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Über dieses Buch:

Jetzt fängt das Leben richtig an! Endlich hat Nicole den Schulabschluss in der Tasche – nun will sie so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen. Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen Julia, Saskia und Kim gründet sie eine WG, für die es eine goldene Regel gibt: »Keine Männer, keine Probleme.« Schließlich ist der Alltag in einer reinen Mädels-Bude schon chaotisch genug. Aber wie lange werden die vier sich an ihre guten Vorsätze halten … und wo kommen eigentlich die kleinen Wildschweine her, die plötzlich ungebremst durch die Wohnung rasen?

Ein turbulenter Feelgood-Roman voller bissigem Humor: »Glückwunsch! Die Bestsellerautorin hat sich mal wieder selbst übertroffen. Frech und lustig!« Young

Über die Autorin:

Steffi von Wolff, geboren 1966 in Hessen, war Reporterin, Redakteurin und Moderatorin bei verschiedenen Radiosendern. Heute arbeitet sie freiberuflich für Zeitungen und Magazine wie »Bild am Sonntag« und »Brigitte«, ist als Roman- und Sachbuch-Autorin erfolgreich und wird von vielen Fans als »Comedyqueen« gefeiert. Steffi von Wolff lebt mit ihrem Mann in Hamburg.

Die Autorin im Internet:
www.steffivonwolff.de
www.facebook.com/steffivonwolff.autorin

Steffi von Wolff veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane:

Aufgetakelt

Das kleine Hotel an der Nordsee

Das kleine Haus am Ende der Welt

ANGEMACHT und andere prickelnde Geschichte

AUSGEPACKT und andere Weihnachtsgeschichten

Eine andere Seite ihres Könnens zeigt Steffi von Wolff unter ihrem Pseudonym Rebecca Stephan im ebenso einfühlsamen wie bewegenden Roman Zwei halbe Leben.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2018

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel Ausgezogen im Rowohlt Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven shuterstock/randy andy und shutterstock/united photo studio

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-343-3

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Steffi von Wolff

Das kleine Appartement des Glücks

Roman

dotbooks.

Für meinen Philipp

Kapitel 1

»Nein.« Karin von Heybergs Fingerknöchel wurden langsam weiß, weil sie sich nun schon seit einiger Zeit in die Tischplatte krallten. Immer wenn sie sich aufregte, bekam sie ein Gesicht wie eine Hyäne; würde sie zusätzlich noch die Zähne fletschen, wäre das Gesamtbild perfekt. Nicole sah ihr absolut nicht ähnlich; niemand würde vermuten, dass sie verwandt sein könnten. Karin von Heyberg war groß und dünn wie ein Spargel, die Haare waren glatt und streng nach hinten gekämmt, das Gesicht schmal und mit verhärmten Zügen. Nicole war zwar auch dünn, aber das war auch die einzige Gemeinsamkeit. Sie war recht klein, hatte ein rundliches Gesicht, Sommersprossen und dunkelrote Haare, auf die sie sehr stolz war und die sie pflegte, wie sie später mal ihren Erstgeborenen pflegen würde.

Jetzt atmete ihre Mutter schwer und keuchte. »Ich sagte nein. Das kommt überhaupt nicht in Frage, wenn du mir das antust, dann weiß ich nicht, ob ich das überlebe.«

»Du übertreibst, Mama«, sagte Nicole gelangweilt und schlug die Beine übereinander. »Wie immer.« Nicole kannte ihre Mutter seit immerhin achtzehn Jahren; ihr war nichts mehr fremd, und sie regte sich schon lange nicht mehr auf.

Zum ungefähr tausendsten Mal schaute sich Nicole im Arbeitszimmer ihrer Mutter um, das vollgestopft war mit Fachmagazinen, antiken Bibelerstausgaben und anderen geistreichen Büchern; mit Ledersofas und Stichen, auf denen irgendjemand für irgendetwas betete, und mit allerlei anderem Kram, dem sie noch nie etwas abgewinnen konnte. Ihre Mutter war als Theologin hoch angesehen, genauso wie ihr belesener Vater, nur dass der sich nicht der Theologie, sondern der Sprache verschrieben hatte, was ja nicht automatisch schlecht war, aber wer wie Nicole in diesem Haus groß geworden war, dachte anders. Ihre Eltern waren nicht nur grauenhaft intelligent, nein, sie hatten auch ständig Todesangst um ihre Kinder, von denen es insgesamt fünf gab. Nicole und ihre vier Geschwister hatten sich in der Vergangenheit des' Öfteren gefragt, warum ihre Eltern überhaupt Nachwuchs in die Welt gesetzt hatten; ohne wäre es ihnen mit Sicherheit bessergegangen. Nicole konnte sich nicht erinnern, dass auch nur ein Tag vergangen war, an dem ihnen nicht etwas verboten wurde. Die Eltern hielten die Welt nicht für einen Planeten, sondern für einen dubiosen Ort, an dem es vor Abschaum und Gefahren nur so wimmelte. Sie malten sich ununterbrochen aus, wie ihre Kinder ums Leben kommen oder zumindest schwer verletzt werden könnten. Am liebsten, da war sich Nicole sicher, hätten sie sie hier im Haus auch noch festgekettet oder ihnen allen elektronische Fußfesseln angelegt, die immer dann ein Signal abgaben, wenn sich einer von ihnen weiter als dreißig Zentimeter aus dem vorgegebenen Radius entfernte. Aber mit solchen weltlichen Dingen gaben sich ihre Eltern nicht ab. Lieber saßen sie abends mit ihren Leselampen vor ihren Büchern und sinnierten darüber, wie man der Welt den Glauben oder die schöne Sprache nahebringen könnte. Dasselbe hatten sie von ihrem Nachwuchs erwartet, aber der hatte sich immer gesträubt. Ihre jüngere Schwester Nele war bereits mit siebzehn ins Ausland gegangen, um dort eine Hotelfachschule zu besuchen. Es gab damals schon Diskussionen und Selbstmordandrohungen der Mutter, und auch der Vater war beinahe durchgedreht und hatte mal wieder einen seiner mysteriösen Asthmaanfälle bekommen, die immer dann auftauchten, wenn etwas nicht nach seinem Kopf ging. Aber Nele hatte sich durchgesetzt. Und – das erzählte sie jedem – ihr ging es noch nie so gut wie seit dem Auszug von zu Hause. Die anderen, älteren Geschwister sagten im Übrigen das Gleiche.

Nicole war die Vorletzte der fünf, die noch hier wohnte. Außer ihr war noch der Jüngste, Felix, da.

Aber für Nicole war auch das glücklicherweise bald vorbei. Das Abi war bestanden, und zusammen mit ihren besten Freundinnen Julia, Kim und Saskia würde sie sich ab morgen ernsthaft auf die Suche nach einer Wohnung machen! Die vier hatten das schon lange vor, aber Nicole hielt es für besser, bis nach den Prüfungen zu warten, um sich selbst und auch ihre Eltern nicht unnötig zu stressen. Doch nun war der Zeitpunkt gekommen. Es war Mai, es war warm, und es gab keinen Grund, noch länger zu warten. In der Vergangenheit hatten sie sich schon eine ganze Menge Wohnungen angesehen, aber nur mal so, um zu schauen, was gerade so frei war. Berauschend war es nicht gewesen, aber jetzt wollten sie richtig loslegen. Es musste einfach klappen.

»Das ist viel zu gefährlich«, regte ihre Mutter sich auf und lief blutrot an. Nicole hatte sich schon immer gefragt, wie sie das auf Knopfdruck hinbekam. Sobald ihr etwas nicht passte, wurde das Gesicht rot wie eine Tomate, und dann kam der Spruch: »Mein Herz, mein Herz! Lange wird es das nicht mehr mitmachen.« Wenn man sich auf etwas verlassen konnte, dann darauf.

»Mein Herz macht das nicht mehr lange mit«, kam es auch prompt, Karin ließ die Tischkante los und griff sich an den Hals, obwohl sich das Herz da gar nicht befand.

Nicole stand auf und bereute es mal wieder, so klein zu sein. Noch nicht mal eins sechzig. Wäre sie größer gewesen, dann hätte ihre Mutter vielleicht mehr Respekt vor ihr. Aber das konnte sie jetzt auf die Schnelle auch nicht ändern, es sei denn, hier würden zufällig Stelzen herumstehen. »Erstens mal ist eine eigene Wohnung nicht gefährlich, zweitens bin ich achtzehn, und drittens kann ich schon sehr gut auf mich selbst aufpassen.«

Karin lachte hysterisch auf. »Das denkst du! Du hast doch überhaupt keine Ahnung, wie es da draußen zugeht!« Sie betonte die Worte »da draußen« so, als ob es in Hamburg vor Massenmördern und Psychopathen nur so wimmelte; als ob die nichts Besseres zu tun hätten, als gerade auf Nicole zu warten. Als hätten sie sich vor dem Haus schon zusammengerottet und würden ungeduldig und mit Messern und Kleinkaliberpistolen herumhüpfen, bis sie endlich, endlich rauskam und sie sie endlich, endlich zerstückeln oder erschießen konnten. Nicole konnte es nicht mehr hören; sie hatte diese Überangst und diese permanenten Verbote so satt, dass sie es ihrer Mutter am liebsten ins Gesicht geschrien hätte.

Jetzt versuchte Karin eine andere Masche: »Das ist also der Dank für alles, was wir für dich getan haben«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Der Dank dafür, dass wir dich großgezogen und du wohlbehütet in diesem Haus aufgewachsen bist.«

»Wohlbehütet stimmt nicht ganz. Eher überbehütet«, konterte Nicole. »Hör jetzt auf, Mama. Die Zeiten sind vorbei. Ich bin erwachsen. Und ich freu mich darauf, dass jetzt alles anders wird. Endlich.« Sie verließ das Arbeitszimmer, und Karin von Heyberg sah ihr fassungslos nach. Es schien, als wäre ihr bewusst geworden, dass sie verloren hatte. Aber sie wollte nicht aufgeben. Sie würde später mit ihrem Mann darüber sprechen. Vielleicht würde dem ja noch etwas einfallen.

»Ich hab's ihr gesagt. Endlich.« Nicole lag auf ihrem Bett und streckte sich.

»Und?«, wollte Saskia wissen. »Lass mich raten, sie ist wieder rot geworden, und dann warst du plötzlich undankbar.«

»Korrekt.«

Saskia kicherte und ahmte die Stimme von Karin von Heyberg nach: »Die Welt ist doch so böse und so schlecht, du wirst keinen Tag überleben. Nur hier bist du sicher. Mannomann, kapiert die eigentlich nicht, dass es ganz normal ist, dass man älter wird? Ich glaub, ihr wäre es lieber gewesen, du hättest ewig Windeln angehabt oder so.«

»Jedenfalls ist es jetzt raus«, sagte Nicole erleichtert. »Ich bin so froh, du glaubst es nicht.«

»Doch. Glaub ich.«

»Wie hat deine Mutter reagiert?«, fragte Nicole die Freundin gespannt.

»Eigentlich ganz cool. Ich hab's ja lange vorher schon angekündigt, dass ich irgendwann nach dem Abi ausziehe. Vielleicht hat sie nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde, und ist traurig. Aber sie lässt sich nichts anmerken. Ein bisschen leid tut sie mir schon, weil sie dann ganz alleine ist, andererseits bin ich ja nicht aus der Welt.«

»Das wissen wir ja noch nicht. Kommt drauf an, wo wir eine Wohnung finden.«

»Na ja, klar. Aber wir werden in Hamburg bleiben.«

»Hamburg ist groß.«

»Das weiß ich auch, du Hirn. Aber es gibt öffentliche Verkehrsmittel. Und Fahrräder. Ich weiß, da kannst du nicht mitreden, du durftest nie mit dem Bus oder dem Rad fahren.« Saskia kicherte.

»Blöde Kuh«, sagte Nicole. »Also, morgen um zwei bei der Wohnungsbesichtigung?«

»Yep. Was machst du heute noch?«

»Ich habe noch eine großartige Aufgabe vor mir. Das mit dem Auszug war ja nur die erste.«

»Was denn noch?«

»Die Polizeischule ...«, sagte Nicole langgezogen. »Ich war allein zu Haus, als die Eingangsbestätigung meiner Bewerbung kam, sonst hätte meine Mutter den Brief bestimmt schon aufgemacht. Aber sagen muss ich's ihnen. Ich warte aber, bis der Mann der großen Worte zu Hause ist.« Damit meinte sie ihren Vater. Die Kinder hatten ihn immer so genannt.

»Das wird bestimmt lustig.«

»Ich freu mich schon drauf. Also, bis morgen.«

»Bis morgen. Ich denk an dich.«

»Das ist lieb.«

Nicole legte das Telefon zur Seite und starrte an die Decke. Jetzt müsste ihr Vater gleich heimkommen. Er hatte den ersten Schock zu verdauen, dass sie ausziehen würde. Und beide, ihre Mutter und ihr Vater, würden sie fassungslos anstarren, wenn sie ihnen erzählte, dass sie sich bei der Hamburger Polizeischule beworben hatte. Sie stand erst auf, als sie den Schlüssel in der Haustür hörte.

Es musste erledigt werden. Also los. Schließlich wartete das Leben auf sie!

»Ich muss mit euch reden.« Nicole nahm sich eine Scheibe Brot.

»Was gibt es denn dazu noch zu sagen?«, fragte ihre Mutter, die sich in eine Hysterie hineingesteigert hatte. Karin hatte sogar im Internet gesurft und mehrere Seiten ausgedruckt, die sie ihr vor die Nase pfefferte.

»Da siehst du's. Hamburg ist sehr wohl gefährlich für ein junges Ding wie dich. Es gibt Schießereien, und Massenmörder laufen hier herum.«

»Wir wollen ja nicht auf den Kiez ziehen.«

»Auch Serienkiller haben Beine«, klagte Karin und schluckte eine Baldriankapsel. »Die finden auch den Weg in andere Stadtteile. Und ehe man sich umgucken kann, wird einem die Kehle durchgeschnitten. Oder du endest unter einer Brücke, weil du das Opfer der Organmafia geworden bist, die deine Nieren für viel Geld weiterverkaufen, nachdem sie dich ohnmächtig gemacht und dann einfach nach der Entnahme liegengelassen haben! Willst du das, Nicole? Hier!« Sie deutete auf einen ausgedruckten Artikel. »Da steht's. Das kann jedem passieren. Auch dir. Die nähen einen noch nicht mal richtig zu danach. Das kann sich entzünden und was weiß ich. Ich sehe mich schon mit Papa jeden Abend die Brücken absuchen.«

»Ach, Mama«, sagte Nicole und verdrehte genervt die Augen.

»Hast du's gut«, hatte ihr Bruder Felix nach Nicoles Verkündung, ausziehen zu wollen, gesagt. Er war gerade zwölf Jahre alt geworden und würde hier noch ein bisschen festsitzen. »Ich muss noch fast zweitausendeinhundertneunzig Tage warten, bis ich achtzehn bin.« Dann hatte er plötzlich einen Geistesblitz. »Ich könnte doch mit dir ausziehen. Das wäre doch toll.«

»Ich glaube nicht, dass das geht.« Nicole hatte Felix gut verstehen können. »Aber Mama würde sich einen Strick nehmen, wenn wir das auch nur im Spaß sagen würden. Und das weißt du ganz genau.«

Nicole liebte ihren kleinen Bruder. Und sie hätte ihn zu gern mitgenommen. Schon als Felix auf die Welt kam, hatte sie sich am meisten von allen um ihn gekümmert, und Felix war total auf Nicole fixiert. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Ihre Mutter war mit dem Jüngsten völlig überfordert. Felix war nämlich ein kleiner Unglücksvogel, stürzte ständig mit dem Skateboard oder stand immer grundsätzlich da, wo gerade ein morscher Schuppen zusammenbrach, und er kam permanent mit Schrammen, aufgeschlagenen Knien und Ellbogen oder einem fast gespaltenen Schädel nach Hause, was er gar nicht schlimm fand, Karin von Heyberg allerdings beinahe zugrunde gehen ließ.

»Ja, ich weiß.« Felix hatte ein wenig Einsicht gezeigt. »Aber doof ist es trotzdem.«

Jetzt saß man also am Abendbrottisch, und Nicole hatte beschlossen, alles in einem Aufwasch zu erledigen.

»Es geht nicht darum, dass ich ausziehe«, sagte sie. »Es geht um meine Ausbildung.«

Der Vater sah sie an. Dieter von Heyberg war ein in sich gekehrter Mann, der für seine Bücher lebte und sich eigentlich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Nur wenn eins der Kinder ein Lexikon aus dem Regal genommen und es nicht wieder korrekt einsortiert hatte, konnte er explodieren. Wie seine Frau war er ein sehr ängstlicher Mensch, der das Haus am liebsten überhaupt nicht verließ, weil ja immerhin die theoretische Möglichkeit bestand, dass ein Meteorit vor ihm auf dem Gehweg einschlug oder die Verladeklappen einer über ihm fliegenden Passagiermaschine sich öffneten und er von Koffern und Reisetaschen erschlagen werden könnte. Er dankte Gott dafür, dass er von zu Hause aus arbeiten konnte, und kam manchmal tagelang nicht an die frische Luft, weil er auch vor dem Garten Angst hatte. Was, wenn er plötzlich vor dem Zierteich einen Herzanfall bekäme und kopfüber hineinstürzte? Oder eine Amsel einfach so durchdrehen und ihm die Augen aushacken würde? Eben.

»Ich mach es kurz«, ließ Nicole ihre Eltern wissen und nahm sich betont gelangweilt eine Scheibe Aufschnitt. »Ich habe mich bei der Polizeischule beworben.«

Dieter glotzte sie an, als sei sie ein deformiertes Gürteltier. Karin stellte ihr Wasserglas so heftig ab, dass es überschwappte. Sie waren sprachlos.

»Cool«, ließ Felix die Schwester aufgeregt wissen. »Wenn ich dann später mal besoffen Auto fahre und du mich anhältst, muss ich mir ja keine Sorgen machen.«

Kapitel 2

»Das ist ja entsetzlich«, flüsterte Kim den anderen zu. »Das sind ja viel mehr als beim letzten Mal. Das sind ja mindestens hundert Leute.«

»Ich hab sie gezählt, es sind hundertzwei«, flüsterte Julia zurück. Sie standen mit Saskia und Nicole vor dem Altbau, in dem eine Fünf-Zimmer-Wohnung frei war, und wenn man dem Inserat glauben durfte, war diese Wohnung sozusagen maßgeschneidert für die vier. Jede von ihnen hätte ein eigenes Zimmer, gemeinsam würden sie das fünfte als Wohnzimmer benutzen, es gab ein großes Bad mit Wanne und zwei Klos. Perfekt. Auch der Preis war okay. Tausendvierhundert Euro, das waren dreihundertfünfzig pro Person; sie hatten alles genau ausgerechnet, es würde hinhauen. Aber noch nie waren derart viele Leute auf einem Besichtigungstermin gewesen, und sie hatten sich schon viele Wohnungen angeschaut. Grauenhafte Wohnungen mit versifften Küchen, verpilzten Badezimmern und Teppichböden, die so aussahen, als wären auf ihnen Leichen verwest. Die schlimmsten Inserate, das hatten sie gelernt, waren die, in denen entweder stand: »Interessanter Grundriss« oder »Für Hobbybastler bestens geeignet«. Bei Ersterem konnte es gut möglich sein, dass die Eingangstür sich vor der Waschküche oder im Heizungskeller befand, oder dass man erst einmal komplett durch alle Räume latschen musste, um ins Bad zu kommen. Oder es gab keine Türen, warum auch immer, oder die Küche war gleichzeitig das Bad und der Flur ein Gruppenraum der Anonymen Alkoholiker, was sich mal so ergeben hatte und dann immer so geblieben war. Eine der Wohnungen hatte sogar noch ein Etagenklo im Treppenhaus, das zum letzten Mal im achtzehnten Jahrhundert geputzt worden war. Und das Zweite bedeutete, dass die Wohnung erst mal kernsaniert werden musste, bevor man ohne Gefahr für Leib und Leben darin hausen konnte. Dann die Vermieter! In höchsten Tönen schwärmten sie von ihren grandiosen Wohnungen und behaupteten, wenn man sie nicht nähme, würde man den größten Fehler seines Lebens machen. Sie sagten das so, als würde man für den Rest seiner Tage in eine psychotische Schockstarre fallen und nichts mehr von seiner Umwelt mitbekommen, wenn man diese Wohnung nicht nähme. Einer sagte immer: »Ach, da muss man großzügig sein.« Fragte man beispielsweise, warum die Wohnungstür so verzogen war, dass sie sich nicht richtig schließen ließ: »Ach, da muss man großzügig sein.«

»Aha. Und diese offen liegenden Kabel da an der Wand?«

»Ach, da muss man großzügig sein.«

Mindestens fünfzehn Wohnungen hatten sie sich mittlerweile angeschaut, aber keine war dabei, von der sie auch nur ansatzweise begeistert gewesen wären. Aber sie gaben nicht auf. Es musste doch irgendwann klappen. Das Haus, vor dem sie nun standen, war 1902 erbaut worden und wirkte von außen sehr gepflegt. Die zu vermietende Wohnung befand sich im Erdgeschoss, und dazu gehörte auch noch ein schöner Garten.

»Da kommt der Besitzer«, raunte die Menge, als hätten sie lange Jahre darauf gewartet, endlich mal Kaiser Wilhelm persönlich kennenzulernen oder Cäsar, der vorgeschlagen hatte, ein Glas Wein zusammen zu trinken.

Saskia war die Größte der vier und stellte sich auf die Zehenspitzen. Sie wurde Püppi genannt, was nicht auf ihre Größe zurückzuführen war, weil das ja unsinnig gewesen wäre, sondern erstens, weil sie mit Nachnamen Pupp hieß, und zweitens, weil sie so perfekt aussah wie eine schöne Puppe. Es fehlte nur noch, dass sie Rüschenkleider trug.

»Wie sieht er aus?«, wollte Julia wissen. »Sympathisch oder nicht? Jetzt sag schon ...« Sie trippelte hin und her und kniff Saskia in die Seite. »Bitte sag, dass er sympathisch ist und dass du ihn um den Finger wickeln wirst. Sag schon.«

Saskia grinste. »Sympathisch schon, aber um den Finger wickeln eher nicht. Der Mann ist ungefähr neunzig Jahre alt.«

»Dann ist es vielleicht gar nicht der Besitzer«, stellte Kim fest. »Sondern lediglich ein Passant. Oder es ist ein armer, alter Mann, der sich verlaufen hat, der auf ärztliche Hilfe angewiesen ist, der dringend seine Tropfen braucht. So was darf man nicht unterschätzen. Alte Leute müssen nämlich sehr oft zum ...«

»Kim! Kannst du jetzt mal die Klappe halten?« Nicole verdrehte die Augen. »Du Gutmensch! Nein, du wirst jetzt nicht hingehen und den Mann fragen, ob er Tropfen braucht.«

»Es ist offenbar tatsächlich der Hausbesitzer«, kam es von Saskia, die immer noch Ausschau hielt. »Er ist nämlich stehen geblieben und hat einen Schlüssel rausgeholt.«

»Zittern seine Hände?«, fragte Kim. »Vielleicht ist höchste Gefahr im Verzug, und er wollte keinen Schlüssel rausholen, sondern seine Medikamente.«

»Kim!«, riefen die anderen drei.

»Ist ja schon gut«, sagte Kim. »Ich wollte nur freundlich sein.« Beleidigt verschränkte sie die Arme.

»Du wirst dich nie ändern«, stellte Nicole fest. »Du bist und bleibst ein hoffnungsloser Fall. Zu gut für diese Welt, viel zu romantisch und viel zu unrealistisch. Allein die Geschichte mit der Hochzeit ... wie bei diesem alten tschechischen Film, wie hieß der nochmal? Den, den du dir ständig auf DVD reinziehst?«

»Drei Nüsse für Aschenbrödel.« Kim war leicht angesäuert. »Ich mag den Film. Es ist so schön, wie die beiden am Schluss durch den Schnee reiten, und dieses herrliche Brautkleid, das sie trägt. Es ist ...«

»Ich glaub, es geht los«, unterbrach Saskia Kims Ausführungen. »Die Leute bewegen sich. Kommt schon.«

Sie walzten sich mit der Menge in Richtung Eingangstür. »Bitte immer nur zwölf Personen!«, rief irgendjemand in die Masse. »Sonst wird das zu viel.«

»Und wir sind natürlich die Letzten«, sagte Nicole. »Warum sind wir nicht eher gekommen? Das wird doch nie was. Da können wir auch gleich wieder gehen.«

»Maul nicht rum«, wies Julia sie zurecht. »Jetzt sind wir hergekommen, und jetzt bleiben wir auch, bis wir dran sind. SOOO lange wird das auch nicht dauern.«

»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt«, sagte Saskia und hob den Zeigefinger.

Kim nickte aufgeregt.

»Und das ist der Garten. Schauen Sie sich ruhig in Ruhe um. Er ist noch in seiner Ursprungsform erhalten. Die Mutter vom Herrn Professor Haselmaus liebte Rosen, wie man sieht. Rosen, Rosen, überall mussten Rosen sein. Hahaha! Na ja, ich lass Sie mal kurz allein, und dann möchte Herr Professor Haselmaus noch kurz mit Ihnen sprechen. Der Herr Professor Haselmaus möchte nämlich alle Interessenten persönlich kennenlernen, das ist dem Professor Haselmaus total wichtig. Nur so kann der Professor Haselmaus sich ein genaues Bild machen. Ist der Garten nicht schön? Er ist der ganze Stolz vom Herrn Professor Haselmaus, es ist nämlich so, dass ...«

»Sie sind so reizend«, unterbrach Saskia den Hausverwalter, der vorhin zur Meute meinte, dass immer nur zwölf Personen ins Haus sollten. Sie strahlte ihn mit ihrem schönsten Lächeln an, und Herr Rümpler wurde sofort rot, was kein Wunder war. Wenn Saskia, beziehungsweise Püppi, einen Mann anstrahlte, konnte man für nichts garantieren. Sie war in der Tat so schön, dass es beinahe eine Unverschämtheit war. Ihre hellbraunen Haare waren leicht gelockt, ihre Augen eisblau, ihr Gesicht einfach perfekt, genau wie der Rest der Erscheinung. Saskia wusste, dass sie wundervoll aussah, aber sie ließ es nicht raushängen. Sie war schon von einigen Modelscouts angesprochen worden, aber sie interessierte sich nicht für »diesen komischen Kram«, wie sie es immer nannte.

»Wir freuen uns total drauf, Herrn Professor Haselmaus gleich kennenzulernen, aber erst mal ist es doch total wichtig, was Sie von uns halten, Herr Rümpler.«

Herr Rümpler räusperte sich. »Ach, also ... ich ... was ich von Ihnen halte?«

»ja, sicher«, sagte Saskia und lachte so, dass sich an ihren Wangen Grübchen bildeten. Dann riss sie ihre blauen Augen weit auf und schaute Herrn Rümpler an, als würde ihr komplettes Glück von ihm abhängen.

Herr Rümpler wurde rot und wand sich wie ein Aal. »Ich halte natürlich sehr viel von Ihnen«, bekam Saskia dann erklärt. Die anderen wurden von ihm überhaupt nicht beachtet.

»Das freut mich so sehr, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr«, gurrte Saskia weiter. »Sie sehen so müde aus, Herr Rümpler. Das war sicher ein anstrengender Tag für Sie. Ich bewundere dieses Geschick, so wunderbar mit Menschen umgehen zu können.«

»Oh, danke«, sagte Herr Rümpler verlegen und zupfte an seiner Krawatte herum, auf der sich kleine Elefanten tummelten. Sie küssten sich, und über den Rüsseln stiegen kleine Herzchen auf.

»Wissen Sie, was ich an Ihnen besonders sympathisch finde?« Saskia kam in Fahrt.

»Was denn?«, krächzte Herr Rümpler.

»Dass Sie uns explizit auf diese wunderschönen Rosen hingewiesen haben. Und darauf, dass die Mutter von Herrn Professor Haselmaus sie so liebte. Das nenne ich einen guten Charakter. Anderen Hausverwaltern wären die Rosen doch ganz egal.«

»Na ja ...« Nun knackte Herr Rümpler mit seinen Fingergelenken herum. »Das hätte doch jeder gemacht.«

Saskia kam einen Schritt näher. »Eben nicht«, sagte sie leise. »Obwohl ich noch sehr jung bin, hab ich eine gute Menschenkenntnis. Und ich weiß, dass Sie ein guter, ein ehrlicher Mann sind. Ihre Frau kann sich glücklich schätzen, dass Sie sie geheiratet haben. Bestimmt sind Sie ein fürsorglicher Ehemann, bringen ihr Blumen zum Hochzeitstag mit und überraschen sie auch so mal außer der Reihe. Stimmt's oder hab ich recht?«

Herr Rümpler wand sich wie ein Aal. »Ähem, ähem«, machte er andauernd und sagte dann: »Es ist nicht ganz so. Ich lebe in Scheidung ... meine ... also meine Frau hat mich verlassen, weil sie herausgefunden hat ... dass ich .... ja also, dass ich sie mit meiner Assistentin betrogen habe.« Er straffte seine Körperhaltung. »Also, meine Damen, schauen Sie sich den Garten in Ruhe an. Der Herr Professor Haselmaus steht dahinten. Bis gleich dann.« Er stiefelte über den Rasen davon.

Kapitel 3

Ungefähr eine Minute schwiegen alle.

»Super«, sagte Julia dann. »Gratulation, Püppi. Super.«

»Das war's. Wir können gleich gehen«, meinte Kim traurig.

»Du gehörst geschlagen«, war Nicoles Ansicht. »Ich fange gern an.«

Saskia war blass. »Das tut mir so leid. O Mann, tut mir das leid. Ehrlich jetzt. Ich wollte doch nur, dass er bei diesem Professor ein gutes Wort für uns einlegt.«

»Der hat dich doch total durchschaut. Der ist ja auch nicht von gestern«, war Julias Meinung. »Er wird uns ganz bestimmt nicht vorschlagen.«

»Aber ich hab doch gar nichts Schlimmes gemacht«, versuchte Saskia sich zu rechtfertigen.

»Doch. Er denkt, du bist total blöd. Menschenkenntnis ... na super. Tja, die Wohnung wär's gewesen, da sind wir uns wohl einig.« Nicole schüttelte den Kopf. »Wir gehen trotzdem nochmal zu diesem Professor Haselmaus. Vielleicht hat er ja schon wieder vergessen, was Herr Rümpler ihm von uns erzählt hat. Und vergesst bloß nicht, dass wir Rosen alle miteinander toll finden. Aber so was von toll. Los!«

»Der Garten ist wirklich herrlich«, meinte Kim. »Da könnten wir schön im Sommer drin sitzen. Oder?«

»Ja, Kim, das hat ein Garten an sich, dass man darin sitzen kann.« Julia war genervt. »Und bestimmt wird auch extra für dich eine efeuumrankte Schaukel angebracht, auf der du hocken und auf deinen Prinzen mit der Krone warten kannst. Herrje.«

»Jetzt nicht noch streiten, lasst uns jetzt lieber retten, was zu retten ist«, schlug Nicole vor. »Da drüben steht der Professor. Los jetzt.«

»Ach, ach, ach, die Jugend, wie schön!«, wurden sie von Professor Haselmaus begrüßt, der permanent mit dem Kopf wackelte und einen etwas zu großen Anzug mit Einstecktuch trug. »So jung war ich auch mal, ist lange her, aber ich weiß es noch wie heute. Neunzehnhundertzwanzig bin ich auf die Welt gekommen, ha!, das weiß ich natürlich nicht mehr, aber an meine Jugend erinnere ich mich noch gut. Hier in diesem Garten hab ich im Kirschbaum gesessen, damals hatte ich noch ein Baumhaus, wo ist das eigentlich abgeblieben? Da drüben, da war kein Rasen, da waren Beete, da hatte meine Mutter Salat und Kartoffeln und ach was weiß denn ich noch alles angepflanzt. Dahinten, da waren die Himbeer- und die Johannisbeerbüsche. Da hab ich immer den Hintern voll gekriegt, wenn ich was stibitzt habe.«

Saskia strahlte wie üblich und sagte: »Das muss herrlich gewesen sein.«

Irritiert wurde sie von Herrn Professor Haselmaus gemustert: »Obacht, junge Frau. Wie können Sie denn sagen, dass es herrlich ist, den Hintern voll zu kriegen?«

Kim, Julia und Nicole starrten Saskia drohend an. Die wurde knallrot und beschloss, erst mal gar nichts mehr zu sagen.

»Mit herrlich meinte meine Freundin Ihre Jugenderlebnisse«, versuchte Julia die Kurve zu kriegen, und nun strahlte sie, was aber eher wie eine Grimasse wirkte, weil sie unglaublich angespannt war und Saskia am liebsten geschüttelt hätte. »Früher war doch bestimmt alles besser.«

Wie redete sie nur? Wie eine Siebzigjährige. Die anderen starrten sie an. Herrje, aber einer musste doch diesen Professor bespaßen. Nicht dass der sich umdrehte und zu den hundertzwei anderen Leuten ging. Dieser Hausverwalter, Herr Rümpler, stand lauernd bereit. Der hatte ja auch schon sein Fett weg von wegen treusorgendem Ehemann.

»Wer kümmert sich eigentlich um diese wunderschönen Rosen?«, fragte Julia.

»Das würde ich ja so gern selbst machen!«, rief Professor Haselmaus. »Aber meine Gicht schränkt mich ein. Früher hab ich alles gemacht, jetzt geht das nicht mehr. Aber was muss, das muss, nicht wahr?«

»Aber lieber Professor Haselmaus!« Julia war nun in Fahrt. »Das würden wir liebend gern übernehmen. Wir alle sind mit großen Gärten aufgewachsen und mussten immer helfen. Gerade im Herbst ... das ganze Laub!«

»Ein Kreuz, das Laub, ein Kreuz.« Der Professor nickte leidend. »Mein Sohn hat mir zum Geburtstag eine Laubaufsaugmaschine für meinen eigenen Garten geschenkt, aber ich komme damit nicht klar. Das Ding macht mit mir, was es will.«

»Wir lieben Laubaufsaugmaschinen«, sagte Julia euphorisch, während die anderen geschockt auf weitere Ausführungen von ihr warteten.

Nur Saskia wirkte eher erleichtert, weil sie jetzt nicht mehr diejenige war, die Mist baute.

»Das freut mich zu hören«, nickte Professor Haselmaus.

In dem Moment kam Herr Rümpler angelaufen, um ihn mit sich fortzuziehen.

»Das wird ja immer schöner.« Nicole verdrehte die Augen. »Seit wann lieben wir Gartenarbeit und Laubaufsaugmaschinen, mal ganz davon abgesehen, dass ich so ein Ding noch nie in der Hand hatte?«

»Je mehr wir diesem Herrn Haselmaus versichern, dass wir das alles ganz toll finden und auch bereit sind, viel zu tun, desto eher besteht die Chance, dass wir die Wohnung kriegen.«

»Möchtest du auch aufs Dach steigen und Ziegel austauschen, und willst du, dass ich mit meiner Höhenangst den Schornstein reinige?«, wollte Nicole sarkastisch wissen.

»Es geht doch nur um den Garten«, rechtfertigte sich Julia.

»Ja, klar. Kleiner Finger, ganze Hand. Ich seh uns schon Bäder kacheln und Parkettböden verlegen, weil wir das so gerne machen, und für die Elektrik sind wir auch zuständig. Natürlich entkernen wir auch das ganze Haus, wenn es sein muss, und das sogar gern. Hör bloß auf, noch mehr von dem Kram zu labern, sonst dreh ich durch.«

»Dann mach's doch besser. Du hast ja noch gar nichts gesagt.«

»Das ist vielleicht auch das einzig Vernünftige.«

»Hört auf zu streiten. Wenn die das hören.« Saskia schaute aufgeregt zu Herrn Rümpler, der mit dem Professor und einem elegant gekleideten Pärchen dastand und diskutierte. Man konnte nur die Frau verstehen, die total aufgetakelt war und dauernd rief: »Entzückend! So entzückend! Himmel, ist das entzückend! Nein, wie entzückend ist das denn?« Sie trug ein viel zu enges Kostüm und einen überdimensionalen Hut, mit dem sie die anderen dauernd anstieß. Auf der Trabrennbahn wäre sie besser aufgehoben. Während sie rief, warf sie den Kopf in den Nacken und gackerte im Anschluss in einer Stimmlage, dass man Kopfweh bekam. Herr Rümpler versuchte ständig, ihrem Hut auszuweichen, was sich aber als unmöglich erwies.

Ab und an kamen andere Interessenten und fragten den Hausverwalter irgendwelche Sachen, und dann waren alle wieder weg. Nur noch das Paar und die vier standen da.

»Was sollen wir denn jetzt machen?«, fragte Saskia.

»Ihr macht gar nichts«, sagte Julia barsch. »Wir warten einfach ab.«

»Aber dann kriegt die Ziege vielleicht die Wohnung«, warf Saskia ein. »Oder sie köpft den Professor mit ihrem Hut.«

»Entzückend, es ist sooo entzückend!«, kreischte die Aufgetakelte, warf ihren Kopf zurück und trippelte mit ihren Jimmy Choos auf dem Rasen herum, wobei sie Erdstücke herausriss.

Herr Rümpler brüllte: »Aber ja, aber ja! So entzückend!« Und der Mann zwinkerte Herrn Rümpler zu und klopfte ihm auf die Schulter.

»Lasst uns rübergehen, sonst stehen wir hier noch Ewigkeiten«, meinte Kim. »So kommen wir keinen Schritt weiter.«

»Gut«, sagte Nicole, und sie machten sich auf den Weg.

»Da kommt ja die Jugend.« Professor Haselmaus breitete die Arme aus.

»Sie wollten sicher gerade gehen«, meinte Herr Rümpler barsch. »Sie sind sowieso die Letzten.«

»Nein, wir ...«

»Ich melde mich, sobald wir uns entschieden haben«, unterbrach er Julia.

»Aber es ist doch schon entschieden!«, schrie die Behütete und gackerte wieder wie eine verhaltensgestörte Graugans.

»Was?« Herr Rümpler.

»Na, dass wir die Wohnung bekommen.« Die Ziege bückte sich, um einen Erdklumpen von ihrem Schuh zu entfernen. »Schrecklich, dieser Garten«, murmelte sie und fiel fast um. Kim und Saskia glotzten fasziniert auf ihren dicken Hintern und hofften, dass der Stoff reißen würde, was er aber leider nicht tat. »Papa-Bär, das kommt alles weg, oder?« Damit meinte sie ihren Mann, dem das ein bisschen peinlich zu sein schien. Aber er nickte, wurde allerdings rot dabei.

»Mir liegt nichts an diesem Grünzeug, das macht viel zu viel Arbeit«, lamentierte sie weiter. »Und auf Läuse und anderes Ungeziefer kann ich verzichten. Was es da nicht alles gibt. Maulwürfe, Ohrenkriecher, Hornissen und Bremsen. Als Kind bin ich mal mehrfach von einer Bremse gestochen worden, das war kein Spaß. Es heißt ja sogar: Drei Bremsenstiche töten ein Pferd.«

Am liebsten hätte Nicole gesagt: »Dann müssten Sie ja schon längst tot sein«, zwang sich aber, die Klappe zu halten.

Herr Rümpler schaute auf seine Uhr. »Ich muss dann langsam mal los. Es ist ja alles geklärt. Da vorne ist der Ausgang.« Er deutete auf die Gartenpforte.

»Was heißt das?« Saskia hatte kurz überlegt, ob dies eine Frage war, mit der sie wieder viel kaputtmachen konnte, war aber zu dem Schluss gekommen, dass sie unverfänglich war und die anderen ihr das nicht zum Vorwurf machen könnten.

»Das heißt, dass unsere Unterredung beendet ist«, wurden sie alle vier von Herrn Rümpler informiert, der langsam nervös wurde.

Die Hutfrau sagte: »Eure Eltern warten bestimmt schon auf euch. Bald ist es dunkel.« Und dann lachte sie wieder so blöde, dass Nicole ihr am liebsten die Stimmbänder durchtrennt hätte.

»Passen Sie mal besser auf, dass dem kleinen Papa-Bär nichts passiert«, kam es süßsauer von Kim, von der man so etwas gar nicht gewohnt war. Sie war ziemlich schüchtern und redete eigentlich immer nur, wenn sie sich um jemanden sorgte. Dafür wusste sie alles über die neuen Modehighlights der Saison und welcher Promi gerade was trug und warum. Sie fand Verona Pooth unmöglich und Paris Hilton auch, hatte allerdings ein Faible für Carla Bruni und das jeweilige Germany Top Model, wobei sie die flachen Ballerinas von Carla doof und die High Heels der Models super fand. Sie hätte auch wahnsinnig gern Designerkleidung getragen, zumal sie sich das leisten konnte, da ihre Eltern ziemlich viel Kohle hatten, aber die meisten Designer machten ja nur Mode für drei Meter große und zwei Kilo schwere Frauen, und Kim haderte, seit sie denken konnte, mit ihrem Gewicht und war ziemlich pummelig, was ihr aber gut stand, wie die anderen fanden. Kim fand das selbstverständlich nicht.

Herr Rümpler ging gar nicht auf Kims Worte ein. Ihm war offenbar am wichtigsten, dass die vier sich aus dem Staub machten. Aber da mischte sich Professor Haselmaus ein: »Klar ist hier im Moment noch gar nichts«, sagte er. »Letztendlich ist es ja wohl meine Entscheidung, wem ich die Wohnung vermiete.«

»Aber wir hatten doch abgesprochen, dass ich das mache.« Nun wurde der Hausverwalter rot. »Ich hab das ja auch immer gemacht. Sie waren auch jedes Mal zufrieden.«