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Das Buch

Startups verheißen Zukunft, sie gelten als der neue Motor unserer Wirtschaft. Weil sie keine starren Gebilde sind, keine Hierarchien kennen, für die Sache kämpfen. Weil sich in Startups brennende Herzen treffen, die ihre Leidenschaften umsetzen und ihren Ideen Taten folgen lassen wollen. Das ist das große Versprechen – doch die Realität sieht oft anders aus: Viele Unternehmer wollen sich nur schnell mal einen modischen Startup-Hut aufsetzen, tragen Sneakers, lassen dafür die Krawatte weg, gehen auf Pilgerreise ins Silicon Valley – haben aber letztlich keinen Schimmer von der echten Startup-Mentalität.

So entstehen Täuschungen und Enttäuschungen. Denn nicht jedes Startup wird zum nächsten Facebook, die allerwenigsten werden die Welt verändern – neun von zehn werden sogar ganz schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Denn trotz Bällebad und Tischkicker sind Startups selten coole Arbeitgeber – sie bezahlen und behandeln ihre Mitarbeiter oft mies und haben ein Frauenproblem. Denn Startups betreiben kein ehrlicheres oder nachhaltigeres Business als die Old Economy – auf der Jagd nach Investorenkapital lügen und betrügen sie so professionell wie alle anderen.

Jochen Kalka entlarvt systematisch die zwölf größten Lügen rund um den Startup-Hype. Zur Warnung für alle, die sich schicke Loungesessel, leckere Gratisdrinks und lockere Umgangsformen in ihrer Firma wünschen.

Der Autor

DR. JOCHEN KALKA, geboren 1964, Germanist und Politikwissenschaftler, ist Chefredakteur von Werben & Verkaufen, Der Kontakter und Lead digital. Als Journalist schreibt er über Medien, Marketing, Unternehmen – und über die digitale Transformation. Deshalb beobachtet er die Startup-Szene seit vielen Jahren sehr genau, recherchierte nicht nur in Berlin und Karlsruhe, sondern war auch im Silicon Valley und in Japan unterwegs. Sogar ein eigenes Startup hat er schon gegründet.


Wie die Existenzgründungs-
euphorie missbraucht wird –
und wer davon profitiert

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ISBN: 978-3-8437-2033-5


© der deutschsprachigen Ausgabe

Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019

Redaktion: Michael Schickerling, schickerling.cc, München

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

»If you think technology can solve all your problems,

then you don’t understand the problems

and you don’t understand the technology.«

(Frei nach Bruce Schneier, Vorwort aus Secrets And Lies, 2000)

Startknopf oder:
Mein Knopf-Startup

Als Sie den Titel Die Startup-Lüge gelesen haben, hatten Sie sicher einen alten Nörgler vor Augen. Einen, der all diese neuen digitalen Dinge ablehnt und alles so lassen will, wie es ist oder wie es im Damals war. Tja, Irrtum.

Mein Problem ist, dass ich das Digitale als völlig normal ansehe – gleichberechtigt neben allen anderen Dingen des Lebens. Dass ich kein durchgeknallter Digitalfaschist bin, der wie irre durch seine gepixelten Pupillen nur noch im Digitalen die Zukunft sieht. Meine Einstellung zu innovativ jonglierten Nullen und Einsen: Ruhe bewahren!

Denn wer cool sein will, so wie ein Startup, wer plötzlich auf Sneakers als Dienstkleidung schwört und Kreativzimmer einrichtet, ist meist alles andere als: cool. Mit Startup-Indikatoren, die in etablierte Unternehmen eindringen, beginnt zumeist eine große Lüge nach der anderen.

Wobei Startup nicht immer digital bedeuten muss. Ich selbst habe mal ein Startup gegründet. Klar, wer nicht? Ich also auch. Eines, das mit der Neuinterpretation eines Knopfs zu tun hat – dazu gleich mehr. Da ein Knopf per se in der breiten Öffentlichkeit als eine Art Antidigital angesehen wird, sehe ich mich zunächst gezwungen, meine völlig private Digitalaffinität zu zelebrieren.

Bei zwanzig habe ich aufgehört zu zählen. Weit mehr als zwanzig Screens finden sich in meinem 4-Personen-Haushalt, davon darf ich ziemlich genau die Hälfte als meine eigenen Devices bezeichnen, Smartphones, E-Book-Reader, Tablets, Netbooks und Laptops. Die Navis, Smartwatches und sechs Fernsehbildschirme noch gar nicht mitgerechnet. Die digitale Welt hat mich erobert, fasziniert mich, ist Teil meines Alltags. Auf all die smarten Möglichkeiten möchte ich nur ungern verzichten, erleichtern sie doch ungemein das Leben, gerade auch das Berufsleben.

Doch längst ist aus der digitalen Euphorie, die auch mich über lange Jahre beschlagnahmt hatte, eine gewisse Ernüchterung geworden, fast so etwas wie eine Vernunft eingekehrt. Die Zahl der Apps ist auf das Maß der relevanten Helfer reduziert worden, aus der Nutzung von Social Media, was mich immer mehr langweilte, sind wieder echte Treffen mit echten Freunden geworden. In Echtzeit, Realtime-Meetings quasi.

Sehr vieles ist einfacher geworden, die Mobilität etwa, sei es über Carsharing, verkehrsmittelübergreifende Apps oder auch Mytaxi und Uber. Gerne übernachte ich in Unterkünften, die von Airbnb oder Wimdu angeboten werden, im Büro unterstützen mich Xing und LinkedIn, aber auch Slack. Für Recherchen bin ich Facebook, Twitter und Instagram dankbar, Pinterest und Whatsapp.

Ich bin Journalist und schreibe über Medien und Marketing, über Unternehmen und Agenturen. Natürlich stehen dabei Themen, die mit der digitalen Transformation zu tun haben, ganz oben. Jede neue digitale Sau, die durch das Dorf getrieben wird, macht meine Redaktion und mich neugierig, oft gar richtig heiß und bringt uns in Form einer Titelstory oder Serie etliche Abonnenten. Weil wir alle wissen wollen, wie das Morgen aussieht. Weil wir eine gern verunsicherte Spezies sind. Weil wir den ­Anschluss nicht verlieren wollen und uns auf dem Stand halten wollen, über Algorithmen, Programmatic, Blockchain, künstliche Intelligenz, über die neuesten Social-Media-Entwicklungen, Studien, Trends, Tools.

Dennoch ist dieses Buch kein Exzerpt meiner beruflichen Erfahrungen. Es ist eine rein private Sicht von ganz persönlichen Momentaufnahmen. Dabei kommen mir meine Erfahrungen des eigenen Startups ebenso zugute wie der kontinuierliche Austausch mit Gründern, Investoren, Inkubatoren, aber auch die aktive Mitarbeit bei Startup-Pitches und die Juryarbeit bei diversen Startup-Wettbewerben. Zudem bieten mir Besuche im Urknallgebiet aller Startups, im Silicon Valley, Einblicke in eine frauenfeindliche, brutale Kultur, die oft an die Anfänge der Industrialisierung erinnern.

Natürlich werden viele durchaus positive Entwicklungen von Startups angeschoben. Von Gründern, die Mut beweisen. Von meist jungen Menschen, die kreativ sind und Ideen haben. Deren Ideen die Welt verändern können, ja, im Idealfall sogar verbessern. Wenn es Google gelingt, binnen weniger Jahre Übersetzungen in und von jeder Sprache dieser Welt in Echtzeit zu bewältigen, beim Telefonieren, Schreiben, Sprechen, dann wäre das eine Grenzsprengung für die ganze Welt. Denn diesen Traum der Echtzeitübersetzungen kündigt Google für das Jahr 2027 an. Wenn man im Jahr 2019 die Übersetzungshilfen von Google schriftlich nutzen will, fühlt man sich oft noch ins Mittelalter zurückversetzt. Es hat einen eigenen Charme, wenn »onion rings« etwa mit »Zwiebel ruft an« übersetzt wird, wie es der Schriftsteller Frank Schätzing in einem Interview mit der Fachzeitschrift Werben &Verkaufen sagte. Aber die Spracherkennung entwickelt sich definitiv äußerst rasant.

Startups sind der Motor der Wirtschaft, die Treibkraft der gesamten Gesellschaft. Sie sind das Morgen, sie sind Lösung, sie sind Zukunft. Ganz gleich, ob in der Kommunikation, in der Mobilität oder auch im Gesundheitswesen. Gerade auch hier wird es durch Startups zu gigantischen Errungenschaften kommen. Weil Startups keine starren Gebilde sind, Hierarchien nicht kennen, weil es bei Startups mehr um die Inhalte als um die Politik geht. Weil sich in Startups brennende Herzen treffen, die ihre Leidenschaften umsetzen, weil sie ihren Ideen Taten folgen lassen wollen. Das ist gut, alles sehr gut, mehr als sehr gut sogar.

Ich selbst habe, wie gesagt, ein Startup gegründet. Nur wusste ich nicht, dass es ein Startup ist. Es war eine Idee, die wir verfolgten. Es war die Erfindung eines Knopfs. Eines Knopfs, den man auf andere Knöpfe, etwa an Hemden oder Blusen, aufschieben kann. Für diese Idee fanden wir keinen Investor, weil wir uns nicht Startup nannten. Wir, das waren Ralf Pioch mit seiner Agentur Adwings in Berlin und ich.

Wir fanden für diese Idee keinen Investor, weil unsere Idee nichts mit dem Digitalgeschäft zu tun gehabt hatte. Jeder potenzielle Geldgeber fand die Idee klasse, jeder hatte eigene Vorstellungen davon, wie man diese Knöpfe nutzen könne. Natürlich eignen sie sich als Schmuckstück. Wer hat schon Hemden mit Manschettenknöpfen? Knöpfe auf Knöpfe schieben schien hier die Lösung für die Welt zu sein. Sie würden sich als Fanartikel eignen. Man stelle sich vor, alle Bayern-München-Fans könnten das Logo ihres Vereins am ganz normalen Alltagshemd tragen, am Ärmel oder an der Knopfleiste. Musikfans könnten ihre Lieblingsbands zur Schau tragen. Besser noch: Versicherungskonzerne könnten ihre Zehntausende von Mitarbeitern mit Firmenlogo ausstatten. Automobilhersteller könnten ihre Käufer mit zwei Manschetten und Markenlogo überraschen. Im US-Wahlkampf müssten 270 Millionen Menschen Elefant oder Esel auf Knöpfen ordern.

Mal im Ernst: Soll das unsere Zielgruppenanalyse gewesen sein? Haben wir je eruiert, ob es für unsere Knöpfe überhaupt einen Markt gibt? Und doch leuchteten die Augen potenzieller Investoren. Nur saß das Geld alles andere als locker.

Jeden einzelnen Schritt machten wir selbst und auf eigene Kosten. In der Werkstatt eines Neuköllner Juweliers bastelten wir den Prototypen, das heißt vor allem Ralf Pioch. Nach mehreren Anläufen erhielten wir darauf sogar ein Patent. Und ständig kamen Rechnungen, mal nur 100 Euro, mal 2500 Euro – ohne Aussicht auf Einnahmen.

Im Ruhrgebiet ließen wir dann das sogenannte Werkzeug erstellen, das weitere Knöpfe verarbeiten kann. Das war die nächste Rechnung. Jetzt konnten wir aber mehrere Prototypen herstellen lassen, gegen eine weitere Rechnung. In China starteten wir die Produktion. In China, wir, zwei Buben im Irgendwo. Doch auch China beginnt mit der Arbeit erst, wenn Geld fließt. Da stellte sich die Frage: Wie viele Knöpfe lassen wir herstellen? Je mehr, desto billiger war die Produktion eines Stücks.

Nun merkten wir, wie teuer unser Knopf werden würde, selbst wenn er in China produziert wurde. Wir erstellten Preislisten. Bei Abnahme eines einzelnen Knopfs hätte man 100 Euro Eigenkosten gehabt. Ab 100 Stück sank der Preis unter 20 Euro. Immer noch der Wahnsinn. Also orderten wir eine vierstellige Anzahl von Knöpfen, um den Preis auf deutlich unter 10 Euro zu drücken. Was folgte, war die bislang größte Rechnung.

Unsere Idee war eigentlich, dass sich jeder auf einer Homepage individuell Knöpfe gestalten und bestellen kann. Dass wir vielleicht Smileys oder andere Klassiker vorgeben. Und, noch besser, dass man den aufschiebbaren Knopf für Werbung nutzen sollte, für Logos, als Manschettenknopf oder am Kragen.

Wir boten das Projekt damals meinem Arbeitgeber an. Abgelehnt. Dann der Firma Kandinsky. Sie erkannte die Idee und sagte Ja. Seither vertreibt Kandinsky den patentierten Knopf exklusiv als Werbeartikel, als sogenannte »Cover-Pins« auf promo-pins.de.

Millionen haben wir mit unserem Startup nicht verdient. Im Gegenteil: Wir haben in den ersten fünf Jahren, bis dieses Buch in Druck ging, mit all den Investitionen ein Minus erzielt. Jahr für Jahr sind die Gebühren für das Patent teurer als die prozentualen Einnahmen, die wir vom Verkauf erhalten. Doch wir lieben unseren Knopf, und wir haben daraus gelernt: wie unternehmerisch gedacht wird. Wie eine eigene Idee, an die man glaubt, von anderen abgelehnt wird. Oder nicht verstanden wird. Oder eben anders aufgenommen wird.

Immerhin: Es war kein Scheitern. Das Produkt gibt es noch. Und irgendwann wird es fliegen. Ja, so geht Startup. Unternehmertum zum Träumen.