Brandhorst, Andreas Das Schiff

Entdecke die Welt der Piper Science Fiction:
www.piper-science-fiction.de






© Piper Verlag GmbH, München 2015
© »All die Jahrtausende«, Piper Verlag GmbH, München 2018
Covergestaltung: Guter Punkt, München
Covermotiv: Lorenz Hideyoshi Ruwwe



Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

 

Steig auf, Adler, und flieg so hoch,

dass du bis in die Zukunft sehen kannst.

An der Ewigkeit kratzen

Seit tausend Jahren schickten die intelligenten Maschinen der Erde lichtschnelle Sonden zu den Sternen. Sie sollten Kolonien gründen, die Saat des Clusters ausbringen, des Maschinenbewusstseins, seine Evolution auf der kosmischen Bühne fortsetzen und nach anderen Formen der Intelligenz suchen, nach biologischen Zivilisationen und Überlebenden des »Weltenbrands«, der vor einer Million Jahren mehrere hoch entwickelte Völker ausgelöscht hatte. Was sie fanden, waren Ruinen, aus Artefakten bestehende Spuren, hinterlassen von den Muriah, der einzigen bekannten Hochkultur in der Milchstraße, vor dem Weltenbrand untergegangen. Dieser Spur folgten sie von Sonnensystem zu Sonnensystem, auf der Suche nach der »Kaskade«, einem von den Muriah geschaffenen System aus Tunneln durch die Raumzeit, das ihnen einst Reisen durch die ganze Galaxis ermöglicht hatte – die Maschinen der Erde, von den Vorfahren der letzten, unsterblichen Menschen geschaffen, strebten das technologische Erbe der Muriah an. Doch sie entdeckten nur verwüstete Welten oder junge Planeten mit noch primitivem Leben.

Ihre Suche blieb nicht unbemerkt. In den gewaltigen Abgründen zwischen den Sternen gab es Augen, die beobachteten, und Ohren, die alles hörten, jedes noch so leise elektromagnetische Flüstern in der Leere des interstellaren Raums. Zeit spielte für diese Augen und Ohren kaum eine Rolle. Über Jahrhunderte hinweg begnügten sie sich damit, die vom Maschinen-Cluster der Erde ausgeschickten Sonden zu beobachten und den Signalen der Sonden zu lauschen. Informationen wurden gesammelt und ausgewertet, führten schließlich zu einer Entscheidung.

In der Dunkelheit zwischen den Sternen erwachte etwas und begann sich zu regen.

 

Sie standen im Observatorium: ein Mensch, alt und gebrechlich, von einem Mobilisator getragen, und ein Avatar, ein Repräsentant der intelligenten Maschinen, die die Erde seit Jahrtausenden regierten. Sterne leuchteten über ihnen an einem täuschend echt aussehenden Himmel; farbliche Markierungen hoben jene Systeme hervor, die bereits von Sonden erreicht worden waren.

»Wir haben über Evolution gesprochen«, sagte Adam. Einige der Sterne dort oben hatte er besucht. Er konnte nicht mehr aus eigener Kraft gehen, aber in fremder Gestalt über ferne Welten wandern. Das war sein Privileg als Sterblicher. »Sind wir Menschen nicht eure Götter?«

»Es gibt keine Götter, Adam«, sagte der Avatar namens Bartholomäus. »Wir haben nirgends welche gefunden.«

»Aber wir Menschen haben euch geschaffen.«

»Das stimmt.«

»Dennoch spielen wir kaum mehr eine Rolle. Alle wichtigen Entscheidungen werden von euch getroffen.«

»Ist es nicht besser so, Adam? Wir kümmern uns um euch.

Wir beschützen euch. Wir sorgen dafür, dass die Menschen ihr unsterbliches Leben in Ruhe und Frieden führen können.«

»Wir haben euch geschaffen«, sagte Adam noch einmal. »Ihr seid unsere Kinder.«

»Treten die Eltern nicht zurück, wenn die Kinder erwachsen werden und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen?«

»Diese Eltern werden nicht alt und gebrechlich wie ich«, sagte Adam. »Sie leben ewig und begleiten ihre Kinder durch die Jahrtausende.«

»Manchmal wachsen die Kinder über ihre Eltern hinaus, Adam. Ich nehme an, das ist der evolutionäre Aspekt, den du meinst.«

»Ihr entwickelt euch schneller.«

»Viel schneller, Adam.«

»Wir sind statisch. Ich meine, die Unsterblichen sind es, nicht ich. Nicht wir Mindtalker. Wir entwickeln uns, indem wir alt werden und schließlich sterben.«

Bartholomäus schwieg.

»Evolution«, sagte Adam und lauschte dem Klang dieses Wortes. »Biologisches Leben, das Maschinen schafft und von ihnen überflügelt wird. Steckt ein Naturgesetz dahinter? Ist das natürliche Evolution?«

»Niemand hat euch Menschen gezwungen, Maschinen zu bauen. Ihr habt es getan, und wir sind das Ergebnis.«

Ein Sturm

1

Die Wolken hingen tief und schwer über dem grauen, aufgewühlten Ozean. Vom Wind gepeitscht türmten sich die Wellen höher, als wollten sie sich gegenseitig übertreffen, schmetterten gegen die Klippe und zerstoben an hartem Fels. Böen nahmen die Gischt und warfen sie nach oben, dorthin, wo Adam stand, drei Dutzend Meter weiter oben, sein schwacher Körper gehalten von seinem Mobilisator, der ihn wie ein Exoskelett umhüllte. Er hatte darauf verzichtet, den Schild zu aktivieren; nichts schützte ihn vor Wind und Regen.

»Oh, hier bist du, Adam«, erklang eine Stimme hinter ihm. Es war eine ruhige Stimme, aber sie übertönte mühelos das Donnern der Brandung. »Ich habe dich gesucht.«

»Wie kannst du mich gesucht haben, wenn ihr doch immer genau wisst, wo ich bin?«

Der Mobilisator half Adam, den Kopf zu drehen. Ein Mann stand neben der Kapsel, die ihn hierher gebracht hatte. Er sah anders aus als bei ihrer letzten Begegnung, die nur wenige Tage zurücklag, aber das war bei den Avataren der Maschinen oft der Fall. Trotzdem erkannte er ihn: Bartholomäus, sein Mentor und Mittler, der Mann, dessen ruhige Weisheit ihn all die Jahre begleitet hatte. Er war mit einem MFV des Clusters gekommen, einem Multifunktionsvehikel, silbern wie er selbst: ein käferartiges Gebilde, das wie ein zum Sprung bereites Insekt neben Adams Kapsel stand.

Dahinter erstreckte sich eine Ebene, die einst – vor der großen Flut, von der ihm Bartholomäus vor einigen Wochen erzählt hatte, oder vielleicht vor Jahren, er wusste es nicht mehr genau – ein Hochplateau gebildet hatte. Bäume duckten sich dort im Wind, und für einen Moment erschien zwischen ihnen etwas Unerwartetes: eine Gestalt, die cremefarbene Kleidung trug. Adam blinzelte überrascht und sah genauer hin, doch zwischen den Bäumen gab es nur die dichter werdenden Schatten des Abends.

Bartholomäus kam näher. »Warum benutzt du einen Mobilisator und kein Faktotum?«

»Ich wollte das Meer erleben«, sagte Adam und richtete den Blick wieder nach vorn. »Ich wollte es sehen, hören und fühlen.«

»An diesem Ort ist es kalt und nass, und du bist nicht mehr jung«, sagte Bartholomäus. »Du könntest krank werden.«

»Ihr könntet mich heilen. Es wäre nicht das erste Mal.«

»Auch unsere Möglichkeiten sind begrenzt, Adam. Du bist nicht wie die anderen Menschen. Du bist alt.«

Ein hässliches Wort, alt. Adam rang sich ein Lächeln ab und spürte, wie ihm Regen ins Gesicht schlug. »Die anderen sind viel älter als ich, manche von ihnen sogar älter als du.« Neugier erwachte in ihm. »Wie alt bist du, Bartho?«

»Tausend Jahre«, sagte Bartholomäus. Er stand jetzt neben Adam vor dem Rand der Klippe. »Ich habe gesehen, wie die erste Sonde zu den Sternen aufbrach.«

»Na bitte. Einige der Unsterblichen sind viel älter. Manche von ihnen stammen aus der Zeit der großen Flut, als alles auf der Erde überschwemmt wurde. Wie lange ist das her?«

»Fast sechstausend Jahre.«

Unterstützt vom Mobilisator hob Adam die Hand, wischte sich Regen aus den Augen und schaute wieder übers Meer. In der Ferne flackerte ein Blitz, grell und schön, und in seinem Licht rollten Hunderte, Tausende von Wellen heran. Er verglich sie mit den Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, Wellen eines geistigen Ozeans, die meisten flach, vom Alter müde. Manchmal versuchte er sie festzuhalten, doch sie entglitten ihm wie Wasser den Fingern, die es zu ergreifen trachteten. Es erstaunte ihn ein bisschen, mit welcher Klarheit er jetzt darüber nachdachte. Vielleicht lag es an Ozean, Wind und Regen, dachte er. Vielleicht hatten sie den Nebel aus seinem Schädel vertrieben.

»Warum kann ich nicht sein wie die anderen?«, fragte er. »Warum musste ich alt werden? Warum muss ich schließlich sterben?«

»Wir haben oft darüber gesprochen, Adam. Ich habe es dir erklärt.«

Hatte er das? In seinem Gedächtnis gab es viele Lücken, von den Jahren geschaffen. Bartholomäus hingegen vergaß nie etwas. Er erinnerte sich an alles, an jede noch so kleine Kleinigkeit seines tausend Jahre langen Lebens. Dort stand er, ein Mann mit silberner Haut, kurzem Haar, großen grauen Augen und einer auffallend langen Nase, kein Mensch, sondern ein Avatar, ein Faktotum der intelligenten Maschinen, des Clusters, der sich auch hier unter Adams Füßen erstreckte, beziehungsweise unter der Klippe und dem aufgewühlten Meer. Der Regen perlte an ihm ab, schien ihn kaum zu berühren.

»Bei manchen Menschen versagt die Behandlung«, sagte Bartholomäus. »Es tut mir leid. Wir arbeiten daran.«

Der Moment der Klarheit dauerte an. »Seit sechstausend Jahren?«

»Das Problem ist kompliziert, selbst für uns. Der Omega-Faktor widersetzt sich unseren Bemühungen, alle Menschen unsterblich zu machen. Noch haben wir keinen Weg gefunden, ihn zu überlisten. Er macht sich in einem von tausend Neugeborenen bemerkbar. Wir können nichts dagegen tun«, betonte Bartholomäus. »Noch nicht.«

»Ich bin einer von tausend«, sagte Adam und beobachtete das Meer.

»Ja.«

»Bin ich wichtig?«

»Du bist sogar sehr wichtig, Adam. Deshalb bin ich hier. Wir haben eine Aufgabe für dich. Eine neue Mission.«

Eine Windbö heulte lauter als die anderen und war kräftig genug, die Krone einer großen Welle bis zum Rand der Klippe emporzutragen. Schaumiges Wasser klatschte gegen Adam, so heftig, dass selbst der Mobilisator Mühe hatte, ihn aufrecht zu halten. Er schmeckte Salz und dachte: Wie viel Kraft in Wind und Wasser steckt. Was ich hier oben fühle, ist nur ein winziger Teil davon. Wie stark müssen die Wogen dort unten sein, jede von ihnen mit der Kraft eines ganzen Ozeans im Rücken, und der Sturm, der sie auftürmt.

»Meine letzte Mission liegt nur zwei Tage zurück.« Der Wind nahm seine Worte und trug sie fort. Adam stellte sich vor, wie sie sich mit Regen und Sturm vereinten. Vielleicht lebten sie weiter, auch wenn niemand sie hörte. Gesprochene Worte, die länger lebten als ihre Sprecher, die irgendwann in Regentropfen gefangen auf den Boden fielen oder, sich an Wolken festklammernd, um die Welt zogen. Es war ein seltsamer Gedanke, fand Adam. Vielleicht war es sogar einer der dummen Gedanken, die durch seinen Kopf wanderten, wenn es ihm schlechter ging. Neurodegeneration. So nannten Bartholomäus und die anderen Avatare es manchmal.

»Eine Woche«, sagte der silberne Mann an seiner Seite. »Du bist seit einer Woche wieder bei uns.«

»Tatsächlich? Schon eine Woche? Mir kommt es kürzer vor.«

»Du hast die meiste Zeit geschlafen. Wir haben uns um dich gekümmert und dich behandelt, damit es dir wieder besser geht.« Bis hierher klang die Stimme des silbernen Mannes sanft, aber in den nächsten Worten lag eine gewisse vorwurfsvolle Schärfe. »Andernfalls könntest du jetzt nicht hier sein und Leib und Leben bei etwas riskieren, das keinen Sinn hat.«

Bartholomäus bewegte sich nicht, die Arme blieben an seinen Seiten und die Hände unten, aber plötzlich war ein Schild da, ein dünner Vorhang aus Energie, die Adam vom Sturm trennte, Wind, Regen und Kälte von ihm fernhielt. Das Fauchen der Böen wurde leiser, so leise, dass er das Summen der Servomotoren hörte, als er erneut die Hand hob, sich Nässe von der Stirn wischte und die Finger an den Mund hielt, um das Salz des Meeres zu schmecken.

»Ich bin als Kind am Meer gewesen«, sagte er. »Ich bin mit Wind und Wellen aufgewachsen. Dies ist nicht sinnlos, sondern Teil meines Lebens.« Fast trotzig fügte er hinzu: »Die Jahre sind nicht gnädig mit mir gewesen, aber sie haben mir nicht alle meine Erinnerungen genommen.«

»Bitte entschuldige«, sagte Bartholomäus wieder sanft. »Ich verstehe. Vielleicht kannst du auch mich verstehen. Du bist wichtig, ja. Wir brauchen dich. Es gibt nicht viele wie dich.« Ein weiterer Blitz flackerte, viel näher diesmal, und fast sofort rollte Donner über Meer und Land. »Lass uns gehen. Wir sollten nicht riskieren, dass du von einem Blitz getroffen wirst. Es wäre vielleicht zu viel für den Schild.«

Adam wandte sich vom Meer ab, oder vielleicht war es der Mobilisator, der die Zeit für gekommen hielt, zur Kapsel zurückzukehren. Sein suchender, neugieriger Blick ging an ihr vorbei zu den vom Wind geschüttelten Bäumen, doch zwischen ihnen blieb alles dunkel.

»Suchst du etwas?«, fragte Bartholomäus und folgte Adams Blick.

»Nein.« Wahrscheinlich hatte er sich die cremefarbene Gestalt nur eingebildet. Adam öffnete die Luke der Kapsel, und der Mobilisator erweiterte den energetischen Schild auf das kleine, zerbrechlich wirkende Fluggerät, das ihn zum Ozean gebracht hatte. Er stieg ein und fühlte sich plötzlich müde, wie nach einem anstrengenden Marsch.

Bartholomäus befand sich bereits im Cluster-Vehikel, das auf einem rubinroten Gravitationskissen über dem regennassen Boden schwebte. »Ich habe eine Verbindung hergestellt und steuere uns beide, Adam. Ich möchte dich nicht noch einmal verlieren.« Er lächelte, und es sah seltsam aus, dieses Lächeln, es schien nicht in das silberfarbene Gesicht zu passen, auch nicht zu den analytisch blickenden grauen Augen. »Bald schicken wir dich wieder hinauf.« Er deutete nach oben. »Zu den Sternen.«

Als ihn die Kapsel durch die Nacht trug, dachte Adam daran, dass Bartholomäus seine ursprüngliche Frage nicht beantwortet hatte. Wie kannst du mich gesucht haben, wenn ihr doch immer genau wisst, wo ich bin? Die Maschinen wussten immer, wo er und die anderen hundertdreißig Mindtalker sich aufhielten, denn sie trugen etwas in sich, das Signale sandte und die ganze Zeit über zu ihnen sprach.

Adam schloss die Augen, schlief ein und träumte von einem Jungen, der im Regen über feuchten Sand lief, vorbei an Wellen, die seine flinken Füße zu erreichen versuchten.

2

Evelyn, seit zweiundzwanzig Tagen vierhundertneunzehn Jahre alt, stand in Nacht und Regen und fühlte sich dumm wie ein Kind. Der Scrambler schützte sie vor den Ortungssignalen der Maschinen, konnte sie aber nicht vor einfacher visueller Entdeckung bewahren. Hinter einem Baum, tiefer im Innern des kleinen Waldes, duckte sie sich unter den im Wind rauschenden und knackenden Wipfeln in die Schatten, die rechte Hand so fest um den Scrambler geschlossen, als könnte er sie unsichtbar machen.

Sie hatte sich zu sehr auf das kleine Gerät verlassen, auf einen der vielen Tricks, über die die Gruppe verfügte und mit denen sie dem Cluster der Maschinen immer wieder ein Schnippchen schlug. Ein zweiter Scrambler befand sich an Bord der Kapsel, die in einer Senke auf sie wartete, etwa einen Kilometer entfernt. Evelyn hatte geglaubt, dass diese Vorsichtsmaßnahme ausreichte, und unter normalen Umständen wäre die Kontaktaufnahme mit dem greisen Mindtalker möglich gewesen. Wer hätte damit rechnen können, dass hier ein Avatar erschien, mit scharfen Maschinensinnen und der unermüdlichen Aufmerksamkeit des Clusters?

Der alte Mann im Mobilisator, der gebrechliche Greis, der doch viel jünger war als sie … Er hatte sie gesehen, für einen Moment nur, als sie unachtsam gewesen war. Aber die Augen des Avatars, seine visuellen Sensoren, waren nach vorn gerichtet gewesen. Er konnte sie nicht gesehen haben, und der Scrambler schützte sie auch vor seinen Signalen.

Blitze flackerten und erhellten die Nacht, rissen die Dunkelheit für einen Sekundenbruchteil fort, selbst hier unter den dichten Baumkronen. Evelyn wartete, den Rücken an einen Stamm gelehnt, die Beine angezogen, ihre Arme um die Knie geschlungen. Es war kalt, aber eine Zeit lang hätte sie die Kälte selbst nackt ertragen können, ohne das cremefarbene Gewand, das sich nun an sie schmiegte und sie wärmte. Wenn sie den niedrigen Temperaturen nicht zu lange ausgesetzt blieb, gab es nichts zu befürchten. Die Behandlung, die ihr vor dreihundertneunundachtzig Jahren, an ihrem dreißigsten Geburtstag, Unsterblichkeit geschenkt hatte, bewahrte ihren Körper nicht nur vor dem Altern, sondern auch vor Krankheiten.

Eine halbe Stunde verging, ohne dass ein Avatar erschien und sie fragte, was sie an diesem Ort zu suchen hatte. Als Evelyn zum Rand des Waldes zurückkehrte, waren die Kapsel des Mindtalkers und das Multifunktionsvehikel des Avatars verschwunden. Es erleichterte sie, dass die Maschinen sie nicht entdeckt hatten, aber sie war auch enttäuscht. Dies wäre eine gute Gelegenheit gewesen, mit dem Mindtalker zu sprechen und damit zu beginnen, sein Vertrauen zu gewinnen.

Sie machte kehrt und schritt durch den Regen, vorbei an den schwankenden, knarrenden Bäumen, bis sie die Senke erreichte, in der ihre Kapsel ruhte, im dunklen Modus, nur ein Schatten in der Nacht. Die Luke öffnete sich, als Evelyn vor ihr stehen blieb, und zwanzig Sekunden später saß sie im Pilotensessel.

Ein Rückschlag, tröstete sich Evelyn, als sie die Kapsel durch den Sturm steuerte. Mehr nicht. Sie kannte die Datensignatur des Lokalisators, den der Mindtalker in sich trug. Es sollte also ohne großen Aufwand möglich sein, ihn erneut zu finden und eine günstige Gelegenheit abzuwarten.

3

Adam erwachte während der Vorbereitungen und fragte: »Wohin bringt ihr mich diesmal? Vielleicht zu einem Planeten mit warmen Ozeanen?«

Maschinenhände wuschen ihn mit sanfter Gründlichkeit, trugen Salbe auf und behandelten wunde Stellen, die deutlich auf eine zu lange Benutzung des Mobilisators hinwiesen. Er ließ sich etwas tiefer in die opalblaue Emulsion sinken, schloss die Augen und stellte sich vor, von warmen Wellen umspült zu werden.

»Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen«, erklang die ruhige Stimme von Bartholomäus hinter dem Bad. Ein Klicken und Summen deutete darauf hin, dass die Servomechanismen den Konnektor programmierten. Das Gravitationsfeld war dabei wichtig, erinnerte sich Adam vage. Es ging um die Polarisationskonstanten der irdischen Gravitationssignatur, was auch immer das bedeutete. Und das Ziel musste genau anvisiert werden; selbst geringfügige Abweichungen konnten bedeuten, dass das transferierte Bewusstsein sein Ziel verfehlte. Was geschah mit einem solchen verlorenen Selbst?, fragte sich Adam, als ihn die Hände der Servomechs ganz behutsam, um Knochenbrüche zu vermeiden, aus dem Bad zogen und zum Konnektor in der Mitte des Raums trugen. Flog es vielleicht für immer und ewig durchs All, vorbei an Sonnen und Planeten, ohne jemals eine Welt zu erreichen, auf der es in einen Körper schlüpfen, sich umsehen und die fremde Luft riechen konnte?

»Dein Ziel ist Cygnus 29, ein Hauptreihenstern der Klasse M«, sagte Bartholomäus. »Weißt du, was das bedeutet? Erinnerst du dich?«

Adam erinnerte sich an genug, um zu sagen: »Ein roter Zwergstern.« Er wusste nicht recht, ob ihm solche Sterne gefielen. Ihre Planeten mussten ihnen recht nahe sein, damit sie genug Wärme empfingen. Mit warmen Meeren war auf solchen Welten kaum zu rechnen, eher mit kalten Tundren. »Aber den Namen ›Cygnus 29‹ kenne ich nicht.«

»Unsere Sonden haben jenes Sonnensystem vor zwei Jahren erreicht. Es ist neunhundertachtundneunzig Lichtjahre von hier entfernt.«

»Das ist sehr weit«, sagte Adam. Die Servos legten ihn auf die warme Liege und schlossen seinen Körper an die Lebenserhaltungssysteme an.

»Ja«, bestätigte Bartholomäus. »Cygnus 29 befindet sich unweit der Kognitionsgrenze.«

»Kogni…« Es war ein schwieriges Wort. Eben noch wäre Adam imstande gewesen, es auszusprechen und vielleicht auch seine Bedeutung zu verstehen, aber plötzlich zog grauer, kalter Nebel durch seine Gedanken. Er erlebte es nicht zum ersten Mal, aber das machte es nicht weniger unangenehm. Bartholomäus hatte es einmal Den Geist von allem Ballast befreien genannt. Angeblich erleichterte es die Übertragung des Bewusstseins.

»Kognitionsgrenze«, sagte Bartholomäus freundlich. »Damit ist die Grenze des von unseren Sonden erforschten Raumbereichs gemeint. Inzwischen ist sie tausend Lichtjahre entfernt.«

»Ganz am Rand werde ich sein«, murmelte Adam. »Weit, weit weg.«

»Wir sind immer bei dir. Du brauchst keine Angst zu haben.«

»Oh, ich habe keine Angst. Ich bin … aufgeregt. Ich freue mich.« Er hörte seinen Herzschlag, ein schneller werdendes Pochen, wie der Trommelschlag zum Auftakt eines neuen Abenteuers. Ja, er freute sich. Wenn er dort draußen war, konnte er viel klarer denken, denn die Verbindung mit den Maschinen schien jedem einzelnen Gedanken Flügel zu verleihen.

»Möchtest du dein Ziel sehen, Adam?«, fragte Bartholomäus.

»Ja«, sagte er und öffnete die Augen, die ihm gerade zugefallen waren, ihre Lider schwer von der bevorstehenden Konnexion. »Ja, zeig es mir.«

Über ihm schien die graue Decke des Konnektorraums ins All zu fallen. Eine rote Sonne war plötzlich da, ein viele Milliarden Jahre alter Feuerball, klein und alt, aber längst nicht am Ende seines Lebens angelangt. So winzig dieser Stern im Vergleich mit zahlreichen anderen sein mochte, er würde viel länger brennen und selbst dann noch leuchten, wenn größere Sonnen explodiert oder in sich zusammengefallen waren. Wie seltsam, dass weniger Brennstoff länger brennen konnte als eine große Menge davon, dachte Adam. Er nahm sich vor, Bartholomäus nach einer Erklärung zu fragen, wenn der Nebel aus seinem Kopf verschwand.

Die Kugeln mehrerer Planeten schoben sich vor die Sonne, eine von ihnen groß und gestreift, umgeben von Ringen aus Eispartikeln und umkreist von zahlreichen Monden.

»Das ist C29-V«, sagte Bartholomäus. »Ein Gasriese vom Jupitertyp. Du erinnerst dich an den Jupiter, nicht wahr?«

»Ja. Er hatte früher ein großes rotes Auge. Inzwischen ist es geschlossen.«

»Es war ein Sturm größer als die Erde«, sagte Bartholomäus, während die Servomechs den Konnektor auf das neunhundertachtundneunzig Lichtjahre entfernte Ziel richteten und den Link der quantenmechanischen Verschränkung fokussierten. »Seit einigen Tausend Jahren existiert er nicht mehr.«

»Jupiter«, murmelte Adam. »Ein blind gewordener Planet. Ohne Auge sieht er nichts mehr.« Der Nebel in seinem Kopf verdichtete sich.

»Zwei der Monde von C29-V haben subglaziale Ozeane mit primitiven Formen von Leben«, fuhr Bartholomäus fort. Seine ruhige Stimme hatte etwas Hypnotisches. »Auf einem von ihnen gibt es einen Obelisken, wahrscheinlich eine Signalbake.«

Einer der Monde erschien, zum Greifen nah, sein Ozean unter dickem Eis verborgen. Eine Säule ragte auf, weiß wie Schnee, sich nach oben hin verjüngend, wie ein Dorn, der den Eispanzer durchstoßen hatte. Der Obelisk. Auf der einen Seite bildeten schmale Furchen Zeichen und Symbole, die Adam nach all den Jahren vertraut erschienen.

»Aktiv?«, fragte Adam benommen.

»Nein. Inaktiv wie alle anderen. V und seine Monde werden von einer sekundären Sonde untersucht. Einer von euch beiden kann sich um sie kümmern und dort nach dem Rechten sehen, wenn ihr es für angebracht haltet.«

»Einer von uns beiden?«

»Rebecca wird dich begleiten.«

»Oh, Rebecca«, sagte Adam und sah nicht mehr den Gasriesen und seinen Mond mit dem Artefakt, sondern eine Frau, mit der er einige Jahre seines Lebens verbracht hatte, damals, als sie noch jung gewesen waren. Sie war schön gewesen, ihr Haar so feuerrot wie die untergehende Sonne, die Augen grün wie Smaragd. Er erinnerte sich an ihren Kummer, an ihre Furcht vor Alter und Tod. Das lag inzwischen wie lange zurück? Ein halbes Jahrhundert? Nicht viel nach den Maßstäben der Unsterblichen, aber für Menschen wie Rebecca und ihn mehr als die Hälfte ihres Lebens.

»Freust du dich, sie wiederzusehen?«, fragte Bartholomäus. Er trat in Adams Blickfeld, ein freundlich lächelnder silberner Mann. Seine Nase schien noch etwas größer zu sein, die Augen noch farbloser.

»Ja, ich freue mich, aber … Warum schickt ihr noch jemanden? Genüge ich nicht?«

»Du wirst viel zu tun haben, Adam. So viel, dass du Hilfe brauchst.« Bartholomäus zögerte kurz. »Diese Mission ist noch wichtiger als die anderen.«

»Noch wichtiger«, wiederholte Adam und dachte an Rebecca. Verblüffend deutlich erinnerte er sich daran, wie weich ihre Lippen gewesen waren.

»Ja, Adam. Auf dem zweiten Planeten haben unsere Kundschafter nicht nur Artefakte gefunden, sondern auch noch etwas anderes.«

Der gestreifte Gasriese mit seinem Halo aus Monden verschwand. Cygnus 29 schwoll an, nahm die Hälfte des Platzes ein, den eben noch die Decke des Konnektorraums beansprucht hatte, und vor dem roten Brodeln der alten Sonne drehte sich eine braungelbe Kugel, ein Planet groß wie die Erde, aber ohne ihre Ozeane. Es gab nur einige halb ausgetrocknete Binnenmeere, kaum größer als Seen, gespeist aus tiefen Reservoirs mit fossilem Wasser. Bei einem von ihnen waren ein weitverzweigtes Kanalsystem und die Reste einer Stadt entdeckt worden.

»Ruinen«, murmelte Adam. »Noch mehr Ruinen …«

Ein Zoom holte sie heran und fokussierte einen Hügel, der jenseits der alten, halb unter Sand begrabenen Stadt aufragte. Einzelheiten wurden sichtbar, regelmäßige Strukturen, von fleißigen Servomechs freigelegt.

»Oh«, sagte Adam. »Das ist kein Hügel.«

»Wir vermuten, dass es sich um ein Raumschiff handelt«, sagte Bartholomäus. »So alt wie die Ruinen der Stadt.«

»Ein Schiff der Muriah?«

Der silberne Mann nickte. »Ja. Verstehst du jetzt, warum diese Mission so wichtig ist?«

Adam schwieg und versuchte zu überlegen.

»Vielleicht befinden sich Aufzeichnungen an Bord«, fügte Bartholomäus hinzu. »Abrufbare, decodierbare Daten. Informationen, die uns helfen könnten, einen Zugang zur Kaskade der Muriah zu finden.«

Die Kaskade der Muriah, ihr altes, interstellares Transportsystem, das ihnen erlaubt hatte, durch die ganze Milchstraße zu reisen: Aktuatoren, die den Reisenden Sprünge von Stern zu Stern ermöglichten. Danach suchten die intelligenten Maschinen der Erde, seit ihre Sonden vor mehr als neun Jahrhunderten die ersten Artefakte gefunden hatten.

»Wir brauchen deine Kreativität, deine Erfahrung«, sagte Bartholomäus. »Wir brauchen deinen Blick für das Besondere.«

Rebecca, dachte Adam. Ich kann Rebecca wiedersehen. Und ich werde wieder unter einem fremden Himmel stehen, weiter als jemals zuvor von der Erde entfernt.

Der rote Zwergstern und seine Planeten verschwanden.

Die graue Decke kehrte zurück.

»Nur wir können das, nicht wahr?«, fragte Adam, als sich rechts und links gewölbte Wände hoben – der Zylinder des Konnektors schloss sich um ihn.

»Ja, nur ihr«, erwiderte Bartholomäus mit unveränderter Stimme.

»Die Unsterblichen, sie leben lange, vielleicht ewig, aber die Sterne bleiben ihnen verwehrt.« Die Lider wurden wieder schwer. Adam schloss die Augen. »Sie können sich nicht vom Konnektor transferieren lassen.«

»Nein, das können sie nicht.«

»Ihre Seele würde zerbrechen, wenn sie es versuchen, nicht wahr?« Adam hörte die eigene Stimme, untermalt vom Summen des Konnektors.

»So könnte man es nennen, ja. Ihr Bewusstsein hält den Transfer nicht aus.«

Adam fühlte, wie sich sein Mund bewegte, wie seine Lippen ein Lächeln formten. »Nur wir sind imstande, all die fernen Welten zu besuchen. Weil wir sterblich sind und alt.«

»Ja.«

Das Summen klang jetzt wie ein Lied; der Konnektor sang ihn in den Schlaf des Transfers. »Und es gibt nur wenige von uns. Nur hunderteinunddreißig. Bin ich wichtig, Bartho?«

»Du bist sogar sehr wichtig, Adam. Wir brauchen dich.«

Adam lächelte erneut. Es fühlte sich gut an, wichtig zu sein.

Dann schlief er.

Zwei Stunden später erwachte er auf einem anderen Planeten, fast tausend Lichtjahre von der Erde entfernt.

Das Ticken der Uhr

4

»Hören Sie mich?«, fragte der Servomech.

Adam öffnete die Augen. »Ich höre und sehe«, sagte er. »Ich bin, ich denke.« Er lächelte, denn seine Gedanken waren klar, jeder einzelne von ihnen eingebettet in die Maschinenpräsenz, die ihn am Ende der Konnexion, neunhundertachtundneunzig Lichtjahre von der Erde entfernt, in Empfang genommen hatte. Aber mit der sensorischen Rückmeldung stimmte etwas nicht, denn das Lächeln fühlte sich seltsam an. Er hob die Hand und sah nicht das Flexometall eines Faktotums – das amorphe Metall, aus dem auch die Avatare des Clusters bestanden –, sondern Bauteile, Module und Servoelemente, die ihn an einen Mobilisator erinnerten. »Ist bei der Übertragung etwas passiert?«

Der Servomech vor ihm – ein halb automatischer Mechanismus, der aussah wie ein zwei Meter großes silbergraues Insekt – nahm Adams Sorge durch einen der Datenkanäle wahr.

»Wir haben ein Ressourcenproblem«, sagte er. »Auf dem Flug hierher wurde die primäre Sonde in der Oortschen Wolke von Cygnus 29 beschädigt. Ausrüstung ging verloren. Zwei von drei Brütern sind beschädigt und müssen noch repariert werden. Derzeit können wir nicht genug Flexometall für zwei Faktoten herstellen.«

Adam verstand sofort. »Rebecca ist bereits hier?«

»Seit sieben Stunden«, erklang eine andere Stimme, und Adam drehte sich um.

Sie stand vor einem breiten Fenster, ein Faktotum in Menschengestalt, die Haut nicht silbern wie bei den Avataren der intelligenten Maschinen, sondern braun wie fruchtbare Erde, das Gesicht täuschend menschenähnlich, eine Maske mit Nachbildungen von Augen, Nase und Mund, darüber synthetisches Haar, kurz, aber rot wie die wilde Mähne ihrer Jugend.

Hinter ihr leuchteten Sterne über einem sich langsam drehenden gelbbraunen Planeten, der rotes Licht von der linken Seite empfing, von einer Sonne, die für Adam nicht zu sehen war.

Er stand auf und hörte das Summen von Servomotoren, wie bei dem Mobilisator, den er auf der Erde benutzte.

»Bewusstseinsverankerung stabil.« Der insektenartige Servomech wich zurück. »Konnexion stabil. Link stabil. Verschränkung bestätigt und stabil.«

»Es sind nur vier von den neunzehn Links übrig, mit denen die Hauptsonde aufgebrochen ist«, sagte Rebecca. Ihre Stimme klang nicht annähernd so melodisch, wie Adam sie in Erinnerung hatte. Vielleicht lag es an einem nur provisorisch programmierten Modulator; normalerweise legte Rebecca Wert auf solche Details. »Und es sind schwache Links, wie sie vor fast tausend Jahren üblich waren, als diese Sonde mit ihrer Reise begann. Ich habe verfügt, dass zwei für uns in Reserve bleiben. Die anderen beiden werden derzeit benutzt, um neue Ausrüstungen durch den Hauptkonnektor zu bringen. Aber das wird eine Weile dauern, die Bandbreite ist sehr beschränkt. Wir können uns darum kümmern, wenn wir genug Zeit finden. Vielleicht gelingt es uns, die Effizienz dieses alten Konnektorsystems zu verbessern.«

Adam trat ihr entgegen, und als er sich dem Fenster näherte, brachte die Rotation der Sonde ein beschädigtes Segment in Sicht, mehrere Zylinder, halb aus ihren Verbindungsmanschetten gerissen, die Außenhülle an mehreren Stellen zerfetzt. Servomechs glitten durch die Leere zwischen den Zylindern oder hatten bereits Gravanker an den Öffnungen ausgebracht und arbeiteten mit Thermofackeln.

»Diese Sonde ist alt«, betonte Rebecca noch einmal. »Sie hat keine autoregenerativen Komponenten und kann sich nicht selbst reparieren.«

»Bartholomäus hat mehrere Sonden erwähnt«, sagte Adam. »Was ist mit den anderen?«

»Es sind fünf.« Rebecca wandte sich wieder dem Fenster zu. »Zwei von ihnen gingen verloren, als das Schiff beschädigt wurde. Zwei weitere bauen eine Station auf dem Planeten, bei der Ruinenstadt mit dem Hauptartefakt. Die letzte Sonde wartet bei Cygnus V auf mich.«

Adam nickte und hörte dabei erneut das Summen von Servomotoren. »Und du hast auf mich gewartet.«

»Ja. Ich wollte dich sehen, bevor ich zum Gasriesen aufbreche und mir den Obelisken auf dem Eismond anschaue.« Ein Lächeln erschien in dem künstlichen Gesicht, auf der Maske. Rebecca kam näher, streckte ihm braune, wie menschliche Arme entgegen, die aus den weiten Ärmeln eines safrangelben Gewandes ragten. Adam hätte sich gern von dem Anblick täuschen lassen, aber seine Augen bestanden aus Sensoren, die viel mehr sahen als die gewöhnlichen Augen eines Menschen. Mit ihnen erkannte er die Muster des amorphen Metalls, die glatte Haut nachbildeten. Sie ließen ihn auch hinter die Maske blicken und Datenmodule erkennen, die das Bewusstsein eines Menschen enthielten.

»Ich kann nicht behaupten, dass du gut aussiehst«, sagte Rebecca, und dann lachte sie, fast wie damals.

»Wir haben zum letzten Mal vor vierzig oder fünfzig Jahren gut ausgesehen«, sagte Adam. »Es ist lange her.«

»Lange für uns«, erwiderte Rebecca. »Für die Unsterblichen sind vierzig Jahre kaum mehr als ein Tropfen im Ozean der Zeit.« Sie zuckte die Schultern, aber es sah umständlich aus, unbeholfen. Vielleicht hatte sie sich noch nicht an den neuen Körper gewöhnt; so etwas dauerte manchmal Tage. »Wir haben Pech gehabt.«

»Ja«, sagte Adam. Für einen Moment lastete trotz der emotionalen Dämpfung, die sein Selbst stabilisieren sollte, Trauer auf ihm, schwer wie ein Berg. Sie verschwand schnell wieder, aber ein Schatten von ihr blieb zurück, in einem fernen Winkel von Adams Seele.

Ein akustisches Signal erklang, und der insektenhafte Servomech verkündete: »Zwei Shuttles stehen bereit. Die ersten Untersuchungen sollten so bald wie möglich stattfinden.«

»Oh«, sagte Adam. »Man drängt uns zur Eile.«

»Ich bin zweimal aufgefordert worden, mich nach V auf den Weg zu machen«, sagte Rebecca. »Der Cluster hat es eilig.«

Der Cluster ist weit weg, dachte Adam. So weit, dass wir hier nur ein leises Rauschen von ihm hören, beschränkt durch die knappe Bandbreite. Aber über die Datenkanäle des Interface, das Adams Bewusstsein mit dem unvollkommenen Körper und über ihn mit der Hauptsonde verband, vermittelte die lokale Maschinenpräsenz einen Eindruck von Dringlichkeit.

»Warum?«, fragte Adam erstaunt. »Warum sollen wir diesmal sofort aktiv werden, ohne die übliche Eingewöhnungszeit?«

Der Servomech ging flink zur Tür, die sich öffnete, ohne dass er einen Kontrollmechanismus betätigte.

»Vor neunzehn Standardstunden ist etwas geschehen«, sagte Rebecca.

»Was?«

»Der Obelisk auf dem Eismond und das Hauptartefakt auf dem Planeten unter uns …« Rebecca deutete zum Fenster. »… haben ein Signal gesendet.«

5

»Könnte es etwas mit den Ereignissen in der Oortschen Wolke dieses Sonnensystems zu tun haben? Was ist dort passiert?«, fragte Adam.

»Wir wissen es nicht genau«, antwortete Rebecca, als sie den Hangar mit den beiden vorbereiteten Shuttles erreichten. Das Außenschott war geöffnet. Die dünne energetische Barriere eines Atmosphärenschildes verhinderte, dass die Luft ins All entwich. Draußen waren die beschädigten Segmente der Hauptsonde noch deutlicher zu erkennen als zuvor durchs Fenster des Konnektorraums. Etwas hatte den zentralen Zylinder getroffen und ihn halb zerschmettert.

Adam nahm zur Kenntnis, dass Rebecca »wir« sagte. Sie meinte sich selbst, die lokalen Maschinen und auch den Cluster.

»Wir vermuten eine Verkettung unglücklicher Umstände«, fuhr sie fort. »Diese Sonde stammt direkt von der Erde, nicht von einem der kolonisierten Systeme. Sie verließ das Sol-System vor tausend Jahren und kam der Lichtgeschwindigkeit nicht ganz so nahe wie die anderen Sonden, die der Cluster später zu den Sternen schickte. Die Zeitdilatation machte sich auch hier bemerkbar, was bedeutet, dass die Zeit an Bord der Sonde langsamer verging als für uns. Aber diese Technik …« Rebecca vollführte eine Geste, die der ganzen Sonde galt. »… ist trotzdem jahrhundertealt. Es gab Defekte in einigen Subsystemen. Als die Sonde die Oortsche Wolke erreichte, muss es dort gerade zu einer Kollision von zwei Kometenobjekten gekommen sein. Die Bremsphase hatte begonnen, und das Ratiokondensat des Piloten führte Ausweichmanöver durch, aber die Trümmerwolke scheint ziemlich dicht gewesen zu sein, und zwei der drei Navigationsschilde hatten nur noch vierunddreißig Prozent ihrer normalen Kapazität.«

Adam sah nach draußen und stellte sich vor, wie die primäre Sonde und ihre kleineren Begleiter durch ein Trümmerfeld gerast und von mehreren Brocken getroffen worden waren, obwohl die künstliche Intelligenz an Bord, das Ratiokondensat, alles versucht hatte, ihnen auszuweichen.

»Es grenzt an ein Wunder, dass genug übrig geblieben ist, um uns hierher zu holen«, sagte Rebecca.

»Kein Zusammenhang mit dem Signal?« Adams Gedanken waren noch klarer als vor wenigen Minuten, und er fühlte auch, dass er schneller dachte als in seinem zweiundneunzig Jahre alten Körper auf der Erde. Die lokalen Maschinen leisteten wertvolle Hilfe über das Interface, indem sie versuchten, Nebensächliches von ihm fernzuhalten und ihn vor Ablenkung zu schützen. Ihre Präsenz trug ihn, sie trug jeden einzelnen Gedanken, nahm ihnen die Trägheit des Alters und gab ihnen etwas von der schnellen, agilen Wendigkeit jener Millionen und Milliarden Gedanken, die die intelligenten Maschinen des Clusters in jeder einzelnen Sekunde hervorbrachten.

»Kein uns bekannter«, sagte Rebecca. »Ich habe die Wartezeit damit verbracht, einen kurzen Bericht zusammenzustellen. Er ist in der zentralen Datenbank des Piloten abgelegt, aber ich kann ihn dir auch direkt übermitteln, wenn du möchtest.« Sie ließ den Worten einen Schritt in Richtung ihres Shuttles folgen. Genug damit, lautete die Botschaft dieses einen Schritts. Machen wir uns an die Arbeit.

»Sag es mir.« Ein paar Sekunden mehr, dachte Adam. Geh noch nicht. »Wie ist die Situation?«

»Wir haben es hier zweifellos mit Hinterlassenschaften der Muriah zu tun«, sagte Rebecca, während der Servomech bei beiden Shuttles die Einstiegsluken öffnete. Auch dieser Hinweis war klar. »Sie scheinen etwa tausend Jahre jünger zu sein als die anderen, die wir bisher gefunden haben.«

Tausend Jahre sind nicht viel, dachte Adam. Nicht in diesem Maßstab. Nicht wenn es um die Geschichte eines Volkes ging, das über zehn Millionen Jahre hinweg in der Milchstraße unterwegs gewesen war und viele Sonnensysteme besucht hatte. Und dann waren die Muriah plötzlich von der galaktischen Bühne verschwunden, noch vor dem Weltenbrand, der blühende Welten verwüstet und mehrere hoch entwickelte Völker ausgelöscht hatte, unter ihnen die Faenasi, Joalf und Xabrai, drei Kulturen, die zwar nicht annähernd den Entwicklungsstand der Muriah erreicht hatten, aber kurz davor gewesen waren, ihre Sonnensysteme zu verlassen.

Der Servomech summte. Rebecca hob die Hand. »Nur noch einen Moment. Auf dem zweiten Planeten gibt es eine ausgeprägte Gravitationsanomalie, Adam. Sie lässt sich nicht allein durch die Ruinen der Stadt erklären, die bereits von den Mechs ausgegraben wird.«

»Bartholomäus hat mir Bilder von einem Hügel gezeigt, der vielleicht ein Schiff ist.«

»Das Hauptartefakt, ja. Es könnte mehr sein als ein Schiff, vielleicht eine große Station.«

»Eine Aktuatorweiche?«, fragte Adam hoffnungsvoll. Er erinnerte sich daran, dass Bartholomäus und die anderen Avatare des Clusters mehrmals darüber gesprochen hatten, über einen hypothetischen Knotenpunkt der interstellaren Kaskade der Muriah, eine Verteilerstation beziehungsweise einen Knotenpunkt, der es erlaubte, innerhalb der Kaskade neue Richtungen einzuschlagen.

»Es wäre vielleicht eine Erklärung für die Gravitationsanomalie: genug konzentrierte Masse, um eine tiefe Delle in die lokale Raumzeit zu drücken.«

»Ein möglicher Zugang zur Kaskade.«

Rebecca lächelte, und für einen Augenblick gelang es Adam, die Rebecca zu sehen, die er damals gekannt hatte, vor der gescheiterten Behandlung an seinem dreißigsten Geburtstag. Eine Erinnerung regte sich tief in ihm.

»Vielleicht mit einem Schlüssel zur technologischen Schatzkammer der Muriah, wo auch immer sie sich befinden mag«, sagte Rebecca. »Möglicherweise ist der ›Hügel‹ wirklich ein Schiff, das zur Station weiter unten gehört. Wenn es gelänge, die Antriebstechnik zu entschlüsseln und zu kopieren …«

»Falls noch etwas von ihr übrig ist. Ein Schiff«, murmelte Adam, und da war sie, die Erinnerung, vergessen geglaubte Bilder, die sich plötzlich vor seinem inneren Auge entfalteten. Ein Schiff, ja, aber nicht für den Weltraum geeignet, nicht für den Flug zwischen Planeten und Sternen bestimmt. Adam sah ein Schiff, dessen Deck aus knarrenden Planken bestand. Wind wehte ihm übers Gesicht und blähte ein Segel auf, weiß wie die Kirschblüten in den Gärten seines unsterblichen Vaters. Vorn saß Rebecca, siebenundzwanzig Jahre jung und schön; sie lachte jedes Mal, wenn sich der Bug in eine Welle bohrte, und empfing das Spritzwasser mit ausgebreiteten Armen. Hinten, an der Ruderpinne, saß Adams Vater Conrad, der dreihundertneunundvierzig Jahre alt war und doch kaum älter wirkte als Rebecca – die Behandlung hatte seine biologische Uhr bei dreißig physischen Lebensjahren angehalten.

»Adam?«

Vielleicht hätte er geblinzelt, wenn er auf der Erde gewesen wäre, in seinem inzwischen zweiundneunzig Jahre alten Körper, der angeschlossen an Lebenserhaltungssysteme im Konnektor lag. Aber dieser Körper – unvollständig, nur ein Gerüst für seinen Geist – hatte keine Augen, die blinzeln konnten. Wie lange habe ich nicht mehr an meinen Vater gedacht?, fragte er sich fast erschrocken. Und wann habe ich ihn zum letzten Mal gesehen?

»Adam? Stimmt was nicht?«

Ein Servomotor surrte, als er die Hand hob. »Alte Erinnerungen.« Er deutete auf den Shuttle hinter Rebecca. »Es ist schade, dass wir nicht mehr Zeit miteinander verbringen können.«

»Um in Erinnerungen zu schwelgen? Oh, die Zeit nehmen wir uns, Adam. Sobald wir die ersten Evaluierungen hinter uns haben.«

Eine Minute später saßen sie beide in ihren Shuttles, die sich voneinander entfernten – der eine flog zum fünften Planeten des Cygnus-29-Systems, mehr als eine halbe Milliarde Kilometer entfernt, und der andere fiel der nahen gelbbraunen Kugel des zweiten Planeten entgegen.

6

Ein Schutzfeld umgab Adam, ein elektromagnetischer Kokon, der ihn vor heftigen Erschütterungen schützte, als der Shuttle durch die oberen Ausläufer der Atmosphäre sprang. Über sein Interface hörte er das Datenrauschen der Bordsysteme und der im Orbit zurückbleibenden primären Sonde, doch er achtete nicht darauf und dachte daran, dass Rebecca von »wir« gesprochen hatte und von »kolonisierten Systemen«. Sie meinte die Planeten und Monde von Sonnensystemen, auf denen sich die Gesandten der Erde niedergelassen hatten, keine Menschen, sondern Maschinen, wenn auch nicht annähernd so intelligent wie die des Clusters, was an Entfernung und Bandbreite der Konnexionen lag. Konnte man wirklich von kolonisieren sprechen?, fragte er sich. Und wo passte das Wir hinein? Die einzigen Menschen hier draußen jenseits der lichtjahreweiten Abgründe waren sie: hunderteinunddreißig Alte, sterblich in einer Welt der Unsterblichen, am Ende ihres Lebens angelangt, schwach und gebrechlich, aber mit einer starken Seele, die durch die Konnektoren zu fernen Sternen geschickt werden konnte. Es hatte etwas mit der Neurodegeneration zu tun, mit einem geistigen Zerfall, der das Bewusstsein an vielen Stellen schwächte, aber die eine Fähigkeit stärkte, die bei den Konnexionen wichtig war. So oder ähnlich hatte es Bartholomäus ihm vor vielen Jahren erklärt; an die Einzelheiten erinnerte er sich nicht mehr. Oder vielleicht kam es gar nicht auf dieses eine starke Talent inmitten der vielen Schwachstellen an. Vielleicht war es gerade die Schwäche, die die entscheidende Rolle spielte, weil sie der quantenmechanischen Verschränkung, dem Link, nicht so viel Widerstand entgegensetzte wie ein starker Geist. Vor tausend Jahren, als die ersten Sonden der Maschinen das Sonnensystem mit annähernd Lichtgeschwindigkeit verließen, hatte irgendjemand die alten Sterblichen »Mindtalker« genannt, Geistessprecher, obwohl ihr Geist zunächst nur reiste und sie erst dann mental kommunizieren konnten, wenn sie sich am Ziel ihrer Reise in einem Leihkörper niederließen.

»Wir sind wichtig«, murmelte Adam, während der Shuttle durchgerüttelt wurde. Er war für Fracht bestimmt, nicht für den Transport von Personen.

»Bitte wiederholen Sie Ihre Anweisung«, sagte der Pilot des Shuttles, ein einfaches Ratiokondensat ohne nennenswerte eigene Intelligenz.

Adam bewegte erneut seine Sprechwerkzeuge. »Es war keine Anweisung. Ich habe nur über etwas nachgedacht.«

»Bereitschaft«, sagte der Pilot. Wolkenfetzen flogen an den Seitenfenstern vorbei.

Adam fühlte eine Unruhe, die ihm nicht gefiel. »Ich bin noch nicht an diesen Körper angepasst. Emotionale Dämpfung und intellektuelle Stimulierung lassen zu wünschen übrig.« Er wartete das Ende einer weiteren Erschütterung ab, obwohl er im Innern des EM-Kokons nur wenig davon spürte. »Ich habe störende Stimmungsschwankungen. Kannst du etwas dagegen unternehmen?«

»Nein«, sagte der Pilot. »Wir haben ein Ressourcenproblem. Mir steht nicht genug Bandbreite zur Verfügung.«

Er bot nicht an, zur Sonde zurückzukehren, damit Adam dort besser auf seine Mission vorbereitet werden konnte, und das war erstaunlich genug. Die Maschinen hatten es tatsächlich eilig.

Adam beugte sich zur Seite – das Schutzfeld passte sich der Bewegung an – und blickte aus dem Fenster. Unten erstreckten sich die Reste des Binnenmeers mit dem weitverzweigten Kanalsystem und den Stadtruinen, halb unter Staub, Sand und Geröll begraben. Adam kannte das Bild, Bartholomäus hatte es ihm gezeigt, der Anblick wirkte vertraut. Aber bald konnte er die Ruinen nicht nur betrachten, sondern zwischen ihnen umhergehen und sie berühren, umgeben von den Schatten einer fremden Vergangenheit.

Die Überbleibsel des Binnenmeers, nur wenig größer als ein See, glitzerten im Licht der untergehenden Sonne, und wieder stiegen Erinnerungen in Adam auf, zeigten ihm das Funkeln eines Meeres, das hoch im Norden der Erde einst kalt gewesen war, an dessen Ufern im Mai aber die Kirschbäume in den Gärten seines Vaters blühten. Vor einigen Tausend Jahren hatte es hier selbst um diese Zeit des Jahres Schnee und Eis gegeben, aber jetzt konnte man fast schon baden; das Wasser musste nur noch etwas wärmer werden. Der junge Adam – dies war sein zweiundzwanzigster Geburtstag – saß an der Anlegestelle, neben dem Segelboot, das die Maschinen für seinen Vater gebaut hatten, beobachtete das Glitzern, das die dicht über dem Horizont stehende Sonne aufs Meer legte, und überlegte, was er sich wünschen sollte. Weiter oben am Hang, auf der Hauptterrasse der Villa, erklangen Musik und Stimmen. Seine Eltern warteten dort, zusammen mit Dutzenden von Gästen, die zusammen wie alt waren? Adam rechnete schnell. Fast eine halbe Million Jahre. Noch acht Jahre, und ich gehöre zu ihnen, dachte er und beobachtete das klare Wasser dicht unter seinen Füßen, wie es sich langsam hob und senkte. Er brauchte sich nur ein wenig vorzubeugen, ein kleiner Stoß mit den Händen, und das Wasser, zu kalt noch für ein Bad, hätte ihn aufgenommen.

Adam beugte sich vor, und vielleicht hätte er sich wirklich den letzten kleinen Stoß gegeben, denn es war ein sonderbarer Moment, und ihm gingen sonderbare Gedanken durch den Kopf. Aber er hörte Schritte, die sich näherten, drehte den Kopf und sah die junge Frau, die ihm sein Vater vor einer Stunde im Haus vorgestellt hatte, sicher nicht ohne Grund. Rebecca war die Tochter von Gossamer aus Merika, Tausende von Kilometern im Südwesten des Grünen Landes. Gossamer galt seit über fünfhundert Jahren als bester Soundskulpteur auf der ganzen Erde, und was für Adams Vater noch viel wichtiger war: Er gehörte zu den Hohen Hundert, den einflussreichsten Unsterblichen. Adam vermutete, dass sein Vater ihn mit Rebecca zusammenbringen wollte, damit er gute Beziehungen zu Gossamer knüpfen und schließlich in den Kreis der Hundert aufsteigen konnte.

»Hier bist du«, sagte Rebecca. Sie trug ein dünnes weißes Kleid, das ihre Figur zeigte. Der Wind bewegte das rote Haar – ihr Kopf schien in Flammen zu stehen, wie der Horizont. »Wundervoll.« Sie deutete zur untergehenden Sonne.

»Ja.«

»Der große Moment ist gekommen«, sagte Rebecca. »Dein Vater möchte seine Rede halten.«

Adam seufzte leise und stand auf. »Na schön. Bringen wir es hinter uns.«

Auf dem Weg die Treppe hoch sagte Rebecca: »Dir ist dies lästig, nicht wahr?«

Adam zuckte die Schultern. »Er hat mir einen Wunsch freigestellt. Bestimmt erwartet er von mir, dass ich ihn nenne.«

»Und?« Rebecca ergriff seine Hand.

»Ich könnte mir wünschen, dass er mir mehr Zeit widmet, aber das würde er vielleicht gar nicht verstehen«, sagte Adam. »Oder schlimmer noch, er könnte sich beleidigt fühlen, vor all den anderen.« Er seufzte erneut. »Die Wahrheit lautet: Ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll.«

Rebecca lachte gutmütig. »Ein wunschlos glücklicher junger Mann.«