Alan Carter

Marlborough Man

Thriller

Aus dem Englischen von Karen Witthuhn

Herausgegeben von Thomas Wörtche

Suhrkamp

Für Kath, meine wunderschöne Muse und Seelenverwandte.

Prolog

Er hat jetzt wirklich eine Belohnung verdient. Lange hat er die Geduld bewahrt, aber überall lauert die Versuchung. Die Frau im Wagen nebenan wirft ihm einen zweiten Blick zu, keinen unfreundlichen. Er lächelt zurück, verdreht die Augen: Wir sind ja nur noch die Chauffeure. Heute? Schwimmunterricht. Sie wartet ebenfalls. Glatte Haut, aber am Hals zeichnen sich die voranschreitenden Jahre ab. Die Backen hängen mehr, als es sein müsste. Sie betrachtet sich schon wieder im Spiegel und zupft ihren Pony zurecht.

Da kommen sie.

Die Eltern, die in die Schwimmhalle gegangen sind, zappen jetzt die Türen auf, werfen Schulranzen und Schwimmbeutel in die Autos, die Kinder klettern hinterher, einige halten Junkfood in den plumpen kleinen Händen. Manche sind übermüdet und greinen. Andere quasseln ohne Punkt und Komma, ihre Augen leuchten, sie sprudeln über vor Leben, Neugier, Erstaunen.

Ein blondes Mädchen steigt in den Wagen nebenan. Ein ernstes Kind mit verkniffener Miene, bestimmt fühlt sie sich vernachlässigt, genau wie die Mutter. Auch sie wird sich ihr Leben lang nach Aufmerksamkeit und Anerkennung sehnen, unfähig, die guten von den schlechten Männern zu unterscheiden. Mum wirft ihm einen letzten langen Blick zu, hofft vielleicht auf mehr als das komplizenhafte Lächeln eines leidgeprüften Helikoptervaters. Sucht den Hauch von Gefahr und Leidenschaft, der ihrem Leben fehlt. Wirst du bei mir nicht kriegen, denkt er. Liebende Mütter sind nicht mein Beuteschema. Er zwinkert ihr zu. Das rettet ihr den Tag, sie macht sich auf die Heimfahrt.

Da kommt er. Die Belohnung. Vater ist nicht da, versucht im Bergbau in Westaustralien das Geld für die Hypothek zusammenzukratzen. Die Mutter noch bei der Arbeit, in einem Immobilienbüro in der Stadt. Ihr einziges Kind.

Aus der Parklücke rausfahren und neben der Bushaltestelle halten. Die Autotür öffnen. Er sagt den Namen des Kindes.

Der Junge wacht aus seinem Tagtraum auf, er hat nicht damit gerechnet, dass jemand ihn abholt. Aber es gibt immer ein erstes Mal. Ein Lächeln des Wiedererkennens.

»Spring rein.«

»Ich soll den Bus nehmen. Ich darf nicht mit Fremden gehen.«

»Ich bin doch kein Fremder?«

Der kleine Junge steigt ein.