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Nkechi Madubuko

Empowerment als
Erziehungsaufgabe

Praktisches Wissen für den Umgang
mit Rassismuserfahrungen

 

 

 

 

U N R A S T

 

 

 

 

Dr. Nkechi Madubuko ist promovierte Soziologin und Kulturjournalistin. Seit 20 Jahren arbeitet sie als freie Moderatorin für Veranstaltungen und Tagungen im Bereich Migration, Antidiskriminierung und interkulturelle Öffnung. Ihre Arbeit begann während des Studiums bei VIVA zwei. Später kamen verschiedene Fernsehsender hinzu, u. a. das ZDF, Premiere World und DSF. Nach ihrer Ausbildung zur TV Redakteurin beim ZDF arbeitete sie 15 Jahre in der Redaktion Kulturzeit. 2010 promovierte Frau Madubuko zum Thema biografische Akzeptanzerfahrungen, herkunftsbezogenem Stress und deren Bewältigung bei schwarzen Deutschen und Migranten europäischer Herkunft. Als Autorin veröffentlichte sie Beiträge zum Thema Rassismusbewältigung und Empowerment, u. a. für das Bundesamt für Migration. Nkechi Madubuko ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.

 

 

»I know where I’m going
and where I am coming from.

So here I come! «

 

Neneh Cherry

 

 

 

Ich widme dieses Buch Joy,
meiner Mutter, meinem Schutzraum.

Danke, Mom

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

Nkechi Madubuko:

Empowerment als Erziehungsaufgabe

eBook UNRAST Verlag, Mai 2018

ISBN 978-3-95405-036-9

 

2. Auflage, Januar 2018

 

© UNRAST Verlag, Münster

Postfach 8020 | 48043 Münster | Tel. 0251 – 66 62 93

info@unrast-verlag.de | www.unrast-verlag.de

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Umschlag: Tecla Mbayo

Umschlagfoto Vorderseite © Nkechi Madubuko

Umschlagfoto Rückseite © Kerstin Achenbach

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Druck: Interpress, Budapest

Inhalt

Unsere Kinder brauchen Schutzräume – eine Einleitung

1
Verletzte Seelen

Rassismen im Alltag erkennen

Rassistische Diskriminierung: Die verletzende Kraft von Worten und die sogenannte ›Empfindlichkeit‹

Die Wichtigkeit sozialer Beziehungen, Wohlbefinden und einem guten Selbstwertgefühl

Der Rechtsanspruch, diskriminierungsfrei aufzuwachsen

Kitas und Schulen

Alternativen: Vorurteilsbewusste Erziehung in Kitas und Schulen

2
Empowerment – Was ist damit gemeint?

Die Kunst, Rassismus zu verarbeiten

Das Empowerment Konzept

3
Sensibilitäten der Eltern

Individuelle Bedürfnisse und Persönlichkeit des Kindes erkennen

Die Persönlichkeit des Kindes stärken

Vertrauen schaffen

Emotionale Stabilität bieten und nachvollziehbare elterliche Reaktionen zeigen

Das eigene Empfinden und die Erlebnisse des Kindes ernst nehmen

4
Der Umgang mit Rassismuserfahrungen

Vorsicht bei der Wahl der Handlungsstrategien

Altersgerechte Wahl der Strategie

Situationsspezifische Wahl der Strategie

Elternreflexion: Weltbilder und dazugehörige Erziehungsbotschaften

5
Innerer Schutzraum

Was ist der innere Schutzraum?

Vorurteilsbewusste Erziehung – statt Tabuisierung

Selbstfindung im inneren Schutzraum

Vorurteilsbewusste, interkulturelle Kinder- und Jugendliteratur

6
Äußerer Schutzraum

Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Community

Akzeptanzerfahrungen und Freundschaften mit Kindern/Jugendlichen ohne Migrationshintergrund

Exkurs: Empowerment-Arbeit in Jugendgruppen

7
Problematische Verhaltensweisen

Tabuisieren

Ertragen

Bagatellisieren

Den Rassismus ins Zentrum stellen

Schlussbetrachtung

8
Leitfaden für zukünftige ›Empowerment-Eltern‹

Anhang

Glossar

Literatur

Workshops

Freiberufliche Trainer_ innen (Auswahl)

Unsere Kinder brauchen Schutzräume – eine Einleitung

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Eltern wünschen ihren Kindern, dass sie ein erfolgreiches und ausgefülltes Leben haben und dass ihnen alle Wege offenstehen.

Ich selbst bin Nigerianerin, in Deutschland geboren und aufgewachsen, Mutter dreier afrodeutscher Kinder und kenne das Gefühl, wenn mein Kind traurig nach Hause kommt, weil es Sprüche wegen seiner Hautfarbe zu hören bekommen hat. Es ist ein Ohnmachtsgefühl. Vor Erfahrungen von Rassismus, Vorurteilen und Benachteiligung können Eltern mit Migrationsgeschichte ihre Kinder nicht schützen. Aber als Eltern können sie ihnen helfen, eine seelische Widerstandskraft zu entwickeln, mit der sie Erfahrungen wie Rassismus, Vorurteile und Diskriminierung besser verarbeiten können. Außerdem können Eltern als ›Anwalt‹ des Kindes sein Recht auf Gleichbehandlung und respektvollen Umgang aktiv einfordern, indem sie die Verursacher zur Rede stellen.

Die Erkenntnis darüber, wie wichtig es ist, sich hinter die Kinder zu stellen und ihre Identität zu stärken, verdanke ich der Arbeit an meiner Promotion Akkulturationsstress von Migranten (2010). Im Zuge meiner Promotion in Soziologie habe ich mittels biografischer Interviews untersucht, wie Migranten_innen der zweiten Generation rassistisch motivierte Ablehnung verarbeitet haben und welche Strategien sie anwendeten, um damit umzugehen.

Es stellte sich dabei heraus, dass eine bestimmte Gruppe von Männern und Frauen in der Lage war, das Erlebte auf Distanz zu halten, es differenziert zu betrachten, sodass weder Stress noch Minderwertigkeitsgefühle zurückblieben. Sie kamen alle aus einem Elternhaus, das sie emotional mit Selbstwertgefühl und Stolz auf ihre Herkunft ausgestattet hatte und ihnen unterstützend zur Seite stand, wenn es zu Übertretungen kam. So kam ich auf die Idee, dieses Buch zu schreiben und dieses Wissen mit anderen Eltern zu teilen. Ausgebaut habe ich mein so entstandenes Empowerment-Konzept durch Studien der interkulturellen Psychologie, Erfahrungen der Familientherapie und der Kinderpsychologie sowie Berichte der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Zahlreiche Gespräche mit Expert_innen, die Empowermentarbeit mit nicht-christlichen Jugendlichen und Kindern mit Migrationsgeschichte machen, vervollständigten das Bild. Ihre Erfahrungen und Aktionen in den Jugendgruppen werden im zweiten Teil des Buches vorgestellt.

Es gibt viele Wörter und Handlungen, die verletzend sind. In diesem Buch sind vor allem jene gemeint, die Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte (ob in der zweiten oder dritten Generation) und nicht-christliche Kinder und Jugendliche zu ›Anderen‹ machen und sie mit (negativen) Eigenschaften belegen. Dieses Buch richtet sich an alle Eltern, deren Kinder potenziell von Rassismus betroffen sind. Ihnen kommt die wichtige Rolle als Ansprechpartner und unterstützende Vertrauensperson für ihre Kinder zu. Sind Sie sich dessen erst einmal bewusst, können Sie ihrem Kind Rückhalt durch eine ›empowernde‹ Erziehung geben.

Ziel ist Empowerment im Sinne der Stärkung von Selbstvertrauen und Erhöhung der Handlungskompetenz.

Das Buch versucht, Ihnen einen Überblick zu möglichen Umgangsformen mit den Rassismuserfahrungen ihrer Kinder zu geben, indem es einerseits die Wirkungsweise der rassistischen Erfahrung auf den Selbstwert des Kindes aufzeigt und andererseits Wege eröffnet, wie Sie ihre Kinder auf unterschiedlichen Ebenen so ausstatten können, dass sie Gegenentwürfe zu Vorurteilen kennen und differenziert mit dem Erlebten umgehen lernen. Ich biete in jedem Kapitel konkrete Beispiele für Gespräche mit ihrem Kind und am Ende Handlungsoptionen für Sie. Ein stabiles Selbstwertgefühl, Wissen über die Hintergründe von Rassismus und Akzeptanzerfahrungen in geschützten Räumen bilden zusammen ein ›Rüstzeug‹ und einen ›Schutzmantel‹, der das Kind ›empowert‹ (in seinem Selbstwert stärkt) und damit auf friedfertige Weise wehrhafter macht.

Ob mit oder ohne sogenannten ›Migrationshintergrund‹ wissen wir, dass Alltagsrassismus und Diskriminierung auch unsere Kinder betrifft und manchmal auch bedrückt. Das Umfeld in der deutschen Mehrheitsgesellschaft wie auch seine Bildungsinstitutionen und die Einstellung einiger vorurteilsbelasteter Menschen (Erwachsene und Kinder) erschweren den Lebensweg unserer Kinder auf diese Weise. Von dieser Ungleichbehandlung und Herabsetzung ist potenziell jedes dritte Kind in Deutschland[1] betroffen. Vorurteilsbelastete Denkmuster und Klischees sind bei einigen Menschen in der Mehrheitsgesellschaft über ›die Migrantenkinder‹ oder z. B. ›die Muslime‹ Selbstverständlichkeit. Sie bestimmen ihre Einschätzungen, ihre Erwartungen, ihr Verhalten gegenüber diesen Kindern. Die Klischees in den Köpfen werden rasch und unbewusst zu einem herabwürdigenden Blick, den die Kinder im Alltag zu spüren bekommen. Kinder und Jugendliche sind je nach Herkunftsland, Religion und Offensichtlichkeit der Fremdmarkierung unterschiedlich stark betroffen. Ein Diskriminierungsverbot ist zwar im Gesetz verankert – z. B. im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz, den UN-Antirassismus-Konventionen und der Kinderrechtskonvention, die Deutschland jeweils unterschrieben hat –, wird aber faktisch nicht immer eingehalten bzw. durchgesetzt.

Die Eltern und Familien mit Migrationsgeschichte müssen hier für ihre Kinder einspringen und sich für das Recht ihrer Kinder auf Gleichbehandlung einsetzen. Das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl ihres Kindes stehen auf dem Spiel.

Der Umgang mit stresshaften Erfahrungen bleibt trotz der angebotenen Ansätze jedoch immer individuell unterschiedlich und kann nicht mit pauschalen Lösungsansätzen beantwortet werden, dafür sind Kinder in ihren Ressourcen und Persönlichkeiten zu verschieden. Die Vorschläge in diesem Buch sind jedoch Denkanstöße und Anreize, mit denen Sie sich auseinandersetzen können.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und hoffe, Sie finden die Anregungen, die Sie für sich suchen. Haben Sie Mut, gegenüber jeder Art von Ausgrenzung, Diskriminierung und rassistischer Beleidigung zum Schutz der gesunden Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder ›empfindlich zu sein‹.

Gang durch die Kapitel

Im ersten Kapitel »Verletzte Seelen« wird die Erfahrung von Alltagsrassismus in seiner Definition, Wirkungsweise und seinem Verletzungspotenzial für den Selbstwert des Kindes vorgestellt. Als Einführung beschreibe ich Erkenntnisse aus der Kinderpsychologie was das Selbstwertgefühl eines Kindes ausmacht, und was es negativ und positiv beeinflussen kann. Da oft Unsicherheiten bei Eltern bestehen, ob sie sich gegen Diskriminierung wehren sollen, beschreibe ich den verbindlichen rechtlichen Rahmen, also welche Gesetze ein Diskriminierungsverbot in Deutschland regeln. Ich schildere anschließend die zum Teil diskriminierende Praxis in Schulen, die fehlende Kultursensibilität in Kitas und die problematischen Folgen für die Kinder und Schüler_innen mit Migrationsgeschichte. Das Kapitel endet mit Alternativansätzen: der Vorstellung des Anti-Bias-Ansatzes zu vorurteilsbewusster Erziehung und Handlungsvorschlägen für Sie im Umgang mit Kitas und Schulen.

Im zweiten Kapitel wird ›Empowerment‹ als Begriff und die darin enthaltenen Elemente vorgestellt: die Frage der Identitätssuche – sich widerspiegeln zu können –, die Rolle wertschätzender Räume sowie kritisches Denken und Wissen über die Hintergründe von Vorurteilen und Rassismus. Zusammen bilden sie das ›Rüstzeug‹ in der Verarbeitung von Erfahrungen.

Das dritte Kapitel widmet sich im Ganzen dem, was die Eltern mitbringen sollten, um in der Lage zu sein, die seelische Widerstandskraft ihrer Kinder zu stärken. Das umfasst zum Beispiel, die Individualität des Kindes wahrzunehmen, es in seiner Persönlichkeit zu stärken und generell eine Vertrauensbeziehung zum Kind aufzubauen. In Kapitel vier geht es um den Umgang mit Rassismuserfahrungen. Ich beginne mit Erkenntnissen aus der Familientherapie und zeige auf, was Kinder stark macht, um mit Belastungen (wie Rassismus) umzugehen. Daraufhin stelle ich konkret drei beispielhafte Handlungsstrategien im Umgang mit Rassismus vor (mit dem Vorbehalt, diese der Situation, dem Alter und der Persönlichkeit des Kindes anzupassen). Das Kapitel endet mit einer Reflexionsaufgabe für die Eltern. Diese soll Ihnen dabei helfen ihre eigenen Einstellungen gegenüber vorurteilsbelasteten Deutschen ohne Migrationsgeschichte zu hinterfragen, um zu sehen, welches Weltbild Sie in dieser Hinsicht ihren Kindern vermitteln.

Im fünften Kapitel »Innerer Schutzraum« sowie im sechsten Kapitel »Äußerer Schutzraum« skizziere ich die beiden Komponenten ›Zuhause‹ und ›soziales Umfeld‹, die das Gesamtgefüge ausmachen, in dem das Kind mit einem ›Schutzmantel‹ aus Akzeptanzerfahrung, Liebe, Wertschätzung und sozialem Austausch ausgestattet werden kann. Dabei gehe ich auf die Rolle des Bezuges zum Herkunftsland oder zur Religion und die unterstützende Wirkung von interkulturellen, vorurteilssensiblen Kinder- und Jugendbüchern ein. Sie sind wertvolle Hilfsmittel, um sich zu identifizieren, über Geschichten zu lernen, Probleme aktiv anzugehen und zu lösen.

In Kapitel sechs »Äußerer Schutzraum« stelle ich die Arbeit von empowernden Jugendgruppen mit afrodeutschen Jugendlichen, Jungen und Mädchen mit Sinti/Roma Herkunft, jüdischem und muslimischen Glaubens vor. Die Jugendlichen selbst und deren Leiter_innen beschreiben die Probleme der Identitätssuche, die Vorurteile, die die Jugendlichen erfahren, und wie sie in den Jugendgruppen geschützte Räume finden, in denen sie ihre Besonderheit »er-leben«, ihre Identitätsfragen thematisieren und für sich beantworten können.

Das siebte Kapitel widmet sich problematischen Verhaltensweisen gegenüber Rassismus: ›tabuisieren‹, ›herunterspielen‹, ›ertragen müssen‹ und ›Rassismus in das Zentrum stellen‹. In diesem Kapitel sollen die problematischen Folgen der darin versteckten Erziehungsbotschaften dargestellt werden. Am Ende des Buches fasse ich mein Empowerment-Konzept in der »Maxime für Empowerment-Eltern« zusammen.

1 Verletzte Seelen

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Eine Kindergartengeschichte: Nach einem erfolgreichen Spiel dürfen alle Kinder etwas aus der Süßigkeitentüte greifen. Als ein afrodeutscher Junge von 5 Jahren auch hineingreifen will, sind die anderen Kinder dagegen, sie hätten Angst, eine Krankheit aus Afrika zu bekommen. Die Erzieherinnen stellen es nicht klar. Der Junge bekommt nichts aus der Gemeinschaftstüte.

In der Grundschule: Ein afrodeutsches Mädchen ist in ihrer Klasse isoliert. Die Mitschüler_innen mögen sie wegen der Hautfarbe nicht. Sie spielen nur mit ihr, wenn sie Süßigkeiten mitbringt, sonst steht sie allein da. Die Lehrkörper wissen, dass sie nicht in die Klasse integriert ist, suchen aber nicht das Gespräch zu den ausgrenzenden Kindern.

Rassismen im Alltag erkennen

Die wiederkehrende Erfahrung, aufgrund von Vorurteilen und rassistischen Denkmustern herabgewürdigt zu werden, kann bei Kindern und Jugendlichen zu einer Belastung mit großer Tragweite werden. Um das zu verhindern, ist es wichtig für Eltern zu wissen, welches Verhalten im Alltag als rassistisch zu verstehen und damit verletzend für unsere Kinder ist. Jeder kennt aus seiner Kindheit noch Worte, die einem Bauchschmerzen bereitet haben. Vielleicht begleitet Sie dieser Schmerz noch bis heute? Mit großer Selbstverständlichkeit werden auch heute noch rassistische Sprüche und Beschimpfungen von gedankenlosen Menschen benutzt. Zu erkennen ist diese Form der Herabwürdigung immer daran, dass das Verhalten aufgrund äußerer Merkmale (Hautfarbe, Haarfarbe) oder kultureller Merkmale wie Kleidung und Sprache stattfindet. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Abstammung, Religion oder Herkunft für diese Menschen ein Maßstab für Geringschätzung oder negative Zuschreibungen ist. Diese Herabwürdigung kann ein ›nett gemeinter Witz‹ oder eine Beschimpfung sein. Es kann aber auch der Ausschluss aus einem Spiel bis hin zu offener Gewalt sein.

Was ist Rassismus?

Rassismus stellt eine soziale Praxis der Unterscheidung dar, die bestimmten Menschen gegenüber eine Abwertung, Ungleichbehandlung und Benachteiligung rechtfertigt. Sie ist immer kombiniert mit Machtverhältnissen, da die machtvolle Gruppe die »Anderen« definiert. Rassismus kann in vielen Formen auftreten: im Bildungssystem, als institutionelle Diskriminierung durch Behörden, in der medialen Berichterstattung oder als alltägliche Entwürdigung durch Einzelpersonen. Der heutige Rassismus bezieht sich verstärkt auf eine rassistische Einteilung von Menschen und Gruppen nach Kriterien wie Kultur, Herkunft oder Religion, weniger auf die biologisch begründete Wertigkeit von »Rassen«. Die kulturellen, sozialen oder religiösen Unterschiede werden dabei als »naturgegeben« gedacht und so nehmen diese Kategorien leicht den Platz von »Rasse« ein.

(Mediendienst Integration)

Rassismus zu erkennen, heißt, Verallgemeinerungen und Sprüche vor ihrem gedanklichen Hintergrund zu verstehen. Es erfordert zu überlegen: »Was für Eigenschaften werden mir hier unterstellt? Ist das akzeptabel?«

Der biologisch begründete Rassismus argumentiert mit einer angeblichen biologisch und kulturell verankerten hierarchischen Ordnung. Der moderne Rassismus, der hier thematisiert wird, bezieht sich eher auf abwertende Einschätzungen, zugeschriebene Eigenschaften und ablehnende oder ausgrenzende Verhaltensweisen, die sich auf die Kultur, Herkunft oder Religion einer bestimmten Gruppe von Menschen beziehen. Diese werden durch Vorurteile und Klischees (die im Wesentlichen auf Fehlinformationen beruhen) legitimiert und begründet.

Ob beabsichtigt oder nicht: solche rassistische Ablehnungserfahrungen verletzen die Seele eines Kindes. Das Gefühl, mit (negativen) Eigenschaften belegt zu werden, die es als nicht zugehörig und/oder minderwertig hinstellen, verletzt es bis ins Innerste, denn Kinder haben ein grundlegendes menschliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Akzeptanz. Um der Ausgrenzungserfahrung entgegenzuwirken, ist die Präsenz der Eltern/Familie hier doppelt nötig. Ohne soziale Unterstützung kann dem Kind ein weiteres Leid hinzugefügt werden, nämlich das Gefühl: »Ich bin mit meinem Schmerz allein.«

Ein Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: Ein afrodeutscher Junge, 4 Jahre alt, wird von den anderen Kindergartenkindern im Spiel täglich über Stunden ausgeschlossen, ohne dass die Erzieher_innen reagieren. Sie wollen nicht mit »dem« spielen, weil er »anders« aussieht (gemeint ist seine Hautfarbe). Seine Erzieher_innen nehmen das Verhalten wahr, legitimieren es aber mit der Aussage, er sei eben neu in der Gruppe und das wäre am Anfang normal. So festigt sich schließlich dieses Verhalten der Kinder (mit der passiven Rückendeckung der Erzieher_innen). Der Junge leidet sehr darunter und will zum Schluss gar nicht mehr in den Kindergarten gehen.

Die Hintergründe für solche ausgrenzende Situationen sollten von den Eltern immer hinterfragt werden. Auch ob das, was die Erzieher_innen/Lehrer_innen erzählen, wirklich stimmt. Fehlt es an sozialer Unterstützung durch die Eltern oder der Möglichkeit, das Erlebte zu erzählen, wird es wahrscheinlicher, dass das Kind bzw. der Jugendliche das Gefühl von Minderwertigkeit und Ohnmacht verinnerlicht. Diese Gefühle machen eine erfolgreiche Verarbeitung des Erlebten noch unwahrscheinlicher. Sie wirken sich – wenn keine Form der Unterstützung da ist – negativ auf das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl des Kindes aus. Diese gehören aber zu den Grundvoraussetzungen für die bestmögliche Entwicklung seines Potenzials und hängen eng mit der späteren Beziehungsfähigkeit des Kindes zusammen. Sie sind für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung maßgeblich und sollten von den Eltern geschützt werden. Als Elternteil sollte man daher nicht den Fehler machen, sich als ›zu beschützend‹ oder ›überempfindlich‹ zu sehen oder kategorisieren zu lassen: ein Mindestmaß an respektvollem Miteinander sollte im Alltag oder in den Bildungseinrichtungen nicht zu viel verlangt sein.

Rassistische Diskriminierung:
Die verletzende Kraft von Worten und die sogenannte ›Empfindlichkeit‹

Studien aus der interkulturellen Psychologie der letzten drei Jahrzehnte haben gezeigt, dass rassistische Diskriminierung (wie die oben beschriebenen Verhaltensweisen) starken Stress auf eine Person ausüben kann. Die Studienergebnisse der interkulturellen Psychologie belegen, dass rassistische Diskriminierung gegenüber Erwachsenen und Kindern:[2]