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Über dieses Buch:

Hamburg, 1909: Als Emma ein Schiff in Richtung Amerika besteigt, will sie von vorn anfangen – weit weg von Hunger, Angst und Elend. Doch der Empfang in New York ist alles andere als ermutigend: Ihr Onkel, bei dem sie unterzukommen hofft, ist ein arbeitsloser Säufer, die Mietskasernen sind überfüllt und schmutzig, und auch Arbeit gibt es kaum. Ein Hoffnungsschimmer ist die Anstellung als Näherin in der Triangle Shirtwaist Company. Doch sie wird bitter enttäuscht: 70 Arbeitsstunden und 3 Dollar Lohn die Woche, wer am Arbeitsplatz redet, lacht oder hustet, wird entlassen. Trotz größter Not beschließen die Frauen, gegen die grausamen Arbeitsbedingungen auf die Straße zu gehen … Aber wie hoch ist der Preis für Menschlichkeit?

Der preisgekrönte Roman – basierend auf einer wahren historischen Begebenheit: »Thomas Jeier erzählt in klarer, bildhafter Sprache, geradlinig mit großer Anschaulichkeit und dem sorgfältig recherchierten Wissen um die Fakten. Ein Buch humanistischen Engagements.« Dresdner Nachrichten

Über den Autor:

Thomas Jeier wuchs in Frankfurt am Main auf, lebt heute bei München und »on the road« in den USA und Kanada. Seit seiner Jugend zieht es ihn nach Nordamerika, immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und neuen Abenteuern, die er in seinen Romanen verarbeitet. Seine über 100 Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.

Bei jumpbooks erscheint auch:

Biberfrau

Die Tochter des Schamanen

Das Lied der Cheyenne

Wo die Feuer der Lakota brennen

Die abenteuerliche Reise der Clara Wynn

Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Die Website des Autors: www.jeier.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/thomas.jeier

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eBook-Neuausgabe November 2018

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel Emmas Weg in die Freiheit bei Verlag Carl Ueberreuter.

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2018 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Matej Kastelic (New York), Anna Muvchan (Frau)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-96053-225-5

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Thomas Jeier

Die vergessenen Frauen von Greenwich Village

Roman

jumpbooks

Für meine Mutter

Die Bosse in den Nähfabriken sehen die Mädchen
als Teil ihrer Maschinerie an.
Sie schreien sie an und stoßen sie schlimmer herum,
als man es wohl mit den Negersklaven
im Süden gemacht hat.«

Clara Lemlich

1

Der Mond hatte sich hinter den Wolken verkrochen, als Emma aus dem Fenster kletterte und das Haus ihres Onkels für immer verließ. Sie rannte an der Scheune vorbei, kletterte über den Zaun und floh über den Kartoffelacker zum Waldrand. Im Schutz der Bäume blickte sie voller Angst zum Dorf zurück. Erleichtert stellte sie fest, dass in keinem der Häuser ein Licht aufgeflammt war. Es gab keine aufgeregten Stimmen und kein lautes Hundegebell. Anscheinend hatte niemand ihre Flucht bemerkt.

Sie rannte weiter, floh über den schmalen Pfad, den sonst nur Holzfäller und Jäger benutzten, und hielt sich abseits der Landstraße, um keinen Reisenden zu begegnen. Dies war das Jahr 1909, und ein siebzehnjähriges Mädchen, das allein unterwegs war, hätte sogar tagsüber Verdacht erregt. Immer wieder drehte sie sich um. Wenn sie Glück hatte, würde man ihr Verschwinden erst am Morgen bemerken. Doch bis dahin wollte sie längst über alle Berge sein. Bis nach Hamburg waren es ungefähr dreißig Kilometer. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie die Strecke in zwei Tagen schaffen. Letzten Sommer, als sie zu einer Kusine ihres Onkels in die Nordheide gefahren waren, hatte sie sich den Weg genau eingeprägt.

Die Angst, von ihrem Onkel zurückgeholt zu werden, trieb sie vorwärts. Sie wollte nicht mehr zu ihm. Schon vor sieben Jahren, wenige Monate nachdem ihre Eltern in einem großen Feuer umgekommen waren und sie zu ihm gebracht worden war, hatte sie beschlossen, nur so lange wie unbedingt nötig bei ihm zu bleiben. Ihr Onkel hatte sie wie eine Sklavin behandelt. Sie musste im Stall und auf dem Acker arbeiten, und abends verlangte ihre Tante, dass sie beim Aufräumen in der Küche half. Ihr Geburtstag wurde überhaupt nicht gefeiert und zu Weihnachten gab es lediglich etwas Stoff zum Nähen oder neue Sohlen für ihre Schuhe. Das Buch über den Ritter Ivanhoe hatte sie vom Pfarrer bekommen. Noch schlimmer war jedoch, was vor zwei Monaten passiert war. Ihr Onkel hatte sich von hinten an sie herangemacht und mit beiden Händen ihre Brüste umfasst. Sie war weinend davongelaufen, doch er hatte sie eingeholt und ihr gedroht sie so zu verprügeln, dass sie es niemals vergessen würde, wenn sie ihn verriete.

Sie blieb auf einem Hügel stehen und ließ sich den kühlen Nachtwind ins Gesicht wehen. Das Frühjahr kam diesmal spät. Um sie herum herrschte tiefe Nacht. Es roch nach Regen, ein Segen für die vielen Bauern in dieser Gegend und gefährlich für sie, weil sie abseits der befestigten Straßen bleiben musste. Wenn sie bis zu den Knöcheln im Schlamm einsank und wie eine schmutzige Landstreicherin nach Hamburg kam, würde die Polizei sie anhalten und zu ihrem Onkel zurückschicken. Sie war noch nicht volljährig und hatte sich den preußischen Gesetzen zu beugen. Ihr Onkel besaß eine schriftliche Bestätigung über das Sorgerecht.

Leicht geduckt hastete sie am Waldrand entlang. Ihr Plan bestand darin, nachts zu laufen und tagsüber in irgendeiner Scheune zu schlafen, um möglichst ungehindert nach Hamburg zu kommen. Seitdem sie beschlossen hatte, ihrem Onkel und ihrer Tante wegzulaufen, hatte sie jeden Pfennig, den sie verdient oder geschenkt bekommen hatte, zur Seite gelegt. Jetzt waren hundert Reichsmark in dem Lederbeutel, den sie aus dem Versteck im Stall geholt und zu den Vorräten in ihren Rucksack gepackt hatte. Genug für eine Fahrkarte nach Amerika. Das wusste sie aus einem Artikel im Lüneburger Tageblatt, den sie in der Kirchenbibliothek gelesen hatte. Bis zum Tod ihrer Eltern war sie zwei Jahre auf der Schule gewesen und konnte gut lesen und schreiben. Sehr zum Leidwesen ihres Onkels, der sie sofort abgemeldet hatte, wegen des hohen Schulgeldes und weil es sich für ein Mädchen angeblich nicht lohnte, seine Energie für sinnlose Bildung zu verschwenden. Irgendwann würde sie heiraten, hatte er stets betont, und dann waren ganz andere Tugenden gefragt.

Sie erreichte den Nachbarort und blickte enttäuscht auf die dunklen Häuser und den Kirchturm. Das Dorf lag nur vier Kilometer vom Bauernhof ihres Onkels entfernt und sie war bereits seit über einer Stunde unterwegs. Wenn sie nicht schneller lief, würde sie eine ganze Woche für den Marsch nach Hamburg brauchen. Sie beschleunigte ihre Schritte und lief in einem weiten Bogen um das Dorf herum. Ungefähr einen Kilometer weiter nördlich erreichte sie die Landstraße nach Hamburg. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich Kartoffelfelder. Die Gefahr, auf dem flachen Land entdeckt zu werden, war groß, aber sie musste das Risiko eingehen, wenn sie nicht einen Umweg von mehreren Kilometern in Kauf nehmen wollte. Entschlossen lenkte sie ihre Schritte nach Norden. Tief geduckt und beide Daumen hinter die Riemen ihres Rucksacks geschoben, rannte sie durch die Nacht. Als ein kleiner Hase dicht vor ihr über eine Furche sprang, schrie sie vor Angst auf und blieb wie erstarrt stehen, darauf gefasst, im nächsten Augenblick die aufgeregten Stimmen einiger Dorfbewohner zu hören.

Doch niemand hatte sie bemerkt. Sie blieb eine Weile auf der Landstraße, um schneller voranzukommen, und lief erst über die Felder nach Nordwesten, als sie eine Abkürzung durch einen Wald nehmen konnte. Obwohl es zwischen den Bäumen beinahe stockdunkel war, fühlte sie sich dort wohler. Im Wald wurde sie bestimmt von niemandem entdeckt. Sie blieb einen Augenblick stehen, ließ die unheimliche Stille auf sich wirken und marschierte zielstrebig über einen Wildwechsel. Einmal hörte sie ein Geräusch. Sie blieb sofort stehen, aber es war nur ein Reh, das ihren Weg kreuzte und erschrocken im Unterholz verschwand. Ungehindert erreichte sie das andere Ende des Waldes.

Gegen Morgen, als die ersten hellen Streifen am östlichen Himmel zu sehen waren, erreichte Emma das Ufer der Elbe. Der Fluss schimmerte silbern im Morgengrauen. Sie atmete die frische Luft ein, die über den Fluss kam und schon nach Meersalz roch, und lächelte zufrieden. Wenn sie in der nächsten Nacht genauso gut vorankam, würde sie am Vormittag Hamburg erreichen. Aus dem Artikel im Lüneburger Tageblatt wusste sie, dass sich alle Passagiere, die mit dem Schiff nach Amerika fahren wollten, in den Auswandererhallen auf der Veddel einzufinden hatten, einer Elbinsel abseits der Stadt. Dort musste man sich einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen und einige Tage bleiben, bis man an Bord gelassen wurde. Die meisten Passagiere waren jüdische Auswanderer aus dem Osten, und die Behörden hatten Angst, dass sie Seuchen einschleppten oder auf die Schiffe brachten.

Emma hatte ihre Papiere aus der Schublade genommen, in der ihr Onkel alle Dokumente aufbewahrte, und ihr Geld reichte für den Aufenthalt in den Auswandererhallen und die Fahrkarte für die Überfahrt. Die einzige Gefahr war, dass ihr Onkel die Polizei alarmierte und man sie verhaftete, bevor sie an Bord gehen konnte. Doch sie hatte niemandem verraten, dass sie nach Amerika gehen würde. Niemand wusste von ihrem Plan, den sie schon vor einigen Jahren gefasst hatte, als sie die Bildpostkarte beim Apotheker gesehen hatte. Auch er sprach ständig davon, nach Amerika zu gehen, obwohl er wusste, dass er viel zu feige für ein solches Abenteuer war. Er hatte eine Frau und zwei Kinder und gehörte zu den angesehensten Bürgern des Dorfes. Warum sollte er auswandern?

Amerika, das Land der Freiheit. Das Paradies auf Erden, in dem es keine Armut und keine Unterdrückung gab. So stand es auf den Plakaten der Gesellschaften, die für eine Auswanderung warben. Dort würde sie endlich auf eigenen Füßen stehen. Niemand würde sie wie eine Sklavin behandeln oder unsittlich berühren. In Amerika, so hieß es, hatte jeder Bürger die gleichen Chancen, wurde kein Unterschied zwischen einem armen Bauernmädchen und der Tochter eines Kontorvorstehers gemacht. Sie würde ihr eigenes Geld verdienen, in ihrem eigenen Zimmer wohnen, und wenn sie einmal heiratete, würde sie nicht so abhängig von ihrem Mann sein wie ihre Tante, die ihrem Gatten hilflos ausgeliefert war. Ihre Tante war nie zur Schule gegangen, hatte nie einen Beruf erlernt und war gar nicht imstande sich selbst zu ernähren. Einmal hatte sie von einem Stiefbruder erzählt, einem gewissen Heinrich Rink, der schon im letzten Jahrhundert nach Amerika ausgewandert war und angeblich ein Eisenwarengeschäft in New York führte. Sie hatte nie mehr von ihm gehört, aber in ihren Augen war ein verräterisches Glitzern gewesen, als sie seinen Namen genannt hatte. Sie wäre wohl auch gerne nach Amerika gefahren.

Noch bevor die Sterne vom Himmel verschwanden, versteckte Emma sich im Schuppen eines Bauern. Das baufällige Gebäude erhob sich am Rand einer großen Wiese, auf der im Herbst wohl Heu gemacht wurde. Bis auf ein paar Heuballen und einige Geräte, die an den Wänden lehnten, war der Schuppen leer. Eine morsche Leiter führte auf eine Plattform an der Stirnseite empor. Sie verkroch sich zwischen die Heuballen und setzte ihren Rucksack ab. Darin waren etwas Käse und Speck, ein Stück Brot, ihr Sonntagskleid, frische Unterwäsche und das Buch über Ritter »Ivanhoe«, das sie mindestens zehn Mal gelesen hatte und unterwegs wieder lesen würde. Außerdem eine Flasche mit kaltem Tee und der Beutel mit dem Geld. Die Vorräte hatte sie heimlich aus der Küche gestohlen, während ihre Tante zu Bett gegangen war.

Schließlich aß und trank sie etwas, legte sich zwischen die Heuballen und bettete ihren Kopf auf den fest verschnürten Rucksack. Sie schlief sofort ein und träumte von den Hochhäusern, die sie auf der Bildpostkarte des Apothekers gesehen hatte. Gegen Mittag, als die ersten Regentropfen auf das Holzdach trommelten, schreckte sie aus dem Schlaf. Sie brauchte einige Zeit, um sich zu orientieren. Die Tür war aufgegangen und klappte im böigen Wind auf und zu. Durch den Spalt sah sie die Bäume am Flussufer als dunkle Schatten in den Regen ragen. Zitternd hielt sie ihren wollenen Mantel am Kragen zusammen.

Zum ersten Mal, seitdem sie geflohen war, beschlich sie die Angst vor einem Scheitern ihrer Flucht. Erst in diesem Augenblick schien ihr klar zu werden, welches große Wagnis sie eingegangen war. Ein siebzehnjähriges Mädchen, allein auf dem Weg in eine fremde Welt! Selbst mit einem Erlaubnisschreiben ihrer Pflegeeltern und einer Fahrkarte wäre sie nicht sicher gewesen. Frauen reisten nicht allein und Mädchen schon gar nicht. Sie fuhren nicht mal allein nach Hamburg. Würde sie es schaffen, eine Fahrkarte zu kaufen und in die Auswandererhallen zu kommen? Sie war hübsch. Wenn sie den Knoten löste, der ihre honigblonden Haare zusammenhielt, sogar sehr hübsch. Aber was spielten ihr Aussehen und ihre leuchtend blauen Augen für eine Rolle, wenn sie in einem Mantel, der an mehreren Stellen geflickt war, und abgelaufenen und dreckverschmierten Schuhen zum Schalter kam?

Ein Mann betrat den Schuppen. Emma blieb vor Schreck der Atem stehen und sie presste rasch eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszuschreien. Er verschloss die Tür und blieb schnaufend stehen. Wie Espenlaub zitternd beobachtete sie, wie er sein Bündel von der Schulter nahm und auf den Boden fallen ließ. Er schlug fröstelnd die Hände gegeneinander. Er war jung, höchstens drei oder vier Jahre älter als sie. Sein Regenmantel, den er bis zum Hals geschlossen hatte, spannte sich über seinen Muskeln. Sein Gesicht war kantig, die Nase etwas zu gebogen und der Mund zu schmal, aber in seinen Augen war ein Funkeln, das sie sofort für ihn einnahm.

Er nahm seine Schirmmütze von den blonden Haaren und schlug sie gegen sein rechtes Bein. Mit dem linken Ärmel wischte er sich den Regen vom Gesicht. Als er den Arm herunternahm, entdeckte er sie. In einem Reflex griff er nach einer Mistgabel und stürzte sich auf sie. Mit einem ängstlichen Aufschrei rollte sie sich zur Seite. Er rammte die Mistgabel in den Boden, zog sie heraus und holte erneut aus. Gerade noch rechtzeitig hielt er inne. Verstört ließ er die Mistgabel fallen. »Ein Weibsbild!«, stieß er hervor.

Emma sprang auf und funkelte den Mann wütend an. Noch unter Schock und in einer Mischung aus Angst und Wut fuhr sie ihn an: »Was fällt Ihnen ein? Wie können Sie es wagen, so etwas zu sagen? Ich bin Fräulein Emma Mahler und lasse mir von keinem dahergelaufenen Landstreicher sagen, dass ich ein Weibsbild bin!«

Der junge Mann musste unwillkürlich grinsen. Er hatte wohl erwartet, dass sie sich über seinen Angriff mit der Mistgabel beschwerte und sich nicht über ein belangloses Wort aufregte. Er warf die Mistgabel auf den Boden. »Tut mir Leid, mein Fräulein. Woher sollte ich denn wissen, dass sich junge Damen in Scheunen verstecken?« Er streckte eine Hand aus und wollte ihr vom Boden aufhelfen, aber sie lehnte wütend ab und stand allein auf.

»Wer sind Sie? Und was wollen Sie hier?«, fragte sie wütend.

Er grinste immer noch. »Ich bin der August. August Lutz aus Nördlingen in Bayern. Ich bin seit einigen Wochen unterwegs, und Sie müssen mir schon verzeihen, wenn ich etwas aufbrausend bin. Wäre nicht das erste Mal, dass mir ein Schlawiner in einer Scheune auflauert.« Er deutete zur Tür. »Wenn's recht ist, ich bin vor dem Regen hierher geflohen. Ich hab nur den einen Mantel.«

Sie entspannte sich und wischte mit beiden Händen das Stroh von ihrer Kleidung. »Tut mir Leid«, sagte auch sie. »Ich hab mich versteckt. Ich dachte, Sie sind der Bauer oder ... oder ein Polizist.«

»Seh ich vielleicht so aus?« Er kramte sein Rauchzeug aus der Jackentasche unter seinem Mantel und rollte sich eine Zigarette. »Sie haben doch nichts dagegen?« Er zündete sie an und rauchte genüsslich. »Ich bin Schreiner. Das heißt, ich war Schreiner, bis mir der Sohn des Bürgermeisters einen Diebstahl in die Schuhe schob und ich ihm so die Hucke vollschlug, dass ich bei Nacht und Nebel verschwinden musste. Oder meinen Sie, mir hätte jemand geglaubt? Jetzt geh ich nach Australien. Kennen Sie Australien? Da soll es so heiß sein, dass man auf den Steinen Spiegeleier braten kann!« Er paffte fröhlich. »Wollen Sie nach Hamburg?«

»Amerika«, verbesserte sie ihn. »Da beschimpfen sie ein Mädchen wie mich nicht als Weibsbild, und wenn ich mich anstrenge, kann ich ein Geschäft aufmachen. In Amerika ist alles möglich.«

»Haben Sie denn was gelernt?«

»Ich kann lesen und schreiben, wenn Sie das meinen« antwortete sie schnippisch. »Und ich habe keine Angst vor harter Arbeit. Ich habe nur was dagegen, dass man mich ausnützt und wie eine Sklavin behandelt.« Sie hatte seltsamerweise Vertrauen zu dem jungen Mann gefasst und scheute sich nicht, ihm die Wahrheit zu sagen. »So wie es mein Onkel und meine Tante getan haben!«

Sie erzählte ihm ihr ganzes Leben, verschwieg nur, dass ihr Onkel sie unsittlich berührt hatte, und verriet ihm sogar das Geheimnis, wie sie ausgerechnet auf Amerika gekommen war. »Und Sie?«, fragte sie schließlich. »Warum wollen Sie nach Australien?«

Er zuckte die Achseln. »Im Nachbardorf gab es einen Mann, der ist nach Australien gegangen. Ich hab ihn in einem Wirtshaus getroffen. Er war ziemlich betrunken und schwärmte den ganzen Abend von Australien. Wie schön es da wäre und dass man da sogar im Meer baden könnte. Ich hab gedacht, er schneidet auf, aber dann ist er wirklich gefahren, und als dann die Sache mit dem Alois, dem Sohn des Bürgermeisters, passierte ... nun ja, da dachte ich mir, versuchst es eben mal mit Australien. Da bist du weit genug von diesen Hornochsen weg. Haben Sie was zu essen?«

Sie öffnete ihren Rucksack und schnitt ihm etwas Speck und Käse ab. Er verschlang beides gierig. »Mir sind die Vorräte ausgegangen«, entschuldigte er sich mit einem Blick auf sein Bündel. »Da sind nur mein Sonntagsanzug und mein Tagebuch drin.«

»Sie führen Tagebuch?«, wunderte sie sich.

Die Frage behagte ihm nicht. »So ähnlich«, wich er aus. »Ich schreib halt auf, was so passiert und wen ich unterwegs treffe.«

»Schreiben Sie auch über mich?«

»Mal sehen.« August verbrannte sich die Finger an seiner aufgerauchten Zigarette und ließ sie zu Boden fallen. Er trat sie mit dem Stiefel aus. »Haben Sie schon eine Fahrkarte?«, fragte er.

»Nein. Und Sie?«

»Auch nicht. Ich hab nur die zwanzig Mark von meinem Großvater. Aber ich kenn einige Tricks, wie man daraus ein paar hundert Mark machen kann. Ist gar nicht schwer. Kann etwas dauern, aber das macht nichts.« Er blickte sie fröhlich an. »Haben Sie Geld?«

Sie zögerte lange genug mit der Antwort, um ihm zu zeigen, dass sie das Geld für die Überfahrt besaß, und nickte widerwillig. »Ich hab mein ganzes Leben gespart und den Rest hat der Herr Pfarrer mir gegeben. Ich hab ihm nicht gesagt, wofür ich es brauche, aber er hat es mir trotzdem gegeben. Wenn ich's mir recht überlege, ahnte er vielleicht sogar, dass ich weglaufen will. Er ist ein guter Mensch, der Herr Pfarrer. Er hat immer zu mir gehalten. Einmal war er sogar bei meinem Onkel und bat ihn, mich nicht so hart arbeiten zu lassen. Mein Onkel hörte natürlich nicht auf ihn.«

»Wie mein Vater, der war auch so einer«, erwiderte August. Obwohl er kaum Geld besaß und nicht einmal etwas zu essen in seinem Bündel hatte, schien er sich keine Sorgen zu machen. »Der kannte nur seine Arbeit. Ich musste den ganzen Tag in seiner Schreinerei schuften, von frühmorgens bis spätabends, und wenn ich nach dem Abendessen ein Licht anzünden und noch etwas lesen wollte, sagte er: »Bücher sind was für die Großkopferten. Wir sind einfache Leute. Wir brauchen keine Bücher. Wenn ich dich noch einmal beim Lesen erwische, setzt es eine Watsch'n, da kannst du dich drauf verlassen. Von da an hab ich dann heimlich gelesen.«

»Watsch'n?«, fragte sie verwundet.

»Backpfeife«, erklärte er. »Ohrfeige.«

Emma lächelte über seinen komischen Dialekt und wollte gerade etwas sagen, als das Rattern eines Fuhrwerks durch den Regen drang. Sie erschrak. »Wer kann das sein?«, fragte sie entsetzt.

August blickte erschrocken zur Tür. »Schnell! Da hoch!«, zischte er. Er deutete auf die morsche Leiter. »Nehmen Sie alles mit!« Er hob sein Bündel auf, wartete ungeduldig, bis sie den Rucksack gepackt hatte, und zog sie zur Leiter. Einer hinter dem anderen kletterten sie auf die Plattform. Sie verzogen sich in die hinterste Ecke und legten sich auf den Boden. »Kein Wort!«, warnte August sie.

2

Das Rattern des Fuhrwerks verstummte. Ein Pferd schnaubte und man hörte, wie jemand vom Wagen stieg. Eine Männerstimme im Hamburger Dialekt erklang: »So ein Schmuddelwetter hatten wir schon lange nicht mehr.« Eine andere antwortete: »Vetter Knut kommt noch früh genug zu seinen Waren. Ich hab keine Lust, die ganze Zeit durch den Regen zu fahren. Lass uns lieber eine rauchen. Ich hab die guten Zigarren von Onkel Wilhelm dabei. Hab ich beim Kartenspiel von ihm gewonnen. Ich hab geschummelt.«

Die beiden Männer betraten die Scheune. Mit ihnen wehten Regen und kühle Luft herein. Nachdem sie die Tür fest zugedrückt hatten, blieben sie fröstelnd stehen. Der eine war ungefähr dreißig, ein stämmiger Mann mit einem dichten Schnurrbart und einer Schirmmütze auf dem kantigen Schädel. Der andere war etwas jünger und sehr hager. Beide trugen lange Regenmäntel, wie Emma sie an der Küste gesehen hatte. Der Ältere zog zwei Zigarren unter seinem Mantel hervor, reichte seinem Begleiter eine und riss ein Streichholz an. Sein Gesicht leuchtete im Feuerschein.

Emma wagte kaum zu atmen. Sie lag flach auf dem Boden und spürte das kalte Holz und den Schmutz auf ihrer Wange. August lag dicht neben ihr. Sie nahm seinen warmen Atem wahr und sah sein aufmunterndes Lächeln, als sich ihre Blicke trafen. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte nach seiner Hand gegriffen. Sie lächelte zurück. Obwohl sie ihn kaum kannte, war seine Nähe beruhigend.

Der ältere Mann paffte genüsslich an seiner Zigarre. »So lass ich mir's gefallen«, meinte er. »Zu Vetter Knut kommen wir noch früh genug. Der hat sowieso zu viel Geld.« Er setzte sich auf einen Heuballen und fuhr mit einem Aufschrei wieder hoch. »He, was ist denn das?« Er zog ein kleines Messer aus dem Heu und betrachtete es misstrauisch. »Muss ein Landstreicher vergessen haben.«

Der jüngere Mann ließ sich das Messer geben. »Riecht nach Speck! Der Kerl kann noch nicht lange weg sein!« Er grinste verschlagen. »Weißt du noch, wie wir den Wanderburschen verprügelt haben, der uns das Huhn gestohlen hatte? Man muss diesen Burschen zeigen, wer hier das Sagen hat, sonst werden sie immer dreister! Wir arbeiten uns den Buckel krumm und die ziehen durch die Lande und stehlen und schnorren, was das Zeug hält!«

»Ob der Kerl noch hier ist?«, fragte der Ältere. Er stand auf und blickte zu der Plattform empor. »Vielleicht hat er sich versteckt.«

Emma gefror das Blut in den Adern, als sie beobachtete, wie der Mann zur Leiter ging und auf eine Sprosse stieg. Das Holz ächzte unter seinem Gewicht. Er stieg wieder herunter und winkte ab. »Ach, was soll's! Wenn er da oben wäre, hätte er sich längst verraten! Lass uns lieber weiterfahren. Der Regen hat aufgehört.«

Die Männer verließen rauchend die Scheune. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Wenig später hörte man, wie sie auf ihren Wagen stiegen und der Ältere die Pferde antrieb. »Hüah! Lauft!«

Emma atmete erleichtert auf. Als sie daran dachte, was passiert wäre, wenn die Männer sie entdeckt hätten, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Allein die Vorstellung, auf einem Polizeirevier auf ihren Onkel warten zu müssen, ließ sie zittern. Sie hob den Kopf und blickte August ernst an. »Das war knapp!«, flüsterte sie.

August war weniger beeindruckt. Oder er verstand es, seine Angst besser zu verbergen. Er brachte sogar ein Lächeln zustande »Das ist mir schon ein paarmal passiert«, sagte er. »Besonders in Bayern. Der Bürgermeister hätte am liebsten die Hunde auf mich gehetzt. Der hätte einen Unschuldigen eingesperrt, nur damit niemand seinen Sohn für den Täter hält! Ich hätte nicht mal eine Verhandlung bekommen. Aber jetzt kriegt er mich nicht mehr! Und bis er rausbekommt, dass ich mich in Preußen rumtreibe, bin ich in Australien und lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen!«

»Aber Sie haben doch gar nichts getan!«

Er lachte schadenfroh. »Ich hab ihn verprügelt! Ich hab den Alois so verprügelt, dass er nicht mehr gerade sitzen konnte!« Er sah ihren ungläubigen Blick und räusperte sich verlegen. »Außerdem war ich mal wegen einer kleinen Sache auf der Wache. Ich hatte fünf Pfennig gestohlen. Na ja, nicht wirklich gestohlen. Sie lagen beim Bäcker auf der Theke und ich hab sie eingesteckt. Ein Kunde hat mich verraten. Seitdem war ich immer verdächtig, wenn irgendwo was gestohlen wurde. Wenn ich im Dorf geblieben wäre, hätte man mich eingesperrt. Ganz sicher.«

»Und Sie sind wirklich unschuldig?«

»So wahr ich hier liege«, antwortete er aufrichtig. »Ich hab einiges getan, wofür ich mich schämen muss, aber das Geld aus dem Opferstock stehlen, so wie es der Sohn des Bürgermeisters getan hat, so etwas würde ich niemals tun! Ich beklaue keinen Pfarrer!«

Emma glaubte ihm. Obwohl sie August erst seit ein paar Minuten kannte, vertraute sie dem ehrlichen Ausdruck in seinen Augen. Er war kein Heiliger, und sein überhasteter Angriff mit der Mistgabel bewies, wie gewalttätig er sein konnte, wenn er einem angeblichen Feind gegenüberstand, aber er besaß auch ein Herz und würde niemals gegen einen Schwächeren vorgehen. Einen reichen Fabrikbesitzer, der täglich seine Angestellten knechtete, oder einen Bauer wie ihren Onkel würde er vielleicht bestehlen. Und er würde sich mit jedem Mann anlegen, der ihn herausforderte oder ungerecht behandelte. Doch einen Opferstock würde er nicht ausrauben und einem Mädchen gegenüber würde er immer höflich sein. Er würde sie niemals hintergehen, das glaubte sie schon jetzt zu wissen, und er würde sich immer anständig benehmen.

Woher sie diese Zuversicht nahm, wusste sie nicht. Vielleicht lag es tatsächlich an seinen braunen Augen. Oder an dem sanften Lächeln, das manchmal sein Gesicht erhellte. So wie er hatte sie noch niemals ein junger Mann angesehen, beinahe bewundernd und voller Respekt und nicht mit dieser unverhohlenen Lust wie ihr Onkel oder der Sohn des Hufschmieds. Der Junge mit dem vorstehenden Kinn hatte sie letzte Woche bedrängt und zwingen wollen, sich mit ihm im Heu zu treffen. Sie hatte ihn einen Schmutzfink genannt und war weggelaufen. August war anders. Zumindest ihr gegenüber. Das spürte sie mit jeder Faser ihres Herzens. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob er Australien vergessen und mit ihr nach Amerika fahren könne. Aber ein solches Anliegen gehörte sich nicht für eine junge Dame. Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als ihm ihre Sympathie auf diese Weise zu zeigen.

Sie stemmte sich auf die Knie und klopfte sich den Schmutz vom Mantel. Die verlegene Stille, die zwischen ihnen eingetreten war, hinderte sie daran, ihn direkt anzusehen. »Was wollen Sie tun, wenn Sie in Australien sind? Wieder als Schreiner arbeiten?«

August kroch etwas nach vorn, um nicht mit dem Kopf gegen das schräge Dach zu stoßen, und setzte sich ihr gegenüber. Auch er schien etwas verlegen zu sein und angestrengt darauf zu achten, ihr nicht zu nahe zu kommen. Es war schon unschicklich genug, mit einem unverheirateten Mädchen ihres Alters in einer dunklen Scheune zu sitzen. »Keine Ahnung«, erwiderte er. »Wenn's nach dem geht, was der Mann im Wirtshaus gesagt hat, gibt es da so viel Arbeit, dass sie für jeden Einwanderer dankbar sind. Handwerker, Bauern, Fischer ... da gibt es sogar Leute, die den ganzen Tag am Strand auf und ab gehen und Muscheln sammeln, haben Sie das gewusst?«

Er wusste eine Menge über Australien, viel mehr als sie über Amerika, und hörte gar nicht mehr auf, darüber zu erzählen. Sie hörte ihm gern zu. Seine Stimme klang warm und freundlich. Und jetzt fand sie auch wieder den Mut, ihm in die Augen zu blicken. Wenn er lächelte, hatte sie das Gefühl, sich darin zu verlieren. Er berichtete von endlosen Wüsten und weiten Stränden, dunkelhäutigen Eingeborenen mit hölzernen Wurfgeschossen, die zu dem zurückflogen, der sie geworfen hatte, von riesigen Bauernhöfen, größer als das Königreich Bayern. »Ich könnte Schafe scheren. Auf einer Schaffarm verdient man mehr Geld als in einer Schreinerei, sagt der Mann im Wirtshaus, da kann man reich werden!«

Er erzählte so lebendig, dass sie beinahe ihren Plan geändert hätte. Wenn es sich nicht schickte, ihn zu bitten nach Amerika zu fahren, konnte sie den Spieß vielleicht umdrehen und nach Australien auswandern. Auch das wäre nicht schicklich gewesen, aber wenn sie ein späteres Schiff nahm und ihm »zufällig« in Australien über den Weg lief, konnte doch niemand etwas sagen. Die Vernunft hielt sie zurück. Sie kannte diesen jungen Mann viel zu wenig, um sich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Und sie war noch viel zu jung, um sich schon einem Mann zu versprechen.

»Es hat aufgehört zu regnen«, sagte sie nach einer Weile. »Wenn Sie sich jetzt auf den Weg machen, schaffen Sie es vielleicht noch bis zum Stadtrand. Hier sucht Sie doch niemand.«

Er blickte in das Halbdunkel der Scheune. »Ich warte lieber, bis es dunkel wird. Ich hab keine Lust, so kurz vor dem Ziel noch festgenommen zu werden. Wer weiß, wen der Bürgermeister alles informiert hat. Der Gauner schreckt nicht mal vor Grenzen zurück.«

Sie ahnte, dass er bei ihr bleiben wollte, und hütete sich, ihn daran zu erinnern, dass er bei Tageslicht gekommen war. Nur mühsam unterdrückte sie ein zufriedenes Lächeln. Entweder war er ein vollendeter Kavalier, der eine junge Dame nicht allein den Gefahren der Nacht aussetzen wollte, oder er hatte etwas für sie übrig. »Ich gehe auch lieber nachts«, sagte sie so nüchtern wie möglich. »Ich traue mich nicht mal, den Zug oder den Autobus zu nehmen. Hier kennen mich zu viele Leute, und wenn mein Onkel schon die Polizei alarmiert hat, bin ich sowieso nicht mehr sicher.«

Er wagte nicht, sie anzusehen. »Dann haben Sie doch sicher nichts dagegen, wenn ich Sie nach Hamburg begleite?« Seine Stimme klang plötzlich heiser. »Ich würde Ihnen gern meinen Schutz anbieten. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Das würde mich sehr freuen«, antwortete sie vielleicht etwas zu förmlich. Sie hatte noch nie einen Freund gehabt, war von den meisten Jungen im Dorf nur geärgert worden und wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Die jungen Damen in dem Buch über Ivanhoe benahmen sich sehr seltsam, wenn ein Ritter ihnen den Hof machte. Sie waren beinahe abweisend und schnippisch, obwohl ihre Gedanken allein von dem Wunsch beherrscht wurden, seufzend in seine Arme zu sinken und ihn zu küssen. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, als sie daran dachte.

August überspielte die Verlegenheit, die sich zwischen ihnen ausbreitete, indem er sich eine Zigarette rollte und sie umständlich ansteckte. Er blickte in den Rauch, der sich unter der schrägen Decke verteilte, und schien ähnliche Gedanken wie sie zu haben, denn auch sein Gesicht lief plötzlich rot an. Er wischte einige Tabakkrümel von seinen Lippen und lächelte verlegen. »Sie waren sehr tapfer«, sagte er, »jedes andere Fräulein hätte vor Angst irgendeine Dummheit begangen, als die Männer hereinkamen.«

»Ich habe keine Angst«, behauptete Emma, obwohl sie so nervös gewesen war, dass sie gezittert hatte. »Wer nach Amerika auswandern will, muss Gott vertrauen und stark sein!« Den Satz hatte der Pfarrer in einer Predigt gebraucht, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Er hatte gesagt: »Wer es in diesem Leben zu etwas bringen will, muss Gott vertrauen und stark sein!«

Der Nachmittag verging wie im Flug. Mit jedem Wort, das sie wechselten, wurde ihr Verhalten natürlicher, und von der Verlegenheit, die sie zu Beginn ihrer Unterhaltung gehemmt hatte, war bald nichts mehr zu spüren. Ohne es zu merken, gingen sie zum vertraulichen »Du« über. Emma kam es beinahe so vor, als würde sie sich mit einer guten Freundin unterhalten, so freimütig kamen ihr die Worte über die Lippen. Nur das Funkeln in seinen Augen irritierte sie, verursachte ein Kribbeln, wie sie es noch nie gespürt hatte. Als er beim Aufstehen zufällig ihre Hand berührte, fühlte sie sich beinahe so wie die Burgfräulein in ihrem Buch. Du darfst dich nicht in ihn verlieben, rief sie sich zur Vernunft, er wandert nach Australien aus und du siehst ihn nie wieder! Aber ihr Gefühl sagte etwas anderes und sie war dankbar, als sie mit Einbruch der Nacht die Scheune verließen und er dabei kurz ihre Hand berührte.

Sie liefen am Ufer der Elbe entlang, blieben aber hinter der Böschung, um nicht von einem Flussschiffer gesehen zu werden. Mit gedämpfter Stimme unterhielten sie sich über belanglose Dinge. August beschrieb ihr den ersten Tisch, den er nach seiner Ausbildung geschreinert hatte, und sie erzählte von Ivanhoe und seinen Abenteuern beim großen Turnier. Nur wenn am Flussufer ein Schuppen auftauchte oder sie einen Lastkahn liegen sahen, schwiegen sie. Sie wollten kein unnützes Risiko eingehen. Emma war noch nie so weit gelaufen und litt unter einem schmerzhaften Muskelkater, ließ sich aber nichts anmerken. Sie glaubte sowieso, dass August aus Rücksicht auf sie etwas langsamer als sonst lief.

Die Nacht war kühl und im Schilf raschelte der Wind. Frösche quakten. Aus weiter Ferne drang das Tuten eines Lastkahns zu ihnen. Emma war froh, den jungen Mann getroffen zu haben, obwohl er sie bald wieder verlassen würde und sie vielleicht nie herausfinden könnte, wer er wirklich war. Sie glaubte nicht, dass er ein Dieb sei, auch wenn sie vielleicht die Einzige war, die ihm die Geschichte mit dem Bürgermeister abnahm. Aber was hatte er damit gemeint, dass ihm schon etwas einfallen würde, wie er die zwanzig Mark in seinem Bündel vermehren konnte? Ein Billett nach Australien kostete sicher über hundert Mark. Wie wollte er jemals an diese Summe herankommen? Sie wagte nicht, ihn zu fragen Vielleicht war es besser, wenn sie die Antwort niemals erfuhr.

Mit dem ersten Tageslicht erreichten sie Hamburg. Obwohl sie beide schon in großen Städten gewesen waren, August in Nürnberg und Emma in Hannover, waren sie doch erstaunt, welcher Trubel schon am frühen Morgen in den Vororten herrschte. Ungeduldige Kutscher trieben die Zugpferde ihrer Fuhrwerke an. Ein Autobus ratterte über eine Kreuzung. Das hektische Klingeln einer Straßenbahn hallte von einer Brücke herüber. Vor einem Laden ächzten zwei Männer unter einer schweren Kiste. Männer und Frauen in langen Mänteln liefen zu den Kontoren und Fabriken. In dieser Stadt konnten sich Emma und August nur am Tag bewegen. Nachts wären sie mit Sicherheit von der Polizei aufgegriffen worden. In dem morgendlichen Trubel fielen sie jedoch nicht auf, und obwohl August ein paarmal nach dem Weg fragen musste, erreichten sie ungehindert ihr Ziel. Sie hätten auch die Linie 14 der Straßenbahn nehmen können, die direkt vor den Auswandererhallen auf der Veddel hielt, aber sie sparten das Geld lieber und gingen zu Fuß. Auf die paar Kilometer kam es auch nicht mehr an.

An der Wilhelmsburger Brücke blieben sie stehen und blickten zur Insel hinüber. Ein junger Mann, der mit den Händen in den Manteltaschen am Brückengeländer lehnte und sich sehr lässig gab, schien ihre Gedanken zu erraten. »Sieh an«, sagte er zu ihnen, »die Herrschaften wollen wohl zu den Auswandererhallen?«

»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht«, erwiderte August.

Der junge Mann ließ sich nicht beirren. Er kam lächelnd näher und blieb in gönnerhafter Pose vor ihnen stehen. »Ich kann Ihren Unmut verstehen, junger Mann! Man hat Ihnen sicher gesagt, dass sich hier allerhand Gesindel herumtreibt. Es ist wahr, es gibt tatsächlich Schurken, die den Zigeunern aus dem Osten falsche Ratschläge geben und minderwertige Waren andrehen. Aber Sie kommen nicht aus dem Osten. Sie kommen aus ... lassen Sie mich raten ... Sie kommen aus dem Königreich Bayern, nicht wahr?«

»Und wenn?«, blieb August vorsichtig.

Das Lächeln im Gesicht des Fremden blieb. »Ich mag die Bayern, mein Herr!« Er blickte Emma an. »Darf ich fragen, woher das werte Fräulein kommt? Ich nehme an, Sie beide sind ein Paar?«

»Das tut nichts zur Sache«, sagte August rasch, bevor Emma antworten konnte. »Was wollen Sie von uns? Wir kaufen nichts!«

Der Fremde hob abwehrend die Hände. »Oh, ich habe nichts zu verkaufen!« Er legte bewusst eine kleine Pause ein. »Ich wollte Sie nur warnen. Viele Auswanderer kommen ... nun, etwas blauäugig nach Hamburg. Selbst die Herrschaften, die schon ein Billett haben. Ein Billett ist nicht genug, wissen Sie? Sie brauchen Geld, wenn Sie sich unterwegs etwas an Bord kaufen wollen, und die Amerikaner verlangen, dass jeder Einwanderer fünfundzwanzig Dollar dabeihat, sonst verweigern sie demjenigen die Einreise. «

»Fünfundzwanzig Dollar? Wie viel ist das?«, fragte Emma.

»Ungefähr hundert Mark«, antwortete der Fremde.

»Hundert Mark?«, rief Emma entsetzt.

August brachte sie mit einem strengen Blick zum Schweigen. »Das wissen wir alles«, sagte er zu dem Mann. »Wir brauchen Ihre Hilfe nicht. Und wenn Sie uns jetzt bitte in Ruhe lassen wollen ...«

»Wie Sie wollen«, meinte der Fremde lächelnd, »wie Sie wollen. Aber denken Sie daran, dass Sie Ihr Einreisegeld in Dollar umtauschen sollten, bevor Sie an Bord gehen. Ich kenne da eine Umtauschstelle, die Ihnen die Dollar zu einem wesentlich besseren Kurs als die Hamburg-Amerika-Linie gibt. Wenn Sie also wollen ...«

»Nein danke!«, schnitt August ihm das Wort ab.

Der Fremde verschwand und kehrte an seinen Stammplatz am Brückengeländer zurück. Emma und August gingen auf die andere Straßenseite, bis sie nicht mehr von ihm gesehen werden konnten.

3

»Hundert Mark!«, rief Emma entsetzt, als sie auf der anderen Straßenseite waren. »Mein Geld reicht gerade mal für das Billett! Woher soll ich bloß die anderen hundert Mark hernehmen?« In ihren Augen glänzten Tränen. »Wenn ich zurückgehe, schlägt mich mein Onkel! Oder er steckt mich in ein Erziehungsheim! Wer weiß, ob ich da jemals wieder rauskomme? Ich will nicht nach Hause!«

August zog sie vor ein Schaufenster, damit sie nicht so auffielen, und sprach beruhigend auf sie ein: »Du musst nicht nach Hause, Emma! Ich besorge dir die hundert Mark! Lass mich nur machen!« Er wollte sie trösten, wagte es aber nicht, seinen Arm um ihre Schultern zu legen. »Es kann allerdings etwas dauern, bis ich das Geld aufgetrieben habe. Wartest du so lange auf mich?«

»Mitten auf der Straße?«, fragte sie verwundert.

August lächelte. »In einer Pension.« Er führte sie die Straße hinunter, bis sie eine einfache Herberge erreichten. Ohne sich um ihre furchtsamen Blicke zu kümmern, öffnete er die Tür. »Hab keine Angst!«, sagte er zu Emma. »Ich regle das schon.«

Sie folgte ihm zögernd und blieb unschlüssig in dem kühlen Flur stehen. An der kahlen Wand stand ein kleiner Tisch, auf dem einige Ausgaben der Gartenlaube lagen. In ihrem Heimatort hatten einige Frauen die Fortsetzungsromane in dieser Zeitschrift gelesen, sogar die Ehefrau des Pfarrers. Die Polster der beiden Stühle, die neben dem Tisch an der Wand lehnten, sahen abgenutzt aus. Am Ende des Flurs, neben der Treppe, stand ein Sekretär mit geöffnetem Rollo. Auf der Schreibfläche lagen Papiere.

Eine ältere Dame kam aus dem Nebenzimmer. »Schönen guten Tag! Womit kann ich dienen?«, fragte sie freundlich. Sie trug ein dunkles Kleid, das am Hals von einer Brosche zusammengehalten wurde, und Filzpantoffeln, die nicht dazu passten. Ihre weißen Haare waren zu einem kunstvollen Knoten gebunden.

»Guten Tag, meine Dame!«, erwiderte August die Begrüßung. »Ich bin August Strehle, und das ist meine Verlobte Grete!« Er bat Emma durch einen raschen Blick, seine Notlüge nicht zu entlarven. »Wir wandern nach Amerika aus und wollen in die Auswandererhallen nach Veddel. Leider muss ich heute Nachmittag noch einem befreundeten Handwerker beim Hausbau helfen, deshalb möchte ich Sie bitten, meine Verlobte hier warten zu lassen. Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs sein werde. Es kann sein, dass wir bis spätabends arbeiten!« Als er die zögernde Miene der Dame bemerkte, zog er einige Münzen aus der Tasche. »Ich gebe Ihnen gern einige Münzen, falls meine Verlobte sich etwas hinlegen möchte. Wir haben eine anstrengende Reise hinter uns.«

War ihr Blick eben noch misstrauisch über seine abgerissene Kleidung gewandert, hellte ihr Gesicht sich beim Anblick der Münzen schlagartig auf. »Natürlich, mein Herr« stimmte sie zu. »Ihre Verlobte kann im Salon bei einer Tasse Tee warten, bis Sie zurückkommen. Es wird doch nicht zu lange dauern, mein Herr?«

»Ich hoffe nicht«, antwortete August. »Wir wollen heute Abend noch zu den Hallen rüber.« Er verabschiedete sich von Emma und verließ das Hotel, bevor die Dame nach Gepäck fragen konnte.

»Unsere Koffer sind schon drüben«, erriet Emma die Gedanken ihrer Gastgeberin. Ihr wurde erst jetzt bewusst, wie unvorbereitet sie auf ihre große Reise ging. Sie war bestimmt das einzige Mädchen, das nur mit einem Rucksack nach Amerika fuhr. Ohne August wäre ihre Reise schon hier in Hamburg zu Ende gewesen.

Die Besitzerin der Pension bat sie in den Salon und deutete auf einen Sessel, der ebenso abgenutzt wie die Möbel im Flur aussah. »Setzen Sie sich doch! Auf dem Tisch liegt die neueste Ausgabe der Gartenlaube. Eine wunderbare Zeitschrift, finden Sie nicht auch? Den neuen Roman kann ich sehr empfehlen.« Sie wartete, bis Emma sich gesetzt hatte. »Eine Tasse Tee, wertes Fräulein?«

»Gern«, stimmte Emma zu. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich in Gegenwart der vornehmen Dame, auch wenn ihre Gastgeberin sicher nicht so wohlhabend war, wie es auf den ersten Blick aussah. Dazu waren die Möbel zu schäbig. Es hatte eher den Anschein, als hielte sie sich mit ihrer Pension mühsam über Wasser.

»So, da wäre ich wieder«, meldete sich die Frau, als sie mit einem Tablett, auf dem eine Kanne Tee, zwei Tassen und etwas Gebäck standen, in den Salon zurückkehrte. Ein weiteres Indiz dafür, dass es ihr schlechter ging, als sie einen glauben machen wollte. In einem wohlhabenden Haushalt hätte es ein Dienstmädchen gegeben. »Und Sie wollen den Sprung nach Amerika wagen?«, fragte sie, nachdem sie den Tee eingeschenkt hatte.

Emma zwang sich zu einem Lächeln. »August und ich haben etwas Geld gespart. Mein Onkel besitzt ein Eisenwarengeschäft in New York und möchte, dass wir den Laden weiterführen. Er ist über sechzig und möchte sich langsam zur Ruhe setzen.« Zu spät fiel ihr ein, dass ihre Gastgeberin genauso alt sein musste.

»Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«, fragte die Besitzerin.

»Neunzehn«, log Emma. »Ich werde nächsten Monat zwanzig. Sobald wir in New York sind, wollen wir heiraten.« Sie bemerkte den zweifelnden Blick ihrer Gastgeberin und fügte rasch hinzu: »Ich sehe jünger aus, nicht wahr? Ich glaube, das liegt in der Familie. Manche Leute hielten meine Mutter für meine Schwester.«

»Kommen Ihre Eltern nicht mit?«

Emma merkte, dass ihre Gastgeberin sie aushorchen wollte, und achtete darauf, ihr nicht zu viel zu verraten. Sie traute ihr zu, die Polizei zu benachrichtigen, falls sie Verdacht schöpfte. Vielleicht gab es sogar eine Belohnung, wenn man eine junge Ausreißerin zurückbrachte. »Meine Eltern sind tot«, sagte sie, »sie sind vor sieben Jahren bei einem Feuer umgekommen.« Wenigstens das stimmte. »Kommen viele Auswanderer zu Ihnen?«, fragte sie.

»Alle paar Tage«, antwortete die Frau. »Die meisten Passagiere stammen aus Russland und haben kaum Geld. Juden, wissen Sie? Wenn ich ehrlich bin, möchte ich solche Leute auch gar nicht haben. Sie sind schmutzig und riechen nach Knoblauch.«

In der Lüneburger Zeitung hatte Emma oft über die Flüchtlinge aus Osteuropa gelesen. Angeblich hatte man sie aus ihrer Heimat vertrieben. Sie glaubten an denselben Gott, beteten aber in Synagogen und befolgten strenge Gesetze. Es gab seltsame Rituale und für jeden Anlass ein besonderes Gebet. Am Samstag, dem Sabbat, ließen sie die Arbeit ruhen. Die meisten Leute mochten die Juden nicht, auch ihr Onkel hatte ständig auf sie geschimpft. »Sollen sie doch nach Amerika fahren«, sagte er, »dann müssen wir uns nicht mit diesem stinkenden Abschaum herumschlagen!«

Emma war noch nie einem Juden begegnet und wollte sich kein Urteil erlauben. Sie verstand nichts von Politik. Geschickt lenkte sie das Gespräch auf harmlose Themen wie den riesigen Hamburger Hafen oder die neue Mode aus Paris. Nach einer Weile entschuldigte sich ihre Gastgeberin und ging. Emma atmete erleichtert auf. Sie war viel zu nervös, um sich mit der Dame zu unterhalten, und versteckte sich lieber hinter einer aufgeschlagenen Ausgabe der Gartenlaube und tat so, als würde sie darin lesen.

Doch ihr einziger Gedanke war: Würde August das fehlende Geld besorgen können und wann kehrte er zurück? Würde er überhaupt wieder zurückkommen? Was war, wenn er versuchte sich das Geld auf illegale Weise zu besorgen? Würde man ihn erwischen und ins Gefängnis sperren? Was sollte sie tun, wenn er bis zum Abend nicht zurück war? Sie besaß genug Geld, um sich für ein paar Tage in der Pension einzuquartieren, doch dann würde die Besitzerin sicher misstrauisch und alarmierte die Polizei! In Gedanken sah Emma bereits, wie man sie in Handschellen zu ihrem Onkel zurückbrachte, und hörte ihn sagen: »Vielen Dank, Herr Wachtmeister! Ich glaube, der Kleinen muss ich mal kräftig den Hintern versohlen!«

Der Tag verging quälend langsam. Durch die Fenster beobachtete sie mit wachsender Unruhe, wie die Sonne nach Westen wanderte und bald nur noch als blutrote Scheibe jenseits des Hafens zu sehen war. Einige Lagerhallen und Kräne hoben sich wie Scherenschnitte gegen den abendlichen Himmel ab. »Wo bist du, August?«, flüsterte sie verzweifelt. »Lass mich bitte nicht allein! Komm zu mir zurück, auch wenn du das Geld nicht auftreiben kannst! Wir schlagen uns schon irgendwie durch!«

Als es dunkel wurde, brachte die Besitzerin ihr einige Schnittchen mit Griebenschmalz und frischen Tee. »Ihr Verlobter lässt sich aber viel Zeit«, sagte sie mitleidig. Sie stellte den Teller hin, schenkte Tee ein und setzte sich zu Emma an den Tisch. »Warum muss er denn so wenige Tage vor Ihrer Abreise noch arbeiten?«

Ihren neuen Anlauf, sie auszuhorchen, beantwortete Emma mit einer Notlüge. »Die Arbeit wird gut bezahlt, und in Amerika können wir jede Mark ... jeden Dollar gut gebrauchen.« Sie aß eines der Schnittchen und zwang sich, nicht gleich nach dem nächsten zu greifen. Sie hatte großen Hunger. »Er wird sicher gleich kommen!«

Doch als sie das letzte Schnittchen gegessen hatte, war August noch immer nicht zurück und sie wurde langsam unruhig. Es gab keine anderen Gäste in der Pension, und die Besitzerin machte keine Anstalten, sie allein zu lassen. Sie stellte eine neugierige Frage nach der anderen, ob aus Neugier oder Misstrauen konnte Emma nicht sagen. »August ... mein Verlobter ist sehr fleißig. Der hört erst auf, wenn er eine Arbeit beendet hat.«

Die Minuten rannen dahin, und jede Viertelstunde erinnerte sie der Gong einer großen Standuhr daran, wie schnell die Zeit verging. Die Besitzerin las in der Gartenlaube,