VVorwort zur 4. Auflage

Zwölf Jahre sind vergangen, seit dieser Ratgeber in der ersten Auflage erschienen ist, aber das Thema Assessment Center ist so aktuell wie nie. Heutzutage werden die meisten Hochschulabsolventen, insbesondere jene, die sich für ein Trainee-Programm oder eine höhere Fach- oder Führungsposition bewerben, mit einem Assessment Center konfrontiert. Denn immer mehr Unternehmen und Organisationen aus inzwischen fast allen Branchen setzen für ihre Personalauswahl dieses Verfahren ein. Dies gilt schon lange nicht mehr nur für die großen Konzerne, sondern auch für kleinere Betriebe. Seit 2006 hat sich dieser Trend deutlich fortgesetzt und ein Ende ist nicht abzusehen. Der Anteil der Assessment Center-Anwender ist in dieser Zeit von etwa fünfzig Prozent auf mehr als fünfundsiebzig Prozent gestiegen. Auch die Einsatzhäufigkeit hat sich deutlich erhöht: Während 2006 die meisten Organisationen drei bis vier Assessment Center pro Jahr durchführten, setzen inzwischen die Hälfte der Organisationen jährlich 15 Assessment Center und mehr ein. Auch für die interne Auswahl höherer Führungskräfte sowie für die Entwicklung und Potentialeinschätzung vielversprechender Mitarbeiter wird das Assessment Center immer häufiger verwendet. Die vierte Auflage dieses Buchs wurde um die neuesten Entwicklungen im Assessment Center-Verfahren erweitert und informiert Sie über die aktuellsten wissenschaftlichen Befunde zum Thema Assessment Center. Auch ein Kapitel zum Einsatz von Elementen des Assessment Centers bei der Auswahl von künftigen Doktorandinnen und Doktoranden sowie eine Linkliste zur weiteren Vorbereitung wurde eingefügt. Kurze Zusammenfassungen mit den wichtigsten Tipps am Ende der umfangreicheren Kapitel erleichtern Ihnen den Überblick über die Inhalte des Buchs.

Sie haben oder erwarten eine Einladung zu einem Assessment Center? Dann können Sie sich gratulieren, denn dies ist in Ihrem Bewerbungsprozess schon ein großer Erfolg. Sie haben es geschafft, Ihren potentiellen Arbeitgeber von Ihren beruflichen Qualitäten und Ihrer Eignung für die ausgeschriebene Stelle zu überzeugen. VIDie erste Hürde der schriftlichen Bewerbung ist also erfolgreich gemeistert. Jetzt kommt es darauf an, dass Sie sich auf die nächste Hürde – das Assessment Center – gut vorbereiten. Und zwar sowohl inhaltlich als auch mental. Mit der Einladung haben Sie die angestrebte Stelle nämlich noch lange nicht „in der Tasche“ – jetzt müssen Sie sich in einem ernsthaften Konkurrenzkampf mit anderen Interessenten messen und sich gegen die besten Mitbewerber durchsetzen! Eine Situation, die für viele Hochschulabsolventen und Berufseinsteiger ungewohnt und belastend ist.

Und nun stellt sich natürlich die Frage: Was kommt auf mich zu? Was wollen die Personen, die mich beurteilen, wissen und was ist die richtige Antwort darauf? Was muss ich sagen und tun, damit ich eingestellt werde? Gibt es überhaupt die richtige oder falsche Antwort? Gibt es die stets erfolgreiche Verhaltensweise?

Dieses Buch möchte Sie umfassend auf alle Anforderungen eines Assessment Centers vorbereiten. Es erklärt den typischen Ablauf anhand vieler Beispiele, informiert Sie aber auch über die psychologischen Hintergründe dieses Verfahrens. Sie erfahren, worauf es bei den einzelnen Aufgaben ankommt und wie Sie sich Ihrem Wunscharbeitgeber optimal präsentieren können. Zusätzlich erlaubt das Buch dem Leser einen Blick hinter die Kulissen und beleuchtet Wirkungsweise, Stärken und Schwächen dieses Instruments der Personalauswahl anhand neuester Forschungsergebnisse.

Die theoretischen und wissenschaftlichen Hintergründe des Verfahrens finden Sie in den als Exkurs gekennzeichneten Kästen. Wenn Sie sich vor allem für die praktischen Hinweise interessieren, können Sie die Exkurse aber auch überspringen.

Aus Gründen leichterer Lesbarkeit habe ich in diesem Buch auf gender-gerechte Formulierungen (Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder TeilnehmerInnen) verzichtet und dafür mal die männliche und mal die weibliche Form benutzt. Selbstverständlich sind immer beide Geschlechter angesprochen.

Konstanz, im August 2018

Silke Hell

11. Kapitel
 
Was ist ein Assessment Center?

Was kann man sich unter einem Assessment Center vorstellen?

Vielerorts hört man die Meinung, das Assessment Center sei „das härteste Auswahlverfahren, das es gibt“ und „man werde schier unlösbaren Aufgaben ausgesetzt und dabei psychologisch ,auseinander genommen‘ und könne kaum die Toilette aufsuchen, ohne beobachtet und beurteilt zu werden“.

Also werden Bücher gewälzt und Freunde gefragt, bis schließlich ein uneinheitliches Bild über Assessment Center entsteht, das den Bewerber rat- und orientierungslos zurücklässt.

Die Realität ist im Regelfall jedoch weder bedrohlich noch geheimnisvoll.

Assessment Center (englisch: „to assess“ = bewerten) ist laut Definition des Personalpsychologen Heinz Schuler „der Name einer multiplen Verfahrenstechnik, zu der mehrere eignungsdiagnostische oder leistungsrelevante Aufgaben zusammengestellt werden“. Allgemein gesagt ist ein Assessment Center ein ein- bis dreitägiges Auswahlverfahren, bei dem mehrere Kandidaten gemeinsam über einen längeren Zeitraum von einer Gruppe Beobachter in verschiedenartigen Situationen beurteilt werden. Diese Beurteilung erfolgt anhand genau definierter Kriterien im Hinblick auf die Eignung für bestimmte berufliche Positionen.

2Dabei werden meist folgende Grundprinzipien umgesetzt:

Nicht immer tritt ein Assessment Center übrigens unter diesem Namen auf. Auch hinter Begriffen wie Auswahlseminar , Beratungstag oder Feedback-Center verbirgt sich meist ein Assessment Center-Verfahren. Weitere beliebte Bezeichnungen sind nach einer Studie von Neubauer et al. von 2001 zum Beispiel: Bewerber-Veranstaltung, Bewerbertag, Development Center oder Dialog-Workshop.

Wie auch immer es genannt wird – eines ist klar: Ein Assessment Center verlangt den Bewerbern einiges ab. Ziel des Unternehmens ist es, herauszufinden, wie gut die Kandidaten zu ihren künftigen Aufgaben und in die Unternehmenskultur passen. Aus diesem Grund werden in einem Assessment Center unternehmenstypische Aufgaben- und Belastungssituationen simuliert. Beurteilt werden insbesondere die als Schlüsselqualifikationen bezeichneten überfachlichen Kompetenzen der Bewerber.

Die Kandidaten müssen allein oder im Team verschiedenartige Aufgaben lösen, stehen in einigen Übungen unter Zeitdruck und werden dabei auch noch beobachtet.

Fast immer steht eine Präsentation auf dem Programm, eventuell mit visuellen Hilfsmitteln. Die Aufgabe besteht z. B. darin, den eigenen Lebensweg oder Ergebnisse einer Gruppenarbeit darzustellen und zu bewerten. Hier wird insbesondere auf Ausdruck und Systematik Wert gelegt.

3Im Rollenspiel sollen sich die Kandidaten in z. B. Verhandlungssituationen, Verkaufs- oder Mitarbeitergesprächen bewähren. Beobachtet werden in der Regel Qualifikationen wie logische Argumentation, Kooperation und Führungsverhalten.

In der typischen Übung „Gruppendiskussion “ lautet die Vorgabe meist, ein bestimmtes Thema zu diskutieren. Dabei kommt es vor allem auf die Art und Weise an, wie diskutiert wird: Wer setzt sich wie und mit welchen Argumenten durch; wer schlüpft in eine Führerrolle oder ist besonders konstruktiv im Hinblick auf eine gemeinsame Lösung?

Manchmal erlebt man auch so genannte Postkorbübungen , in denen unter Zeitdruck Managemententscheidungen zu treffen sind und Entscheidungsfähigkeit, Stressresistenz und analytische Fähigkeiten beobachtet werden sollen. Strukturierte Einzelgespräche, Fallstudien und psychologische Testverfahren runden das Bild im Allgemeinen ab.

So soll herausgefunden werden, wie die Kandidatin im direkten Vergleich mit ihren Mitbewerbern abschneidet. Entsprechen Teamfähigkeit, Belastbarkeit und Auffassungsgabe den Erwartungen des Unternehmens? Verliert er oder sie auch unter Druck nicht den Kopf? Um das zu testen, sitzen bis zu sechs Beobachter mit den Kandidaten in einem Raum und machen sich Notizen zu deren Verhalten bei den Übungen.

Ausgangspunkt eines jeden Assessment Centers ist die Position, die neu besetzt werden soll, sei es die Traineestelle für Berufsanfänger oder später die Führungsposition. Davon ausgehend wird in einer Anforderungsanalyse ermittelt, was ein Bewerber an Erfahrungen und Kompetenzen mitbringen soll. Die Übungen und Auswertungsschlüssel des Assessment Centers werden nun auf die Merkmalsdimensionen zugeschnitten, die das einstellende Unternehmen diagnostizieren möchte. Wenn z. B. Teamfähigkeit im Vordergrund steht, entsteht ein Assessment Center, in dem in vielen Situationen wie zum Beispiel Gruppendiskussionen oder Rollenspielen das Verhalten im Team beobachtet und analysiert werden kann. Wird dagegen ein besonders durchsetzungsfähiger Kandidat gesucht, der selbst 4gegen Widerstand schnelle Entscheidungen fällen kann, sollte auch das Assessment Center so aufgebaut sein, dass gut zwischen einem Wunschkandidaten und einem nachgiebigeren Mitbewerber unterschieden werden kann.

Es gibt zwar einige Verhaltensgrundsätze, aber keinen immer gültigen Regelkatalog, welches Verhalten für eine positive Einschätzung durch die Beobachter ideal ist, denn verschiedenartige Positionen erfordern verschiedenartige Wunschkandidaten. Es bringt also beispielsweise nicht viel, als zurückhaltender Mensch den Draufgänger zu mimen, wenn vielleicht ein ruhig besonnenerer Analytiker gesucht wird. Davon abgesehen wäre ein solcher Versuch angesichts mehrerer psychologisch geschulter Beobachter nur sehr schwer dauerhaft durchzuhalten.

Je besser ein Assessment Center auf die zu besetzende Position oder Unternehmensphilosophie zugeschnitten ist, desto höher ist seine Aussagekraft für den künftigen Berufserfolg des eingestellten Kandidaten.

Die Aussagekraft eines Assessment Centers

Die Hauptaufgabe eines Assessment Centers zur Personalauswahl ist es vorherzusagen, ob der jeweils beobachtete und beurteilte Kandidat auf der in Frage stehenden Position erfolgreich sein wird. Dies nennt man die prädiktive oder Vorhersage- Validität (Gültigkeit) des Verfahrens. Ein Personalauswahlverfahren mit hoher prädiktiven Validität ist also in der Lage, Aussagen über die zukünftige Leistung der Teilnehmer zu machen, so dass aus einer Gruppe von Kandidaten die geeignetsten Stellenanwärter herausgefunden werden können.

Zahlreiche psychologische Studien mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen beschäftigen sich mit der Frage, wie hoch die Vorhersage-Validität eines Assessment Centers ist.

Insgesamt zeigen mehrere Metaanalysen (Zusammenfassende Analysen mehrerer Studien), dass das Assessment Center prinzipiell als prognostisch valide bezeichnet werden kann, auch wenn es unter allen eignungsdiagnostischen Instrumenten keinen Spitzenplatz belegt.

Die bekannteste Studie (von Schmidt und Hunter, 1998, bestätigt und neu aufgelegt von Schmidt et. al, 2016) bescheinigt dem Assessment Center eine prädiktive Validität von .37 (eine Korrelation von r = 0,37 zwischen dem AC-Ergebnis und Berufserfolg). Dies bedeutet, es gibt 5einen linearen Zusammenhang zwischen dem Ergebnis eines Assessment Centers und dem künftigen Berufserfolg von .37, wobei ein Wert von 0 darauf hinweisen würde, dass kein Zusammenhang besteht, und ein Wert von 1 einen perfekten Zusammenhang anzeigen würde. Die neueste Metaanalyse über Studien aus dem deutschsprachigen Raum (von Becker et al. 2012) geht noch von einem geringfügig höheren Wert aus: .4.

(Kommt Ihnen dieser Wert niedrig vor? Zwei Beispiele zum Vergleich: Der Zusammenhang zwischen Mammographie-Ergebnissen und einer anschließenden Diagnose von Brustkrebs innerhalb von zwei Jahren beträgt .27. Untersucht man den Zusammenhang zwischen Körpergröße und Gewicht, kommt man auf eine prädiktive Validität von .44)

Kombiniert man das Assessment Center mit einem Intelligenztest, steigt die Vorhersagekraft auf .53 (Schmidt und Hunter, 1998, p 265). Insgesamt liegt das Assessment Center in seiner Aussagekraft unter den Verfahren Intelligenztest und Einstellungsinterview.

Wenn man bedenkt, dass ein Assessment Center sehr aufwendig und teuer ist, stellt sich die Frage, warum es dennoch so gerne eingesetzt wird, obwohl die Vorhersagekraft im Durchschnitt zwar gut, aber nicht überragend ist.

Eine mögliche Antwort ist die große Bandbreite der Qualität gängiger Assessment Center-Verfahren.

Ist ein Assessment Center gut konstruiert, dann gehört es zu den besten Personalauswahlverfahren, die es derzeit gibt. Ein gutes Assessment Center ist auf das Unternehmen und die ausgeschriebene Position genau zugeschnitten, denn nur dann haben die eingesetzten Übungen den Charakter einer Arbeitsprobe. So sollten zum Beispiel Bewerber, die sich für eine Laufbahn im Bereich Controlling qualifizieren wollen, auf andere Kriterien getestet und beobachtet werden, als zum Beispiel künftige Vertriebsmitarbeiter. Kommt es bei den einen auf Faktoren wie analytisches, zahlengebundenes Denken oder Gewissenhaftigkeit an, so liegt bei den anderen der Schwerpunkt auf Verhandlungsgeschick oder Kundenorientierung. Dementsprechend unterschiedlich gestaltet sollten auch die eingesetzten Assessment Center sein. Ist dies der Fall, steigt die Aussagekraft des Assessment Centers, das dadurch gut zur Auswahl der am besten geeigneten Kandidaten dient.

Allerdings trifft dies leider nicht auf jedes Assessment Center zu. Manche Assessment Center werden im „Hauruck-Verfahren“ erstellt und zu Unrecht von den Auftraggebern mit viel Geld bezahlt. Einige (zum Glück immer weniger) Unternehmen greifen daher auf kostengünstige Standard-6Verfahren „von der Stange“ zurück, die wenig Bezug zur ausgeschriebenen Position haben.

Im schlechtesten Fall misst ein solches Verfahren einfach nur, welcher Kandidat sich selbst am besten darstellen kann.

In den letzten Jahren ist die Qualität der Assessment Center immer passgenauer und aussagekräftiger geworden und es steht zu hoffen, dass dieser Trend anhält, da mit einer DIN-Norm zur berufsbezogenen Eignungsdiagnostik ein einheitlich hochwertiger Standard in der Personalauswahl bereit steht.

In jedem Fall bringt eine gute Vorbereitung sowohl in einem qualitativ hochwertigen, als auch in einem „Standard-Assessment Center“ sehr viel.

Im guten Fall können sie Ihre Eignung für Ihren Wunscharbeitsplatz eindrucksvoll beweisen, im schlechteren Fall hilft Ihre Vorbereitung Ihnen, sich selbst ganz allgemein gut darzustellen.

1.1 Geschichte und Verbreitung des Assessment Centers

Assessment Center, wie wir sie kennen, gibt es schon seit den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Ihr Ursprung liegt nicht, wie viele meinen, in den USA, sondern in Deutschland. Basierend auf den Erkenntnissen der so genannten Psychotechnik, einer Methode der Arbeits- und Organisationspsychologie, wurde das Assessment Center als Auswahlverfahren für Offiziersanwärter der deutschen Wehrmacht entwickelt. Auch die USA nutzten dann im Zweiten Weltkrieg diese Methode zur Auswahl von Agenten und prägten den Namen Assessment Center.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts kam dann die Idee auf, diese ursprünglich militärische Methode auch für die Wirtschaft zu nutzen. Damit begann der Siegeszug dieses aufwendigen Auswahlverfahrens.

Inzwischen gibt es unter den größeren Unternehmen Deutschlands nur noch wenige, die dieses Verfahren nicht anwenden. Von den DAX 30-Unternehmen setzen bis auf drei Ausnahmen alle Assessment Center ein – die meisten davon mit steigender Einsatzhäufigkeit. 7Hintergrund für den zunehmenden Einsatz des Verfahrens ist die Überlegung, dass nicht nur die fachlichen Kenntnisse über den Berufserfolg entscheiden, sondern eine ganze Reihe weiterer Faktoren dafür ausschlaggebend sind. Für die Aufgaben von Führungskräften sind zum Beispiel die Fähigkeit zur Strukturierung von Arbeitsprozessen, die Mitarbeiterführung und -motivation sowie das Informationsmanagement von entscheidender Bedeutung. Diese außerfachlichen Kompetenzen lassen sich durch gängige Personalauswahlverfahren wie die Bewertung der Bewerbungsunterlagen, Vorstellungsgespräche oder Intelligenz- oder Persönlichkeitstests nicht überprüfen. Die Beurteilung der Kandidaten durch Assessment Center soll diese Lücke schließen. Je intensiver in Deutschland die Diskussion über die Bedeutung der so genannten Schlüsselqualifikationen wurde, desto häufiger kamen Assessment Center zur Personalauswahl zum Einsatz.

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Abb. 1: Welche Branchen setzen AC ein? (Quelle: Obermann, C., Höft, S., Becker, J.-N. (2012)

8Anfangs wurden nur höhere Führungskräfte vor ihrer eventuellen Beförderung mit Assessment Centern konfrontiert, inzwischen wird das Verfahren aber auch zur Beurteilung des Führungskräftenachwuchses eingesetzt. Bald gab es kaum ein Trainee-Programm mehr, welchem nicht ein Assessment Center vorausging. Inzwischen werden fast alle Hochschulabsolventen, die sich für die Bereiche Versicherungswesen, Personal- oder Öffentlichkeitsarbeit, Marketing oder Vertrieb, Aus- und Weiterbildung, Gesundheitswesen, Consulting und Wirtschaftsprüfung oder für Managementaufgaben interessieren, zu einem Assessment Center eingeladen. Inzwischen setzten aber auch technische Branchen wie Maschinenbau, KFZ-Bau oder Energiewirtschaft auf Assessment Center (Abbildung 1).

1.2 Neue Trends und Entwicklungen

Seit dem Einsatz des ersten Assessment Center-Verfahrens bis heute hat sich gerade in den letzten Jahren einiges verändert. Die Einsatzhäufigkeit mancher Übungen, wie zum Beispiel der Präsentation hat sich erhöht, während die anderer Übungen, wie zum Beispiel der ehemals unverzichtbaren Gruppendiskussion gesunken ist. Ehemals beliebte Übungen wie die Konstruktionsübungen werden inzwischen in vielen Fällen von moderneren Fallstudien ersetzt und der Einsatz von psychologischen Testverfahren, die ursprünglich nicht Teil des Assessment Centers waren, gehört mit steigender Beliebtheit dazu.

Die Einsatzgebiete von Assessment Centern sind breiter geworden. Inzwischen werden selbst künftige Doktoranden von einigen wissenschaftlichen Einrichtungen wie Graduiertenschulen mithilfe von Assessment Center-ähnlichen Verfahren ausgesucht.

Die immer komfortableren Nutzungsmöglichkeiten von Computern und elektronischen Medien haben dazu geführt, dass immer mehr Unternehmen Übungen, die früher mit Papier und Stift ausgeführt wurden, in der Online-Version präsentieren.

So können zum Beispiel Fallstudien oder Postkorbübungen interaktiv am Bildschirm bearbeitet werden, Testverfahren ausgefüllt und 9gleich ausgewertet werden und komplexe Planspiele in Computersimulationen durchgespielt werden.

Online-Assessment Center

Seit einiger Zeit rückt zunehmend das Internet als Bewerberplattform ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Internetbasierte Assessment Center bieten die Vorzüge standardisierter Personalbeurteilung bei zusätzlicher Steigerung der Effizienz, da die elektronische Präsentation und Auswertung von Tests, Fallsimulationen und Fragebögen noch schneller und kostengünstiger erfolgen kann als die herkömmliche Papier-Bleistift-Administration. Außerdem spart die virtuelle Durchführung Personalaufwand und Sach- und Reisekosten.

Ein Beispiel ist das interaktive Bewerberspiel „Challenge Unlimited“, mit der die Siemens AG schon im Jahr 2000 virtuell Bewerber (vor)auswählte.

In diesem Spiel schlüpfen Bewerber in die Rollen von „Cyber Consultants“, die eine virtuelle Stadt beraterisch unterstützen. Dabei werden unter anderem die Kriterien Entscheidungsstärke, Kreativität und Teamfähigkeit bewertet. Die erfolgreichsten Bewerber werden anschließend zu einem persönlichen Auswahlverfahren eingeladen.

Häufig fungieren Online-Assessment Center als eine Art „Negativauswahl“. Damit können die Unternehmen ohne großen personellen Aufwand quasi vollautomatisch unpassende Bewerber herausfiltern. Wer bestimmte Aufgaben und Tests nicht adäquat lösen kann, wird gar nicht erst für das weitere Auswahlverfahren berücksichtigt.

Für Unternehmen liegen mit dem Online-Assessment Center die Vorteile auf der Hand. Die Auswählenden müssen sich danach nur noch mit den Kandidaten beschäftigen, die (wahrscheinlich) tatsächlich das Potenzial für die Stelle haben. Das spart viel Zeit und Geld. Außerdem ist die Teilnahme am Online-Assessment Center unabhängig von Zeit und Ort, da die Kandidaten lediglich einen Computer und einen Internetzugang brauchen, um daran teilzunehmen. Das verringert den Koordinationsaufwand zwischen den Bewerbern und dem Unternehmen erheblich.

10Die Zeitersparnis ist durch das Online-Assessment Center für beide Seiten enorm. Der Bewerber muss nicht extra zum Unternehmen anreisen. Zudem geben die Firmen in der Regel schon kurz danach Feedback.

Um ein Online-Assessment Center zu üben, sollte man sich erkundigen, bei welchen Firmen diese Anwendung finden, bei denen man aber nicht arbeiten möchte. Viele Arbeitgeber bieten Online-Auswahlverfahren auch zur freien Teilnahme auf ihrer Karriereseite an.

Kritiker bemängeln jedoch, dass selbst ausgeklügelte sogenannte Online-Assessment Center letztlich nur methodisch angereicherte Fragebögen bleiben und keine wirkliche Verhaltenssimulation bieten können. Damit widersprechen sie der zentralen Idee der Assessment Center-Methode. Ein weiterer Punkt ist die Identifizierung des Bewerbers, d. h. ob tatsächlich Maxim Mustermann vor dem Rechner sitzt und nicht jemand anderes. Des Weiteren sind die Bedingungen, unter denen das Online-Assessment Center absolviert wird, problematisch. Computerkenntnisse, technische Vorkenntnisse und Umgebungsaspekte beeinflussen das Testergebnis.

Aus diesem Grund beschäftigen wir uns in diesem Buch hauptsächlich mit realen, d. h. nicht-virtuellen Assessment Centern.

Beispiele zweier Online-Assessment Center

PERLS: www.eligo.de/de/perls-online-assessment/

Das E-Assessment-System PERLS entstand aus einer Kooperation der eligo GmbH mit Siemens SQT (heute: Learning Campus) mit der Ruhr-Universität Bochum und dient der Auswahl von Mitarbeitern.

CYQUEST: www.cyquest.de

CYQUEST ist ein online Recrutainment Anbieter. Unter dem Oberbegriff Recrutainment werden die Bereiche E-Assessment, Online-Personalmarketing, E-Recruiting sowie E-Training und E-Coaching zusammengefasst, wenn diese in einen unterhaltsamen bzw. spielerisch-simulativen Kontext eingebunden sind.

Assessment Center als Personalentwicklungsmaßnahme

Auffällig ist auch die Zunahme von Entwicklungs-Assessment Centern oder Development Centern , die statt für die Auswahl neuer 11Mitarbeiter für die Entwicklung von Mitarbeitern, die sich bereits im Unternehmen befinden, eingesetzt werden.

Das Entwicklungs-Assessment Center misst im Gegensatz zum Auswahl-Assessment Center das Potential von Mitarbeitern z. B. hinsichtlich Mitarbeiterführung, Problemlösekompetenz und Motivation und bezieht sich damit auf die Person statt nur auf die Position. Somit ist das Ziel dieser Maßnahme nicht, einen geeigneten Bewerber für eine bestimmte Position auszuwählen, sondern ein Stärken-Schwächen-Profil jedes Mitarbeiters zu erhalten.

Davon ausgehend können individuelle Fördermaßnahmen für jede Mitarbeiterin zum Ausbau ihrer Stärken und zur Beseitigung seiner Defizite entwickelt werden.

Für die Mitarbeiter bietet diese neue Form der Personalentwicklung Vorteile. Sie gewinnen eine differenzierte Einschätzung ihrer Stärken und Schwächen und bekommen in der Regel durch Weiterbildungsmaßnahmen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten hinsichtlich der Anforderungen einer Führungsposition auszubauen und auf eine solche Beförderung hinzuarbeiten.

Bei Entwicklungs-Assessment Centern werden in der Regel in den Arbeitsalltag eingebettete Übungen bearbeitet, die eine hohe Relevanz für die Zielposition aufweisen. Dies können zum Beispiel Mitarbeiter- und Konfliktgespräche im Rollenspiel oder Postkorbübungen sein, die das Aufgabenspektrum einer Führungskraft widerspiegeln.

Als Beobachter werden üblicherweise geschulte Führungskräfte höherer Positionen sowie Mitarbeiter der Personalentwicklung eingesetzt.

Da die Mitarbeiter ihre Beobachter normalerweise kennen und teilweise mit ihnen zusammenarbeiten, können die Beobachter nicht nur während des Assessment Centers, sondern auch weiterhin als Mentoren dienen, die die weitere Karriere der Mitarbeiter unterstützen.

Dieses Buch ist jedoch hauptsächlich für Hochschulabsolventen gedacht, die sich im Rahmen ihres Bewerbungsprozesses auf ein Auswahl-Assessment Center vorbereiten möchten.

12Die DIN-Norm 33430

Seit 2002 setzt eine DIN-Norm einen fachlichen Standard für eignungsdiagnostische Verfahren, wie beispielsweise das Assessment Center. Entwickelt wurde die DIN 33430 „Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen“, um Willkür oder Beliebigkeit bei Personalbeurteilungen zu verhindern und Betroffene vor unsachgemäßen Verfahren und Vorgehensweisen der Eignungsbeurteilung zu schützen.

Die DIN 33430 fordert beispielsweise, dass Personalauswahlverfahren nur von fachlich qualifizierten Experten durchgeführt werden dürfen, valide (gültig), objektiv und nachvollziehbar sein müssen und einen Bezug zu den Anforderungen der betreffenden Position haben sollen. Dadurch bekommt der Bewerber die Chance, seine Eignung für eine bestimmte Tätigkeit unter Beweis zu stellen und wird gleichzeitig davor geschützt, mehr von sich preisgeben zu müssen, als es für die angestrebte Tätigkeit relevant ist. Ebenso ist das Unternehmen in der Pflicht, die Bewerber vorab über alle Aspekte des Auswahlverfahrens zu informieren.

Leider ist diese Norm nicht zwingend vorgeschrieben und hat sich bisher noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich in Zukunft die Unternehmen an diese sehr vernünftigen Standards halten werden.

Wenn Sie Zweifel an der Qualität oder der Seriosität eines Assessment Centers haben, fragen Sie doch einfach bei dem betreffenden Unternehmen nach, ob dieses seine Personalauswahlverfahren an der DIN 33430 orientiert.

1.3 Die typischen Assessment Center-Übungen

Assessment Center bestehen üblicherweise aus einer Auswahl folgender Aufgabentypen, die ich Ihnen kurz vorstellen möchte:

Präsentation

Die Präsentation gehört zu den wichtigsten und am häufigsten eingesetzten Aufgaben im Assessment Center. Mit einer etwa 80-prozentigen Wahrscheinlichkeit wird Ihnen diese Aufgabenform in Ihrem Assessment Center begegnen.

13Bei der Präsentation haben die Teilnehmer einen Vortrag auszuarbeiten und zu halten. Als Thema eignet sich zum Beispiel die Selbstvorstellung mit Lebenslauf und besonderen Stärken. „Bitte stellen Sie anhand Ihres Lebenslaufes dar, warum Sie für unser Unternehmen geeignet sind.“ Es kann sich aber auch um ein anderes, ad hoc definiertes Thema handeln oder Sie bekommen die Aufgabe, die Ergebnisse einer Gruppenarbeit oder Fallstudie, die Sie zuvor bearbeitet haben, zu präsentieren.

Die Beobachter können entweder Ihre Ausführungen lediglich beobachten oder Sie mit gezielten, teilweise kritischen Fragen herausfordern.

Kenntnisse und Erfahrungen mit Präsentationstechniken und dem Umgang mit Präsentationsmedien wie Flipchart oder PowerPoint werden dabei von Ihnen erwartet. Beobachtet werden zum Beispiel Argumentation und Ausdruck, Kreativität oder Planung und Organisation.

Rollenspiel oder Zweiergespräch

Das sehr beliebte Rollenspiel ist ein Zweiergespräch, bei der Sie die Rolle einer Vorgesetzten, eines Kollegen oder eines Kundenberaters innehaben. Ihr Gesprächspartner ist üblicherweise einer der Beobachter, mit dem Sie ein Personalgespräch, ein Verkaufsgespräch, eine Verhandlung oder ein kollegiales Konfliktgespräch führen.

Beurteilt werden Ihre soziale Kompetenz und das Leistungs- und Führungsverhalten.

Gruppendiskussion

Eine ebenfalls typische und eher klassische Assessment Center-Übung ist die Gruppendiskussion. Man kann dabei vier Formen unterscheiden:

Die führerlose oder die geführte Diskussion jeweils ohne oder mit Rollenvergabe. Meist werden Sie sich in einer führerlosen Diskussion ohne Rollenvorgaben wiederfinden. Gemeinsam mit drei bis sieben Gruppenmitgliedern bekommen Sie eine Aufgabe, die Sie gemeinsam innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens von etwa 14einer Stunde lösen sollen. Oft handelt es sich dabei um betriebliche oder gesellschaftliche Themen, die Ihnen zur Diskussion gestellt werden.

Sie sollen die angegebenen Probleme diskutieren und zu einer einvernehmlichen Lösung kommen, die am Ende präsentiert wird. Hier kommt es unter anderem auf die Art und Weise an, wie die Diskussion geführt wird: Wer setzt sich wie und mit welchen Argumenten durch; wer schlüpft in eine Führerrolle oder ist besonders konstruktiv im Hinblick auf eine gemeinsame Lösung?

Um einen Wettbewerb zu erzeugen, lassen manche Unternehmen aber auch die Teilnehmer durch unterschiedliche Rollenvorgaben gegeneinander antreten. Eine typische Aufgabenstellung hierbei ist die Diskussion über die Verteilung von knappen Ressourcen unter den verschiedenen Rollenspielern.

In seltenen Fällen werden Gruppendiskussionen durchgeführt, bei denen einer Teilnehmerin von vorneherein die Rolle der Leiterin zugewiesen wird (geführte Diskussion). Für das Unternehmen hat das den Vorteil, dass betriebliche Aufgaben so besser simuliert werden können (normalerweise sind die Hierarchieverhältnisse in einer Abteilung ja festgelegt). Dagegen spricht jedoch, dass aus Fairnessgründen jeder der Teilnehmer die Möglichkeit bekommen sollte, die Gruppe zu leiten. Daher sind in einem Auswahl-Assessment Center geführte Diskussionen eher selten zu erleben.

Fallstudie

In einer Fallstudie bekommen Sie schriftliches Material zu einem Organisationsproblem, das Sie bearbeiten und auswerten müssen, um eine Einschätzung oder Empfehlung abzugeben. Die Problematik ist meist vielschichtig und komplex und kann entweder allgemeiner Art sein oder spezifische Fragestellungen beinhalten.

Typische Themen sind je nach Zielposition Finanzen, Aufbau- oder Ablauforganisation, Personalwesen oder Marketing und Vertrieb.

Sie lösen diese Aufgabe schriftlich entweder allein oder gemeinsam mit der Gruppe und stellen Ihren Lösungsweg anschließend meist in einem Gespräch mit einem Beobachter oder auch in Form einer 15Präsentation dar. Auch eine EDV-gestützte Präsentation und Bearbeitung der Fallstudie ist nicht unüblich.

Interview oder Einzelgespräch

Das strukturierte Interview ist eigentlich keine klassische Assessment Center-Übung, sondern entspricht in etwa einem regulären Vorstellungsgespräch. Es dient dazu, herauszufinden, ob der Bewerber aufgrund seines Könnens, seiner Motivation und seiner Persönlichkeit in das Unternehmen und auf die Stelle passt. Ihr Gesprächspartner wird zu diesem Zweck Ihre fachliche und persönliche Qualifikation hinterfragen und beurteilen. Inzwischen sind strukturierte Interviews aber fester Bestandteil in fast jedem Assessment Center.

Psychologische Testverfahren

Immer mehr Unternehmen setzen zusätzlich zu den eigentlichen Assessment Center-Übungen auch psychologische Testverfahren (oft als Online-Tests) ein. Dies können beispielsweise allgemeine Intelligenztests, Tests der Aufmerksamkeit und der Konzentration, spezifische Leistungstests sowie berufsbezogene Persönlichkeits- und Interessentests sein. Diese Tests genießen zu Unrecht einen schlechten Ruf. Die psychologische Forschung hat durch umfangreiche Studien eindeutig bewiesen, dass insbesondere die allgemeine Intelligenz eine sehr gute Vorhersagekraft für den späteren Berufserfolg hat.

Postkorbübung

Diese schriftliche Übung ist der Arbeitssituation eines Managers sehr ähnlich. Sie schlüpfen hier in die Rolle einer Führungskraft, die unter großem Zeitdruck ihren sich anhäufenden und aus ungefähr 15–20 diversen Schriftstücken, Briefen, Notizzetteln, Faxen, E-Mails und Kurzmitteilungen – geschäftlicher oder privater Natur – bestehenden Postkorb bearbeiten muss. Laut Aufgabenstellung sind Sie beispielsweise zwischen zwei Geschäftsreisen kurz in Ihrem Büro und haben während der Bearbeitung Ihres Postkorbes weder die Möglichkeit zu telefonieren, noch Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen.

Sie müssen Prioritäten setzen, Zusammenhänge und Terminkollisionen erkennen, irrelevante Informationen aussortieren und Aufgaben sinnvoll delegieren.

16Fact Finding-Übung

Die Fact Finding-Übung verbindet die Fallstudie mit dem Rollenspiel und wird insbesondere für die Besetzung von Management-Positionen eingesetzt. Ihnen wird ein umfassendes Problem in einem Unternehmen, wie z. B. Ertragsrückgang oder massive Probleme in einem Produktionsbereich (hohe Kosten, hohe Fehlerquote etc.), grob skizziert. Ihre Aufgabe ist es nun, in der Rolle eines Beraters ein Interview vorbereiten, um die Problemursachen genauer zu analysieren. Anschließend bekommen Sie Gelegenheit, informell einen Auskunft-Geber („Vertreter des Unternehmens“) zu befragen, der als Informationspool dient. Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen sind Problemlösungen, Maßnahmen und eine Strategie zu erarbeiten, die Sie abschließend präsentieren.

Bewertet werden Ihre analytischen Fähigkeiten daran, wie gut Sie die Problemstellung erfassen, die relevanten Informationen im Interview gewinnen können und welche Schlussfolgerungen, Maßnahmen und Strategien Sie daraus entwickeln.

Computersimuliertes Szenario

In den letzten Jahren immer häufiger werden zusätzlich zu den klassischen Assessment Center-Aufgaben computergestützte Übungen eingesetzt.

Häufig sind dies Onlineplanspiele, in denen eine oder mehrere Personen ein Szenario mit festgelegtem Ziel interaktiv bearbeiten sollen. Meist nehmen Sie als Kandidat die Rolle eines Firmenleiters ein, der komplexe Probleme bewältigen muss. Häufig ist die Beziehung zwischen den einzelnen Variablen unbekannt. Zudem hat die Situation eine gewisse Eigendynamik, was bedeutet, dass sich diese Variablen auch ohne Ihr Zutun verändern. Gefragt ist Ihre Fähigkeit, komplexe und realitätsnahe Probleme zu bewältigen. Da diese Übung der Fallstudie recht ähnlich ist, wird sie im Folgenden nicht noch einmal gesondert aufgegriffen. Auch die oben genannten Tests und Fragebögen zur Messung kognitiver bzw. persönlichkeitsbezogener Kriterien werden häufig online-basiert eingesetzt.

17Video-Simulation

Es werden Videos von bestimmten tätigkeitsrelevanten sozialen Situationen vorgeführt, die von den Teilnehmern beurteilt werden sollen. Dieses kann die aufwendigeren Rollenspiele ersetzen.

Konstruktionsübung

In einigen Fällen kommen in einem Assessment Center Konstruktionsübungen zum Einsatz. In dieser Gruppenübung sollen die Teilnehmer mit Hilfe verschiedener Materialien teilweise kooperativ, teilweise aber auch in Konkurrenz zueinander, etwas konstruieren oder herstellen. Dies kann ein konkreter Gegenstand wie z. B. ein Turm oder ein Stuhl aus Papier sein oder auch ein Produkt anderer Art, wie beispielsweise eine Werbebroschüre oder eine Werkszeitung. Gefragt sind Ihre Kreativität und verschiedene Aspekte Ihrer sozialen Kompetenz.

Abbildung 2 zeigt die Einsatzhäufigkeit der beschriebenen Übungen.

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Abb. 2: Häufigste eingesetzte Aufgabenarten, Befragung von 300 Unternehmen incl. aller Dax-30 Unternehmen (Quelle: Obermann, C., Höft, S., Becker, N. (2016)

181.4 Ablauf eines Assessment Centers

Sehen wir uns nun den typischen Ablauf eines Assessment Centers genauer an. Was kommt auf Sie als Teilnehmer zu und wie verläuft ein Assessment Center für ihre Beobachter?

1.4.1 Das Assessment Center aus Sicht der Teilnehmer

Die meisten Assessment Center zur Personalauswahl dauern ein bis zwei Tage, wobei die eintägigen Veranstaltungen überwiegen. Üblicherweise reisen die Teilnehmer am Vortag an, übernachten in einem vom Unternehmen organisierten Hotel und fahren am Ende der ein oder zwei Tage am Abend nach Hause. Bei zwei- oder mehrtägigen Assessment Centern ist ein gemeinsames Abendessen zwischen den Veranstaltungstagen die Regel.

Um einen umfassenden Eindruck über einen möglichen Ablauf eines Assessment Centers zu bekommen, sehen wir uns folgendes Beispiel an: Es handelt sich um das zweitägige Verfahren zur Personalauswahl eines großen Industrieunternehmens.

Beispiel: Ablauf eines Assessment Centers

Montag

Die meisten Teilnehmer reisen an und werden im Hotel untergebracht.

Dienstag

8:30 Uhr Ankunft aller Teilnehmer am Veranstaltungsort: Der Moderator begrüßt die Kandidaten und macht sie mit den Örtlichkeiten vertraut.

9:00–10:00 Uhr Vorstellungsrunde: Nach einer kurzen Begrüßung stellen sich erst die sechs Beobachter und anschließend die zwölf Teilnehmer vor, indem sie Namen und Werdegang nennen und über ihre Erwartungen an die vor ihnen liegenden zwei Tage sprechen. Daraufhin erläutert der Moderator den Ablauf des Assessment Centers und gibt durch eine Firmenpräsentation Einblick in das Unternehmen.

10:00–11:00 Uhr Gruppendiskussion: Die Teilnehmer bekommen zwei Themen zur Auswahl gestellt. Ihre Aufgabe ist es, sich auf ein Thema zu 19einigen, dies in der vorgegebenen Zeit abschließend zu diskutieren und das Diskussionsergebnis vorzustellen.

11:00–11:15 Uhr Kaffeepause

11:15–12:15 Uhr Postkorb: Die Teilnehmer werden auf verschiedene Räume aufgeteilt und bekommen Informationsmaterial zu einer Postkorbübung. Innerhalb einer Stunde müssen sie den Postkorb bearbeiten und ihre Arbeitsschritte dokumentieren.

12:15–13:30 Uhr Mittagessen: Beim gemeinsamen Mittagessen im Restaurant des Tagungsortes haben die Teilnehmer Gelegenheit, sich miteinander auszutauschen und auch mit den Beobachtern ins Gespräch zu kommen.

13:30–15:00 Uhr Präsentation: Die Teilnehmer präsentieren nun einzeln vor dem Beobachterplenum den Verlauf und das Ergebnis der Gruppendiskussion. Jeweils zehn Minuten vor ihrem Vortrag bekommen sie diese Aufgabenstellung mitgeteilt und haben die Gelegenheit, mit Hilfe von Overheadfolien oder dem Flipchart ihre Präsentation vorzubereiten.

15:00–15:15 Uhr Kaffeepause

15:15–16:00 Uhr Eignungsdiagnostischer Test: Nun folgt ein schriftliches Testverfahren, das aus den Komponenten Intelligenz-, Konzentrations- und Persönlichkeitstest besteht.

16:00–17:30 Uhr Rollenspiel: Die Teilnehmer durchlaufen ein Rollenspiel der Kategorie Mitarbeitergespräch. Jeder Teilnehmer sieht sich in der Rolle als Personalleiter einem Beobachter gegenüber, der einen unzuverlässigen Mitarbeiter spielt.

17:30–18:15 Uhr Vorbereitung für eine Präsentation: Den Teilnehmern wird ein Kurzfall vorgelegt, dessen Lösung sie am kommenden Tag präsentieren sollen. Sie bearbeiten den Fall und bereiten ihren Vortrag als PowerPoint-Präsentation vor.

18:15–19:30 Uhr Pause: Eine kurze Pause gibt den Teilnehmern Gelegenheit, ihr Hotel aufzusuchen.

19:30 Uhr Gemeinsames Abendessen: Ein gemeinsames Abendessen mit den Beobachtern und der anschließende Aufenthalt in der Hotelbar bilden den Ausklang des ersten Tages.

Mittwoch

9:00–12:00 Uhr Präsentation: Jeder Teilnehmer präsentiert vor den Beobachtern das Thema, das er am Abend zuvor vorbereitet hat.

12:00–13:00 Uhr Mittagessen: Das Mittagessen verläuft wie am Tag zuvor.

2013:00–14:00 Uhr Fallstudie: Die Teilnehmer bekommen als schriftliche Einzel-Übung eine Fallstudie mit einer typischen kollegialen Konfliktsituation vorgelegt, die sie in der vorgegebenen Zeit bearbeiten.

14:00–14:30 Uhr Zweite Gruppendiskussion: In der zweiten Gruppendiskussion, bei der die zwölf Teilnehmer in zwei Sechsergruppen aufgeteilt werden, muss sich jede Gruppe auf eine Rangreihe von vorgegebenen Informationen einigen.

14:30–17:00 Uhr Einzelinterviews: Der Moderator und zwei Beobachter führen mit jedem Teilnehmer ein Einstellungsinterview, um sich durch gezielte Fragen nach Motivation und Qualifikation ein genaueres Bild über die Eignung der Kandidaten für die ausgeschriebene Stelle zu machen.

17:00–17:30 Uhr Pause

17:30–19:00 Uhr Feedbackgespräch: Zum Abschluss des Assessment Centers melden der Moderator und zwei Beobachter jedem Teilnehmer den Eindruck und die Beurteilungen der Beobachter zurück und geben das Ergebnis bekannt, ob der Teilnehmer eine Anstellung bei dem Unternehmen erhalten wird.

1.4.2 Die Rolle und Aufgaben der Beobachter

Wie bereits erwähnt werden Ihnen im Assessment Center mehrere Beobachter und ein Moderator gegenübersitzen.

Die meisten Unternehmen wählen als Beobachter Vertreter verschiedener Funktionen im Unternehmen. Den wichtigsten Part übernehmen dabei Linienvorgesetzte zwei Hierarchieebenen über der ausgeschriebenen Position wie zum Beispiel Abteilungs- oder Bereichsleiter. Häufig sind auch Mitarbeiter aus der Personalabteilung beteiligt. Etwa ein Drittel der Unternehmen setzt jedoch auch unternehmensfremde Beobachter ein, was eher kritisch zu sehen ist, da diese oft mit den Anforderungen des Unternehmens nicht genug vertraut sind.

Aufgabe der Beobachter ist die Beurteilung der Teilnehmer hinsichtlich ihrer Eignung für die zu besetzende(n) Stelle(n).

Der Moderator ist in vielen Fällen ein Psychologe, der für die Konstruktion, den Ablauf und die Koordination der gesamten Veranstaltung zuständig ist und Sie durch das Verfahren führt. Er wird Sie zu Beginn des Assessment Centers begrüßen, Ihnen Ablauf und Vorgehensweise 21erläutern, Sie zu den einzelnen Übungen einteilen und Ihnen als Ansprechpartner dienen. Zudem ist er am Feedbackgespräch mit Ihnen beteiligt, falls ein solches vorgesehen ist.

Die Perspektive der Beobachter

Jeder Beobachter führt während der Übungen Protokoll über das Verhalten der ihm für die jeweilige Übung zugeordneten Teilnehmer. Für jede Übung sind ihm andere Teilnehmer zugeteilt, so dass in einem rotierenden System jeder Teilnehmer von jedem Beobachter mindestens einmal beurteilt wird.

Dadurch wird dem „Mehr-Augen-Prinzip“ entsprochen, um eine objektive Bewertung der Teilnehmer zu gewährleisten.

Im Anschluss an jede Übung verfassen die Beobachter Kurzgutachten, die üblicherweise aus verbalen und numerischen Urteilen (Noten) bestehen. Bewertungsgrundlage sind für jede Übung ganz bestimmte Anforderungsdimensionen. So achten die Beobachter bei der Übung „Gruppendiskussion“ je nach Definition beispielsweise auf Dimensionen wie Kommunikationsfähigkeit, Führungskompetenz oder Teamfähigkeit. Über jedes Kurzgutachten stimmen die Beobachter untereinander ab.

Bei Gruppenübungen wie Gruppendiskussionen oder Konstruktionsübungen wird oft zusätzlich noch eine Rangreihe der Teilnehmer erstellt, die sich auf deren Beitrag zur Effizienz der Gruppe, zum Gruppenerfolg und zum Endergebnis bezieht.

Am Ende der Veranstaltung wird aus den einzelnen Kurzgutachten und Rangreihen für jeden Teilnehmer ein Endgutachten erstellt, das ein Fähigkeitsprofil bezogen auf die Beobachtungsdimensionen darstellt.

Auch diese Endgutachten werden in einer Beobachterkonferenz diskutiert und mit allen Beobachtern abgestimmt, um ein möglichst aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten.

Für diese Aufgaben werden die Beobachter durch ein spezielles Training mit ihren Pflichten, den einzelnen Übungen und den Anforderungsdimensionen vertraut gemacht. Sie lernen dabei die erforderlichen Techniken der Beobachtung, der Berichtsführung und der 22