leichen getrocknet war.

Die Königin begrub einen Traum. Vorerst zumindest.

Kindheit im Schatten der Medici

Caterina Maria Romula de’ Medici wurde am 13. April 1519 als Tochter der französischen Bourbonen-Prinzessin Madeleine de la Tour d’Auvergne(1) und des Lorenzo(1) di Piero de’ Medici im Palast der Medici in Florenz geboren.

Geburtsort und Elternkonstellation prägten ihr gesamtes weiteres Leben auf einer hochpolitischen Ebene, denn durch das Bourbonenerbe der Mutter war die Verbindung zum französischen Königshaus – und zwar auf einer zum regierenden Herrschergeschlecht der Valois in einem gewissen Rivalitätsverhältnis stehenden Linie – gegeben. Von der Vaterseite hingegen entstammte sie der einflussreichen Familie der Medici, ursprünglich Bankiers und Kaufleute, die es zu sagenhaftem Reichtum gebracht hatten, aus denen Großherzöge der Toskana, zwei regierende Fürstinnen (eine davon war Katharina) und sogar Päpste hervorgingen, die als Kreditgeber von Staaten, weltlichen und geistlichen Mächten und durch vielfältige Beziehungen Einfluss auf die europäische Politik nahmen, und die mit zwei Unterbrechungen dreihundert Jahre lang die Geschicke von Florenz lenkten. Der blühende toskanische Stadtstaat, in dem die mächtigen Medici herrschten, war so etwas wie das Kunst gewordene Eldorado der europäischen Neuzeit, maßgeblich initiiert von dieser Herrscherfamilie, die hier durch opulente Kunst- und Kulturförderung die Kulisse für etwas bereitete, das Europa beflügelte und zu bahnbrechenden Entwicklungen führte: die italienische Renaissance.

Die aus dem Florentiner Umland stammenden Medici wanderten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in die erblühende Metropole Florenz ein, die ihr wirtschaftliches Florieren in dieser Epoche großer Veränderungen und einer massiven Urbanisierung bereits im Namen trägt. Ob die Medici – wie es der Familienname annehmen lässt – tatsächlich ursprünglich Ärzte waren beziehungsweise einer ihrer ersten Namensträger den Beruf des Arztes ausübte, ist nicht zu belegen. Die Tatsache, dass sie später in ihrem Familienwappen neben einem Rosssternschild und den Lilien des französischen Königswappens, vom französischen König Ludwig XI.(1) 1464 als Zeichen der Wertschätzung dieser erfolgreichen Bankiers mit royalem Segen gewährt, auch sechs Kugeln auf goldenem Grund trugen, die zuweilen als Pillen interpretiert wurden, wäre eine Erklärung in diese Richtung. Die werbestrategisch äußerst geschickten Vertreter der Dynastie spielten jedenfalls in den bildhaften Darstellungen unter Einbeziehung zahlreicher biblischer Motive auch mit dem Heilmotiv – die Medici heilen ein Staatswesen, so die Botschaft in den monumentalen Gemälden, die sie als Heilsbringer, als schicksalbestimmte Macht preisen.

Als Begründer der Dynastie(1), bezogen auf den Geschäftserfolg der Familie, gilt Giovanni di Bicci, der einem Familienzweig entstammte, der es durch Landbesitz, Woll- und Seidenhandel und auch durch Geldverleih zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte. Der junge Giovanni, selbst durch Erbteilung nicht üppig ausgestattet, ging aber bei seinem reichen Onkel in Florenz in die Lehre, und das war der Bankier Vieri de’ Medici, genannt Cambiozzo. Cambiozzo(1) besaß ein florierendes Unternehmen mit Zweigstellen in London, Brügge, Genua, Venedig und Rom. Der Neffe erhielt in seinen Florentiner Jahren eine erstklassige kaufmännische Ausbildung und machte auch bereits erste Erfahrungen im internationalen Wechselgeschäft. Bald stieg er zum Partner und Miteigentümer auf. Cambiozzo(2) machte ihn zum Direktor seiner römischen Filiale, die er schließlich auch übernahm. Dann ging Giovanni(2) zurück nach Florenz und gründete hier sein Hauptunternehmen auf der Basis eines beachtlichen Startkapitals. Er gilt als der eigentliche Begründer der »Banca dei Medici«. Mit dem Geldverleih war es damals so eine Sache, denn in der theologischen Lehre galt jeder Zinsertrag für einen Kredit im Grunde als Wucher und war verboten. Da aber gerade die Kurie auf Geldwechsel angewiesen war, führte dies dazu, dass die klerikalen Instanzen über die Verbote und Einschränkungen stillschweigend hinwegsahen. Risikoloser Zinsgewinn galt als besonders anstößig, und so wurden Risiken konstruiert, um die Transaktionen äußerlich kompatibel zu machen. Auch bezeichnete man die Kreditvergabe vor diesem Hintergrund als »Wechselgeschäft«. Die Bankierszunft in Florenz nannte sich »Arte del Cambio«, und auch die erste Londoner Börse, 1571 unter Königin Elizabeth I. gegründet, hieß »Royal Exchange«. Eine gewisse sprachliche Verschleierungstaktik war, wenn man so will, die Grundlage des modernen Bankenwesens und der modernen Ökonomie, um die theologische Brisanz zu umgehen, die ihr anhaftete, und im gleichen Maße in diesem Kontext die klerikale Doppelmoral. Zu einem tragenden Standbein des fulminanten Aufstiegs der Medici wurde eben vor allem die Tatsache, dass sie das Vertrauen der Apostolischen Kammer besaßen und die Bankgeschäfte der Päpste tätigten. Man nannte sie deswegen auch die »Bankiers Gottes«. Aber Giovanni di Bicci(3) war ein bescheidener Mann, der immer nur auf einem Maulesel ritt und seinen Söhnen Cosimo(1) und Lorenzo(2) auf dem Totenbett geraten haben soll, sich nie so in Stellung zu bringen, dass es den Neid der Umgebung erregte. Auch sollten sie nur soweit Politik betreiben – gemeint war die Ausübung öffentlicher Ämter –, wie es dem Erhalt der eigenen gesellschaftlichen Position dienlich war. Die Macht der Medici über die nächsten Jahrhunderte, die im Wesentlichen auf einem dichten Netz an Verbindlichkeiten und Beziehungen gründete, war persönlichem Geschick, finanziellem Erfolg, Gunst und den Zeitumständen geschuldet und ansonsten in keiner Weise legitimiert. Als der Pontifex im Jahre 1422 Giovanni di Bicci(4) de’ Medici zum Grafen von Monteverdi erheben wollte, lehnte er dankend ab. Vor dem Hintergrund eines republikanischen Staatswesens hätte er eine solche Erhebung als kontraproduktiv und sogar als gefährlich empfunden(5).

Dass die Herrschaft der Medici in der Republik Florenz – eher eine Art Pluto-Oligarchie – mit der republikanischen Idee nach unserer heutigen Vorstellung nicht viel zu tun hatte und sogar dezidiert mafiose Strukturen besaß, gehört zum Realbild dieser vitalen Epoche. Andere mächtige Clans in den reichen italienischen Stadtstaaten agierten auf eine vergleichbare Weise. Und dass die grandiose Kunst und Kultur von Florenz mit ihren Palästen, Kapellen und Prunksälen, Gemälden und Galerien, Grabstätten, Plastiken, Fresken, Skulpturen und Bronzereliefs unter anderem auch den Herrschaftsanspruch ihrer Mäzene verherrlichte, also der Medici, mindert nicht den Selbstwert und auch nicht das Selbstverständnis dieser großartigen Kunstproduktion. Es sind die ganz großen Namen der Architektur- und Kunstgeschichte, die für das Gesamtkunstwerk und für den Epochenglanz von Florenz stehen, aber auch weit darüber hinaus: Brunelleschi(1), Ghiberti(1) und Donatello(1), Alberti(1), Bramante(1), Botticelli(1), Raffael(1), Michelangelo(1), Leonardo da Vinci(1). Die Bauwerke der Renaissance orientierten sich an der Formensprache des Altertums und zeichneten sich vor allem durch Klarheit, harmonische Ausgewogenheit und Überschaubarkeit aus. In der Malerei wurde ein symmetrischer Bildaufbau fokussiert sowie die Schönheit und Vollkommenheit des menschlichen Körpers ins Zentrum gerückt, dessen Nacktheit als ein Symbol für Unschuld verstanden wurde. Überhaupt rückte der Mensch ins Zentrum des Universums, mit seiner Vitalität, seiner Gestaltungsfähigkeit, seinen Geisteskräften, Möglichkeiten und Potentialen. Es wurde eine neue Diesseitigkeit zelebriert, in unmittelbarem Bezug zum griechisch-römischen Altertum, dessen Schriften und philosophisches Denken man neu entdeckte.

Dass dies gerade in Italien geschah, hatte damit zu tun, dass das antike Erbe hier noch ganz präsent war. In den Bauwerken der römischen Zeit hatte man es ja sogar plastisch und geradezu alltäglich vor Augen. Im alten Konstantinopel hatte man im Übrigen das Studium der klassischen griechischen Sprache, das im lateinischen Westen weitgehend unbekannt war, im Mittelalter ständig gepflegt. Nach der Eroberung durch die Osmanen flohen viele Intellektuelle nach Westeuropa, vor allem nach Norditalien, mit Kopien der antiken Schriftstücke in ihrem Gepäck, die sich dann durch die nahezu zeitgleiche Erfindung der Druckerpresse rasant verbreiteten – ein nicht unwesentlicher Faktor für die Neuentdeckung antiker Ideen. Aber die Baukunst machte das Erbe des Altertums bereits vor diesen Entwicklungen greifbar und sichtbar. Eine große klassische Stadt nach dem Vorbild des alten Rom zu errichten und damit das römische Reich wieder auferstehen zu lassen, war sicher das ambitionierteste Vorhaben in der Zeit Cosimo(2) de’ Medicis (des »Älteren«) in Florenz und seines Baumeisters Filippo Brunelleschi(2). Das Meisterstück Brunelleschis(3) wurde der 1436 vollendete Dom mit der bislang größten selbsttragenden Kuppel der Christenheit. »Er berührt den Himmel und wirft seinen Schatten über die ganze Toskana«, sagte ein berühmter Zeitgenosse, der Humanist und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti(2). Auch erfand Brunelleschi(4) die Perspektive – Objekte als dreidimensionale Gebilde zu zeigen. Damit schuf der vielseitig tätige Mann (er war Bildhauer, Baumeister, Ingenieur und Erfinder) in der Kunst die moderne Weise, zu sehen. Was die Schriften des Altertums anbelangt, so durchsuchten die Gelehrten der Zeit nun systematisch die Bibliotheken nach den Werken antiker Autoren. Cosimo de’ Medici(3) ließ sie aufkaufen und integrierte sie in seine Mediceische Sammlung. Der Florentiner Niccolò Niccoli(1) etwa, gleichfalls ein Kaufmann, der der neuen aufstrebenden weltlichen Schicht angehörte und sich im Kultur- und Geistesleben auszeichnete, hinterließ an die 800 griechische und lateinische Manuskripte, die er teils eigenhändig von alten Handschriften kopiert hatte, und die Cosimo de’ Medici(4), indem er die Schulden des verstorbenen Gelehrten übernahm, teils in seine Privatsammlung und teils in das Dominikanerkloster San Marco in Florenz überführen ließ. Lorenzo »il Magnifico(1)«, Cosimos Enkel, begründete dann mit der »Biblioteca Medicea Laurenziana« quasi die erste öffentliche Bibliothek in Florenz. Kunst, Gelehrsamkeit, Handel und Mäzenatentum, das alles gab es durchaus auch in anderen blühenden Handelsmetropolen jenseits der Alpen, zum Beispiel in Flandern, wo die burgundischen Herzöge herrschten. Aber hier in der Sonne des Südens lebte man unmittelbar an den inspirierenden Quellen des »Rinascimento«, was jeder sehen konnte, der durch die Straßen von Florenz oder Rom lief.

Katharina also erblickte als Medici-Erbin das Licht der Welt in der Wiege der Renaissance und in einer Stadt, die überall sichtbar von ihrer Familie geprägt war. Aber nur zwei Wochen später wurde sie Waise, denn ihre Mutter, Madeleine de la Tour d’Auvergne(2), starb 15 Tage nach ihrer Geburt an den Folgen der schweren Entbindung, und Lorenzo(3) de’ Medici, Herzog von Urbino, ihr Vater, erlag wenige Tage darauf einer Erkrankung, bei der es sich wahrscheinlich um Tuberkulose in Verbindung mit Syphilis handelte. Die kleine Medici-Erbin kam daraufhin unter die Vormundschaft ihres Großonkels, und das war kein Geringerer als Papst Leo X. In all dem Auf und Ab ihrer bewegten Familiengeschichte mit Aufstieg und Fall, Flucht, Vertreibung, Revolution, Meuchelmorden, Neuanfängen, Höhen und Tiefen hatten es die Medici zuletzt auch noch auf den Stuhl Petri geschafft, wo es ihnen gelang, ihre weitverzweigte Familie einschließlich der Schaffung von Hunderten neuer Ämter überall im päpstlichen Apparat unterzubringen, während auch Florenz wieder ganz sichtbar die Zeichen der Medici trug. Leo X.(1) oder Giovanni de’ Medici, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, war ein ausgesprochen üppiger Papst, der Vergnügungen liebte, die Jagd, rauschende Feste und opulente Gelage. Während seines Pontifikats wurde Rom zum Zentrum für Kunst und Kultur. Da das Auge eines Medici niemals ein überragendes künstlerisches Talent übersah oder ungenutzt ließ, wurde Michelangelo(2) mit dem Ausmalen der Sixtinischen Kapelle beauftragt – ein weiteres Weltwunder aus der Hand eines Künstlers. Nicht genug, dass der Dominikanermönch Savonarola(1), der die Medici für ein paar Jahre vom Platz gefegt hatte, schon zu seiner Zeit, als die Medici noch nicht den Stuhl Petri besetzten, seine zur christlichen Buße und Umkehr fordernde Radikalrevolution damit begründete, die Dekadenz der Medici unter Lorenzo dem Prächtigen(2) werde Florenz in den Untergang führen. Im freudloseren europäischen Norden schien man ebenfalls erheblich weniger Sinn für derartige irdische Prachtentfaltung zu haben, die zudem mit äußerst fragwürdigen irdischen Mitteln erwirtschaftet wurde. Um seine Schulden bezahlen zu können, förderte Leo(2) den Ablasshandel und ließ ihn europaweit in großem Stil umsetzen. Nicht zuletzt der geplante Neubau des Petersdoms unter Leo X.(3) wurde damit finanziert. Der Augustinermönch Martin Luther(1), der in Deutschland in seinem Turmstübchen im Wittenberger Konvent über die göttliche Gnade brütete und gleichzeitig in seinem Alltag als Seelsorger damit konfrontiert war, dass seine verzweifelten Schäfchen ihm von den Praktiken der auch in Deutschland rührigen Ablasshändler erzählten, denen sie in der Hoffnung auf Verkürzung des Fegefeuers ihr letztes Geld anvertrauten, erhielt durch diese Praktiken so etwas wie den finalen Anstoß zu seiner Fundamentalkritik am Selbstverständnis der römischen Kirche, das seiner Meinung nach nur noch wenig gemein hatte mit der christlichen Ur-Idee und der unmittelbaren Christus-Nachfolge. Wenn man so will, hat der Medici-Papst – und es gab sicher weit schlimmere Päpste vor ihm und nach ihm! – die Reformation ausgelöst, als er das Seelenheil seiner Christusgemeinde so schamlos in klingende Münze verwandelte. Das alles lag erst wenige Jahre zurück, als Katharina zur Welt kam. Vielleicht hat sie diese Zusammenhänge später erkannt, als sie in ihrer Rolle als Regentin von Frankreich das ganze Drama der Glaubenskämpfe in Frankreich und in Europa vor Augen hatte, die sie immer versuchte, auf eine undogmatische Weise, im Sinne des Ausgleichs zu handhaben.

Katharinas Großonkel Papst Leo X.(4) hatte große Pläne mit seiner jungen Verwandten, die er nach dem Tod ihrer Eltern nach Rom bringen ließ. Er hatte sie zur Herzogin von Urbino ernannt, und er hegte die Absicht, sie später mit dem Sohn seines Bruders Giuliano zu verheiraten, ihrem Cousin Ippolito(1) de’ Medici, mit dem Katharina später eine zärtliche Beziehung verband. Doch bedingt durch das Erbe der Mutter erhob auch das französische Königshaus Anspruch auf Katharina. Der französische König Franz I. hatte den Wunsch geäußert, das Mädchen an den französischen Hof bringen zu lassen, um sie dort zu erziehen, doch die Intervention des Papstes vereitelte diesen Wunsch. Leo X.(5) starb allerdings am 1. Dezember 1521 mit nur 46 Jahren, und so wurden die Karten der kleinen Medici wieder ganz neu gemischt. Entgegen allen Erwartungen bestieg nun nicht der Cousin des seligen Papstes Leo X., Giulio de’ Medici, den Stuhl Petri, sondern der Niederländer Adriaan Floriszoon Boeyens(1), Sohn eines Schiffszimmermannes aus Utrecht, der von den »Brüdern zum gemeinsamen Leben« in Zwolle erzogen worden war und in Leuven Philosophie studiert hatte, bevor er zum Priester geweiht wurde und seine klerikale Karriere begann. Unter anderem war er auch der Lehrer des späteren römischen Kaisers Karl V.(1) gewesen – was seine Ernennung zum Papst in den Machtverstrickungen seiner Zeit letztlich erklärt, denn zwischen den Interessen des Kaisers und des französischen Königs war er am Ende ein Kompromisskandidat –, und selbst der berühmte Humanist Erasmus von Rotterdam(1) hatte bei ihm studiert.

Der hochgelehrte Hadrian VI. war so untypisch auf dem Heiligen Stuhl, dass es mit seinem Pontifikat auch nicht lange währte. In Italien war er verhasst, und er war auch der letzte nichtitalienische Papst für die nächsten 456 Jahre bis zur Wahl Johannes Pauls II.(1) 1978. Hadrian(2) bekämpfte energisch den Sittenverfall im Klerus, den Luxus, den Nepotismus, den Ämterschacher und den Missbrauch des Ablasses. Da sein eigener Lebenswandel untadelig war, versuchte er all die verschwenderischen Auswüchse im heiligen Rom zu eliminieren, doch das erinnerte die Römer, und nicht nur sie, mindestens aber die hohe Geistlichkeit in der Peripherie, allzu bedrückend an den Dominikanermönch Savonarola(2), der mit seinen Bußpredigten sein schreckliches Strafgericht über die Florentiner verhängt hatte. Sie wollten sich ihr schönes Wohlleben, ihre schöne Kunst und all die Üppigkeit einfach nicht nehmen lassen, und der niederländische Papst bekam diesen Unwillen deutlich zu spüren. Hadrian(3) starb 1523 nach nur zweijährigem Pontifikat – an einem Fieber, so heißt es; der eine oder andere Chronist hält aber auch einen Giftmord für möglich.

(1)Jetzt war der Heilige Stuhl wieder frei für einen Medici, und Giulio, der Cousin Leos, wurde im Konklave als Clemens VII.(2) zum neuen Papst gewählt. Katharina – erneut Nichte des Papstes und eine der reichsten Erbinnen Europas, die als Heiratspartie für die europäischen Fürstenhöfe ins Spiel gebracht wurde – lebte wohl noch bis 1525 in Rom. Der neue Papst Clemens(3), also ihr Onkel Giulio de’ Medici, war bereits beim Tod ihrer Eltern von Leo zu ihrem Erzieher bestellt worden. Wirklich erzogen wurde sie aber vor allem von ihrer Tante Clarice(1) Strozzi, die selbst zur älteren Linie der Medici gehörte und den Florentiner Bankier Filippo(1) Strozzi den Jüngeren geheiratet hatte. Clarice oder Clarissa(2) Strozzi, wie ihr Vorname eingedeutscht wird, war eine bemerkenswerte Frau ihrer Zeit. Bildungsbeflissen und diszipliniert, widmete sie ihre ganze Kraft der Erziehung ihrer eigenen zehn Kinder und der Ausbildung Katharinas, um deren Stellung und Erbe sie kämpfen würde, als diverse Stürme das schöne Florenz erschütterten. In ihrer Tante(3) hatte Katharina jedenfalls das Bild einer durchsetzungsstarken Frau vor Augen, die auch in politisch gefährlichen Zeiten mutig und unerschrocken agierte. Da sie zeitweise in der Strozzi-Familie und zeitweise im Palast der Medici wohnte, wuchs Katharina auch mit zwei weiteren »Brüdern« aus dem Familienzweig der Medici auf: mit Ippolito(2), der ebenfalls früh verwaist und acht Jahre älter war als Katharina, sowie dem neun Jahre älteren Alessandro(1), der als illegitimer Sohn ihres Vaters Lorenzo(4), also als Katharinas Halbbruder galt. Wahrscheinlich war er aber, so mutmaßt auch der englische Historiker Christopher Hibbert(1), der Sohn des Pontifex, als dieser noch Giulio de’ Medici hieß – möglicherweise war er die Frucht einer Affäre Giulios mit einer schwarzen Dienerin am Hofe der Medici. Was Katharinas Beziehungen zu ihren beiden älteren »Brüdern« betrifft, so waren auch sie Teil dieses hochkomplexen, aus Macht und Rivalität bestehenden Familiengeflechts, dessen Bedeutung sie gewissermaßen mit der »Muttermilch« einsog. Ippolito(3), den Papst Leo(6) ja einstmals als ihren Gemahl ausersehen hatte, war, wie es heißt, liebenswürdig und schön, glänzend ausgestattet mit den so reichlich verteilten Medici-Gaben, während Alessandro(2), »il Moro«, der so hieß, weil er Wulstlippen und schwarzes Kraushaar hatte (ein Verweis auf seine vermutete Abstammung von einer Schwarzen) eine wild entschlossene, kämpferische Natur war und die ihm später noch als Jüngling übertragene Macht bis zur Grausamkeit einsetzte, mit Verachtung und Härte für die Bevölkerung, die ihm anvertraut war. Er agierte bereits im Alter von dreizehn Jahren an der Seite des päpstlichen Statthalters quasi als Stadtherrscher von Florenz – eine Position, die ihm Papst Clemens(4) verliehen hatte. Den jungen Ippolito(4) machte Papst Clemens zum Kardinal. Als Katharina elf Jahre alt war und Ippolito(5) neunzehn, berichtete der venezianische Gesandte in Rom, er und die »Duchessina« seien einander zärtlich verbunden, und Ippolito(6) wolle seinen Kardinalshut an den Nagel hängen, um Katharina zu heiraten. Alessandro(3) dagegen, ihr angeblicher Halbbruder, wurde Katharina zum großen Rivalen im Kampf ums politische Erbe der Medici – ein Tatbestand, den Katharinas Tante Clarice(4) weit klarer erkannte und auch zur Disposition stellte als irgendjemand sonst. Auch wenn das kleine Mädchen diese Zusammenhänge noch gar nicht begriff, hat sie die Machtsphäre, in der sie aufwuchs, doch wohl instinktiv von Beginn an als etwas erlebt, was voller Unsicherheit und Anfechtung war und jeden Tag neu erkämpft werden musste. Ihre Bildungsgrundlage und ihr Interesse für die Wissenschaft bezog Katharina wahrscheinlich von ihrer Tante Clarice, die streng, aber zugleich liebevoll war und ihr jedenfalls in den frühen Kinderjahren ein schönes Zuhause gab. Clarice(5) war eine stolze Medici. In den politischen Wirren der kommenden Jahre nahm sie jedoch entschieden anti-mediceische Positionen ein, und zwar sowohl in Rom als auch in Florenz. Mit Papst Clemens(5) überwarf sie sich frühzeitig, denn sie empfand es als skandalös, dass dieser seinem illegitimen Sprössling die erbliche Herzogswürde verliehen hatte, wonach dieser wie ein Herzog in Florenz herrschte. Als es infolge des Sacco di Roma (Plünderung Roms) auch in Florenz zu Aufständen gegen die Medici kam, stellte Clarice sich an die Spitze der Aufstände und setzte den despotischen Statthalter Silvio Passerini(1), der den in Florenz vormals beliebten Giulio de’ Medici nach seiner Papstwahl abgelöst hatte, zusammen mit den illigitimen Medici-Erben Alessandro(4) und Ippolito(7) in einem imposanten Auftritt kurzerhand vor die Türen der Republik. Ihrer Meinung nach gehörte das Erbe der Medici ausschließlich Katharina, der legitimen Erbin und Tochter Lorenzos(5). Wäre ihre Zeit da nur schon etwas weiter gewesen, so hätte Clarice(6) ihre Erziehungsaufgabe bei Katharina dahingehend erweitert, dass sie ihre Nichte auf eine öffentlich anerkannte politische Rolle in der florentinischen Stadtrepublik vorbereitete. Denn sie war sich zweifelsohne ganz sicher, dass Frauen solche Rollen ausfüllen konnten, auch wenn ihre Epoche dergleichen nicht offiziell vorsah.

Es waren wilde politische Zeiten, in denen Katharina heranwuchs. Eine ohnehin brüchige Welt wurde mehrfach aus den Angeln gehoben, und dem kleinen Mädchen wurde sicherlich sehr früh bewusst, was es hieß, eine Medici zu sein. Auf jeden Fall bedeutete es, dass man heute ganz oben sein konnte und morgen an Leib und Leben bedroht war. Infolge des Kampfes um die Vorherrschaft in Oberitalien zwischen Habsburgern und Franzosen hatte sich Papst Clemens(6), der den römischen Kaiser Karl V.(2) und seinen europäischen Herrschaftsanspruch verabscheute, schlussendlich auf die französische Seite und deren Bündnispartner geschlagen, da er glaubte, seinen Kirchenstaat und dessen unmittelbare Umgebung in den italienischen Staaten nur so angemessen schützen zu können. Er hatte zugegebenermaßen den Kaiser vorher mit einem Scheinbündnis abgelenkt, indem er ihm anbot, ihm bei seinem Kampf gegen die Ungläubigen, also gegen die osmanischen Heere in Ungarn und auf dem Mittelmeer beistehen zu wollen, was freilich mit für den Kaiser unannehmbaren Forderungen verbunden war, unter anderem dem Abzug seiner sämtlichen Truppen aus Italien. Der französische König Franz I., gerade selbst erst wieder nach der für den Kaiser siegreichen Schlacht bei Pavia aus kaiserlicher Gefangenschaft in Madrid zurückgekehrt und glücklich in den Armen seiner diversen Liebhaberinnen, ließ allerdings seinen päpstlichen Verbündeten, der ihn wegen der Aggressionen des Kaisers um Hilfe anrief, weitgehend im Stich, denn als die kaiserlichen Truppen brandschatzend durch die Lombardei zogen und sich gefährlich in Richtung Rom bewegten, da erhielt dieser nach Aussage des florentinischen Gesandten nur freundliche Worte. Das stimmt nicht ganz, immerhin erhielt er 100 000 Dukaten, doch das nützte dem Papst(7) jetzt nichts mehr, denn er war zwischenzeitlich von allen Richtungen militärisch bedroht, und es kam erschwerend hinzu, dass die für den Kaiser kämpfenden Söldner seit geraumer Zeit nicht mehr regelmäßig bezahlt worden waren und deshalb anderweitig nach Entschädigung suchten. Nach einer nur mit knapper Not wieder unter Kontrolle gebrachten Meuterei der Soldaten marschierten diese zunächst auf Florenz zu, das aber gesichert war und umgangen wurde. Vor den Toren von Rom, ihrem Ziel, Sitz des verhassten Papstes, der den Soldaten, so jedenfalls empfanden sie es, diese ganzen indirekten Kämpfe gegen einen Gegner eingebrockt hatte, den sie nicht direkt angreifen konnten, wurde ihnen schließlich von ihren Heerführern das hemmungslose Plündern erlaubt. Die Plünderung Roms (»sacco di Roma«) durch deutsche Landsknechte und spanische und italienische Söldner, die am 6. Mai 1527 begann, war ein Ereignis von beispielloser Brutalität, das umso schlimmer war in den Augen der Zeitgenossen, da es sich doch um die Heilige Stadt handelte, Sitz des Pontifex, des Heiligen Vaters – wenn dieser auch äußerst unheilige Politik und Geschäfte tätigte, von seinem Lebenswandel ganz abgesehen. Es wurde gefoltert, geraubt, gebrandschatzt, es wurden Heiligtümer und Kirchenschätze zerstört, und es wurde relativ wahllos getötet – wobei die Chronisten nationaltypische Verhaltensweisen bei der Soldateska ausmachen wollten und kolportierten, dass die Deutschen vor allem fraßen und soffen und dann betrunken in den Palästen, Kirchen und sogar auf den Altären herumlagen, die Italiener schamlos der Wollust frönten und die Spanier mit besonderer Brutalität und Akribie folterten. Da diese bunt zusammengewürfelte Truppe in ihrer entfesselten Stimmung und in all der unübersehbaren Lage auch keinen gemeinsamen Anführer hatte, der von allen Seiten anerkannt wurde, geriet das Ganze vollends außer Kontrolle. Es überstieg die für Plünderungen üblichen drei Tage, und aus dem Umland strömten zudem alle möglichen »kaisertreuen« Verbände hinzu, um sich ebenfalls schadlos zu halten. Neunzig Prozent der Kunst- und Kirchenschätze, so sagt man, wurden in Rom in diesen Tagen zerstört, von den Menschenopfern gar nicht zu reden. Der ewig unentschlossene Medici-Papst(8) aber, der im letzten Moment noch versucht hatte, die Fronten zu wechseln und den Herzog von Bourbon(1), einen Befehlshaber in Diensten des Kaisers, mit Geld zu bestechen, wurde verschont, und er konnte mit 42 Mann von der Schweizer Garde in die als uneinnehmbar geltende Engelsburg flüchten. Ein halbes Jahr später übergab er die Burg und ging nach Orvieto, doch wenn er jetzt auch nicht mehr der unmittelbaren Gewalt des Kaisers ausgesetzt war, so befand er sich doch bis auf weiteres in einer extrem misslichen Lage, denn wozu die kaiserlichen Truppen imstande waren, war ihm durch die Ereignisse Roms unmittelbar deutlich geworden. Dass nichts heilig war und dass die Brutalität des Krieges sich auch nicht auf die eine oder die andere Konfession festlegen ließ, da sowohl lutherische deutsche Landsknechte als auch katholische Infanteristen des deutschen Kaisers und Königs von Spanien an den Brandschatzungen, Morden, Vergewaltigungen und der Entweihung der Stadt der Apostel beteiligt waren, das hat die Medici-Erbin im einstweilen noch verschonten Florenz sicherlich aus diesen Vorgängen gelernt. Sie war damals acht Jahre alt, doch ihre Kindheit war eigentlich fast schon vorbei.

Nach der Vertreibung des Medici-Papstes(9) hielten es die Florentiner, die mit ihrem autoritären Statthalter haderten, für an der Zeit, auch in den eigenen Reihen wieder einmal tabula rasa mit ihrer Herrschaftsfamilie zu machen. Für die Medici selbst waren die Ereignisse ein Déjà-vu, war ihre Macht, die auf nichts aufgebaut war als auf ihren Fähigkeiten, ihrer Geldpolitik und ihren flächendeckenden Netzwerken, doch zu keiner Zeit verlässlich gesichert, sondern stets angefochten und potentiell auch in Frage gestellt, nicht zuletzt durch die Ambitionen der zahlreichen anderen mächtigen Florentiner Familien. Theoretisch hatte Florenz eine Zunftverfassung, doch diese wurde durch die oligarchisch-patrizische Herrschaft der jeweils Mächtigen unterwandert, und innerhalb der Zünfte gab es auch eine klar erkennbare Hierarchie, bei der die Bankiers (eigentlich keine Handwerker im Sinne der traditionellen Gilden und Zünfte) an oberster Stelle rangierten. Die Signoria, die Stadtregierung, wurde in einem Rotationsprinzip der Ämter durch Losverfahren gewählt, doch hatte dieses am Ende auch die Netzwerke der Kandidaten zur Grundlage. Welcher Bürger von Florenz überhaupt namentlich in den Lederbeutel für die Auslosung kam, hing vom Einfluss ab, den er hatte. Relevant für die gegenwärtigen patres und den Radius ihrer Möglichkeiten in der aktuellen Stadtpolitik war lediglich, ob derjenige, den das Los zog, ein pro-Medici-Kandidat war oder nicht. Neid und Missgunst auf die mächtigen Medici, die die Stadt mit ihren Palästen und anderen Bauwerken, Fresken, Grabkapellen und Bildern mythischer Überhöhungen der Dynastie überzogen, blieb in dieser dreihundertjährigen Herrschaftsgeschichte naheliegenderweise nicht aus. Giulio de’ Medici(10), der jetzt Papst war und in Gefangenschaft des Kaisers auf der Engelsburg saß, war ein angenehmer Stadtregent und Administrator gewesen, dessen Herrschaft der Stadt relativen Frieden und Sicherheit gab. Sein autokratischer Statthalter Silvio Passerini(2) jedoch, Kardinal von Cortona, war den Florentinern verhasst. Im allgemeinen Verfall infolge der Plünderung Roms sah man nun einen Anlass, den Statthalter und damit die Medici aus Florenz zu vertreiben. Katharina, die noch immer im Palazzo der Medici lebte, hat die offene Revolte, die sich jetzt in den Straßen entzündete und die ihr Leben in den nächsten drei Jahren höchst unsicher machte, anfangs noch im Zentrum des Geschehens erlebt und in einer sicher eher bruchstückhaften Weise realisiert. Zunächst wurde den Medici das Wohnrecht in Florenz belassen und sogar für die nächsten fünf Jahre Steuerfreiheit gewährt. Die Signoria wollte vor allem die alte demokratische Verfassung wiederhergestellt sehen und forderte lediglich eine politische Neuorientierung. Die Rebellion auf der Straße ging aber weiter, und da nützte letztlich auch das Einschreiten der beherzten Tante Clarice(7) Strozzi nichts, die den Statthalter Passerini(3), den jungen Alessandro(5) und seinen Vetter Ippolito(8)