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Biomechanik und Physiotherapie für Pferde


Ich danke meiner Familie,
besonders meinen Töchtern Kristin und Malin.
„Euch möchte ich dieses Buch widmen.
Euer Verständnis und eure Unterstützung,
wenn „Mamma“ wieder am Buch arbeiten musste,
waren fantastisch. Ich verspreche euch, jetzt, wenn
das Buch fertig ist, werden wir alles nachholen.
Das Erste, was wir machen:

Wir fahren nach Rom!“

Biomechanik
und Physiotherapie

für Pferde

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2009 FNverlag der Deutschen Reiterlichen Vereinigung GmbH, Warendorf Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54, Abs.2, UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen.

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ISBN 978-3-88542-939-5

Vorwort Bettina Hoy
Vorwort (4. Auflage) Victoria Max-Theurer.
Einleitung
1. Physiotherapie für Pferde
1.1 Wieso dieser Trend zur Physiotherapie im Pferdesport?
1.2 Wann und wo kann die Physiotherapie eingesetzt werden?
1.2.1 Rücken- und Halsprobleme
1.2.2 Unnatürliche Kopf- und Schweifhaltung
1.2.3 Gelenkblockaden
1.2.4 Instabilität des Körpers
1.2.5 Sehnen-, Bänder- und Muskelverletzungen
1.2.6 Muskelschwund und Muskelzunahme
1.2.7 Organische Störung
1.2.8 Zahnprobleme
1.2.9 Wund- und Narbengewebe
1.2.10 Lahmheiten (mit ungeklärter Ursache)
1.3 Allgemeine reiterliche Schwierigkeiten
1.3.1 Andauernde Steifheit
1.3.2 Widersetzlichkeit
1.3.3 Leistungsverschlechterung
1.3.4 Headshaking
1.3.5 Zungenspiel, knirschende Zähne
1.3.6 Taktfehler
1.4 Wie kommt es zu Verletzungen und Verspannungen?
1.4.1 Trauma
1.4.2 Hufstellung und Beschlag
1.4.3 Ausrüstung
1.4.4 Überlastung
1.4.5 Stallhaltung
1.4.6 Aufwärm- und Entspannungsphase
1.4.7 Reiterliches
1.5 Ziel der Physiotherapie – Was kann Physiotherapie?
1.5.1 Durchblutungs- und Stoffwechselsteigerung
1.5.2 Vermeiden/Lösen von Verklebungen
1.5.3 Entspannung
1.5.4 Schmerzlinderung
1.5.5 Wiederherstellung der Mobilität
1.5.6 Wiederherstellung der Belastbarkeit
1.5.7 Vorbeugung
2. Die Anatomie des Bewegungsapparates
2.1 Der „passive” Bewegungsapparat
2.1.1 Knochen
2.1.2 Gelenke
2.1.2.1 Gelenkknacken
2.1.3 Skelett
2.2 Der „aktive” Bewegungsapparat
2.2.1 Gelenkkapseln
2.2.2 Gelenkbänder
2.2.3 Muskeln
Muskelaufbau
Muskeln und Sehnen
Bindegewebe/Faszie
Die Mechanik der Faszie
Muskelarbeit
Muskelfaserarten
Kontraktionsformen
Belastungsgrenze
Muskelkater
Muskeltonus (Die Grundspannung)
Muskelzusammenspiel
3. Biomechanik
3.1 Kopf
3.1.1 Die Schädelbewegung – PAM
3.1.2 Kiefergelenk
3.1.3 Zungenbein
3.2 Wirbelsäule
3.2.1 Die Krümmung der Wirbelsäule
3.2.2 Das Nackenband
3.2.3 Die Tragfähigkeit des Pferdes
3.2.4 Die Beweglichkeit der Wirbelsäule
3.2.5 Die Muskeln der Wirbelsäule
Die tiefen, kurzen Muskeln der Wirbelsäule
Die großen, langen Muskeln der Wirbelsäule
Bauchmuskeln
Lendenmuskeln
3.2.6 Eine Blockade in der Wirbelsäule
3.3 Halswirbelsäule
3.3.1 Das Genick
Biomechanik des Genicks
Die Muskeln des Genicks
Blockaden im Genick
3.3.2 Die Halswirbelsäule (3. bis 7. Halswirbel)
Biomechanik des Halses
Die Muskeln des Halses
Kopf- und Halsstrecker (Heber)
Kopf- und Halsbeuger (Senker)
Blockaden im Hals
3.4 Brustwirbelsäule und Brustkorb
3.4.1 Biomechanik der Brustwirbelsäule
3.4.2 Die Muskeln der Brustwirbelsäule und des Brustkorbs
3.4.3 Blockaden in der Brustwirbelsäule
3.5 Lendenwirbelsäule
3.5.1 Biomechanik der Lendenwirbelsäule
3.5.2 Muskulatur der Lendenwirbelsäule
3.5.3 Störungen der Lendenwirbelsäule
3.6 Die Gliedmaßen
3.6.1 Hinterhand
3.6.1.1 Kreuzdarmbeingelenk
Biomechanik des Keuzdarmbeingelenks
Das Kreuzbein
Das Becken
Störungen im Kreuzdarmbeingelenk
3.6.1.2 Hüftgelenk
Biomechanik des Hüftgelenks
Störungen im Hüftgelenk
3.6.1.3 Kniegelenk
Biomechanik des Kniegelenks
Störungen im Kniegelenk
3.6.1.4 Sprunggelenk
Biomechanik des Sprunggelenks
Störungen des Sprunggelenks
3.6.1.5 Die Zehengelenke
3.6.1.6 Die Muskulatur der Hinterhand
Die Vorführer der Hintergliedmaße
Die Rückführer der Hintergliedmaße
Die innen gelegenen Ober- schenkelmuskeln (Adduktoren)
3.6.2 Die Vorhand
3.6.2.1 Biomechanik der Vorhand
Obere Vorhand
Schulterblatt
Schultergelenk
Ellenbogengelenk
Muskulatur der oberen Vorhand
Rumpfträger
Gliedmaßenträger
Vorführer der Gliedmaße
Rückführer der Gliedmaße
Untere Vorhand
Karpalgelenk
Zehengelenke
Muskulatur der unteren Gliedmaßen
Die Beuger der unteren Gliedmaßen
Die Strecker der unteren Gliedmaßen
4 Nervensystem
4.1 Die Anatomie des Nervensystems
4.1.1 Das zentrale Nervensystem
4.1.2 Das periphere Nervensystem
Die sensiblen Nervenzellen
Die motorischen Nervenzellen
Propriorezeptoren (Stellreflex)
4.1.3 Das autonome/vegetative
Nervensystem
Der Sympathikus
Der Parasympathikus
4.2 Das Nervensystem und die Bewegung
5. Beobachtung
5.1 Allgemeine Inspektion im Stand
5.2 Detaillierte Inspektion im Stand
5.2.1 Beobachtung von vorne
5.2.2 Im Stand von der Seite
5.2.3 Im Stand von hinten
5.2.4 Im Stand von oben
5.3 In der Bewegung
5.3.1 Die Hinterhand im Schritt
5.3.2 Die Vorhand im Schritt
5.3.3 Von der Seite im Schritt
5.3.4 In engen Wendungen im Schritt
5.3.5 Beim Rückwärtsrichten
5.4 Beobachtung im Trab
5.5 An der Longe im Trab
5.6 An der Longe im Galopp
5.7 Beobachtung beim Reiten
6. Palpation
6.1 Praxis am Pferd
6.2 Wie stark dürfen Sie drücken?
6.3 Mit welchen Griffen tasten Sie ab?
6.4 Auslösen eines Schmerzes
6.5 Wie soll sich ein entspannter Muskel anfühlen?
6.6 Los geht‘s!
7. Massage – die Kunst, mit den Händen zu heilen
7.1 Wirkung der Massagen
7.2 An welchem Platz massieren Sie idealerweise?
7.3 Womit massieren Sie?
7.4 Wie stark soll der Massagedruck sein?
7.5 Wie oft sollen oder dürfen Sie massieren?
7.6 Wie lange dürfen Sie massieren?
7.7 Wann genau sollen Sie massieren – vor oder nach der Arbeit?
7.8 Das erste Mal!
7.9 Schmerz oder Unwohlsein
7.10 Sind Nebenwirkungen möglich?
7.11 Wann dürfen Sie nicht massieren?
7.12 Massage in der Praxis
7.13 Griffauswahl
1. Ausstreichungen
2. Fingerausstreichungen
3. Kompressionen
4. Knetungen
5. Verwindung
6. Direkter Druck
7. Zirkelung
8. Schüttelung/Vibration
9. Klopfung/Hacken
7.14 Spezial-Massage
7.14.1 Der Kopf
7.14.2 Die Gliedmaßen
7.14.3 Der lange Rückenmuskel und der Bauchmuskel
8. Mobilisation und Dehnung
8.1 Wodurch kommt es zu einer Weichteilverkürzung?
8.2 Mobilisation
8.3 Aktive Dehnung
8.4 Passive Dehnung
8.5 Der Dehnreflex
8.6 Wann soll mobilisiert/gedehnt werden?
8.7 Wie oft soll mobilisiert/gedehnt werden?
8.8 Wie lange soll mobilisiert/gedehnt werden?
8.9 Wann darf nicht mobilisiert/gedehnt werden?
8.10 Wie darf nicht mobilisiert/gedehnt werden?
8.11 Gibt es Nebenwirkungen?
8.12 Die Ausführung
8.13 Ein Hinweis für Sie!
8.14 Die Wirkung von Mobilisation und Dehnung
8.15 Übungen zur Mobilisation und Dehnung
8.16 Mobilisation – Übungen
8.16.1 Mobilisation der vorderen Gliedmaße
8.16.2 Mobilisation der hinteren Gliedmaße
8.16.3 Mobilisation des Kiefergelenks
8.16.4 Mobilisation der Wirbelsäule
Mobilisation vom Kopf, Genick und Hals in Beugung
Mobilisation von Kopf, Genick und Hals in Längsbiegung
Mobilisation von Kopf, Genick und Hals in Streckung
Mobilisation von Brust- und Lenden- wirbelsäule in Aufwölbung
Aufwölben des Rückens
Aufwölben des Widerristes
Aufwölben der Brust- und Lendenwirbelsäule
Mobilisation der Brust- und Lendenwirbelsäule in Streckung
Mobilisation des Schweifs
8.17 Dehnung – Übungen
8.17.1 Dehnung der vorderen Gliedmaße
Dehnung der Vordergliedmaße nach vorne
Dehnung der Vordergliedmaße nach hinten
Dehnung der Vordergliedmaße nach außen
Dehnung der Vordergliedmaße nach vorne gekreuzt
Dehnung der Vordergliedmaße nach hinten gekreuzt
8.17.2 Dehnung der hinteren Gliedmaße
Dehnung der hinteren Gliedmaße nach vorne
Dehnung der hinteren Gliedmaße nach hinten
Kreuzen der hinteren Gliedmaße unter dem Bauch
Dehnung der hinteren Gliedmaße nach außen
8.17.3 Dehnung des Schweifs nach hinten
9. Stabilisation/Kräftigung
9.1 Was ist körperliche Stabilität?
9.2 Wie kommt es zur Instabilität?
9.3 Wann soll stabilisiert werden?
9.4 Wie oft und wie lange?
9.5 Wann dürfen keine Kräftigungsübungen durchgeführt werden?
9.6 Übungen zur Stabilisation/Kräftigung
9.6.1 Stabilisation der Vorhand
Aufwölben des Widerrists
Gewicht auf die Vorhand verlagern
9.6.2 Stabilisation der Hinterhand
Kräftigung der Bauch- und Oberschenkelmuskulatur
Am Schweif ziehen
Gewicht auf die Hinterhand verlagern
10. Physikalische Therapien
10.1 Eistherapie
10.2 Wassergüsse
10.3 Wärmetherapie
10.3.1 Fango
10.3.2 Heiße Rolle
10.3.3 Solarium
10.4 Matrix-Rhythmus-Therapie
10.5 Magnetfeldtherapie
10.6 Laser
10.7 Ultraschall
10.8 Muskelstimulator
10.9 TENS
10.10 Mittelfrequenz-Therapie
10.11 Kinesiotaping
11. Rehabilitation
11.1 Passive Rehabilitation
11.2 Aktive Rehabilitation
11.3 Der Plan
11.4 Gezielte Rehabilitation
11.5 Möglichkeiten der aktiven Rehabilitation
11.5.1 Equicore-Bänder
11.5.2 Longieren
11.5.3 Doppellonge
11.5.4 Longierzirkel/Roundpen
11.5.5 Führanlage
11.5.6 Laufband
11.5.7 Reiten
12. Vorbeugende Maßnahmen
12.1 Anbinden
12.2 Sattel
12.2.1 Satteltest
12.3 Sattelunterlage
12.4 Sattelgurt
12.5 Trense
12.6 Hilfszügel
12.6.1 Was passiert, wenn Sie mit Schlaufzügeln reiten?
12.6.2 Hilfszügel zur Unterstützung
12.7 Zähne
12.8 Beschlag
12.9 Aufsitzen
12.10 Aufwärmen
12.11 Abkühlen
Anatomietafeln (von Skelett und Muskulatur)
Glossar
Stichwortverzeichnis
Danke
Literaturempfehlungen aus dem FNverlag
Fachliteratur/Fotonachweis

Vorwort von Bettina Hoy

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Seit dem Erscheinen von Helles erstem Buch, für das ich ebenfalls das Vorwort schreiben durfte, sind einige Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich das Thema Physiotherapie für Pferde im Leistungs- und Freizeit- sport fest etabliert. Der Einzug der Physiotherapie in den Pferdesport war ein Meilenstein für die Vorbeugung und Behandlung von Weichteilverletzungen und somit für die Optimierung der Pferdehaltung.

Ich erinnere mich noch gut an das Jahr 1996, als ich Helle Kleven bei einem Vorbereitungslehrgang für die Olympischen Spiele kennengelernt habe. Ich war sofort begeistert. Schnell war zu erkennen, wie wichtig und hilfreich die praktischen Übungen wie Massage und Dehnungsübungen sind. Ich habe gemerkt, welche positiven Auswirkungen diese Behandlungsformen bei regelmäßiger Anwendung haben.

Später habe ich auch in England immer mit Pferde-Physiotherapeuten zusammengearbeitet. Im Training, um etwaigen Problemen vorzubeugen, aber auch auf Turnieren. Ich habe festgestellt, dass meine Pferde dadurch leistungsfähiger und entspannter sind und Verletzungen am Bewegungsapparat vermindert und vorgebeugt werden. Sollte ein Pferd dennoch einmal eine verletzungsbedingte Pause haben, wird die Rekonvaleszenz durch physiotherapeutische Maßnahmen hervorragend unterstützt. Mittlerweile verfügt wohl jedes ernst zu nehmende Team sowie die meisten international tätigen Turnierreiter über einen Physiotherapeuten im medizinischen Betreuungsteam.

Das vorliegende Buch ist nun auch um den äußerst wichtigen Bereich der Biomechanik, die Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates, erweitert worden. Die Biomechanik ist im Humansport ein fester Bestandteil der Sportwissenschaft und hilft unter anderem, Bewegungsabläufe zu verbessern. Ich freue mich, dass solche Erkenntnisse jetzt auch dem Pferdesport zur Verfügung stehen.

Mit dem Wissen über die richtigen Bewegungsabläufe werden Reiter und Trainer in die Lage versetzt, die Entwicklungserfolge sowie die Belastbarkeit des Pferdes zu erkennen und das Training und den Ausbildungsweg gegebenenfalls anzupassen. Dies gilt für alle Bereiche des Reitsports, ob Freizeit- oder Profisport.

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Bettina Hoy

Vorwort von Victoria Max-Theurer

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Menschliche Spitzensportler haben schon lange den Nutzen der trainingsbegleitenden Physiotherapie erkannt. Auch im Pferdesport hat sie in den vergangenen Jahren einen immer größeren Stellenwert erlangt. Meine Familie und ich lassen unsere Pferde schon sehr lange von einem Physiotherapeuten betreuen und haben damit sehr positive Erfahrungen gemacht. Heute möchten wir nicht mehr darauf verzichten. Seit 2010 behandelt Helle unsere Pferde regelmäßig. Dazu kommt sie alle zwei Wochen zu uns nach Österreich und begleitet uns auf die großen Turniere wie zum Beispiel die Olympischen Spiele in Rio 2016.

An ihrer Arbeit schätze ich besonders, dass sie sich mit ihrer einfühlsamen Art auf jedes Pferd, sei es ein Hengst oder eine sensible Stute, gut einstellen kann und sich wirklich für die Pferde und ihre Entwicklung interessiert. Für mich ist es sehr wichtig, dass sie nicht nur behandelt und sich dann wieder verabschiedet, sondern sich die Pferde auch regelmäßig unter dem Sattel ansieht. So können wir uns gegenseitig unsere Eindrücke schildern und Lösungen finden. Das macht eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit aus.

Die kontinuierliche Begleitung hat den Vorteil, dass nicht in kurzer Zeit viel bewirkt werden muss – was meist auch nur zu kurzfristigen Erfolgen führt. Probleme, etwa muskulärer Art, können so viel besser überblickt und behandelt werden. Nicht nur bei Pferden, die sich bereits im Training befinden, sondern gerade in der Aufbauphase oder wenn die Arbeit intensiviert werden soll, kann die begleitende Physiotherapie das Pferd auf höhere Anforderungen vorbereiten und helfen, Überlastungen zu vermeiden.

Die Möglichkeiten, die die Physiotherapie bietet, sind sehr vielfältig. Helle beherrscht und nutzt ein breites Spektrum an Anwendungen und ist dadurch sehr flexibel und vielseitig in ihrer Arbeitsweise. Die Entwicklung in diesem Bereich schreitet ständig voran. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Behandlungsmöglichkeiten sollten genutzt werden, um das Beste für das Wohlbefinden der Pferde zu erreichen und damit auch ihre Leistung zu verbessern. Daher sehe ich es sehr positiv, dass sie sich ständig weiterbildet. Vieles von ihrem umfangreichen Wissen ist in diese Neuauflage des Buches eingeflossen. Alle Reiter, die sich um die Gesundheit ihres Pferdes sorgen, werden von diesem Wissen um biomechanische Zusammenhänge und den vielen praktischen Tipps profitieren.

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Victoria Max-Theurer

Einleitung

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Seit dem Erscheinen meines ersten Buches „Physiotherapie für Pferde“ im Jahr 2000 hat sich auf dem Gebiet der Physiotherapie viel getan. Es ist schön zu erleben, dass diese Therapieform zu einem wichtigen Bestandteil des Gesundheitsmanagements für Pferde geworden ist. Dies hat mich erneut motiviert, auch nach Erscheinen meines zweiten Buches „Biomechanik und Physiotherapie für Pferde“ im Jahr 2009 meine Erfahrungen und mein neu erworbenes Wissen über die Pferdephysiotherapie nochmals zu überarbeiten und großzügig zu ergänzen.

Da wir täglich den Bewegungsapparat des Pferdes beeinflussen, ist es mein Wunsch, dass alle Reiter, Pferde- besitzer und Ausbilder mit dem Bewegungsapparat ihres Pferdes vertraut sind. Dazu habe ich die Texte so gewählt, dass keine medizinischen Vorkenntnisse notwendig sind.
In der Biomechanik werden die Bewegungsabläufe des Pferdes beschrieben. Welche Bewegungen finden wo statt, was kann Ihr Pferd, was kann es nicht? Und wie können Sie erkennen, ob Blockaden vorhanden sind ober ob das Pferd körperlich stabil genug für seine Aufgaben ist? Da wir unsere Pferde jeden Tag mit dem Ziel trainieren, den Bewegungsapparat zu stärken und Geschmeidigkeit zu gewinnen, ist sowohl anatomisches als auch biomechanisches Grundwissen ein „Muss“. Egal auf welchem Niveau Sie reiten und in welcher Disziplin. Zur Biomechanik finden Sie in diesem Buch viele praktische Beispiele.
Nach der Theorie möchte ich Ihre Augen und Ihr Gefühl schulen, sodass Sie selbst erkennen und ertasten können, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

Im Anschluss finden Sie dann Anleitungen zur Massage und zur Dehnung. Damit können Sie sowohl vorbeugend als auch therapiebegleitend arbeiten. Neu hinzugekommen ist das Kapitel 9 über die Stabilität.
Das Gleiche gilt für die physikalische Therapie, z.B. für Therapien mit Eis, Wasser, Wärme, dem Matrix-Rhythmus- Gerät, TENS, Laser und dem Magnetfeld. Neu hinzugekommen sind in der Auflage von 2017 das Tapen und das Equicore-System, beide sind ebenfalls wichtige Maßnahmen in der Rehabilitation. Alle Therapien sind insbesondere geeignet, den Umfang einer Verletzung so gering wie möglich zu halten, in einer Rehabilitation die betroffenen Strukturen zu unterstützen und eine schnelle und erfolgreiche Heilung zu fördern.

Auch die aktive Rehabilitation zeigt Möglichkeiten auf, nach einer Verletzung oder einem Leistungsabfall den vormals existierenden körperlichen Zustand wiederherzustellen. Mithilfe eines Rehabilitationsplans soll der Körper physisch und/oder psychisch wieder aufgebaut werden.
Zuletzt stelle ich vorbeugende Maßnahmen vor, mit denen sich viele Verletzungen und Verspannungen am Bewegungsapparat vermeiden lassen.

Ich bin fest davon überzeugt, je mehr ein Reiter/Pferdebesitzer über die Anatomie und Biomechanik des Pferdes weiß, desto besser kann er die natürlichen Bewegungen des Pferdes unter dem Sattel fördern und Verspannungen, Verletzungen und Verschleiß vorbeugen.
In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie das Wissen rund um den Bewegungsapparat Ihres Pferdes genauso interessant und faszinierend finden wie ich. Sie werden es sicher ganz automatisch in Ihren täglichen Umgang mit dem Pferd einfließen lassen. Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß beim Lesen und Praktizieren.

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im Mai 2017

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Bestimmt haben Sie schon irgendwann in Ihrem Leben physiotherapeutische Behandlungen genossen oder aber in Anspruch nehmen müssen, denn durch unseren heutigen Lebenswandel belasten wir unseren Bewegungsapparat sehr einseitig und bekommen dadurch im Laufe unseres Lebens Probleme mit unserem Körper. Sei es durch den Beruf, durch Trauma oder durch unsere Leidenschaft – das Reiten! Dies betrifft Freizeitreiter und Turnierreiter gleichermaßen.

In der Humanmedizin ist die Physiotherapie bereits eine wichtige Verbündete der Schulmedizin und hat eine essenzielle Bedeutung bei der Versorgung und Behandlung vieler Beschwerden. Von neugeborenen Kindern bis hin zu Senioren im hohen Alter können alle davon profitieren. Darüber hinaus spielen Physiotherapeuten mittlerweile ebenfalls eine wichtige Rolle für den Erfolg eines Sportlers. Wenn wir an große Ereignisse wie Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder Olympiaden denken, sehen wir bei allen Sportarten Physiotherapeuten im Einsatz. Mittlerweile haben die professionellen Teams fest angestellte Spezialisten, die sich täglich intensiv mit den Sportlern beschäftigen, deren Bewegungsapparat überprüfen und direkt beeinflussen. Selbst im Amateurbereich gibt es kaum einen Sportler, der nicht schon einmal oder mehrmals in physiotherapeutischer Behandlung war.

Im Pferdesport sieht es inzwischen ganz ähnlich aus. In den letzten Jahren hat diese Therapieform auch hier zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die meisten Berufsreiter haben sich bereits die Vorteile aus dem Humanleistungssport abgeschaut. Sie lassen ihr „Kapital“, die Pferde, regelmäßig durchchecken und behandeln. Aber auch im Freizeitbereich kann eine Anwendung Wunder wirken. Jeder Reiter kennt das Gefühl: Etwas ist nicht in Ordnung bei seinem Pferd. Lektionen gelingen nicht mehr, das Pferd bewegt sich nicht elastisch, es macht sich auf einer Seite fest, drückt den Rücken weg, zeigt sich unwohl etc. Meistens ist diese Leistungsverschlechterung früher oder später nicht mehr zu übersehen.

Große Pferdekliniken haben in den letzten Jahren Physiotherapeuten, die die physikalischen Therapien und die Rehabilitation betreuen. Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns und die Zukunft wird spannend. Es bleibt zu hoffen, dass Tierärzte und Tierphysiotherapeuten noch enger zusammenarbeiten werden, um die Pferde erfolgreicher behandeln und gesundheitlich rehabilitieren zu können.

Der Grundstein der Pferdephysiotherapie ist die klinische Befunderhebung, eine der besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen bzw. datenbasierende (evidenzbasierte) Behandlung und eine überwachte Rehabilitation. Unser Behandlungsgebiet umfasst hauptsächlich den Bewegungsapparat, dazu gehören u.a. Rückenbeschwerden, muskuläre Probleme, Blockaden, Instabilität etc., die alle zu Leistungseinbußen führen können. Um die Krankheiten erfolgreich behandeln zu können, sind Sachkenntnisse über die Funktion der Muskeln und ihr Bezug zu den Gelenken, aber auch über die Bewegungszusammenhänge im Körper (funktionelle Biomechanik) wichtige Voraussetzungen. Ein Physiotherapeut muss ebenso in der Lage sein, unter anderem den Ernährungszustand, konditionellen Zustand, Hufbeschlag sowie die Ausrüstung (Sattel, Sattelgurt, Trense, Kandare, Hilfszügel etc.) eines Pferdes zu beurteilen. Außerdem muss er fähig sein, das Zusammenspiel zwischen Reiter und Pferd zu evaluieren. Sie sehen, einen guten Physiotherapeuten zeichnen zahlreiche Kompetenzen rund um das Pferd aus.

1.1 Wieso dieser Trend zur Physiotherapie im Pferdesport?

Die Entwicklung in der Pferdezucht geht Hand in Hand mit den Wünschen der Reiter. Egal in welchem Bereich der Reiterei wir uns zu Hause fühlen, ob Spring-, Dressur-, Western-, Gangpferde- oder Distanzreiten, wir möchten gerne ein Pferd, das dafür bestens geeignet ist. Es ist eben wesentlich einfacher, ein Pferd auszubilden, das sich durch sein Bewegungsvermögen bereits in der gewünschten Richtung „anbietet“, als ein Pferd entgegen seiner Neigung zu trainieren. Die Zucht möchte uns dies vereinfachen. Es werden Pferde mit sehr viel Bewegungsvermögen gezüchtet, die zudem noch sehr sensibel sind und deutlich auf unsere Körpersprache hören. Dies macht es uns leichter und doch auch schwerer zugleich, denn im Gegensatz zu unseren hoch spezialisierten Pferden haben wir in der heutigen Zeit eher unser Körpergefühl verloren. Durch die größtenteils sitzenden Tätigkeiten bereits in der Schulzeit, im Studium und im Beruf fehlt uns die oftmals nötige tägliche Mobilität, Stabilität und Koordination. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass dies zu Kommunikationsproblemen zwischen Pferd und Reiter führt, wobei die Pferde meistens den größeren Stress empfinden.

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Bei einer Massage kann sich Ihr Pferd entspannen und es entsteht Vertrauen zwischen Pferd und Mensch.

Dabei kann die Physiotherapie für die Pferde eine wirkliche Hilfe sein und Erleichterung bringen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Pferde es sehr gerne haben, wenn sie hin und wieder einmal durch einen Physiotherapeuten „gelockert“ und Blockaden gelöst werden. Oder auch nur durch Massage und Dehnung, die Sie als „Laie“ durchführen können. Sie werden feststellen, dass Ihr Pferd sich dabei wunderbar entspannen kann. Die praktische Arbeit der Massage und Dehnung erzielt zusätzlich verbessertes Vertrauen. Bereits nach kurzer Zeit sehen Sie, dass Ihr Pferd den außergewöhnlichen Kontakt mit Ihnen genießt, und Sie werden bald eine erfolgreiche Veränderung beim Reiten erkennen. Zusätzlich bietet die Physiotherapie die Möglichkeit, ihr Pferd fit zu halten, falls es verletzungsbedingt pausieren muss, sich in der Rehabilitation befindet oder es ihm an positiver Körperspannung fehlt.

1.2 Wann und wo kann die Physiotherapie eingesetzt werden?

Physiotherapie kann sehr gut bei vielen gesundheitlichen Problemen eingesetzt werden. Ich möchte Ihnen im Folgenden einige Hinweise auf deren Ursachen geben, wie sie entstehen und wie Sie die Symptome erkennen können. Behandlungshinweise und Methoden finden Sie ebenfalls in den folgenden Kapiteln dieses Buches.

1.2.1 Rücken- und Halsprobleme

Nichts ist schöner, als wenn ein Pferd seinen Rücken „loslässt“ und man als Reiter das wunderbare Gefühl hat, mitgenommen zu werden. Dafür braucht unser Pferd einen gesunden, beweglichen und starken Hals und Rücken und – nebenbei gesagt – einen gut ausbalancierten Reiter. Aber wie erkennen Sie, dass bei Ihrem Pferd in der Wirbelsäule alles in Ordnung ist?

Wenn Ihr Pferd gleichmäßig auf allen vier Füßen ruhig steht, gibt Ihnen die Muskulatur den ersten Hinweis auf den Zustand der Wirbelsäule. Am Hals muss die Oberlinie mehr ausgeprägt sein als die Unterlinie und der Hals sollte gleichmäßig ausgefüllt sein. (Es befindet sich keine Delle vor dem Schulterblatt). Vom Widerrist bis zum Schweif sollte eine runde, fleischige, gleichmäßig ausgeprägte Muskulatur zu sehen sein.1 Beim Putzen darf man fest aufdrücken, ohne dass das Pferd seinen Rücken wegdrückt.

Ein Zeichen für einen losgelassenen Rücken beim Reiten ist z.B., dass sich das Pferd im Trab bequem sitzen lässt. Als Beobachter sehen Sie im Schritt und Trab eine abwechselnde An- und Entspannung der Muskulatur links und rechts hinter der Sattellage. Im Galopp erkennt man eine beidseitig gleichseitige An- und Entspannung. Der Schweif pendelt locker leicht nach rechts und links, mit Ausnahme von einigen Spezialrassen, die den Schweif rassebedingt nur zu einer Seite tragen. (Im Kapitel 5 „Beobachtung“ wird noch näher auf dieses Thema eingegangen.)

Erste Anzeichen für ein Unwohlsein des Pferdes können schon beim Putzen erkennbar werden. Möglicherweise verhält sich das Pferd unruhig, „zappelt herum“ oder drückt den Rücken oder den Hals weg. Unter Umständen haben Sie auch schon einmal bemerkt, dass es sich verspannt und Widersetzlichkeit beim Satteln zeigt. Ihr Pferd könnte auch beim Aufsitzen einen „Katzenbuckel“ machen, den Rücken wegdrücken und im extremen Fall „in die Knie gehen“. Haben Sie beim Reiten ein Pferd, das lange braucht, um sich loszulassen? Ist eine Seite deutlich steifer als die andere? Pferde mit Hals- oder Rückenproblemen können auch Taktfehler und Lahmheiten zeigen. Diese Pferde können kein Gewicht mehr auf der Hinterhand aufnehmen. Sie laufen vermehrt auf der Vorhand und „liegen“ auf dem Zügel. Ist der Rücken in seiner normalen Beweglichkeit eingeschränkt, wird sich dies auch auf die Schrittlänge auswirken. Die Pferde werden kürzer treten. Bereits nur eines dieser Symptome zeigt Ihnen als aufmerksamen Reiter, dass ein Problem im Bereich der Wirbelsäule vorliegt. Dies kann zu einem Leistungsabfall oder auch zur Arbeitsverweigerung führen.

Die Wirbelsäule ist leider sehr oft bei verschiedensten Funktionsstörungen im Körper mit betroffen. Bei Schmerzen in diesen Bereich kann es sich um primäre oder sekundäre Beschwerden handeln. Das heißt, die Ursache befindet sich eventuell tatsächlich im Wirbelsäulenbereich, z.B. eine degenerative Krankheit (sicher haben Sie den Begriff „Kissing Spines“ schon einmal gehört) oder es liegt eine akute oder chronische Blockade vor. Das Problem kann seinen Ursprung aber auch an einer ganz anderen Stelle im Körper haben, z.B. an den Extremitäten. Eine unterschwellige Lahmheit beispielsweise kann durch die Veränderung des Bewegungsablaufes durchaus Rückenschmerzen hervorrufen und diese Symptome können die Lahmheit überschatten. Neue Studien haben bewiesen, dass es bei einer Lahmheit in einer der Gliedmaßen innerhalb weniger Tage zu einer veränderten Muskelspannung (Muskeltonus) kommt und eine Abnahme der Muskelkraft in der tiefen, stabilisierenden Muskulatur zu erkennen ist.
Auch organische Krankheiten wie z.B. eine Erkrankung der Leber oder Lunge kann sich sekundär auf den Rücken auswirken.

1.2.2 Unnatürliche Kopf- und Schweifhaltung

Eine unnatürliche Kopf- und Schweifhaltung ist ein Zeichen dafür, dass die Wirbelsäule nicht so ist, wie sie sein sollte. Sie kann auf eine Bewegungseinschränkung und/oder eine Schonhaltung der Wirbelsäule hindeuten.

Je entspannter ein Pferd stehen kann, desto weniger Muskelkraft muss es einsetzen. Ein Zeichen für eine Funktionsstörung im Genick ist schon im Ruhezustand festzustellen. Sie können erkennen, dass Ihr Pferd den Kopf nicht entspannt trägt. Der Kopf ist entweder zu gestreckt oder zu eng gebeugt. Beim Reiten merken Sie es daran, dass sich Ihr Pferd in der Stellung nicht zu einer Seite biegen lässt und sich im Genick verwirft oder nicht an das Gebiss herantritt.

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Bei diesem 19-jährigen Pferd können Sie sehen, dass der Unterhals stark ausgeprägt ist und es seinen Kopf und Hals nicht entspannt trägt.

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Achten Sie auf die Schweifhaltung. Durch die Hyperfl exion (Überdehnung) im Hals geht die Verspannung bis in den Schweif. Gleichzeitig ist dieses Pferd körperlich instabil. Obwohl es sehr muskulös aussieht, hat das Pferd keine Stabilität im Körper. Dies ist erkennbar an der weichen Fesselung und am Durchhängen des Rumpfes.

Der Schweif sollte in der Bewegung entspannt getragen werden und locker hin und her pendeln. Trägt das Pferd seinen Schweif nicht mittig, kann das ein Anzeichen dafür sein, dass die Muskeln im Rücken auf einer Seite kürzer sind. Der Schweif wird zur verkürzten Seite hin getragen. Das Pferd kann als Folge der verkürzten Muskulatur auf der einen Seite Mühe haben, sich auf der anderen Seite zu dehnen und die erforderliche Längsbiegung zu bekommen. Anders gesagt, das Pferd trägt den Schweif nach links, aber Sie haben Probleme in der Längsbiegung nach rechts. Das Symptom des nicht mittig getragenen Schweifes kann sogar von einer Bewegungseinschränkung im Hals ausgelöst werden. Hier liegen also die Ursache und das Symptom weit auseinander!
Es gibt aber Ausnahmen: Z.B. tragen Araberpferde oft den Schweif nach links, ohne in der Biegung eingeschränkt zu sein.

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Pferd mit schiefer Kopfhaltung. Ursache kann eine Blockade im Genick sein.

Eine weitere Möglichkeit einer Dysfunktion ist die Drehung des Kreuzbeins gegen das Darmbein oder erhöhte Spannungen an den großen Bändern am Becken. Diese Pferde halten den Schweif entweder zu hoch, klemmen ihn ein und/oder tragen ihn auch seitlich. Hierbei haben die Pferde oft zusätzlich Probleme, Gewicht mit der Hinterhand aufzunehmen. Sie können Taktfehler zeigen oder springen beim Galoppieren immer wieder in den Kreuzgalopp.

Eine kleine Beobachtung: Das Pferd hat keine Probleme damit, sich mit den Zähnen am Rücken zu beknabbern. Das ist ein Hinweis auf einen gut beweglichen Hals, denken viele Pferdebesitzer. Aber Pferde sind „Bewegungskünstler“, sie haben ein Repertoire an Trickbewegungen. Diese „Fähigkeit“ ist zugleich unsere Herausforderung beim Reiten. Ein einfaches Beispiel: Sie reiten eine Volte, dabei möchten Sie das innere Auge und den inneren Nüsternrand sehen. Dann ist das Pferd richtig gestellt. Nehmen wir mal an, das Pferd hat eine Blockade im Genick. Was macht es? Es dreht den Kopf, statt ihn zu stellen. Sie sehen zwar das innere Auge, aber nicht den inneren Nüsternrand. Zwar ist es möglich, eine Figur zu reiten, die einer Volte gleicht, aber korrekt ist sie nicht. Das Pferd kann sich nicht optimal um Ihren inneren Schenkel biegen und Sie müssen viel zu viel mit der Hand einwirken.

1.2.3 Gelenkblockaden

Hat Ihnen schon einmal ein(e) Reitkollege(in) berichtet, ihr/sein Pferd hätte einen „herausgesprungenen Wirbel“. Bildlich sehen wir durch dieses Wort einen Wirbel vor uns, der deutlich neben der Wirbelsäule steht. Aber zum Glück ist das nur eine Vorstellung.

Genauer betrachtet, sieht es folgendermaßen aus. Wenn das Pferd über eine längere Zeit falsch belastet wird oder es z.B. eine plötzliche Bewegung macht, die zu heftig für das Gelenk ist, werden die Weichteile, die um das Gelenk herumliegen, überbelastet oder überdehnt. Die Muskulatur, die um die Gelenke liegt, ist reich an Nerven/Rezeptoren, die die Länge der Muskeln messen. Werden diese Weichteile überfordert, setzt automatisch ein Schutzmechanismus ein. Das heißt, die Muskulatur verkürzt sich, um das betroffene Gelenk zu schützen. Dies kann nur kurzzeitig auftreten oder schlimmstenfalls bleibt die Muskulatur in diesem kontrahierten Zustand. Letzteres führt dann zu einer Blockade.

Sie haben es sicher selbst auch schon einmal erlebt. Sie wachen morgens auf und haben einen steifen Hals, können den Kopf weder drehen noch beugen. Das ist eine Blockade am Hals und die Schmerzen, die Sie spüren, sind Verspannungen des Muskels, es ist nicht das Gelenk. Das Gelenk erfährt eine Bewegungseinschränkung, wir nennen es eine Blockade. (Leider wird dann oft von einem „herausgesprungenen Wirbel“ gesprochen, was ich nicht gerne höre.) Diese Blockade kann beidseitig sein oder auch nur einseitig. Übertragen auf das Pferd könnte dies bedeuten, Sie reiten rechte Hand und es gibt kein Problem, aber auf der linken Hand fühlt es sich an, als wenn Sie auf einem anderen Pferd sitzen würden.

Woher kommt nun die Bezeichnung „herausgesprungener Wirbel“? Der Name hat sich leider im Laufe der Jahre unter den medizinischen Laien gefestigt, vielleicht weil er bildhafter und einprägsamer ist.
Die einzelnen Wirbel der Wirbelsäule sind so miteinander verkettet, dass eine größere Verschiebung der Wirbel nur mit enormer Kraft von außen möglich wäre. Sollte es doch passieren, ist der Schaden am Rückenmark leider so groß, dass die Pferde diesen Unfall nicht überleben. Die wirkliche Ursache für Blockaden, von denen wir hier sprechen, sind allerdings die verspannten Weichteile, die so viel Kraft entwickeln können, dass ein Wirbel sich dreht und sogar verformt werden kann. Diese Störung kann gefühlt und optisch wahrgenommen werden. Sie können die Muskelverspannungen fühlen und/oder einen seitlich stehenden Dornfortsatz in der Brust- oder Lendenwirbelsäule im Vergleich zu den in einer Reihe stehenden anderen Dornfortsätzen sehen. Wenn man von oben auf das Pferd herabschaut, wird sichtbar, dass die Wirbelsäule kleine Bogen in ihrer Linie aufweist. Selbst der große Beckenknochen kann von einem verspannten Muskel schief gezogen werden und einen sogenannten Beckenschiefstand auslösen. An so einem Beispiel wird deutlich, wie viel Kraft hinter der Muskulatur stecken kann.

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Bänder, Gelenkkapseln, Menisken (der HWS) und Muskulatur, die nah am Gelenk liegen, können eine Blockade hervorrufen wie hier an der Halswirbelsäule. Die betroffenen tiefen Muskeln verspannen sich und lösen so eine Immobilität des Gelenks aus.

Hinweis: Die Knochen der kleinen Gelenke in der Halswirbelsäule passen nicht genau ineinander. Kleine Knorpelscheiben gleichen diese Passungenauigkeiten aus. Es wird angenommen, dass sie sich, wenn sie in ihrer Beweglichkeit z.B. durch ein Trauma (Sturz, Schlag, Stoß) eingeschränkt werden oder „sich verkanten“, entzünden und so auch eine akute Blockade auslösen.

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Ein schiefes Becken kann auch durch Blockaden in der Wirbelsäule oder durch Trauma entstehen.

Entsteht eine Blockade im Wirbelsäulenbereich, können Körperbereiche unterversorgt werden. Der Grund ist, dass der Nerv einen engen Kanal zwischen zwei Wirbeln passieren muss, bevor er den Spinalkanal verlässt. Durch die Blockade des Wirbels schwellen die Weich teile im und um den Kanal an, es entsteht Druck auf den Nerv und die Verbindung zwischen Körper und Gehirn wird unterbrochen. Dies führt zu Koordinationsstörungen wie Stolpern und Taktfehler, Kraftverlust, Muskelverspannung, Durchblutungs- und Stoffwechselstörungen, Leistungseinbußen und sogar zu Lahmheiten, da der komprimierte Nerv Schmerzen signalisiert. Wie bei Menschen, die den Ischiasnerv eingeklemmt haben, muss dieser Schmerz nicht im Rücken zu spüren sein, diese Patienten spüren Schmerzen u.a. im Hüftgelenksbereich, Oberschenkel, im Kniegelenk bis hin zum Fußgelenk. Bei Pferden kann auch unnatürliches Schwitzen (runde nasse Stellen) ein Hinweis auf Blockaden in der Wirbelsäule sein. Das zeigt uns, dass Ursache und Symptom weit auseinanderliegen können!

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Eine akute Blockade ist immer schmerzhaft. Diese Schmerzen lösen automatisch Muskelverspannungen aus, und das Pferd versucht eine Schonhaltung einzunehmen. Alle diese Faktoren führen zu einer Durchblutungsstörung und zu sekundären Blockaden. Verletzungen und Überbelastungen sind kaum vermeidbar. Mit der Zeit werden immer mehr Strukturen in diesen Teufelskreis einbezogen und die Zahl und Intensität der Probleme bei dem Pferd nehmen zu.

Im akuten Stadium ist diese Muskelverspannung/Blockade sehr schmerzhaft, da die Muskulatur nicht mehr gut durchblutet und schnell übersäuert wird. Bleibt die Blockade über eine längere Zeit bestehen, verändern sich die betroffenen Weichteile. Die Muskeln „schlafen ein“ und in dem verkürzten Zustand wirken sie wie ein Korsett, das das Gelenk umschließt. Das blockierte Gelenk kann sich nicht mehr optimal bewegen. Es selbst verursacht in diesem Zustand keine Schmerzen, aber für den Bewegungsapparat ist es eine erhöhte Belastung, die schnell zu sekundären Verspannungen und Verletzungen führen kann. Irgendwo muss der Körper ja diese Bewegungseinschränkung ausgleichen. So müssen an anderer Stelle verstärkt Bewegungen, sogar „Überbewegungen“ durchgeführt werden, was wiederum zu Überbelastungen dieser Gelenke führen kann und dadurch noch weitere Verletzungen/Bewegungseinschränkungen entstehen lässt. Es beginnt ein Teufelskreis und folglich können, ausgehend von einer primären Blockade, mit der Zeit mehrere sekundäre Blockaden oder Verletzungen entstehen.

Normalerweise gehen akute Blockaden, die durch ein Trauma oder eine unkontrollierte Bewegung entstanden sind, nach ca. 1 bis 3 Tagen von alleine weg. Bleiben sie oder sind sie durch Fehlbelastungen entstanden, sind diese beim Reiten schwer zu lockern. Es empfiehlt sich dringend, sie durch die Behandlung von einem Physiotherapeuten/Osteopathen lösen zu lassen.
Bei dieser Behandlung können Sie ab und zu ein Geräusch wie ein Knacken im Gelenk hören. So meint der Betrachter, das Gelenk wäre wieder in die richtige Position gebracht worden und man hätte den Wirbel „zurückgeschoben“. Aber man kann nicht zurückschieben, was nicht „rausgeschoben“ war. Dieses Knacken wird vielmehr durch einen Unterdruck im Gelenk hervorgerufen (sometext siehe „Gelenkknacken”, S. 32f.).

Auch im Bereich der Gliedmaßen kann eine Blockade entstehen. Für alle Gelenke in diesem Körperbereich sind Beugen und Strecken die Hauptbewegungen. Fast alle Gelenke der Gliedmaßen können sich außerdem in begrenztem Umfang seitwärts und nach innen und nach außen drehen. Diese kleinen Bewegungen sind notwendig, um vollständige Bewegungen ausführen zu können. Das heißt, sind diese kleinen Bewegungen blockiert, ist das Pferd nicht in der Lage, maximale Streckung oder Beugung mit dem betroffenen Gelenk auszuführen. Diese Kleinstbewegungen sind nicht nur für die Gliedmaßen bedeutend, sie sind unentbehrlich für alle Gelenke im Körper.

Hinweis: Ein Gelenk, das blockiert ist, wird leider auch schlechter mit Nähr- und Mineralstoffen versorgt. Hier entsteht eine Unterversorgung. Es gelangen keine neuen Nähr-/Mineralstoffe hinzu, vielmehr werden sie abgebaut. Ohne wichtige Bausteine werden die Knorpel abgebaut. Als Folge einer länger bestehenden Blockade können Gelenkarthrosen entstehen. Darüber hinaus wird die Muskulatur nicht belastet und verliert damit an Kraft und Elastizität. Der Abbau der Muskelmasse vollzieht sich recht schnell, schon nach drei Tagen ist er im Ultraschall nachweisbar.

1.2.4 Instabilität des Körpers

Nicht nur Blockaden sind ein Problem für unsere Pferde. Das Gegenteil, also zu viel Beweglichkeit (Instabilität/ Hypermobilität) ist genauso problematisch für die Leistungsfähigkeit des Pferdes wie eine Bewegungseinschränkung. In meiner mehr als 20-jährigen Berufserfahrung musste ich feststellen, dass die Pferde zunehmend instabil/hypermobil werden. Gründe dafür gibt es viele, wie z.B. ein Trauma oder die Trainingsweise. Aber auch die Zucht bewegungsstarker Pferde hat zur Instabiltiät/Hypermobilität der Pferde beigetragen.

Pferde verfügen eigentlich über wenig Mobilität/Beweglichkeit im Rücken. Die Brust- und Lendenwirbelsäule ist im Vergleich zu den jagenden Tieren wie Hunde, Katzen und Geparden relativ unbeweglich. Diese Gegebenheiten bieten dem Pferd den enormen Vorteil, dass es große Distanzen in hohem Tempo mit relativ geringem Energieverbrauch zurücklegen kann. Im Gegensatz dazu haben die „Jäger“ eine sehr flexible Wirbelsäule, sie benötigen daher viel mehr Energie für die Muskeltätigkeit.

Wenn wir die Bewegungsabläufe bei den Dressurpferden über die letzten 30 Jahre beobachten, ist eine deutliche Veränderung zu sehen. Die Pferde haben viel mehr Schwung und „Gang“. Dieses Bewegungsmuster ist u.a. durch eine zuchtbedingte zunehmende Beweglichkeit im Rücken möglich. Die Gefahr ist, dass dies auf Kosten der Stabilität des Pferdekörpers gehen kann. Das Resultat ist eine erhöhte Verletzungsgefahr am Bewegungsapparat.

Auch aus diesem Grund ist es wichtig, das Training des Pferdes systematisch aufzubauen: nämlich durch gezielte Kräftigung der tiefen stabilisierenden Muskulatur (sometext siehe Kap. 9 Stabilisation/Kräftigung, S. 179ff.) sowie der Bauchmuskulatur und der Hüftbeuger (Rumpfstabilisation). Geschieht dies nicht, werden die Lektionen auf längere Sicht nicht korrekt gelingen und Verletzungen und Verspannungen im Bewegungsapparat sind vorprogrammiert.

Ein Beispiel, wie sich Instabilität Ihres Pferdes äußern kann, ist das folgende: Es lässt sich beim Reiten nicht nach innen stellen und biegen. Das Pferd macht sich fest, so, als ob es eine Blockade in der Wirbelsäule hätte. Der Beweglichkeitstest mit der Möhrenübung (sometext siehe S. 166) zeigt aber, dass sich das Pferd in alle Richtungen biegen kann. In diesem Fall kann die Ursache für die mangelnde Innenstellung sein, dass das Pferd seine äußere Seite nicht stabilisieren kann. Mehr dazu erfahren Sie im Kapitel 9 zur Stabilität.