CHARLES DARWIN

DER URSPRUNG
DER ARTEN

durch natürliche Selektion

oder

Die Erhaltung begünstigter Rassen
im Existenzkampf

Übersetzt von Eike Schönfeld
und mit einem Nachwort versehen
von Josef H. Reichholf

KLETT-COTTA

Impressum

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Klett-Cotta

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© 2018 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Lektorat: Jan Strümpel, Göttingen

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

unter Verwendung mehrerer Fotos von © bridgeman images

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Abdruck der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von John van Wyhe ed. 2002 – The Complete Work of Charles Darwin Online (darwin-online.org.uk)

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96115-7

E-Book: ISBN 978-3-608-11088-3

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Der deutschen Neuübersetzung liegt die 6. und letzte zu Darwins Lebzeiten erschienene Auflage seines Hauptwerks »On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life«, London: John Murray 1872 (Nachauflage 1876 mit weiteren kleinen Ergänzungen und Korrekturen) zugrunde. Für diese Auflage strich Charles Darwin das »On« aus dem Titel.

Die vorliegende Übersetzung versucht Darwins Original so gut wie möglich gerecht zu werden und soll gleichzeitig dem heutigen Leser zugänglich sein. Daher wurden zahlreiche lateinische Fachbegriffe eingedeutscht und fremdsprachige Passagen ins Deutsche übertragen. Das Glossar, das Darwin aufgrund zahlreicher Leserbeschwerden für die 6. Auflage anfertigen ließ, wurde dadurch obsolet. Das Register wurde vollständig neu verfasst.

Den Begriff »survival of the fittest« übernahm Darwin ab der 5. Auflage von 1869 ergänzend zu seinem zum Fachterminus gewordenen Begriff »natural selection« (natürliche Selektion) von dem britischen Sozialphilosophen Herbert Spencer. Gemeinhin wird »survival of the fittest« mit »Überleben des Stärksten« wiedergegeben. Das ist allerdings nur näherungsweise übersetzt: Die »fitness« eines Individuums umfasst bei Darwin den Grad der Anpassung an seine Umwelt sowie dessen relativen Fortpflanzungserfolg im Vergleich mit anderen Individuen seiner Art. Andere mögliche Annäherungen im Deutschen wären »Überleben des Fittesten« oder, wie in dieser Übersetzung, »Überleben der am besten Angepassten«.

Die Illustrationen wurden analog zur dänischen Erstausgabe von 1872 übernommen aus Charles Darwin: »The Variation of Animals and Plants Under Domestication«, London: John Murray, Vol. 1, 1868.

»Doch im Hinblick auf die materielle Welt können wir zumindest so weit gehen – wir können erkennen, dass Geschehnisse nicht durch einsame, in jedem einzelnen Falle vorgenommene Eingriffe göttlicher Macht herbeigeführt werden, sondern durch die Einsetzung allgemeiner Gesetze.«

Whewell: Bridgewater Treatise

 

»Die einzige eindeutige Bedeutung des Wortes ›natürlich‹ ist vorgegeben, festgelegt oder entschieden, denn was natürlich ist, bedarf ebenso eines intelligenten Mittlers und setzt diesen voraus, um es dazu zu machen, i.e., um es beständig oder zu bestimmten Zeiten zu bewirken, so wie das Übernatürliche oder Wunderbare es einmalig bewirkt.«

Butler: Analogy of Revealed Religion

 

»Folglich möge daher niemand aus einem flauen Dünkel der Ehrbarkeit oder falsch aufgefasster Mäßigung heraus glauben oder dafürhalten, ein Mensch könne im Buch von Gottes Wort oder im Buch der Werke Gottes, in Theologie und Philosophie zu weit forschen oder zu gut bewandert sein; vielmehr soll der Mensch in beiden zahllose Fortschritte und Fertigkeiten erstreben.«

Bacon: Advancement of Learning

Historischer Abriss

Der Entwicklung der Ansichten über den Ursprung der Arten vor Veröffentlichung der ersten Auflage dieses Werks

Im Folgenden gebe ich einen kurzen Abriss der Entwicklung der Ansichten über den Ursprung der Arten. Noch bis vor kurzem glaubten Naturforscher mehrheitlich, die Arten seien unwandelbare Wesen und jeweils getrennt voneinander geschaffen worden. Diese Auffassung haben viele Autoren sachkundig verfochten. Einige wenige Naturforscher hingegen sind der Ansicht, dass die Arten Modifikationen durchlaufen und dass die Lebensformen von heute aufgrund stetiger Zeugung Nachkommen zuvor existierender Formen sind. Lässt man Hinweise klassischer Autoren zum Thema außer Acht,* so war Buffon der erste Autor, der dies in der Moderne im Geist der Wissenschaft behandelt hat. Doch da seine Ansichten zu verschiedenen Zeiten stark schwankten und er sich zu den Ursachen oder Mitteln der Veränderung von Arten nicht äußert, brauche ich hier nicht auf Einzelheiten einzugehen.

Jean-Baptiste de Lamarck war der Erste, der mit seinen Feststellungen zu diesem Thema großes Aufsehen erregte. Der zu Recht gepriesene Naturforscher legte seine Ansichten erstmals 1801 vor. In seiner Philosophie zoologique von 1809 erweiterte er sie erheblich und erneut 1815 in der Einleitung zu seiner Histoire naturelle des animaux sans vertèbres. In diesen Arbeiten vertritt er die Lehre, dass alle Arten einschließlich des Menschen von anderen Arten abstammen. Ihm kam das bedeutende Verdienst zu, auf die Wahrscheinlichkeit aller Veränderung in der organischen wie der anorganischen Welt aufmerksam zu machen; diese sei die Folge einer Gesetzmäßigkeit und nicht wundersamen Eingreifens. Zu seiner Schlussfolgerung über die allmähliche Veränderung der Arten gelangte Lamarck wohl hauptsächlich durch die Schwierigkeit, Arten von Varietäten zu unterscheiden, durch die nahezu vollkommene Abstufung der Formen in manchen Gruppen und durch die Ähnlichkeit mit domestizierten Tieren und Pflanzen. Was die Mittel der Modifikation angeht, so sah er sie teils in der unmittelbaren Einwirkung äußerer Lebensbedingungen, teils in der Kreuzung schon bestehender Formen und insbesondere im Gebrauch und Nichtgebrauch, also den Auswirkungen von Gewohnheit. Dieser letzteren Kraft schreibt er offenbar all die schönen Anpassungen in der Natur zu wie den langen Hals der Giraffe, mittels dessen sie in den Ästen von Bäumen äsen kann. Ebenso glaubte er aber auch an ein Gesetz der fortschreitenden Entwicklung, und da somit alle Lebensformen fortschreiten, vertritt er zur Erklärung der gegenwärtigen Existenz einfacher Hervorbringungen die Ansicht, solche Formen würden heute spontan erzeugt.**

Étienne Geoffroy Saint-Hilaire hatte, so ist in der von seinem Sohn verfassten Vie zu lesen, schon 1795 den Verdacht, dass das, was wir Arten nennen, verschiedene Ausartungen derselben Gattung sind. Erst 1828 machte er seine Überzeugung publik, dass nicht seit dem Ursprung aller Dinge immer dieselben Formen bewahrt wurden. Geoffroy stützte sich, was die Ursache der Veränderung betraf, offenbar hauptsächlich auf die Lebensbedingungen, die »monde ambiant«. Mit Schlussfolgerungen hielt er sich zurück, und er glaubte auch nicht, dass heute bestehende Arten noch Modifikationen durchlaufen. Sein Sohn fügte hinzu: »Demnach ist dies ein Problem, dessen Lösung ganz allein der Zukunft vorbehalten ist, immer vorausgesetzt, dass sich die Zukunft seiner auch annimmt.«

1813 präsentierte Dr. William Charles Wells vor der Royal Society einen »Bericht über eine weiße Frau, deren Haut in Teilen der einer Negerin ähnelt«; veröffentlicht wurde sein Vortrag jedoch erst 1818 im Anhang seiner berühmten Two Essays upon Dew and Single Vision. In diesem Vortrag bekennt er sich eindeutig zum Prinzip der natürlichen Selektion. Es ist die erste bezeugte Anerkennung, aber er lässt sie lediglich für die Menschenrassen und allein für bestimmte Merkmale gelten. Nach der Bemerkung, Neger und Mulatten erfreuten sich einer Immunität gegenüber bestimmten Tropenkrankheiten, sagt er erstens, dass alle Tiere in gewissem Maß variieren, und zweitens, dass Landwirte ihre domestizierten Tiere durch Selektion verbessern. Dann fügt er hinzu, was in letzterem Fall »von der Kunst« gemacht sei, »scheint mit gleicher Wirksamkeit, wenngleich langsamer, durch Herausbildung von Varietäten der Menschheit, die der von ihnen bewohnten Region angepasst sind, von der Natur gemacht zu sein. Von den zufälligen Varietäten des Menschen, die wohl unter den ersten wenigen und verstreuten Bewohnern der mittleren Regionen Afrikas auftraten, wäre eine widerstandsfähiger gegenüber den Krankheiten des Gebiets als die anderen. Diese Rasse würde sich folglich vermehren, während die anderen abnähmen, nicht nur aufgrund ihrer Unfähigkeit, Krankheiten zu überstehen, sondern auch, weil sie sich im Wettbewerb mit ihren kräftigeren Nachbarn nicht behaupten könnten. Die Farbe dieser kräftigen Rasse wäre, wie ich nach dem bisher Gesagten für ausgemacht halte, dunkel. Doch aufgrund der weiter bestehenden Neigung zum Bilden von Varietäten würde im Lauf der Zeit eine dunklere und eine noch dunklere Rasse auftreten, und da die dunkelste die dem Klima am besten angepasste wäre, würde diese schließlich die am meisten verbreitete darstellen, wenn nicht gar die einzige Rasse der Region, in der sie aufgekommen war.« Sodann überträgt er diese Ansichten auf die weißen Bewohner kälterer Lebensräume. Ich bin Mr. Rowley aus den Vereinigten Staaten zu Dank verpflichtet, dass er mich über Mr. Brace auf obige Passage in Dr. Wells’ Arbeit hingewiesen hat.

Der ehrenwerte Reverend William Herbert, später Dekan von Manchester, stellt im vierten Band der Horticultural Transactions (1822) und in seiner Arbeit über die Amaryllidaceae (1837, S. 19, 339) fest, dass »gärtnerische Experimente ohne jede Möglichkeit der Widerlegung ergeben haben, dass botanische Arten lediglich eine höhere und beständigere Stufe von Varietäten sind«. Die gleiche Auffassung dehnt er auf Tiere aus. Der Dekan glaubt, einzelne Arten einer Gattung seien in einem ursprünglich höchst formbaren Zustand geschaffen worden, und dass diese hauptsächlich durch Kreuzung, doch ebenso durch Variation, alle unsere bestehenden Arten hervorgebracht hätten.

1829 bringt Professor Robert Edmond Grant im Schlussabsatz seines bekannten Vortrags über Schwämme (Edinburgh Philosophical Journal, Bd. XIV, S. 283) seine Überzeugung klar zum Ausdruck, dass Arten von anderen Arten abstammen und im Rahmen von Modifikation verbessert werden. Dieselbe Ansicht vertrat er in seiner 55. Vorlesung, erschienen 1834 in Lancet.

1831 veröffentlichte Patrick Matthew seine Arbeit über Schiffsholz und Baumzucht, worin er genau die gleiche Ansicht (auf die ich gleich noch komme) über den Ursprung der Arten vertritt wie Mr. Wallace und ich im Linnean Journal und wie sie im vorliegenden Buch erweitert dargelegt wird. Leider trug Mr. Matthew seine Ansicht nur sehr knapp in verstreuten Passagen im Anhang einer Arbeit zu einem anderen Thema vor, sodass sie erst wahrgenommen wurde, als Mr. Matthew selbst im Gardener’s Chronicle vom 7. April 1860 darauf hinwies. Die Unterschiede zwischen Mr. Matthews Ansicht und der meinen sind von keiner sehr großen Bedeutung: Er nimmt offenbar an, dass die Welt in stufenweisen Phasen nahezu ausgestorben und dann wieder neu bevölkert worden war, und er nennt als Variante, neue Formen könnten »ohne Vorhandensein jedweder Vorbilder oder Keime früherer Ansammlungen« hervorgebracht worden sein. Bei manchen Passagen weiß ich nicht, ob ich sie richtig verstanden habe, aber mir scheint, dass er der unmittelbaren Einwirkung der Lebensumstände großen Einfluss zumisst. Gleichwohl hat er die ganze Wirkkraft des Prinzips natürlicher Selektion erkannt.

Der berühmte Geologe und Naturforscher Leopold von Buch bekundet in seiner hervorragenden Physicalischen Beschreibung der Canarischen Inseln (engl. Ausgabe 1836, S. 147) eindeutig die Ansicht, dass Varietäten langsam zu beständigen Arten verändert werden, die zur Kreuzung nicht mehr in der Lage sind.

Rafinesque schrieb in seinem Buch New Flora of North America (1836, S. 6): »Alle Arten mochten einmal Varietäten gewesen sein, und viele Varietäten werden allmählich Arten, indem sie beständige, eigene Wesen werden«, fügt im weiteren Verlauf jedoch hinzu: »ausgenommen die ursprünglichen Typen oder Vorfahren der Gattung« (S. 18).

1843/44 hat Professor Samuel Stehman Haldeman (Boston Journal of Nat. Hist. U. States, Bd. IV, S. 468) kenntnisreich die Argumente für und wider die Hypothese der Entwicklung und Modifikation der Arten dargelegt. Er scheint der Veränderung zuzuneigen.

Die Vestiges of Creation erschienen 1844. In der zehnten, erheblich verbesserten Auflage (1853) schreibt der anonyme Autor (S. 155): »Das auf reifliche Überlegung gestützte Ergebnis lautet, dass die zahlreichen Reihen beseelter Wesen vom einfachsten und ältesten bis hin zum höchsten und jüngsten unter Gottes Vorsehung die Ergebnisse erstens eines den Lebensformen gewährten Impulses sind, der diese zu bestimmten Zeiten über Generationen durch Stufen der inneren Anordnung beförderte, die in den höchsten Zweikeimblättrigen und Wirbeltieren endeten, wobei diese Stufen gering an Zahl und allgemein durch Lücken organischer Art bestimmt sind, die uns praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Ähnlichkeiten bereiten; zweitens eines anderen, mit den Lebenskräften verbundenen Impulses, der im Laufe von Generationen dazu neigt, organische Strukturen aufgrund äußerer Umstände wie Nahrung, Art des Lebensraums und der meteorischen Kräfte zu modifizieren, welche die ›Anpassungen‹ der natürlichen Theologie sind.« Der Autor glaubt offenbar, dass die Struktur sich durch jähe Sprünge entwickelt, die äußerlich bedingten Einwirkungen aber allmählich verlaufen. Mit starker Betonung auf allgemeinen Grundlagen legt er dar, dass Arten keine unwandelbaren Hervorbringungen sind. Doch ich kann nicht erkennen, wie die beiden angenommenen »Impulse« die zahlreichen schönen wechselseitigen Anpassungen, die wir überall in der Natur sehen, wissenschaftlich erklären können; ich sehe nicht, dass wir damit zur Einsicht gelangen, wie etwa ein Specht zu seinen eigentümlichen Lebensgewohnheiten kam. Aufgrund seines kraftvollen, brillanten Stils hat sich dieses Werk sogleich sehr weit verbreitet, obwohl es in früheren Auflagen wenig akkurates Wissen und einen großen Mangel an wissenschaftlicher Umsicht offenbarte. Meiner Meinung nach hat es in diesem Land hervorragende Dienste geleistet, indem es auf das Thema aufmerksam machte, Vorurteile ausräumte und damit den Boden für die Aufnahme ähnlicher Ansichten bereitete.

1846 machte der altgediente Geologe Jean Baptiste Julien d’Omalius d’Halloy in einem zwar kurzen, doch hervorragenden Aufsatz (Bulletins de l’Acad. Roy. Bruxelles, Bd. XIII, S. 581) seine Ansicht publik, es sei wahrscheinlicher, dass neue Arten durch Abstammung mit Modifikation als jeweils separat geschaffen wurden. Der Autor verbreitete diese Ansicht erstmals 1831.

Professor Richard Owen schrieb 1849 (in Nature of Limbs, S. 86): »Die Idee des Grundtypus offenbarte sich in diversen derartigen Modifikationen auf diesem Planeten lange vor der Existenz der sie jetzt veranschaulichenden Tierarten. Welchen Naturgesetzen oder sekundären Ursachen die regelmäßige Abfolge und Weiterentwicklung solcher organischen Erscheinungen unterworfen war, wissen wir bislang nicht.« In seinem Vortrag vor der British Association 1858 spricht er (S. LI) vom »Grundsatz des anhaltenden Wirkens einer Schöpfungskraft oder des geordneten Werdens von Lebewesen«. Sodann (S. XC) fügt er nach einem Verweis auf die geographische Verbreitung hinzu: »Diese Erscheinungen erschüttern unseren Glauben an die Folgerung, dass der Kiwivogel Neuseelands und das Moorhuhn Englands auf ihren jeweiligen Inseln und für diese je eigene Schöpfungen waren. Auch sollte man sich stets in Erinnerung rufen, dass der Zoologe mit dem Begriff ›Schöpfung‹ einen Prozess meint, ›von dem er nichts weiß‹.« Diesen Gedanken erweitert er mit dem Zusatz, wenn Fälle wie das Moorhuhn »vom Zoologen als Beweis für die eigenständige Schöpfung dieses Vogels auf solchen Inseln und für sie angeführt werden, so sagt er damit vornehmlich, dass er nicht weiß, wie das Moorhuhn dorthin, und zwar ausschließlich dorthin, gelangt ist; mit dieser derart bekundeten Unwissenheit gibt er auch seiner Überzeugung Ausdruck, der Vogel wie die Inseln verdankten ihren Ursprung einer großen ersten Schöpfungstat.« Deuten wir diese alle im selben Vortrag formulierten Sätze einen nach dem anderen, so zeigt sich, dass dieser bedeutende Naturforscher 1858 sein Vertrauen darauf erschüttert sah, dass Kiwi und Moorhuhn erstmals in ihrer jeweiligen Heimat auftraten, »er weiß nicht, wie«, durch irgendeinen Vorgang, »er weiß nicht, welchen«.

Dieser Vortrag wurde gehalten, nachdem die Aufsätze von Mr. Alfred Russel Wallace und mir über den Ursprung der Arten, auf die gleich eingegangen wird, vor der Linnean Society gelesen worden waren. Bei Erscheinen der ersten Auflage dieses Werks war ich, wie viele andere auch, von Wendungen wie »das anhaltende Wirken einer Schöpfungskraft« so vollkommen irregeführt, dass ich Professor Owen zu den Paläontologen zählte, die von der Unveränderlichkeit der Arten fest überzeugt sind. Doch dies schien (Anat. of Vertebrates, Bd. III, S. 796) ein grotesker Irrtum meinerseits zu sein. In der letzten Auflage dieses Werks schloss ich – und dieser Schluss erscheint mir noch immer vollkommen gerechtfertigt – aus einem Absatz, der mit den Worten »Zweifellos ist die Typusform« usw. (ebd., Bd. I, S. XXXV) beginnt, Professor Owen räume ein, natürliche Selektion könne zur Herausbildung neuer Arten etwas beigetragen haben, was aber wohl ungenau und unbewiesen ist (ebd., Bd. III, S. 798). Auch habe ich Auszüge aus einem Briefwechsel zwischen Professor Owen und dem Herausgeber der London Review zitiert, denen zufolge es dem Herausgeber wie mir naheliegend erschien, Professor Owen nehme für sich in Anspruch, die Theorie der natürlichen Selektion noch vor mir verbreitet zu haben, worauf ich mich ob dieser Nachricht überrascht und befriedigt zeigte. Doch soweit es möglich ist, manche unlängst veröffentlichte Passagen (ebd., Bd. III, S. 798) zu verstehen, habe ich mich erneut teilweise oder ganz geirrt. Ich tröste mich damit, dass andere Professor Owens umstrittene Schriften ebenso schwer verstehen und miteinander in Einklang bringen können wie ich. Was die bloße Formulierung des Prinzips der natürlichen Selektion betrifft, so ist es ganz unwesentlich, ob Professor Owen mir zuvorgekommen ist, da, wie in diesem historischen Abriss gezeigt, Dr. Wells und Mr. Matthew uns beiden längst zuvorgekommen waren.

Isidore Geoffroy Saint-Hilaire nennt in seinen 1850 gehaltenen Vorträgen (zu denen in der Revue et Mag. de Zoolog., Jan. 1851, eine Zusammenfassung erschien) kurz den Grund für seine Annahme, dass spezifische Wesenszüge »vollkommen feststehen, und zwar bei jeder Art, solange diese sich im Milieu derselben äußeren Verhältnisse fortpflanzt. Sie unterliegen jedoch einem Wandel, sobald sich die Lebensumstände der Umwelt zu verändern beginnen.« »Im Ganzen lässt bereits die Beobachtung der wilden Tiere eine nur sehr eingeschränkte Veränderlichkeit der Arten erkennen. Die Versuche, die man mit gezähmten Wildtieren und umgekehrt auch mit verwilderten Haustieren gemacht hat, zeigen dies in einem noch viel klareren Licht. Außerdem stellen derartige Versuche unter Beweis, dass die erzeugten Verschiedenheiten die Gültigkeit von Gattungsunterschieden haben können.« In seiner Hist. Nat. Générale (Bd. II, S. 430, 1859) vertieft er ähnliche Schlussfolgerungen.

Einem unlängst publizierten Rundschreiben zufolge hat Dr. Henry Freke 1851 (Dublin Medical Press, S. 322) offenbar die Lehre vorgelegt, alle Lebewesen stammten von einer Urform ab. Die Grundlagen seiner Überzeugung und Behandlung des Themas unterscheiden sich vollkommen von den meinen, doch da Dr. Freke nun (1861) seine Abhandlung über »die Entstehung der Arten durch organische Ähnlichkeit« veröffentlicht hat, erübrigt sich der schwierige Versuch, meinerseits eine Vorstellung seiner Ansichten zu geben.

Herbert Spencer hat in einer Abhandlung (erstmals veröffentlicht in Leader, März 1852, dann wieder in seinen Essays, 1858) die Theorien der Schöpfung und der Entwicklung von Lebewesen mit beachtlichem Geschick und viel Überzeugungskraft gegenübergestellt. Anhand der Parallelen zu domestizierten Tieren, der Veränderung, denen die Embryonen zahlreicher Arten unterliegen, und des Prinzips einer allgemeinen Stufenfolge stellt er dar, dass die Arten modifiziert werden, und diese Modifikation schreibt er veränderten Umständen zu. Auch hat der Autor (1855) die Psychologie nach dem Prinzip des notwendigen Erwerbs jeder geistigen Kraft und Fähigkeit durch Abstufung behandelt.

1852 hat Charles Victor Naudin, ein angesehener Botaniker, in einem hervorragenden Aufsatz über die Entstehung der Arten (Revue Horticole, S. 102, danach teilweise erneut abgedruckt in den Nouvelles Archives du Muséum, Bd. I, S. 171) seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass die Arten ganz ähnlich wie gezüchtete Varietäten gebildet werden; letzterer Prozess ergebe sich aus der Fähigkeit des Menschen zur Selektion. Allerdings zeigt er nicht, wie Selektion in der Natur wirkt. Wie Dekan Herbert glaubt er, dass die Arten bei ihrer Entstehung formbarer waren als heute. Er legt Gewicht auf das, was er das Prinzip des Endzustandes nennt: »… eine geheimnisvolle Kraft, ganz unbestimmt; eine Schicksalsmacht für die einen, für andere eine Willensäußerung der Vorsehung, deren unaufhörliche Tätigkeiten zu allen Zeiten der Weltgeschichte auf sämtliche Lebewesen einwirkt. Sie bestimmt die Form, den Umfang und die Lebensdauer jedes einzelnen Wesens. Das ist ihr eigentlicher Zweck in der Daseinsordnung, deren Teil sie ist. Es ist diese Kraft, die eine Harmonisierung jedes einzelnen Gliedes mit dem größeren Ganzen herbeiführt. Dabei eignet sie sich eine Funktion an, die sie im gesamten Organismus der Natur auszufüllen hat, eine Aufgabe, die für sie der Daseinszweck ist.«***

1853 hielt der berühmte Geologe Alexander von Keyserling (Bulletin de la Soc. Geolog., 2. Ser., Bd. X, S. 357) es für möglich, dass ebenso wie neue Krankheiten entstanden und sich weltweit verbreiteten, als deren Auslöser irgendein Miasma angenommen wird, zu manchen Zeiten die Keime bestehender Arten durch sie umgebende Moleküle bestimmter Beschaffenheit chemisch beeinflusst wurden und so neue Formen entstehen ließen.

Im selben Jahr 1853 veröffentlichte Dr. Hermann Schaaffhausen eine hervorragende Schrift (Verhandl. des Naturhist. Vereins des Preuß. Rheinlands usw.), in der er die fortschreitende Entwicklung organischer Formen auf der Erde vertritt. Er nimmt an, dass viele Arten über lange Zeiten hinweg gleich geblieben sind, während einige wenige modifiziert wurden. Dass sich die Arten unterscheiden, erklärt er mit der Zerstörung von Zwischenstufen. »Somit sind existierende Pflanzen und Tiere von den ausgestorbenen nicht durch neue Schöpfungen getrennt, sondern müssen als deren Abkömmlinge aufgrund kontinuierlicher Fortpflanzung betrachtet werden.«

Der bekannte französische Botaniker Henri Lecoq schreibt 1854 (Etudes sur Géograph. Bot., Bd. I, S. 250): »Man sieht, dass unsere Nachforschungen über die Beständigkeit oder die Veränderlichkeit der Arten uns unmittelbar zu jenen Vorstellungen führen, die zwei zu Recht berühmte Männer, Geoffroy Saint-Hilaire und Goethe, bereits ausgesprochen haben.« Einige andere verstreute Passagen in Lecoqs umfassendem Werk nähren jedoch Zweifel, inwieweit er seine Ansichten auf die Modifikation der Arten überträgt.

Die Philosophie der Schöpfung wurde von Rev. Baden Powell meisterlich in seinem Essay on the Unity of Worlds (1855) behandelt. In überaus eindrucksvoller Weise legt er dar, dass die Einführung neuer Arten »kein zufälliges, sondern ein regelmäßiges Phänomen« ist oder, wie Sir John Herschel es formuliert: »ein natürlicher im Gegensatz zu einem übernatürlichen Prozess«.

Der dritte Band des Journal of the Linnean Society enthält von Mr. Wallace und mir am 1. Juli 1858 gehaltene Vorträge, worin, wie in den einleitenden Bemerkungen zum vorliegenden Band erklärt, die Theorie der natürlichen Selektion von Mr. Wallace mit bewundernswerter Kraft und Klarheit dargelegt wird.

Karl Ernst von Baer, der bei allen Zoologen hochangesehen ist, äußerte um das Jahr 1859 (siehe Prof. Rudolph Wagner, Zoologisch-Anthropologische Untersuchungen, 1861, S. 51) seine vornehmlich auf den Gesetzen der geographischen Verbreitung gründende Ansicht, dass heute vollkommen eigenständige Formen von einer einzigen Elternform abstammen.

Im Juni 1859 hielt Professor Thomas Henry Huxley vor der Royal Institution eine Vorlesung über die »Bleibenden Typen des Tierlebens«. Mit Bezug auf derlei Fälle bemerkt er: »Es ist schwierig, die Bedeutung solcher Tatsachen zu begreifen, wenn man annimmt, dass jede Tier- und Pflanzenart oder auch jeder große Typus der inneren Anordnung über lange Zeiträume hinweg von einem jeweils eigenen schöpferischen Akt geformt und auf das Antlitz der Erde gebracht wurde. Auch tut man gut daran zu bedenken, dass eine solche Annahme in der Überlieferung oder Offenbarung keinerlei Stütze findet, wie sie sich auch der allgemeinen Analogie der Natur entgegenstellt. Betrachten wir andererseits ›Bleibende Typen‹ in Bezug auf die Hypothese, der zufolge die zu irgendeiner Zeit lebenden Arten das Ergebnis der allmählichen Modifikation zuvor existierender sind – eine Hypothese, die zwar unbewiesen ist und der einige ihrer Anhänger leider Schaden zugefügt haben, aber doch die einzige, die sich von der Physiologie stützen lässt –, so zeigt ihre Existenz offenbar, dass die Menge an Modifikationen, die Lebewesen im Laufe der geologischen Zeit durchlaufen haben, nur sehr gering ist im Verhältnis zur gesamten Serie erfahrener Veränderungen.«

Im Dezember 1859 veröffentlichte Dr. Joseph Dalton Hooker seine Einführung in die australische Flora. Im ersten Teil dieses großartigen Werks bestätigt er die Richtigkeit von Abstammung und Modifikation der Arten und stützt diese Lehre durch viele neue Beobachtungen.

Die erste Auflage dieses Werks erschien am 24. November 1859, die zweite am 7. Januar 1860.

* Nachdem Aristoteles angemerkt hat, der Regen falle nicht, damit das Getreide wachse, ebenso wenig wie er falle, damit dem Bauer das Getreide verderbe, wenn er’s im Freien drischt, verwendet er in seinen Physicae auscultationes (Buch 2, Kap. 8, S. 2) ebendiese Schlussfolgerung für den Körperbau und fügt hinzu (Mr. Clair Grece hat mich auf diese Passage hingewiesen): »Was demnach steht dem im Wege, dass auch die Teile [des Körpers] in der Natur sich ebenso (zufällig) verhalten, dass z.B. die Zähne durch Notwendigkeit hervorwachsen, nämlich die vorderen schneidig und tauglich zum Zerteilen, hingegen die Backenzähne breit und brauchbar zum Zermalmen der Nahrung, da sie ja nicht um dessen willen so werden, sondern dies eben nebenbei erfolgt: und ebenso auch bei den übrigen Teilen, bei welchen das um eines Zweckes willen Wirkende vorhanden zu sein scheint; und die Dinge dann nun, bei welchen alles Einzelne gerade so sich ergab, als wenn es um eines Zweckes willen entstünde, diese hätten sich, nachdem sie grundlos von selbst in tauglicher Weise sich gebildet hätten, auch erhalten; bei welchen aber dies nicht der Fall war, diese seien schon zugrunde gegangen und gingen noch zugrunde.« [Dt. Übersetzung von Carl Prantl] Hier sehen wir schon eine Andeutung des Prinzips der natürlichen Selektion, doch wie wenig Aristoteles das Prinzip vollkommen verstand, zeigt sich an seinen Bemerkungen zur Ausbildung der Zähne.

** Das Datum von Lamarcks erster Veröffentlichung habe ich Isidore Geoffroy Saint-Hilaires (Hist. Nat. Générale, Bd. II, S. 405, 1859) hervorragender Geschichte der Meinungen zu diesem Thema entnommen. Dieses Werk enthält auch eine vollständige Darstellung von Buffons Folgerungen dazu. Es ist eigenartig, wie sehr mein Großvater Dr. Erasmus Darwin Lamarcks Auffassungen und irrige Standpunkte in seiner 1794 erschienenen ZoonomiaGoethe als Naturforscher