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Grundwissen zur
Haltung, Fütterung, Gesundheit und Zucht

Richtlinien für Reiten und Fahren Band 4

Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN)

Grundwissen zur
Haltung, Fütterung,
Gesundheit und Zucht

Richtlinien
für Reiten und Fahren
Band 4

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2016 FNverlag der Deutschen Reiterlichen Vereinigung GmbH, Warendorf
Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wieder gabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungs anlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54, Abs. 2, UrhG, werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen.

19. Auflage 2019

Herausgeber
Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. – Bereich Sport, Abteilung Ausbildung – Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht
Fédération Equestre Nationale (FN), Warendorf

Gesamtredaktion/Lektorat
Dr. Catharina Veltjens-Otto-Erley, Warendorf

Texte
Dr. Teresa Dohms-Warnecke, Dr. Michael Düe, Prof. Dr. Bodo Hertsch, Gerlinde Hoffmann,
Thies Kaspareit, Dr. Henrike Lagershausen, Dr. Klaus Miesner, Susanne Miesner,
Dr. Catharina Veltjens-Otto-Erley, Dr. Joachim Wann, Prof. Dr. Klaus Zeeb

Beratung
Arbeitskreis Richtlinien Band 4

Korrektorat
Korrekturbüro G. und W. Kirchhoff, Büren-Brenken

Illustrationen Umschlag
Cornelia Koller, Dierkshausen

Abbildungen und Illustrationen Inhalt
Siehe Anhang, Seite 320

GESAMTGESTALTUNG
mf-graphics, Marianne Fietzeck, Gütersloh

Druck und Verarbeitung
Media-Print Informationstechnologie GmbH, Paderborn

ISBN 978-3-88542-724-7

Danksagung

Für die Überarbeitung der Richtlinien Band 4 konnten mithilfe verschiedener Fachleute neue Erkenntnisse gewonnen und spezielle Themengebiete verbessert dargestellt werden.

Ein besonderer Dank für diese Mitarbeit, die gedanklichen Anregungen sowie die Bereitstellung wissenschaftlicher Ergebnisse gilt daher:

Dr. Lutz Ahlswede
Dr. Hanno Dohn
Horst Ense (†)
Georg W. Fink
Fritz Gödeke
Dr. Hanfried Haring
Prof. Dr. Bodo Hertsch (†)
Dr. Christiane Müller
Franz-Karl Peiß
Dr. Friedrich-Christoph von Saldern
Prof. Dr. Ulrich Schnitzer
Werner Schockemöhle (†)
Ludger Schulze-Niehues
Prof. Dr. Klaus Zeeb

Alle in den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 4: Grundwissen zur Haltung, Fütterung, Gesundheit und Zucht erwähnten Personenbezeichnungen gelten für Frauen und Männer, auch wenn sie lediglich in der männlichen Sprachform ausgedrückt sind. Alle erwähnten Bestimmungen gelten für Pferde und Ponys, sofern für Ponys nicht ausdrücklich eine andere Regelung aufgeführt ist.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Kapitel 1
Entwicklungsgeschichte und Verhalten des Pferdes

1.1 Entwicklungsgeschichte des Pferdes
1.2 Verhaltensbiologie des Pferdes
1.2.1 Sozialverhalten
1.2.2 Fortbewegungsverhalten
1.2.3 Ruheverhalten
1.2.4 Ernährungsverhalten (Futter- und Wasseraufnahmeverhalten)
1.2.5 Komfortverhalten
1.2.6 Erkundungsverhalten
1.2.7 Ausscheidungsverhalten
1.2.8 Fortpflanzungsverhalten
1.3 Verhaltensgerechter Umgang mit Pferden
1.3.1 Tierschutz
1.3.2 Vertrauen und Hilfengebung
1.3.3 Unerwünschtes Verhalten und Verhaltensstörungen
1.4 Erläuterungen zu den Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes

Kapitel 2
Pferdezucht

2.1 Praktische Pferdezucht und Management
2.1.1 Fortpflanzung und Anpaarung
2.1.2 Trächtigkeit und Geburt
2.1.3 Fohlenaufzucht
2.2 Pferderassen und Zuchtgebiete
2.2.1 Historischer Überblick
2.2.2 Brandzeichen und Zuchtpferdebestand in Deutschland
2.2.3 Einteilung der verschiedenen Pferderassen
2.3 Organisation der Pferdezucht
2.3.1 Allgemeines
2.3.2 Aufgaben der Zuchtverbände/Züchtervereinigungen
2.3.3 Zuchtplanung
2.4 Identifizieren und Beurteilung von Pferden
2.4.1 Identifizierung
2.4.2 Farbe und Abzeichen
2.4.3 Exterieur und Bewegung von Deutschen Reitpferden und -ponys
2.4.4 Interieur
2.4.5 Zahnalterbestimmung
2.5 Vererbungslehre
2.5.1 Allgemeine Grundsätze
2.5.2 Farbvererbung
2.5.3 Zuchtmethoden

Kapitel 3
Ernährung

3.1 Anatomische und physiologische Grundlagen der Verdauung des Pferdes
3.1.1 Kopf
3.1.2 Speiseröhre
3.1.3 Magen
3.1.4 Dünndarm
3.1.5 Dickdarm
3.1.6 Leber
3.1.7 Niere
3.1.8 Verdaulichkeit der Futtermittel
3.2. Grundlagen der Versorgung mit Wasser, Energie, Nähr- und Ballaststoffen
3.2.1 Wasser
3.2.2 Energie
3.2.3 Eiweiß
3.2.4 Struktur-/Ballaststoffe
3.2.5 Mengenelemente
3.2.6 Spurenelemente
3.2.7 Vitamine
3.3. Futtermittel
3.3.1 Raufutter/Grobfutter
3.3.2 Saftfutter
3.3.3 Kraftfutter
3.4. Praktische Fütterung
3.4.1 Prinzipien der Rationsgestaltung
3.4.2 Futterzuteilung
3.4.3 Fütterung von Pferden im Erhaltungsstoffwechsel
3.4.4 Reitpferdefütterung
3.4.5 Hochleistungspferdefütterung
3.4.6 Fütterung von Kleinpferden und Ponys
3.4.7 Zuchtpferdefütterung
3.4.8 Jungpferdefütterung
3.4.9 Fütterungsfehler
3.4.10 Futtermittel als Dopingsubstanzen

Kapitel 4
Ställe, Nebenräume und Bewegungsflächen

4.1. Haltungsformen
4.2. Laufstall, Gruppenauslaufhaltung, Bewegungsstall
4.2.1 Liegeflächen, Auslauf, Einzäunung
4.2.2 Fütterungseinrichtungen, Tränken
4.3. Boxenstall
4.3.1 Trennwände, Türen, Boxenboden
4.3.2 Tröge, Tränken, automatische Fütterung
4.3.3 Stallgasse, Außentore
4.3.4 Außenflächen vor der Box, Türen, Belag und Einzäunung
4.4. Offene oder geschlossene Ställe, Lüftung und Anforderungen an das Stallklima
4.4.1 Anforderungen an das Stallklima
4.5. Nebenräume, Servicebereiche
4.5.1 Futter- und Einstreulager
4.5.2 Einstreu, Entmistung, Dunglagerung und Verwertung
4.5.3 Sattelkammer und Pflegeplätze
4.6. Auslauf, Führanlage, Laufband
4.6.1 Freifläche vor der Box, Auslauf
4.6.2 Führanlagen, Laufband
4.7. Koppel
4.7.1 Größe und Lage
4.7.2 Einzäunung
4.7.3 Trinkwasserversorgung und Witterungsschutz
4.7.4 Bewirtschaftung

Kapitel 5
Gesundheit und Krankheiten

5.1. Pferdepflege
5.1.1 Pflege der Haut, der Deckhaare, und der Körperöffnungen
5.1.2 Pflege der Langhaare
5.1.3 Frisieren
5.1.4 Bandagieren
5.1.5 Abwarten
5.1.6 Ausrüstung
5.2. Haut und Huf
5.2.1 Aufbau und Funktionen der Haut
5.2.2 Erkrankungen der Haut
5.2.3 Der Huf
5.2.4 Hufpflege
5.2.5 Erkrankungen des Hufes
5.3. Skelett- und Muskelsystem
5.3.1 Das Skelett
5.3.2 Das Gelenk
5.3.3 Die Muskulatur
5.3.4 Die Sehnen und Bänder
5.3.5 Erkrankungen der Knochen
5.3.6 Erkrankungen der Gelenke
5.3.7 Erkrankungen der Muskulatur
5.3.8 Erkrankungen der Sehnen, Bänder, Sehnenscheiden und Schleimbeutel
5.4. Kreislaufsystem
5.4.1 Allgemeines
5.4.2 Erkrankungen des Kreislaufsystems
5.5. Atmungssystem
5.5.1 Allgemeines
5.5.2 Erkrankungen des Atmungssystems
5.6. Anmerkungen zum Training eines Pferdes
5.7. Verdauungssystem
5.7.1 Allgemeines
5.7.2 Erkrankungen der Verdauungsorgane
5.8. Harn- und Geschlechtsorgane
5.8.1 Allgemeines
5.8.2 Erkrankungen der Harn- und Geschlechtsorgane
5.9. Nervensystem
5.9.1 Aufgaben, vergleichende Betrachtung
5.9.2 Erkrankungen des Nervensystems
5.10 Sinnesorgane
5.10.1 Allgemeines
5.10.2 Erkrankungen der Sinnesorgane
5.11. Parasitäre Erkrankungen
5.11.1 Parasitenbefall und -bekämpfung
5.11.2 Endoparasiten
5.11.3 Ektoparasiten
5.12 Infektionskrankheiten
5.12.1 Pferdegrippe (Influenza, seuchenhafter Husten, („Hoppegartener Husten“)
5.12.2 Druse
5.12.3 Blutfleckenkrankheit (Morbus maculosus, Petechialfieber)
5.12.4 Ansteckende Blutarmut (Infektiöse Anämie)
5.12.5 Ansteckende Gehirn- und Rückenmarkentzündung (Bornasche Krankheit)
5.12.6 Wundstarrkrampf (Tetanus)
5.12.7 Botulismus, Erreger: Clostridium botulinum
5.12.8 Rotz
5.12.9 Beschälseuche (Dourine)
5.12.10 Herpes (EHV – Equines Herpesvirus)
5.12.11 Borreliose (Borrelia burgdorferi, Lyme-Borreliose)
5.12.12 Tollwut
5.12.13 Hygienemanagement
5.13 Stereotypien
5.13.1 Koppen (Krippensetzen, Aufsetzen, Freikoppen, Luftschnappen, Windschnappen)
5.14 Tipps für den Pferdekauf

Anhang

Hinweise zur Unfallverhütung

Literaturverzeichnis

Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes

Grundregeln des Verhaltens im Pferdesport (Verhaltenskodex)

Verzeichnis des FN-Lehrmaterials

Stichwortverzeichnis

Abbildungen und Illustrationen

pg9

Vorwort

Die Richtlinien für Reiten und Fahren sind mit ihren verschiedenen Bänden das Standardwerk für das Grundwissen um das Pferd und den Reit-, Fahr- und Voltigiersport. Für den internationalen Gebrauch sind sie in die englische Sprache übersetzt worden.

Das Pferd ist ein wertvolles Kulturgut, das es zu pflegen und zu bewahren gilt. Wer das Glück hat, ein Pferd zu besitzen, es halten und pflegen zu dürfen, muss auch seinen artgemäßen und biologischen Lebensansprüchen gerecht werden. Die völlig neu überarbeiteten Richtlinien Band 4 enthalten das Basiswissen für einen artgerechten Umgang mit dem Pferd und der tiergerechten Haltung des Pferdes. Sie vermitteln Kenntnisse über die Verhaltensweisen der Pferde, über ihre richtige Haltung und Fütterung sowie über angemessene Pflege-, Hygiene- und Gesundheitsvorsorgemaßnahmen. Weiterhin werden in diesem Band die Grundlagen der Anatomie und Physiologie des Pferdes sowie die wichtigsten Pferdekrankheiten abgehandelt. In dem Kapitel „Pferdezucht“ sind sowohl theoretische Grundlagen als auch praktische Tipps zu finden.

Die Richtlinien Band 4 dienen der Vorbereitung auf Reitabzeichen- und Ausbildungsprüfungen nach aktueller APO und gehören zum Rüstzeug eines jeden verantwortungsvollen Pferdefreundes und -halters.

Die Inhalte sind dem aktuellen Kenntnisstand der Fachwelt angepasst, insbesondere:

Die „Richtlinien für Reiten und Fahren“, Band 1 bis 6, sind Bestandteil der klassischen Reit- und Fahrlehre. Sie sind die Grundlage für die Ausbildung aller Reiter, Fahrer und Voltigierer sowie Ausbilder und Richter, die sich dieser Lehre verpflichtet fühlen. Band 4 dient zusätzlich als Nachschlagewerk für Pferdebetriebe, Pferdehalter und -züchter.

FN-Bereich Sport – Abteilung Ausbildung und Wissenschaft
im August 2016

Kapitel 1

Entwicklungsgeschichte
und Verhalten des Pferdes

1.1 Entwicklungsgeschichte des Pferdes

Das Pferd hat sich, wie jede Tierart, im Laufe der Entwicklungsgeschichte durch natürliche Selektion an bestimmte Lebensräume angepasst.

Der älteste bekannte Vorläufer des Pferdes ist der Eohippus, das Pferd des Eozäns (siehe Abbildung 1). Es lebte vor ca. 60 Mill. Jahren, war etwa 25 bis 45 cm groß, hatte einen vierzehigen Vorderfuß, einen dreizehigen Hinterfuß und das Gebiss eines Laubfressers.

In den folgenden Entwicklungsstufen, die Millionen Jahre dauerten, wurden die Tiere allmählich größer und entwickelten sich vom Wald- zum Steppentier. Die Nahrungsumstellung von Blättern auf die härteren Gräser führte zu einer Veränderung des Gebisses.

Der Wechsel des Lebensraumes vom Wald zur Steppe machte sowohl Wanderungen zur Nahrungssuche erforderlich als auch die Fähigkeit, mit großer Geschwindigkeit vor Feinden fliehen zu können. So entstand ein hoch spezialisiertes Lauf- und Fluchttier, das nur noch mit der mittleren behornten Zehe den Boden berührte, dem Huf. Deshalb nennt man die pferdeartigen Tiere (Equiden) auch Einhufer (Einzeher). Dazu gehören die echten Pferde, die Zebras, die Esel und die Halbesel.

Schneller, ausdauernder Lauf erfordert eine gute Durchblutung der Muskeln und daher viel Sauerstoff, weshalb sich Atmung und Kreislauf der Pferde auch auf diese Anforderungen eingestellt haben. Ebenso stieg die Überlebenschance vor dem Feind durch die Entwicklung hochsensibler Sinnesorgane für Sehen, Hören und Riechen.
Ein weiterer Aspekt der Arterhaltung ist eine ausgeprägte Rollenverteilung im Herdenverband. Daraus resultiert die Entwicklung eines immer weiter verfeinerten Sozialverhaltens und des Herdentriebs.

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Das Pferd ist ein hoch spezialisiertes, in Herden lebendes Lauf- und Fluchttier. In Einzelhaltung, getrennt von den Artgenossen sowie bei nicht ausreichender Bewegung, fühlt es sich nicht wohl.

Abbildung 1: Die Evolution des Pferdes

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1.2 Verhaltensbiologie des Pferdes

Die Entwicklungsgeschichte des Pferdes ist als ein Prozess andauernder Auseinandersetzung mit der Umwelt anzusehen.

Die Zuchtauswahl betrieb in diesem Falle die Natur; nur wer sich anpassen konnte, überlebte. Durch die Domestikation änderte sich das. Der Mensch betreibt Zuchtauswahl auf seine Leistungsziele hin und verändert die Wildart.

„Domestikation ist ein generationsübergreifender Prozess, bei dem durch die mehr oder weniger gezielte Auswahl von besonders umgänglichen Tieren für die Zucht durch den Menschen die genetische Veranlagung der Tiere verändert wird. Mit dieser Selektion auf Zahmheit gehen neben der verringerten Flucht- und Aggressionsbereitschaft auch typische, körperliche Veränderungen einher. So sind bei domestizierten Tieren im Vergleich zu den entsprechenden Wildtieren ein verringertes Gehirnvolumen, eine Reduzierung des Verdauungstraktes und eine gesteigerte Fortpflanzungsrate zu erkennen – Begleiterscheinungen der durch den Menschen vereinfachten Lebensbedingungen vor allem durch die Bereitstellung von Futter“1 sowie der Schutz vor natürlichen Feinden.

Dennoch ist zum Verständnis jeder Haustierrasse die Kenntnis der Wildart unerlässlich, weil der Mensch davon ableiten muss, wie er das Pferd hält und nutzt. Er muss das Verhalten des Pferdes kennen, um das Pferd richtig zu behandeln und um dessen Lebensansprüche zufriedenstellend erfüllen zu können.

„Wichtig ist dabei auch zu beachten, dass Verhaltensweisen grundsätzlich nicht durch die Domestikation aus dem Verhaltensrepertoire verloren gehen oder neu dazukommen, sondern dass es nur zu Schwellenwertveränderungen kommt.
Das heißt: Nur die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verhalten gezeigt wird, und die Intensität, in der es ausgeübt wird, kann durch Domestikation abweichen. Daher besitzen auch unsere heutigen, seit etwa 5000 Jahren domestizierten Pferde noch die gleichen, wenn auch leicht schwächer ausgeprägten, für das Überleben der Wildpferde jedoch wichtigen Instinkte, wie beispielsweise eine hohe Fluchtbereitschaft.

Aufgrund der vergleichsweise geringen Änderung im Verhalten des Hauspferdes gegenüber dem ursprünglichen Wildpferd können Hauspferde auch ohne Betreuung durch den Menschen in entsprechenden Lebensräumen überleben“1.

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Weil der Mensch die Verantwortung für das Pferd übernommen hat, muss er Bedingungen schaffen, die dem Pferd die Erfüllung seiner arttypischen Lebensbedürfnisse ermöglichen.

Das Pferd ist ein Steppentier, Herdentier, Fluchttier, Dauerfresser und besitzt ein gutes Anpassungsvermögen an Klimaveränderungen.
Daraus ergeben sich verschiedene arttypische Verhaltensweisen und Ansprüche, die bei der Haltung, Fütterung und dem Umgang mit dem Pferd beachtet werden müssen.

Dabei handelt es sich im Wesentlichen um folgende Verhaltenskomplexe:

1.2.1 Sozialverhalten

Sozialleben in der Herde
Pferde leben in freier Wildbahn in Familienverbänden von bis zu 20 Tieren, geführt von einer Leitstute und einem Leithengst. Hierzu gehören Altstuten und deren Fohlen bis zu einem Alter von drei Jahren.
Die Leitstuten führen die Herde zu neuen Wasser- oder Futterstellen, während der Hengst die Gruppe zusammenhält und sie gegen Angriffe von außen verteidigt.

Mit Beginn des zweiten oder dritten Lebensjahres verjagt er Hengstfohlen, die dann eine Junghengstgruppe bilden. Die Gestütspraxis, Hengst- oder Stutfohlenjahrgänge getrennt zu halten, entspricht also dem arttypischen Verhalten. Allerdings ist es tierschutzwidrig, Fohlen einzeln aufzuziehen, sei es auch mit der Mutter zusammen. Es ist für das spätere Leben des Fohlens unabdingbar nötig, im Sozialverband auf - zuwachsen, um die Grundregeln der sozialen Einordnung zu erlernen. Zwar ist das Sozialverhalten angeboren, dennoch müssen die entsprechenden Strategien geübt werden können.

Das einzelne Tier findet seine Sicherheit innerhalb des sozialen Verbandes. Ruhen inmitten der sozialen Gruppe ist für Pferde besonders entspannend, weil immer einer der Artgenossen aufpasst. Fohlen liegen behütet inmitten der Herde. An insektenreichen windstillen Tagen dient der Schweif als Ventilator und Fliegenwedel zugleich. Das gegenseitige Fellkraulen dient der sozialen Hautpflege und auch dem Abbau sozialer Scheu. Dabei werden die Ohren seitab gestellt, die Nüstern sind eingekniffen, damit kein Staub eindringt (Putzgesicht).

Pferde fühlen sich nur sicher in der Gesellschaft von Artgenossen oder anderer Lebewesen, die sie als Partner akzeptieren. So erfolgt z.B. bei naturnaher Haltung ein Ortswechsel meist im engen Verband; als es noch Fressfeinde gab, war dieses Verhalten lebenserhaltend.

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Einem Pferd außerhalb eines Gruppenverbandes Sicherheit zu vermitteln bedarf daher ständiger, geduldiger Zuwendung.

Ausdrucksverhalten und Kommunikation
Das Ausdrucksverhalten der Pferde richtig zu deuten ist eine besonders schwierige Aufgabe, die nur demjenigen gelingt, der sich intensiv mit dem ihm anvertrauten Pferd auseinandersetzt, es also beobachtet und einschätzen lernt. Pferde zeigen sowohl aufgrund ihres Ranges in der Herde als auch aufgrund ihres Geschlechts unterschiedliche Ausdrucksmerkmale, die es richtig zu deuten gilt. Das Ausdrucksverhalten beinhaltet Gesichtsausdruck, Lautäußerungen, Körperhaltung (z.B. Schweifhaltung) und Form der Fortbewegung (siehe Abbildung 2).

Gesichtsausdruck

Akustisches Ausdrucksverhalten

Körperhaltungen

Abbildung 2: Ausdrucksverhalten von Pferden

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Fortbewegung als Ausdrucksverhalten

attraktiv
(anziehend;
freundschaftlich
aufeinander zukommend)
kohäsiv
(zusammenhaltend;
freundschaftlich
beieinander bleibend)
repulsiv
(abstoßend;
feindschaftlich)
Aufsuchen Zusammensein Drohen
Begrüßen Hüten Schlagen
Nasenkontakt Folgen Beißen
Belecken Soz. Hautpflege Steigen
Beriechen Spiel Meiden
Spielaufforderung

Tabelle 1: Phänomene der sozialen Kommunikation

Der erfahrene Pferdemann (-frau) kann die verschiedenen Ausdrucksmerkmale richtig deuten und sich im Umgang, insbesondere mit Hengsten und frei laufenden Pferden, richtig verhalten. Gegenüber dem Menschen verhält sich das Pferd ebenfalls auf unterschiedliche Weise. Es kann dabei von der vertrauensvollen Zuwendung zum Menschen bis hin zu höchster Aggression variieren. Die verschiedenen Stufen der Verhaltensweisen sind nicht nur im Umgang mit dem Pferd am Boden, sondern auch unter dem Sattel zu erkennen. Ihre Kenntnis ist eine wichtige Voraussetzung zur Vermeidung von Unfällen (siehe Anhang „Hinweise zur Unfallverhütung“).
Der Mensch muss die Rolle der sozialen Dominanz einnehmen.

Spielverhalten
Schon im Alter von wenigen Wochen bilden die Fohlen Spielgemeinschaften, die für das Training von Körper und Verhalten unerlässlich sind. Sie dienen der Ausbildung der Bewegungskoordination und gleichzeitig der Übung im Sozialverhalten.
Auch ältere Pferde spielen in größerem Umfang, wenn es die Haltungsumgebung zulässt. Da Spielen nahezu ausschließlich in sicherer und entspannter Umgebung stattfindet, ist es für den Pferdehalter ein sicheres Zeichen für das Wohlbefinden seiner Pferde.

1.2.2 Fortbewegungsverhalten

Unter natürlichen Bedingungen bewegen sich Pferde im Sozialverband bis zu 16 Stunden täglich2. Dabei handelt es sich um langsame Bewegung (Schritt) verbunden mit Futteraufnahme.
Die von der Nahrungsaufnahme unabhängige Bewegung macht 5 bis 15 % des Tagesablaufs aus3. Mangelnde Bewegung kann die Ursache von Verhaltensstörungen und Schäden am Bewegungsapparat sein. Darüber hinaus beeinträchtigt Bewegungsmangel auch die Selbstreinigungsmechanismen der Atemwege sowie den gesamten Stoffwechsel2.

Schnellere Gangarten wie Trab und Galopp werden von Pferden in freier Wildbahn nur während der Flucht oder bei Laufspielen ausgeführt.4
Kontrollierte Bewegung kann die freie Bewegung nicht vollständig ersetzen, daher sollte allen Pferden, insbesondere aber Zuchtstuten, Fohlen und Jungpferden, so oft wie möglich Weidegang und/oder Auslauf angeboten werden.

1.2.3 Ruheverhalten

Arttypisch für das Pferd sind mehrere Ruhephasen über den 24-Stunden-Tag verteilt. Die tägliche Gesamtruhezeit beträgt etwa 7 bis 9 Stunden.
Es werden drei Formen des Ruhens bzw. Schlafens unterschieden:

Dösen
Das Dösen erfolgt im Stehen auf drei Beinen und die Pferde zeigen das typische Dösgesicht (halb oder ganz geschlossene Augen, entspannte Unterlippe, seitwärtsgestellte Ohren). Es macht bei erwachsenen Pferden 80 % des Ruheverhaltens aus.

Ruhen/Schlummern
Hierbei handelt es sich um einen leichten Schlaf in der Bauchlage mit untergeschlagenen Vorderbeinen und angehobenem oder auf dem Boden gestützten Kopf.

Tiefschlaf
Das Pferd liegt in der Seitenlage mit ausgestreckten Beinen und auf dem Boden liegenden Kopf. Fohlen verbringen 50 % des Tages im Schutz der Mutter im Tiefschlaf.

Der Ruheplatz muss den Sicherheits- und Komfortbedürfnissen genügen. Dazu gehört ein trockener verformbarer Untergrund; frei lebende Pferde bevorzugen zum Schlafen und zur Beobachtung der Umgebung höher gelegene und vom Wind bestrichene Ruheflächen. Es ist genügend Liegefläche zur Verfügung zu stellen, damit alle Pferde mit dem erforderlichen Individualabstand in Seitenlage liegen können.

1.2.4 Ernährungsverhalten (Futter- und Wasseraufnahmeverhalten)

Das Pferd ist als Pflanzenfresser, der seine Nahrung während des Weidens in der ruhigen Vorwärtsbewegung sofort zerkaut, den Hauptteil des Tages mit der Futteraufnahme beschäftigt (Dauerfresser). Sich selbst überlassen, legt es häufig kurze Ruhepausen ein, das heißt, es nimmt das Futter in vielen kleinen Mahlzeiten zu sich. Da der Magen sehr klein ist und wenig dehnbar, gilt nicht der Füllzustand des Magens, sondern die Befriedigung des Kaubedürfnisses als Signal für die Beendigung der Futteraufnahme; dieses Kaubedürfnis kann nur bei einer Futteraufnahme über mindestens 12 Stunden gedeckt werden (gegebenenfalls kann dieses Bedürfnis auch zusätzlich über Langstroh als Einstreu geregelt werden). Fresspausen sollten nicht länger als 4 bis 5 Stunden sein.
Das Fressverhalten ist selektiv, das heißt, das Pferd ist sehr wählerisch bei der Futterauswahl. Seinem Verdauungsapparat entsprechend muss das Pferd viel Ballastfutter/Grobfutter aufnehmen. Es frisst als Weidetier im engen Verband, ist aber bestrebt, gemäß dem jeweiligen sozialen Rang individuelle Abstände einzuhalten.
Das Futter muss nicht nur den Anforderungen des Pferdes genügen, sondern auch ohne Mühe aufgenommen werden können.
Die natürliche Fresshaltung des Pferdes entspricht der bodennahen Fütterung.

Wasseraufnahmeverhalten
Pferde sind Saugtrinker, das heißt, sie pressen die Lippen fest zusammen und saugen das Wasser durch eine kleine Öffnung ein und schlucken es in langen Zügen ab. Deshalb bevorzugen sie Tränken mit einer offenen Wasseroberfläche.
Das Wassertrinken unterscheidet sich vom Milchsaugen, sodass Fohlen das Wassertrinken erst erlernen müssen.
Während Pferde in freier Wildbahn in der Regel nur einmal täglich eine Wasserstelle aufsuchen, nehmen Pferde in der Haltung durch den Menschen (wegen der trockenen Futtervorlage) mehrmals täglich Wasser auf.

1.2.5 Komfortverhalten

Das Komfortverhalten beinhaltet alle Aktivitäten, die der Körperpflege/Fellpflege/Hautpflege dienen. Dazu gehören Scheuern, Suhlen, Wälzen, Sonnen, Fellknabbern, Kratzen mit dem Hinterhuf.
Das Fellknabbern wird entweder selbst oder gegenseitig ausgeführt. Durch das Anbringen von Scheuereinrichtungen, z.B. Bürsten im Paddock, kann das Bedürfnis des Pferdes, sich zu scheuern, befriedigt werden.
Das Verlangen, sich zu wälzen, ist ein Grundbedürfnis des Pferdes und wird bevorzugt auf staubigem, sandigem, trockenem Untergrund ausgeführt – gelegentlich werden auch morastige Wälzplätze aufgesucht.
Wichtig ist auch, dass die Pferde unterschiedlichen Klimareizen ausgesetzt sind. Sie können Kälte, Temperaturschwankungen und Wind nicht nur gut vertragen, sondern brauchen sie für ihre Abhärtung. Licht ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Gesunderhaltung und das Wohlbefinden des Pferdes.

1.2.6 Erkundungsverhalten

Das Erkundungsverhalten macht eine sensible Wahrnehmung erforderlich und ist auf eine hohe Reizaufnahme angelegt, die dem Pferd auch ermöglicht werden muss, um ihm Entspannung und Sicherheit zu geben.
Neben der Bedarfsdeckung zeigt jedes Tier zwecks Selbsterhaltung ein seiner Art entsprechendes Verhalten, um Stoffe, Reize und räumliche Strukturen zu meiden, die für schädlich gehalten werden. Die Wahrnehmung möglicher Gefahren steht beim hoch spezialisierten Fluchttier Pferd besonders stark im Vordergrund.

Unbekannte Objekte werden, wenn möglich, weiträumig und im Bogen umgangen. Die Tiere versuchen, Witterung von der Gefahrenquelle zu erlangen. Alle Sinne werden aufs Höchste angespannt. Droht wirklich Gefahr, schließt die Gruppe dicht auf und galoppiert weg, bis der Abstand groß genug erscheint. Häufig erfolgt die Flucht auf einem Trampelpfad, der besondere Sicherheit verspricht. Im Wald sind Pferde besonders vorsichtig, weil dort Gefahren schwieriger zu erkennen sind. Dieses angespannt-schreckhafte Reagieren von Pferden muss immer berücksichtigt werden, insbesondere bei der Ausbildung.

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Pferde aufgrund von Schreckreaktionen (sogenanntem Meideverhalten) oder wegen Scheuens zu strafen ist falsch, verstärkt nur deren Angst und Verspannung und wirkt der Vertrauensbildung entgegen.

1.2.7 Ausscheidungsverhalten

Infolge der Wanderungen zur Nahrungssuche hatten sich bei Pferden keine Verhaltensweisen zur Meidung des eigenen Kotes oder Harnes entwickelt. Anders verhält es sich bei der Weidehaltung: Bei entsprechendem Platzangebot suchen Pferde zum Koten immer dieselben Stellen auf. Dem ist bei der Weidepflege (Abäppeln) Rechnung zu tragen. Harn wird nur auf Flächen abgesetzt, bei denen dieser nicht an den Beinen hochspritzt. So sind z.B. längere Transporte ohne Einstreu zu vermeiden.
Werden Hengste in Gruppen gehalten oder befinden sie sich in benachbarten Koppeln, hat der Kot soziale Bedeutung. Im ersten Fall wird er im Sinne sozialer Demonstration auf dem Kot des Herdengenossen abgesetzt, im zweiten Fall werden an der nachbarlichen Grenze auffällige „Kotbollwerke“ errichtet. Deckhengste in Stutenherden sind intensiv bemüht, Stellen von Stutenharn mit ihrem eigenen Harn zu markieren.

1.2.8 Fortpflanzungsverhalten

Im arttypischen Sozialverband in naturnaher Umgebung lebt der Hengst in der Regel mit einer mehr oder minder großen Stutengruppe zusammen. Die Anzahl der Stuten hängt von der Fähigkeit des Hengstes ab, Rivalen fernhalten zu können.
Die Paarung erfolgt im engen Herdenverband. Über Stunden hält sich der Hengst in der Nähe der rossigen Stute auf und deckt sie mehrmals.
Da der Natursprung nur noch sehr selten stattfindet, haben die Pferde in der Regel nicht mehr die Möglichkeit, ihr natürliches Fortpflanzungsverhalten zu praktizieren. Die Trächtigkeit dauert im Mittel 340 Tage bei erheblicher Schwankungsbreite. In naturnaher Umgebung fohlen die Stuten in der Regel inmitten des Herdenverbandes, und zwar überwiegend bei Nacht. Unter einengenden Haltungsbedingungen, vor allem in Einzelboxen, kann die Stute den Zeitpunkt der Geburt erheblich verzögern, wenn sie sich beunruhigt oder beobachtet fühlt. Idealerweise werden tragende Stuten zum Abfohlen deshalb in dafür vorgesehenen größeren Boxen gehalten.

Schon innerhalb der ersten Lebensstunde erhebt sich das Fohlen und sucht das mütterliche Euter. Es ist dann auch schon in der Lage, der Mutter zu folgen; wenn es sein muss, auch in schnellerer Gangart. Innerhalb der ersten Stunden erfolgt die so lebenswichtige Prägung zwischen Mutter und Fohlen. Die anfängliche Saugfrequenz von vier- bis siebenmal je Stunde reduziert sich bis zur 6. Lebenswoche auf zweimal je Stunde. Das vom Menschen unbeeinflusste Absetzen des Fohlens erfolgt nach 9 bis 11 Monaten.

1.3 Verhaltensgerechter Umgang mit Pferden

1.3.1 Tierschutz

Das Verhalten der Pferde war zur Überlebenssicherung von besonderer Bedeutung. Daher steht auch der Mensch/Pferdebezug als einer der wichtigsten Faktoren bei der Haltung, Ausbildung und Nutzung dieses Herden- und Fluchttieres im Vordergrund.

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Jeder, der mit Pferden engen Kontakt hat, muss deren arttypisches angeborenes Verhalten verstehen und es im Umgang mit ihnen und bei ihrer Haltung entsprechend berücksichtigen.

Die gesetzliche Grundlage hierfür bildet das Tierschutzgesetz.

Auszug aus dem Tierschutzgesetz (Stand 2009):

§ 1

„Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“

§ 2

„Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,

  1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
  2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden ...“

§ 3

„Es ist verboten,

  1. einem Tier, außer in Notfällen, Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen ...“

1.3.2 Vertrauen und Hilfengebung

Unbekanntes löst beim Pferd in der Regel „Meidereaktionen“ aus. An fremde Dinge muss das Pferd deshalb langsam, durch ruhigen konsequenten Umgang und mit sinnvoller Hilfestellung herangeführt und gewöhnt werden. Es ist falsch, in solchen Situationen auf das Pferd gewaltsam einzuwirken.

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Ziel beim Umgang mit dem Pferd muss es sein, dass es den Menschen als ein Lebewesen erkennt, demgegenüber keine schadensvermeidenden Reaktionen erforderlich sind und in dessen Gegenwart es sich, auch in bedrohlich erscheinenden Situationen, sicher fühlt. Das nennt man Vertrauen, und das ist die Basis jedes verhaltensgerechten Umgangs mit Pferden.

Gerte oder Peitsche dienen in der Regel als Verlängerung des Armes bzw. beim Reiten als Unterstützung der Hilfen, um sich dem Pferd verständlich zu machen. Sie sind dem Tier zunächst fremd. Also muss es langsam daran gewöhnt werden, damit keine Unsicherheit oder Angst entsteht.

Das Pferd begreift den Menschen als „sozialen Partner“, der ranghöher, ranggleich oder rangniedriger sein kann, oder aber als Feind. Ranggleichheit gegenüber dem Pferd schafft häufige Auseinandersetzungen, Unterlegenheit des Menschen erschwert die Ausbildung, Feindschaft verhindert sie. Der Mensch soll seine ranghöhere Position durch Einfühlung und Zuwendung zum Pferd mittels Wissen, Erfahrung, Bestimmtheit und der notwendigen Konsequenz erreichen. Auch muss der Mensch begreifen, dass ein Pferd in der Regel nur dann „Fehler“ macht, wenn es die Hilfen nicht verstanden hat, es abgelenkt oder überfordert ist oder negative Erfahrungen gemacht hat.

Pferde lernen die Aufgaben und begreifen die vom Menschen geforderten Verhaltensweisen am besten, wenn sie ihre eigene Reaktion mit einer Belohnung (Leckerbissen, Streicheln, lobende Worte usw.) verknüpfen können. Wenn sie etwas „falsch“ machen, dürfen sie nicht belohnt werden. Strafen oder Zurechtweisungen als Ausnahmen sind nur im unmittelbaren Zusammenhang mit dem jeweiligen Verhalten wirksam. Sie dürfen keine länger andauernden Schmerzen und keinesfalls Schäden verursachen.

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Vertrauen ist die Basis jedes verhaltensgerechten Umgangs mit dem Pferd. Hilfengebung wird in Verknüpfung mit Belohnung einer „richtigen“ Reaktion am besten verstanden.

1.3.3 Unerwünschtes Verhalten und Verhaltensstörungen

Es gibt Reaktionen bei Pferden, die „normal“ und erwünscht sind, und Reaktionen, die „nicht normal“ und unerwünscht erscheinen. Zur zweiten Kategorie gehören schadenvermeidende Reaktionen im Sinne von Anpassung an die fehlerhafte Einwirkung von Menschen, die im Wesen des Pferdes als hoch spezialisiertes Fluchttier begründet sind. Außerdem gibt es echte Verhaltensstörungen, die durch Fehler bei der Haltung oder beim Umgang mit Pferden entstehen.

Sowohl die echten Verhaltensstörungen als auch die schadenvermeidenden Reaktionen sind bedingt durch Fehler in der Haltung, Ausbildung und Nutzung von Pferden. Sie können in den meisten Fällen vermieden werden, wenn sich der Mensch die Reaktion des Pferdes erklären und seine Ursachen abstellen kann. Dazu bedarf es Wissen und Kenntnisse sowie der Bereitschaft, aus Erfahrungen zu lernen.

Echte Verhaltensstörungen Schadenvermeidende Reaktion
  • Koppen
  • Barrenwetzen, Gitterbeißen
  • Schlagen an die Wände
  • Exzessives Scharren
  • Weben
  • Fortbewegungsstereotypien
  • Sich-nicht-Legen
  • Scheuen
  • „Bösartigkeit“
  • Zungenstrecken/Zungenspiele
  • Abwehrverhalten/Widersetzlichkeit

– allgemein

– beim Reiten

– beim Fahren

Tabelle 2: Unerwünschtes Verhalten von Pferden aus der Sicht des Menschen

1.4 Erläuterungen zu den Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes

Jeder Mensch, der mit Pferden umgeht, sollte sich verpflichtet fühlen, so viel wie möglich über das Pferd zu wissen und sich für das Tier verantwortlich zu fühlen. Er sollte sich dabei an bestimmten Grundsätzen orientieren, die sich aus der jahrhundertelangen Erfahrung mit Pferden ergeben.

Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes und ihre Bedeutung: