Vorwort

Immer noch wird mein Roman „Im Chat war er noch so süß“ oft in der Schule gelesen. Als ich ihn 2006 aber schrieb, gab es das große Angebot an sozialen Netzwerken wie heute noch gar nicht. Man chattete, wenn überhaupt, nur in Chatrooms.

Die technische Entwicklung ist in Riesenschritten vorangegangen. Längst kann man über sein Smartphone mit Menschen in aller Welt verbunden sein. Geblieben ist immer noch das große Risiko, das man eingeht, wenn man mit Unbekannten Kontakt aufnimmt. Die Anonymität macht es möglich, dass jemand vortäuscht, eine ganz andere Person zu sein.

So ist mein neuer K.L.A.R.-Roman „Online war er noch so süß“ eine Neuauflage des K.L.A.R.-Romans „Im Chat war er noch so süß“; sozusagen eine Version 2.0 – angepasst an die neuen Medien.

Bleibt weiterhin vorsichtig in den sozialen Netzwerken!

Liebe Grüße

Annette Weber

Wir sind auf dem Weg zur Sporthalle, da kommt er mir entgegen. Er ist ganz allein. Das kommt nur selten vor. Meist ist er von seinen Freunden umringt. Vor allem von vielen Mädchen.

Valentin Krell. Er ist unser Schülersprecher. Klasse 9. Groß, toller Body, mittelblonde, halblange Haare, ein bisschen Justin Bieber, aber nicht so gestylt. Valentin ist eben Sportler. Der hat es nicht nötig, sich so zurechtzumachen. Alle Mädels sind in ihn verliebt. Ich an erster Stelle.

Ich gehe neben Clara. Emma, Sofia und Emre sind vor uns. Emre hat den Ball. Er prellt ihn immer mal wieder auf den Boden. Das ist eigentlich verboten. Es ist schließlich ein teurer Volleyball und der muss gut behandelt werden. Aber Emre kümmert sich nicht darum. Jetzt dreht er sich zu mir um.

„Hier, Madita!“, ruft er. Und dann wirft er mir den Ball zu.

Eigentlich bin ich perfekt im Fangen. Ich bin echt sportlich. Besonders beim Volleyball bin ich fast unschlagbar. Aber diesmal … ich weiß auch nicht. Meine Hände greifen ins Leere. Das sieht bestimmt total ungeschickt aus. Der Ball fliegt an mir vorbei und – bäm! Direkt in Valentins Hände.

Die anderen lachen. Valentin grinst. Dann sieht er mich mitleidig an.

„Loser!“, sagt er.

Das ist wie ein Schlag in die Magengrube. Denn verdammt, er hat echt Recht. In der letzten Zeit bin ich ein ziemlicher Loser.

Beim Volleyballspiel der Schulmeisterschaften habe ich alles vergeigt. Auch in der Schule läuft im Moment nicht besonders viel. Die Mathearbeit habe ich verhauen. Mein Geschichtsreferat ist nur eine Vier geworden. Ich bin echt auf dem absteigenden Ast. „Valentin, gib den Ball wieder her!“, ruft Clara jetzt.

Valentin streckt sich und hebt den Ball, so hoch er kann.

„Hol ihn dir!“

Emma, Clara und Sofia rennen kreischend auf Valentin zu. Der lacht und wirft den Ball zu Emre. Dann geht er weiter.

Meine Freundinnen sind immer noch völlig aus dem Häuschen.

„Typisch Valentin! Der mischt sich überall ein“, regt sich Clara auf. Dabei sieht sie ganz verliebt aus.

„Irgendwie süß, der Typ, oder?“, meint nun Emma.

„Der erinnert mich so an Justin Bieber!“, quietscht Sofia. „Sooo süß.“

„Justin Bieber, diese behaarte Bifi!“, regt sich Emre auf. „Wenn der mit seinen Songs rüberkommt, kriege ich immer Keuchhusten.“

Und dann streckt er den Kopf in die Höhe und trällert: „As long as you love me …“

Er singt mit einer gepressten Kinderstimme. Sofia boxt ihn in den Rücken. „Halt die Klappe, Mann!“

„Hör auf“, sagt auch Clara genervt. „Deine Raucherlunge rasselt beim Singen.“

„Apropos rauchen …“

Emre lacht und zieht sich seine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Er drückt die Schachtel gegen den Mund und fischt sich mit den Lippen eine Zigarette heraus. Das ist total dreist. Aber auch irgendwie total cool. Emre ist erst 14 wie wir alle. Natürlich darf er nicht rauchen. Erst recht nicht auf dem Weg zur Turnhalle.

„Mann, Emre, pass auf!“, zischt Michael.

„Der Rausch ist da vorne.“

Herr Rausch ist unser Sportlehrer. Der kann verdammt sauer werden, wenn jemand gegen die Schulregeln verstößt.

„Dann nicht!“, knurrt Emre und schiebt die Zigarette in die Schachtel zurück.

✓✓

Ich lasse die anderen an mir vorbeigehen und betrachte sie nachdenklich. Sie sind alle witzig, so schräg und schlagfertig. So cool. Und ich? Ich sehe immer noch aus wie zehn. Ich bin mager wie eine Spaghetti, habe ein Gesicht wie Abby Cadabby aus der „Sesamstraße“ und mein Busen ist … naja, schon Busen dazu zu sagen, wäre total übertrieben. Ich sehe so kindlich aus, dass mir der Fleischer bei meinem letzten Einkauf eine Scheibe Wurst über den Tresen gereicht hat. Gott sei Dank hat das niemand gesehen.

Ist doch klar, dass sich kein Junge für mich interessiert. Erst recht nicht Valentin Krell. Jetzt dreht sich Clara um. Sie mustert mich.

„Madita?“, fragt sie verwundert. „Ist was?“

„Nee, schon gut“, sage ich schnell.

Nun drehen sich auch die anderen zu mir um.

„Geht es dir nicht gut?“, fragt mich Sofia.

„Doch, doch, alles gut“, rufe ich und beeile mich, hinter den anderen herzukommen.

Jetzt grinst Emre unverschämt.

„Ich glaube, die hat ihre Tage“, meint er.

Über den Spruch lachen sich alle total kaputt. Ist doch klar, dass ich die mit meinem Kinderkörper natürlich noch nicht habe! Hahaha, was für ein wahnsinniger Witz.

Ich koche vor Wut!

✓✓

An dem Tag begegnet mir Valentin Krell noch einmal – an der Bushaltestelle. Jetzt steht er wieder im Pulk mit seinen Freunden zusammen. Mich guckt er kein einziges Mal an.