P. G. Wodehouse

Tausend Dank, Jeeves!

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Schlachter

Insel Verlag

1. Kapitel

Ich verspürte einen Anflug von Sorge. Nichts Ernstliches, aber doch einen Hauch von Beunruhigung. Als ich in meinem guten alten Domizil so dasaß und müßig über die Saiten meiner Banjolele strich – eines Instruments, dem ich in jüngster Zeit ganz verfallen war –, hätte man meine Stirn zwar nicht direkt als gefurcht, aber auch nicht kategorisch als ungefurcht bezeichnen können. Das Wort »versonnen« bringt die Sache wohl auf den Punkt. Mir war, als sei eine Situation eingetreten, die von potentiellen Peinlichkeiten nur so strotzte.

»Jeeves«, sagte ich, »wissen Sie, was?«

»Nein, Sir.«

»Wissen Sie, wen ich gestern Abend gesehen habe?«

»Nein, Sir.«

»J. Washburn Stoker samt Tochter Pauline.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Sie müssen im Lande sein.«

»Es macht ganz den Anschein, Sir.«

»Ziemlich genierlich, wie?«

»Nach allem, was in New York vorgefallen ist, Sir, dürfte Ihnen eine Begegnung mit Miss Stoker schwer zusetzen. Doch eine solche Eventualität braucht nach meinem Dafürhalten nicht zwingend einzutreten.«

Ich erwog seine Worte.

»Wenn Sie über nicht zwingend einzutreten brauchende Eventualitäten reden, Jeeves, umnebelt sich mein Geist, und der springende Punkt entgeht mir. Meinen Sie etwa, dass es mir möglich sein sollte, ihr aus dem Weg zu gehen?«

»Jawohl, Sir.«

»Ich soll mich ihr entziehen?«

»Jawohl, Sir.«

Beinahe ausgelassen klimperte ich fünf Takte von Ol’ Man River. Jeeves’ Feststellung hatte meine Sorgen zerstreut. Ich begriff, worauf er hinauswollte: London ist schließlich recht weitläufig, und so kann man um Leute, die man nicht zu sehen wünscht, mühelos einen Bogen machen.

»Ihr Anblick hat mich mächtig aufgewühlt.«

»Das kann ich mir lebhaft vorstellen, Sir.«

»Zumal Sir Roderick Glossop mit von der Partie war.«

»Tatsächlich, Sir?«

»O ja. Sie saßen an einem Fenstertisch im Savoy Grill und schnallten sich gerade den Futterbeutel um. Und nun kommt der Clou, Jeeves: Die Vierte im Bunde war Lord Chuffnells Tante Myrtle. Was hat die denn mit der Bagage zu tun?«

»Womöglich ist ihre Ladyschaft mit Mr. Stoker, Miss Stoker oder Sir Roderick bekannt, Sir.«

»Stimmt, das ist denkbar. Jawohl, das wäre eine Erklärung. Und doch war ich, wie ich zugeben muss, erstaunt.«

»Haben Sie ein Gespräch angeknüpft, Sir?«

»Wer, ich? O nein, Jeeves. Wie der geölte Blitz bin ich ins Freie geschossen. Mal abgesehen davon, dass ich mich vor den Stokers drücken wollte – sehen Sie mich etwa mit dem alten Glossop aus freien Stücken konversieren?«

»Bis dato hat er sich nicht als Ihr konziliantestes Gegenüber erwiesen, Sir.«

»Wenn ich mit einem Menschen im Leben garantiert nicht mehr Zwiesprache halten will, dann mit diesem alten Grindskopf.«

»Ich habe ganz zu erwähnen versäumt, Sir, dass Sir Roderick Ihnen heute Morgen seine Aufwartung machen wollte.«

»Was!?«

»Jawohl, Sir.«

»Er wollte mir seine Aufwartung machen?«

»Jawohl, Sir.«

»Nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist?«

»Jawohl, Sir.«

»Mir bleibt die Spucke weg!«

»Jawohl, Sir. Ich habe ihm mitgeteilt, Sie seien noch nicht auf den Beinen, und er hat gemeint, er komme später wieder.«

»Ach, hat er das?« Ich lachte, und zwar auf meine höhnische Art. »Wenn er das tut, hetzen Sie ihm den Hund auf den Hals.«

»Wir haben aber keinen Hund, Sir.«

»Dann leihen Sie sich im unteren Stock den Spitz von Mrs. Tinkler-Moulke. Ein starkes Stück, dass dieser Kerl auf Stippvisite kommt, nachdem er sich in New York so aufgeführt hat! Etwas derart Unglaubliches habe ich noch nie gehört. Haben Sie schon mal etwas derart Unglaubliches gehört, Jeeves?«

»Um ganz offen zu sein, hat mich sein Erscheinen in Anbetracht der Umstände höchlichst erstaunt, Sir.«

»Das kann ich mir denken. Großer Gott! Gütiger Himmel! Heiliges Kanonenrohr! Der Mann ist so frech wie Rotz und Oskar zusammen.«

Und wenn ich den Leser nun mit den Hintergründen vertraut mache, wird er meine Gefühlsaufwallung gewiss verstehen. Deshalb frischweg die Fakten.

Etwa drei Monate zuvor hatte ich an meiner Tante Agatha eine gewisse Erhitzung wahrgenommen und war vorsichtshalber nach New York abgerauscht, auf dass sie sich in aller Ruhe abkühlen möge. Und schon nach Ablauf der ersten halben Woche machte ich auf einer Art Sause im Hotel Sherry-Netherland Pauline Stokers Bekanntschaft.

Sie verdrehte mir den Kopf. Ihre Schönheit machte mich förmlich trunken.

»Jeeves«, hatte ich damals bei meiner Heimkehr gesagt, »wer war noch gleich der Knilch, der sich beim Anblick einer bestimmten Sache vorkam wie ein Knilch beim Anblick einer bestimmten Sache? Ich habe die Stelle als Schüler auswendig gelernt, aber sie ist mir entfallen.«

»Bei dem Ihnen vorschwebenden Individuum handelt es sich wohl um den Dichter Keats, Sir, der seinen Gemütszustand bei der Erstlektüre von Chapmans Homer-Übertragung mit demjenigen des wackeren Cortez verglich, der den Pazifik mit Adlerblick betrachtete.«

»Den Pazifik, soso?«

»Jawohl, Sir: Und wild starrten die Seinen / Auf einem Bergesgipfel Dariens, schweigend.«

»Volltreffer! Jetzt fällt mir alles wieder ein. Und genauso war mir heute Nachmittag zumute, als ich Miss Pauline Stoker vorgestellt wurde. Bügeln Sie meine Hose besonders sorgfältig auf, Jeeves, ich führe die Werteste zum Dinner aus.«

Nach meiner Erfahrung werden die Liebespfeile in New York besonders zackig verschossen. Muss an der dortigen Luft liegen. Schon nach zwei Wochen machte ich Pauline meinen Antrag. Sie nahm ihn an. So weit, so gut. Doch das dicke Ende kommt erst: Keine 48 Stunden später wurde mir ein dicker Strich durch die Rechnung gemacht, und die ganze Chose war abgeblasen.

Die Hand aber, die den Strich so beherzt zog, gehörte keinem anderen als Sir Roderick Glossop.

In meinen Aufzeichnungen habe ich, wie sich der Leser erinnern mag, schon des Öfteren Gelegenheit gehabt, besagtes Gewitteraas zu erwähnen. Dieser glatzköpfige Giftmischer mit den buschigen Brauen mag sich ja als Nervenarzt ausgeben, doch alle Welt weiß, dass er kaum mehr ist als ein überteuerter Seelenklempner. Seit Jahren wächst er ständig vor mir aus dem Boden – und jedes Mal mit den stupendesten Folgen. Und das Schicksal hatte es so gefügt, dass er gerade in New York weilte, als meine Verlobung in den Zeitungen bekanntgemacht wurde.

In die Stadt gebracht hatte ihn eine seiner regelmäßigen Visiten bei George Stoker, J. Washburns Cousin zweiten Grades. Jener George hatte sein Leben lang die Witwen und Waisen drangsaliert, den damit einhergehenden Strapazen am Ende aber doch Tribut zollen müssen. Sein Gesprächsstil war kraus, und er neigte dazu, im Handstand zu gehen. Seit einigen Jahren war er deshalb in Behandlung bei Sir Roderick, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, sporadisch nach New York zu flitzen und George einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Im vorliegenden Falle kam er gerade rechtzeitig, um sich mit dem Frühstückskaffee samt Drei-Minuten-Ei die Nachricht zuzuführen, dass Bertram Wooster und Pauline Stoker in den Hafen der Ehe einzulaufen gedachten. Und wahrscheinlich hechtete er ans Telefon, um den Vater der angehenden Braut anzurufen, ohne sich auch nur den Mund abzuwischen.

Was er J. Washburn genau über mich erzählte, kann ich natürlich nicht sagen, doch über den Daumen gepeilt wird er ihm wohl mitgeteilt haben, ich sei einst mit seiner Tochter Honoria verlobt gewesen und er habe der Sache ein Ende setzen müssen, da er zum Schluss gekommen sei, dass ich eine Meise im Grossformat hätte. Bestimmt sprach er dabei auch die Sache mit den Katzen und dem Fisch in meinem Schlafzimmer an – und zudem wohl den Vorfall mit dem gestohlenen Hut, und gewiss auch meine Marotte, Regenrohre hinabzuklettern, wobei er als Schlussbouquet vermutlich die unselige Geschichte mit der durchlöcherten Wärmflasche in Lady Wickhams Landhaus präsentierte.

Er war ein enger Freund von J. Washburn, und da dieser viel auf sein Urteil gab, konnte er ihn wohl leicht davon überzeugen, wie wenig ich zum Schwiegersohn taugte. Jedenfalls teilte man mir wie gesagt keine 48 Stunden nach dem heiligen Gelübde mit, dass ich weder Hochzeitsfrack noch Gardenie bestellen solle, da man mich von der Kandidatenliste gestrichen habe.

Und nun hatte der Mann tatsächlich die Stirn, ja Impertinenz, dem Wooster’schen Heim einen Besuch abzustatten! Da hört sich doch alles auf, oder?

Ich beschloss, ihn hart anzufassen.

Bei seinem Eintreffen spielte ich noch immer Banjolele. Wer Bertram Wooster kennt, weiß, dass er ebenso jäh wie lodernd Feuer zu fangen pflegt und sich im Banne entsprechender Leidenschaften zur erbarmungslosen Maschine mausert – hochkonzentriert und mit einem einzigen Ziel vor Augen. Genauso verhielt es sich mit meinem Banjolelespiel. Seit jenem Abend im Alhambra Theatre, wo mich die schiere Virtuosität von Ben Bloom und seinen Sixteen Baltimore Buddies dazu getrieben hatte, das besagte Instrument zu erlernen, war kein Tag vergangen, an dem ich nicht zwei, drei Stunden fanatisch geübt hatte. Und auch jetzt zupfte ich wie ein Besessener die Saiten, als die Tür aufging und Jeeves mir jenen elendiglichen Zwangsjackenspezialisten in die gute Stube kippte, von dem ich eben gesprochen habe.

In der Zeit, die verstrichen war, seit ich erfahren hatte, dass der Mann mich zu sprechen wünsche, war ich die Sache im Geiste nochmals durchgegangen und zum einzig möglichen Schluss gekommen, dass er eine Art Sinneswandel durchlebt und eingesehen hatte, dass wegen seines früheren Verhaltens mir gegenüber Bußfertigkeit am Platze war. Aus diesem Grund erhob sich nun zur Begrüßung ein schon etwas milder gestimmter Bertram.

»Ach, Sir Roderick«, sagte ich. »Guten Morgen.«

Meine Stimme hätte zuvorkommender nicht sein können. Umso größer war mein Erstaunen, als er als einzige Antwort ein Grunzen absonderte – und zwar eins der unleidlicheren Sorte. Ich spürte, dass ich mit meiner Diagnose weit am Ziel vorbeigeschossen hatte. Vor mir stand kein bußfertiger Ehrenmann. Er hätte mich selbst dann nicht angewiderter anfunkeln können, wenn ich ein Bazillus des Typus Dementia praecox gewesen wäre.

Falls dies die Haltung war, die er einzunehmen trachtete – tja dann. Meine Herzlichkeit schwand dahin. Kühl richtete ich mich zur vollen Größe auf und zog gleichzeitig eine steife Braue hoch. Und ich wollte auch schon den altbewährten »Was verleiht mir die Ehre?«-Gag vom Stapel lassen, als er mir in die Parade fuhr.

»Wegsperren sollte man Sie!«

»Wie bitte?«

»Sie sind ja gemeingefährlich! Seit Wochen töten Sie sämtlichen Nachbarn den letzten Nerv mit Ihrem grauslichen Instrument. Wie ich sehe, halten Sie es auch jetzt wieder in der Hand. Wie können Sie es wagen, in einem respektablen Wohnhaus darauf zu spielen? So ein Mordskrach!«

Ich bemühte mich um Contenance.

»Haben Sie gerade ›Mordskrach‹ gesagt?«

»Allerdings.«

»So? Dann will ich Ihnen mal was verraten: Der Mann, der nicht Musik hat in ihm selbst …« Ich begab mich zur Tür. »Jeeves«, rief ich in den Korridor, »wozu taugt laut Shakespeare der Mann, der nicht Musik hat in ihm selbst?«

»Zu Verrat, zu Räuberei und Tücken, Sir.«

»Besten Dank, Jeeves. Solch ein Mann taugt zu Verrat, zu Räuberei und Tücken«, sagte ich bei meiner Rückkehr.

Der alte Glossop vollführte ein Tänzchen.

»Ist Ihnen klar, dass Mrs. Tinkler-Moulke im unteren Stock wegen ihres schweren Nervenleidens bei mir in Behandlung ist? Ich musste ihr ein Sedativum verabreichen.«

Ich hob die Hand.

»Verschonen Sie mich bitte mit Ihrem Tratsch aus dem Tollhaus«, versetzte ich kühl. »Dürfte ich meinerseits erfahren, ob Ihnen klar ist, dass Mrs. Tinkler-Moulke einen Spitz hält?«

»Hören Sie auf zu faseln!«

»Ich fasele mitnichten. Dieser Köter kläfft den lieben langen Tag und gar nicht so selten bis tief in die Nacht hinein. Mrs. Tinkler-Moulke erfrecht sich also, sich über meine Banjolele zu beschweren? Ha! Die soll sich zuerst um den Spitz in ihrem eigenen Auge kümmern«, sagte ich geradezu schriftgelehrt.

Dies wurmte ihn sichtlich.

»Ich bin nicht hier, um über Hunde zu reden. Sie sollen mir vielmehr versprechen, dass Sie die Belästigung dieser leidgeprüften Frau augenblicklich einstellen.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Es tut mir leid, dass die Dame sich nicht für meine Kunst erwärmen kann, aber diese geht vor.«

»Das ist Ihr letztes Wort?«

»Genau.«

»Also schön. Sie hören wieder von mir.«

»Und Mrs. Tinkler-Moulke hört wieder von uns beiden«, antwortete ich und schwang die Banjolele.

Ich drückte auf die Klingel.

»Jeeves«, sagte ich, »geleiten Sie doch bitte Sir R. Glossop hinaus!«

Dass ich mich bei diesem Zusammenstoß zweier willensstarker Männer so wacker geschlagen hatte, erfüllte mich, ich sag’s ganz offen, mit Befriedigung, denn es war noch nicht lange her, da hätte mich das Hereinplatzen des alten Glossop in meinen Salon wie ein Wiesel abzischen und Deckung suchen lassen. Seither war ich jedoch durch die Hölle gegangen, sodass mich sein Anblick nicht länger mit namenloser Furcht erfüllte. Mit stillem Behagen spielte ich deshalb nun hintereinander The Wedding of the Painted Doll, Singin’ in the Rain, Three Little Words, Goodnight, Sweetheart, My Love Parade, Spring Is Here, Whose Baby Are You? sowie einen Ausschnitt aus I Want an Automobile With a Horn That Goes Toot-Toot. Und als ich gerade das Ende des letzten Songs erreichte, klingelte das Telefon.

Ich ging an den Apparat und blieb lauschend stehen. Und je länger ich lauschte, desto steinerner wurde meine Miene.

»Also schön, Mr. Manglehoffer«, sagte ich kühl. »Richten Sie Mrs. Tinkler-Moulke und Konsorten doch bitte aus, dass ich mich für die zweite Option entscheide.«

Ich betätigte die Klingel.

»Jeeves«, sagte ich, »es gibt Ärger.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Allerlei Unbilden erheben in Berkeley Mansions, W1, ihr hässliches Haupt. Außerdem konstatiere ich einen Mangel an Kompromissbereitschaft und die Zerrüttung gutnachbarschaftlicher Beziehungen. Ich habe mich am Telefon gerade mit unserem Hausmeister unterhalten, und dieser hat ein Ultimatum gestellt: Entweder hänge ich die Banjolele an den Nagel, oder ich muss meine Sachen packen.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Beschwert haben sich angeblich Mrs. Tinkler-Moulke aus C6, Oberstleutnant J. J. Bustard, DSO, aus B5 sowie Sir Everard und Lady Blennerhassett aus B7. Tja, sei’s drum. Mir doch egal. Auf diese Tinkler-Moulkes, Bustards und Blennerhassetts ist gepfiffen. Der Abschied versetzt mir nicht den leisesten Stich.«

»Sie gedenken umzuziehen, Sir?«

Ich zog die Augenbrauen hoch.

»Jeeves, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass mir ein anderer Weg offensteht?«

»Ich fürchte, Ihnen werden andernorts ähnliche Animositäten entgegenschlagen, Sir.«

»Nicht dort, wohin ich mich nun begeben werde. Es ist meine Absicht, mich aufs tiefste Land zurückzuziehen. Ich werde dort, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, ein Häuschen mieten und meine Musikstudien fortsetzen.«

»Ein Häuschen, Sir?«

»Ein Häuschen, Jeeves. Nach Möglichkeit von Geißblatt überwachsen.«

Schon im nächsten Moment wäre ich fast aus den Pantinen gekippt, denn nach einer kurzen Pause stieß Jeeves, den ich seit unvordenklichen Zeiten gleichsam an meinem Busen genährt habe, eine Art Hüsteln aus, woraufhin folgende unfasslichen Worte über seine Lippen kamen:

»Wenn das so ist, Sir, werde ich leider meine Kündigung einreichen müssen.«

Dem folgte eisiges Schweigen. Ich starrte den Mann an.

»Jeeves«, sagte ich in einem Ton, den man ohne Übertreibung entgeistert nennen könnte, »habe ich Sie richtig verstanden?«

»Jawohl, Sir.«

»Sie denken ernsthaft daran, meine Entourage zu verlassen?«

»Schwersten Herzens, Sir. Falls es jedoch Ihre Absicht ist, das fragliche Instrument in den beengten Verhältnissen eines Landhäuschens …«

Ich richtete mich auf.

»Sie sagen ›das fragliche Instrument‹, Jeeves, und zwar mit garstig-blasiertem Unterton. Soll das heißen, Ihnen missfällt diese Banjolele?«

»Jawohl, Sir.«

»Bisher haben Sie sie aber klaglos erduldet.«

»Nur mit allergrößter Mühe, Sir.«

»Dann lassen Sie sich gesagt sein, dass gestandenere Männer als Sie schon Schlimmeres als diese Banjolele erduldet haben. Ist Ihnen bewusst, dass ein Bulgare namens Elia Gospodinoff einst 24 Stunden am Stück Dudelsack gespielt hat? Robert Ripley bezeugt dies in seinem Werk Unglaublich, aber wahr.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Glauben Sie etwa, Gospodinoffs Leibdiener habe aufgemuckt? Was für eine lachhafte Idee! Diese Bulgaren sind aus härterem Holz geschnitzt. Ich bin überzeugt, er hat seinen jungen Herrn bis zum bitteren Ende bei dessen Versuch unterstützt, den mitteleuropäischen Rekord zu brechen, und ist ihm bestimmt auch mit Eisbeuteln und anderen Aufbaumitteln beigesprungen. Seien Sie doch etwas bulgarischer, Jeeves!«

»Nein, Sir, leider muss ich auf meiner Position beharren.«

»Aber just Ihre Position wollten Sie doch aufgeben, verdammt!«

»Ich hätte wohl besser sagen sollen: Ich muss auf dem von mir eingenommenen Standpunkt beharren.«

»Ach.«

Ich sann ein Weilchen nach.

»Ihnen ist es ernst, Jeeves?«

»Jawohl, Sir.«

»Sie haben sich alles reiflich überlegt, die Sache auf den Prüfstand gestellt und Pro und Contra gründlich abgewogen?«

»Jawohl, Sir.«

»Und Sie bleiben dabei?«

»Jawohl, Sir. Falls es denn tatsächlich Ihre Absicht sein sollte, das fragliche Instrument weiterzuspielen, bleibt mir keine andere Wahl, als zu gehen.«

Das Wooster’sche Blut geriet in Wallung. Zwar hat die Entwicklung der letzten Jahre diesem Kerl eine Machtstellung verschafft, die man als diejenige eines Mussolinis im Kleinformat bezeichnen könnte, doch bei Licht betrachtet muss man sich doch fragen: Wer ist dieser Jeeves überhaupt? Ein Diener, ja ein schlichter Lohnsklave. Und man kann vor seinem Diener doch nicht auf Dauer servil – heißt es servil? Das Wort fängt jedenfalls mit einem S an – zu Kreuze kriechen. Es kommt der Moment, da hat man seiner Ahnen zu gedenken, die sich einst in der Schlacht von Crecy mit Ruhm bekleckert haben, und muss mit der Faust auf den Tisch schlagen. Besagter Moment war nun gekommen.

»Dann gehen Sie halt, verdammt!«

»Sehr wohl, Sir.«

2. Kapitel

Ich gestehe, dass ich eine halbe Stunde später recht missgelaunt nach Hut, Stock und zitronengelben Lederhandschuhen griff und auf Londons Straßen hinaustrat. Doch obschon ich mir lieber gar nicht erst vorstellte, wie sich ein Leben ohne Jeeves anlassen könnte, war an Einlenken nicht zu denken. Als ich nach Piccadilly abbog, verwandelte ich mich in einen Mann aus Panzerstahl und Feuer und hätte wohl im nächsten Moment sogar geschnaubt, ja den Schlachtruf des Stammes Wooster in die Welt gebrüllt, wenn ich am Horizont nicht eine vertraute Gestalt gesehen hätte.

Bei dieser vertrauten Gestalt handelte es sich um keinen anderen als meinen alten Jugendfreund, den fünften Baron Chuffnell – jenen Burschen also, dessen Tante Myrtle ich am Vorabend mit dem Höllenhund Glossop hatte parlieren sehen.

Sein Anblick rief mir in Erinnerung, dass ich Bedarf an einem Landhäuschen hatte und genau er diesen zu decken vermochte.

Ich weiß nicht, ob ich schon früher von Chuffy erzählt habe. Falls nicht, sollte ich vielleicht erklären, dass ich Chuffy praktisch von Kindesbeinen an gekannt habe, da er und ich zusammen auf der Vorbereitungsschule und dann in Eton und Oxford waren. Dieser Tage sehen wir uns nur noch selten, da er meistens in Chuffnell Regis an der Küste der Grafschaft Somersetshire weilt, wo er ein gigantisches Herrenhaus mit etwa hundertfünfzig Zimmern und einem sich über Meilen erstreckenden Park besitzt.

Der Leser darf nun aber nicht glauben, Chuffy sei einer meiner betuchteren Kumpel. Wie die meisten dieser Landbesitzer ist der Ärmste ständig klamm und wohnt nur deshalb in Chuffnell Hall, weil er den Klotz nun mal am Bein hat und es sich nicht leisten kann, anderswo zu leben. Käme jemand des Wegs und kaufte ihm das Unding ab, würde er ihn auf beide Wangen küssen. Doch wer will heutzutage schon ein Haus dieser Größe kaufen? Nicht mal vermieten kann es Chuffy. Und so versauert er den Großteil des Jahres dort und hat als Gesprächspartner nur den Dorfarzt, den Pfarrer sowie seine Tante Myrtle samt ihrem zwölfjährigen Sohn Seabury, welche beide nebenan im Witwenhaus leben: eine sterbensöde Existenz für einen Mann, der als Student allen Anlass zur Hoffnung gab, dereinst die Puppen so richtig tanzen zu lassen.

In Chuffys Besitz befindet sich außerdem das Dörfchen Chuffnell Regis, doch auch davon kann er sich nichts kaufen. Die Grundstückssteuer und all die Auslagen für Reparaturen und Ähnliches fressen die Mieteinnahmen fast zur Gänze auf – kurzum, ein Fass ohne Boden.

Und doch verfügte er als Gutsherr bestimmt über Dutzende von Häuschen und würde einem achtbaren Mieter wie mir liebend gern eines davon abtreten.

»Genau dich wollte ich sehen, Chuffy«, sagte ich darum nach Abschluss des großen Hallihallos. »Komm, wir gehen im Drones Club was futtern. Ich habe dir ein lukratives Geschäft anzubieten.«

Er schüttelte den Kopf – wehmütig, wie mir scheinen wollte.

»Nichts wäre mir lieber, Bertie, aber ich bin in fünf Minuten im Carlton mit einem Mann zum Lunch verabredet.«

»Lass ihn doch sitzen.«

»Unmöglich.«

»Dann bring ihn mit, und wir essen zu dritt.«

Chuffy lächelte matt.

»Das wäre kaum nach deinem Geschmack, Bertie. Es handelt sich um Sir Roderick Glossop.«

Ich glotzte. Es ist immer leicht verstörend, wenn man gerade A verlassen hat, um B zu treffen, und plötzlich hört, wie B diesen A ins Gespräch einflicht.

»Sir Roderick Glossop?«

»Ja.«

»Ich wusste gar nicht, dass du ihn kennst.«

»Nur flüchtig. Ich bin ihm erst zwei- oder dreimal begegnet. Er ist mit Tante Myrtle dick befreundet.«

»Das erklärt natürlich alles! Ich habe sie gestern mit ihm beim Dinner gesehen.«

»Und heute könntest du mich im Carlton mit ihm beim Lunch sehen.«

»Aber Chuffy, altes Haus, ist das auch klug? Ist es weise? Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass es eine furchtbare Tortur ist, mit dem Kerl das Brot zu brechen.«

»Kann ich mir denken, aber da muss ich durch. Gestern hat er mich in einem dringenden Telegramm aufgefordert, ihn umgehend in der Stadt zu treffen, und nun hege ich die Hoffnung, dass er Chuffnell Hall über den Sommer mieten will oder jemanden kennt, der das tut. Er würde kaum in diesem Ton kabeln, wenn nicht etwas im Busch wäre. Nein, ich muss das durchstehen, Bertie. Aber machen wir’s so: Morgen treffen wir uns zum Dinner.«

Unter anderen Umständen wäre ich natürlich Feuer und Flamme gewesen, doch hier musste ich passen. Ich hatte meinen Plan geschmiedet und meine Vorkehrungen getroffen – es stand nicht mehr zu ändern.

»Tut mir leid, Chuffy. Ich reise morgen aus London ab.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Die Verwaltung des Hauses, in dem ich wohne, hat mich vor die Wahl gestellt, entweder sofort auszuziehen oder meine Banjolele aufzugeben. Ich habe mich für Ersteres entschieden. Nun werde ich irgendwo auf dem Land ein Häuschen mieten, und genau das habe ich vorhin gemeint, als ich von einem lukrativen Geschäft sprach. Hättest du ein Häuschen für mich?«

»Du kannst zwischen einem halben Dutzend wählen.«

»Es muss ruhig und abgeschieden sein. Ich werde dort nämlich fleißig Banjolele üben.«

»Da habe ich die perfekte Bude für dich! Sie liegt am Rande des Hafens, und der einzige Nachbar im Umkreis einer Meile ist Polizeisergeant Voules, und der spielt Harmonium. Ihr könntet ja ein Duo gründen.«

»Prima!«

»Außerdem tourt dieses Jahr eine Minstrel-Truppe durch die Gegend. Von diesen Leuten könntest du dir bestimmt manchen Kniff abschauen.«

»Das klingt ja himmlisch, Chuffy! Und wir beide bekommen uns endlich wieder mal zu Gesicht.«

»Aber deine verdammte Banjolele kommt mir nicht ins Haus!«

»Nein, alter Knabe. Dafür schaue ich an den meisten Tagen zum Lunch vorbei.«

»Danke.«

»Keine Ursache.«

»Und was hat Jeeves dazu zu sagen? Ich hätte nicht gedacht, dass es ihm Spaß macht, London den Rücken zu kehren.«

Ich versteifte mich leicht.

»Jeeves hat weder dazu noch zu irgendwas anderem das Geringste zu sagen. Wir sind geschiedene Leute.«

»Was!?«

Ich hatte mir schon gedacht, dass ihn die Neuigkeit verblüffen würde.

»Ja«, sagte ich, »fortan wird stolz zu Ross’ er reiten, ich indes zu Fusse schreiten. Der Kerl hatte die bodenlose Chuzpe, mir zu eröffnen, dass er kündigen werde, falls ich meine Banjolele nicht aufgäbe. Ich habe seine Demission angenommen.«

»Du hast ihn tatsächlich ziehen lassen?«

»Allerdings.«

»Schau an, schau an!«

Lässig winkte ich ab.

»So was kommt vor«, sagte ich. »Ich will gar nicht so tun, als freue es mich, aber ich weiß, wie man in einen sauren Apfel beißt. Meine Selbstachtung lässt es nicht zu, dass ich Jeeves’ Bedingungen akzeptiere. Man kann es mit einem Wooster auch zu bunt treiben. ›Also schön, Jeeves‹, habe ich gesagt. ›Sei’s drum. Ich werde Ihre weitere Laufbahn mit regem Interesse verfolgen.‹ Und das war’s.«

Schweigend spazierten wir ein Stück weiter.

»Dann hast du dich also von Jeeves getrennt, wie?«, sagte Chuffy in nachdenklichem Ton. »Schau an, schau an! Stört es dich, wenn ich kurz bei ihm vorbeischaue, um mich zu verabschieden?«

»Aber nein.«

»Das wäre doch nur anständig.«

»Allerdings.«

»Ich war schon immer ein großer Bewunderer seiner Geisteskräfte.«

»Und ich erst – einen größeren gibt’s gar nicht.«

»Dann gehe ich nach dem Lunch bei ihm vorbei.«

»Immer hübsch der Nase nach!«, sagte ich in ungezwungenem, ja sorglosem Ton. Das Zerwürfnis mit Jeeves hatte mir das ungute Gefühl gegeben, auf eine Mine getreten zu sein, und nun musste ich meine Einzelteile in einer freudlosen Welt wieder zusammensetzen, doch uns Woosters bringt nichts so schnell aus der Fassung.

Ich aß im Drones Club zu Mittag und verbrachte, mit Stoff zum Nachdenken reichlich versorgt, auch den Nachmittag dort. Chuffys Bemerkung, dass an den Gestaden von Chuffnell Regis eine Minstrel-Truppe gastiere, hatte das Pendel in die Richtung jenes Ortes ausschlagen lassen. Dass ich mit solchen Fachleuten Umgang pflegen und mir vom Banjospieler vielleicht sogar die eine oder andere Scheibe in Sachen Technik oder Fingersatz abschneiden könnte, versöhnte mich halbwegs mit der Aussicht, bald an einem Ort zu weilen, wo ich der Witfrau Chuffnell und ihrem Sohn Seabury in einer Tour über den Weg laufen würde. Schon oft hatte ich nämlich gedacht, wie hart es den guten alten Chuffy ankommen musste, besagtes Pestbeulengespann permanent bei sich ein und aus gehen zu sehen. Und mit dieser Bemerkung ziele ich ganz spezifisch auf Klein Seabury, einen Knaben, den man gleich bei der Geburt hätte erdrosseln sollen. Auch wenn ich dies nicht schlüssig beweisen kann, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass er es war, der mir bei meinem letzten Aufenthalt in Chuffnell Hall die Eidechse ins Bett gelegt hatte.

Doch wie gesagt: Ich war bereit, dieses Duo in Kauf zu nehmen, solange ich nur in unmittelbaren Kontakt mit einem Banjovirtuosen treten konnte, denn die meisten dieser Minstrel-Burschen zupfen die Saiten, dass es eine Art hat. Es war also nicht der Gedanke an jene beiden, der mich so eigenartig verdrossen stimmte, als ich in die Wohnung zurückkehrte, um mich fürs Dinner umzuziehen.

Nein. Wir Woosters lügen uns nicht in die Tasche. An die Nieren ging mir vielmehr, dass Jeeves im Begriff stand, aus meinem Leben zu scheiden. Einen wie Jeeves hatte es davor nicht gegeben und würde es danach nie mehr geben, dachte ich, als ich trübsinnig in meine Abendgarderobe stieg. Starke und nicht unmännliche Gefühle bemächtigten sich meiner. Ich verspürte einen Stich. Und als ich nach Beendigung meiner Toilette vor den Spiegel trat und den perfekt geplätteten Frack und die Hose mit ihren makellosen Bügelfalten betrachtete, fällte ich einen jähen Entschluss.

Pfeilschnell sauste ich in den Salon und drückte auf die Klingel.

»Jeeves«, sagte ich, »auf ein Wort.«

»Ja, Sir?«

»Jeeves, um auf unser Gespräch von heute Morgen zurückzukommen …«

»Ja, Sir?«

»Jeeves«, sagte ich, »ich habe mir die Sache nochmals durch den Kopf gehen lassen und bin zum Schluss gelangt, dass wir beide überstürzt gehandelt haben. Lassen wir die Vergangenheit ruhen: Sie können bleiben.«

»Sehr zuvorkommend, Sir, aber … gedenken Sie weiterhin, mit der Erlernung des fraglichen Instrumentes fortzufahren?«

Ich erstarrte.

»Jawohl, Jeeves, das gedenke ich.«

»Dann fürchte ich, Sir …«

Es reichte. Ich nickte hochmütig.

»Also schön, Jeeves. Das wäre alles. Selbstverständlich werde ich Ihnen ein tadelloses Zeugnis ausstellen.«

»Vielen Dank, Sir, aber das wird nicht nötig sein. Heute Nachmittag bin ich in die Dienste von Lord Chuffnell getreten.«

Ich zuckte zusammen.

»Hat Chuffy heute Nachmittag vorbeigeschaut, um Sie hinterrücks wegzuschnappen?«

»Jawohl, Sir. Ich werde ihn in einer Woche nach Chuffnell Regis begleiten.«

»Was Sie nicht sagen! Dann interessiert es Sie bestimmt zu hören, dass ich mich bereits morgen nach Chuffnell Regis begeben werde.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Jawohl. Ich miete dort ein Häuschen. Bei Philippi sehen wir uns wieder, Jeeves.«

»Jawohl, Sir.«

»Oder verwechsle ich da was?«

»Nein, Sir. Philippi ist korrekt.«

»Wohlan, Jeeves.«

»Wohlan, Sir.«

Dies also war der Ablauf der Ereignisse, die dazu führten, dass Bertram Wooster am Morgen des 15. Juli vor der Tür seines Seaview Cottage in Chuffnell Regis stand und durch den würzigen Qualm einer Zigarette den Blick verträumt schweifen ließ.