Sheila O'Flanagan

Das kleine Glück am Weihnachtsabend

Roman

Aus dem Englischen von Susann Urban

Insel Verlag

Für die Damen der Burkes und O'Flanagans,
von damals und heute, ihr seid eine stetige Inspiration.

Inhalt

Prolog Die Sugar Loaf Lodge

Kilmashogue

Kippure

Carrigvore

Keadeen

Two Rock

Berleagh

Convalla

War Hill

Slievemaan

Epilog Noch einmal die Sugar Loaf Lodge

Danksagung

Prolog
Die Sugar Loaf Lodge

Die Sugar Loaf Lodge war eigentlich gar keine Lodge, sondern ein großer Landsitz, Ende des 18. Jahrhunderts von einem unbedeutenden englischen Earl bewohnt, dessen Familie Ländereien im irischen County Wicklow geerbt hatte. Die Familie – der Earl, seine Gattin und vier Kinder – verbrachte nur einen einzigen Sommer in dem Haus, das am Fuß des legendären Sugar Loaf Mountain lag, ehe sie überstürzt nach England zurückkehrte. Der Grund für die abrupte Abreise war unklar, aber man munkelte, eines der Kinder sei krank geworden und gestorben, woraufhin Earl und Countess, zutiefst getroffen, es nie wieder übers Herz brachten, ihre Sommervilla zu betreten.

Als der Earl einige Jahre später starb, fiel der Besitz an seinen ältesten Sohn, dessen Ehe kinderlos blieb; weil er keine Erben hatte, kümmerte ihn auch nicht besonders, was mit dem Landsitz geschah. Er verbrachte nur wenig Zeit dort und nach seinem Tod verfiel das Haus rasch. Die efeuüberwucherten Mauern bröckelten, die feuchte irische Luft eroberte die großen Räume, und in den ehemals sorgfältig im Zaum gehaltenen saftig-grünen Gärten übernahm der Wildwuchs das Regime. Da sich allerlei Legenden um das verfallene Gemäuer rankten, machten die Einheimischen einen großen Bogen darum; so ging beispielsweise das Gerücht, man könne den Geist des toten Kindes traurig durch die Ruinen wandern sehen. Sollte man des Geistes ansichtig werden (niemand konnte mit Gewissheit sagen, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelte), stehe einem Unglück ins Haus, also hielten die Leute lieber Abstand. Schließlich ging der Besitz an den Staat über, der auch kein besonderes Interesse daran hatte. In den 1970ern wurden ein paar halbherzige Instandsetzungsversuche in Angriff genommen, aber erst gut dreißig Jahre später liehen sich Neil und Claire Archer einen Haufen Geld zusammen, renovierten den Herrensitz liebevoll und machten schließlich ein exklusives Landhotel daraus. Familie und Freunde sagten ihnen schlankweg, sie müssten verrückt sein. In der Tourismusbranche sei kein Geld zu machen, unkten sie. Große Unternehmen machten es der Steuererleichterungen wegen, aber für Otto Normalhotelbesitzer sei es bloß Knochenarbeit ohne Profit.

»Wir wollen keine Multimillionäre werden«, erklärte Claire ihnen ruhig. »Wir machen das, weil es uns Spaß macht.«

»Ihr habt doch keine Ahnung von der Materie, ihr seid Amateure«, warnte Neils Vater, ein Rechtsanwalt, der wollte, dass Neil in seine Fußstapfen trat, und ohnehin fand, Neil wäre als Hotelbesitzer mental unterfordert.

»Aber begabte Amateure. Außerdem habe ich eine Ausbildung im Gastgewerbe absolviert«, erinnerte Claire ihn. »Und in England drei Jahre lang ein Hotel geführt.«

»Das ist etwas völlig anderes«, sagte Alan Archer. »Da hing nicht eure Existenz davon ab.«

»Wir sind gut vorbereitet«, sagte Claire.

»Wie das denn?« Alan war nicht überzeugt.

»Mit einem guten Businessplan«, erklärte sie ihm, obwohl ihr der enorm hohe Kredit, den sie aufgenommen hatten, Angst einjagte. Doch sie wusste, schlussendlich würde sich alles auszahlen. Und ihr Hotel das beste in Irland sein.

Fünf Jahre nachdem sie sich auf dieses Wagnis eingelassen hatten, war aus der Sugar Loaf Lodge genau das von ihnen erhoffte Schmuckstück geworden. Groß genug, dass die Gäste einander nicht zu dicht auf die Pelle rückten, aber klein genug, dass die Gemütlichkeit eines Landhauses gewahrt blieb. Mit seinem preisgekrönten Restaurant und dem atemberaubenden Wellnessbereich galt die Sugar Loaf Lodge als grandiose Ruheoase in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt. Jedes der Zimmer war nach einem der Dublin Mountains oder Wicklow Mountains benannt; die sorgfältig ausgesuchte Dekoration spiegelte die Atmosphäre der Gegend wider, die als Garden of Ireland bekannt ist. Trotz der hohen Preise waren sie fast immer ausgebucht und regelmäßig gab es auf der Webseite des Hotels neue überschwängliche Bewertungen. (Genauer gesagt, die meisten waren positiv; Claire war eingeschnappt, als einige der Gäste sich über die Qualität der Fahrräder beschwerten, die das Hotel für Ausflüge zur Verfügung stellte und die sie für völlig ausreichend hielt. Offenbar waren die Leute nicht davon begeistert, dass sie in den Bergen tüchtig in die Pedale treten mussten.)

Was jedoch am besten ankam, waren Claire und Neil selbst, die die geradezu unheimliche Fähigkeit hatten, jeden Wunsch ihrer Gäste zu erahnen, noch bevor dieser geäußert wurde. Zusätzliche Handtücher, Decken oder Kopfkissen wurden gebracht, kaum hatte der Gast daran gedacht; die Raumtemperatur wurde automatisch den jeweiligen Bedürfnissen angepasst und Claire vergaß nie einen Namen, so dass sich jeder persönlich willkommen fühlte. Daraus resultierte eine konstante hohe Rate an Repeatern – Wiederholungstätern, die felsenfest behaupteten, die Sugar Loaf Lodge sei eines der besten Boutiquehotels der Welt.

Das freute besonders Claire. Die Idee, ein Hotel zu eröffnen, stammte von ihr und sie war es auch gewesen, die Neil überzeugt hatte, dass die Lodge, in den Wicklow Mountains gelegen und mit freiem Blick auf die sanft gewellte Gebirgslandschaft, die absolut perfekte Wahl sei. Sie hatte mit dem Gemeinderat wegen der Renovierung verhandelt und ihm eine Straße abgerungen, die bis zum Hotel führte. Auch einen Innenarchitekten hatte sie engagiert, der die hochherrschaftliche Atmosphäre wiederherstellen sollte, aber mit einem heimeligen Anstrich. Den Bankmanager hatte sie mit Verve und Leidenschaft auf Anhieb überzeugt, dass das Hotel ein Erfolg würde – auch wenn Neils buchhalterische Kenntnisse und sein Wissen von Bilanzen und Buchhaltung den letzten Ausschlag gegeben hatten.

Manchmal las Claire von anderen Hotelbesitzern, die trotz großer Anstrengungen gescheitert waren, und fragte sich, ob das Glück, das sie bisher an den Tücken der Branche vorbeinavigiert hatte, die den anderen zum Verhängnis geworden waren, ihnen immer treu bleiben würde. Neil behauptete, ihr Erfolg habe nichts mit Glück zu tun, sondern damit, dass für sie beide Sugar Loaf Lodge nicht einfach nur ein Geschäft war Sondern die Erfüllung eines Traums. Und einen Traum zu haben, war unendlich viel wichtiger als ein Businessplan, der dem Hotel den letzten Cent abpressen wollte. Man sei seines Glückes Schmied, erklärte Neil, und daran arbeiteten sie jeden Tag.

Mit schöner Regelmäßigkeit lehnten Claire und Neil Angebote internationaler Hotelketten ab, die unbedingt die Sugar Loaf Lodge kaufen wollten. Sie wollten seine Einzigartigkeit erhalten, sie nicht einem Corporate Branding opfern, egal wie verführerisch der finanzielle Aspekt auch sein mochte. Jedes Jahr gratulierten sie sich zu ihrer Entscheidung – obwohl ihnen das letzte Angebot durchaus zu denken gegeben hatte. Es hatte sich um eine höchst verlockende Summe gehandelt, bei der sie sich automatisch fragten, ob diese auszuschlagen nicht der reine Wahnsinn gewesen war.

»Lass uns noch ein oder zwei Jahre weitermachen.« Letztendlich hatte Claire die Entscheidung gefällt. »Vielleicht hängt uns das Hotel dann ohnehin zum Hals heraus und wir wollen es nur zu gern an die gesichtslosen Anzugträger loswerden.«

»Meinst du wirklich, du hast die Sugar Loaf Lodge irgendwann mal satt?« Neil lächelte sie an.

»Eines Tages wahrscheinlich schon«, meinte sie nachdenklich. »Aber im Moment finde ich unser Leben einfach herrlich.«

Fast unmittelbar nachdem sie das Angebot abgelehnt hatten, trübte sich die wirtschaftliche Lage ein und sofort gingen die Buchungen zurück. Angesichts der vielen Stornierungen wurde es Claire richtiggehend schlecht und sie fragte sich, ob ihre unglaubliche Glückssträhne ein Ende gefunden hatte.

Die Leute buchten erst auf den letzten Drücker, besonders den Weihnachtsurlaub. Normalerweise war die Sugar Loaf Lodge aufgrund ihrer idyllischen Lage zu Weihnachten sehr begehrt und meist schon im September ausgebucht, aber in diesem Jahr waren sogar noch Anfang Dezember etliche Zimmer verfügbar. Neil und Claire schalteten zusätzliche Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften und beschlossen, dass die Erwartungen sämtlicher Gäste übertroffen würden, und hoffentlich, wenn diese den nächsten Urlaub planten, würde die Sugar Loaf Lodge ganz oben auf der Liste ihrer Ferienziele stehen. Vorausgesetzt, bangten sie, dass die Leute überhaupt noch Hotels buchten. Sie wollten gar nicht über Weihnachten hinausdenken!

Es war eine nervenaufreibende Zeit. Die Banken zeigten sich nicht kooperativ, und die Angestellten, die um ihre Jobs fürchteten, verbreiteten düstere Stimmung. Claire rief alle zusammen, teilte ihnen mit, sie würden diese Krise gemeinsam meistern und wenn alle tüchtig mit anpackten, werde diese Weihnachtssaison die erfolgreichste in der Geschichte der Sugar Loaf Lodge. Ihre Stimme klang zuversichtlich und energisch. Die Belegschaft war überzeugt. Anschließend schloss sie sich allerdings in ihrem Büro ein, bis ihre Hände aufhörten zu zittern.

Dann ging sie die Kontoauszüge durch (das machte sonst Neil) und schluckte schwer. Ihre Dickköpfigkeit war schuld, dass sie beide in dieser Bredouille saßen. Sie war diejenige gewesen, die darauf bestanden hatte, sie könnten alles allein stemmen, müssten sich keiner Hotelkette an den Hals werfen. Sie hatte gesagt, der Erfolg der Sugar Loaf Lodge gründe sich darauf, dass es sich um ein inhabergeführtes Hotel handele, das nicht einer Corporate Identity unterworfen und an allen Ecken und Ende mit einem Logo zugekleistert sei. Neil hatte ihr zugestimmt, aber sie wusste, dass er insgeheim glaubte, es würde ihnen wahrscheinlich irgendwann leidtun, das letzte Angebot ausgeschlagen zu haben.

Aber es tat ihr nicht leid. Weder dass sie das Hotel aufgemacht hatten, noch dass sie die Riesensumme ausgeschlagen hatten. Claire war Geld nicht besonders wichtig. Aber um der Mitarbeiter willen bereute sie ihre Entscheidung bitterlich. Denn wenn an Weihnachten nicht alle Zimmer belegt waren und die Menschen nicht mehr Geld ausgaben als im vergangenen halben Jahr, wäre ihre aufmunternde Rede, gemeinsam würden sie die Durststrecke überstehen, eine aufmunternde Rede, mehr nicht. Und die Belegschaft, die so hart arbeitete, weil sie darauf vertrauten, dass Neil und sie die richtigen Entscheidungen trafen, würde auf der Straße stehen.

Claire betrachtete die Buchungen und bekam wieder Bauchgrimmen. Normalerweise mussten sie Absagen verteilen, jetzt hofften sie auf Anrufe. Alles lief schrecklich schief. Und es war allein ihre Schuld.

Auch Neil war besorgt. Ihm war noch deutlicher als Claire bewusst, wie prekär es um ihr Hotel stand. Den meisten war nicht klar, wie schnell sich der Wind drehen konnte. Eine Zeitlang hatte es so ausgesehen, als würden sie alles richtig machen, damals, als die Leute ohne groß nachzudenken ein Wochenende im Hotel buchten. Wenn sie jetzt anriefen, wollten sie wissen, was alles inbegriffen war, versuchten den Preis für das Zimmer oder die Wellnessanwendungen herunterzuhandeln, selbst für die Mahlzeiten im Restaurant. Er und Claire hatten alles auf ein Minimum reduziert, noch mehr würde dem Hotel schaden, schließlich war es ein Luxushotel. Was bedeutete, dass man mehr bezahlen musste. Allerdings wollte derzeit niemand für Luxus bezahlen. Die Leute konnten ihn sich entweder nicht leisten oder wollten ihn für 'nen Appel und 'n Ei. Und das richtige Maß zwischen diesen beiden Polen zu finden, stellte sich als sehr schwierig heraus.

»Was können wir tun?«, fragte Claire besorgt, als sie gemeinsam die Buchungen durchgingen. »Wenn wir nicht jeden Abend mehr Gäste ins Restaurant bekommen und wenn wir nicht bis Ende nächster Woche ausgebucht sind, verlieren wir Geld.«

»Ich weiß.«

»Es tut mir so leid.« Sie fing an zu weinen. »Ich dachte, wir hätten den Dreh raus. Ich dachte, wir sind die besten Hoteliers der Welt und wissen, was die Leute wollen. Ich dachte, wir sind besser als die Hotelketten und deshalb wollte ich die Sugar Loaf Lodge behalten. Aber ich habe mich getäuscht.«

»Nein, hast du nicht«, Neil nahm sie in die Arme. »Du hattest absolut recht. Die Sugar Loaf Lodge ist eines der besten Hotels in Irland, und wir wissen genau, was die Leute wollen, und wir werden allen, die zu uns kommen, die allerschönste Weihnachtszeit bereiten, die sie je erlebt haben.«

»Selbst wenn uns das gelingt …«, Claire sah ihn besorgt an, »könnte uns das Wasser immer noch bis zum Hals stehen.«

»Wir müssen diese Phase jetzt einfach durchstehen«, sagte Neil. »Wenn die Zeiten gut sind, kann jeder Trottel ein Unternehmen führen. Wenn alles glattläuft, steht jeder wie ein Genie da. Aber wenn es nicht läuft, kommen nur die Harten in den Garten. Und wie du weißt, sind wir hart, Claire. Und zäh.«

»So habe ich mich bisher auch immer gesehen. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher.«

»Du bist ultrazäh.« Mit einem Grinsen zog er sie eng an sich. »Wer ist zum Gemeinderat gestiefelt und hat verlangt, dass sie die Wasserleitungen umtrassieren müssen? Wer hat den Papierkram-Mount-Everest, den es zu besteigen galt, bewältigt? Wer hat dafür gesorgt, dass wir das Hotel planmäßig eröffnen konnten, obwohl alle sagten, wir könnten den Termin nie halten?«

»Mit solchen Herausforderungen komme ich zurecht, und damals konnten wir uns vor Gästen kaum retten. Aber jetzt … alle horten ihr Geld, was ich ihnen nicht verdenken kann. Wenn wir selber welches hätten, würde ich es genauso machen.« Sie war untröstlich.

Seit dem allerersten Tag, als sie mit den Arbeiten am Hotel begonnen hatten, fühlte sich Claire dem Gebäude unerklärlich eng verbunden. Für sie war es mehr als ein Haufen von Mörtel zusammengehaltenen Steinen, sondern wie ein lebendiges Wesen, das eine Seele hatte. Sie hatte mit niemandem darüber gesprochen, denn man würde sie garantiert für verrückt halten. Oder mit allzu blühender Phantasie ausgestattet. Aber sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Lodge wie ein Schutzengel über ihnen wachte. Und sie beide ihrerseits darüber wachen sollten. Doch jetzt lachte sie bitter über ihre dumme Einbildung.

»Das ist keine dumme Einbildung.« Die Stimme schien sich direkt hinter ihr zu befinden.

»Was??« Entsetzt wirbelte Claire auf ihrem Stuhl herum. Doch da war niemand. Herr im Himmel, dachte sie, der Stress lässt mich noch völlig durchdrehen. Jetzt höre ich schon Stimmen. Wahrscheinlich sollte ich dankbar sein, dass ich nicht auch noch Gespenster sehe.

»Alles wird gut«, ließ sich die Stimme vernehmen.

Da meldete sich wohl ihr Unterbewusstsein, mutmaßte Claire.

»Es ist bloß dieses eine Jahr«, sagte die Stimme. »Dieses Haus existiert seit Hunderten von Jahren. Das überstehst du schon.«

Wahrscheinlich hatte ihr Unterbewusstsein recht. Aber ein schlechtes Jahr könnte ihnen das Genick brechen. Das war das Problem.

»Du bist zäh«, sagte die Stimme. »Da kämpfst du dich durch. Du lässt dich doch von einer schlechten Saison nicht in die Knie zwingen.«

Schon komisch, reflektierte Claire, dass die schlechten Zeiten die Erinnerung an die guten Zeiten nachgerade auffraßen. Als das Hotel gutging und Geld abwarf, nahmen sie das gleichmütig hin, fanden es gewissermaßen den gerechten Ausgleich. Aber kaum lief es schlecht, waren sie total niedergeschlagen. Und obgleich sie wussten, dass es nicht an ihnen lag, wünschten sie sich doch, sie hätten die Dinge anders angepackt.

»Das geht uns doch allen so«, sagte die Stimme in ihrem Kopf und Claire konnte ihr eigenes Bedauern darin mitschwingen hören. »Jeden Tag wünschen wir uns, wir hätten dieses und jenes besser gemacht. Oder ganz einfach die Finger davongelassen. Aber wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind.«

Claire lächelte. Ihr Unterbewusstsein hatte recht. Die Dinge waren nun mal so, wie sie waren. Neil und sie würden damit zurechtkommen. Und egal, wie viele Menschen nun über Weihnachten im Hotel waren, sie würde dafür sorgen, dass ihre Gäste eine wunderbare Zeit hatten. Damit, wenn – falls – sich die Lage besserte, sie erneut in die Sugar Loaf Lodge wollten, die ihnen in so guter Erinnerung war.

»Trotzdem wäre es einfach toll, wenn sich für die leeren Zimmer noch Gäste fänden«, sagte sie vor sich hin.

Claire war in Lagerbestandslisten vertieft, als das Telefon klingelte.

»Sugar Loaf Lodge«, meldete sie mit ihrer freundlichsten Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«

»Hallo«, sagte die Anruferin. »Ich wüsste gern, ob Sie für Weihnachten noch freie Zimmer haben?«

»Ja.« Claires Herz machten einen hoffnungsvollen Hüpfer. »Wir haben ein Pauschalangebot für zwei Übernachtungen, falls Sie an so etwas interessiert sind.«

»Sehr schön«, sagte die Frau. »Dann würde ich gerne mehrere Zimmer für meine Familie buchen. Wir sind eine größere Gruppe, hoffentlich können Sie uns noch unterbringen.«

Claire fühlte wohlige Wärme in sich aufsteigen, während sie die Buchung vornahm. Als sie den Hörer auflegte, seufzte sie erleichtert. Ein Anruf, und alles sah schon wieder rosiger aus. Vier Zimmer. Einfach so. Sie lächelte immer noch, als das Telefon erneut klingelte.

»Sugar Loaf Lodge«, meldete sie sich wieder. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich weiß, es ist wahrscheinlich schon reichlich spät«, sagte die Männerstimme, »aber haben Sie über Weihnachten noch etwas frei?«

Am Morgen des 24. Dezember, die Belegschaft war in den Startlöchern fürs Frühstück, betrat Neil die festlich geschmückte Hotelhalle, von der aus man einen Panoramablick auf die verschneite Landschaft hatte, und gestattete sich einen kleinen Seufzer der Erleichterung. Im letzten Augenblick war auch das letzte freie Zimmer noch weggegangen. Jetzt konnten Claire und er sich etwas entspannen. Natürlich war an richtige Entspannung erst zu denken, wenn Weihnachten und Neujahr hinter ihnen lagen. Aber immerhin waren sie nun komplett ausgebucht, immerhin war ihnen nicht alles um die Ohren geflogen. Jetzt mussten sie es den Gästen nur noch so schön wie möglich machen. Und das beherrschten sie aus dem Effeff, das war ihre Stärke.

»Alles in Ordnung?« Claire stellte sich neben ihn ans Fenster.

»Alles bestens«, antwortete er. Schweigend standen sie nebeneinander.

Sie holte tief Luft. »Bereit«, sagte sie.

Er gab ihr rasch einen Kuss auf die Wange. Dann gingen sie Hand in Hand durch die Halle ihres Hotels, beide fest entschlossen, aus diesem Weihnachtsfest das unvergesslichste zu machen, das die Sugar Loaf Lodge je gesehen hatte.