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Friederike Schmöe

Lasst uns froh und grausig sein

Ein bitterböser Weihnachtskrimi

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Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Überarbeitetes E-Book 2014

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Fotos von © xRaDx / sxc.hu

und © ultramarin / Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-3712-0

Vorbemerkung der Autorin

Sehr geehrte Leserinnen und Leser! Dieser Krimi hat parodierenden, ironischen Charakter. Flapsige und zynische Einlagen sind beabsichtigt. Für etwaige psychische oder mentale Beeinträchtigungen bei der Lektüre während oder außerhalb der Weihnachtszeit übernehmen weder die Autorin noch die Protagonistin Haftung.

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Handlungen sind reiner Zufall und keinesfalls beabsichtigt.

23. Dezember

16 Uhr 30

Katinka Palfys Zielobjekt saß nun schon über eine Stunde vor einem Glas Kellerbier und glotzte auf den Fernsehschirm. Irgendein amerikanischer Sportkanal übertrug ein Eishockeyspiel. Walt Meier schien in das Match vollkommen versunken. Er zeigte keine Anzeichen von Nervosität. Obwohl der Gastraum grauenvoll überheizt war, hatte er seinen Mantel nicht abgelegt. Unter dem dicken schwarzen Stoff lugte ein weißer Pullover hervor. Vor ihm auf dem Tisch lag ein echter englischer Bowler. Katinka begann zu zweifeln, ob Walt der Richtige war.

»Möchten Sie noch was?«

»Wie – schließen Sie?«

»Ach wo!« Die Chefin lachte. An ihrem Pulli steckte eine selbstgebastelte Holzbrosche mit ihrem Namen in Großbuchstaben drauf: NORA. »Ich muss nur eine kurze Besorgung machen. Sie sehen ja: Ich bin allein, habe den Umbau am Hals, die Küche, den Service …« Mit einer geübten Bewegung fasste Nora ihre dicken, langen Locken im Nacken zusammen und steckte sie fest.

»Sie erwarten aber jetzt nicht, dass ich die nächsten paar Biere zapfe, oder?« Katinka wäre niemals auf die Idee gekommen, die heruntergekommene Kneipe zu betreten, wenn ihr aktueller Auftrag sie nicht hergeführt hätte. Der Club duckte sich in eine schmale Ausbuchtung des Oberen Kaulbergs. Hier wurde ständig umgebaut, renoviert, saniert. Dazu passte, dass nun auch dieser Ex-Boxclub, der lange leergestanden hatte, zu neuem Leben erweckt wurde. Wo einst der Boxring die Bühne für dramatische Kämpfe abgegeben hatte, standen die Tische und Stühle. Die schmale Tribüne an der Stirnseite lag unangetastet im Schatten, die Zugänge waren abgesperrt durch eine simple Kordel. Statt der Zuschauerränge am langen Ende ragte nun eine Theke in den Raum; der hintere Bereich war abgetrennt und zur Küche umfunktioniert worden. Der Gang, der zu den ehemaligen Umkleiden führte, wo sich heute die Toiletten befanden, war mit Postern und Autogrammkarten alter Boxstars gepflastert, deren starke Zeit mindestens 40 Jahre zurücklag. Die Eingangstür war von einem schweren Vorhang verhängt, um die Zugluft unter Kontrolle zu halten.

»Dauert echt nicht lange.« Nora nickte lächelnd. »Die Lasagne schmort im Herd, alles im grünen Bereich. Ich bin ja ganz flott zurück.«

Katinka zuckte die Achseln. Sie hatte sich ein alkoholfreies Bier bestellt und wartete auf bessere Zeiten. Privatdetektivin zu sein brachte es mit sich, dass man am 23. Dezember gegen Spätnachmittag in einem ungemütlichen Boxclub herumhing, krude Weihnachtsdeko ertrug und sich die Langeweile vertrieb. Immerhin klappte das mit dem neuen iPad ganz gut. Sie hatte längst nicht alle seine Funktionen durchprobiert. Praktischerweise konnte sie nun bequem ihre E-Mails an allen Ecken und Enden beantworten, twittern und zwischendrin ein E-Book lesen. Der Segen der neuen Zeit, dachte sie und vertiefte sich in die Aufzeichnungen, die sie von ihrem Kunden, einem Galeristen aus der Sandstraße, erhalten hatte. Vitus Carl hatte seinen Auftrag, Walt Meier zu observieren, so begründet:

Walt Meier – ein Künstler, Spintisierer, irgendwie genial. Aber ein mieser kleiner Betrüger ist er auch. Ich bin sicher, dass er Skizzen aus dem Nachlass von Trude Nüsslein als seine eigenen ausgibt. Sein und ihr Stil sind vergleichbar, das ungeübte Auge sieht die Unterschiede nicht. Meier hat mir Probe-Skizzen zukommen lassen. Hat angeblich gerade eine super Schaffensphase. Ich sollte mich auf mehr gefasst machen. Durchtriebener Knabe. Beobachten Sie ihn.

Katinka klickte die Mail weg. Walt Meier sah ziemlich durchschnittlich aus. Nicht wie ein Künstler. Eher wie einer, der nicht wusste, was er an Weihnachten machen sollte. Behäbig, korpulent, unsportlich.

16 Uhr 52

»’n Abend.« Ein Mann kam herein, auf dem Kopf eine Mütze mit Ohrenklappen. »Ja – Mensch!« Er stürmte an Katinkas Tisch. »Ich habe Sie ja ewig nicht gesehen!«

»Halten Sie bloß die Klappe!«, zischte Katinka ihn an. Das fehlte ihr noch, dass einer das Wort ›Privatdetektivin‹ in den Mund nahm, so dass Walt Meier es hören konnte.

»Was’n los?« Dante Wischnewski, inzwischen ständiges Redaktionsmitglied beim Fränkischen Tag und Quälgeist vom Dienst, riss sich die Mütze vom Kopf und setzte sich Katinka gegenüber. Sein Kopf wurde immer kahler, bedeckt nur von einer dünnen Schicht blondem Flaum. Seine Augen sprühten vor Neugier.

»Wenn Sie was bestellen wollen, die Chefin ist grad mal weg!« Sie beugte sich vor. »Verdammt, was treiben Sie hier?«

»Ich brauch einen Absacker.«

»Hier? In diesem …«, Katinka neigte den Kopf, »Etablissement?«

»Ich wohne nicht weit. Finde es ganz schön hier. Nora ist auch eine echt nette Frau.«

»Nicht Ihre Altersklasse.«

»Nee. Eine halbe Generation älter. Vielleicht sogar anderthalb. Ich will sie ja nicht heiraten. Nur ab und zu einen Averna mit Eis trinken.« Er beugte sich vertraulich vor. »Sind Sie beruflich hier?«

Katinka nickte knapp. Sie mochte Dante Wischnewski. Er war ein verlässlicher Typ mit dem untrüglichen Talent, in den belanglosesten Situationen das Neue, Andere und Komische aufzuspüren. Wahrscheinlich hatte er deshalb den Sprung vom Volontär zum Redaktionsmitglied geschafft. Auf einen wie ihn konnte man nicht verzichten, selbst wenn er – zugegeben – mitunter höllisch nervte.

»Verstehe.« Er schälte sich aus seinem Anorak und warf Mütze und Handschuhe auf die Tischplatte. »Und Nora?«

»Musste mal kurz weg.«

Dante grinste listig. »O. k. Also, damit keine Langeweile aufkommt, wissen Sie, was neulich auf dem Weihnachtsmarkt los war? Ich wette, es ist an Ihnen vorbeigegangen. Sie lesen unsere Zeitung ja nicht so fleißig.«

Katinka unterdrückte ein Stöhnen. »Schießen Sie schon los!«

Walt Meier hockte immer noch da und starrte so ergeben auf den Bildschirm, auf dem gerade mehrere Eishockeyspieler in einem unförmigen Knäuel gegen die Banderole krachten, dass es ihr schwerfiel zu glauben, er sei hinter anderen Dingen her als hinter Ablenkung 24 Stunden vor Heiligabend.

»Hören Sie zu?« Dante räusperte sich und setzte sich in Positur, um zu erzählen. »Ist wirklich passiert.« Er legte los:

Haltet den Knecht

Nach meiner sportlichen Karriere habe ich alle möglichen Jobs gemacht: Radkurierin, Club-Med-Ani­mateurin, Entenfutterkontrolleurin. Als Nikolaus jedoch bin ich unschlagbar. Der Bart klebt perfekt, die Kapuze sitzt, und der weite rote Mantel kaschiert die weiblichen Rundungen meines Körpers. Ich bin zufrieden mit der Vermittlung durch die Bundesagentur. Im Dezember gibt es einfach die attraktivsten Jobs. Hier in dieser hübschen Pralinenschachtel des Coburger Marktplatzes muss ich nichts anderes tun, als nach Kindern Ausschau zu halten, mir Gedichte aufsagen zu lassen und Süßigkeiten zu verteilen.

Ich stapfe durchs Gedränge. Zugegeben, der geistige Input lässt bei so einer Arbeit zu wünschen übrig. Vor der Buchhandlung spähe ich kurz auf das Titelblatt der Lokalzeitung, um wenigstens über die Nachrichtenlage Bescheid zu wissen: Juwelierladen Otto Weiß von zwei Maskierten ausgeraubt. Die Täterin ist eine Frau! So what, das Ausrufezeichen sagt alles.

Ist das eine Hektik! Inzwischen wird den Leuten bewusst, dass sie immer noch nicht alle Geschenke beisammen haben, es ist schon der 6. Dezember, auch meine Liste ist noch nicht abgearbeitet. Prinz Albert lächelt von seinem Platz im Zentrum der Weihnachtsbuden entspannt in die Runde. Die Tauben sitzen ihm wie stets auf Kopf und Schultern, aber daran hat er sich schon längst gewöhnt.

Allmählich frieren mir die Zehen ein. Meine Stiefel durchnässen im Schneematsch, da täte ein Humpen Glühwein gut. Komisch, warum geistert eigentlich ein Knecht Ruprecht über den Markt? Zwischen all den blinkenden Lichtern, den hin und her eilenden Menschen, den heruntergeleierten Versen und dem Gedudel aus den Lautsprechern komme ich ins Grübeln: Haben die vom Stadtmarketing nicht mir den Job gegeben? Da war nur von einem städtischen Nikolaus die Rede, und überhaupt: Was ist ein Knecht Ruprecht ohne seinen Bischof?

Sei’s drum. Ich stelle mich beim Glühwein an. Als Nikolaus kommt man kaum zu einer Pause. Schon steht wieder ein Knirps da und knödelt ›Von drauß vom Walde‹. Hübsch macht er das, sackt seine Schokolade ein und stolziert davon wie ein Pfau. Abgekämpft bugsiere ich meinen Heidelbeerglühwein auf den nächstbesten Bistrotisch. Schnell umgeschaut, den Bart zur Seite gezupft und ein paar Schlucke getrunken. Verlockender Bratwurstgeruch weht herbei, aber die große Mahlzeit muss warten. Heute Abend nach Geschäftsschluss hätte ich Zeit auszugehen oder was Feines zu kochen. Schade nur, dass es nicht wirklich den Appetit anregt, wenn das Nachtprogramm anschließend nur aus mir selbst besteht.

Neben mir hievt eine Frau eine gigantische braune Papiertüte auf den Bistrotisch. Sie sieht müde aus, wie die meisten, die noch nach Präsenten suchen, die auch die Schwiegermutter milde stimmen. Sie stellt ihre Handtasche neben die Papiertüte und wühlt darin herum. Dabei kippt die Tüte um und knallt mit Karacho aufs Pflaster. Sie flucht. Ich beuge mich vor. Niklaus ist ein guter Mann.

»Warten Sie, ich helfe Ihnen!« Schon will ich anheben. Die Tüte ist ganz schön schwer.

»Nicht nötig!« Sie reißt mir die braunen Packpapierhenkel aus der Hand.

Ich habe dennoch einen Blick auf den Inhalt geworfen. In diesem Augenblick wächst ein Mädchen mit rosaroten Ohrschützern und ebensolchem Schneeanzug aus dem Boden und trällert ›Am Weihnachtsbaume‹. Da stiehlt sich eine Hand herbei, greift die Tüte.

»He, meine Schokolade!«, lamentiert das süße Bonbonkind, aber ich bin schon unterwegs. Verfolge meinen Knecht quer durch die Spitalgasse. Trainiert bin ich immer noch, sprinte zwischen Einkaufstüten, Nordmanntannen und Heizpilzen hindurch und packe Knecht Ruprecht am Arm. Er ist stark und verzweifelt, aber ich habe die Technik drauf und nehme den Kerl in den Schwitzkasten.

»Rufen Sie die Polizei!«, keuche ich den verblüfft dreinschauenden Passanten zu, die schon auf Sicherheitsabstand gegangen sind. »Der Kamerad hat gerade etwas sehr Wertvolles mitgehen lassen.«

Wie sehr ich damit recht habe, erfahre ich eine Stunde später von Hauptkommissar Gassner, einem smarten Typen in Skianorak und Camelboots, der ganz schwach nach Zigarre riecht. Er hat die Schmuckkassette aus der Tüte geholt und zeigt auf die geprägten Initialen: O. W.

»Juwelier Otto Weiß?«, frage ich. Mir schwant was.

»Clever gemacht«, sagt Gassner. »Wie’s aussieht, haben Sie denen die Übergabe vermasselt. Die Frau haben wir auch. Dieser Herr hier steht schon eine Weile wegen Hehlerei im Verdacht, wir konnten ihm aber nie was nachweisen.« Er mustert mich mit sagenhaften jeansblauen Augen. »Sagen Sie, wie …«

Ich strecke die Hand aus.

»Caren Seidel, vorletztes Jahr deutsche Meisterin im Triathlon.«

Er lacht und schlägt ein. Mein Magen knurrt.

»Wie wäre es mit ein paar Bratwürsten, Frau Nikolaus?«

Ich überlege blitzschnell.

»Gern. Um kurz nach acht, Treffpunkt direkt unter dem Spitaltor?«

Er nickt und winkt mit einer ringlosen Hand. »Bis dann.«

Als er davongeht, bleibt ein Hauch von Zigarrenduft in der Luft schweben.

17 Uhr 10

»Drollig«, kommentierte Katinka. Ihr knurrte der Magen. Die Lasagne musste längst fertig sein. Sie hatte ihre Bestellung vor einer knappen Stunde aufgegeben. Doch von Nora, der Chefin, war immer noch nichts zu sehen. Statt dessen wehte der eisige Wind einen neuen Gast herein. Einen Typen im schwarzen Anzug, dessen fusseliger Dufflecoat über dem Schmerbauch nicht mehr zu ging. Er trug einen Instrumentenkoffer in der Hand und setzte sich so, dass er das Eishockeyspiel sehen konnte.

Dante lachte. »Wie finden Sie die Deko?«

Ein künstlicher Weihnachtsbaum mit Lichterkette warf funzeliges Licht in den Gastraum. Die gedimmte Thekenbeleuchtung trug auch nicht viel zur Helligkeit in der Kneipe bei, aber immerhin sorgte sie für ein gewisses warmes Gefühl. Auf allen Tischen standen jeweils ein Teelicht sowie eine Vase mit einer weißen Rose und einem Fichtenzweig.

»Extrem fantasievoll. Na endlich, da kommt die Chefin wieder.«

Doch sie hatte sich zu früh gefreut. Die Frau, die den schweren Vorhang, der als Windfang dienen sollte, beiseiteschob und den Gastraum betrat, war nicht Nora. Sie trug ein Nikolauskostüm, hielt einen silbernen Bart in der Hand und sah sich müde um. Sie sank auf einen Stuhl an dem Tisch, der der Theke am nächsten stand. Walt Meier glotzte immer noch auf den Bildschirm. Der Mann im Anzug öffnete seinen Koffer und nahm resigniert ein Saxofon heraus. Bedächtig begann er, die Klappen durchzutesten. Ein eigenartiger Geruch drang in die Gaststube.

»Oh, ich glaube, da brennt was an«, sagte die Frau, sprang auf und verschwand in der Küche.

»Die kennt sich hier ja aus«, bemerkte Katinka.

»Das ist Caren Seidel. Die Ex-Triathletin.«

»Spinne ich jetzt?«

Dante grinste. »Ich arbeite bei der Zeitung. Behalten Sie diesen Sachverhalt im Auge.«

»Sie können mich mal.«

Caren Seidel kam aus der Küche zurück. Sie hängte die rote Nikolausverkleidung über eine Stuhllehne. »Wer hatte die Lasagne bestellt?«

Walt Meier schüttelte müde den Kopf. Caren kam zu Katinka und Dante an den Tisch. »Sie?«

»Was, wenn ich jetzt Ja sage?«, fragte Katinka.

»Dann kriegen Sie von mir die Info, dass die Lasagne den Weg alles Irdischen gegangen ist. Verkohlt. Möchten Sie statt dessen gefüllte Paprika?«

»Arbeiten Sie hier?«

»Ich helfe manchmal aus.« Caren verschwand hinter der Theke und kam mit einem Teller Lebkuchensterne und einer Flasche Cynar zurück. »Nora ist heute mit allem spät dran. Weihnachtsstress.« Sie goss drei Schnapsgläser voll. Katinka schob ihres unberührt weg, aber Dante und Caren prosteten sich zu. Allmählich dämmerte Katinka, dieselbe irrwitzige Geschichte von einem Juwelendieb auf dem Weihnachtsmarkt doch in der Zeitung gelesen zu haben. Dante hatte die Story im Fränkischen Tag offenbar groß ausgeschlachtet.

»Ich brauche dringend was zum Aufwärmen«, verkündete Caren und schüttete sich Katinkas Schnaps auch gleich hinter die Binde. »Scheiß-Job, auf dem Weihnachtsmarkt rumstehen und sich Gedichte anzuhören. Am ersten Advent sieht man das noch pädagogisch, aber mittlerweile kann ich die Blagen mit ihren vor Stolz fast platzenden Eltern nicht mehr ertragen. Komisch. Wo Nora bleibt?« Sie streifte den Nikolausmantel ab. Darunter trug sie einen Fleecepulli und Thermohosen.

»Sie wollte kurz was besorgen«, warf Katinka ein. »Ich dachte, Sie hätten auf dem Coburger Weihnachtsmarkt Dienst.«

»Ich wurde gegen den Bamberger Nikolaus ausgetauscht. Nach der Kiste mit dem Juwelenraub hat mir keiner mehr den Weihnachtsmann abgekauft.« Caren musterte Katinka aufmerksam. Nein, du erkennst mich nicht, bat Katinka im Stillen. Du hast mich nie gesehen, weißt nicht, wer ich bin, und du posaunst jetzt bitte nicht in der Gegend herum, dass ich als Privatdetektivin arbeite, dann kann ich meinen letzten Auftrag in diesem Jahr knicken.

Caren Seidel zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. »Ich geh dann mal.« Sie verzog sich in Richtung Küche.

»Sie raucht im Hinterhof«, erläuterte Dante und goss sich einen zweiten Schnaps ein. »Das Zeug macht einem den Glimmer, aber der Magen schätzt die Illusion von Wärme. Das ist mein letzter Winter hier.«

»Ach?«

»Habe mich gerade für ein Masterstudium an der University of California beworben. Wissenschaftsjournalismus, meine Leidenschaft. Ab September bin ich auf und davon! It never rains in southern California.«

»Viel Erfolg.«

Das Eishockeyspiel war zu Ende. Walt Meier streckte und reckte sich. Ein Wettermann erschien auf dem Bildschirm und blickte mit Leichenbittermiene in die Kamera. »Züge stehen still, Autobahnen sind blockiert. Starker Schneefall und ein unerwarteter Temperatursturz haben zu Chaos im Straßenverkehr geführt …«

Der Mann im Anzug unterbrach die Beschäftigung mit seinem Sax und sah sorgenvoll auf den Bildschirm.

»Deswegen habe ich es nicht so mit den Kollegen von der Meteo«, bemerkte Dante. »Warum unerwartet? Die recherchieren einfach nicht präzise genug. Bloody Wetterfrösche!«

Walt Meier stand auf und gähnte. Er schob die Hände in die Taschen und ging den Gang entlang zu den Toiletten.

»Tschüss!« Katinka nickte Dante zu und folgte Walt.

»He, nehmen Sie die richtige Tür!«, krähte Dante ihr fröhlich nach. Sie hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.

17 Uhr 15

Walt Meier trabte an den Toiletten vorbei und öffnete eine Tür am Ende des Ganges, auf der ›privat‹ stand. Die Dunkelheit dahinter verschluckte ihn einfach. Lautlos schlich Katinka ihm nach. Sie stand in einem neuen Korridor, der nur schwach durch ein grünes Schild beleuchtet wurde, das auf den Ausgang hinwies. ›Exit‹ stand darauf, und ein Witzbold hatte das Wort mit einem Edding zu ›Exitus‹ erweitert.

Mucksmäuschenstill stand Katinka da. Sie hörte den Atem des anderen. Walt Meier schien unentschlossen. Dann gähnte er so laut, dass Katinka zusammenzuckte.

Ein matter Lichtschein und eisige Luft drangen herein. Walt hatte die Tür unter dem Exitus-Schild aufgestoßen. Katinka sah seinen Schatten hinaus auf den Hinterhof treten. Schneeflocken umwehten ihn, als er eine Taschenlampe anschaltete und in die Nacht leuchtete. Katinka zog den Schal enger um sich. Verdammte Kälte. Wenn sie an Dante Wischnewskis Bewerbung bei der University of California dachte, könnte sie gelb werden vor Neid. Die Kanaren würden es für ihren Geschmack allerdings auch tun.

Sie blieb direkt unter der Tür stehen. Walt hinterließ breite Abdrücke im frisch gefallenen Schnee. Sie wurden im Nu zugeweht. Das versprach eine wahrlich weiße Weihnacht, wie hoffnungslose Romantiker sie sich wünschten, nur um dann über verschneite Autobahnen und gestrichene Flüge zu lamentieren.

Walt Meier rief etwas in die Dunkelheit, aber Katinka konnte ihn nicht verstehen. Die Windböen verschluckten alle Geräusche. Sie tastete sich an der Hausmauer entlang. Das weit nach außen gezogene Dach sorgte dafür, dass ein paar Handbreit Boden schneefrei blieben. Sie stellte Augen und Ohren auf Empfang. Walt funzelte mit seiner Lampe am anderen Ende des Innenhofes herum. Die Scheune dort drüben warf ihren schwarzen Schatten in den Hof. Katinka zog die Ballonmütze mit dem breiten Schirm tief ins Gesicht. Von fern erklang Hundegebell, das sich für Sekunden gegen den Sturm durchsetzte. Dann war alles still. Und dunkel. Walt hatte die Lampe ausgeschaltet. Nur von der Straße drang das gelbe Licht der Straßenlaterne herüber. Sie baumelte an einer Leitung über der Laurenzistraße und zauberte bizarre Schatten in den Hof.

*