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ÜBER DEN AUTOR

Lukas Linder, geboren 1984 im Kanton Zürich, studierte Germanistik und Philosophie in Basel. Er ist Dramatiker, schrieb unter anderem für das Theater Basel und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Kleist-Förderpreis und dem Publikumspreis des Heidelberger Stückemarkts. Der Letzte meiner Art ist sein Romandebüt.

ÜBER DAS BUCH

Alfred ist der jüngste Nachfahre der von Ärmels, doch die glanzvollen Zeiten der Familie sind vorbei. Neben seiner umschwärmten, aber abgedrehten Mutter, seinem genialen Bruder und seinem kauzigen Vater fühlt er sich wie eine Karikatur. Trotzdem hat er es sich zur Aufgabe gemacht, seine alteingesessene Familie zu neuem Ruhm zu führen. Ein Held möchte er werden. Dazu hat er verschiedene Möglichkeiten: Er könnte, wie sein Vorbild und Namensvetter, vierzig Franzosen erschlagen, einen Gesangswettbewerb gewinnen oder zusammen mit Ruth ein Hotel aufmachen, denn ja, die Liebe siegt immer! Doch ist Alfred wirklich zum Helden geboren?

Lukas Linder schreibt mit einer solchen Genauigkeit, Schonungslosigkeit und mit viel Witz über das Alltägliche und über Familienkonstellationen, dass man zwischen den Lachern immer wieder etwas ertappt auf das eigene Leben schielt.

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Für Monika

PERSÖNLICHES GELEIT

Ich stamme aus einer alten und sehr reichen Berner Familie. Uns gab es schon im vierzehnten Jahrhundert. Und das sieht man uns auch an. Wie die Wurzeln uralter Bäume sind unsere Gesichter in sich selbst verknorzt. Kein besonders schöner Anblick. Unsere Physiognomie hat sich zu lange am Wetzstein der Neutralität zerrieben, sodass heute kaum noch etwas von dem ursprünglichen triumphalen Ausdruck vorhanden ist. Erst vor dem Hintergrund ihrer langatmigen Vergangenheit fangen unsere Gesichter zu leuchten an. Und dann erkennt man: Das sind Gesichter, die gerahmt ins Museum gehören, nicht aber in die freie Wildbahn des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Meine Mutter hat sich in einen Dornröschenschlaf gerettet. Mein Vater in die geistige Umnachtung. Und mein älterer Bruder Thomas, der einzige kluge Kopf der Familie, hat sich schon vor Jahren aus dem Staub gemacht und nicht mehr von sich zurückgelassen als ein paar absolut unglaubwürdige Gerüchte.

So bleibt es mir überlassen, unsere denkmalgeschützten Gene in ein neues Zeitalter zu retten. Das ist bedauerlich. Für mich. Vor allem aber für die Gene, die in mir den denkbar schlechtesten Botschafter gefunden haben. Leider deutet so einiges darauf hin: Ich bin nicht jenes neue Kapitel in der Familienchronik, das man sich mit Genuss zu Gemüte führt. Vielmehr bin ich wohl eher die enttäuschende Pointe einer Geschichte, deren größtes Vergehen darin besteht, dass sie viel zu lange gedauert hat. Einer meiner Vorfahren soll in der Schlacht von Marignano vierzig Franzosen mit seiner Hellebarde erschlagen haben. Wer zählt so was? Es ist die Ironie unserer Geschichte, dass sie nicht von einem ihrer vielen Helden beendet wird. Nicht vom glorreichen Alfred von Ärmel, dem Schlächter von Marignano, sondern von mir, dem Familiengnom, der noch nicht einmal beim Militär gewesen ist. Ich heiße zwar auch Alfred, doch wäre ich niemals in der Lage, auch nur einen schütteren Franzosen zu erschlagen. Das letzte Bild einer Familie gerät immer zur Karikatur.

Und doch ist noch etwas in mir von dieser alten Glut. Es ist die unumstößliche Gewissheit, zu etwas Großem berufen zu sein. Und ich meine damit nicht irgendwelche Franzosen. Ich rede von etwas anderem, Modernerem, Poetischerem. Leider habe ich es noch nicht gefunden, doch spüre ich es an der Art und Weise, wie die Luft sich verdichtet, wenn ich meinen Träumen nachhänge. Ruth! Oh, Ruth! Wir waren so nahe dran, das Traumpaar des Jahrhunderts zu werden. Und haben dann doch nur ein Mal zusammen getanzt. Es gibt Leute, die behaupten: Weniger ist manchmal mehr. Ich frage mich, wie sie auf diese Idee kommen. Weniger ist immer weniger. Und mehr ist immer mehr. Auf Wiedersehen, Ruth. Jedes Mal, wenn ich Kartoffelpüree esse, denke ich an dich.

Ich gehe weiter. Die Menschen sitzen so satt in ihrem Leben, dass man glatt die Hoffnung verlieren kann. Gibt es da überhaupt noch ein schönes Plätzchen für mich? Zusammenrutschen, Leute! Je länger dieses Leben dauert, desto mehr frage ich mich: Wird es ein gutes Ende mit Alfred von Ärmel nehmen?

ERSTER TEIL

DIE TÄTOWIERUNG

Meine Mutter war eine Frau von Welt. Man erkannte es an ihrem duftenden Haar und dem Rudel schnuppernder Verehrer in ihrem Rücken. Die von Ärmels galten als eine der vornehmsten Berner Familien. In meiner Kindheit gab es noch Leute, die uns auf der Straße salbungsvoll zunickten oder sogar salutierten. Ich erinnere mich noch gut, wie an meinem ersten Schultag der Lehrer unsere Namen an die Tafel schrieb. Bei meinem Namen schnappte er sich eine Buntkreide.

Ihre Kindheit und Jugend hatte Mutter überwiegend in Privatschulen, verteilt über den ganzen Globus, verbracht. Sie behauptete immer, sieben Sprachen fließend zu beherrschen.

»Aber was nützt mir das? In Bern?«

Durch die lange Zeit in all den vielen Ländern war sie später zu einer Fremden im eigenen Leben geworden, was sich in einer kühlen Distanz allem und jedem gegenüber äußerte. Ihre Bewunderer wollten darin ein Zeichen ganz besonderer Vornehmheit erkennen. Sie galt als die schönste Frau der ganzen Stadt. Und sie wusste es. Wenn sie sich auch selten mit solchen Details beschäftigte. Mit Kleinigkeiten gab sie sich nicht ab, und auch mit dem Denken nicht wirklich. Für ihren Geschmack war das eine viel zu profane Angelegenheit.

Statt zu denken, zog sie es vor, zu wirken.

Mit sechzehn lief sie an Weihnachten von zu Hause weg. Die ersten paar Tage bemerkte es niemand. Großmutter war viel zu beschäftigt, um Subtilitäten wie eine entflohene Tochter wahrzunehmen. Sie hatte sich kürzlich eine Husky-Zucht zugelegt und erzählte nun überall herum, die Huskys seien der Grund, warum sie lebe. Großmutter war stets auf der Suche nach solchen Gründen. Sie sammelte sie wie andere Leute Schneekugeln.

Ihr Mann, mein späterer Großvater, hatte schon vor langer Zeit vergessen, dass er eine Tochter hatte. Er war ein knallharter Armeeoffizier gewesen, der sich im Krieg bei der Grenzsicherung hervorgetan hatte. Wegen seiner Vorliebe für Gewaltmärsche hatten ihm seine Soldaten den Beinamen »Der Gnadenlose« verliehen. Später wurde der Name von meiner Großmutter weiterverwendet. Nach dem Krieg verlor er dann relativ schnell den Verstand, wobei böse Zungen behaupteten, dass er sowieso nie einen gehabt hätte. »Ich kenne diesen Mann nicht. Keine Ahnung, wer das ist«, pflegte Mutter über ihn zu sagen. Sowieso sprach sie selten von ihm, was nicht weiter erstaunlich ist: Es muss seltsam sein, einen Vater zu haben, der alle militärischen Dienstgrade auswendig weiß, nicht aber, wer seine Tochter ist.

Wenn Großvater Geburtstag hatte, gingen wir zum Mittagessen zu ihnen. Es war immer eiskalt im Haus. Großmutter heizte nur, wenn jemand Besonderes vorbeikam. Ich mochte diese Besuche nicht, denn wir mussten die Schuhe ausziehen und stattdessen Pantoffeln überziehen, die einen säuerlichen Geruch verströmten, den ich auch an meiner Großmutter bemerkte. In den ersten Jahren beschäftigte sie noch einen ältlichen Diener, der sehr bleich war und auch sonst einen ungesunden Eindruck machte. Er hustete oft und war dauernd verschnupft. Wahrscheinlich ein Ergebnis der eisigen Kälte, in der er die ganze Zeit servieren musste. Auch der Diener hatte diesen säuerlichen Geruch. Niemand kannte seinen Namen, auch meine Großmutter nicht. Natürlich hätte man ihn fragen können, doch aus irgendeinem Grund kam damals niemand von uns auf den Gedanken.

Zu essen gab es immer den gleichen Fisch, den Großmutter mit den Worten »Er schmeckt zwar nicht besonders, aber er nährt« ankündigte.

Großvater saß am Ende des Tisches. Immer trug er seine alte Armeeuniform, die voller Suppenflecken und anderer ominöser Kleckse war. Warum hat man die Uniform damals nie gewaschen? Jedenfalls sah er nicht mehr besonders gnadenlos aus, eher schien mir die Zeit gnadenlos mit ihm. War das nun die berühmte ausgleichende Gerechtigkeit?

Ich musste zu ihm gehen und ihm zum Geburtstag gratulieren. Wie jedes Mal, wenn er mich erkannte, nahm er meine Hand und fragte: »Wie viele Kilometer?«

Worauf ich antworten musste: »Fünfzig, Herr Kommandant.«

»Zu wenig«, kritisierte er. »Setzen.«

Mein zwei Jahre älterer Bruder Thomas, der schon damals raffinierter und mutiger war als ich, dachte sich jeweils eine originelle Antwort aus, um Großvater zu begeistern.

»Ich habe das Flugzeug genommen.«

»Sehr gut. Das gefällt mir«, lachte Großvater und klopfte Thomas anerkennend auf den Rücken. Daraufhin gab er ihm eine Zwanzigernote.

Wenn ich aber beim nächsten Mal »Ich habe das Flugzeug genommen« sagte, zog mich Großvater wütend am Ohr: »Du fauler Rotzbengel! Was fällt dir eigentlich ein?«

Ich mochte diese Besuche wirklich überhaupt nicht.

Während des Mittagessens war es mein Vater, der sich um Konversation bemühte. Dabei ignorierte er gekonnt, dass Großvater unmöglich in der Lage war, seinen Ausführungen zur Tagespolitik zu folgen, geschweige denn eine Ahnung hatte, wer mein Vater eigentlich war.

Mutter saß wortlos neben ihm und rührte ihre Suppe um. Sie rührte immer schneller, als ginge durch ihr Rühren die Zeit schneller vorbei.

Nachdem sie von zu Hause weggelaufen war, fehlte von ihr einen Monat lang jede Spur. Bis heute weiß keiner, wo sie in dieser Zeit gewesen ist. Doch als sie zurückkam, hatte sie eine riesige Tätowierung auf dem Rücken, die später der Grund dafür war, dass Vater nie mit uns ins Schwimmbad wollte. Die Tätowierung war ein gewaltiges Massaker, das das gesamte Farbspektrum abzudecken schien. Und dazu noch ein paar weitere Farben, die nur auf Mutters Rücken existierten. Trotzdem war ich der festen Überzeugung, dass die Tätowierung mehr darstellen musste. Ein Bild. Einen Gegenstand. Eine Geschichte.

Mit abstrakter Kunst konnte ich damals noch nicht viel anfangen.

»Was ist es, was ist es?«, fragte ich Mutter immer wieder. Und bettelte darum, mir die Tätowierung noch mal ansehen zu dürfen. Da stand ich schließlich und betrachtete das Massaker mit einer Akribie und Hingabe, wie sie mir kein Gemälde der Welt hätte entlocken können.

»Ist es ein Pfau?«

»Nein.«

»Aber diese Augen. Das ist doch ein Pfau.«

»Schluss damit! Anständige Kinder studieren nicht den Rücken ihrer Mutter.«

Sie mochte es nicht, wenn man sie auf diesen Monat in ihrer Vergangenheit ansprach. Diese Zeit blieb ihr Geheimnis. Dennoch gab es immer wieder kleine Zeichen, Bruchstücke, die eine, wenn auch unbefriedigende, Ahnung davon vermittelten, was sie damals möglicherweise gemacht haben könnte. Es waren gewisse Lieder, die sie manchmal vor sich hin sang, die eine Art Showcharakter hatten, so als singe sie auf einer Bühne und nicht in unserem Wohnzimmer.

Einmal äußerte ich kurz vor meinem Geburtstag den Wunsch nach einem Zauberkasten.

»Was fällt dir eigentlich ein?!«, schrie Mutter.

Zauberkasten, ein prima Geschenk für sympathische Kinder, würde man eigentlich denken. Doch offensichtlich vertrat Mutter da eine andere Position.

»Niemals!«

»Aber warum denn nicht?«

»Kinder wie du sollten nicht zaubern.«

Was blieb nach dieser ernüchternden Logik für einen im Leben noch zu tun? So hätte ich argumentieren können. Ich war so eingeschüchtert, dass ich nie wieder von Zauberkästen redete.

Einmal fragte ich sie direkt: »Was hast du in diesem Monat denn gemacht?«

Sie lächelte und sagte: »Ich habe wahnsinnig gut gegessen.«

Danach schmeckte mir eine Zeit lang das Essen nicht mehr.

Ein Andermal fragte ich sie: »Was ist passiert, als du wieder nach Hause kamst? Waren sie böse? Haben sie dich verprügelt?«

Ich fragte nicht ohne Grund. Als ich Großmutter zu Weihnachten ein paar selbst gehäkelte Topflappen geschenkt hatte, hatte sie in einer leidenschaftlichen Rede die Prügelstrafe für Kinder gefordert. Es konnte natürlich sein, dass sie diese Rede ganz ohne Bezug zu den Topflappen gehalten hatte. Manchmal hatte man ja einfach Lust auf eine leidenschaftliche Rede.

»Verprügelt?«

Mutter lachte ihr unwirkliches Lachen.

Als sie damals nach einem Monat zurückgekommen war, hatte in der Einfahrt ein rostrot funkelnder Viehtransporter gestanden. Einer der Husksys hatte Großmutter in den Oberschenkel gebissen. Nach diesem Eklat waren die Hunde natürlich nicht mehr der Grund, warum sie lebte. Sie kamen nach St. Moritz, wo sie bis zum Rest ihrer Tage gelangweilte Russen in Schlitten durch den Schnee ziehen mussten. Großmutter legte sich ein Aquarium mit kostbaren Fischen zu. Die Fische bissen sie zwar nicht in den Oberschenkel, waren aber, wie Großmutter bald herausfinden sollte, auch nicht der Grund, warum sie lebte.

In ihrem Zimmer fand Mutter den Abschiedsbrief, den sie einen Monat zuvor geschrieben hatte. Er lag ungeöffnet auf dem Kissen. Dort, wo sie ihn selber hingelegt hatte.

Später entwickelte Mutter ein Faible für amerikanische Straßenkünstler. Sie flog nach New York, nach Chicago und San Francisco, wo man diese Straßenkünstler »regelrecht wie Pilze« pflücken konnte.

Als sie in der Kunsthalle eine Vernissage für ein paar von ihnen organisierte, war ich noch ganz klein. Sie hatte die ganze Berner Schickeria zu dem Anlass eingeladen. Allesamt Männer, allesamt Bewunderer. Ich erinnere mich noch genau an den Abend, denn es war das erste und das letzte Mal, dass Großmutter zu unserer Betreuung abberufen wurde. Damals schwärmte ich für Mary Poppins, Großmutter aber hatte sich vorgenommen, als deren Antithese aufzutreten. Sie kam mit einem grotesken Hut und den Worten »Abmarsch ins Bett, und wer nicht spurt, der kann was erleben«. Um halb sieben lagen wir zitternd unter der Decke. Thomas hatte vor Großmutters Ankunft geprahlt, er werde an diesem Abend das Match der Young Boys im Fernsehen schauen und zwar beide Halbzeiten. Nun war von dieser Tollkühnheit nicht mehr viel zu spüren. Er lag im Bett über mir und zitterte nicht weniger.

»Thomas«, sagte ich, »wolltest du nicht die Young Boys schauen?«

»Halt die Klappe.«

In diesem Augenblick hörten wir Schritte im Flur. Bronchitische Atemgeräusche. Und dann waberte ein säuerlicher Geruch ins Kinderzimmer hinein.

»Schlaft ihr?«

Das war eine Fangfrage. Ich hielt den Atem an und dachte an meine Mutter. Ich stellte mir vor, wie sie in der Kunsthalle von ihren Verehrern umgarnt wurde. Da standen sie in schierer Ekstase, erpicht darauf, zumindest im duftenden Abglanz ihrer Aura zu stehen.

»Was für eine Frau«, riefen sie. »Welch eine Diva! Welch ätherisches Wesen!«

Da war der stadtbekannte Metzgermeister. Er hatte ihr einen saftigen Schinken mitgebracht, den er triumphierend durch die Ausstellungsräume schleppte. Derweil flüsterte ihr der knöchrige Herr Magnat, Mutters Leib- und Magenjuwelier, ins Ohr: »Ich habe da so ein Diadem bekommen. Teuflisch, wie gemacht für Ihr Schwanenhälschen.«

Alles gurrte und schnurrte und badete im Elixier meiner Mutter, von dem die Männer unserer Stadt einfach nicht genug bekommen konnten.

Irgendwann fragte jemand: »Wo sind eigentlich diese amerikanischen Straßenkünstler?«

»Draußen auf der Straße«, sagte Mutter.

Und als wäre dies eine sehr stimmungsvolle Erklärung, rief jemand: »Zum Wohl.«

Und das Fest ging weiter.

Währenddessen irrte Vater die Wände der Kunsthalle entlang. Er war der Einzige an diesem Abend, der sich die Bilder wirklich anschaute. Und nicht nur das. Er las auch alle Begleittexte. Erst auf Deutsch, dann auf Englisch. So kann man gleich seine Fremdsprachenkenntnisse aufbessern, sagte er sich. Nun aber hatte er wirklich alles gesehen, alles gelesen, und noch immer wollte dieser Abend kein Ende nehmen. Er hätte gerne ein Gespräch geführt, jedoch nicht mit diesen Menschen. Im Museumsshop hatte er sich erkundigt, ob sie auch Zeitungen verkauften. Die Verkäuferin hatte ihn so entgeistert angesehen, dass er sich zu einer Entschuldigung verpflichtet gefühlt hatte. Er balancierte seinen Arbeiterkörper durch die Ausstellung, wobei er versuchte, besonders lässig zu wirken. Doch taten ihm die Füße weh, und außerdem hatte ihn eine korpulente Dame gefragt, ob er einen Moment ihr Weinglas halten könne. Das war jetzt zwei Stunden her.

Schlag zehn hielt er es nicht länger aus, setzte sich ins Auto und hörte die Nachrichten. Zwanzig Kilometer stockender Verkehr vor dem Gubristtunnel. Er seufzte. Vor der Eingangstüre standen die amerikanischen Straßenkünstler und rauchten.

»How do you do?«, sprachen sie ihn an.

»Fine. Thank you«, reagierte Vater geschickt.

Einen Moment überlegte er, ob er vom stockenden Verkehr berichten sollte, wusste jedoch nicht, was stockender Verkehr auf Englisch hieß. Und dann sagte er sich, dass der Gubristtunnel für amerikanische Straßenkünstler wahrscheinlich sowieso nicht von großer Bedeutung war.

Er sehnte sich nach guten Gesprächen. Wenn es aber mal dazu kam, fühlte er sich gefangen, als trage er einen kratzigen Pullover, der außerdem zu klein war, und er verspürte den Drang, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden.

»Do you smoke?«, fragte einer der Straßenkünstler.

Vater schüttelte den Kopf.

»I have a pipe«, sagte er, eine Art Pfeife mit den Händen darstellend. »But I have forgotten it at home.«

Drinnen war Mutter gerade dabei, eine überlebensgroße Torte anzuschneiden, die ein bekannter Confiseur eigens für sie kreiert hatte.

»Ich habe mich gerade mit deinen amerikanischen Straßenkünstlern unterhalten«, raunte Vater ihr zu. »Das sind feine Kerle.«

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht mit ihnen reden«, schimpfte sie. »Es verwirrt dich nur.«

Als er die Toilette aufsuchte, kamen kurz nach ihm zwei Männer herein. Sie stellten sich nebeneinander am Pissoir auf und begannen, sich über Mutter zu unterhalten. Vater saß in seiner Kabine und hielt sich die Ohren zu. Doch seine Hände waren zu alt, zu schwach, zu durchlässig. Er hatte einfach zu viele Finger. Vielleicht lag es aber auch an seinen Ohren. Sie waren zu groß, viel zu groß. Da fiel ihm ein alter Trick ein, und er stimmte aus Leibeskräften ein Marschlied aus seiner Armeezeit an.

WIMPEL KANN MAN NIE GENUG HABEN

Mutter mochte es wie gesagt nicht, wenn ich sie auf ihre Tätowierung ansprach. Was sie aber wirklich hasste, war, wenn ich fragte, wie sie und Vater sich kennengelernt hatten.

So wie der Monat, als sie weggelaufen war, war auch die Beziehung mit meinem Vater ein großes Rätsel. Wie konnten diese beiden Menschen nur zusammen sein, es war doch ganz offensichtlich, dass sie überhaupt nichts gemeinsam hatten. Und trotzdem waren sie verheiratet. Nicht nur das. Sie hatten sogar zwei Kinder gezeugt. Diese beiden Menschen mussten einfach verrückt sein.

Bereits die Umstände, die zu ihrer ersten Begegnung geführt hatten, waren reichlich sonderbar. Das wiederum hatte mit meinem Vater zu tun. Sobald er irgendwo ins Spiel kam, begannen die Dinge sonderbar zu werden. Die Geschichte ist mir von verschiedener Seite bestätigt worden und könnte auch den Titel tragen Als ich mich aus purer Freundlichkeit zum Idioten machen ließ und dabei die Liebe meines Lebens kennenlernte.

Alles hatte damit angefangen, dass ein Bekannter meines Vaters im Sterben lag. Der Bekannte hieß Ruedi, und unter demselben Namen, nämlich als Clown Ruedi, pflegte er seit vielen Jahren bei Kindergeburtstagen, Firmenfesten oder Altersheimnachmittagen aufzutreten. Nun war er an Leberkrebs erkrankt, und man munkelte, er habe nur noch wenige Wochen zu leben. Vater und Ruedi waren nicht wirklich befreundet. Sie kannten sich aus dem Turnverein, wo sie manchmal noch ein Bier zusammen tranken. Eigentlich mochte Vater Ruedi nicht besonders, denn Ruedi war ein Schwätzer und Choleriker, der zu viel trank und danach zu Hause seine Frau verprügelte. Nun aber lag er im Krankenhaus, und wegen seines ruhigen Wesens, in dem sie die Weisheit eines Geistlichen zu erkennen glaubten, war Vater von den Turnvereinkollegen dazu auserkoren worden, Ruedi den letzten Besuch abzustatten.

Da saß er auf dem Besucherstuhl. Das Geschenk der Turnverein-Männer hatte er bereits überreicht. Es handelte sich um einen Früchtekorb. Der Turnverein schenkte immer einen Früchtekorb, egal, ob nun jemand heiratete, Geburtstag hatte oder, so wie Ruedi, im Sterben lag. Ein Früchtekorb passt immer, lautete der allgemeine Tenor.

Als Vater hereingekommen war, hatte er »Hallo« gesagt, und etwas später noch »Na, wie gehts?«. Seither hatte er nichts mehr gesagt. Er studierte seine Hände, als sehe er sie zum ersten Mal. An der Wand hing ein Kalender. Es war Mai. Nun stirbt der Ruedi also im Mai, dachte Vater.

»Bald kommt der Sommer«, bemerkte er fast flüsternd und wendete sich wieder seinen Händen zu.

Plötzlich hörte er Ruedi keuchen.

»Nicht sterben.«

»Was meinst du?«

»Clown Ruedi darf nicht sterben.«

»Natürlich«, rief Vater. Er war hochgesprungen. »Natürlich. Clown Ruedi wird nicht sterben.«

»Versprichst du mir das?«

»Ich verspreche es.«

Ruedis Hand war eiskalt, als Vater sie bewegt ergriff. In Ruedis Gesicht lachte schon der Tod. Es war ein schreckliches Gesicht, und für einen kurzen Augenblick glaubte Vater, das Gesicht eines Clowns vor sich zu haben.

»Clown Ruedi wird nicht sterben«, wiederholte er mit fester Stimme, so als ließe sich der Tod in die Schranken weisen, wenn man nur streng genug mit ihm redete.

Vermutlich hatte Ruedi allen Besuchern dieses Versprechen abgenommen. Mein Vater aber war der Einzige, der es auch wirklich ernst nahm.

In der Folge sah er sich vor ein Dilemma gestellt: Einerseits hatte er dem sterbenden Ruedi sein Versprechen gegeben, andererseits gab es kaum etwas, worauf er weniger Lust hatte als einen Auftritt als Clown. Er mochte Clowns nicht und fand sie lächerlich. Wenn sie im Fernsehen zu sehen waren, schaltete er sofort um.

Ruedi, rief er, als er wieder alleine zu Hause war, warum tust du mir das an? Warum ausgerechnet ein Clown? Warum konntest du kein Imker sein?

Vater liebte Bienen. Seit Jahren redete er davon, eine Ausbildung anzufangen, deshalb wäre es ihm ganz recht gewesen, wenn Ruedi einer gewesen wäre. Aber nein. Es waren nie die Imker, die starben, sondern immer die Clowns. Mit der Schminke, der Perücke und der roten Nase. Nur dass sie all dieses Zeug nicht mit sich nahmen, sondern auf der Erde zurückließen, auf dass irgendwelche anderen armen Seelen sich nun an ihrer Stelle lächerlich machten. Ein endloser Kreislauf.

Vater stand vor dem Spiegel. Er hatte sich geschminkt. Als er sein Gesicht im Spiegel sah, kam ihm wieder Ruedis schreckliche Grimasse im Krankenhaus in den Sinn, wie er den Tod darin hatte lachen sehen.

In diesem Augenblick klingelte es an der Tür. Vater wartete, doch das Klingeln wollte einfach kein Ende nehmen. Schließlich öffnete er. Vor ihm stand eine Frau in einem grünen Regenmantel. Schwarze Strümpfe. Dezent geschminkt. Sie war außer Atem.

»Kann ich Ihren Luftschutzbunker benutzen?«

»Wieso?«

»Es wird gleich ein Erdbeben geben.«

»Ein Erdbeben? Das glaube ich nicht.«

»Stehen Sie nicht dumm rum. Haben Sie einen Luftschutzbunker oder nicht?«

»Ja.«

»Dann kommen Sie.«

Also führte Vater die unbekannte Frau in seinen Luftschutzbunker, wo sie für die nächsten zwei Stunden saßen. Und plauderten. In diesen zwei Stunden redeten sie vielleicht so viel und unbeschwert wie danach nie wieder.

Irgendwann sagte die Frau: »Wollen wir nun wieder rausgehen? Ich glaube, unterdessen ist das Erdbeben vorbei.«

»Wie heißen Sie eigentlich?«

»Agnes von Ärmel.«

»Ich bin Ruedi … der Clown.«

Es dauerte eine Zeit, bis Mutter realisierte, dass Vater kein Clown war. Und es dauerte eine Zeit, bis Mutter wirklich realisierte, dass Vater kein Clown war. Und dann dauerte es noch einmal eine ziemlich lange Zeit, bis Mutter bereit war, zu realisieren, dass Vater Geschäftsführer einer Firma war, die Wimpel produzierte. Und zwar ausschließlich Wimpel.

»Wenn ihr wenigstens noch irgendetwas anderes produzieren würdet«, seufzte sie. »Käse. Oder Kuckucksuhren.«

Vater strahlte in die Runde. Wir saßen gerade beim Frühstück. Es war nicht das erste Mal, dass sie diese Diskussion führten. Und so begannen Thomas und ich genüsslich zu deklamieren: »Das Markenzeichen unseres Unternehmens ist gerade, dass wir Wimpel und nichts als Wimpel produzieren.«

Jetzt strahlte Vater noch mehr, während Mutter sich ganz der Melancholie hingab, mit lauter Verrätern zusammenzuleben.

Sie hatte sich in einen Clown verliebt und einen Wimpelproduzenten geheiratet. Es klang wie ein schlechter Witz, und mit jedem Jahr, das verging, schien die Pointe schrecklicher zu werden.

Warum aber hatte sie überhaupt einen Clown gewollt?

»Einfach nur so«, antwortete sie, wenn ich sie danach fragte.

Für Thomas und mich lag auf der Hand, dass dies eine Lüge war. Die wahre Geschichte hatte sich folgendermaßen zugetragen: Nachdem Mutter von zu Hause weggelaufen war, hatte sie sich einem Zirkus angeschlossen, wo es einen Clown gab, in den sie sich unsterblich verliebte. In unserer Version hieß der Clown allerdings nicht Ruedi, denn wir waren uns einig, dass man sich unmöglich in einen Menschen dieses Namens verlieben konnte. Unser Clown hieß Ernesto. Ein Bild von einem Mann. Außerdem war er natürlich mit einem umwerfenden Humor gesegnet. Mutters Tage mit Ernesto waren ein einziges Gelächter. Dann aber wurde er während einer Vorstellung von einem Löwen gefressen, einer Kindervorstellung, wohlgemerkt. Noch im Magen des Löwen soll Ernesto gelacht haben. Mutter trat die Flucht an, kehrte reuig nach Hause zurück, heiratete unseren Vater, wurde depressiv. Ende.

»Du darfst diese Geschichte niemandem erzählen«, schärfte mir Thomas ein.

»Natürlich nicht.«

Doch als wir in der Schule einen Aufsatz zum Thema Unsere Eltern schreiben mussten, sagte ich mir: Alfred, wäre es nicht eine Sünde, wenn der Welt diese fesselnde Anekdote aus dem Leben deiner Mutter vorenthalten bliebe?

Mutter war begeistert, nachdem die Lehrerin den Aufsatz mit dem Vermerk »Ich denke, das sollten Sie sich ansehen« nach Hause geschickt hatte.

»Ich liebe diese Geschichte«, frohlockte Mutter. »Ich liebe sie. Vor allem den Teil mit dem Löwen.«

Vater war etwas weniger begeistert.

»Das Thema lautet Unsere Eltern. Aber wo komme ich denn da vor?«

»Du bist das Ende der Geschichte, der depressive Teil«, informierte ihn Mutter.

»Und die Wimpel werden auch mit keinem Wort erwähnt.«

Mutter tätschelte mir den Kopf, so wie sie es nur ganz selten tat.

»Das ist das Beste daran. Das Allerbeste.«

Wimpel machten Mutter ratlos. Sie konnte einfach nicht verstehen, was daran derart fantastisch sein sollte und wie Menschen auf den Gedanken kommen konnten, sie zu produzieren. Manchmal kam sie zu mir und packte mich an der Schulter: »Sag du es mir. Was hat es mit diesen Wimpeln auf sich?«

Ich zuckte die Schultern. Auch ich wusste es nicht. Niemand wusste es. Und gerade das machte sie gefährlich.

Jahrelang war ich das Kind, das an Geburtstagen einen Wimpel mitbrachte. Nie wieder habe ich Vater so stolz erlebt, wie wenn er mich zu diesen Geburtstagspartys fuhr.

Wenn er mich ein paar Stunden später abholte, fragte er als Erstes: »Und? Was hat er zu dem Wimpel gesagt?«

»Er hat sich sehr gefreut.«

Ich log. Ich musste. Die Wahrheit, das spürte ich, hätte meinem Vater das Herz gebrochen. Die Wahrheit war: Niemand freute sich über Wimpel. Ein trauriger Nebeneffekt dieser anthropologischen Tatsache war, dass meine Beliebtheit unter meinen Klassenkameraden den absoluten Tiefstand erreichte. Bald wollte mich niemand mehr zu seiner Geburtstagsparty einladen.

»Aber warum?«, überlegte Vater. »Wo du doch immer diese tollen Wimpel bringst.«

Mein Vater liebte seine Arbeit. Er liebte die Ruhe. Und vor allem liebte er, dass er hier sein konnte, was er war und liebte: kein Clown. Sondern ein Mann, der Wimpel herstellte. Die Gedanken waren frei und durchsichtig. Nichts Unerwartetes konnte ihm hier widerfahren. Zu Hause sah er schon in jungen Jahren wie ein alter Mann aus. Auf der Arbeit hingegen schien er zu wachsen und sich zu verjüngen, ging aufrecht und sprach mit starker Stimme. Sein Wort wurde gehört und, anders als zu Hause, nicht sofort von allen parodiert. Er war der Boss.

Manchmal nahm er mich in die Firma mit. Dann lümmelten wir in seinem Büro rum, in dem immer der Geruch von kaltem Rauch hing. Zu Hause war es ihm verboten, auf der Arbeit tat er oft ganze Tage nichts anderes, als sich eine nach der anderen anzustecken. Aus der Schublade seines Schreibtisches nahm er zwei Brötchen, die in Alufolie eingepackt waren.

»Mit Salami«, zwinkerte er mir zu.

Bevor wir mit dem Essen anfingen, ließ er die Rollläden herunter, was unserem Gelage immer einen geheimnisvollen, fast verbrecherischen Ruch verlieh.

»Hier ist alles erlaubt«, sagte Vater.

Und wie zum Beweis legte er die Füße auf den Tisch.

»Weißt du«, verkündete er mit vollem Mund, »eines Tages wird das alles dir gehören.«

Ich hustete. Ich hatte mich verschluckt.

»Toll.«

Die Wahrheit war: Ich hatte bereits meine eigenen Pläne für die Zukunft gemacht. Es handelte sich um bedeutende Pläne, in denen Wimpel keine Rolle spielten. Ich wollte berühmt werden. Ein Held. So wie mein Vorfahre und Namensvetter Alfred von Ärmel, der Schlächter von Marignano. Zwar wollte ich nicht unbedingt ein Schlächter werden, aber doch so etwas in der Art. Der glorreichen Wege gab es viele, nur eines wusste ich mit Sicherheit: Keiner von ihnen verlief über Wimpel.

»Und was sagst du dazu?«, forderte mich Vater ungeduldig auf.

»Nun …«, begann ich diplomatisch.

Eigentlich hatte Vater davon geträumt, dass Thomas als der Ältere und Raffiniertere von uns beiden eines Tages die Firma übernehmen würde. Dann aber hatte die Familie herausgefunden, dass Thomas über sensationelle musikalische Fähigkeiten verfügte, die unmöglich an profane Wimpel verschwendet werden durften.

»Dein Bruder geigt, dass die Funken fliegen. Meine ganzen Hoffnungen ruhen auf dir«, erklärte Vater.

Thomas hatte einen genialen Ausweg aus dem Dilemma gefunden. Einen Moment überlegte ich, diesen Ausweg, wo er schon mal gefunden war, einfach ebenfalls zu nutzen. In meinem Spielzeugschrank fand ich die alte Blockflöte, auf der ich während ein paar deprimierender Monate herumgeblasen hatte. Damals jedoch war ich noch nicht verzweifelt gewesen, damals war ich noch frei gewesen. Ich fing also, so melodisch es mir möglich war, erneut zu flöten an. Obwohl ich ziemlich lange spielte, kam niemand herein, um mir zu gratulieren. Ich warf die Flöte in die Ecke und stand fortan mit der sogenannten Kunst auf Kriegsfuß.

Und plötzlich war alles vorbei. Mein Vater hatte die Geschäftsleitung an einen australischen Unternehmer namens Jack Spade abgetreten. Er setzte größte Hoffnungen in den Mann: »Dieser Jack Spade wird den Wimpel in eine neue Zukunft tragen.«

mich

»Dann sag mir, was, in aller Herrgottsnamen, was soll ich tun?«

Er murmelte etwas.

»Habe ich da etwa Imker-Kurs gehört?«

Er nickte bitter.

»Du weißt, was ich dir gesagt habe. Ich hasse Bienen. Sie stechen, ich bin bestimmt allergisch. Willst du, dass ich sterbe, nur damit du dein Imker-Diplom machen kannst? Warum fragst du nicht Frau Schranz?«

Frau Schranz war Vaters Assistentin gewesen. Sie war schon weit über achtzig. Früher hatte sie uns gelegentlich besucht. Doch seit sie im Pflegeheim lag, hatten wir sie nicht mehr gesehen. Es war eher unwahrscheinlich, dass man sie für einen Imker-Kurs begeistern könnte.

In diesem Augenblick sprang Thomas mit einem Satz auf, der seinen Stuhl zu Fall brachte. Er glühte vor Zorn.

»Ich hasse euch. Ich hasse euch alle. Und dich, Mutter, hasse ich am meisten.«

Lange Zeit war er ihr Liebling gewesen. Der Künstler. Das sensible Genie, das ganz nach ihr kam. Sie waren ein Herz und eine Seele gewesen. Doch in diesen Tagen zerbrach etwas zwischen ihnen und sollte nie wieder ganz werden.

»Setz dich, Thomas«, befahl Mutter mit ruhiger Stimme. »In dieser Familie bin ich diejenige mit den melodramatischen Ausbrüchen.«

Wütend stürmte Thomas davon.

»Und was kann ich für euch tun?«, fragte Mutter in die Runde.

Vater schüttelte den Kopf und sagte nichts, während ich sie bewundernd anschaute.

Der Pfau hatte gesprochen.