Über Karl-Heinz Ott

Karl-Heinz Ott wurde 1957 in Ehingen an der Donau geboren und studierte Philosophie, Germanistik und Musikwissenschaften. Anschließend arbeitete er als Dramaturg an Theatern in Freiburg, Basel und Zürich. Für sein literarisches Werk ist er vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Alemannischen Literaturpreis (2009), dem Preis der LiteraTour Nord (2006), dem Candide-Preis (2006), dem Johann-Peter-Hebel-Preis (2012) und dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2014). Zuletzt erschienen von ihm u.a. Tumult und Grazie. Über Georg Friedrich Händel und die Romane Die Auferstehung sowie Und jeden Morgen das Meer. Karl-Heinz Ott lebt in Freiburg.

Fußnoten

In der deutschen Fassung lauten die Verse: »Ach, ich habe sie verloren, all mein Glück ist nun dahin!« Entsprechend würde die Kontrafaktur lauten: »Ach, ich habe sie gefunden, all mein Glück ist nun dahin!«

Theodor W. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik

Listening to music is such a muddle that one

scarcely knows how to start describing it.

E.M. Forster, Not Listening to Music

Woran denken wir bei Beethoven? An eine wilde Mähne und an Elise. Auch die vier Schicksalsschläge der fünften Sinfonie – da-da-da-daaa! – kennt vermutlich jedes Kind, und die Ode an die Freude. Sie ist der berühmteste humanistische Hit der Welt, vielen inzwischen besser als Song of Joy bekannt.

Woran denken wir bei Beethoven noch? An ein grimmiges Gesicht mit wilder Mähne und an alabasterne Büsten auf schwarzen Flügeln, die Ehrfurcht einflößen. Für die einen ist er ein Titan, für die andern ein Revolutionär. Beides schließt sich nicht aus. Gemütlich wirkt an ihm nichts. Bei weltgeschichtlichen Anlässen spielt man nicht MozartMozart, Wolfgang Amadeus oder HaydnHaydn, Joseph, sondern Beethovens Neunte. Man kann sich Beethoven auch nicht mit einem Rokoko-Zopf vorstellen, wie man ihn noch von den beiden andern kennt.

Und woran denken wir außerdem? Dass er taub geworden ist und seine eigenen Werke nicht mehr gehört hat. Auch die Geschichte mit NapoleonNapoleon I. Bonaparte zieht bis heute ihre Kreise: Beethoven will ihm seine dritte Sinfonie widmen, zerreißt aber das Widmungsblatt, als er hört, dass er sich zum Kaiser krönen lässt. Ebenso wird eine Begegnung mit GoetheGoethe, Johann Wolfgang kolportiert: Die beiden sitzen im böhmischen Kurort Teplitz auf einer Bank, es kommen adlige Herrschaften vorbei, GoetheGoethe, Johann Wolfgang will aufspringen, den Hut zücken, einen Knicks machen, Beethoven zerrt ihn am Ärmel zurück. Später schreibt er an GoethesGoethe, Johann Wolfgang Freundin Bettina von

GoetheGoethe, Johann Wolfgang dagegen schreibt an seinen Liedkomponisten ZelterZelter, Carl Friedrich, Beethoven sei »leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genussreicher macht.« Worauf ZelterZelter, Carl Friedrich bestätigt: »Auch ich bewundere ihn mit Schrecken. Seine eigenen Werke scheinen ihm heimliches Grauen zu verursachen.« Bald schon macht die Teplitzer Begegnung die Runde und wird lange kommentiert, wie etwa von NietzscheNietzsche, Friedrich, dem Beethoven neben dem Weimarer Höfling wie »die Halbbarbarei neben der Kultur« vorkommt, was in NietzschesNietzsche, Friedrich Augen ganz und gar für Beethoven spricht.

Allerdings ist auch Beethoven noch abhängig von adligen Herrschaften. Sie erteilen ihm Aufträge und sorgen für Aufführungsmöglichkeiten. Doch er rebelliert gegen sie, nicht nur im Stillen, auch öffentlich. In einem gräflichen Haus schlägt er den Klavierdeckel zu, weil während seines Spiels ein Flüstern zu hören ist. Anders als heute lauscht man damals noch nicht in heiliger Andacht. MozartMozart, Wolfgang Amadeus und HaydnHaydn, Joseph sind es gewohnt, dass die Leute plaudern, während man musiziert.

Beethoven gilt als Kraftnatur, als ruppig, unwirsch, ungestüm. Wie seine Musik. Er ist klein von Wuchs, muss zu andern hochschauen, will es aber nicht. Verwildert sehe er aus, berichten Zeitgenossen. Im Wirtshaus schmeiße er zu hart gekochte Eier den Kellnern hinterher, und zwar

 

Beethoven stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater ist ein Sänger und Säufer, der aus seinem Sohn mit aller Gewalt ein Wunderkind machen will. Die Vorfahren stammen aus dem flämischen Trabant, dem die Familie das Van im Namen verdankt. Nimmt man den Namen bei seinen etymologischen Wurzeln, so stammen die Beethovens von einem Hof, auf dem Rote Bete angebaut worden ist. Als Beethoven nach dem Tod seines Bruders der ungeliebten Schwägerin den Neffen wegnehmen will, kommt es in Wien zum Prozess. Er findet vor dem kaiserlich-königlichen Landrecht statt, einem Gericht, das für Adelsangelegenheiten zuständig ist. Als die Frage aufkommt, ob Beethoven überhaupt adlig ist, beharrt er auf seiner aristokratischen

Obwohl klassische Musik lange als Inbegriff kolonisatorischer Kultur galt, wird Beethoven im Amerika der 1960er Jahre zum Schwarzen gekürt. Auf einem berühmten Plakat sieht man ihn mit schwarzer Haarpracht, schwarzem Bart und dunkler Haut. Der Rolling Stone veröffentlicht ein Poster mit einem Afrolook-Beethoven und dem Titel: Beethoven Was Black & Proud! Auch auf akademischer Seite versucht man nachzuweisen, dass Beethovens mütterliche Vorfahren aus Andalusien stammen oder aus dem Maghreb, von wo sie nach Flandern ausgewandert sind, als die niederländischen Provinzen noch zu Spanien gehört haben. Solche Spekulationen finden sogar Nahrung in der Tatsache, dass Beethoven während seiner letzten Jahre im Wiener Schwarzspanierhaus gelebt hat, einem aufgelösten Kloster des benediktinischen Schwarzspanierordens. Wie sehr die Geschichte vom maurischen Beethoven eine Zeitlang im Schwange ist, zeigt auch eine Erzählung der südafrikanischen Nobelpreisträgerin Nadine GordimerGordimer, Nadine, die von einem weißen Professor handelt, der vor seinen schwarzen Studenten betonen zu müssen glaubt, dass Beethoven zu einem Sechzehntel schwarz gewesen ist. Was immer man von solchen Mutmaßungen hält, fest steht, dass Beethoven auf manchen Gemälden reichlich dunkel aussieht, zumindest für jemanden, der aus dem Rheinland stammt. Fest steht ebenso, dass weder BachBach, Johann Sebastian noch BrucknerBruckner, Anton

Mit seiner Oper Fidelio und seiner Neunten erweist er sich aber auch als Friedens- und Freiheitskünder. Durs GrünbeinGrünbein, Durs schildert in Die Jahre im Zoo, einem autobiographischen Rückblick auf die DDR, wie im Herbst 1989 Parteibonzen in der Dresdner Semperoper Beethovens Gefangenenchor genießen, während draußen Polizisten mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgehen, die nicht mehr hinter einer Mauer leben wollen. Mit keiner anderen Oper ließe sich eine solche Paradoxie entfalten. Leonard BernsteinBernstein, Leonard führt nach dem Mauerfall in Berlin die Neunte auf und wandelt SchillersSchiller, Friedrich Ode an die Freude ab in Ode an die Freiheit.

Allerdings hat die Neunte in ihrer zweihundertjährigen Geschichte schon für vieles herhalten müssen: StalinStalin, Josef liebt sie für ihre chorischen Massen, HitlerHitler, Adolf lässt sie 1937 zu seinem Geburtstag erklingen, jüdische Kinder müssen 1943 in Auschwitz die Ode an die Freude zur Begrüßung neuer Häftlinge vortragen. Seit 1972 ist sie offizielle Europahymne, allerdings nur in instrumentaler Fassung, um keiner Nationalsprache den Vorzug zu geben. 1974 macht sie allerdings auch das Apartheid-Regime in Rhodesien zur Nationalhymne, mit abgewandeltem Text. Als 1981 in Frankreich erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg eine sozialistische Regierung an die Macht gelangt, lässt François MitterandMitterand, François die Ode spielen, während er unter Jubel aufs Pantheon zuschreitet. Nicht anders hält es Emmanuel MacronMacron, Emmanuel bei seiner Amtseinführung, nur dass sein Weg über den Hof des Louvre führt.

Als Friedrich GuldaGulda, Friedrich in den 1960er Jahren mit seinen Auftritten das Publikum erschreckt, verkündet er, zwischen Beethoven und dem Jazz sei bloß Belangloses komponiert worden. GuldasGulda, Friedrich Einspielungen von Beethovens 32 Klaviersonaten sind bis heute an Frische, Temperament und rhythmischer Verve schwer zu überbieten. Selten steht das Synkopische, Drängende, Energische so im Vordergrund. Dass zwischen Beethoven und dem Jazz keine Welten liegen, führt GuldaGulda, Friedrich nicht nur in den schnellen Sätzen vor, er unterlegt auch die langsamen mit einem pulsierenden Groove. John ColtraneColtrane, John und Miles DavisDavis, Miles haben in Guldas Augen mit Beethoven mehr zu tun als das meiste, was Klassik sonst zu bieten hat.

Keith Richards’Richards, Keith Satz, klassische Musik wäre ja recht und gut, wenn ihr nicht das Schlagzeug fehlen würde, offenbart seine Unkenntnis von Beethovens Siebter, gegen die jede Rock-Nummer wie eine lahme Ente daherkommt. Chuck BerrysBerry, Chuck Roll Over Beethoven klingt unsäglich bieder, wenn man ein paar Takte aus der Siebten dagegenhält. Beethoven ist ein Berserker, seine Musik strotzt vor Energie. Aus der Ferne höre sie sich wie Bumbum an, meint AdornoAdorno, Theodor W., womit nichts gegen sie gesagt sein soll. Die Musikwissen

Solche Zuschreibungen provozieren die Frage, ob man einen Komponisten tatsächlich mit seinem Werk gleichsetzen darf. Wie wenig sich das eine mit dem andern deckt, sieht man an MozartMozart, Wolfgang Amadeus, aus dessen Musik sich schwerlich die skatologischen Witzeleien seiner Bäsle-Briefe heraushören lassen. Zeichnet sich in SchumannsSchumann, Robert Klavierstücken dessen Abdrift in den Wahnsinn ab? Offenbart TschaikowskisTschaikowski, Pjotr Iljitsch Streicherserenade dessen Homosexualität? Denken wir beim Hören von DebussysDebussy, Claude ätherisch flirrenden Préludes an einen korpulenten, bärtigen Kerl, den man sich leicht mit einem Humpen am Stammtisch vorstellen kann? Wie lässt sich erklären, dass Beethovens Zweite nicht im Geringsten düster klingt, obwohl sie entstanden ist, als er sich mit Selbstmordgedanken herumschlägt, wie man aus seinem Heiligenstädter Testament erfährt? Der Gemütszustand des Urhebers spiegelt sich nicht in seinem Werk. Vielleicht lenkt er sich damit ja gerade von seinen inneren Tumulten ab. Vielleicht schenkt die Arbeit als Einziges Halt.

Andererseits drängen sich Spekulationen über den Zusammenhang von Leben und Schaffen nolens volens auf. Nicht jedes Gesicht passt zu jedem Werk. WittgensteinWittgenstein, Ludwig bringt es folgendermaßen auf den Punkt: »Es könnte so sein: Ich höre, es male jemand ein Bild ›Beethoven beim Schreiben der Neunten Symphonie‹. Ich könnte mir leicht

Dass Beethoven nicht die Freundlichkeit in Person gewesen ist, sieht man seinen Porträts an: die Haare kräftig und ungekämmt, die Brauen buschig, die Haut pockennarbig, die Lippen zuweilen herabhängend. Als einen gemütlichen Onkel kann man ihn sich schwer vorstellen. Auf einer Zeichnung von Johann Peter LyserLyser, Johann Peter sieht man ihn auf der Gasse mit Zylinder: eine leicht gedrungene, ein wenig vorgebeugte Gestalt mit mächtigem Schädel, aus deren Fracktasche ein Schnupftuch hängt, was zeigt, wie wenig Wert er auf ein tadelloses Äußeres legt. Über seine täglichen Spaziergänge nach dem Mittagessen schreibt Ignaz Xaver von SeyfriedSeyfried, Ignaz Xaver von: »Er lief im Duplierschritt, wie gestachelt dazu, ein paarmal rund um die Stadt. Ob es nun regnete, schneiete oder hagelte, ob der Thermometer 16 Kältegrade anzeigte, ob Boreas seinen eisigen Hauch mit vollen Backen von Böhmens Grenzmarken herüberblies, ob der Donner brüllte, zackige Blitze die Lüfte durchschnitten, die Windsbraut heulte oder Phöbus’ Glutstrahlen wie in Libyens Sandmeeren senkrecht auf den Scheitel niederfie

Über den wild gestikulierenden Dirigenten Beethoven berichtet er: »Das Diminuendo pflegte er dadurch zu markieren, dass er immer kleiner wurde und beim Pianissimo sozusagen unter das Taktierpult schlüpfte. Sowie die Tonmassen anschwellten, wuchs auch er wieder aus seiner Versenkung empor, und mit dem Eintritt der gesamten Instrumentenkraft wurde er, auf den Zehenspitzen sich erhebend, fast riesengroß und schien, mit beiden Armen wellenförmig rudernd, zu den Wolken hinaufschweben zu wollen.  … Bei zunehmender Harthörigkeit entstand freilich öfters ein derber Zwiespalt, dass der Maestro in Arsin battierte und die Musiker in Thesin akkompagnierten.« Mit Thesin ist das Tessin gemeint, Arsin liegt am Schwarzen Meer in der Türkei.

 

Beethovens Zeitgenossen finden seine Musik oft chaotisch. »Ward’s Genuss schon? ist’s noch Qual?«, heißt es in einem Gedicht mit dem Titel Beethoven, das von dessen Freund Franz GrillparzerGrillparzer, Franz stammt. Bei der Uraufführung der dritten Sinfonie fühlen die Zuhörer sich restlos überfordert. Man kann sich nicht mehr genießerisch zurücklehnen; sie klingt anstrengend, es schwirrt der Kopf. Allein durch ihre maßlose Länge geht jede Übersicht verloren, und es entsteht der Eindruck, dass nichts einer Regel gehorcht. Zwar gäbe es ein paar schöne Stellen, heißt es in der Allgemeinen musikalischen Zeitung, doch im Ganzen vermisst man alles Lichte und Klare. Ähnliches weiß Hector BerliozBerlioz, Hector von der französischen Erstaufführung zu berichten: »Man fand sie bizarr, zusammenhanglos, wirr, mit ihren haarsträubend

Mit Beethoven verabschiedet sich die Musik von einem Kunstideal, das Schönheit, Maß und Ausgleich anstrebt. In Johann Georg SulzersSulzer, Johann Georg – kurz nach Beethovens Geburt erschienenen – Allgemeinen Theorie der schönen Künste heißt es: »Das bloß Schöne und Gute, in der Natur und in der Kunst, gefällt, ist angenehm oder ergötzend; es macht einen sanften Eindruck, den wir ruhig genießen. Aber das Erhabene wirkt mit starken Schlägen, ist hinreißend und ergreift das Gemüt unwiderstehlich.« Edmund BurkeBurke, Edmund bemerkt in seiner 1757 veröffentlichten Philosophischen Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, dass »das Schöne in der Musik weder jenen Lärm verträgt und jene heftigen Töne, die Leidenschaften in uns entfachen, noch schrille, schroffe und schwere Klänge«. Burke fügt hinzu, »dass zu heftige Wechsel und zu geschwinde Übergänge von dem einen Rhythmus oder dem einen Farbklang zum andern dem Gefühl musikalischer Schönheit zuwider sind«. Hätte BurkeBurke, Edmund Beethovens Musik gekannt, hätte er auf sie verwiesen.

Was vielen zu derb, zu drastisch und zu konfus klingt, feiern andere als eine ganz neue Musik, die den Blick in metaphysische Abgründe freigibt. In den Augen E.T.A. HoffmannsHoffmann, E.T.A. führt HaydnHaydn, Joseph noch in »grüne Haine«, während Beethoven uns »das Reich des Ungeheueren und Unermesslichen« eröffnet. WagnerWagner, Richard bemerkt in seiner 1870 erschienenen Beethoven-Schrift: »Überblicken wir den kunstgeschichtlichen Fortschritt, welchen die Musik durch Beethoven getan hat, so können wir ihn bündig als den Gewinn einer Fähigkeit bezeichnen, welche man ihr vor

In seinem Gedicht Die Stille der Welt vor Bach malt Lars GustafssonGustafsson, Lars sich ein Leben aus, wo die Klänge des Wohltemperierten Klaviers und der Matthäus-Passion noch nirgends zu hören gewesen sind. Es muss eine andere Welt gewesen sein, eine Welt, die wir uns nicht mehr vorstellen können, selbst wenn wir sie auf Brueghel-Bildern zu sehen meinen. Längst können wir uns auch keine Welt mehr vorstellen, in der es nur BachBach, Johann Sebastian gegeben hat, aber keinen Beethoven. Beethoven bildet eine Zäsur. Was nach ihm kommt, hat sich an ihm zu messen. Zahlreich sind die Klagen von Komponisten, dass man nach ihm keine Sinfonien mehr schreiben kann, ohne als Epigone dazustehen. Beethoven hat die – damals noch gar nicht alte – Form der Sonate und damit der Sinfonie an Grenzen gebracht und gesprengt. Gar nicht zu reden von der Kühnheit im Umgang mit Harmonien, die SchubertSchubert, Franz von ihm übernimmt und die bei HaydnHaydn, Joseph noch undenkbar gewesen wären.

Für AdornoAdorno, Theodor W. beginnt die neuere Musikgeschichte mit Beethoven. Alles davor bewegt sich für ihn in mehr oder weniger vorgestanzten Formen, während Beethoven mit Tradiertem bricht, allerdings nicht, indem er es ablehnt, sondern indem er es aufbricht. In Beethovens Spätwerk entdeckt AdornoAdorno, Theodor W. Kraterlandschaften und Wüsteneien voller Abgründe, Hohlstellen, Risse und Löcher. Das gilt zwar weniger für die Sinfonien, doch umso mehr für die letzten Klaviersonaten und Streichquartette. In Thomas MannsMann, Thomas Doktor Faustus erklärt der junge Musiker Wendell Kretzschmar einer Schar von Rentnern, dass es nach Beethoven keine Sonate mehr geben kann. Zwar könne man, behauptet er, nach wie vor Sonaten schreiben, doch die Sonate

 

Für TolstoiTolstoi, Lew dagegen steckt in Beethovens Musik der Teufel. In seiner Erzählung Die Kreutzersonate steht ein Gutsbesitzer im Mittelpunkt, der Beethovens Musik für die vermeintliche Untreue seiner Frau verantwortlich macht. Diese Musik, behauptet er, stachle erotisch auf, doch ohne Sinn und Ziel, um purer Erregung willen und um eine Wirrnis zu stiften, die sich nicht mehr bändigen lässt. Sie entflammt uns, entführt uns, entrückt uns von uns selbst, auf unverständliche, gerade dadurch aber gefährliche Weise. Gäbe es Beethovens Kreutzersonate nicht, hätte er seine Frau nicht ermorden müssen, glaubt dieser Mann. Und er folgert daraus, dass der Staat eine solche Musik verbieten muss.

Bei der Kreutzersonate handelt es sich um Dichtung, doch in seiner späten apodiktischen Schrift Was ist Kunst? bescheinigt TolstoiTolstoi, Lew Beethovens Musik – ohne jeden fiktiven Rahmen – »eine krankhafte nervöse Reizbarkeit«. Infolge seiner Taubheit habe Beethoven sich in »künstlerischem Irrereden« ergangen und nur noch krude, sinnlose Dinge geschrieben, behauptet Tolstoi.Tolstoi, Lew In seinen Augen beginnt damit all das Krankhafte, das seit Beethoven die Musik prägt. Diese These klingt versteckt auch in Thomas MannsMann, Thomas Doktor Faustus an, wo der Komponist Adrian Leverkühn darüber klagt, dass die klassische Musik immer komplizierter, zerrütteter und unverständlicher klingt und sich von den menschlichen Bedürfnissen endlos entfernt. Leverkühn

Beethovens Sinfonien verstören uns längst nicht mehr. Wir können sie nicht mit den Ohren seiner Zeitgenossen hören, man kann sich nur vorzustellen versuchen, wie es wäre, wenn man sie noch nie gehört hätte. Das gelingt zwar nicht, verändert aber die Wahrnehmung. Schließlich überkommt einen zuweilen auch im frühen Morgendämmer das Gefühl, als werde über der Welt zum ersten Mal Licht.

In Willa CathersCather, Willa 1904 erschienener Erzählung Eine Wagner-Matinee sitzt ein Mann im Konzert neben seiner Tante, die er zuletzt als kleiner Junge gesehen hat. Seit dreißig Jahren lebt sie in Nebraska und ist erstmals wieder in Boston. Er hat sie in eine Matinee mitgenommen, obwohl sie von der Fahrt noch wie betäubt ist. Als Erstes steht das Vorspiel zum Tannhäuser auf dem Programm. Als die Tante bei den Hörnerklängen nach dem Ärmel des jungen Mannes greift, kommt ihm der Gedanke, dass diese Musik für sie zum ersten Mal die unfassbare Stille jener endlosen Ebenen durchbricht, in denen sie seit über einem Vierteljahrhundert lebt. Als die Geigen mit ihrem flirrenden Venusbergmotiv einsetzen, sinniert er über die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit unseres Daseins, und vor seinem inneren Auge tauchen Kindheitserinnerungen auf an ihr kleines, kahles Haus, das in den Weiten der Prärie wie eine hölzerne Festung wirkt. Ebenso kommt ihm der schwarze See in den Sinn, in dem er schwimmen gelernt hat, und die bis zum Horizont reichenden Kornfelder, während die Tante wie erstarrt aufs Orchester blickt.

Was mag sie denken und empfinden bei diesem Aufruhr der Geigen und Posaunen?, fragt er sich. Sagt ihr die Musik etwas, oder verliert ihr Blick sich im Nichts? Es ist lange her, dass sich die Tante solchen Klängen ausgesetzt hat. Das musikalische Leben an ihrem abgelegenen Ort beschränkt sich auf die Gesänge beim Gottesdienst. Der

Wir wissen nicht, was sich in andern beim Musikhören abspielt. Bei Liedern mag der Text die Gedanken ein Stück weit lenken, was aber keineswegs heißt, dass bei jedem ähnliche Bilder erstehen und gleiche Gefühle. Reine Instrumentalmusik dagegen lässt fast alles offen. Zwar rufen Stücke, die düster klingen, meist keine Freude hervor, und heitere machen selten schwermütig. Was Musik mit uns aber tatsächlich anstellt, wissen wir meist selbst nicht richtig. Bei Lektüre lässt sich das leichter feststellen, Musik dagegen bietet keinen inhaltlichen Anhaltspunkt. Zwar mögen wir bei Trompetenfanfaren ans Militär denken oder bei Hornsignalen an Jagd, was aber der zweite Takt des dritten Satzes aus Beethovens Vierter bedeutet, lässt sich schwer sagen. Gewiss ist, dass er eine musikalische Funktion besitzt, die man kompositionstechnisch erklären kann, doch was er sonst noch bedeutet, steht in den Sternen.

Dass Musik ohne Gesang auskommt, ist für uns längst nichts Besonderes mehr. Vor zwei, drei Jahrhunderten war das noch ganz anders. Zwar wird seit je zum Tanz aufgespielt, und seit der Barockzeit rückt auch reine Cembalo-, Lauten-, Gamben- und Kammermusik immer mehr ins Zentrum. Dass man aber in Konzerte geht und ausschließlich Instrumenten lauscht, ohne dass ein einziger Ton gesungen wird, ist bis weit ins 18. Jahrhundert hinein noch unüblich. Sofern ein Komponist nicht für die Kirche arbei

Wie Musik sich nur langsam vom Gesang befreit und wie sie noch lange auf ihn verweist, zeigt allein die im 17. Jahrhundert aufkommende Instrumentalgattung der Canzone, ebenso künden Tempobezeichnungen und Satzüberschriften bis heute häufig von ihrer Herkunft aus dem Vokalen. BachBach, Johann Sebastian charakterisiert das Thema seiner Goldberg-Variationen als Aria, über Beethovens Variationen-Satz seiner Klaviersonate op. 111 steht Arietta, und zwar mit der Vortragsanweisung: Adagio molto semplice e cantabile – ein sehr schlichtes und sangliches Adagio; die Angabe für den langsamen Satz seiner Pathétique lautet Adagio cantabile, für den 3. Satz seiner Klaviersonate As-Dur, op. 110: »Klagender Gesang, Arioso dolente«; beim 2. Satz der Klaviersonate e-moll, op. 90, schreibt er vor: »Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen«; im 3. Satz des Streichquartetts a-moll, op. 132, überrascht er mit der Überschrift: »Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit.« Die Beispiele ließen sich fortführen, bis hin zum Andante amoroso aus MahlersMahler, Gustav Siebter, das mit seiner Gitarre und Mandoline Abendständchen in Erinnerung ruft, wie man sie aus RossinisRossini, Gioachino Barbier von Sevilla kennt.

Wäre Beethoven hundert Jahre früher geboren worden, hätte er mehr Vokalwerke komponieren müssen, auch wenn darin nicht seine Stärke lag. Zwar gehört sein Fidelio zu den meistgespielten Opern, doch klagen Sänger bis heute, dass manche Passagen wenig gesangsgerecht geschrieben sind. Wilhelm Heinrich RiehlRiehl, Wilhelm Heinrich zitiert in seinen 1862 erschienenen Musikalischen Charakterköpfen Stimmen, die behaupten, es handle sich beim Fidelio nicht um eine Oper, sondern um eine »dramatisierte Symphonie«. Beethoven wird für seine Klaviersonaten und Streichquartette berühmt und vor al

Von den wenigen Liedern, die Beethoven schreibt, ist nur Adelaide wirklich bekannt. Während man mit SchubertSchubert, Franz-Liedern Säle füllt und auch SchumannSchumann, Robert und BrahmsBrahms, Johannes für ihre Gedichtvertonungen berühmt sind, führt Beethoven in dieser Hinsicht ein Schattendasein. Bei seiner Missa Solemnis gehen die Urteile ohnehin auseinander. Für AdornoAdorno, Theodor W. ist sie wegen ihrer rückwärtsgewandten Stilmittel nahezu indiskutabel, andere setzen sie mit HändelsHändel, Georg Friedrich Messias gleich. Häufig aufgeführt wird sie nicht, weder im Konzertsaal noch in der Kirche, was nicht zuletzt an ihren schieren Ausmaßen liegt. Mit seiner Instrumentalmusik jedoch sprengt Beethoven Grenzen. Alle, die nach

Rousseaus Kampf gegen Rameau

Knapp zwanzig Jahre vor Beethovens Geburt werden in Paris geistige Schlachten geschlagen, die nicht nur die Musikwelt erregen. Sie gehen unter dem Titel Buffonistenstreit in die Geschichte ein, bei dem es sich vordergründig um die Frage handelt, ob man der italienischen Oper den Vorzug gibt oder der französischen. In Paris stehen sich die beiden Opernhäuser in inniger Feindschaft gegenüber. In der italienischen Oper vergnügt man sich bei schönen Gesängen, herrlichem Getriller und Geschichten, die von Liebe und Macht handeln und von Lust und Eifersucht. Während der Rezitative unterhält man sich und isst und trinkt, tritt die Primadonna an die Rampe, rauscht Beifall auf und man ist ganz Ohr.

Ganz anders im französischen Haus. Zwar wird auch dort gesungen, doch das Orchester dient nicht mehr nur als vergrößerte Gitarre, die für Rums-bums-Rhythmen sorgt, wie George Bernard ShawShaw, George Bernard über die italienische Oper einmal spotten wird. RameausRameau, Jean-Philippe Opern entfalten ein sinfonisches Tohuwabohu, wie man es nie zuvor gehört hat, mit Windmaschinen, Donnerblech, Schlagwerk und ungewohntem Bläsereinsatz. Der Gesang wirkt bloß noch wie Zutat. Die Geiger entlocken ihren Instrumenten allerlei Lautmalereien, die nicht auf Wohlklang aus sind, sondern die Elemente zum Toben bringen. In RousseausRousseau, Jean-Jacques Ohren handelt es sich um einen Krach, der dem gesunden Empfinden widerstrebt und jeden Bezug zum Gesang verloren hat. Er

Wie man im Namen des Melodischen gegen das Harmonische anrennen kann, ist heutzutage schwer nachzuvollziehen. Jeder, der sich auf der Gitarre begleitet, unterstützt mit Akkorden den eigenen Gesang: Harmonie kommt zu Melodie. Doch was, wenn vor allem Harmonien regieren? Das lässt sich an Jazz-Improvisationen sehen, denen Changes zugrunde liegen, also Harmoniefolgen, die dem freien Spiel als Basis dienen. Wem dieses endlose Improvisieren auf die Nerven geht und wer daran das Melodische vermisst, dem ergeht es wie RousseauRousseau, Jean-Jacques. Bereits der Musiktheoretiker Johann MatthesonMattheson, Johann wirft dem jungen HändelHändel, Georg Friedrich vor, er improvisiere zu viel auf der Orgel und verliere dadurch jeden Bezug zum Melodischen. MatthesonMattheson, Johann vergleicht eine solche Musik mit Aussätzigen, die Kleider aus Brokat tragen. Solange die Melodie fehlt, sind Harmonien für ihn leere Hüllen.

Während RousseauRousseau, Jean-Jacques nur sangbare Musik für menschengemäß hält, entwickelt RameauRameau, Jean-Philippe eine Harmonielehre, die auf der Obertonreihe basiert und die der westlich geprägten Musik bis heute als Grundlage dient. Sowohl RousseauRousseau, Jean-Jacques als auch RameauRameau, Jean-Philippe berufen sich auf die Natur, jeder sich jedoch auf eine andere. Für RousseauRousseau, Jean-Jacques besteht sie im Gesang der Amme, den die Seele nie vergisst, für RameauRameau, Jean-Philippe besteht sie aus Gesetzmäßigkeiten, die sich mathematisch fassen lassen. Der eine argumentiert mit Gefühlen, der andere mit Physik.

Im Grunde hält dieser Streit bis heute an. Schließlich geht es um nicht weniger als die Frage, welche Musik uns guttut und welche nicht. RousseauRousseau, Jean-Jacques ist über Nacht mit seiner Abhandlung über die Wissenschaften und Künste berühmt geworden, in der er die moderne Gesellschaft als dekadent brandmarkt. Mit seinen Attacken gegen RameauRameau, Jean-Philippe weitet

 

Die damals gängige Gattung für Instrumentalmusik ist die Sonate. Sie besteht aus drei oder vier Sätzen, einem schnellen ersten, langsamen zweiten, tänzerischen dritten und geschwinden letzten. Da Sonaten im Unterschied zu Kantaten ohne Gesang auskommen, bemerkt RousseauRousseau, Jean-Jacques:

»Heutzutage, wo Instrumente den wichtigsten Teil der Musik bilden, sind Sonaten überaus in Mode, genauso wie Sinfonien; das Vokale ist fast bloß noch Zutat.  … Wir verdanken diese Geschmacklosigkeit denen, die  … uns zwingen, mit Instrumenten etwas zu machen, was unserer menschlichen Stimme nicht gelingt. Ich wage vorherzusagen, dass eine so widernatürliche Geschmacksrichtung nicht von langer Dauer sein kann.  … Um zu erfahren, was dieser ganze Sonatenplunder, mit dem wir uns quälen lassen, sagen will, müsste man es machen wie dieser ungeschlachte Maler, der sich gezwungen sah, unter seine Bilder zu schreiben: das ist ein Baum, das ist ein Mensch, das ist ein Pferd. Nie werde ich den Wutausbruch des berühmten FontenelleFontenelle, Bernard le Bovier de vergessen, der diese endlosen Sinfonien

RousseauRousseau, Jean-Jacques rekurriert auf einen – nicht weiter belegten – Aufschrei von Bernard de FontenelleFontenelle, Bernard le Bovier de, der sich als Opernlibrettist offenbar gefragt hat, wozu eine Musik gut sein soll, die ohne Text auszukommen meint. Wozu in Klangfluten versinken, die keinerlei Inhalt besitzen? In Italien würde niemand wagen, das Publikum mit sinfonischem Galimathias aus den Opernhäusern zu verscheuchen. Niemand käme dort auf die Idee, den Gesang bloßem Getrommel, Gepfeife und Gescharre zu opfern. In Italien liebt man das Wohltuende, während in Paris laut RousseauRousseau, Jean-Jacques eine Mode herrscht, die sich für Fortschritt hält, in Wirklichkeit aber von Verkommenheit zeugt.

Kants Kopfschütteln über Musik

RousseauRousseau, Jean-Jacques ist nicht der Einzige, den wortlose Musik irritiert. Als 1790 KantsKant, Immanuel Kritik der Urteilskraft erscheint, wird Joseph HaydnHaydn, Joseph in London mit seinen späten Sinfonien gefeiert. Die Namen HaydnHaydn, Joseph und MozartMozart, Wolfgang Amadeus tauchen bei KantKant, Immanuel zwar nicht auf, doch in seiner Urteilskraft lesen wir, Musik sei die niedrigste aller Künste. KantKant, Immanuel erklärt das damit, dass sie »ihren Einfluss weiter, als man ihn verlangt, auf die Nachbarschaft ausbreitet.« Wer philosophische Argumente erwartet, sieht sich enttäuscht. KantKant, Immanuel stört an Musik, dass sie die Nachbarschaft stört. Allerdings weiß er auch nicht viel mit ihr anzufangen, was vor allem daran liegt, dass sie bloß mit Empfindungen spielt, dem Geist jedoch wenig Stoff für Disputationen und Diskussionen bietet. Während man sich über Dichtung des Langen und Breiten auslassen

Ihr windiges Wesen trägt unsere Gedanken und Gefühle hierhin und dorthin, ohne erkennbaren Sinn, ohne bestimmtes Ziel. Wir können ihr alles Erdenkliche andichten, nichts lässt sich belegen, nichts sich beweisen. Instrumentalmusik fehlt jeder Grund und Boden, sie lässt alles in der Schwebe. KantsKant, Immanuel philosophischer Ehrgeiz besteht darin, unser Denken und Erkennen unter Kategorien zu subsumieren und sie in einem Koordinatensystem zu verorten, das für Übersicht sorgt. Kunst besitzt für ihn dabei die Funktion, das freie Spiel des Vorstellungsvermögens in Gang zu setzen. Anders als in der Wissenschaft, wo die Gesetze der Logik gelten, muss man dabei zwar keinen bestimmten Regeln gehorchen, sinnvoll reden lässt sich aber auch dort nur über Dinge, die nicht völlig entgleiten. Der elementare Mangel an Musik besteht jedoch in ihrer Unfasslichkeit. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes gegenstandslos, in mehrfacher Hinsicht: Sie bildet nichts ab wie Gemälde und drückt nichts aus wie die Sprache. Weil sie in keiner Weise greifbar ist, ist sie intellektuell unergiebig. Ihre Wirkung entfaltet sich in den Eingeweiden – Verstand und Vernunft gehen leer aus.

Romantische Hymnen aufs Unbegreifliche

Während KantKant, Immanuel die Welt gedanklich geordnet sehen will, schrecken romantische Dichter vor der Vision vollkommener Transparenz zurück. Im Jahr 1800 veröffentlicht

Mit seinem Satz »Philosophie gründet sich auf Musik« kehrt SchlegelSchlegel, Friedrich KantsKant, Immanuel Verdikt um. »Muss die reine Instrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen?«, fragt er in den Athenäums-Fragmenten. »Und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestätigt, variiert und kontrastiert, wie der Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe?« Die Souveränität von Musik zeigt sich für ihn darin, dass sie sich ihre Themen selbst gibt; sie gehorcht ausschließlich ihrer eigenen Bewegung, ihren eigenen Gesetzen, ihrer eigenen Dynamik. Auch SchlegelSchlegel, Friedrich

Als der Geiger Felix RadicatiRadicati, Felix Beethoven vorhält, bei seinen Streichquartetten op. 59 handle es sich nicht mehr um Musik, antwortet Beethoven: »O, sie sind auch nicht für Sie, sondern für eine spätere Zeit.« Während einer Aufführung in Sankt Petersburg soll das Publikum in Lachen ausgebrochen sein, als der Cellist am Anfang des zweiten Satzes von Quartett Nr. 7 in F-Dur mehrere Takte lang auf einem einzigen Ton einen bocksbeinigen Rhythmus vortrommelt. Aus Wut über diesen Unsinn soll der Cellist daraufhin auf den Noten herumgestampft sein. Als der Beethoven treu ergebene Geiger Ignaz SchuppanzighSchuppanzigh, Ignaz, der mit seinem Streichquartett zahlreiche seiner Werke uraufführt, darüber klagt, dass manches an Grenzen führt und schwer zu begreifen ist, gibt Beethoven zurück: »Glaubt Er, dass ich an eine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht und ich es aufschreibe?«

In seiner groß angelegten Besprechung von Beethovens 5. Sinfonie lässt E.T.A. HoffmannHoffmann, E.T.A. sich über die musikalischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte aus und rühmt Beethoven als den Überwinder einer Musik, die in erster Linie angenehm klingen will. Beethoven dagegen, erklärt er, »schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurücklässt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben.« Von MozartMozart, Wolfgang Amadeus und HaydnHaydn, Joseph sagt HoffmannHoffmann, E.T.A., sie bewegten sich noch in der Welt des Schönen und Hei