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Sandra Dünschede

Friesengift

Ein Fall für Thamsen & Co.

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Zum Buch

Giftige Schönheit In Dagebüll-Hafen wird ein lebloser Mann in einem Waggon der Kleinbahn entdeckt. Bei dem Toten handelt es sich um Carsten Carstensen, dem Besitzer eines Tierversuchslabors aus der Gegend. Schnell stellt sich heraus, dass der Mann mithilfe eines Schlangengifts ermordet wurde. Die ersten Ermittlungen führen Kommissar Thamsen zu einem Kosmetikunternehmen in Düsseldorf, das Ergebnisse von Carstensen für seine Anti-Aging-Produkte bezog. Hier versucht man, den Verdacht auf mehrere Konkurrenzfirmen abzuwälzen. Doch auch in Dagebüll und Umgebung war der Laborbesitzer nicht gerade beliebt. Eine Tierschutzorganisation ist bereits des Öfteren gegen Carsten Carstensen vorgegangen, und selbst das familiäre Umfeld des Toten bringt einige Verdächtige zutage. Um dem Täter auf die Spur zu kommen, müssen sich Dirk Thamsen, seine Freunde Haie und Tom sowie der Düsseldorfer Kollege Hagen Brandt nicht nur die Frage nach dem Preis, sondern auch nach der Bedeutung von Schönheit stellen.

Sandra Dünschede, geboren 1972 in Niebüll/Nordfriesland und aufgewachsen in Risum-Lindholm, erlernte zunächst den Beruf der Bankkauffrau und arbeitete etliche Jahre in diesem Bereich. Im Jahr 2000 entschied sie sich zu einem Studium der Germanistik und Allgemeinen Sprachwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Kurz darauf begann sie mit dem Schreiben, vornehmlich von Kurzgeschichten und Kurzkrimis. 2006 erschien ihr erster Kriminalroman »Deichgrab«, der mit dem Medienpreis des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes als bester Kriminalroman in Schleswig-Holstein ausgezeichnet wurde. Seitdem arbeitet sie als freie Autorin und lebt seit 2011 wieder in Hamburg, wohin es sie als waschechtes Nordlicht zurückzog.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Friesengroll (2018)

Kilometer 151 (2017)

Friesennebel (2017)

Kofferfund (2016)

Friesenmilch (2016)

Knochentanz (2015)

Friesenschrei (2015)

Friesenlüge (2014)

Friesenkinder (2013)

Nordfeuer (2012)

Todeswatt (2010)

Friesenrache (2009)

Solomord (2008)

Nordmord (2007)

Deichgrab (2006)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2019

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © pure-life-pictures / fotolia.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-5908-5

Widmung

Für meine liebe Cousine Sabine

1. Kapitel

Das Wetter war trübe. Seit Tagen schon. Das würde sich leicht auf das Gemüt niederschlagen. Kann man nur zu gut an den Gesichtern der anderen Fahrgäste ablesen, dachte Torsten, während er seinen Blick durch den Gastraum der Utlande schweifen ließ.

Müde und abgespannt sahen die meisten Mitreisenden aus, obwohl das Wochenende gerade erst hinter ihnen lag. Der Grund vermochte die Uhrzeit zu sein. Es war 5.30 Uhr, Torsten hatte die erste Fähre von Wyk nach Dagebüll genommen, um rechtzeitig auf dem Festland zu sein.

Auch er fühlte sich müde, war aber voller Vorfreude, denn anders als die meisten Fahrgäste startete er heute in seinen lang ersehnten Urlaub. Australien. Davon hatte er schon immer geträumt und sehr lange darauf gespart. Jetzt war es endlich so weit.

Mit der Kleinbahn würde er nach Niebüll und von dort mit dem Zug nach Hamburg fahren. Die S-Bahn brachte ihn anschließend zum Flughafen, dann würde er dort in den Flieger steigen und dieser trüben Witterung entfliehen. Er seufzte leicht bei dem Gedanken daran, sich schon bald am Bondi Beach die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Deshalb konnte ihm die graue Suppe draußen über der Nordsee nichts anhaben. Rein gar nichts. Er schlug den dicken Reiseführer auf und gab sich seinen Träumereien hin, sodass die Fahrt wie im Flug verging.

Im Dagebüller Hafen ließ sich das schlechte Wetter jedoch nicht so leicht ignorieren. Die Kleinbahn stand noch nicht bereit, und Torsten musste unter der Überdachung warten. Wenigstens regnete es nicht, aber die feuchte Kälte kroch durch sämtliche Fasern seiner doch recht dünnen Reisebekleidung.

Die meisten anderen Fahrgäste pendelten wohl regelmäßig. Jedenfalls waren viele von ihnen verschwunden. Torsten nahm an, dass sie auf dem Festland ein Auto hatten. Er blickte auf die Uhr. Die Bahn schien sich zu verspäten, und die wenigen Mitreisenden zu dieser Stunde traten wie er von einem Fuß auf den anderen, um sich zu wärmen. Zum Glück hatte er einen großzügigen Zeitpuffer eingeplant. Man wusste nie, was auf solch einer Reise alles passierte.

Endlich hörte man einen lang gezogenen Pfiff und kurz darauf zischte die Kleinbahn auf die Dagebüller Mole. Es stiegen einige Reisende aus, die direkt zum Anleger hasteten, da die Fähre in wenigen Augenblicken wieder ablegen würde.

Torsten schwang sich seinen Rucksack über und nahm die Stufen in den Wagen hinein. Drinnen war es warm, aber die Luft zum Schneiden. Unwillkürlich rümpfte er die Nase und wählte einen Platz in der Nähe der Tür. Er platzierte seinen Rucksack auf dem Sitz daneben. Falls jemand käme und sich setzen wollte, würde er ihn immer noch auf den Boden stellen können. Augenblicklich fiel ihm ein Mann auf, der in dem Sitz schräg gegenüber schlief.

»Entschuldigung, das war hier Endstation. Müssen Sie nicht zur Fähre?« Torsten nahm an, der Fahrgast hätte den Ausstieg verschlafen und wäre sicherlich froh darüber, geweckt zu werden.

Der Angesprochene reagierte jedoch nicht. Torsten stemmte sich aus seinem Sitz hoch und ging auf den Schlafenden zu. »Hallo, das Schiff legt gleich ab.«

Keine Reaktion.

So fest konnte man doch nicht schlafen, oder? Torsten blickte sich um, doch von den anderen Fahrgästen, die verstreut im Wagen saßen, nahm niemand Notiz von dem Geschehen. Sollte er den Mann einfach schlafen lassen? War schließlich nicht sein Problem, wenn er die Fähre verpasste. Andererseits würde sich Torsten freuen, wenn ihn jemand wachrüttelte, für den Fall, dass er seine Haltestelle verpasste.

Er ging noch einen Schritt weiter auf den Mann zu, der leicht zusammengesunken gegen die Scheibe lehnte. Torsten streckte seinen Arm aus, zog ihn jedoch wieder zurück. Oder war der Mann gerade erst eingestiegen und gleich in einen Tiefschlaf verfallen?

Das konnte nicht sein. Torsten war einer der ersten Fahrgäste gewesen, die den Wagen betreten hatten, und den Mann hatte er unter dem Vordach der Haltestelle nicht gesehen. Oder täuschte er sich? Er überlegte kurz, da hörte er, wie über den Bahnsteig die Durchsage schallte, dass die Bahn gleich abfahren würde.

Torsten griff den Mann an der Schulter und rüttelte kräftig, doch statt eines Augenaufschlags oder Zusammenzuckens rutschte der Körper nach vorn und fiel kopfüber auf den benachbarten Sitz.

»Hallo?« Torsten rüttelte weiter. »Ist Ihnen nicht gut? Kann ich helfen?« Der Mann regte sich nicht. Torsten begann zu schwitzen, richtete sich auf und blickte sich im Wagen um. »Ist hier jemand Arzt? Ich glaube, dem Mann geht es nicht gut!«

Wider Erwarten sprang ein junger Blonder mit Mütze auf. »Ich bin Rettungssanitäter.« Mit wenigen Schritten stand er neben Torsten und schob ihn ein Stück zur Seite. »Lassen Sie mich mal.« Er kniete sich neben den Mann, horchte nach der Atmung, tastete nach dem Puls. Dann warf er Torsten einen Blick aus einem ziemlich bleichen Gesicht über die Schulter zu. »Haben Sie ein Handy? Dann wählen Sie den Notruf.«

Torsten verstand zunächst nicht, bewegte sich aber aufgrund einer Handbewegung des Blonden zu seinem Platz und fingerte mit zuckenden Händen sein Telefon aus seinem Rucksack. Während er die Nummer wählte und wartete, dass sein Anruf entgegengenommen wurde, sah er, wie der andere den Mann vom Sitz zerrte und mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung begann.

Einige andere Fahrgäste waren aufmerksam geworden und näherten sich dem Geschehen. Torsten wollte gerade etwas wie ›Hier gibt es nichts zu sehen‹ sagen, als sein Telefonanruf entgegengenommen wurde. »Ja, hier Torsten Möller, wir haben hier einen Notfall in der Kleinbahn von Dagebüll nach Niebüll. Ein Mann reagiert nicht.« Torsten schluckte, sein Mund war trocken und er spürte eine heiße Welle über sich hinwegrollen, während er sagte: »Ich glaube, er ist tot!«

2. Kapitel

Dirk Thamsen spürte eine Hand auf seinem Arm. »Hanno, es ist viel zu früh zum Aufstehen, leg dich wieder hin«, murmelte er schlaftrunken und zog die Decke über seinen Kopf. Dass kleine Kinder aber auch immer derart früh wach sein mussten. Thamsen fühlte sich hundemüde, war gestern erst spät von einer Dienststellenfeier nach Hause gekommen, und das auch nicht mehr ganz nüchtern.

»Dirk«, hörte er plötzlich Dörtes Stimme und wurde erneut am Arm gepackt, nun jedoch leicht geschüttelt. Er tauchte unter seiner Bettdecke auf und sah seine Lebensgefährtin im Halbdunkel neben seinem Bett stehen. Langsam rappelte er sich auf.

»Hier.« Sie reichte ihm das Telefon.

Dirk räusperte sich. »Thamsen«, meldete er sich mit belegter Stimme.

Der Anrufer war Ansgar Rolfs, sein Mitarbeiter, der im Gegensatz zu Thamsen frisch und munter klang. »Chef, es gab einen Notfall in der Kleinbahn.«

»Und?«

»Da saß wohl ein Toter im Wagen.«

»Ein Toter?«

»Ein Fahrgast hat versucht, ihn zu reanimieren, aber anscheinend war der schon tot.«

»Okay, ich komme. Dagebüll?«

»Nee, die Bahn steht mittlerweile in Maasbüll, wo der Notarzt zugestiegen ist.«

»Und da steht sie immer noch?«, wunderte Thamsen sich. Die Bahnstrecke war, soweit er wusste, eingleisig. Der Stopp sorgte wahrscheinlich für ein Verkehrschaos, falls man hier in der Gegend von so etwas überhaupt sprechen konnte.

»Der Notarzt hat den Verdacht geäußert, dass der Mann keines natürlichen Todes gestorben ist. Daher warten die auf uns.«

Auch das noch, dachte Dirk. Und schwang dabei die Beine aus dem Bett. »Ich bin gleich da.«

Wenig später lenkte er seinen Kombi über den alten Außendeich und erreichte Maasbüll nach wenigen Minuten. Trotz der frühen Stunde hatten sich bereits einige Menschen versammelt – angezogen durch die außergewöhnlichen Geschehnisse am Morgen.

Hier, in dem kleinen friesischen Dorf, passierte recht wenig – solch ein Leichenfund war daher natürlich eine Sensation, die die meisten Dorfbewohner nicht verpassen wollten. Er ließ seinen Blick über die Menge schweifen, konnte Haie Ketelsen aber nicht entdecken. Seltsam, überlegte er, eigentlich war sein Freund bei solchen Ereignissen immer schnell zur Stelle.

Thamsen stieg in den Wagen und sah sofort den Toten auf dem Mittelgang liegen. Der Notarzt war noch anwesend und gab an, dass er aufgrund der Pupillengröße und einer Injektionswunde am Hals vermute, dass der Mann vergiftet wurde.

»Vergiftet? Ja, aber wie denn?«

Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht mein Job, das herauszufinden, das sollten wir einem Rechtsmediziner überlassen.«

Dirk stöhnte, während er zum Handy griff und die Nummer des Staatsanwaltes wählte.

»Ein Mordfall?«, fragte Kurt Lehmann recht ungläubig, nachdem Thamsen die Vermutung des Notarztes geschildert hatte. »Gibt es denn weitere Hinweise? Zeugen?«

»Keine Ahnung, so weit sind wir noch nicht«, musste Dirk eingestehen. »Aber wenn es eine Vergiftung war …«

»Na, es kann auch andere Gründe geben. Muss ja nicht gleich ein Mord sein.«

»Schon, aber …«

»Sichern Sie erst mal den Tatort und befragen Sie die Zeugen«, ordnete der Staatsanwalt an.

Thamsen wusste, dass eine Obduktion nicht gerade kostengünstig war und das Land sicherlich sparen musste. Aber der Tote musste hier irgendwann weg, und eine Zwischenlagerung und eine dadurch verzögerte Einlieferung in die Rechtsmedizin verwischte unter Umständen wichtige Spuren. Gerade bei einer Vergiftung. Einige Substanzen ließen sich nur eine gewisse Zeit lang nachweisen, soweit Dirk wusste.

Zum Glück trafen in diesem Moment die Kieler Kollegen von der Spurensicherung ein. Mit etwas Glück fanden die schnell etwas. Doch der Kollege ließ sich nicht hetzen und wies zunächst sein Team ein. Thamsen machte sich daran, die Zeugen zu befragen.

»Sie haben den Toten zuerst entdeckt?« Er musterte den jungen Mann, der hektische rote Flecken im Gesicht hatte und zappelig hin und her schwankte.

»Ja, aber hören Sie, wann kann ich denn nun weiterfahren? Ich muss meinen Flieger erwischen.«

»Flieger?« Thamsen runzelte die Stirn.

»Ja, ich reise heute nach Australien.« Der Mann deutete auf einen großen Rucksack. »In Urlaub.«

Augenblicklich musste Thamsen an seine Tochter Anne denken, die bereits seit zwei Jahren in Down Under lebte. Zunächst hatte sie nur ein Austauschjahr machen wollen, dann hatte es ihr aber so gut gefallen, dass sie noch ein Jahr drangehängt hatte. Thamsen vermisste sie sehr, gönnte ihr jedoch diese Zeit; wenngleich er sich Sorgen machte, wann sie wohl anfangen würde, sich einen Job oder Studienplatz zu suchen.

»Zunächst müssen wir einmal Ihre Aussage aufnehmen.«

Der Mann nickte eifrig.

»Dann erzählen Sie mal.«

Der Angesprochene berichtete von seinem Einstieg in den Wagen und wie er den vermeintlich schlafenden Fahrgast hatte wecken wollen.

»Das ist alles?«, fragte Dirk, als Torsten Möller geendet hatte.

»Wie, alles?«

»Na, ansonsten ist Ihnen nichts aufgefallen?«

Der junge Mann schüttelte den Kopf.

»Gut, dann kommt gleich der Kollege und nimmt Ihre Personalien auf.«

»Und dann kann ich gehen?«

Thamsen lächelte. »Dann dürfen Sie gehen.« Dirk stieg aus dem Wagen und atmete tief ein. Es war recht kalt für diese Jahreszeit, aber die Luft war von solcher Frische, dass ihm der stickige Geruch in der Bahn erst jetzt auffiel. Die Menschenmenge hatte sich mittlerweile weiter vergrößert, und etwas abseits sah er seinen Freund Haie Ketelsen mit seinem Fahrrad stehen, wie er sich nahezu den Hals verrenkte, um etwas sehen zu können.

Thamsen hob die Hand zum Gruß, was Haie sofort als Aufforderung deutete. Er stellte sein Rad ab und kam auf ihn zu. Wie selbstverständlich zeigte er an der Absperrung auf Dirk, und der Beamte ließ ihn durch.

»Was ist denn los? Wieso fährt denn die Kleinbahn nicht weiter?«

»Was machst du hier?« Dirk ging auf Haies Frage gar nicht ein. Ihn interessierte, woher der Freund von dem Unglück wusste.

»Ich habe Niklas mit dem Rad nach Dagebüll begleitet. Die machen heute einen Schulausflug nach Föhr, und Tom ist nicht da, um ihn zu fahren.«

Thamsen wusste, dass Niklas durch seinen Patenonkel im Radfahren mehr als geübt war. Haie fuhr immer und überall hin mit dem Fahrrad, und von klein auf hatte Niklas ihn begleitet. Aber mit dem Fahrrad durch den Koog bei diesem Wind? Der Kleine tat ihm beinahe ein wenig leid.

»Konnte ihn denn keiner mitnehmen?«

»Wieso? Frische Luft und Bewegung hat noch niemandem geschadet. Apropos Schaden, ist die Lok kaputt?«, fragte Haie mit einem Kopfnicken Richtung Triebwagen.

»Dann wäre ich kaum hier. Nun tu man nicht so, hast bestimmt gehört, dass es einen Toten in der Bahn gab.«

»Und, wisst ihr schon was?«

Thamsen schüttelte den Kopf.

3. Kapitel

Frank Carstensen stoppte seinen Wagen vor dem Gebäudekomplex im Koog und stieg aus. Neben dem Zugang zum Labor stand bereits das rostige Auto von Britta Jürgensen, der Tierpflegerin. Sofern man bei ihrer Arbeit von Pflege sprechen konnte. Sie kümmerte sich um die Versuchstiere vor und während der Experimente.

Es war schwer gewesen, überhaupt eine geeignete Kraft für diese Aufgabe zu finden, denn diese musste Erfahrung im Umgang mit Tieren aufweisen. Doch meist waren solche Leute, gleich ob Tierpfleger oder Tiermedizinische Fachangestellte, gegen Tierversuche. Aber gerade das war es, was sich hinter den Mauern dieser Anlage abspielte – da brauchte man nach Franks Meinung nichts schönzureden.

Aber der Jobmangel in diesem Landstrich hatte Britta Jürgensen schließlich überzeugt und nun kümmerte sie sich seit mehr als zwei Jahren um die Labortiere. Frank Carstensen kontrollierte, ob sich das Tor automatisch geschlossen hatte und ging dann zum Eingang hinüber, wo er sich mithilfe eines PIN-Codes Zugang zum Gebäude verschaffte.

Durch einen Flur gelangte er in sein Büro, wo er seine Tasche auf dem Schreibtisch abstellte, seinen Laptop auspackte und hochfuhr, ehe er sich auf seinen morgendlichen Rundgang begab.

Über den Flur gelangte er durch eine Schleuse zunächst in den Laborbereich, der ruhig und still vor ihm lag. Der Arbeitsplatz war nicht besetzt – denn sein Bruder war im Gegensatz zu ihm eher ein Langschläfer. Sie hatten jedoch gerade eine Versuchsreihe abgeschlossen, die nächsten Tests waren erst für Mitte der Woche geplant.

Durch eine weitere Schleuse gelangte er in den Bereich, in dem die Tiere untergebracht waren. Hier standen ein paar Käfige, in denen vorrangig Mäuse und Ratten lebten, aber sie hatten auch ein paar Kaninchen und zwei Berberaffen, für die sie Britta Jürgensen hauptsächlich angestellt hatten. Ursprünglich hatte das Labor fünf Affen besessen, doch drei von ihnen waren im Laufe verschiedener Versuchsreihen verstorben. Jedes Mal, wenn ein Tier umgekommen war, hatte die Tierpflegerin mit ihrer Kündigung gedroht, war aber doch geblieben. Sie liebte die Affen, daher fand er Britta Jürgensen wie üblich bei deren Käfigen.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Frank.

»Morton hat immer noch diesen fiesen Ausschlag und er hat sich mittlerweile die gesamte Haut aufgekratzt«, erwiderte die Pflegerin beinahe feindlich.

Er nickte lediglich. Dafür war er in diesem Labor nicht zuständig. Der Mediziner war sein Bruder. Frank kümmerte sich um die geschäftlichen Belange des Labors. Aufträge, Nachschub an Versuchstieren sowie deren Entsorgung. Das Thema Sicherheit fiel auch in seinen Bereich, denn natürlich hatten bereits Aktivisten von dem Labor Wind bekommen und versucht einzudringen, um die Tiere zu befreien.

Doch im Gegensatz zu den Aktivisten hielten sie sich an das Gesetz. Laut Paragraf sieben des Tierschutzgesetzes durften sie Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden zum Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, zum Erkennen von Umweltgefährdungen, zur Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenklichkeit und im Rahmen der Grundlagenforschung zufügen. Das Labor verfügte über solch eine Genehmigung. Sie waren zwar hauptsächlich für Kosmetikfirmen tätig, hatten aber auch schon für Pharmaunternehmen gearbeitet. Das waren wichtige Forschungen, von denen alle profitierten, fand Frank und er verstand nicht, wieso sie immer wieder angefeindet wurden.

»Wann kommt denn Carsten?«, erkundigte sich die Tierpflegerin. »Morton muss dringend behandelt werden.«

Frank Carstensen zuckte mit den Schultern, während er sich abwandte. »Keine Ahnung.«

Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit beendet, und der Tote war in die Rechtsmedizin abtransportiert worden. Die Kieler Kollegen hatten fremde Fasern an der Kleidung des Mannes sowie eine Spritze in einem der Mülleimer unter den Fenstern sichergestellt.

Daraufhin hatte der Staatsanwalt einer Obduktion zugestimmt, denn nun bestand der begründete Verdacht, es könne sich um ein Kapitalverbrechen handeln. Auf der einen Seite war Thamsen erleichtert, aber andererseits würde viel Arbeit auf ihn zukommen – als Nächstes stand die Benachrichtigung der Angehörigen an, was nicht gerade zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählte.

Der Tote hatte zum Glück einen Ausweis bei sich getragen. Somit war zumindest die Identität geklärt. Es handelte sich um Carsten Carstensen aus Fahretoft.

»Einfallsreicher Name«, war es Dirk rausgerutscht, als er den Personalausweis betrachtete. »Kennst du den?«

»Soweit ich weiß, ist dem die Frau weggelaufen«, hatte Haie gemeint. »Es gibt aber Gerüchte, dass sie wieder zurückgekommen ist. Jedenfalls habe ich neulich im Sparmarkt gehört, wie Helene mit einer anderen Kundin zusammen darüber gerätselt hat, was Regina wohl an Carsten findet, denn für besonders attraktiv hielt zumindest Helene ihn nicht. Sie meinte, er habe wahrscheinlich andere Qualitäten.« Haie hatte Daumen und zwei Finger seiner rechten Hand aneinandergerieben.

Dirk lenkte den Wagen durch den Koog Richtung Fahretoft. Schön, aber einsam, dachte er, während er sich mit der Hand über Stirn und Augen fuhr. Kaum vorstellbar, dass in solch einer idyllischen Landschaft ein Mord geschah. Zumal das nicht der erste Fall war, den Thamsen bearbeitete. Eigentlich fiel ein Kapitalverbrechen in den Zuständigkeitsbereich der Kriminalpolizei, doch die ließ sich hier in der Einöde selten blicken. Die Arbeit durften immer Thamsen und sein Team machen, und das Lob kassierten die feinen Husumer Beamten. Er seufzte. Es ärgerte ihn, aber er war zu müde, sich heute darüber länger aufzuregen. Früher hatte er oftmals seinen Mund nicht halten können, mittlerweile dachte er sich, dass es der Aufregung im Prinzip nicht wert war. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war solch ein Mord, so unschön er auch sein mochte, natürlich eine willkommene Abwechslung. Ansonsten war es in der Tat eher beschaulich in seinem Zuständigkeitsbereich und sein Tag bestand hauptsächlich aus der Bearbeitung von Diebstählen, Einbrüchen und Körperverletzungen. Nicht dass das keine wichtigen Fälle waren, aber ein Mordfall blieb etwas Besonderes und brachte Aspekte mit sich, die auch für Thamsen mit seiner jahrelangen Berufserfahrung eine Herausforderung darstellten. Und Herausforderungen liebte Dirk. Eigentlich, denn langsam fühlte er sich zu alt für den Job, musste er feststellen. Oder lag es daran, dass er keine Lust hatte, Trauerbotschaften zu überbringen? Das war stets eine Aufgabe, die ihm nicht leicht von der Hand ging. Es nützte nichts, sie musste erledigt werden.

Er bog vom Holländerdeich in die Hans-Momsen-Straße ein und stoppte vor einem Haus, das im Vergleich zu dem kleinen Reetdachhaus nebenan geradezu protzig wirkte. Der Bau schien relativ neu, das Dach mit gebrannten Schindeln gedeckt, was Thamsen sehr gefiel. Was Carsten Carstensen wohl beruflich machte? Haie hatte gemeint, dass er mit seinem Bruder ein Labor führe. »Irgendwas mit Tieren, ist nicht unumstritten«, hatte er anklingen lassen.

Dirk stieg aus und ging auf den Eingang zu. Das Haus wirkte verlassen, doch als er klingelte, hörte er drinnen bereits jemanden »Ja, ich komme!« rufen. Kurz darauf öffnete eine adrett gekleidete Frau die Tür, deren Aufzug wirkte, als wolle sie gerade zu einem wichtigen Termin aufbrechen.

»Frau Regina Carstensen?«, erkundigte sich Dirk, woraufhin die Angesprochene lächelte.

»Kommen Sie rein, der Heizungskeller ist gleich hier!« Regina Carstensen drehte sich um und eilte davon.

»Entschuldigung«, versuchte Dirk sie aufzuhalten, aber die Frau missverstand seine Bemühung.

»Kein Problem, Sie haben sicherlich viel zu tun. Die Verspätung macht nichts, ich bin ja eh zu Hause.«

»Nein, also … wissen Sie …«

»Die Schuhe können Sie gerne anlassen.«

Thamsen war etwas ratlos. Regina Carstensen stieg bereits die Kellertreppe hinab, er folgte ihr. »Ich bin nicht wegen der Heizung hier.«

Sie hielt inne, drehte sich um und musterte ihn. »Nicht?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, es ist …« Dirk sah, wie die Frau auf der Treppe leicht schwankte. »Wollen wir lieber wieder hochgehen? Vielleicht in die Küche?«

»In die Küche?«

»Ja.« Er ging voran, blieb am Treppenabsatz stehen und wartete auf sie. Regina Carstensen zwängte sich an ihm vorbei, dabei stieg ihm ihr Parfüm in die Nase. Die hat sich ganz schön aufgebrezelt für den Heizungsmonteur, schoss es ihm durch den Kopf, während er ihr in die Küche folgte. Dort blieb sie stehen und blickte ihn an.

Thamsen schluckte. »Also, Frau Carstensen, wir haben Ihren Mann heute Morgen tot in der Kleinbahn aufgefunden.«

Die Witwe wirkte plötzlich wie versteinert.

»Wie es aussieht, besteht der Verdacht, dass er Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist.«

»Gewaltverbrechen?« Sie schwankte, und Dirk fasste die Frau am Arm, versuchte, sie in Richtung eines der Küchenstühle zu bugsieren.

Nicht dass die mir noch umkippt, dachte er. »Wissen Sie denn, wo Ihr Mann hinwollte?«

»Hinwollte? War er denn nicht im Labor?« Regina Carstensen war auf dem Stuhl zusammengesackt und schaute zu ihm hoch.

Thamsen setzte sich zu ihr an den Tisch. »Nein, ein Fahrgast hat ihn in der Kleinbahn gefunden.«

»Also kein Aktivist?« Die Witwe blinzelte mehrmals hintereinander.

»Aktivist?«

»Na, Tierschützer, diese aggressiven Leute. Haben ihn schon öfters bedroht. Was ist mit Frank?«

»Frank?«, erkundigte Dirk sich nach dem Zusammenhang.

»Sein Bruder.«

Thamsen zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte er irgendeine Art von Trauer erwartet, aber die Frau war entweder geschockt oder hatte von dem Mord gewusst, überlegte er. Vielleicht war der Heizungsmann ihr Alibi und sie und der Bruder hatten gemeinsame Sache gemacht? Tausend Gedanken schossen ihm plötzlich durch den Kopf.

»Was ist nun mit Frank?«

»Keine Ahnung, also es geht ja auch um Ihren Mann. Hatte er denn Feinde?«

»Sag ich doch, diese Aktivisten, die sich gegen das Labor auflehnen. Drohungen gab es mehr als genug.« Sie erhob sich und verließ die Küche. Thamsen wollte gerade aufstehen, um ihr zu folgen, da betrat sie den Raum mit einem Zettel in der Hand. »Der ist gestern gekommen, bestimmt hat das damit etwas zu tun.«

Er nahm das Blatt Papier, das sie ihm entgegenstreckte. Im Gegensatz zu anderen Drohbriefen, die oftmals aus Zeitungsschnipseln zusammengeklebt wurden, war dieser anscheinend mit einer Schreibmaschine verfasst worden.

Du kommst nicht ungeschoren davon, wer solche Gräueltaten verübt, muss selbst dran glauben.

Seltsam, wunderte Thamsen sich. Wer schreibt denn heute noch mit Schreibmaschine? »Den muss ich mitnehmen. Haben Sie vielleicht eine Schutzfolie oder Plastiktüte?« Die Witwe nickte und öffnete die Schublade eines Küchenschranks, aus der sie einen großen Gefrierbeutel holte.

»Finden Sie den Scheißkerl, der meinen Mann auf dem Gewissen hat.«

4. Kapitel

Haie war, nachdem der Einsatz in Maasbüll beendet gewesen war, mit dem Rad nach Risum zum Supermarkt gefahren. Eigentlich brauchten sie nichts, aber der Sparladen war nun einmal der Hauptumschlagplatz für Neuigkeiten im Dorf, und er war gespannt, was man sich dort über den Mord erzählte.

Der Laden war für diese Zeit außergewöhnlich gut besucht. Helene profitierte eindeutig von solch einem Mordfall, denn die Dorfbewohner strömten nach Bekanntwerden in Scharen zu ihr, in der Hoffnung, hier etwas Neues über die unfassbare Tat zu erfahren.

Vor der Kasse hatte sich eine lange Schlange gebildet, an der Haie sich mit einer Packung Milch, die sie immer gebrauchen konnten, anstellte.

»Mann, wat is denn hier hüt los?«, fragte er die kleine gebeugte Frau vor sich.

Meta Lorentz drehte sich zu ihm und musterte ihn aus ihrer niederen Position. »Kaum zu glauben, dass du noch nicht davon gehört hast.« Im Dorf war bekannt, dass Haie so etwas wie der Hilfssheriff in der Gegend und bestens mit Kommissar Thamsen befreundet war.

»Wat denn?«, gab Haie sich dennoch ahnungslos.

»Na, den Carsten Carstensen aus Fahretoft haben sie heute Morgen tot in der Kleinbahn gefunden.«

»Tatsächlich?« Er war erstaunt, dass sich die Identität des Toten bereits herumgesprochen hatte.

Meta Lorentz nickte und trat etwas näher an ihn heran. »Angeblich is he umbrocht worn.«

»Nee.« Haie fragte sich, ob die Information stimmte, wenn sie sich so rasend schnell verbreitet hatte, oder ob das lediglich von den Leuten spekuliert wurde.

»Was tuschelt ihr beiden denn da?«, mischte sich nun die Kaufmannsfrau Helene ein. Es war eine Lücke zur Kasse entstanden, da Haie und Meta nicht bemerkt hatten, dass sie an der Reihe waren. Nun rückten sie beide vor.

»Ihr sprecht doch über Carsten, oder?« Helene kniff die Augen zusammen. Insbesondere von Haie erhoffte sie sich Neuigkeiten.

»Ja, Meta hat gerade vertellt, dass der wohl umgebracht worden ist. Wer so etwas nur macht?«

»Bestimmt ein Irrer!«, krakelte plötzlich ein Mann von ganz hinten aus der Schlange, und die anderen Kunden fielen murmelnd ein.

»Ich weiß nicht«, bemerkte Haie. »Man meint ja immer, dass so jemand krank sein muss, aber kommt der Mörder nicht meistens aus der eigenen Familie oder aus der Nachbarschaft?« Er erinnerte sich an die letzten Fälle, bei denen er Thamsen unterstützt hatte. Aus eigener Erfahrung konnte er sagen, dass man niemandem ansah, zu was er fähig war. Aus Sicht des Täters hatte das Verbrechen eine plausible Erklärung, die nicht zwangsläufig krankhaft bedingt sein musste, geschweige denn irre war.

»Vielleicht hat das was mit seinem Labor zu tun. Da gab es ja manches Mal Ärger. Immerhin quält der da Tiere«, gab Helene zu bedenken.

»Echt?« Haie hatte zwar von dem Labor gehört und dass es Proteste gegeben hatte, aber was dort genau geschah, hatte er nicht mitbekommen.

»Tierversuche«, nickte Meta Lorentz.

»Aber bringt man deswegen jemanden um? Ich würde eher die Tiere befreien«, bemerkte Haie, und die anderen verstummten, da dies durchaus ein valides Argument war.

»So oder so läuft da draußen ein Mörder frei herum.« Wie so oft hatte Helene das letzte Wort.

Dirk grübelte immer noch darüber, warum Regina Carstensen derart reagiert hatte. Und warum hatte sie sich für einen Heizungsmonteur so zurechtgemacht? Betrog sie ihren Mann, obwohl sie zu ihm zurückgekehrt war? Wahrscheinlich, mutmaßte er. Zumindest hatte es den Anschein, dass sie den Handwerker bezirzen wollte, denn welche Hausfrau lief derart aufgedonnert in den eigenen vier Wänden herum? Dörte jedenfalls nicht, überlegte er und bedauerte, dass seine Freundin sich selten schön kleidete, seit die Kinder auf der Welt waren. Gut, sie war noch nie jemand gewesen, der besonders viel Wert auf ihr Äußeres gelegt hatte. Deswegen hatte er sich nicht in sie verliebt, aber als sie frisch zusammen gewesen waren, hatte sie sich hin und wieder für ihn hübsch gemacht, was in den letzten Jahren so gut wie nie vorgekommen war.

Nach Lottas Geburt hatte sie mit postnatalen Depressionen zu kämpfen gehabt. Hanno war zwar pflegeleicht, aber zwei Kinder schlauchten, und Dörte hatte wenig Zeit für sich, musste er ihr zugestehen. Zumal er ihr keine allzu große Stütze war. Dennoch würde er sich freuen, wenn sie wenigstens ab und zu als Paar etwas allein unternehmen könnten.

Er stoppte den Wagen vor einem Tor mitten im Nirgendwo. Das Labor von Carsten Carstensen lag fernab im Koog, drumherum nichts als Weite. Da kann man treiben, was man will, und keiner bekommt es mit, bemerkte Thamsen, als er auf die große Halle hinter dem Zaun blickte. Seufzend stieg er aus und schaute sich um. Dabei fiel sein Blick auf eine Kamera schräg gegenüber der Türglocke. Er schellte. Kurz darauf erklang eine Stimme aus der Gegensprechanlage.

»Bitte?«

»Herr Carstensen? Mein Name ist Dirk Thamsen von der …«

»Ich weiß, wer Sie sind. Hat wieder jemand Anzeige erstattet?«

»Was? Nein. Ich komme wegen Ihres Bruders.«

»Der ist nicht da.«

»Ich weiß.« Thamsen räusperte sich. »Kann ich vielleicht reinkommen?«

Es folgte eine kurze Pause, dann surrte das Tor auf und Dirk ging hindurch. Das Gelände wirkte gepflegt, beinahe ein wenig steril. Davon, dass hier Tiere gehalten wurden, sah man nichts. Kein Misthaufen, keine Transportboxen oder Futterbehälter, bemerkte Thamsen, während er auf den Eingang zusteuerte. Er hatte die Tür noch nicht erreicht, da trat bereits ein stämmiger Mann aus dem Gebäude.

»Also, was ist mit Carsten?«

»Wir haben Ihren Bruder heute tot in der Kleinbahn aufgefunden. Mein Beileid.«

Dem Mann wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht, er griff nach dem Türpfosten. »Aber das … unmöglich. Wie …?«

»Auf den ersten Blick kann man nichts sagen, wir haben eine Spritze gefunden, aber Genaueres wird erst die Obduktion bringen.«

»Spritze? Obduktion? Hat er sich denn etwa selbst …?«

»Davon gehen wir nicht aus, oder gab es Anzeichen?« Dirk runzelte die Stirn.

Frank Carstensen schüttelte den Kopf.

»Wann haben Sie Ihren Bruder denn zuletzt gesehen?«

»Gestern. Er ist nach Feierabend noch hier geblieben und hat irgendwelche Versuchsreihen auswerten wollen.«

Thamsen blickte über die Schulter seines Gegenübers in den Raum. »Was für Versuche?«

»Wir haben gerade ein neues Anti-Aging-Produkt getestet. Das ist alles streng geheim, darüber darf ich keine Auskünfte geben.«