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Die Autoren und Beiträger

Dr. Herbert Will ist niedergelassener Psychoanalytiker, Dozent, Supervisor und Lehranalytiker in München und einer der Herausgeber der PSYCHE. Weiteres unter: www.herbert-will.de.

Dipl.-Psych. Yvonne Grabenstedt ist Psychoanalytikerin in eigener Praxis, Mitglied der IPA und der DPG und arbeitet als Dozentin, Lehranalytikerin und Supervisorin an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München.

Dipl.-Psych. Günter Völkl ist niedergelassener Psychoanalytiker, Supervisor und Lehrtherapeut in Passau.

Dip.-Psych. Gudrun Banck ist in eigener Praxis sowie als Dozentin, Supervisorin und Lehranalytikerin an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München tätig.

Dr. Günther Klug ist freier Mitarbeiter an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar der TU München und Psychoanalytiker.

Prof. Dr. med Dr. phil. Dorothea Huber ist Hochschullehrerin an der International Psychoanalytic University, IPU Berlin, und Psychoanalytikerin.

Herbert Will, Yvonne Grabenstedt, Günter Völkl, Gudrun Banck

Depression

Psychodynamik und Therapie

4., überarbeitete Auflage

Mit einem Beitrag von Günther Klug und Dorothea Huber

Verlag W. Kohlhammer

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4., überarbeitete Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

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ISBN 978-3-17-032978-2

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Geleitwort zur vierten Auflage

 

 

Es ist für mich eine große Freude, dass das vorliegende Buch meiner Kolleginnen und Kollegen eine vierte Auflage erfährt. Es spricht für die Qualität dieses Buches, dass es sich einen ersten Platz in der aktuellen Literatur zur Krankheitslehre und Behandlung depressiver Störungen erobert hat.

In den zurückliegenden 20 Jahren seit der ersten Auflage dieses Buches ist die Anzahl depressiver Menschen nicht geringer geworden. Epidemiologischen Schätzungen zufolge erleidet heute fast ein Viertel der Menschen in den westlichen Wohlstandsgesellschaften mindestens einmal im Laufe ihres Lebens eine Depression, die ein weites Spektrum an Erscheinungsformen umfasst. Das Thema bleibt deshalb nach wie vor sehr brisant. Und ebenso reißen die Diskussionen darüber, ob die Depression als eine Krankheit des Individuums oder nicht eher als Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse anzunehmen sei, nicht ab. Denn es kann keinen Zweifel darüber geben, dass soziale Vereinzelung und der Verlust tragender familiärer und gemeinschaftlicher Bindungen eine erhöhte Trennungsvulnerabilität mit sich bringen, dass Arbeitsstress und Versagensängste in vielen Berufen ständig zunehmen und die Angst vor Arbeitsplatzverlust ein labiles Selbstwertgefühl zusätzlich bedrohen kann. Die in Medien suggerierten Leitbilder können völlig übertriebene Erwartungen an das eigene Leben entstehen lassen. So wird nicht selten der Eindruck nahegelegt, dass sich die komplizierte Arbeits- und Berufswelt mühelos mit einer glücklichen Familie mit zwei oder drei Kindern vereinbaren ließe. Und wenn zum Beispiel ein Elternurlaub fast schon wie ein Arbeitsplatzverlust erlebt wird, verdeutlicht dies schlagartig, in welcher hektischen Konsumgesellschaft wir heutzutage leben. Entsprechend müssen sich auch Kinder darauf einstellen, ihre Eltern immer kürzer für sich zu haben, ihnen mit ihrer Anhänglichkeit nicht allzu sehr auf die Nerven zu fallen, früh selbstständig zu werden und sich alleine mit ihrem technischen Spielgerät zu beschäftigen.

Freilich sind diese Faktoren noch nicht ausschlaggebend für die Entstehung einer Depression. Vielmehr spielt hierbei eine Vielzahl an konstitutionellen, intrapsychischen, interpersonellen und sozialpsychologischen Faktoren eine Rolle. Auf alle diese Dimensionen geht das Buch hervorragend ein. In den einleitenden Kapiteln werden die Phänomenologie, Diagnostik, Psychogenese und Psychodynamik verschiedener Formen depressiver Erkrankungen aus psychoanalytischer Sicht präzise beschrieben und in späteren Kapiteln des Buches werden interdisziplinäre Aspekte hinzugefügt.

Herbert Will, Yvonne Grabenstedt, Günter Völkl, Gudrun Banck, Günter Klug und Dorothea Huber stellen als sehr erfahrene Praktiker und Psychotherapieforscher der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München ihr Erfahrungswissen für angehende, aber auch bereits längere Zeit praktizierende analytische Psychotherapeuten bereit. Anhand zahlreicher Fallbeispiele diskutieren sie den angemessenen Umgang mit depressiven Patienten und teilen zumeist auch ihre Gegenübertragungseindrücke mit, die angesichts depressiver Patienten von intensivem Mitgefühl bis hin zu heftigen aggressiven Emotionen und Hoffnungslosigkeit reichen können.

Das vorliegende Buch fasziniert aber nicht nur wegen des detailliert dargebotenen, klinischen Erfahrungswissens, sondern es ist auch eine sehr gelungene Einführung in die klinisch-psychoanalytische Theorie der Depression, die in dieser Ausführlichkeit und Differenziertheit in kaum einem anderen Buch angeboten wird.

Das Kapitel über Psychotherapieforschung bei depressiven Störungen gibt schließlich noch einen informativen Überblick über bedeutsame Forschungsarbeiten, die seit geraumer Zeit in der Psychoanalyse durchgeführt werden. Die seit Anfang 2000 begonnene engagierte Forschungsstudie von Dorothea Huber und Günter Klug verdient besondere Beachtung. Angesichts der äußerst geringen Forschungsgelder, die für die psychoanalytische Psychotherapieforschung bereitgestellt werden, grenzt es nahezu an ein Wunder, dass sich die Beforschung von Langzeittherapien gegenüber einer mit vielen Millionen von der Pharmaindustrie gesponserten Forschung über Antidepressiva behaupten kann; aber dies ist hier tatsächlich der Fall.

Die vierte Auflage wurde erneut von Herbert Will und seinen Koautoren überarbeitet und kann allen an dieser Thematik Interessierten mit Nachdruck zur Lektüre empfohlen werden, die anhand der eingestreuten Vignetten immer anschaulich, fesselnd und zugleich auch kurzweilig sowie sehr informierend bleibt.

 

Wolfgang Mertens
München, September 2018

Inhalt

 

 

  1. Geleitwort zur vierten Auflage
  2. Vorwort zur ersten Auflage
  3. Vorwort zur vierten Auflage
  4. I Einleitung
  5. 1 Eine Phänomenologie in Träumen (Herbert Will)
  6. 1.1 Typische Träume Depressiver
  7. 1.2 Empirische Studien über die Träume Depressiver
  8. 1.3 Selbstbeschreibung und Selbsteinschätzung neurotisch Depressiver
  9. 2 Ein Behandlungsbericht (Günter Völkl)
  10. 3 Psychotherapieforschung bei depressiven Störungen (Günther Klug, Dorothea Huber)
  11. 3.1 Psychodynamische Kurzzeitpsychotherapie
  12. 3.2 Psychodynamisch-psychoanalytische Langzeitpsychotherapie
  13. 3.3 Sidney Blatts Arbeiten
  14. 3.4 Zusammenfassung und Ausblick
  15. II Krankheitslehre
  16. 4 Häufigkeit und Verlauf (Herbert Will)
  17. 4.1 Häufigkeit, Geschlecht, Alter und soziale Schicht
  18. 4.2 Krankheitsverlauf
  19. 4.3 Psychotherapeutische Versorgungslage. Zusammenfassung
  20. 5 Diagnose und Differentialdiagnose (Herbert Will)
  21. 5.1 Symptomatik
  22. 5.2 Diagnostik nach ICD-10 und DSM-IV
  23. 5.3 Differenzialdiagnose – psychiatrisch, psychosomatisch und psychoanalytisch
  24. 5.4 Psychoanalytische Diagnostik
  25. 5.5 Typische Gegenübertragungen im Erstgespräch
  26. 5.6 Zur Interventionstechnik im Erstgespräch mit Depressiven
  27. 5.7 Zusammenfassung
  28. 6 Ätiologie und Psychogenese (Herbert Will)
  29. 6.1 Ätiologie
  30. 6.2 Psychogenese
  31. 6.2.1 Die »böse« Mutter
  32. 6.2.2 Die »tote« Mutter
  33. 6.2.3 Die doppelte Enttäuschung
  34. 6.2.4 Urverstimmung, Hilflosigkeit, Rückzug und Passivität
  35. 6.2.5 Introjektion, narzisstische Identifizierung und Über-Ich-Bildung
  36. 6.2.6 Zusammenfassung
  37. 7 Psychodynamik (Herbert Will)
  38. 7.1 Zentrale Konflikte und Mechanismen
  39. 7.1.1 Der depressive Grundkonflikt
  40. 7.1.2 Orale Konflikte und Regressionen
  41. 7.1.3 Selbstwertkonflikte
  42. 7.1.4 Über-Ich- und Schuldkonflikte
  43. 7.1.5 Verlust, Hilflosigkeit und die akute Depression
  44. 7.1.6 Die Fähigkeit zur Depression
  45. 7.2 Der Einfluss der psychischen Struktur
  46. 7.2.1 Borderline-Depression
  47. 7.2.2 Neurotische Depression auf mittlerem Strukturniveau
  48. 7.2.3 Neurotische Depression – gut strukturiert
  49. 7.3 Familiendynamik und Beziehungsverhalten (Günter Völkl)
  50. III Behandlung
  51. 8 Literaturstationen der Behandlungstechnik (Yvonne Grabenstedt)
  52. 8.1 Erforschung und Behandlung der Depression bis 1930
  53. 8.2 Das Ich gewinnt an Einfluss
  54. 8.3 Unter dem Einfluss der Objektbeziehungstheorien
  55. 8.4 Selbstpsychologische Behandlung der Depression
  56. 8.5 Die Beziehung im Zentrum
  57. 8.6 Interaktionsmodelle in der Depressionsbehandlung
  58. 9 Indikation und Prognose in der Depressionsbehandlung (Yvonne Grabenstedt)
  59. 9.1 »Objektive« Indikation
  60. 9.2 Differenzialindikation
  61. 9.3 Adaptive Indikation vs. selektive Indikation Gedanken zur Festlegung des Settings, des Rahmens, der Behandlungsfrequenz
  62. 9.4 »Subjektive« Indikation
  63. 9.5 Prognose
  64. 10 Übertragung und Behandlungsverlauf (Gudrun Banck)
  65. 10.1 Übertragung als Beziehung
  66. 10.2 Die Eingangsphase
  67. 10.3 Die mittlere Phase
  68. 10.4 Die Endphase
  69. 10.5 Zusammenfassung
  70. 11 Gegenübertragung (Günter Völkl)
  71. 11.1 Begriffsgeschichte
  72. 11.2 Spezielle Gegenübertragungen bei depressiven Patienten
  73. 11.2.1 Angst in der Gegenübertragung
  74. 11.2.2 Aggression in der Gegenübertragung
  75. 11.2.3 Klinische Beispiele für Gegenübertragungsreaktionen
  76. 12 Spezielle Aspekte in der Behandlung depressiver Patienten (Yvonne Grabenstedt)
  77. 12.1 Enttäuschungserwartung und Enttäuschungsbereitschaft
  78. 12.2 Ambivalenz und Anpassungsbereitschaft
  79. 12.3 Die Aggressionsdebatte
  80. 12.4 Umgang mit Hoffnungslosigkeit und Schweigen
  81. 12.5 Suizidalität (Herbert Will)
  82. IV Blick über den Zaun
  83. 13 Interdisziplinäre Aspekte
  84. 13.1 Emotionsforschung (Günter Völkl)
  85. 13.1.1 Theorien der emotionalen Entwicklung
  86. 13.1.2 Affektentwicklung und Depression
  87. 13.2 Bindungstheorie und Säuglingsforschung (Günter Völkl)
  88. 13.2.1 Bindungstheorie
  89. 13.2.2 Säuglingsforschung
  90. 13.2.3 Anwendungen für die Therapie depressiver Störungen
  91. 13.3 Kognitive Verhaltenstherapie der Depression (Yvonne Grabenstedt)
  92. 13.4 Transkulturelle Aspekte der Depression (Günter Völkl)
  93. 13.4.1 Zur Epidemiologie der Depression
  94. 13.4.2 Kulturspezifische Symptomatik
  95. 13.4.3 Gibt es depressive Gesellschaftsstrukturen?
  96. Literaturverzeichnis
  97. Sachverzeichnis

Vorwort zur ersten Auflage

 

 

Spezielle Fragen zur psychoanalytischen Behandlung depressiver Patienten haben bisher weniger Aufmerksamkeit gefunden als die Theorie der Depressionen, zu der es eine fast uferlose Literatur gibt. Dies hängt damit zusammen, dass die psychoanalytische Behandlungstechnik in der Arbeit mit unterschiedlichsten Patienten entwickelt wurde und aufgrund ihrer inneren Flexibilität nicht an Diagnosen oder Krankheitsbildern orientiert ist. Im Gegensatz zu anderen Psychotherapieverfahren, die – zumindest in ihrer Behandlungstheorie – diagnosenspezifisch (»störungsspezifisch«) vorgehen, arbeitet die psychoanalytische Therapie patienten-, konflikt- und übertragungsorientiert. Sie geht von dem Material aus, das der Patient, in jeder Behandlungsstunde neu, bewusst erzählt und unbewusst darstellt. Im Verlauf der bisher hundertjährigen Entfaltung psychoanalytischer Behandlung haben sich die unterschiedlichsten Settings entwickelt – von der hochfrequenten Analyse über drei-, zwei- und einstündige analytische, modifizierte oder tiefenpsychologische Psychotherapie bis zur Krisenintervention, Gruppenanalyse und stationären Psychotherapie –, doch bei allen werden im Wesentlichen die Grundtechniken des Analysierens und der Beziehungsarbeit eingesetzt (Treurniet, 1993; Kernberg, 1994; 1999), die man je nach Indikation, Setting und Patient variieren kann.

Warum dann unser Buch? Freud (1909) hatte in seinem Vortrag über »Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie« zu den Fortschritten der Behandlungstechnik angemerkt: »Wir nähern uns jetzt auch der Einsicht, daß die analytische Technik je nach der Krankheitsform und je nach den beim Patienten vorherrschenden Trieben gewisse Modifikationen erfahren muß« (S. 108). In den letzten Jahrzehnten gab es gegenüber Freuds Zeiten tatsächlich große Fortschritte nicht nur bei behandlungstechnischen Modifikationen – wir denken etwa an die psychoanalytische Therapie von Borderline-Patienten, Essstörungen oder psychosomatischen Patienten. Wesentliche Fortschritte ergaben sich vor allem auch durch die systematische Einbeziehung der Gegenübertragung in unsere Arbeit und durch die Erweiterung der Übertragungsanalyse im Hier und Jetzt. Dadurch entstand ein ganz neuer Bereich des praktischen Behandlungswissens: von Übertragung/Gegenübertragung, Beziehungsgestaltung, Inszenierung, Intersubjektivität, Interaktion zwischen Patient und Analytiker, den die klassischen und die ich-psychologischen Autoren noch kaum hatten berücksichtigen können. Und hier zeigt sich, dass die Krankheitsform – ob überwiegend depressiv, zwanghaft, hysterisch usw. – erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung der psychoanalytischen Arbeit bekommt.

Die feineren Töne der psychoanalytischen Technik lassen sich schwerlich in einem Therapiemanual abhandeln, sie werden in der Regel in kasuistischen Seminaren, Supervisionen und kollegialen Fallbesprechungen diskutiert. Mit diesem Bereich des klinischen Erfahrungswissens wollen wir uns in unserem Buch beschäftigen. Es ist praktisch orientiert mit den Vorteilen der Lebendigkeit und – wie wir hoffen – Brauchbarkeit, wobei unumgänglich war, dass wir uns als Autoren in unseren Fähigkeiten und Grenzen zeigen mussten. Dafür bitten wir die Leser um Nachsicht. Auch bei den Fallbeispielen war es unumgänglich, manches Persönliche der Menschen zu offenbaren, die bei uns Hilfe gesucht haben. Wir haben uns viel Mühe gegeben, dieses Material so zu anonymisieren, dass sie sich nicht verraten fühlen, und praktisch gesehen: dass sie für Außenstehende nicht zu identifizieren sind (dabei sind wir vorgegangen nach den Maßstäben von Gabbard & Williams, 2001).

Zur Orientierung der Leser möchten wir kurz unseren klinischen Hintergrund erläutern. Wir sind niedergelassene Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker und in der Lehre tätig an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München (Institut der DGPT), teils auch als Supervisoren und Lehranalytiker. Drei haben eine psychologische, einer eine ärztliche Grundausbildung. Unsere wissenschaftlichen Tätigkeiten und beruflichen Erfahrungen in Institutionen sind vielfältig: Drogenklinik, Leitung einer studentischen Beratungsstelle, Erziehungsberatung, psychiatrisch-neurologische Kliniken, stationäre Psychosomatik, Leitung einer Universitätsambulanz für Psychosomatik und Psychotherapie. Dass wir zusätzlich zur Psychoanalyse ursprünglich auch andere Psychotherapieverfahren erlernt haben (Verhaltens-, Gruppen-, Familientherapie usw.), versteht sich von daher von selbst. Die depressiven Patienten, die wir in der psychoanalytischen Praxis behandeln, kommen teils einstündig zu Kurztherapie und tiefenpsychologischen Behandlung, einige variabel im Setting. In der Langzeitbehandlung kommen die Borderline-Depressiven zweistündig im Sitzen, die ich-stärkeren Patienten dreimal die Woche und liegen meist auf der Couch; die Behandlung dauert meist zwischen 250 und 400 Stunden, die längsten bis ca. 600 Stunden. Auf diesen Erfahrungsschatz beziehen wir uns in diesem Buch, und natürlich auf die kumulierte Erfahrung und Reflexion in der Literatur.

Die einzelnen Kapitel haben wir gemeinsam diskutiert, doch ist jeder Autor für die von ihm gezeichneten Texte verantwortlich. Eine durchgehende einheitliche Meinung hätten wir nie erreichen können, dafür sind wir zu verschieden. Wir hoffen, dass sich den Lesern etwas von der dialogischen Entstehung unseres Buches mitteilt. Denn depressive Patienten zu behandeln bringt manche Düsternis mit sich, die sich im Austausch mit anderen erleichtern lässt. Nicht selten entstand dabei in unserer Gruppe – ganz depressionsuntypisch – sogar ein Gefühl von Freude und Befriedigung.

München, im Oktober 1997

Gudrun Banck

Yvonne Grabenstedt

Günter Völkl

Herbert Will

Vorwort zur vierten Auflage

 

 

Mittlerweile ist unser Depressions-Buch so etwas wie ein Klassiker geworden. Wir lassen deshalb in der vierten Auflage weite Passagen in ihrer bisherigen, bewährten Fassung stehen. Kleinere Korrekturen und Ergänzungen wurden eingefügt. Das Kapitel zur Psychotherapieforschung I.3 von Klug/Huber wurde grundlegend überarbeitet, da in diesem Feld in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte zu verzeichnen sind. Hier möchten wir noch einige Hinweise zur aktuellen Literatur geben.

Der Band von Leuzinger-Bohleber, Bahrke und Nägele (2013) über chronische Depression gibt Auskunft über die Grundlagen der großen Frankfurter LAC-Studie, die psychoanalytische und verhaltenstherapeutische Behandlungen depressiver Patienten vergleicht. In einer eindrucksvollen Einzelfallstudie beschreibt Ingeborg Goebel-Ahnert (2017) den Verlauf der analytischen Behandlung einer jungen Depressiven und zeigt, wie es zur nachhaltigen Besserung der Symptomatik und zu Veränderungen in wichtigen Persönlichkeitsbereichen und im Beziehungsgefüge kommt. Überzeugende und aktuelle Einführungen in die psychoanalytische Theorie und Behandlung depressiver Störungen bieten Huber & Klug (2016) und Böker & Himmighoffen (2017). Ein hervorragender Einblick in die mentalisierungsbasierte, psychoanalytisch orientierte Therapie von Depressionen findet sich bei Lenka Staun (2017). Beiträge der Bindungstheorie zum Verständnis depressiver Störungen finden sich in den Bänden von Strauss (2008) und Brisch (2017). Ein hochinteressanter Text zur neuro-psychoanalytischen Grundlagenforschung ist Watt & Panksepp (2009). Die Autoren vertreten die These, dass Depression ein evolutionär konservierter Mechanismus der Stilllegung (shutdown) ist mit dem Ziel, anhaltenden Trennungs-Distress zu beenden. Sie begründen dies durch eine ganze Reihe neurobiologischer Korrelate, die eine interaktive und synergetische »depressive Matrix« bilden, aus der die außerordentliche Vielfalt von Erscheinungsbildern, Verläufen und Behandlungsmöglichkeiten depressiver Störungen resultiert. Blatt, Luyten & Corveleyn (2005) schließlich stellen einen sehr interessanten transtheoretischen Ansatz vor. Sie beschreiben zwei primäre Nuklei der Depression: Eine interpersonale oder anaklitische Vulnerabilität, zu der Verlusterfahrungen und Einsamkeitsgefühle zählen, und eine introjektive Vulnerabilität mit Auswirkungen auf die Selbstdefinition. Sie umfasst Versagensgefühle und den Verlust der Selbstachtung und des Selbstwertgefühls.

Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern viel Vergnügen bei der Lektüre und Hilfestellung beim Verstehen und Verarbeiten jener Zumutungen, die depressive Emotionen und Beziehungsmuster für alle Beteiligten bedeuten.

München, im September 2018
Die Autorinnen und Autoren

Korrespondenzadresse: herbert.will@gmx.de

 

 

 

I          Einleitung

1          Eine Phänomenologie in Träumen

Herbert Will

 

Was unterscheidet Depressive von anderen Menschen? Ist es ihre Klugheit, die sie klarer sehen lässt, was mit ihnen und den anderen Menschen ist? Ist es ihr Realismus, der sie unbestechlich macht gegen Selbsttäuschung, Beschönigungen und platten Optimismus? Ist es ihre emotionale Ansprechbarkeit, ihr Feingefühl, das sie empfänglich werden lässt für das Unglück der Welt (und ihrer selbst), über das andere allzu leichtfüßig hinweggehen? Ist es ihr Leiden an der kulturellen Manie unserer Welt mit ihrem aktiven, positiven, unternehmungslustigen, leistungs- und genussorientierten Versuch, die Abgründe des menschlichen Lebens zu überspielen? Burton (1651) meinte in seiner »Anatomie der Melancholie«, dass nur die Dummköpfe und die Stoiker niemals melancholisch würden, weil sie blutlos und ohne Schmerzempfinden vor sich hinlebten, von keinerlei wirklichen Leidenschaften heimgesucht.

Die erste Referenz für eine Phänomenologie der Depression bleibt Burtons Klassiker aus dem Jahr 1651. In ihm ist die ganze antike und mittelalterliche Literatur zur Melancholie verarbeitet. Das überwältigende Material, das Burton ausbreitet, stellt unmissverständlich klar, wie willkürlich die Trennung zwischen Melancholie als Lebenshaltung und Depression als Krankheit ist.1 Unterschiedlichste Autoren haben sich in seiner Nachfolge mit den historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen von Melancholie und Depression auseinandergesetzt (z. B. Lepenies, 1969; Horstmann, 1985; Földenyi, 1988; Klibansky et al., 1990; Binkert, 1995) und gezeigt, dass man von der Phänomenologie der Depression überhaupt nicht sprechen kann, sondern dass sowohl das Erscheinungsbild wie das Selbstverständnis der Depressiven und ihre gesellschaftliche Bewertung höchst zeitbedingt sind.

Sollen wir angesichts der Fülle der Literatur noch einmal die depressiven Menschen beschreiben, ihr Erleben, Verhalten und ihre Beschwerden, oder hieße dies nicht, wie schon Burton (1651) spitzzüngig meinte, »crambem bis coctam apponere« – aufgewärmten Kohl servieren – immer wieder das gleiche, nur mit neuen Worten (S. 26)? Ich möchte vielmehr auf zwei neuere Bücher hinweisen, in denen Depressive sehr eindrucksvoll von ihrer eigenen Krankheit berichten: Das eine ist der Bericht der bekannten amerikanischen Depressions-Forscherin Jamison (1995) über ihre eigene manisch-depressive Erkrankung von bislang 30-jährigem Verlauf mit all ihren Höhen und Verzweiflungen, mit ihren Kämpfen gegen die schließliche Akzeptanz der Lithium-Dauermedikation und über ihre analytische Psychotherapie, die ihr das Leben gerettet habe. Das andere Buch ist der Bericht des holländischen Psychiaters und Psychoanalytikers Kuiper (1988) über seine depressive Erkrankung, die in höherem Lebensalter auftrat und psychotisches Ausmaß annahm; besonders beeindruckend in der Beschreibung der »Schuldhölle«, in der er sich gefangen sah. Sigmund Freud selber hatte mit depressiven Verstimmungen zu kämpfen (Haynal, 1976); die »Traumdeutung« von 1900 hatte, wie Freud erst nach ihrer Fertigstellung bemerkte, die subjektive Bedeutung, via Selbstanalyse den Tod seines Vaters zu verarbeiten, was, wie Anzieu (1975) in seinem Buch über Freuds Selbstanalyse meinte, erheblichen Einfluss auf die Formulierung »antidepressiver« Konzepte in der Psychoanalyse hatte, insbesondere ihrer lebensvollen ökonomischen und dynamischen Annahmen. Auch Freuds immenses Arbeitspensum und seine Zigarrensucht können subjektiv der Depressionsabwehr gedient haben. So gehören zur Phänomenologie der Depression offensichtliche depressive Beschwerden ebenso dazu wie eine wirkungsvolle antidepressive Abwehr.

Gute Beschreibungen der Persönlichkeitszüge Depressiver finden sich vielerorts, beispielsweise bei Riemann (1961), Tellenbach (1961) und, mit Schwerpunkt auf der narzisstischen Depression, bei Wunderlich (1989). Ich habe in einer früheren Arbeit versucht, die depressive Phänomenologie mit den psychodynamischen Wahrnehmungsmustern der Psychoanalytiker zu verbinden (Will, 1994, 1997) und dabei fünf Typen der Depression unterschieden: eine Über-Ich- oder Schuld-Depression, eine oral-abhängige Depression, eine Ich-Depression, eine narzisstische Depression und eine realistische oder schöpferische Depression. Hier möchten wir einen anderen Weg einschlagen, um einen Einblick in das typische Erleben und die Beziehungsgestaltung Depressiver zu gewinnen. Ihre Träume, erzählt in den Behandlungen, stellen ihre Erlebensweisen oft wunderbar plastisch dar. Im Folgenden gebe ich einige Traumberichte wieder, und zwar unter dem Aspekt ihres manifesten Inhalts. Einen Traum in seinen unbewussten Zusammenhängen verstehen kann man nur anhand der Assoziationen des Träumers und der Einbettung in die jeweilige Behandlungsszene; doch einen Einblick in die bewusstseinsnahe Phänomenologie können auch die manifesten Träume geben. Ich habe Träume von unseren Patienten ausgewählt, die kurz und prägnant sind (die Beispiele stammen von den Mitgliedern unserer Arbeitsgruppe); die meisten von ihnen sind sogenannte Initialträume – die ersten während einer Behandlung erzählten Träume – in denen zentrale Erlebnismuster oft besonders eindringlich dargestellt sind.

1.1       Typische Träume Depressiver

Ein Kennzeichen der Träume Depressiver scheint nach unserer Erfahrung zu sein, dass in ihnen fast durchgehend Objektbeziehungen thematisiert sind. Dies verwundert nicht, denn Depressive sind in aller Regel stark auf andere Menschen bezogen, und selbst wenn sie einsam sind und sich isoliert fühlen, drehen ihre Träume sich um sie selbst in ihrer Beziehung zu anderen. Träume sexuellen Inhalts sind bei Depressiven selten; sie tauchen meist erst bei weit fortgeschrittenen Behandlungen auf und zeigen die wachsende Möglichkeit zu lustvollem Erleben. In den Träumen Depressiver fanden wir folgende typische Themenbereiche:

Ideale Beziehungserwartung und Enttäuschung

Eine 34-jährige Pädagogin, die während der letzten Jahre in einem Kloster gelebt hatte, berichtet im ersten Vorgespräch, dass sie geträumt habe: Ich wollte es doch nochmal versuchen mit dem Kloster und dann vielleicht doch bleiben. Sie erzählt, dass sie nicht zurück ins Kloster wolle, weil die Kontakte dort so künstlich und geregelt waren, weil so viel verboten war und es keine Gegenseitigkeit der Schwestern im Gespräch gab. Aber sie sehne sich so stark zurück dahin, weil sie sich dort so vollkommen geborgen gefühlt habe; sie müsse oft daran denken und vor Sehnsucht weinen. Der Traum hat diesen Wunsch dargestellt. Der Analytiker fühlt sich einerseits befremdet und denkt, »Jetzt kommt sie zu mir, und eröffnet mir gleich, dass es dort, was die Geborgenheit angeht, unvergleichlich schön war, wie wird es hier wohl werden?«, andererseits kann er ihre Sehnsucht nach Harmonie und Nähe in der Beziehung sehr gut nachempfinden.2 Monate später, sie hat sich mit einem Mann angefreundet, träumt sie einen Wunscherfüllungstraum: Wir sitzen zusammen auf einem Hügel und schauen in eine wunderschöne Landschaft. Er sitzt hinter mir und ich sitze zwischen seinen Beinen und lehne mich an ihn, er hat einen Arm um mich, ich fühle mich so sicher und aufgehoben, es ist ganz ruhig und schön. In der Realität schlägt sie sich mit vielen Schwierigkeiten und Selbstunsicherheiten in der Beziehung herum, es brodele und koche in ihr, doch hat ihr Unbewusstes nun ihren Wunsch, der zunächst dem Kloster galt, in die Objektbeziehung transponiert; dass dieser Wunsch sich in der Übertragung zentral auch auf den Analytiker richtet, ist klar. Die meisten Depressiven erhoffen sich so eine Beziehung, auch in der Analyse, die konfliktfrei sei, geprägt von Harmonie, gegenseitigem Einverständnis, Unterstützung, Nähe, Rückhalt und Geborgenheit.

Der erste Traum einer 29-jährigen Jurastudentin, die sich alt und hässlich findet im Vergleich zu ihren Mitstudenten, handelt von einem Kommilitonen, der jung und schön ist. Wir haben uns geküsst und waren zärtlich zueinander. Aber ich habe es nicht genossen, weil ich das Gefühl hatte, er wird mir eh nur wehtun und mich verletzen. Das kann ja nichts werden. Dies entspreche ihrer wirklichen Erfahrung mit verschiedenen Männern. Zwei Therapiestunden später berichtet sie einen ähnlichen Traum: G. und ich haben uns öfters getroffen, waren auch zärtlich zueinander und haben uns geküsst, aber von seiner Seite hat er mich im Unklaren gelassen und mich hingehalten. Das war ganz schrecklich für mich. Sie kenne das Gefühl von früheren Beziehungen. Ihre ideale Beziehungshoffnung hat sie ihrem männlichen Gegenüber zugeschoben und mit einer Enttäuschungserwartung verbunden. Den Analytiker beschleicht der Gedanke, dass sie mit diesen Träumen ihre initiale Beziehungserwartung an ihn thematisiert. Doch respektiert er die Verschiebung im Traum auf die jungen und schönen Männer und spricht die Liebeswünsche der Patientin in ihrer Übertragungsbedeutung zu diesem frühen Zeitpunkt der Analyse nicht an; vielmehr legt er den Schwerpunkt auf den jeweiligen negativen Schlenker, der die schöne Situation zu zerstören droht und die Leidenserwartung der Patientin ausdrückt. Daraufhin – durch die Thematisierung des Negativen erleichtert – kann sie in der nächsten Stunde von ihren Zweifeln an dem Wert der Analyse und ihrem Misstrauen gegenüber dem Analytiker sprechen.

Ein 27-jähriger Soziologe erzählt im zweiten Vorgespräch folgenden Traum: Ich sitze hier bei Ihnen und Sie hören mir nicht zu. Unter der Oberfläche brodelt es bei mir, die Kehle ist mir zugeschnürt. Ich bin im Traum herausgeplatzt und habe sehr laut gesagt: Sie sind doch dafür da, mir zuzuhören! Er habe sich im Traum sehr verletzt und enttäuscht gefühlt, und diese Gefühle seien ihm sehr bekannt. Der Analytiker empfindet dies als eine »Warnung« des Patienten, er solle ihn gut und einfühlsam behandeln. (Tatsächlich ist das eine Grunderfahrung vieler Depressiver, dass niemand ihnen wirklich sein Ohr geliehen hat; sie sehen sich in ihren positiven Beziehungserwartungen zurückgewiesen und haben das Empfinden, sie könnten nichts daran ändern; wenn es hoch kommt dagegen protestieren, was jedoch auch nichts bewirke). Einige Stunden später träumt er: Ich bin in der Arztpraxis bei einem Orthopäden und musste etwas abholen. Die Arzthelferinnen haben mich einfach nicht beachtet. Am Ende habe ich mich in eine Ecke gekauert. Ihm fällt dazu ein, dass er sich in der Situation der Analyse so hilflos fühle, wenn er seinen ganzen Schrott hier ablade, weil er sich so unsicher sei, ob es das Richtige sei, was er erzähle, und dass die anderen einfach denken, das sei bescheuert, was er sage; so eine Minderwertigkeitswahrnehmung. 1 ½ Jahre später berichtet er: Ich habe geträumt hier von der Stunde. Ihre Aufmerksamkeit geht weg von mir. Sie machen sich etwas zu essen, holen die nächste Patientin rein, machen saloppe Bemerkungen, Sie duzen mich. Da ist so eine Nachlässigkeit von Ihnen. Ich ärgere mich und protestiere dadurch, dass ich die Türe beim Gehen offen stehen lasse. Er erzählt dann von einer unglücklichen Liebe, wo er erlebt habe, wie er, je mehr seine Zuneigung wuchs, umso mehr indirekt auf eine Ablehnung zusteuerte. Es fehle ihm das Vertrauen darauf, dass eine Beziehung als solche tragen könne. Einige Wochen später, nach einiger analytischer Arbeit, kann er träumen: Wir treffen uns hier und Sie schlagen vor, dass wir spazierengehen und eine Ortsbesichtigung machen von dem, was mit mir zusammenhängt. In der Übertragung scheint sich eine negative, typisch depressive Beziehungserwartung gelöst zu haben, und sein positiver Wunsch an den Therapeuten kann nun im Traum deutlich dargestellt werden.

Ausgenützt und verraten

Eine 35-jährige Erzieherin trauert noch immer ihrem ersten Freund nach, der ihre große Liebe gewesen sei; dass er sich von ihr getrennt hat, habe sie bis heute nicht überwunden. Wie viele Depressive hat sie die Phantasie von einem paradiesischen Zustand, der jedoch unwiederbringlich verloren oder nie erreichbar ist. Diese Phantasie erleichtert es, sich mit ihrer eigentlich unerträglichen gegenwärtigen Lebenssituation abzufinden. Denn sie hatte später einen Mann geheiratet, der enorm viel Unterstützung von ihr fordert und erhält. Wenn es ihr zuviel wird, reagiert sie mit unterschwelliger Verweigerung und innerem Rückzug, jedoch ohne etwas zu sagen (nach dem Motto: »Du wirst schon sehen, wie du mich ruinierst«), was ihr Mann mit Vorwürfen und verstärkten Forderungen beantwortet. Aus eigener Selbstunsicherheit heraus ist sie schnell misstrauisch und eifersüchtig, wie er mit anderen Frauen umgehe. Ihren ersten Traum berichtet sie in der 75. Stunde, dass ich meinen Mann getroffen habe, wo eine andere Frau dabei war (eine Schulfreundin des Mannes). Ich wollte gern wissen, wie die Beziehung zwischen den beiden wirklich aussieht. Ich hatte das Gefühl, dass ich ausgenützt werde. Die Analytikerin fühlt sich wie so oft aufgerufen, sie gegen den Mann zu unterstützen und ihr aus der unglücklichen Abhängigkeit von ihm herauszuhelfen. Sie freut sich aber auch, dass die Patientin sich inzwischen mit der analytischen Haltung identifiziert hat (indem sie im manifesten Traum wissen möchte, wie die Beziehung zwischen den beiden wirklich aussieht).

Ein 33-jähriger Jurist träumt: Ich war auf einem Ausflug mit einer Bekannten. Wir hatten eine Panne mit dem Auto. Sie verschwand dann einfach und ließ mich sitzen. Ich saß eine Woche mit dem kaputten Auto da, und am Schluss wurde mir dann noch mein Geldbeutel und der Schlüssel gestohlen. Er verbindet Enttäuschung und Vorwurf mit dem Verhalten der Bekannten, und ein Gefühl von Pessimismus und Vergeblichkeit (»bei mir geht sowieso immer alles schief«) mit seinen Unternehmungen.

Dem Analytiker kommen Gedanken wie: »Was lässt der nur alles mit sich machen; sitzt da und beklagt sich darüber; dabei könnte er doch so viel ändern«, und fühlt sich momentan eher distanziert von ihm (komplementäre, herablassende Gegenübertragung). Schließlich kommt der Patient mit verzweifeltem Druck auf seine berufliche Unsicherheit zu sprechen und die quälende Frage, was wohl aus ihm werden solle. Deutlich wird, wie er das negative Selbsterleben im Traum generalisiert und in seinen Assoziationen auf sein ganzes Leben ausdehnt; wie versteckt seine vitalen Impulse – Autofahren, Ausflug mit Freundin – sind, und wie quälend er den mangelnden Zugang zu seiner Lebenskraft empfindet.

Hilflos und verzweifelt

Folgender Traum stammt von einem 25-jährigen Studenten, der in der Kindheit bei Mutter und Vater auf viel Unverständnis getroffen war: Ich habe heute einen Traum mit einem Embryo gehabt. Es war eine Frau, die ihren Enkel auf dem Arm gehabt hat, ein Baby war das. Das war in meinem Heimatort, ich habe genau das Haus und die Tür gesehen. Sie sagte mir, das ist das Kind von der J. Ich bin dann in der Mensa gewesen mit dem Baby, und das wurde immer kleiner und war schließlich ein Embryo in meiner Hand. Es ist mir ins Essen gefallen und war in der Soße, wie eine Kaulquappe, die ihren Schwanz verliert. Im Traum sei das ganz normal gewesen. Der Analytiker verbindet spontan das Baby und den Embryo mit dem Schicksal des Patienten, und dass dieser für den weiteren Verlauf der Analyse unbewusst Ähnliches voraussehe; er ist sprachlos und ziemlich erschreckt wegen der bildhaften Stärke des Traumes und der desolaten Entwicklung in ihm. In den nächsten Monaten muss er oft daran denken und findet in der Resignation und dem neurotischen Wiederholungszwang des Patienten einige Verifizierung für das Traumbild. Irgendwann fällt ihm jedoch ein, dass die Soße im Mensa-Essen doch eine Nährlösung sein könnte, in der die Kaulquappe gedeihen und auch wieder wachsen könnte, und der Patient auch. Er ist enorm erleichtert über diese Phantasie. Langfristig verläuft die Analyse tatsächlich hilfreich und gut für den Patienten.

Nach dramatischen Zuspitzungen hat ein 47-jähriger Grafiker sich von seiner Lebensgefährtin getrennt. Seit längerem schon war er im Zusammenhang der Streitigkeiten depressiv dekompensiert. In der folgenden Nacht hat er zwei Träume: Ich beobachte, wie sich vom Fenster meiner Wohnung eine Katze herausstürzt, vom 3. Stock aus auf das Pflaster, und ganz platt daliegt. Sie hat sich dann weggeschleift, schwer verletzt. Er ist sehr verzweifelt und muss heftig weinen, wie er von den Geschehnissen der letzten Tage berichtet. (Im Gegensatz zu dem vorher zitierten Patienten mit dem Embryo-Traum, der – wie viele Depressive – häufig nur passiv mit seinem Schicksal umgehen konnte, bevorzugt das Unbewusste dieses Patienten den aktiven, tatkräftigen Modus. Dies spiegelt sich noch in dem Bild von der sich herausstürzenden Katze wider.) Er erzählt den zweiten Traum: Da war ein Mensch, der hatte blutige Armstümpfe und Beinstümpfe, und versuchte irgendwie wegzukommen. Das entspreche genau seinem Gefühl, er fühle sich so verstümmelt und schwer verletzt. Er habe schon einige Trennungen erlebt, aber so schlimm sei es für ihn noch nie gewesen, er fühle sich vollkommen hilflos und wisse überhaupt nicht, wie er mit sich und der Situation zurechtkommen solle. Im weiteren Verlauf tritt das Gefühl in den Vordergrund, er sei ein vollkommener Versager, weil er es nicht geschafft habe, die Partnerschaft zu retten und mit seiner Freundin souveräner umzugehen. Einige Monate später träumt er – direkt vor den Sommerferien, in denen ihm eine längere Trennung vom Analytiker bevorsteht – drei Wunscherfüllungsträume, in denen die partielle Leugnung der eigenen Verwundungen, seine erwünschte Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit, und die Sehnsucht nach narzisstischer Restitution dargestellt sind: Ich stehe auf einem weiten Feld und säe mit meiner Hand Blumensamen aus, in einer gleichmäßigen und schönen Bewegung. Es sei ein wunderschönes Gefühl gewesen, vor allem das Empfinden dieser Bewegung. Und: Ich bin in einem Hain mit ganz kräftigen Bäumen und Stämmen, die sehr frische saftige Äste haben, ohne Laub, und mit prallen Knospen. Wie Kastanien im Frühjahr. Als dritter Traum: Eine Katze lugt unter meiner Bettdecke hervor, ganz neugierig und frech. Er sei ganz erhoben und bester Stimmung gewesen durch diese Träume.

Narzisstische Wunde, »Defizit« im Ich

Ein 30-jähriger TU-Student erzählt in der 67. Stunde seinen ersten Traum. Wir wollten die Anlage (eine Versuchsanordnung im physikalischen Institut) vorführen, und es ist überhaupt nichts mehr gelaufen, und ich habe nicht einmal mehr das Programm gekannt. Ich habe keine Ahnung mehr gehabt. Ihm fallen dazu die vielen technischen Probleme mit der Apparatur ein und die Enttäuschung über die Betreuer, die ihn andauernd im Stich ließen. Spezifisch ist, dass er sehr häufig in seinem Leben sich passiv ausgeliefert und hilflos fühlt und keine Möglichkeit sieht, etwas an sich und seiner Situation zu ändern; seine Niederlagen erlebt er gleichsam als vorprogrammiert und unausweichlich. Die nicht laufende Anlage stellt sich als eine Verkörperung seines depressiven Selbstbildes heraus, und dass er keine Ahnung mehr über ihre Handhabung gehabt habe, als die Darstellung seiner »verlorenen« Ich-Funktionen.

Ebenfalls ein technisches Gerät – einen Hubschrauber – verwendet das Unbewusste eines 26-jährigen Germanistikstudenten zur Darstellung seines Selbstbildes. Er war auf einer Klosterschule und einige Jahre als Novize in einem Kloster gewesen, bevor er austrat und versuchte, sich neu zu orientieren. Im Verlauf seiner Analyse erzählt er folgenden Traum: Ich habe einen Hubschrauber gehabt, einen ziemlich kleinen. Der stand im Garten, es war ein Klostergarten, halb unter den Bäumen. Ich steige ein und will starten. Dann denke ich, ich trage ihn aus dem Garten raus, da startet es sich besser. Das war ein unsicheres Gefühl, ich bin noch nie geflogen. Ich bin draußen auf eine ganze Gruppe junger Leute gestoßen, die mich kannten. Die sind gleich mit, um zuzuschauen. Ich denke, jetzt kommst du nicht mehr raus, jetzt musst du. Ich entdecke dann, dass die Rotorblätter, da fehlt die Hälfte, die sind halb so lang, wie sie gehört hätten. Ich dachte, da kann ich ja gar nicht starten. War ganz froh, erleichtert, dass ich nicht starten brauchte. Später fällt ihm ein, dass die restlichen Trümmer der Rotorblätter wohl im Klostergarten geblieben sind, wo man sie suchen könnte. Der Analytiker denkt sich: Wie defekt er sich fühlt! (Es ist typisch für Depressive, dass sie Verluste – auch Verluste an ihrem Selbst und an ihren eigenen Fähigkeiten – als ein fait accompli betrachten, eine unabänderliche Tatsache, vor der sie gleichsam kapitulieren. Manche Analytiker neigen dazu, dieses Erleben und diese Bilder als Anzeige eines psychischen Defizits aufzufassen, was meiner Ansicht nach nicht angemessen ist.) Der Patient bringt den Traum in Zusammenhang mit seinen Unsicherheiten und Ängsten bezüglich seines beruflichen und privaten Neustarts. Was die Übertragung angeht, wird uns deutlich, dass er auf bewusster Ebene Autonomie will, unbewusst jedoch erleichtert ist, wenn es nicht klappt – zumal er dann seinen regressiven Sehnsüchten nach Aufgehobensein und Versorgtwerden nachgeben könnte. Seinen Wunsch an den Analytiker, ihm beim Starten zu helfen, schiebt er wegen seiner Ängste immer wieder dem zu, so als ob der ihn starten sehen wollte, nicht er selbst. Doch am stärksten ist, das zeigt der weitere Verlauf, das beschämende Gefühl, er müsse sich andauernd in seinen Mängeln und seinem Versagen präsentieren, und es fehle ihm grundlegend etwas an Selbstsicherheit, Aktivität und Mut, mit dem die anderen Menschen ausgestattet seien. (Den analytisch Bewanderten wird nicht verwundern, dass das narzisstische Defizitempfinden bei diesem Patienten wie bei den meisten männlichen Depressiven mit einem ausgeprägten Kastrationskomplex zusammenhängt. Dieser bezieht sich jedoch weniger auf eine Kastrationsangst – die Angst vor einer drohenden Kastration – als vielmehr auf die unbewusste Annahme, sie seien tatsächlich kastriert worden. Gleichwohl ist mit dem Bild vom Abheben und Fliegen vermutlich auch bei diesem Träumer die Phantasie einer sexuellen Erregung verbunden.)

Dass derlei Themen die Menschen auch vor 300 Jahren schon bewegt haben, zeigt das Selbstzeugnis eines religiösen Melancholikers aus dem Jahr 1738. Gewissensangst und sexuelle Versuchungen spielen eine zentrale Rolle in dem autobiographischen Bericht des protestantischen Geistlichen Adam Bernd; Genese und Verlauf seiner melancholischen Erkrankung sind dadurch geprägt. Priskil (1991) hat in einer sehr interessanten Arbeit diese Autobiographie einer psychoanalytischen Betrachtung unterzogen und gezeigt, dass der »göttliche Traum«, den Bernd im Alter von etwa 30 Jahren geträumt hatte und der für ihn einen zentralen Stellenwert bekam, zwar etwas von narzisstischer Selbstrettung hat, jedoch durchaus mit Trieb, Angst und Versagung zusammenhängt. »…vor den Feiertagen träumete mir einstens zur Nacht, als ob ich in einer tiefen Grube steckte, und nicht die geringste Möglichkeit sähe, heraus zu kommen. In der Angst arbeitete ich, und kletterte bald hier, bald dahin, aber alles Bemühen war vergebens. Indem deuchte mich, als ob auf der Gruben, und am Rande ein kleiner schöner Knabe stünde, der mir ein Stäblein reichte, unter dem Scheine, als ob er mir damit heraus helfen wollte. Ach du armes Kind, fing ich an, mit diesem Stäblein wirst du mich nicht herausziehen; ich würde dich eher zu mir herunterreißen. Er sagte aber, ich sollte mich nur anhalten, es würde schon angehen. Kaum hatte ich das Äußerste seines Stabes angerühret, und gefasset, so wußte ich nicht, wie mir geschahe; denn in dem Augenblicke befand ich mich außer der Gruben oben bei dem Knaben. Für Adam Bernd wurde dieser Traum zu einem Retter aus der Not. Wenn er in der nachfolgenden Zeit unter melancholischen Angstzuständen litt, sagte er wie in einem Stoßgebet den Satz: »Ach mein Gott, … wenn wird doch der Knabe kommen, und mir sein Stäbelein reichen, und mir aus der tiefen Grube helfen, aus welcher ich keinen Ausgang finden kann« (zit. nach Priskil, 1991, S. 34). Man kann den schönen Knaben als einen Selbstanteil des Melancholikers sehen, der für ihn Hoffnung und Lebenskraft repräsentiert; unübersehbar ist aber auch der homosexuelle Reiz, den der Träumer mit dem Stäblein des Jungen verbindet, und der eine tiefe Kastrationsangst abwehren könnte.

Größenideen, Idealisierung und Hochstapelei

In mehreren Träumen waren schon Elemente von Großartigkeit und idealer Hoffnung vorgekommen, mit deren Hilfe Depressive bewusst oder unbewusst versuchen, ihre Wahrnehmung von Kleinheit und Selbstzweifeln wettzumachen, aber auch einen kreativen Ausgang daraus zu finden. Hier noch zwei weitere Beispiele.

Eine 53-jährige Lehrerin träumt, Ich war ein Mitglied vom FC Bayern München, das Training sollte losgehen, ich hatte einen Rock an, das war alles ganz normal. Aber dann begann es zu regnen, und der Blick über München wurde trostlos. Dann begannen die anderen Golf zu üben; ich hatte keine Ausrüstung und stand nur noch da. Sie lacht nach der Traumerzählung und ist etwas befremdet über diese Idee, sie, vollkommen unsportlich, habe sich als Fußballprofi geträumt. Es ergibt sich ein Zusammenhang damit, dass sie sich in letzter Zeit sehr mit ihrer Rolle als Frau beschäftigt hat und überhaupt nicht mehr damit zufrieden ist, sich wie früher einfach einem Mann zu unterwerfen, der sie liebt und den sie bewundert, sondern dass sie meint, sie könne durchaus mit den Männern mithalten.

Der erste Traum in der Analyse einer 45-jährigen Musikerin lautet so: Gorbi kam in eine Kolchose, in der ich gearbeitet habe. Er redete mich an, aber mit einem falschen Namen (dem einer sehr tüchtigen Kollegin. Ich korrigierte ihn nicht) und unterhielt sich mit mir, aber dann sagte er mir, dass er weiß, dass ich jemand anderer bin. Das war für mich peinlich, dass ich die Unwahrheit gesagt bzw. seinen Irrtum nicht klargestellt habe. Drollig war, dass Gorbi vorher auf dem Klo war und man musste warten, bis er da raus kam. Ich stand vor dem Klo herum. Ihr fällt dazu ein, dass sie lieber eine hehre Engelsgestalt wäre und das stinkende Klo gar nicht möge. Für die Analytikerin spürbar ist vor allem das Kleinheitsgefühl der Patientin, das sie durch die Begegnung mit dem großen Gorbatschow und durch die eigene Hochstapelei wegmachen wollte. Wie sehr sie sich gleichwohl dafür schämt, ohne es wahrnehmen zu wollen, zeigt sich in der Umdrehung und Beschämung des großen Gorbi, der schließlich auf dem Klo sitzt wie jeder andere auch, und stinkt, und sie muss noch auf ihn warten. (Die ausgeprägte Analität in den Phantasien und der Charakterstruktur vieler Depressiver ist seit Abrahams (1912, 1925) Arbeiten bekannt.)

Aggression, Schuld und Bestrafung

Die Aggressivität Depressiver äußert sich meist sehr indirekt, versteckt oder »hintenrum« und ist ihnen selbst oft gar nicht bewusst. Vor der Aggressivität anderer haben sie große Angst, haben das Gefühl, sie könnten ihr nichts entgegensetzen und erleben sie gern als Bestrafung.

Eine 26-jährige Praxisassistentin erzählt ihren Initialtraum: Ich ging auf der Leopoldstraße und hatte einen Termin mit Ihnen. Es war schon fünf oder sechs Minuten nach der Zeit; ich bin geeilt. Statt der Tür war eine Glastür da. Ich konnte Sie sehen, Sie haben telefoniert, ich habe Sie gestört. Es war unangenehm, weil ich wusste, was nachher kommen würde, ich hab gedacht, jetzt kriege ich von Ihnen einen auf den Deckel.